Episode 156 der TV-Kriminalserie, BRD 1987. Regie: Franz Peter Wirth. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Peter Ehrlich (Martin Koldau), Liane Hielscher (Franziska Miele), Klaus Herm (Emil Miele), Tommi Piper (Klosse), Wilm Roil (Joksch), Nicolas Lansky (Munk), Edith Behlert (Frau Schulz), Thomas Kylau u.a. Erstsendung: 2. Oktober 1987, ZDF.
Zitat von Derrick: Koldaus letzte ReiseIhr erster Gedanke ist, zu fliehen. Doch bald merkt Franziska Miele, dass sie vor ihrer Vergangenheit nicht davonlaufen kann. Martin Koldau, der sich nach Verbüßen einer zwanzig Jahre langen Haftstrafe wegen Mordes nun Martin Fischer nennt, liebt Franziska, die er aus den alten Berliner Zeiten kennt, noch immer. Seine Zuneigung führt soweit, dass er für Franziska seinen neuesten Auftrag an den Nagel hängen will. Damit unterzeichnet er allerdings sein Todesurteil ...
Verbrecher mit einem Gewissen kommen bei Herbert Reinecker äußerst selten vor. Dass es jedoch nicht nur böse Überzeugungsungeheuer gibt, zeigt Peter Ehrlich in seiner vielschichtigen Rolle als Auftragskiller Koldau, der nach zwei Jahrzehnten Knast zwar nicht klüger, aber immerhin rührseliger geworden ist und auf gutes Zureden reagiert. „Derrick“-Fans kreiden der Episode an, dass sie sich zu stark auf das kleine Liebesdrama zwischen Koldau und Franziska Miele konzentriere, sodass die Ermittlungen zu kurz kämen; ich muss jedoch gestehen, dass mir Folgen mit einem langen Vorlauf vor dem Mord tendenziell sogar besser gefallen. Dadurch, dass die Ermittler erst nach 26 Minuten vor die Kamera treten, wird den beiden Hauptgastfiguren großer Raum bereitet, eine emotionale Geschichte zu zeichnen, die den Mord nicht allein auf das „Jetzt gibt’s einen weniger“-Prinzip beschränkt. Vor allem Frau Mieles Rolle profitiert von der Schwerpunktverschiebung – verhält sich vor und nach dem Verbrechen angenehm menschlich, aber doch nicht weinerlich. Liane Hielscher ist für diese Rolle die optimale Besetzung.
Peter Ehrlich und Klaus Herm wirken dagegen mutiger, unkonventioneller aufgeteilt. Man könnte sich sogar vorstellen, dass „Koldaus letzte Reise“ mehr Stereotype erfüllt hätte, wenn man die Schauspieler einfach vertauscht hätte. So aber erhalten beide Mimen einmal die Gelegenheit, für sie ungewöhnliche Charakterfächer zu bedienen, was vor allem bei Klaus Herm auffällt. Sonst auf jämmerliche Versager abonniert, schaltet er dieses Mal auf saftige Provokation um und bemüht sich charakterlich wie auch äußerlich um möglichst viele abstoßende Szenen. – Als kleines interessantes Extra sollten aber nicht die Fernsehprogramme in der Wohnung Miele vergessen werden: Eines zeigt Esther Ofarims Darbietung des verträumten Lieds „Black Is the Colour“ aus dem Reinecker-Mehrteiler „11 Uhr 20“, ein anderes Anke Engelke in ihren ganz frühen Jahren beim ZDF.
Produktionstechnisch markiert „Koldaus letzte Reise“ die (leider nur kurzfristige) Rückkehr des Frühphasen-Regisseurs Franz Peter Wirth, der den Kracher und All-Time-Top-10-Beitrag „Paddenberg“ mit Peter Pasetti und Anaid Iplicjian verantwortete. Auch hier ließ sich Wirth, ein altangestammter Profi, nicht lumpen und wählte eine sehr edle Art der Inszenierung, die sich durch lange, aus ästhetisch interessanten Winkeln geschossene Aufnahmen auszeichnet – man beachte in dieser Hinsicht vor allem die Mordsequenz hinter dem Haus der Kunst. Verlassen kann man sich zudem wieder auf Komponist Eugen Thomass, der schon viele Folgen mit eindringlichen Musikstücken versah, die weniger plakativ ausfielen als die der Hauskomponisten Duval und Schöner.
Angenehm ist auch die Entwicklung, die der Fall von einem privaten Drama hin zu einer groß aufgezogenen Geschichte nimmt. Dies bringt zwar die obligatorischen Nachtclub-Szenen mit sich, die jedoch dieses Mal ausgesprochen geschmackvoll geraten sind und als Bereicherung statt als Behinderung in den Erzählfluss eingehen. Die Kunstfertigkeit des Krimikonstrukteurs Reinecker lässt sich außerdem daran erkennen, wie am Ende ganz nebenbei der Anlass für Koldaus Tod, der geplante Auftragsmord, aufgeklärt und damit die eigentlich wenig glaubwürdige Aussage eines Zeugen plötzlich zur unzweifelhaften Wahrheit wird.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Polizei Unterstützung von einem Lockvogel erhält. Franziska Miele nimmt in dieser Kategorie jedoch einen spannenden Sonderstatus ein, der mit ihr mitfiebern und die Geschichte vom toten Auftragsmörder in einem ungewöhnlich anrührenden Licht erscheinen lässt. 4,5 von 5 Punkten.
Zitat von Derrick: Nur Ärger mit dem Mann aus RomBei einem Abendessen im Hotel entdecken Stefan und Harry aus Zufall ein lebendiges Phantombild – einen Mörder, den sie vor mehreren Jahren nicht fassen konnten. Der Mann hat sich eines profitablen Planes wegen wieder nach München getraut, der mit einem streng gesicherten Forschungsinstitut in Verbindung steht. Zwar kann Dribald verhaftet werden, flieht jedoch bald wieder, um sein Vorhaben weiterzuführen. Nun beginnt ein Wettlauf mit der Zeit ...
Selten hat man in einer „Derrick“-Folge so viele touristisch geprägte München-Aufnahmen gesehen wie in „Nur Ärger mit dem Mann aus Rom“. Der sonst manchmal wegen seiner Behäbigkeit gefürchtete Helmuth Ashley nutzte die Postkartenmotive in diesem äußerst spannenden, weniger von genialen Ermittlungen als vielmehr von seiner großen Eigendynamik lebenden Kriminalfall stets für die Zusammentreffen der großen Gangster, denen die gereiften Herren Rupp und Rauch eiskalte pokerfaces verleihen. Als dritter im Bunde gesellt sich Burkhard Driest in seiner einzigen „Derrick“-Rolle hinzu. Der Schauspieler, der vor allem dafür berühmt wurde, dass er 1965 eine Sparkasse bei Hannover überfallen hatte, verkörpert die Rolle eines Einbruchsprofis, der jedem Rock (und noch viel lieber jedem Fruchtkorb) lüstern hinterher gafft. Die große Schwäche des Berufsverbrechers wird ihm natürlich auch das Handwerk legen – alle in diese Richtung gehenden Hinweise laufen aber dankenswerterweise ohne den momentan sowieso nicht allzu präsenten moralischen Zeigefinger ab.
