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Dieses Thema hat 977 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Gubanov ( gelöscht )
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24.07.2013 21:19
#631 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Ein eiskalter Hund

Episode 143 der TV-Kriminalserie, BRD 1986. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Klaus Löwitsch (Jakob Lohbach), Christine Buchegger (Luise Lohbach), Horst Michael Neutze (Robert Hagener), Gundi Ellert (Greta Riemann), Axel Milberg (Rudolf Riemann), Ida Krottendorf (Frau Hasselbach), Joachim Wichmann (Herr Probeil), Bruno W. Pantel u.a. Erstsendung: 25. Juli 1986, ZDF.

Zitat von Derrick: Ein eiskalter Hund
Jakob Lohbach ist ein eiskalter Hund. Seitdem er sich eine Geliebte angelacht hat, behandelt er seine Frau mit konsequenter Geringschätzung und Ignoranz. Zu einer Scheidung darf es aber nicht kommen, denn Lohbach ist finanziell von seiner Frau, einer Wirtshausbesitzerin, abhängig. Da spielt es dem untreuen Ehemann perfekt in die Karten, dass man Luise Lohbach ermordet im gemeinsamen Wochenendhaus auffindet, während Jakob ein wasserdichtes Skat-Alibi vorweist ...


Die erfrischend herbstlich anmutende Folge befasst sich nicht etwa, wie der Titel vermuten lassen mag, mit einer schokoladigen Kalorienbombe, sondern mit dem Endstadium einer missglückten Beziehung. Im Hause der Lohbachs herrscht tatsächlich eine frostige Atmosphäre; der titelgebende Bezug auf die abstoßende Art des Hausherrn erscheint jedoch insofern ein wenig übertrieben, als sie dessen Frau noch lange nicht dazu gebracht hat, mit dem gemeinsamen Leben abzuschließen. In einer etwas naiven Weise hängt sie den alten Gewohnheiten nach, beschwört einen möglichen Neuanfang und macht sich eher halbherzig an die Aufdeckung der Umstände, die zum Scheitern der Lohbach’schen Ehe geführt haben.

Dadurch, dass das hier gezeigte Liebesdreieck ohne besondere Verfänglichkeiten auskommt, verzichtet „Ein eiskalter Hund“ in sehr angenehmer Weise auf postmoderne Lebensphilosophien. Das Konstrukt, das von einer klaren Täteroffensive mit ausgeprägtem Derrick-Mörder-Spiel und raffiniertem Alibi charakterisiert wird, erinnert an die oft mit „Columbo“ verglichene Frühphase der Reihe, in der wie hier das Duell zwischen dem Oberinspektor und dem Drahtzieher im Mittelpunkt stand.

Entsprechend raumfüllend fällt die Rolle Klaus Löwitschs aus, in deren Verkörperung wenigstens mir keine handwerklichen Schwächen aufgefallen sind. Löwitsch ist auf mindestens coole, häufig aber auch abweisende oder angriffslustige Figuren abonniert und deshalb eine ebenso gute wie sichere Wahl für die Folge, die neben seinem Spiel auch von seinem prominenten Namen profitierte, was immer ein gutes Signal ist. Christine Buchegger – seltener, aber doch irgendwie regulärer Gast im ZDF-Krimi – verlieh dem Mordopfer biedere, aber auch liebenswerte Züge; selbst Horst Michael Neutze passte vortrefflich zu der ihm zugewiesenen Rolle.

„Ein eiskalter Hund“ konfrontiert den Zuschauer mit einem Ende, das gleichzeitig das kreative Potenzial des Drehbuchs anzeigt und aber auch ein wenig konstruiert anmutet, sodass sich der Fall nicht ganz so „natürlich“ klärt wie die meisten der Frühfolgen. Wahrscheinlich funktionierte der Clou mit den falschen Geständnissen auf dem Papier besser, wenngleich man der Inszenierung ein gutes Gespür für die subtile Vermittlung von Falschaussagen attestieren muss. Demgegenüber kommt der Mittelteil jedoch nicht ohne die eine oder andere Länge aus. Bemerkenswert am Rande: der hier aufgetragene Modegeschmack der zweiten Achtzigerjahrehälfte. Bei Inge Brauner bestand immer wieder einmal die Gefahr eines modischen Supergaus, der sich hier in einer Vorliebe für blaue Oberbekleidung – Frau Lohbachs und Harrys Jacketts – ausdrückt ...

