Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden Impressum 
Forum Edgar Wallace ,...



Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 977 Antworten
und wurde 210.482 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
Seiten 1 | ... 43 | 44 | 45 | 46 | 47 | 48 | 49 | 50 | 51 | 52 | ... 66
Marmstorfer Offline




Beiträge: 7.519

05.07.2015 17:33
#706 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Endlich wieder Leben im Derrick-Thread - da komme ich ja genau richtig, um endlich meine Rangliste zur Box Numero 5 zu veröffentlichen. Eineinhalb Jahre ohne den Münchner Oberinspektor würde ich wahrscheinlich nicht aushalten; im Gegenteil: mein aktuelles Pensum von einer Folge pro Monat dürfte sich gerne verdoppeln, aber nebenbei wollen ja auch noch "Der Alte", "Der Kommissar", "Ein Fall für Zwei" und natürlich diverse andere Filme und Serien gesichtet werden.

Allgemein gilt Box 5 als relativ schwach - insbesondere im Vergleich mit der wahrhaft exzellenten Vorgänger-Staffel. Ein Eindruck, den ich insofern bestätigen kann, als dass sich der Punktedurchschnitt von 4,16 auf 3,76 verschlechtert. Gleich sechsmal habe ich 3,5 Punkte vergeben - eine Bewertung, die für solides, gut ansehnliches Mittelmaß steht. Wobei einige der betreffenden Folgen durchaus interessante Kniffe beinhalten (man denke an die Auflösung in "An einem Gutshof" oder den bemerkenswerten Auftritt Wischnewskis in "Ein Lied aus Theben", nicht zu vergessen der überlange, formidabel besetzte Ausflug nach Berlin, der aber ausgerechnet an eben jener Überlänge kränkelt). Die Höchstwertung habe ich nur einmal gezückt - das intensive Duell der überragenden Akteure Wussow und Halmer, verpackt in eine gewohnt kompetente Inszenierung des jüngst verstorbenen Dietrich Haugks hat bei mir die Nase vorn, dicht gefolgt von der in Fan-Kreisen überhaupt nicht wohlgelittenen (man riskiere einen Blick ins Derrick-Forum), aber dabei doch so wunderbar theatralischen und unterhaltsamen Episode "Die Entscheidung" - nur echt mit Brigitte Horney im Primaballerina-Kostüm. Ganz hinten, aber längst keine Totalausfälle: "Ein Todesengel" und "Ein tödlicher Preis", die jeweils nach recht interessantem Beginn das Niveau nicht halten können und in Beliebigkeit versinken. Hier nun die vollständige Rangliste:

Platz 01: Karo As (Haugk) 5/5
Platz 02: Die Entscheidung (Grädler) 4,5/5
Platz 03: Unstillbarer Hunger (Ashley) 4,5/5
Platz 04: Zeuge Yurowski (Vohrer) 4/5
Platz 05: Das dritte Opfer (Vohrer) 4/5
Platz 06: Tödliche Sekunde (Brynych) 4/5
Platz 07: Die Versuchung (Ode) 4/5
Platz 08: Ein Lied aus Theben (Weidenmann) 3,5/5
Platz 09: Hanna, liebe Hanna (Grädler) 3,5/5
Platz 10: Eine unheimlich starke Persönlichkeit (Ode) 3,5/5
Platz 11: Auf einem Gutshof (Grädler) 3,5/5
Platz 12: Ein Kongress in Berlin (Ashley) 3,5/5
Platz 13: Der Tod sucht Abonnenten (Brynych) 3,5/5
Platz 14: Ein Todesengel (Vohrer) 3/5
Platz 15: Ein tödlicher Preis (Ashley) 2,5/5

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

05.07.2015 20:44
#707 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Marmstorfer im Beitrag #706
Endlich wieder Leben im Derrick-Thread - da komme ich ja genau richtig, um endlich meine Rangliste zur Box Numero 5 zu veröffentlichen.

Wieder einmal kann ich deinen Eindrücken im Großen und Ganzen nur zustimmen - zumindest was meine (mittlerweile ausgedünnten) Erinnerungen an Box 5 angeht, die damals eine erste Enttäuschung im "Derrick"-Bereich war. Wobei Enttäuschung ja immer relativ ist: die Mischung beinhaltet doch immer eine Handvoll Folgen, an die man sich sehr gern erinnert - und da sind wir, was die Top-Platzierungen angeht, ja weitgehend konform. Die größten Abweichungen haben wir bei "Auf einem Gutshof" (ich sieben Plätze besser als du) und "Ein Lied aus Theben" (du sechs Plätze besser besser als ich). Aber das sind letztlich beides eher Mittelfeldtitel.

Deine Derrick-Dosierung könntest du von mir aus auch gern ein wenig erhöhen. Box 6 beginnt gleich ganz stark!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

05.07.2015 21:15
#708 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Eine Art Mord

Episode 170 der TV-Kriminalserie, BRD 1988. Regie: Günter Gräwert. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Siegfried Lowitz (Werner Rutger), Manfred Zapatka (Karl Rutger), Ulli Philipp (Amalie Rutger), Maximilian Held (Toni Rutger), Heinz Baumann (Burke), Liane Hielscher (Marianne Burke), Ute Willing, Renè Heinersdorff u.a. Erstsendung: 25. November 1988, ZDF.

Zitat von Derrick: Eine Art Mord
Achtzehn Jahre wartete Werner Rutger im Gefängnis auf die Million, die er bei einem Raubmord erbeutet und anschließend an einer Waldlichtung vergraben hatte. Seine Entlassung wird aber eine Enttäuschung: Der Sohn will nichts von Rutger senior wissen und die Waldlichtung gibt es auch nicht mehr. Der Koffer liegt mitten in einer zehn Jahre alten Einfamilienhaussiedlung. Rutger wendet sich an die Polizei und lässt mit Derricks Hilfe den Garten umgraben. Vom Koffer keine Spur. Jemand muss die Sore vorher schon entdeckt haben!