Die Episode besticht generell durch eine aufwändige Machart, die bei so vielen Außenaufnahmen an beliebten und stark frequentierten Plätzen vorausgesetzt werden kann. So präsentiert „Nur Ärger“ auch seine Vorliebe für Verkehrsknotenpunkte, indem sie ausführlich Szenen auf dem Münchner Flughafen und in der U-Bahnlinie 5 zwischen Karlsplatz (Stachus) und Heimeranplatz zeigt.
Zitat von Katrin Hampel: Das große Derrick-Buch, Henschel Verlag Berlin, 1995, S. 35Die Gewaltdelikte in der Serie können in „drei Kategorien“ unterteilt werden. Es gibt, erstens, pathologische Verbrechen, zum Beispiel den Lustmord in „Waldweg“; eine zweite Kategorie bilden individualpsychologisch erklärbare, aus Gier, Rache, Eifersucht, Angst und Schwäche geborene Morde wie in „Johanna“, „Ein Hinterhalt“ und „Kein Garten Eden“ oder ganze Konglomerate aus Gründen wie Trunkenheit am Steuer, Erpressung ...; drittens schließlich gibt es Sozialverbrechen, gemeinschaftlich ausgeführte und letztlich gegen die Gesellschaft gerichtete Delikte wie Rauschgiftschmuggel („Ein Koffer aus Salzburg“) oder Rüstungsspionage („Nur Ärger mit dem Mann aus Rom“), bei denen Mord nur noch ein Nebenprodukt ist.
Tatsächlich werden die Morde in der Episode ohne große Aufmerksamkeit abgetan: Einer geschah vor Jahren in der Vergangenheit, sodass man nicht mehr als den Namen des Opfers erfährt, und der andere ist die nüchterne Entledigung eines Verfolgers am Aufzug zum U-Bahnhof Schwanthalerhöhe (damals Messegelände). Letzterer zumindest geschah, weil der Polizist dem Verbrecher bei der Erfüllung seines größeren Ansinnens im Weg stand. Eine ähnliche Charakteristik lässt sich für die Geiselnahme der Rita Jakobs erkennen. „Nur Ärger mit dem Mann aus Rom“ profitiert von dieser Beflissenheit insofern, als alle Ereignisse auf ein gemeinsames Ziel hinauslaufen und man sich als Zuschauer große Hoffnungen auf ein spektakuläres Finale machen kann.
Diese werden leider nur teilweise erfüllt. Denn während die Szene an der Mauer zum Forschungsinstitut aufregend und mit Sinn für Action gefilmt ist, so gerät sie doch insgesamt zu kurz, um die hohen Erwartungen, die man in sie gesetzt hat, gänzlich zu erfüllen. Außerdem handelt es sich um einen jener Derricks, bei denen der Oberinspektor einen ganz großen Fisch von dannen ziehen lassen muss, weil er ihm nichts nachweisen kann. Der einzige Trost: Dieser eine Plan ist für den immunen Meisterverbrecher ausnahmsweise nicht aufgegangen ...
Die treffsichere Besetzung verschiedener Gangsterfiguren und die Verdeutlichung ihrer gefährlichen Krakenarme im Kampf um ein nicht alltägliches Verbrechen machen „Nur Ärger mit dem Mann aus Rom“ zu einem hochwertigen und unterhaltsamen Beitrag der Reihe. 4,5 von 5 Punkten, mit besonderem Wohlfühlbonus für Stefans und Harrys gemeinsamen Hotelabend.
Episode 158 der TV-Kriminalserie, BRD 1987. Regie: Franz Peter Wirth. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Martin Held (Konsul Goos), Martin Benrath (Thomas Goos), Irene Clarin (Ingrid Goos), Robert Atzorn (Gregor Goos), Liane Hielscher (Elena Goos), Wega Jahnke (Frau Messner), Beatrice Richter (Linda Corvin), Will Danin (Bruno Viebach) u.a. Erstsendung: 27. November 1987, ZDF.
Zitat von Derrick: Mordfall GoosAuch wenn es einmal gut ausgegangen ist – einen zweiten Mordanschlag überlebt Frau Goos nicht. Nachdem ein Unbekannter beim Reiten auf sie geschossen, sie aber mit einer Streifverletzung davongekommen war, erwischt es sie nun vor dem Haus ihres Gatten. Dessen Familie betrachtete die Heirat mit einer ehemaligen Artistin von jeher als äußerst zweifelhaft. Thomas ahnt schnell, dass einer von ihnen hinter dem Mord stecken muss, und sinnt auf Rache ...
Die Besprechung enthält Spoiler zu Episode 144.
Bestach „Der Fall Weidau“ zwar durch eine exquisite Atmosphäre, so wurde er doch deutlich von seiner übermoralischen Schlagseite und der daraus resultierenden Behäbigkeit aus der Bahn geworfen. Franz-Peter Wirth präsentiert in seiner vorletzten „Derrick“-Arbeit einen Alternativentwurf zum Thema unzweifelhafter Familienclan, denn in puncto Reputation und Verstocktheit nehmen es Mitglieder der Familie Goos leicht mit den Weidaus auf. Was diese Folge dem vergleichbaren Weidenmann-Versuch voraus hat, ist die ungestörte Konzentration auf einen spannenden, hochwertigen Krimi, der mit einigen bitteren Wendungen ebenso aufwartet wie mit einer Vielzahl interessanter Schauplätze.
Die Exklusivität des Imperiums Goos gründet sich vor allem auf dessen Patriarchen, der seinen Konsultitel und seinen Elfenbeinstock vor sich herträgt wie untrügbare Überlegenheitsbeweise. Martin Held nahm in dieser Rolle seinen Abschied von Film und Fernsehen, was für die Reihe „Derrick“ wieder einmal ein Beweis für anhaltende Achtung und Qualität darstellt. Held veredelt die gesamte Episode mit seiner selbstverständlichen Respektabilitätsüberzeugung und stellt damit das Gegenstück zu Inge Birkmanns Rolle in „Der Fall Weidau“ dar. Der Vergleich zeigt auch, dass die Geschichte der hier vorliegenden Folge 158 vielschichtiger gestaltet ist, weil Konsul Goos zwar eine Mitschuld an den Vorgängen trägt, aber nicht unmittelbar als Mörder auf dem Silbertablett präsentiert wird.