Angenehm zu schauende Folge mit Reminiszenzen an die frühen „Derrick“-Episoden. Geschickter Schauspielereinsatz täuscht über eins, zwei Durchhänger hinweg. Guter Grädler-Durchschnitt eben, auch mit Blick für Details in den Verhaltensweisen der Figuren und einer ansprechenden Einbindung der Schauplätze. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

26.07.2013 12:19
#632 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Der Fall Weidau

Episode 144 der TV-Kriminalserie, BRD 1986. Regie: Alfred Weidenmann. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Friedrich von Thun (Roland Weidau), Ulli Maier (Martina Weidau), Ekkehard Belle (Hubert Weidau), Christiane Hammacher (Anneliese Weidau), Siegmar Schneider (Albrecht Weidau), Inge Birkmann (Katharina von Turban), Ernst-Fritz Fürbringer (Gösta von Turban), Manfred Seipold (Richard Hahn) u.a. Erstsendung: 8. August 1986, ZDF.

Zitat von Derrick: Der Fall Weidau
Aufruhr im Gutshaus: Als Kurt Weidau mit seinem Bruder zu einer Fahrt gen Stadt aufbrechen möchte, wird bemerkt, dass der junge Weidau tot in seinem Bett liegt. Er wurde mit Blausäure vergiftet. Stephan und Harry kreuzen zum Einholen der Routineermittlungen auf, doch ihre übliche Souveränität wird durch den engen Familienverbund der Weidaus auf merkwürdige Weise ausgehebelt. Nirgendwo ein Täter, nirgendwo ein Motiv. War es letztlich doch kein Mord?


Für den oft und gern gesehenen Ekkehard Belle markierte „Der Fall Weidau“ den letzten Auftritt innerhalb der „Derrick“-Reihe. Stand Belle oft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Zuschauers, so ordnet er sich diesmal seinen Mitspielern unter, wie es die zentrale Familienstruktur und das hohe Aufgebot an großen Namen verlangen. Im Familienclan der Weidaus und von Turbans läuft alles in geregelten Bahnen ab, weshalb es nicht zu den üblichen familiendramatischen Ausbrüchen oder Abgründen kommt, sondern eine Aura der Gutbürgerlichkeit und Kontinuität erreicht wird. Bildlich stehen dafür weitere altbekannte Gesichter wie Birkmann, Fürbringer, Seibold, Maier oder Hammacher, aber auch Friedrich von Thun, der bei „Derrick“ leider zu selten zu sehen war und erst kurz vor Ende der Serie 1997 noch einmal in der Folge „Der Mord, der ein Irrtum war“ ein Gastspiel gab.

Viele Szenen erreichen eine hohe Strahlkraft und stellenweise sogar ein gewisses schauerliches Flair, so etwa der nächtliche Besuch Derricks auf dem Gutssitz, der von einer inbrünstig vorgetragenen Ansprache Inge Birkmanns und Derricks Hineinversetzen in den Mörder geprägt wird. Dazu erklingen einige stimmungsvolle Töne aus der Feder von Hans Hammerschmid, während die Kamera diesmal die Meriten der Folge aufs Allerbeste unterstreicht.

„Der Fall Weidau“ kann sich auf eine edle Umgebung verlassen, allerdings wirkt gerade diese besondere Hochwertigkeit stellenweise so aufgesetzt und blasiert, dass sie unfreiwillige Komik erregt. Man kann wohl getrost festhalten, dass es sich bei den Weidaus um jene Art Bilderbuchmenschen handelt, die etwa in den „Simpsons“ mit der Familie Flanders aufs Korn genommen werden, während die von Turbans wohl in ihrer Jugend schon von ihren Klassenkameraden gehänselt worden waren. Insgesamt bekommt man es also mit erlesenen Personen zu tun, deren unangenehme Gesellschaft, in der Fragen wie der letzte große Hinsturz der Welt erörtert werden, jedoch selbst die Schönheit des Landsitzes in Tutzing am Starnberger See im Keim erstickt.

Die Auflösung gerät verkopft und einigermaßen wirr. Nicht nur finde ich das Motiv enttäuschend, auch war es strategisch nicht günstig von Reinecker, keinerlei ernsthafte kriminalistische Hinweise zu streuen, denn die allgegenwärtige Selbstverliebtheit der Großfamilie führt dazu, dass Derrick über beinah 50 Minuten keinen einzigen relevanten Hinweis erhält und somit für einen überwiegenden Teil der Episode keine wirkliche Vorwärtsbewegung zu erkennen ist. Das passt indes vortrefflich zu den fest im Vorgestern verorteten Weidaus, bei denen es schon wie ein Paradoxon klingt, wenn sie erwähnen, dass sie hin und wieder fernsehen.