Wie die Suche nach einem legendären Goldschatz gestaltet sich die Hatz nach dem Metallkoffer, der seine vorletzte Ruhestätte unter einer Eiche in einem Vorortgarten fand. „Der Alte“ Siegfried Lowitz betreibt sie auf ungewohnte Weise: Anstatt auf eigene Faust zu buddeln, sichert er sich die Hilfe seines ehemaligen Schicksalsbesieglers Derrick. Auf diesem Weg bringt er sich zwar um das achtzehn Jahre lang ersehnte Geld, doch Werner Rutgers Vermutung, dass es ohnehin nicht mehr da ist, erweist sich als „gold“-richtig. Er dreht die Medaille um und macht aus einem Betrug einen Rachefeldzug gegen diejenigen, die sich das Geld unter die Nägel gerissen haben und sich nun als ehrenwerte Bürger bezeichnen; ja, blanke Verachtung gegenüber Rutger senior an den Tag legen.

Für Lowitz ist es nach „Stiftungsfest“ der zweite und letzte „Derrick“-Auftritt (leider liegen nicht die filmischen achtzehn, sondern „nur“ vierzehn Jahre zwischen den beiden Folgen) – und man kann durchaus von einer ähnlich gelungenen Charakterstudie sprechen wie bei seinem damaligen Herrn Bark. Man darf sich nur nicht vom sehr unglücklich gewählten Szenenfoto abschrecken lassen, das MORE-DVD 57 „ziert“ – Lowitz erweist sich in „Eine Art Mord“ abwechselnd als Mann mit düsterer Vergangenheit, als aufrechter Verbrecher und als verschlagener Racheengel. Es ist auch ein Verdienst Reineckers, dass diese scheinbar widersprüchliche Figur einen glaubwürdigen Eindruck hinterlässt, weil der Autor sich dieses Mal auf sehr subtile Töne besinnt, anstatt die Enttäuschung Rutgers, z.B. über den Betrug oder über die ablehnende Haltung seiner Familie, dem Zuschauer zu dramatisch aufzudrängen. Irre ich mich oder gab es in der ganzen Folge keinen einzigen moralphilosophischen Satz?

Gräwert inszenierte mit Schwung und Pfiff, was seiner nüchternen Handschrift manchmal abgeht; hier erweist er sich tatsächlich als ideale Wahl für ein Drehbuch, das vielleicht einer logischen Überprüfung nicht bis in den hintersten Winkel standhalten würde, dafür aber sehr viel Vergnügen bereitet, weil es tempo- und wendungsreich ist und ausnahmsweise ohne Mord auskommt. Außerdem darf nicht vergessen werden: Dass die Konstellation mit einem starken Lowitz aufgeht, liegt ebenso an dessen nicht weniger gut aufspielenden Gegnern, denen Manfred Zapatka und Heinz Baumann wunderbar kleinbürgerliche Gesichter verleihen (Lehrer, was will man da auch erwarten!).

Abgerundet wird der Fall durch ein unkonventionelles Ende, das den „Fluch des gestohlenen Geldes“ noch einmal vor Augen führt. Ein schwacher Moment kann ausreichen, um ein eigentlich geordnetes Leben zu zerstören. Auf welche Seite man in der letzten Konsequenz seine Sympathien verlagern soll, bleibt ungewiss. Nicht einmal mein sonstiger Ausweg – auf die Seite Derricks – bleibt offen, weil für diesen der Ausgang der Geschichte als krasser Misserfolg betrachtet werden muss. Sein Kampf gegen die Eskalation des Vater-Sohn-Gefechts ist verloren, genau wie er achtzehn Jahre zuvor bei Rutgers Verhaftung mit einer falschen Annahme über den Verbleib des Geldes nur die Hälfte durchschaute. Ungewöhnlich für unseren sonst so fehlerfreien Oberinspektor. Da heißt es: Hinfallen, Krone richten und unauffällig weitergehen.

Vom Titel, der abgründige Irrwege in Reineckers abstrahierte Auslegung von Kapitalverbrechen erwarten lässt, sollte man sich nicht in die Irre führen lassen: „Eine Art Mord“ ist eine „Derrick“-Folge, wie man sie sich wünscht: Abwechslungsreich wird eine stilsichere Räuberpistole mit einem bittersüßen Familiendrama kombiniert; das ganze mühelos getragen von Lowitz, Zapatka und Baumann. 4,5 von 5 Punkten – wir bewegen uns recht nahe der Perfektion.

PS: Den Abspann untermalt Dieter Kawohls getragene Eighties-Ballade „Lyin’ Eyes“, die hier von der Gruppe Vision Fields gesungen und später in einer schlagerisierten Version von niemand Geringerem als Howard Carpendale gecovert wurde. Reinhören – also ins Original!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

06.07.2015 16:45
#709 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Wie kriegen wir Bodetzki?

Episode 171 der TV-Kriminalserie, BRD 1989. Regie: Horst Tappert. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Hans Putz (Jonas Velden), Hans-Georg Panczak (Korte), Helmut Stauss (Brandeck), Volker Lechtenbrink (Tubeck), Reinhild Solf (Roska May), Gert Haucke (Bodetzki), Claus Ringer (Dr. Heimhaus), Paul Hoffmann (Walter Loss) u.a. Erstsendung: 6. Januar 1989, ZDF.

Zitat von Derrick: Wie kriegen wir Bodetzki?
Zwei junge Männer flüchten aus einem Parkhaus am Flughafen, während ein Arzt die Polizei wegen der Leiche eines dritten verständigt. Was nach klaren Schuldverhältnissen aussieht, erweist sich als komplizierteres Puzzle: Über einen Mittelsmann erfährt Derrick, dass die beiden Flüchtigen keinesfalls die Mörder waren, sondern selbst auf der Suche nach dem Täter, einem Agenten namens Bodetzki, sind. Der stach mit einem in Zyankali getauchten Stachel zu, den er in einem Siegelring immer bei sich trägt. Doch das ist nicht die einzige Gefahr, die von Bodetzki ausgeht ...