Zitat von Horst Tappert: Derrick und Ich – Meine zwei Leben, Heyne München, 1998, S. 214fMartin Held. Einer unserer besten Schauspieler [...]. Seine letzte Rolle spielte er, soweit ich weiß, in „Derrick“, mit Martin Benrath. Er litt schon so schwer unter seiner Zuckerkrankheit, dass sein Gedächtnis versagte. Man stellte ihm große Texttafeln hin. Was völlig in Ordnung ist, krank oder nicht, wenn einer es braucht und es seinem Spiel dient. Held rührte mich selbst in diesen Serien-Sätzen. Er besaß die magische Ausstrahlung, von der so viele träumen, die aber nur wenigen vergönnt ist. Ein, zwei Worte, und die Zuschauer, Zuhörer waren in eine andere, in seine Welt versetzt.
Der erwähnte Martin Benrath spielt die eigentliche Hauptrolle ohne Fehl und Tadel und darf nach seinem Part in „Lohmanns innerer Frieden“ wieder eine martialische Ader durchblicken lassen. Selbst über den Auftritt Irene Clarins, die sich mit „Der Charme der Bahamas“ im letzten Moment noch einen Platz auf meiner schauspielerischen Abschussliste der ersten „Derrick“-Hälfte sichern konnte, kann nichts Schlechtes gesagt werden – höchstens dass ihr Part bei allem Bedauern auch einige bitchige Momente aufweist.
Die Idee, das das Umfeld der edlen Familie Goos mit dem Zirkusmilieu zu vermischen, erweist sich als fruchtbar, zumal Wirth nicht auf billige Kontraste mittels artistischer und animalischer Gruseleffekte setzt, sondern sich auf die unterschiedlichen Wesensstrukturen der Protagonisten konzentriert. In dieser Hinsicht komme ich nicht umhin, zu bemerken, dass beide Episoden, die er nach der langen Pause inszenierte, in der Essenz auch gut von Theodor Grädler stammen könnten.
Selten wird in einem Krimi konsequent auf einen missglückten Mordanschlag ein zweiter Versuch folgen. Vielleicht weil meistens das angebliche Opfer selbst verantwortlich ist? Herbert Reinecker zeigt, dass er auf diese und andere ausgetretenen Wege des Genres nicht angewiesen ist – er konstruierte eine verblüffend abwechslungsreiche Geschichte mit nachhaltigem Überraschungseffekt, die von Ringelmann zudem eine außerordentliche Besetzung spendiert bekam. 5 von 5 Punkten.
BEWERTET: "Absoluter Wahnsinn" (Folge 151) mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Robert Atzorn, Ingrid Steeger, Horst Bollmann, Eva Kotthaus, Reinhard Glemnitz, Kathrin Ackermann, Jutta Kammann, Willy Schäfer - Regie: Horst Tappert
Dagmar Engler ruft in Todesangst ihren Bruder Rudolf an. Er solle sofort die Polizei holen, man wolle sie ermorden. Kurze Zeit später hört Rudolf, wie jemand die Tür des Zimmers aufbricht, in das sich seine Schwester geflüchtet hatte. Als er mit seiner Frau an den Tatort kommt, treffen sie dort auf Heinz Engler, den Ehemann von Dagmar und Buchhalter in deren Modefirma. Dagmar wollte sich scheiden lassen, Heinz hätte keinen Pfennig gesehen und seine Freundin Susi Moll hätte ihn sicher bald fallengelassen. Motive genug, Derrick davon zu überzeugen, dass nur einer als Täter in Frage kommt. Doch dann meldet sich ein gewisser Mertens, ehemaliger Angestellter der Firma und nimmt den Mord auf sich ....
Die dritte Episode unter der Regie von Horst Tappert trägt die Handschrift ihres Pendants "Tod im See" (Folge 88). Natürlich ist dort, im Dunstkreis Starnberger Segelkreise, alles ein wenig vornehmer, die Frauen eleganter und gelassener und das Ambiente unheimlicher. Die Vergleiche Krüger-Steeger, sowie Sebaldt-Ackermann lassen keinen Zweifel offen, welche Seite das "Guldenburg-Feeling-Duell" für sich entschieden hat. Der Zuschauer hüte sich jedoch dafür, ein übereiltes Urteil zu fällen und Ackermann wegen ihrer Fahrigkeit und Steeger wegen ihrer schrillen Achtziger-Jahre-Aufmachung zu verachten. Der etablierte Oberinspektor scheint es - im Gegensatz zu seinem jüngeren Kollegen - regelrecht zu genießen, an Steeger einen Reibungspunkt gefunden zu haben. Er hat sehr viel Geduld mit der unkonventionellen Zeugin, gibt ihr Zeit und vertraut darauf, dass sie die Wahrheit sagen wird. Im Gegensatz zu Eisbeutel Atzorn, dessen Täterschaft niemals in Frage gestellt wird (herrlich: Reinhard Glemnitz' Revival als Robert Heines, der seinem Schwager am liebsten selbst die Handschellen anlegen möchte). Horst Bollmann zeigt das Verantwortungsbewusstsein, das Reinecker zu einer der höchsten Tugenden erhoben hat. Seine Figur bleibt besonnen und fügt sich in das Unvermeidliche, ohne große Klagen. Das macht ihn glaubwürdig und bewegt Derrick zu einem großzügigen Umgang mit dem Geständigen. Wenn Horst Tappert Regie führt, profitieren davon besonders seine Kollegen Schäfer und Wepper, die als überspitzte Karikatur ihrer selbst auftreten, während der Oberinspektor ihren Ernst und ihre Beflissenheit milde abfedert. So erhält Klein pedantische Züge, während Berger endlich einmal ein wenig aus sich herausgehen darf. Bis zuletzt bleiben die Zuschauer im Unklaren, ob es der Kriminalpolizei diesmal gelingen wird, das Komplott aufzubrechen und die Beteiligten von ihren Aussagen abzubringen. Erneut wird das Erfolgsgeheimnis Derricks betont: Ruhe bewahren und von einer Überzeugung nicht abgehen, auch wenn die Gegenseite provoziert und eisern zusammenhält. Auf diese Weise werden falsche Zeugen nervös und der Täter begeht eine Unachtsamkeit, die Derrick Grund gibt, einzuschreiten. Eine vergnügliche Folge, die dem experimentierfreudigen Regisseur viel zu verdanken hat.
Episode 159 der TV-Kriminalserie, BRD 1988. Regie: Wolfgang Becker. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Christiane Hörbiger (Dr. Brigitte Kordes), Stefan Reck (Werner Kordes), Roswitha Schreiner (Hilde Kordes), Claude Oliver Rudolph (Horst Wilke), Dana Vavrova (Bettina Rudolf), Gert Burkard (Albert Wilke), Heidemarie Lindner, Wolfgang Uhl u.a. Erstsendung: 8. Januar 1988, ZDF.