Die tiefe philosophische Ader, die im „Fall Weidau“ nicht einfach durchklingt, sondern offenkundig das Handeln der Personen bestimmt, wirkt sich eher abschreckend und ungünstig auf den Kriminalfall aus. Als eine Art Selbstzerstörung des Elfenbeinturms mag das Verhalten des Täters eine pikante Seite haben, aber die Motivation bleibt dennoch fragwürdig. Daran ändern auch lobenswerte Gastdarstellungen nichts. 3 von 5 Punkten.

Chinesische Nelke Offline



Beiträge: 136

26.07.2013 21:59
#633 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #632
Derrick: Der Fall Weidau

Die Auflösung gerät verkopft und einigermaßen wirr. Nicht nur finde ich das Motiv enttäuschend, auch war es strategisch nicht günstig von Reinecker, keinerlei ernsthafte kriminalistische Hinweise zu streuen, denn die allgegenwärtige Selbstverliebtheit der Großfamilie führt dazu, dass Derrick über beinah 50 Minuten keinen einzigen relevanten Hinweis erhält und somit für einen überwiegenden Teil der Episode keine wirkliche Vorwärtsbewegung zu erkennen ist. Das passt indes vortrefflich zu den fest im Vorgestern verorteten Weidaus, bei denen es schon wie ein Paradoxon klingt, wenn sie erwähnen, dass sie hin und wieder fernsehen.

Ich habe den Fall 1986 gesehen, kann mich aber noch genau an den Folge erinnern und der Rezension voll zustimmen, auch das spricht dafür, dass in der Folge viel zu wenig passiert. Das Motiv ist übrigens Reinecker-typisch, siehe die Kommissar-Folge von 1972, "Traum eines Wahnsinnigen". Diese ist allerdings bedeutend besser, da spannender und unheimlich, zudem mit Maskentricks, die an die Hexer-Folgen von 1964 und 1965 erinnern.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

26.07.2013 23:57
#634 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Gut, dass ich schonmal einen Unterstützer habe. Ich fürchte nämlich, Kollege Percy Lister wird meine Meinung diesmal nicht teilen. Unabhängig davon sind die Parallelen, die sich bei genauerem Hinsehen zwischen verschiedenen Reinecker-Drehbüchern auftun, sehr interessant. Obwohl man dem Autor seine große Kreativität deshalb nicht absprechen sollte, denn das unglaubliche Pensum, das er bediente, forderte Wiederholungen hier und da ja geradezu heraus. Andererseits muss man aber auch einschränken, dass Reinecker schon seine speziellen Steckenpferde hatte und sich nicht scheute, diese dem Publikum auch wiederholt unter die Nase zu reiben. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass viele andere Autoren ein solches Motiv wie das in den angesprochenen Folgen gewählt hätten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

28.07.2013 14:28
#635 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Der Fall Weidau" (Folge 144)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Friedrich von Thun, Inge Birkmann, Ekkehardt Belle, Ulli Maier, Ernst-Fritz Fürbringer, Christiane Hammacher, Siegmar Schneider, Manfred Seipold, Klaus Ringer, Holger Petzold, Barbara Kutzer, Alf Marholm, Mathias Eysen u.a. - Regie: Alfred Weidenmann

Die Familie Weidau lebt auf einem idyllischen Gut abseits von geschäftlicher Hektik und Freizeitstress. Man sitzt abends am liebsten gemütlich zusammen, diskutiert, spielt Schach oder Mühle und genießt eine Tasse Tee. Eines Morgens liegt der neunzehnjährige Sohn Klaus tot in seinem Bett - vergiftet mit Blausäure. Ein Stück Schokolade vor dem Schlafengehen machte dem vielversprechenden jungen Leben ein Ende. Derrick glaubt nicht an Selbstmord und möchte am liebsten sogar Mord ausschließen - zu harmonisch und vollkommen erscheint ihm das familiäre Gefüge. Doch dann verspürt er eine innere Unruhe: Stehen noch weitere Todesfälle bevor?