Wie viele „Derrick“-Fälle nahmen schon ihren Ausgang am Flughafen Riem? Auch diesmal steht Münchens ehemaliges Tor zur Welt am Beginn einer Episode, die ein gewisses internationales Flair versprüht. In Reinecker-Code übersetzt bedeutet das: Spionage. Doch taucht diese nur dezent am Rande auf, was ganz dankbar ist, weil der bitterböse Ost-Spion (der aber in der Schweiz lebt und in München zur Tarnung eine Künstleragentur betreibt ...) von Urgestein Gert Haucke verkörpert wird, welcher allein den Freunden wilder Stunden „auf Revier 12“ in guter Erinnerung geblieben sein wird. Hier macht er zwar einen gesetzteren Eindruck, aber eine etwas elegantere Erscheinung hätte nicht schaden können, bedient sich der titelgebende Herr Bodetzki doch immerhin ähnlich delikater Mordtechniken wie dereinst „die lachende Leiche“.

Ein mit Gift gefüllter Siegelring – ein direkt klassischer Einfall, der das Interesse zu Beginn in Höhen schraubt, die die Folge auf lange Sicht hin leider nicht ganz halten kann. Es gibt zwar – wieder ein Blick zurück auf den Airport – keinen Totalabsturz zu vermelden, aber der Plot ist doch etwas zu weit hergeholt, um überzeugend zu wirken. Neben Bodetzki, der als schillernder Geheimnisträger präsentiert wird, steht eine Gruppe von Physikern im Mittelpunkt, die als Amateur-Entführer ebenso seltsam anmuten wie ein wegen Trunksucht in Frühpension geschickter Kollege Derricks, der widerstrebend eine Undercover-Funktion übernimmt, dann aber nach und nach den ganzen Fall an sich zu reißen droht.

Was bleibt trotz dessen in guter Erinnerung? Tapperts inszenatorische Mühen, „Wie kriegen wir Bodetzki?“ eine ungewöhnliche, künstlerisch angehauchte Bildsprache zu verpassen, fruchten vor allem in den ersten 15 Minuten. Hier kommen einige genüsslich ausgekostete Schwenks und Zooms zum Einsatz, die den Fall über den optischen Durchschnitt heben (besonders zu beachten: die Beisetzungsfeier von Loss junior sowie ein Gespräch zwischen Loss senior und Altenheim-Leiter Wolfrid Lier). Auch hinterlassen verschiedene Szenen einen luftig-frischen Eindruck; das sommerliche Flair der Folge wird deutlich spürbar. Andererseits scheint die Doppelverpflichtung als Regisseur und Hauptdarsteller Tapperts Aufmerksamkeit in ungesundem Maße zu beanspruchen: Mehrfach baut Derrick Verhaspler ein, die tatsächlich ohne Nachdreh in der fertigen Episode landeten. Entstand „Bodetzki“ etwa unter Zeitdruck oder ist das ein Stilmittel, um die Authentizität zu steigern? Letzteres würde der Lesart von Andreas Quetsch widersprechen, der anhand dieser Folge pointiert Derricks Stilisierung zur Überfigur analysiert:

Zitat von Andreas Quetsch: Der Mensch und die Moral, in „Augenblick 30: Gesetz & Moral – Öffentlich-rechtliche Kommissare“, Marburger Hefte zur Medienwissenschaft, 1999, S. 64
[M]anchmal wirkt Derrick so abgehoben, dass er einem [...] Heilsbringer gleicht. Man könnte in ihm [...] die Jesus-Figur wiedererkennen: Auch hier ein Erlöser, auch hier einer, der sich für die Menschheit aufgeopfert hat und der das reine Gute verkörpert. Stephan Derrick ist hierbei nicht die göttliche Figur, denn er handelt, er ist inmitten der Menschen. Ganz entsprechend dem Jesus-Mythos. Und es gibt sogar direkte Anspielungen: In „Wie kriegen wir Bodetzki?“ steht Derrick längere Zeit vor einem gut sichtbaren Jesus Christ Superstar-Poster.


Ja, da dachte ich mir auch: „Stephan Derrick Superstar“ wäre genauso treffend gewesen.

Zum Höhepunkt der Folge kommt es allerdings bereits vor dem Zusammentreffen aller Parteien mit Derrick; nämlich als Bodetzkis Entführung endlich auf dem Programm steht und sein Giftring seinen Überwältigern bedrohlich nahe kommt. Was darauf folgt, sind abschließend eher beschwichtigende Worte des Oberinspektors, der diesmal auf Einsicht statt auf eiserne Hand setzt und sich in dieser unkonventionellen Ausübung seiner Berufspflichten ganz auf seine starke persönliche Überzeugungskraft beruft, die sogar Verzweifelte zur Rückbesinnung auf Recht und Gesetz anhält. Wenn es doch auch außerhalb des Reinecker’schen Universums so einfach wäre ...

Ich kann mir vorstellen, dass deutsch-deutsche Themen in den Wendejahren noch häufiger in „Derrick“ aufgegriffen werden, worauf ich durchaus gespannt bin, weil „Wie kriegen wir Bodetzki?“ in dieser Hinsicht noch Potenzial nach oben lässt. In der vorliegenden Episode rettet Tapperts Regie ein etwas vergaloppiertes Drehbuch, das so etablierte Darsteller wie Hans Putz, Hans-Georg Panczak und Volker Lechtenbrink in die Irre schickt. 3 von 5 Punkten.

Chinesische Nelke Offline



Beiträge: 136

06.07.2015 17:13
#710 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Den Fall "Wie kriegen wir Bodetzki" gibt es auch als Buch, allerdings löst ihn nicht Derrick sondern der Kommissar, sehr lesenswert!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

07.07.2015 20:30
#711 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Kisslers Mörder

Episode 172 der TV-Kriminalserie, BRD 1989. Regie: Wolfgang Becker. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Evelyn Opela (Irene Stubach), Maximilian Held (Ralf Stubach), Hans Caninenberg (Karl Bode), Peter Bongartz (Rudolf Kissler), Janna Marangossoff (Katja Lohnert), Christoph Mainusch (Heimeran), Robinson Reichel (Steiner), Uli Krohm (Kudau) u.a. Erstsendung: 27. Januar 1989, ZDF.

Zitat von Derrick: Kisslers Mörder
Der Schüler Ralf Stubach kann die Abhängigkeit nicht mehr ertragen, in die seine Mutter geraten ist. Aus angeblicher Liebe zum Zuhälter Kissler verdingt sie sich in dessen „Privatclub“, in dem es ganz eindeutig zur Sache geht. Als Kissler mit einem Kopfschuss hingerichtet wird, führen alle Spuren zu Ralf: Sowohl die Polizei als auch seine Mutter sehen in ihm den Hauptverdächtigen. Doch dann legt Ralfs Großvater ein Geständnis ab – um seinen Enkel zu schützen ...