Zitat von Derrick: Fliegender VogelOberinspektor Derrick holt Bettina Rudolf persönlich bei ihrer Entlassung aus dem Gefängnis ab. Er will dem Mädchen helfen, das von dem verantwortungslosen Ganoven Wilke in den Knast gebracht worden war. Bettina handelt in völliger Abhängigkeit und Willenlosigkeit. Deshalb gibt sie Derrick in die Obhut der Psychologin Brigitte Kordes. Wird es der lebenserfahrenen Frau und Mutter gelingen, Bettinas Charakter zu verwandeln?
Wäre „Fliegender Vogel“ zu einem früheren Zeitpunkt in der Reihe entstanden, hätte man aus Frau Dr. Kordes mit Sicherheit wieder eine Dreitagebeziehung für den berufsgeplagten Derrick gemacht. Christiane Hörbiger führt lückenlos die Qualität und schiere Nützlichkeit ihrer Vorgängerinnen fort, die im Wesentlichen dazu da waren, die einzige Fähigkeit zu ersetzen, die der perfekte Ermittler beim besten Willen nicht besitzen konnte: weibliche Intuition und Einfühlungskraft. Dabei wird jedoch auf die ohnehin zum Scheitern verurteilte romantische Komponente verzichtet – Tappert und Hörbiger begegnen sich auf rein professionellem Fuße und sehen den Fall Bettina Rudolf zugleich als Herzensangelegenheit und als Experiment an: Derrick ist an der Lösung eines Mordfalles in der Vergangenheit interessiert, zu dem Bettina eine wichtige Aussage geben könnte; Dr. Kordes nimmt zunächst eine berufliche Herausforderung an, die sich dann immer weiter in mütter- bzw. schwiegermütterliche Gefühle umkehrt.
Im Kampf Rudolf gegen Rudolph kann sich Dana Vavrova in ihrer einzigen „Derrick“-Rolle stark profilieren, während Claude Oliver Rudolph als übliche Gangstervisage eine Spur zu einfach gestrickt ist. Er überzeugt zwar als großer Macker, nicht aber als abgerundete Figur, obschon Reinecker in dieser Episode auf die Charakterzeichnung große Sorgfalt verwandte. Dieser Tatsache ist es auch zu verdanken, dass die „Kinderrollen“ von Roswitha Schreiner und Stefan Reck nicht einfach moraldurchtränkt oder schlicht überflüssig ausfallen, sondern eine willkommene Ergänzung der Geschichte darstellen. Die beiden „jungen Leute“, wie Reinecker sie sicher genannt hätte, bringen Frische und Sympathie in die Folge und können mit Bettina Rudolf auf dem Niveau der Gleichaltrigen kommunizieren, während Derrick und Frau Kordes eher als Elternersatz für die Vorbestrafte daherkommen.
Die Folge weist einen soliden, wenngleich nicht übermäßig hohen Spannungsbogen auf. Regie-Oldie Wolfgang Becker zeigte sein Können vor allem in der Szene vor dem Gefängnis und in kontrastiven, teils skurrilen Einfällen wie der Heilsarmee-Kapelle, der ausgerechnet Wilkes Bruder angehört und die im Vorraum zu Wilkes Wohnung ihre Gesangsproben abhält. Stets wissen die Gottesfreunde mit einer Art Draht zum Übernatürlichen auch, wo die Polizei den Schwerenöter zu suchen hat. Die Verwendung des Gospels „Leise und freundlich ruft Jesus“ bestimmt damit auch die erste Soundtrack-Arbeit von Helmut Trunz, bei dem noch offen bleibt, was man in Zukunft von ihm erwarten kann.
Einerseits überzeugt „Fliegender Vogel“ durch seinen ungewöhnlichen Aufbau, in dem ein Mord nur ganz am Rande eine Rolle spielt. Andererseits hätte die Episode durchaus mit noch mehr Mut zur Ausgefallenheit inszeniert werden können. Gut gelungen ist der Spagat zwischen den zwei Welten der Bettina Rudolf. 4 von 5 Punkten.
Episode 160 der TV-Kriminalserie, BRD 1988. Regie: Gero Erhardt. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Mathieu Carriere (Max Binder), Constanze Engelbrecht (Anette Schilling), Karl Renar (Stockey), Jocelyne Boisseau (Susanne Binder), Manfred Seipold (Jakob Binder), Uschi Ploner, Elert Bode, Rolf Castell u.a. Erstsendung: 5. Februar 1988, ZDF.
Zitat von Derrick: MordträumeSeit seine Frau bei einem Autounfall überfahren wurde, träumt der Ingenieur Max Binder, dass er Menschen umbringen könne. Zudem ist er von der Wahnvorstellung, die für den Unfall verantwortliche Blondine zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen, besessen. Mit einem Augenzeugen tingelt er durch alle Clubs und zwielichtigen Etablissements der Stadt, um seine dubiosen Rachefantasien auszuleben ...
Mathieu Carrieres „Mordträume“ stellen den Zuschauer auf eine schwere Probe: Sie zwingen ihn, einen völlig abstrusen, überkandidelten und unglaubwürdigen Charakter zu akzeptieren, dessen Zwänge und verdrehte Schlussfolgerungen über sich ergehen zu lassen und ihm obendrein noch auf Schritt und Tritt zu folgen. In der Rolle des Geschädigten kennt sich Carriere aus – man könnte argumentieren, dass sein Part in „Eine ganz alte Geschichte“ ein nicht unvergleichbarer Racheengel war. Doch der agierte – wenn auch eigensinnig – immerhin noch unter nachvollziehbaren Gesichtspunkten und ohne die Geschichte rücksichtslos niederzumähen. In „Mordträume“ verliert Carriere den Moment des guten Geschmacks und gleitet in theatralischen, teilweise unfreiwillig komischen Irrsinn ab. Es gäbe keine Gründe, ihn für geisteskrank erklären zu lassen, urteilt Derrick. Das Publikum urteilt anders ...
Gero Erhardt lieferte mit seinem Ausstand seinen dritten und schwächsten „Derrick“ ab – leider fand er sich bis zum Schluss nicht in den Duktus der Serie ein. Ihm kann angelastet werden, dass er in „Mordträume“ auf die blanke Provokation hin inszenierte, indem er auf den blutigen Unfall zu Anfang und auf die unschöne Beinahevergewaltigung in der zweiten Hälfte der Geschichte einfach so lang und ausführlich wie nur irgend möglich draufhielt. Anstandsgefühl und Kompatibilität mit der Reputation der Serie? Fehlanzeige!