Friedrich von Thun steht der Familie als Oberhaupt vor und verkörpert damit einen Mann, der ihm so gut zu Gesicht steht und nicht von ungefähr kommt:

Zitat von PM Perspektive: Die geheime Welt des Adels Ausgabe 4/Jahrgang 2011
Friedrich von Thun hat noch erlebt, wie das Adligsein seiner Familie am Ende des Zweiten Weltkriegs zum Nachteil geriet, als Dreijähriger lernte er nach der Flucht aus Mähren in einem Lager Vertreibung und Hunger kennen. Der Graf musste in seinen schauspielerischen Anfangsjahren zum Überleben in Jodel-Lederhosen-Filmen mitwirken. [...] Mit seinen Brüdern und Sohn Max besuchte er Schloss Kwassitz in Kremsler, wo er am 30. Juni 1942 zur Welt kam. ›Das ist nun ein Altenheim. Im Schlafzimmer, wo wir geboren wurden, stehen sechs Betten für Senioren, und das ist gut so.‹


Alfred Weidenmann beweist erneut sein Gespür für Atmosphäre. Bereits in den ersten Minuten wird klar, dass man es mit einer erlesenen Gesellschaft zu tun hat, die in einem Seidenkokon lebt, obwohl Roland Weidau gegenüber Derrick zugibt, dass es sehr schwer ist, den Besitz zu halten. Man müsse jedes Jahr Geld zuschießen. Land-und Forstwirtschaft dominieren den Alltag, ein Hauslehrer erteilt der blutarmen Tochter Unterricht, drei Generationen wohnen unter einem Dach und begegnen sich mit Respekt und Zuneigung. Selbst die Angestellten sind Teil des Hauses und werden freundschaftlich behandelt. Wieder einmal ist es Oberinspektor Derrick, der sich als richtiger Mann vor Ort und Stelle erweist. Während man Harry ein "PM Perspektiven"- Zitat von Friedrich von Thun ("Mit dem ganzen Adelsquatsch habe ich nichts zu tun.") in den Mund legen möchte, zeigt Stephan Derrick, dass er über "den nötigen Takt und die gebührliche Delikatesse" (O-Ton Oberinspektor Steiner aus "Der Burgherr" [Die seltsamen Methoden des Franz Josef Wanninger]) verfügt, um sich das Vertrauen zu verdienen, sich frei im Ansitz der Familie bewegen zu dürfen. Sein Verhalten kann man schon als Anteilnahme bezeichnen und seine Gedanken verharren selbst nach Dienstschluss bei der Familie.

Die Auflösung würde man einem wilderen Regisseur wie Brynych oder Vohrer sicher als Zeichen schwarzen Humors zugestehen, bei Weidenmann schwingt Tragik mit. Die Degenerationserscheinungen des Adels fußen auf jahrhundertealter Heiratspolitik, die für die Vererbung von Krankheiten verantwortlich ist; neben Hämophilie traten auch Trübungen des Geistes auf - so manche/r "Hochwohlgeborene" endete in der Zwangsjacke. Gösta und Katharina von Turban werden von Ernst Fritz Fürbringer und Inge Birkmann intensiv und mit nachhaltiger Überzeugung verkörpert - auch wenn ihre Einstellung zum Leben wiederum aus dem Handbuch der Etikette von Herbert Reinecker stammt. Die Musik von Hans Hammerschmid geht eine gelungene Symbiose mit der sanften Umgebung ein und beschwört alle Vorzüge des gehobenen Landlebens, in der Männer und Frauen Barbourjacken und Gummistiefel von Hunter tragen und ihren Fünf-Uhr-Tee schlürfen - lange bevor Magazine wie "Landlust" die Renaissance einer Rückkehr zur Natur einläuteten.

Abschließend noch ein paar Worte zum Ausstand von Ekkehardt Belle. Der junge Mann war nicht immer ein gerngesehener Gast innerhalb des "Derrick"-Universums. Zu früh stattete man ihn mit Rollen aus, in denen er erwachsen sein musste und Verantwortung übernehmen sollte für die Fehler der Väter ("Ein tödlicher Preis", Folge 70/1980). Durch kontinuierlich konzentriertes Spiel gelang es ihm, einen Reifeprozess zu absolvieren, der ihn von einem sorglosen Studenten zu einem zuverlässigen Ansprechpartner werden ließ, der Ereignisse reflektierte und unprätentiös handelte. Ich sah (und hörte!) ihn plötzlich gerne und bedauere sein frühes Ausscheiden aus der Serie.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

28.07.2013 15:18
#636 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Schonzeit für Mörder" (Folge 145)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Lena Stolze, Christoph Waltz, Volker Lechtenbrink, Horst Bollmann, Hilde Volk, Horst Naumann, Lilian Rack u.a. - Regie: Gero Eberhardt

Oberinspektor Derrick will im Krankenhaus gerade seinen Rücken untersuchen lassen, als ihn ein Anruf von Harry ereilt: Mordversuch an einem Autodesigner. Der Notarzt liefert den Schwerverletzten ein und Derrick sieht ihn noch ein paar Minuten, bevor der Mann stirbt. Arnold Bothe war ein dominanter Endfünfziger, der seine Familie für sich einspannte und gern über all deren Schritte informiert war. Seine junge Frau Helene wandte sich bereits kurz nach der Hochzeit ihrem gleichaltrigen Stiefsohn Eberhard zu. Liegt hier ein Mordmotiv? Derrick konzentriert seine Ermittlungen jedoch nicht nur auf das Liebespaar....