In ihren Bestrebungen, die sexuelle Befreiung einer dritten Person rückgängig zu machen, übertrumpfen sich Irene Stubachs Sohn und dessen Großvater geradezu. Sie fallen wegen des Berufs der Mutter in eine Identitätskrise, die man in ihrem gockelhaften Ehrgehabe und ihrer Rückwärtsgewandtheit am ehesten vielleicht in den familiären Clan-Strukturen morgenländischer Einwanderer vermuten würde. Zwischen den Zeilen liest man den Tenor: Warum arbeitet die Frau in einem Puff? Warum arbeitet sie überhaupt, wenn sie einen Sohn zu erziehen hat? Eine unverantwortliche Rabenmutter! Die beiden Herren dagegen haben Weisheit und Moral gepachtet. Dass sie vom Gesetz nicht viel halten, Schießübungen veranstalten und Leute bedrängen, ist ja egal, solange es „einem guten Zweck“ dient. Oder in anderen Worten: Ein bisschen herumballern ist harmlos, aber wehe jemand hat unehelichen Sex!

Sobald man diesen hirnrissigen, aber mit absoluter Selbstverständlichkeit vorgetragenen Kontrast geschluckt hat, entdeckt man leicht amüsiert über das vorgestrige Gesellschaftsverständnis des Autors hinter der Fassade einen ganz soliden Krimi, der von Wolfgang Beckers routinierter Handschrift, seiner Dynamik, seinem modernen Look, seinen gekonnten Musikeinsätzen profitiert. Ihm ist es zu verdanken, dass der Geschichte nie die Luft ausgeht und dass manches aufgetischte Klischee nicht ganz so ernst herüberkommt, wie es ursprünglich angedacht war. Traumsequenzen und Rückblenden fügen sich gut in den Verlauf der Handlung ein und erlauben einen Zugang zu den Kernerlebnissen der Protagonisten.

Dass Ringelmann mit Evelyn Opelas attraktivem Aussehen spielt, hat einen ähnlich langen Bart wie Caninenbergs Reinecker-Impersonation. Mit der Gruppe von Jugendlichen um Maximilian Held und Janna Marangossoff hält dagegen ein wenig frischer Wind Einzug. Es wäre fatal gewesen, hier der schwadronierenden Wichtigtuerei eines Christoph Eichhorn oder Philipp Moog zu begegnen. Held (der Sohn von Martin Held) dagegen zeichnet den etwas unwirscheren Charakter Ralf Stubachs glaubwürdig und altersgerecht; man spürt tatsächlich die immer wieder in Bezug auf Reinecker’sche Jugendliche angemahnte Unvollkommenheit und mangelnde Reife, die ihn zu einem explosiven Gesprächspartner – eher nach Art eines Ecki Belle, nur weniger unbefangen – macht. Auch wiederholt er einige Fehler, die er anderen – seiner Mutter oder Kissler – erzürnt zur Last legt. Damit soll wohl auch die Tatfrage offen gelassen werden, doch dem kundigen Zuschauer wird das Licht vielleicht schon aufgehen, bevor sich der Mord überhaupt zugetragen hat. Derrick ist da dieses Mal etwas langsamer und lässt sich am Ende nach erfolgreich gesähtem schlechten Gewissen einfach von „Kisslers Mörder“ besuchen.

Eigentlich sträubt sich vieles in mir, aber „Kisslers Mörder“ hinterlässt einen flotten und vergnüglichen Eindruck. Man muss sich lediglich eine gewisse Resistenz gegenüber Reineckers sonderbaren Moralvorstellungen aufgebaut haben und ein paar Abstriche beim Rätselfaktor machen, um die von Becker und Held junior ganz sauber hingebogene Märchenstunde zu goutieren. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

07.07.2015 21:43
#712 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Chinesische Nelke im Beitrag #710
Den Fall "Wie kriegen wir Bodetzki" gibt es auch als Buch, allerdings löst ihn nicht Derrick sondern der Kommissar, sehr lesenswert!

Danke für die Ergänzung, das hätte ich sonst übersehen.

„Wie kriegen wir Bodetzki?“ ist dabei nicht einmal der einzige Fall, der auf einer der „unverfilmten Kommissar-Episoden“ basiert, wie sie z.B. im Buch bei Grote genannt werden. Ich hätte jetzt der Titel wegen noch „Die Wahrheit im Mordfall Goos“ und „Der Kommissar und die Tänzerin“ ergänzt, entdecke aber gerade einen älteren Beitrag von dir, in dem schon deutlich mehr Vorlagen identifiziert wurden: "Derrick" oder: das andere Konzept (16)

Interessant ist, dass es neben den Kommissar-Büchern auch Episoden gab, die nachträglich in „echte“ Derrick-Romane umgearbeitet wurden. Das trifft z.B. auf die kommende „Derrick“-Episode „Der zweite Mord“ zu. Sie ist als Doppelband gemeinsam mit „Mädchen im Mondlicht“ (Folge 259) in zwei Gestaltungsvarianten veröffentlicht worden:



Eine vielleicht naive Frage: Bei diesen beiden Derrick-Romanen wird klipp und klar angegeben, dass sie nach Reineckers Vorlagen von H.G. Francis, dem bekannten Hörspielautor, verfasst wurden. (Auf dem einen Cover korrekt angeführt, auf dem anderen als G.H. Francis ... ) Steckt hinter den Kommissar-Derrick-Crossovern auch ein „Ghostwriter“ oder stammt da tatsächlich jedes Wort von Reinecker höchstselbst? Ich wundere mich nur, denn Bastei-Lübbes Romanheftchen sind ja nicht unbedingt hoch angesehene Kunst.

Chinesische Nelke Offline



Beiträge: 136

07.07.2015 22:31
#713 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #712
Steckt hinter den Kommissar-Derrick-Crossovern auch ein „Ghostwriter“ oder stammt da tatsächlich jedes Wort von Reinecker höchstselbst? Ich wundere mich nur, denn Bastei-Lübbes Romanheftchen sind ja nicht unbedingt hoch angesehene Kunst.