Herbert Reineckers Skript liefert zwar hin und wieder überzeugende Glanzlichter (die spannende Szene in der Tiefgarage, die Beratungen im Billardclub), ist aber ansonsten unter der üblichen „Derrick“-Güte anzusiedeln. Der Fall entwickelt sich in einer Weise, die als an den Haaren herbeigezogen bezeichnet werden kann. Ein Beispiel: Das einzige Merkmal, das der Augenzeuge aufschnappen konnte, war die blonde Haarfarbe der Autofahrerin. Auf der Suche nach der Frau begegnen er und Binder einer blonden Prostituierten. Sie beschließen allein aufgrund dieser zufälligen Begegnung, in den nächsten Puff zu gehen, der sich prompt als Dreh- und Angelpunkt des Verbrechens herausstellt. Nein, wirklich ...
Auf der Drehortseite beginnt das altbekannte Hochhaus, das u.a. bereits in „Geheimnis im Hochhaus“ und „Absoluter Wahnsinn“ zu sehen war, die Nerven zu strapazieren. Durch diese neue, aber wesentlich unattraktivere Version der Gereut-Villa scheint Ringelmann nun jeden Regisseur einmal mit seinem Team gejagt zu haben.
Die schwache Vorstellung eines in seiner Labilität ärgerlichen und unglaubwürdigen Mannes durchzieht „Mordträume“ wie ein roter Faden. Auch wenn es teilweise ganz amüsant ist, zu beobachten, wie Dauergammler Karl Renar in einer seiner typischen Rollen auf die Schippe genommen wird, so nervt Carrieres falsche Opferstilisierung ganz gewaltig. 2,5 von 5 Punkten.
Episode 161 der TV-Kriminalserie, BRD 1988. Regie: Wolfgang Becker. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Käthe Gold (Anna Beermann), Hans Caninenberg (Rudolf Beermann), Jürgen Schmidt (Holwein), Stefan Behrens (Rolffs), Tobias Hoesl (Harald Kernbacher), Dieter Eppler (Schönwald), Uli Krohm (Ziegler), Paul Neuhaus (Maurer) u.a. Erstsendung: 4. März 1988, ZDF.
Zitat von Derrick: Eine Reihe von schönen TagenVom Küchenfenster aus beobachtet die Rentnerin Anna Beermann Schreckliches in einem der Büros quer über den nächtlichen Hinterhof: Ein Mann wurde in den Räumen einer Import-Export-Firma umgebracht. Frau Beermann und ihr Gatte setzen sich zunächst mit der Polizei in Kontakt, überlegen es sich dann jedoch anders: Der Täter bezahlt Schweigegeld, mit dem die alten Leute, denen nicht viel vom Leben geblieben ist, eine ganze Reihe von schönen Tagen verbringen können ...
Wie nah Freud und Leid zusammenliegen können, scheint die Lehre zu sein, die „Eine Reihe von schönen Tagen“ mit bilderbuchhaften Reinecker-Charakteren vermitteln möchte. Diese Episode ist in vielerlei Hinsicht typisch für „Derrick“. Sie erinnert in ihrem Stil bemerkenswert an die Folgen der frühen Phase, in der den Umständen des Mordes sehr große Bedeutung beigemessen wurde. Auch hier wird die Mordszene genüsslich ausgekostet – nicht jedoch um des Schockeffekts willen, sondern weil sich aus der Situation, dass Frau Beermann als ungewollte Augenzeugin am Fenster stand (Hitchcocks „Rear Window“ lässt grüßen!), psychologisch und kriminalistisch sehr spannende Konsequenzen ergeben. Im Kommenden steht zwar nicht – wie häufig in vergleichbaren Folgen – der Mörder im Vordergrund, weil #161 in der Form des klassischen Whodunits gehalten ist. Wohl aber nimmt die Frage, ob die Beermanns das Schweigegeld annehmen sollen und dürfen, einen bedeutsamen Raum ein, der die Handlung über die eines einfachen Krimis deutlich heraushebt.
Die Entscheidung des Ehepaars, aus dem Halbwissen um die Wahrheit Profit zu schlagen, mag prinzipiell unmoralisch erscheinen. Sie wird jedoch von Käthe Golds und Hans Caninenbergs naiv-antiquierten Darstellungen so sympathisch umgesetzt, dass man den beiden für das Nachholen von Erlebnissen, die unter normalen Umständen für die Leutchen nicht im Rahmen des Möglichen gestanden hätten, nicht böse sein kann. Auch wäscht die Zeugin am Ende ihre Hände wieder in Unschuld – Reinecker achtete deutlichst darauf, an seinen liebenswerten Charakteren keinen schalen Nachgeschmack zu hinterlassen. Nachdem die Beermanns für eine menschlich verständliche Zeit gesündigt hatten, erteilte der ZDF-Krimiprediger ihnen aufgrund der schlussendlichen Aufklärungsmithilfe eine Absolution.
Das Feld der Verdächtigen ist in „Eine Reihe von schönen Tagen“ sehr illuster besetzt und umfasst einen verhältnismäßig großen Personenrahmen, der jedoch durch ein klares gemeinschaftliches Motiv verbunden ist. Gerade Jürgen Schmidt liefert als gewissenloser Geschäftsmann eine sehr überzeugende, aber nicht in bösartigste Stereotypen verfallende Leistung ab. In Fällen wie dem vorliegenden ist es für den Zuschauer theoretisch egal, wer eigentlich der Täter war, weil sich die Beweggründe ohnehin nicht von Person zu Person verändern. Trotzdem verärgert die Auflösung ein wenig, weil sie den einfachsten Weg ging, anstatt eine größere Überraschung aus dem Ärmel zu schütteln. Dass die Folge mich nichtsdestoweniger mit einem guten bis sehr guten Eindruck zurückließ, verdankt sie auch der klangvollen und angenehmen Schlussmusik von Helmut Trunz. Nicht so zuckersüß wie Duval, nicht so martialisch wie Schoener.
„Eine Reihe von schönen Tagen“ lässt sich als leichte Version jener Geschichte betrachten, die schon einmal in „Via Genua“ erzählt wurde. Der Fokus liegt allerdings weniger auf den verbrecherischen Aktionen als vielmehr auf den menschlichen Überlegungen der Zeugen. Der Krimi ist dadurch weniger Krimi, gerät aber sehr anheimelnd. 4 von 5 Punkten.
Dich als Grädler-Fan wird es sicherlich interessieren, dass Theodor Grädler diese Folge inszenieren sollte. Nachdem das Szenenbild für die Wohnung der alten Leute / Firma gegenüber nicht seinen Vorstellungen entsprach und es zu Diskussionen kam, wurde er durch Wolfgang Becker ersetzt!