Ich glaube nicht das ein Ghostwriter tätig war, der Stil der Bücher ist typisch für den "Kommissar"-Autor. Es gibt insgesamt zwölf Bücher:
  • Das Tor zur Hölle
  • Der Fall Quimper
  • Der K und der Despot
  • Der K und die Süchtige
  • Der K und die Tänzerin
  • Der K und die Zuhälter
  • Die Mädchen vom Cafe Leopold
  • Die Wahrheit im Mordfall Goos
  • Ein Denkmal wird erschossen
  • Mann aus dem Jenseits
  • Riskanter Alleingang
  • Wie kriegen wir Brodetzki
Diese Romane erschienen 1977 und 1978, also rund zwei Jahre nach Ende Kommissar Erstsendungen im Januar 1976. Man hoffte sicherlich aufgrund der enormen Zuschauerzahlen auf einen wirtschaftlichen Erfolg. Ich denke, den hat es nicht gegeben, da ich die Bücher 1980 auf einem Wühltisch bei Karstadt entdeckte. Zunächst reichte mein Taschengeld nur für das Buch "Die Wahrheit im Mordfall Goos". Das fand ich aber so gut, dass ich nach den Sommerferien ein Referat in Deutsch darüber hielt, und ich mir die übrigen elf Romane mit dem Fahrrad holte (immerhin 35 Kilometer hin und zurück). Der finanzielle Aufwand war bei 1,- DM pro Buch auch mit 15 Jahren machbar.

Im Laufe der Jahre habe ich nahezu alle Bücher gelesen, und natürlich war die Freude groß, wenn ein Titel erkennbar als Derrick gezeigt wurde. Offenbar waren das auch die besseren Titel, wobei auch "Riskanter Alleingang" klasse ist, vor allem die Auflösung, dieses Metier beherrscht Reinecker. Sehr langweilig dagegen die beiden folgenden Titel, die später als gebundener Doppelband erschienen.

"Ein Denkmal wird erschossen" wurde 1988 vom ZDF als Fernsehspiel ausgestrahlt, sehr langweilig, aber ein typischer Reinecker: Älterer Regisseur liebt junge Schauspielerin, das Verhältnis akzeptiert die Ehefrau, aber als der Mann die Scheidung will ... "Mann aus dem Jenseits" ist für mich kein Krimi, sondern ein Beziehungsroman; Reinecker beschreibt dort seitenlang den Frühling in Zürich, das zwar gekonnt, aber die Erwartungen sind andere.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

07.07.2015 23:13
#714 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Basierend auf der Derrick-Episode Hölle im Kopf muss auch ein Roman erschienen sein, denn es gibt ein ital. Buch L'inferno nella mente, das um das Jahr 2000 im Mondadori-Verlag erschienen ist und Derrick zum Protagonisten hat. Konnte aber nach oberflächlicher Recherche keine dt. Ausgabe finden.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

08.07.2015 00:13
#715 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Chinesische Nelke im Beitrag #713
Man hoffte sicherlich aufgrund der enormen Zuschauerzahlen auf einen wirtschaftlichen Erfolg. Ich denke den hat es nicht gegeben, da ich die Bücher 1980 auf einem Wühltisch bei Karstadt entdeckte.

Bei den heutigen Angeboten dieser Hefte würde man mit einer Mark nicht mehr weit kommen. Den Grund für einen eventuellen damaligen Misserfolg gibst du aber meines Erachtens selbst: "Diese Romane erschienen 1977 und 1978, also rund zwei Jahre nach dem Ende der Kommissar-Erstsendungen im Januar 1976." Es wäre schon 1977 und 1978 sinnvoll gewesen, sie als Derrick-Romane statt als Kommissar-Romane zu veröffentlichen.
Zitat von Georg im Beitrag #714
Basierend auf der Derrick-Episode Hölle im Kopf muss auch ein Roman erschienen sein, denn es gibt ein ital. Buch L'inferno nella mente ...

Die italienischen Quellen behaupten unisono, es basiere auf Reineckers Buch mit dem (vielversprechenden) Originaltitel "Derrick erzählt seine Fälle". Eine Suche nach diesem Titel wirft aber widerum ausschließlich italienische Literaturverzeichnisse mit dem Eintrag von "L'inferno nella mente" aus. Demzufolge muss die deutsche Vorlage entweder unveröffentlicht geblieben sein oder es handelt sich dabei (und folglich vielleicht auch bei der Nennung von Reineckers Namen) nur um einen verkaufsfördernden Werbegag.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

08.07.2015 20:30
#716 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Der zweite Mord

Episode 173 der TV-Kriminalserie, BRD 1989. Regie: Zbynek Brynych. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Esther Hausmann (Ursula Kieler), Philipp Moog (Bruno Hauser), Stefan Wigger (Herr Hauser), Ursula Dirichs (Frau Hauser), Frank Hessenland (Rolf Hauser), Claude Oliver Rudolph (Hans Seelmann), Jutta Kammann (Frau Ismay), Ulli Kinalzik (Landrut) u.a. Erstsendung: 24. Februar 1989, ZDF.

Zitat von Derrick: Der zweite Mord
Ursula Kieler lässt sich ungern bevormunden. Die aufmüpfige Teenagerin kommt gerade aus dem Jugendheim und lernt auf ihrer Fahrt nach München einen Mann kennen, der sich als Drogenhändler entpuppt. Er bittet sie, bei einer Rauschgiftübergabe Schmiere zu stehen, wobei Ursula Zeugin eines Mordes wird. Die Familie des drogensüchtigen Täters versucht, Ursula zum Schweigen zu bringen, indem sie den Bruder des Täters als Lockvogel auf sie ansetzt ...


Die Besprechung enthält Spoiler.

Wie die rotzfreche Göre Ursula ihren Gesprächspartnern mit Ungeduld, kindlicher Ich-Fixiertheit und den üblichen Insignien des Trotzes (eine herausgestreckte Zunge und die angehobene, die anderen übertönende Stimmlage) gegenübertritt, könnte leicht auf die Nerven des Zuschauers schlagen. Überraschenderweise ist an Esther Hausmanns Auftritt aber nicht das Geringste auszusetzen; im Grunde ist sie einer der sehenswertesten Punkte an „Der zweite Mord“, der leider trotz Brynych-Regie eher blutleer und tempoarm daherkommt. Längen machen sich ebenso bemerkbar wie Unklarheiten im Plot. Vor allem die Übergabe des Heroin auf dem nächtlichen Parkdeck ist zwar ganz spannend anzusehen, ergibt aber von vorn bis hinten keinen Sinn: 1. Warum will Seelmann einen Zeugen? War er Hellseher? Selbst wenn, gebracht hat es ihm ja auch nichts. 2. Warum kommt es überhaupt zu der Schießerei? Man sollte annehmen, dass es normal ist, bei einer solchen Gelegenheit Waffen mitzuführen. Eine bedrohliche Situation gab es für keine der Parteien und an den Deal (Geld gegen Stoff) hatten sich auch beide gehalten. 3. Warum nimmt man als Drogendealer einen Süchtigen, der sich kaum unter Kontrolle hat, mit zu so einer Transaktion? Für die Anwesenheit von Rolf Hauser gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, außer ihn zum Mörder zu stempeln. Da der Mord aber eine Spontanhandlung war, kann dies nicht Landruts Beweggrund gewesen sein, ihn als Begleitung gewählt zu haben.

Neben Hausmann überzeugt vor allem Claude Oliver Rudolph als Rauschgiftkurier Seelmann. Seine Darstellung nimmt der Rolle die sonst bei „Derrick“ mit dem Drogenmilieu assoziierte Schärfe und Unmenschlichkeit – weil es diesmal überhaupt ausnahmsweise weniger um eine Verdammung der Drogenszene als vielmehr um einen Fingerzeig auf den gewissenlosen Zusammenhalt der betroffenen Familien, die zuerst wegschauen, wenn ihre Kinder in die Sucht abrutschen, und dann im letzten Moment zu Bauernopfern bereit sind, um die größte Schande abzuwenden. Leider gibt es von Familie Hauser wenig Erfreuliches zu berichten: Philipp Moog und seine Filmeltern bleiben sehr blass, Frank Hessenland bewirbt sich mit seinen wirren, eher unfreiwillig komischen Taumelbewegungen gar für die Liste der unglaubwürdigsten Miniauftritte.

Die schlimmste Unterlassung des Falles ist jedoch das fehlende Band zwischen dem Zuschauer und Ursula Kieler – auf diese Weise verpufft das Ende, das wohl als Schlag in die Magengrube gedacht war, völlig unspektakulär. Selbst Derricks kleiner Wutausbruch erinnert nicht an seine frühen, aufbrausenderen Serientage, sondern wirkt einfach deplatziert und unnötig. Sein sich regendes Vatergefühl kommt zwar in den Szenen zwischen Tappert und Hausmann gut zur Geltung, erscheint in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten von Ermittler und Enfant terrible aber nur künstlich herbeiargumentiert. Auch verharrt der Schlusstwist in einer Zweideutigkeit, die ihm nicht gut tut: Offenbar soll Ursulas Selbstmord aus Enttäuschung über Brunos falsche Zuneigung angedeutet werden; genauso gut wäre aber auch Mord durch eines der Familienmitglieder Hauser denkbar. Ursulas Ableben kommt der verschworenen Familie jedenfalls reichlich gelegen: Derrick hat nichts mehr gegen Rolf in der Hand; er kann nur noch auf ein freiwilliges Geständnis hoffen. Recht unbefriedigend.

Eher unentschlossen pendelt Brynych zwischen seinen patentierten grundlosen Lachsalven und niederschmetternden Schicksalsschlägen. „Der zweite Mord“ ist folglich nicht richtig ausgereift und lässt klare Stellungnahme vermissen. Esther Hausmann rettet die Folge mit ihrer ausgefallenen Gastrolle, die 15 Jahre früher sicher (weniger gelungen) von Christiane Schröder verkörpert worden wäre. 2,5 von 5 Punkten mit leichter Tendenz nach oben.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

08.07.2015 20:43
#717 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #715
Die italienischen Quellen behaupten unisono, es basiere auf Reineckers Buch mit dem (vielversprechenden) Originaltitel "Derrick erzählt seine Fälle". Eine Suche nach diesem Titel wirft aber widerum ausschließlich italienische Literaturverzeichnisse mit dem Eintrag von "L'inferno nella mente" aus. Demzufolge muss die deutsche Vorlage entweder unveröffentlicht geblieben sein oder es handelt sich dabei (und folglich vielleicht auch bei der Nennung von Reineckers Namen) nur um einen verkaufsfördernden Werbegag.

Die Inhaltsangabe auf dem Buchrücken gibt jedoch die Handlung der Derrick-Folge (#272) Hölle im Kopf wieder. Derrick war in Italien ja extrem populär, möglich, dass da ein Reinecker-Stoff erschien, der in Deutschland vielleicht dann doch nicht gedruckt wurde.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

09.07.2015 11:15
#718 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Blaue Rose

Episode 174 der TV-Kriminalserie, BRD 1989. Regie: Zbynek Brynych. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Sissy Höfferer (Rubina), Jochen Horst (Jürgen Hässler), Brigitte Mira (Frau Hässler), Sabi Dorr (Oswald), Karl Renar (Vater von Rubina), Holger Petzold (Kossler), Werner Kreindl (Arthur), Dieter Eppler u.a. Erstsendung: 17. März 1989, ZDF.

Zitat von Derrick: Blaue Rose
Auf der Flucht vor einer Polizeikontrolle versteckt sich ein Dealer in der Wohnung einer alten Frau, die er, als sie nach Hilfe ruft, erschlägt. Ihr Enkel Jürgen, der nur weiß, dass der Verbrecher die Tätowierung einer blauen Rose am Handgelenk trägt, taucht tief in die Münchner Drogenszene ein, um den Mörder seiner Großmutter zu fassen. Zu tief? Der überaus reizende Todesengel Rubina versucht jedenfalls, Jürgen in eine lebensgefährliche Falle zu locken. In der Zentralgarage soll sie zuschnappen!