Danke für die Information. Das Set der Beermann-Wohnung ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb ich schrieb, dass mich die Folge an die frühen Serienepisoden erinnert. Man meint, die Zeit sei dort stehen geblieben. Was den Regisseurswechsel angeht, kann ich mir in diesem Fall nicht vorstellen, ob ein Ergebnis von Grädler besser / schlechter / inwiefern anders ausgefallen wäre (im Gegensatz zu anderen Folgen, bei denen man sich denkt, dieser oder jener Regisseur hätte konkrete Punkte anders angefasst). Generell verschwimmen die Unterschiede zwischen den Regisseuren bei den aktuelleren "Derrick"-Episoden stärker als bei den Altfolgen.
Zitat von Gubanov im Beitrag #669Danke für die Information. Das Set der Beermann-Wohnung ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb ich schrieb, dass mich die Folge an die frühen Serienepisoden erinnert. Man meint, die Zeit sei dort stehen geblieben.
Ich denke, die Folge ist durchaus spannend, ich mag sie sehr. Canineberg und Gold sind jedenfalls großartig.
Zitat von Gubanov im Beitrag #669Was den Regisseurswechsel angeht, kann ich mir in diesem Fall nicht vorstellen, ob ein Ergebnis von Grädler besser / schlechter / inwiefern anders ausgefallen wäre (im Gegensatz zu anderen Folgen, bei denen man sich denkt, dieser oder jener Regisseur hätte konkrete Punkte anders angefasst). Generell verschwimmen die Unterschiede zwischen den Regisseuren bei den aktuelleren "Derrick"-Episoden stärker als bei den Altfolgen.
In der Tat, darauf wurde später offenbar immer mehr Wert gelegt. Brynych-Exzesse halten sich auch in den späten Jahren bei "Derrick" eher zurück. Es ist schwieriger, die Handschrift zu erkennen und es wird in dieser Hinsicht in den nächsten Jahren noch "schlimmer". Als geübter Gräwert- und Haugk-Fan kann ich sagen, dass die Folgen dieser beiden Herren noch am ehesten erkennbar sind.
BEWERTET: "Der Tote auf der Parkbank" (Folge 152) mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Gisela Peltzer, Ulrich Matthes, Christian Hellenthal, Ursula Karven, Renate Grosser, Alwy Becker, Werner Rom, Ricci Hohlt u.a. - Regie: Theodor Grädler
Ein Straßenkehrer wundert sich, dass der elegant gekleidete Herr auf der Parkbank nicht auf sein Zureden reagiert. Georg Lindemann wurde erschossen und anschließend auf eine Bank gesetzt, um den Tatort zu verschleiern. Der Werbefachmann war in seinem näheren Umfeld wegen seines Charakters gefürchtet, obwohl es einige gibt, die seine finanzielle Großzügigkeit in Anspruch nahmen. So bleibt dem Oberinspektor nichts anderes übrig, als nach dem Mordmotiv zu suchen, das diesmal nicht sofort ersichtlich ist. Sein Interesse gilt dem jungen Huberti, einem Mann ohne Beschäftigung, aber mit einer Philosophie, der der Ermordete in keinster Weise Genüge getan hatte....
Männer, die über die sprichwörtlichen Leichen gehen, werden innerhalb des philanthropischen Universums von Herbert Reinecker oftmals selbst ins Jenseits befördert. Er versucht damit aufzuzeigen, dass Bosheit ihre Quittung erhält, wenn "Menschen guten Willens" sich ihrer annehmen und sie zum Schutze wehrloser Personen ausradieren. Besonders gern bedient sich Reinecker der Figur des brotlosen Studenten, der zwar als Wissensträger die besten Voraussetzungen für ein erfolgreiches Leben mitbringt, dem es aber meist an den in der Wirtschaftswelt gefragten Ellenbogenqualitäten und der nötigen Kaltblütigkeit fehlt. Wer Kunstgeschichte, Philosophie oder Theaterwissenschaften studiert, bringt es bei "Derrick" oder "Der Kommissar" meist nicht zu einer finanziell profitablen Karriere und beäugt deshalb die "kalte Gier" der Macht- und Geldmenschen mit Argwohn und oft auch mit Hass. Schnell wird eine Lebensanschauung zurechtgezimmert, die Egomanie und Individualismus verurteilt und so sein eigenes Versagen kaschiert. Letztendlich stellt sich meist heraus, dass die "neuen Menschen" zur Lösung des Problems auf die gleichen Methoden zurückgreifen wie die von ihnen verachteten Personen. Statt sich der Gesellschaft der "unheimlich starken Persönlichkeiten" durch Isolation derselben zu entziehen (was oft aufgrund familiärer oder beruflicher Bande nicht möglich ist), wird beschlossen, die Ursache des Übels gewaltsam zu beseitigen.
Ulrich Matthes obliegt es, den Reibungspunkt für Derrick darzustellen; einen Mann, den der aufgeschlossene Oberinspektor sympathisch findet und dessen Beweggründe ihn brennend interessieren. In väterlich-freundschaftlicher Weise nähert er sich dem Tatverdächtigen an und ergründet dessen Gedankenwelt. Alwy Becker und Renate Grosser haben zwar nur kurze Auftritte, zeigen aber, wie unterschiedlich sich Mütter präsentieren können. Von nachhaltiger Güte ist Gisela Peltzers Rolle. Ihre Gefasstheit, der leidenschaftslose Umgang mit dem Ausscheren ihres Mannes aus Ehe und Gefühlsleben, machen sie überlegen und undurchschaubar. Sie verfügt über die Gelassenheit, die Ursula Karven (sehr aparte Synchronstimme) noch sucht und zeigt erneut (nach "Der L-Faktor", Folge 53) ihre Unvoreingenommenheit, die sie mit abstrakten Ideen und unkonformen Jüngeren in Kontakt kommen lässt.
Eine gediegene Folge, die im Mittelteil schwächelt und für manches Augenrollen sorgt, ihre Stärke jedoch im Finale ausbalanciert.
Episode 162 der TV-Kriminalserie, BRD 1988. Regie: Alfred Weidenmann. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Hannes Jaenicke (Roland Weimann), Irene Clarin (Andrea Weimann), Klaus Schwarzkopf (Ingo Wecker), Eleonore Weisgerber (Ariane Budde), Volkert Kraeft (Harald Körner), Edwin Noël (Rust), Fee von Reichlin (Anna Kubelke), Bernd Herberger (Professor Danecker) u.a. Erstsendung: 25. März 1988, ZDF.
Zitat von Derrick: Kein Risiko„Es gibt kein Risiko und Sie müssen keine Strafe fürchten.“ Das sind die Worte, mit denen ein Unbekannter den aus der Bahn geworfenen Roland Weimann dazu überreden möchte, einen Auftragsmord zu begehen. Tatsächlich wäre Roland beinah auf das Angebot eingegangen, doch bestärkt durch seine Schwester liefert er die ihm ausgehändigte Pistole bei der Polizei ab. – Der geplante Mord findet trotzdem statt ...
Anfänglich hat es den Anschein, als bewege man sich mit „Kein Risiko“ wieder einmal in die Gefilde zerstörter Schicksale, entleerter Schnapsflaschen und unbefriedigter Racheschicksale. Die Geschichte um den zum Krüppel gefahrenen Roland Weimann wird in typischer Reinecker-Art inklusive der helfenden (großen?) Schwester aufgemacht, entführt den Zuschauer aber bald aus dem grauen Alkoholikeralltag in eine interessantere Rückblendengeschichte, von der man fest meint, sie müsste in Mord gipfeln. Zunächst ist das nicht der Fall – wieder einmal treten Stephan und Harry auf, bevor etwas geschehen ist und agieren auf präventive Weise, was natürlich zum Scheitern verurteilt ist.
Mit dem Tod Buddes schwenkt das gesamte Flair der Folge in eine andere Richtung. Die vorher gezeigten Figuren werden zugunsten neuer Protagonisten vernachlässigt, treten schlagartig in den Hintergrund und gerade Weimann fortan nur noch in ganz wenigen Szenen auf. Das war es dann also mit dem Debüt des jungen Hannes Jaenicke bei „Derrick“. Auch wenn er im Abspann direkt nach dem Stammpersonal genannt wird, kann er bestenfalls als das gelten, was die Amerikaner supporting actor nennen.
„Kein Risiko“ zerfällt damit in zwei Teile, die zusammengewürfelt wirken, obwohl ihre Verbindung von Anfang an durchschaubar ist. Leider machte die Folge es sich nicht zum Vorteil, zwei Geschichten in knappen 60 Minuten zu erzählen: Wie von Weidenmann gewöhnt, zieht sich die Inszenierung unnötig in die Länge und kostet Spannungshöhepunkte nur leidlich aus.
Mit einer guten Musikuntermalung von Martin Böttcher im Hintergrund (in einer der Kneipenszenen meinte ich, eine frühere Fernsehmelodie, vielleicht aus dem „Kriminalmuseum“, erkannt zu haben) fallen viele Szenen aufgrund der guten Besetzung dennoch annehmbar aus. Klaus Schwarzkopf ist immer gern gesehen und überzeugt auch hier wieder als Psychotherapeut, der selbst am Rande des Wahnsinns steht. Eleonore Weisgerber und Volkert Kraeft sind darüber hinaus so typische Fernsehgesichter, dass sich der heimelige Wiedererkennungswert sofort einstellt. Selbst Dauerkomparsen Wolfrid Lier kann man in einer kurzen Sequenz sehen.
Die Auflösung kommt recht überraschend und zählt daher zu den Pluspunkten dieser Episode. Auch liefert sie die Gelegenheit für eine einzige kurze Actioneinlage, in der Harry vollen Körpereinsatz beweisen darf und damit Gerüchten, er würde alt und unbeweglich werden, aktiv entgegentritt. Als ungünstig erweist sich lediglich, dass die Festnahme aller am Komplott Beteiligten sich über zwei separate Szenen hinzieht, was wieder einmal die „gespaltene Persönlichkeit“ der Folge verdeutlicht.
Hätte man mit mehr Karacho und weniger leidbetonter Sozialromantik den Stoff gestrafft und stattdessen spannende Momente wie den Mord an Budde auch tatsächlich gezeigt, so hätte „Kein Risiko“ eine deutlich bessere Wertung einfahren können. Mit den vorliegenden, vor allem vom Regisseur verschuldeten Schwächen trotz guter Schauspieler nur eine mittelmäßige Episode. 3 von 5 Punkten.
Episode 163 der TV-Kriminalserie, BRD 1988. Regie: Zbynek Brynych. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Will Danin (Erich Karau), Beate Finckh (Karla Wege), Rudolf Wessely (Herr Wege), Pierre Franckh (Willy Laufen), Ute Christensen (Arlene Kessler), Peter von Strombeck (Rausch), Nicolas Lansky (Heine), Julio Pinheiro u.a. Erstsendung: 22. April 1988, ZDF.
Zitat von Derrick: Auf MotivsucheAuf der Suche nach einem Drehmotiv für einen Filmleichenfund geschieht dem Aufnahmeleiter Erich Karau Seltsames. Er verschwindet für einige Zeit, taucht dann paralysiert wieder auf. Als sein Kollege Laufen den Grund für die Abwesenheit herausfinden will, wird er ermordet. Nahe Ostbahnhof liegt sein enthaupteter Körper an den Schienen. Welches Motiv gibt es für die Qual der Motivsucher?
Das Mysterium, das am Anfang der Episode steht, greift sofort nach der ganzen Aufmerksamkeit des Zuschauers. In den meisten Fällen sind es bei „Derrick“ wie bei anderen Serien die ersten Minuten, die über die Begeisterungsfähigkeit und das Spannungspotenzial bezüglich der jeweiligen Folge entscheiden. Hier hat Zbynek Brynych, der mit unheilschwanger fliehender Kamera und ängstigenden Schwingtönen des Dauerkomponists Duval arbeitet, alles richtig gemacht. Die heruntergekommene Aura der Hinterhöfe, zu denen er im Laufe seiner Karriere beim ZDF eine innige Beziehung pflegte, ist ein bestimmendes Element, geht aber über die sonst zumeist lapidarischen „So sieht München auch aus“-Kommentare hinaus. Man fragt sich aktiv, was und wer wohl hinter den jeweiligen Mauern stecken könnte, und spürt die Gefahr, der sich Erich Karau und Willy Laufen ausgesetzt sehen.
Die Situation der Motivsucher werden insbesondere diejenigen Foristen nachvollziehen können, die entweder selbst schon einmal etwas mit Film- und Fernsehproduktionen zu tun hatten oder regelmäßig Drehortspuren verfolgen. Dabei spielt die anfangs etwas schrullig und sicher nicht ohne Selbstreferenzen in Szene gesetzte Welt der Regisseure und Aufnahmeleiter nur eine untergeordnete Rolle als Mittel zum Zweck – später verschwenkt sich die Handlung ganz und gar auf das Verbrechen im Keller des verfallenen Hauses.
Brynych geizte nicht mit spektakulären Szenen und einigem Waffengebrauch. Zugleich können Fingerzeige auf alte „Derrick“-Zeiten dechiffriert werden – zum Beispiel das Auftauchen „Adi Dongs“ als schmierigem Pensionswirt. Horst Tappert agiert dieses Mal sehr eigenständig, was Harrys Rolle stark eindampfen lässt und die Führungsqualitäten des Dauerermittlers nur umso klarer herausstellt. Gerade in den Befragungen Karaus, in denen er seinem Gegenüber sein Leid mit dem Wahrheitsgehalt von Aussagen klagt, gelingt es Tappert, sich zu profilieren, und Brynych, ernsthaft und mit Händchen für Suspense zu inszenieren.