Erneut wird die einzige Geißel der bayerischen Jugend nicht etwa in Bier- oder Schnapsgläsern gereicht, sondern intravenös in die Armbeuge injiziert. Da ringt es einem schon ein Lächeln ab, wenn eine Bilderfolge aus „Blaue Rose“ in „Augenblick: Gesetz & Moral – Öffentlich-rechtliche Kommissare“ mit der Zeile „Immer diese Drogen ...“ unterschrieben ist. Doch damit genug der obligatorischen Schelte für dieses Thema, das sich mittlerweile als so etwas wie das „Derrick“-Leitmotiv etabliert hat.

Ähnlich wie in „Der zweite Mord“ wird der Drogenproblematik eher eine Katalysatorfunktion zugeschrieben – im eigentlichen Mittelpunkt stehen die Suche des Studenten (noch ein Leitbild) nach dem Mörder seiner Oma und die milieuspezifische Gewalt, die dem Naivling widerfährt. Abgesehen von jenen Szenen, in denen der bei Ringelmann wiederholt seine schauspielerische Unfähigkeit demonstrierende Sabi Dorr an jeden seiner Sätze noch pflichtschuldig ein Wimmern anhängt, um seine Abhängigkeit zu verdeutlichen, erinnert wenig an den oberlehrerhaften Ton, der z.B. in „Der Tod sucht Abonnenten“ vorherrschte. (Und selbst die Dorr-Szenen sind aus komödiantischer Sicht nicht völlig reizlos, zumal ausgerechnet der mit der titelgebenden Rose tätowierte [und Oswald (!) benannte] Dealer verblüffende Ähnlichkeit mit dem „Wolle Rose kaufe“-Inder aufweist.)

Der Rest der Spielzeit wird sehr gefällig mit einer Mischung aus unverblümter Gewalt – Mord an Frau Hässler, Einschüchterung ihres herumschnüffelnden Enkels, Schießerei in der Garage –, Sex und Aggression ausgefüllt, von der selbst Derrick diesmal nicht verschont bleibt (also vom Sex schon!). Man merkt ihm an, wie er über das unbelehrbare Verhalten des Amateurdetektivs aus der Haut fahren möchte und nur von seinem Pflichtbewusstsein gebremst wird. Tappert liefert in der Folge eine Spitzenvorstellung ab, die alle Facetten seiner vielschichtigen Rolle anspricht – von der verständnisvollen Vaterfigur für Rubina über den zwanglosen Szenegänger in der Drogenbar mit Sonnenbrille und Brandyglas bis hin zu seiner härteren Seite im Umgang mit Jürgen und (endlich wieder einmal) seiner Dienstwaffe. Nicht zuletzt deshalb erinnert „Blaue Rose“ durchaus an frühere Jahrgänge der Reihe; der manchmal verloren geglaubte Schwung ist deutlich spürbar, während das Engagement Tapperts ohnehin mit jeder Folge zu wachsen scheint. Harry dagegen bleibt diesmal eine absolute Randfigur und durch seine Vertretung mit Holger Petzold von der Drogenfahndung beinah stumm. Immerhin ist das Ermittlerduo am Ende wieder auf dem Abspannbild vereint.

Kleine Rollen warten mit einer Mischung aus hochkarätiger Gastspiel-Elite (erwähnenswert erscheint mir vor allem Brigitte Mira, die in ihrer kurzen Opferrolle leider für immer aus der „Derrick“-Parallelwelt abtritt) und üblichen Seriengesichtern auf, wobei gerade Dieter Epplers Vaterrolle zu Beginn einen vielsagenden Kontrast zu Derricks kontrolliertem Intellekt aufzeigt. Und zum Abschluss eine sympathische Randnotiz: Der Oberinspektor ohne Laster gesteht seinen Hang zu Gummibärchen und Lakritz ein. Wir wussten doch alle, dass du eine Schwäche hast, Stephan!

Dumpf widerhallende Schüsse in der Tiefgarage und diverse andere Knalleffekte: „Blaue Rose“ ist ein dynamischer „Derrick“, der alte Schule und moderne Zeiten mit lockerer, unaufdringlicher Brynych-Handschrift verbindet. Die teilweise sehr spannende Episode hätte es an die bisherige Box-12-Pole-Position schaffen können, wenn die Rollen von Jochen Herbst und Sabi Dorr mit weniger Platitüden gespickt gewesen wären. Sissy Höfferers Part macht vor, wie das geht. 4 von 5 Punkten. Man beachte außerdem Ringelmanns Cameo-Auftritt!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

10.07.2015 23:15
#719 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Die Stimme des Mörders

Episode 175 der TV-Kriminalserie, BRD 1989. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Lena Stolze (Tilde Riemann), Lotte Ledl (Gudrun Riemann), Ernst Hannawald (Oswald), Uwe Friedrichsen (Erich Kugler), Hans Peter Hallwachs (Arthur Ruge), Henry van Lyck, Renè Heinersdorff, Werner Asam u.a. Erstsendung: 14. April 1989, ZDF.

Zitat von Derrick: Die Stimme des Mörders
Ein Bankräuber baut auf der Flucht einen Autounfall und steigt kurzerhand in den Wagen zweier Passantinnen um. Weil Gudrun Riemann dem Verbrecher hartnäckig zusetzt, brennen bei diesem die Sicherungen durch: Kurze Zeit später wird Mutter Riemann tot und ihre Tochter schwer verletzt in einem nahen Waldstück gefunden. Der einzige Hinweis: Gudrun Riemann konnte vor ihrem Tode noch herausbringen, dass sie die Stimme ihres Mörders kannte. Sie bringt sie mit dem Hotel Fürstenhof in Verbindung, wo Derrick, Harry und Tochter Tilde alsbald zu ermitteln beginnen.


Die Besprechung enthält Spoiler.

Harter Schnitt: Nach diversen eher sommerlichen Episoden führt die Flucht des Bankräubers in einen weiß gezuckerten Winterwunderwald, der sich freilich für die Protagonisten als schicksalsschwerer Alptraumort herausstellt. Diese ersten Minuten der Folge sind hochspannend und bilden damit einen deutlichen Unterschied zu den späteren Ermittlungen im Vertreterhotel, die sich doch arg in die Länge ziehen. Ein leichter Lösungsvorschlag wäre gewesen, in der zweiten Hälfte zu kürzen und dem Zuschauer dafür mehr von der „Stimme des Mörders“ zu gönnen, indem man nicht nur die Flucht, sondern auch den Banküberfall selbst darstellt, wenn man schon ’mal so einen actionreichen Start in eine Folge zur Hand hat. Idee hinter der vorliegende Inszenierung war allerdings wohl, nichts zu zeigen, was für das Schicksal der Riemanns nicht unmittelbar relevant ist, sodass man gleich in den ersten Minuten den Ausgangspunkt ihrer Leidensgeschichte miterlebt. Hierbei fällt ein relativ neuer Trend auf, der den Wechsel von nostalgischen Modellverbrechen hin zu moderner Gewaltdarstellung kennzeichnet: Immer wieder sterben mittlerweile die Serienopfer nicht sofort an den Händen ihrer Mörder, sondern müssen erst eine Weile leiden oder schaffen es zunächst gar bis ins Krankenhaus (vgl. auch „Die Mordsache Druse“ oder „Blaue Rose“). Natürlich nutzt Reinecker diese neu gewonnene Freiheit in der Darstellung von Schwerverletzten für mit letzter Kraft gehauchte Hinweise, die praktischerweise immer noch Sekunden vor dem Tod Derrick mit Anhaltspunkten versorgen können, ohne so präzise zu sein, ihm die Ermittlungen ganz zu ersparen.

Dieses Mal schränkt Frau Riemann den Verdächtigenkreis auf ein bestimmtes Hotel ein, das dann für fast den gesamten Rest der Folge den kammerspielartigen Schauplatz bildet. Es ist zwar erfreulich, einmal ein immerhin gutbürgerliches Etablissement an Stelle eines Nacht- oder Privatclubs zu sehen, doch leider wird das wenig einladende Ambiente des Hauses Fürstenhof mit überlangen Szenen und unleidlichem Personal ergänzt, anstatt Ablenkungen zu schaffen. Henry van Lyck, den ich sonst eigentlich sehr gern sehe, bleibt in seiner abweisenden Rolle hinter seinen Fähigkeiten zurück und steigt zu keinem Zeitpunkt zu einem vollwertigen Verdächtigen auf. Werner Asam und Hans Peter Hallwachs granteln sich durch die Folge, als seien sie morgens mit dem falschen Bein aufgestanden. Lediglich Uwe Friedrichsen frischt die Hotelatmosphäre in seinem ersten „Derrick“-Auftritt als überdrehter Vertreter auf, auch wenn er viel zu offensichtlich agiert, um als Täter infrage zu kommen. Das ist unterm Strich zu wenig, um die viertelstündige und merklich repititive Schlüsselszene zu stemmen, in der jeder der Tatverdächtigen seinen Unwillen bekundet, seine Stimme für Tilde Riemanns Wiedererkennungsexperiment zur Verfügung stellen zu müssen.

Was die Folge direkt unheimlich macht, sind die Parallelen, die zwischen der Handlung von „Die Stimme des Mörders“ und dem Privatleben von dessen Darsteller Ernst Hannawald bestehen. Bei einem von ihm verursachten Autounfall kamen schon 1986 drei Menschen ums Leben. Und neun Jahre nach dem „Derrick“-Dreh, als die umgreifende (ich dachte, ich schaffe ’mal einen Bericht ohne dieses Wort) Drogensucht von ihm Besitz ergriffen hatte, verfiel er auf die Idee, tatsächlich eine Bank zu überfallen. Kurioserweise trägt seine Autobiografie den Titel „Das Leben ist kein Film“. Vielleicht doch? Vielleicht ist das Leben eine Derrick-Folge? Seine Lebensgeschichte täuscht freilich nicht darüber hinweg, dass sein Auftritt in „Die Stimme des Mörders“ eher hölzern ist, wobei dies eher seiner Rolle als speichelleckender Kellner sowie dem Unwillen von Drehbuch oder Regie, das potenziell sehr spannende Finale voll auszuspielen, anzulasten ist.

Am Anfang und am Ende hätte die Möglichkeit bestanden, der „Stimme des Mörders“ zu einem stärkeren Gesamteindruck zu verhelfen. Leider können die wenigen tatsächlich realisierten Spannungsmomente nicht die ganze Folge tragen, deren eher dröges Flair von missgelaunten Schauspielern nicht gerade verbessert wird. Höhepunkte sind die Flucht des Bankräubers während der ersten Minuten sowie Friedrichsens willkommenes Overacting. 3 von 5 Punkten.

Mr Keeney Offline




Beiträge: 1.365

12.07.2015 20:53
#720 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Dann will ich mich doch auch mal zur Box 5 äußern. Ich finde die Folgen darauf ehrlich gesagt schon ziemlich schwach, meine Rangliste sieht allerdings so aus:

Platz 01: Auf einem Gutshof (Grädler)
Platz 02: Das dritte Opfer (Vohrer)
Platz 03: Zeuge Yurowski (Vohrer)
Platz 04: Hanna, liebe Hanna (Grädler)
Platz 05: Ein Kongress in Berlin (Ashley)
Platz 06: Tödliche Sekunde (Brynych)
Platz 07: Der Tod sucht Abonnenten (Brynych)
Platz 08: Ein tödlicher Preis (Ashley)
Platz 09: Ein Lied aus Theben (Weidenmann)
Platz 10: Karo As (Haugk)
Platz 11: Die Entscheidung (Grädler)
Platz 12: Unstillbarer Hunger (Ashley)
Platz 13: Die Versuchung (Ode)
Platz 14: Ein Todesengel (Vohrer)
Platz 15: Eine unheimlich starke Persönlichkeit (Ode)

Leider habe ich ein anderes Bewertungssystem als ihr, doch darf ich verraten, dass hier keine der Folgen auch nur annähernd die Höchstwertung erreicht hat, und die meisten Folgen für mich durchaus unteres Mittelmaß bis mißlungen sind. War aber auch für mich die bislang schwächste Box, danach gehts tatsächlich wieder aufwärts

Seiten 1 | ... 43 | 44 | 45 | 46 | 47 | 48 | 49 | 50 | 51 | 52 | ... 66
 Sprung  
Xobor Einfach ein eigenes Forum erstellen
Datenschutz