Ein guter Bekannter für TV-Freunde ist mittlerweile der Münchner Flughafen geworden, an den man das Finale verlegte. In Ringelmann’schen Produktionen immer wieder zum Treffpunkt der internationalen Verbrecherwelt stilisiert, bietet die Kulisse den passenden Rahmen für eine Episode, die im Verlauf ihrer Spieldauer immer größere Kreise zieht und sich von einem seltsamen Erlebnis hin zu einer internationalen Affäre entwickelt. Hätte sich die Musik im gleichen Maße mitentwickelt, wäre meine Freude unbändig gewesen – wenn im Abspann völlig deplatziert ein schmalziges Vokalstück ertönt, ist der gute Eindruck, den man von „Auf Motivsuche“ einfach gewinnen muss, aber glücklicherweise bereits unumstößlich festzementiert.
In zweierlei Hinsicht ist der Titel zu verstehen: Neben naheliegender Filmplanung stellt er auch die Frage nach dem Grund für die sonderbaren Ereignisse in einem abgelegenen Hinterhof. Diese wohl eleganteste aller Brynych-Hinterhofstories bedient sich einer ausgefallenen Besetzung, um konventionelle, aber dafür sehr gelungene Spannung zu erzeugen. 5 von 5 Punkten.
Episode 164 der TV-Kriminalserie, BRD 1988. Regie: Zbynek Brynych. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Amadeus August (Gregor), Sissy Höfferer (Ruth), Edda Seippel (Anna), Hans Peter Hallwachs (Mario), Gert Burkard (Kolowski), Wilfried Klaus (Anwalt), Franz Mosthav, Gert Wiedenhofen u.a. Erstsendung: 13. Mai 1988, ZDF.
Zitat von Derrick: Da läuft eine RiesensacheZwei Halunken setzen einen römischen Schauspiel-Amateur auf die Rolle seines Lebens an: Indem er sich als Gregor Wegmüller ausgibt, soll er den Erbteil eines Toten einkassieren – 30 Millionen Mark. Um die falsche Identität zu verinnerlichen, lernt „Gregor“ seine Familiengeschichte auswendig, hat aber dennoch Angst, seiner Cousine gegenüber aufzufliegen. Bei der Vorstellung funktioniert alles bestens. Niemand vermutet, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. ... Wirklich niemand?
Die Besprechung enthält leichte Spoiler.
Auch diese Episode darf zu den gelungenen „Derrick“-Fällen zählen. Es ist schon erstaunlich, wie hoch das Niveau der Episoden in Box 11 ist, während vom schleichenden Qualitätsverfall der Serie zu lesen oder von tatsächlich etwas schwächeren Ergebnissen in den vergangenen Editionsboxen die Rede ist. Was „Da läuft eine Riesensache“ so attraktiv macht, ist das unverbrauchte Konzept, das hinter der Folge steht: Die Erbschleicherei wird mit der Methode, die ein italienischer Doktor und ein deutscher Ingeneur ersonnen haben, grazil zur Vollendung gebracht – ein Schauspieler in der Rolle des Erben; die profane Rache am Toten mit der Nützlichkeit des Nachlasses verbunden, von dem die zwei Herren unter normalen Umständen keinen Pfennig gesehen hätten.
Obwohl die Besetzung nicht gerade vor Berühmtheiten strotzt, so ist doch jede Rolle perfekt besetzt. Gert Burkard überzeugt gleich zu Beginn in der Rolle des kühlen Planers, dessen Beweggründe erst später enttarnt werden. Er hinterlässt einen gewitzten, aber irgendwie harmlosen Eindruck, was sich als eine große Täuschung herausstellt. Hans Peter Hallwachs kombiniert das Abstoßende seiner üblichen Rollen mit einem nicht alltäglichen Stilempfinden – überhaupt ist der Krimi sehr würdevoll in Szene gesetzt, wozu sowohl das Herrenhaus als auch die Herzlichkeit der Charaktere beiträgt, die eine beinah mit der warmherzigen Episode „Lena“ vergleichbare Liebenswürdigkeit erzielt. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Leistungen Amadeus Augusts und Sissy Höfferers gelobt werden.
Für gewöhnlich gehöre ich nicht zu den Leuten, die die ohnehin meist nicht übermäßig temporeichen „Derrick“-Erzählungen auf Spielfilmlänge auswälzen wollen. Im Falle der „Riesensache“ hätte das Potenzial zu einer solchen Veränderung aber zweifelsfrei bestanden. Viele Aspekte des komplexen Verbrechens hätten unter diesen Umständen noch besser beleuchtet werden können: Was passierte mit dem echten Gregor? Wie sah der Mord an Wegmüller senior aus? Auf welche Weise sind die anderen Verantwortlichen miteinbezogen? Wie entwickeln sich die Charaktere? Gerade die Haushälterin durchläuft in Bezug auf die letzte Frage einen spannenden Prozess: Zunächst vermutet man, dass nicht sie, sondern Ruth der Schwachpunkt der Täuschung sein würde. Anna stellt sich völlig harmlos. Dann bemerkt man, dass etwas nicht stimmt, und vermutet, dass sie den Schwindel durchschaut hat. Am Ende stellt sich heraus, dass sie selbst nicht ganz unbeteiligt ist, was jedoch besser hätte erklärt und auch gern zu einer Gefahr für Ruth, die sich zu diesem Zeitpunkt allein mit der alten Frau in der Villa befindet, werden sollen.
Ich kann mir weiterhin vorstellen, dass das Verbrechen gut als Whodunit funktioniert hätte, während Reinecker und Brynych sich dafür entschieden, die Hauptschurken gleich von Anfang an offen zu präsentieren. Das soll nicht heißen, dass „Da läuft eine Riesensache“ nicht auch so, wie sie letztlich gedreht wurde, bestens funktioniert.
Mit schönen Aufnahmen vom Schloss Pullach, einer beschwingten Regie und einem Drehbuch, das innovativ und stilvoll zugleich ausfiel, vermag Folge 164, „Derrick“ immer noch frisch und vergnüglich zu halten. Bei dieser glänzend besetzten und ausgewogen zwischen Bösartigkeit und Eierkuchen-Friede austarierten Episode mussten einige interessante Möglichkeiten sogar der Spielzeit wegen eingekürzt werden. 4,5 von 5 Punkten.
Und ich wette, der dritte 1987er-Brynych wird dir auch gefallen. Die drei Folgen faszinieren mich immer wieder, da hat der sonst so exzentrische Regisseur, dessen energischer Gegner ich meist bin, wirklich eine tolle Arbeit abgeliefert!