Es kommt nicht oft vor, dass ein zweifacher "Oscar"-Preisträger in einer deutschen Kriminalserie mitspielt. Rückblickend ist man deshalb besonders gespannt, wenn erstmals der Name Christoph Waltz auf der Besetzungsliste steht. Der gebürtige Wiener (Jahrgang 1956) erhielt bereits in jungen Jahren viele Auszeichnungen (den Adolf-Grimme-Preis, den Bayerischen Fernsehpreis, den Bambi) - fiel Produzenten und Regisseuren also schon früh positiv auf. Bevor er sich in internationalen Filmprojekten Meriten erwarb, wirkte er auch in einzelnen Episoden der Fernsehunterhaltung mit. Die Rolle des Eberhard Bothe legt er so an, wie man es von ihm gewohnt ist: geheimnisvoll, düster und voller Abgründe. Dennoch vermag "Schonzeit für Mörder" als Ganzes nicht zu überzeugen. Das Drehbuch malt in grauen, blassen Farben und wir blicken einmal mehr in das leidende Gesicht der Lena Stolze, die 1982 als Sophie Scholl ihre berühmteste Darstellung ablieferte. Ihre Umgebung stilisiert sie zur leidenschaftlich Liebenden hoch; eine Frau an der Hochzeitstafel, in die sich der heraneilende Stiefsohn verliebt, noch bevor das Dessert serviert wird. Als erste Frau innerhalb der "Derrick"-Reihe darf sie handgreiflich gegenüber Stephan werden - er kann den Angriff jedoch im letzten Augenblick abwehren. Die missglückte Romeo-und Julia-Geschichte erzeugt anhaltendes Gähnen. Einen besonderen Tiefpunkt markiert das gemeinsame Abendessen, wo sich Derrick einmal mehr fragen darf, warum er sich das Gewäsch potenziell Verdächtiger wieder und wieder anhören muss. Das Ende ist bitter wie Galle und der Zuseher verspürt darüber eine teuflische Befriedigung.

Als Bruder des Toten (immer eine undankbare Rolle innerhalb der Serie) agiert Horst Bollmann, der den klagenden Erzählungen durch seine Physiognomie Leichtigkeit verleiht. Der Schalk blitzt immer wieder in seinen Augen auf und verhindert, dass er als verlängerter Arm des Drehbuchautors handelt. Am meisten hat mich diesmal Volker Lechtenbrink beeindruckt, der in brynyscher Weise aufspielt und nicht nur in die (Klavier)Tasten, sondern auch auf den Putz haut. Gerade seine Beschreibung des verstandestrübenden Liebesrausches zwischen Helene und Eberhard ist sehr treffend und hebt den theaterhaften Schleier, der von Anfang an über Waltz und Stolze liegt. Das Intro ist sehr amüsant: Wieder einmal wird keine Gelegenheit ausgelassen, den Oberinspektor aus seinem Privatleben herauszureißen. Sein Sparringspartner Horst Naumann (frisch aus der "Schwarzwaldklinik") wird leider gleich zugunsten des Mordfalls zur Seite geschoben. Harry bleibt wieder einmal außen vor. Der Blick in die Augen eines Sterbenden ist Ärzten oder Oberinspektoren vorbehalten - beides Institutionen, denen man in den Achtziger Jahren noch bedingungslos vertraute.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

28.07.2013 16:39
#637 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Percy Lister im Beitrag #636
BEWERTET: "Schonzeit für Mörder" (Folge 145)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Lena Stolze, Christoph Waltz, Volker Lechtenbrink, Horst Bollmann, Hilde Volk, Horst Naumann, Lilian Rack u.a. - Regie: Gero Eberhardt

Regie führte Gero Erhardt ;-), Heinz Erhardts Sohn und einer der fleißigsten und treuesten Weggefährten Helmut Ringelmanns (fast) bis zum Ende seiner Ära. Übrigens ist der Titel als Frage gestellt. Ich denke, dass Reinecker "Schonzeit für Mörder?" bewusst als Frage auch an die Zuschauer richtet. Besonders gut fand ich in dieser Episode Horst Bollmann - ein starker Schauspieler!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

28.07.2013 20:12
#638 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Schonzeit für Mörder?

Episode 145 der TV-Kriminalserie, BRD 1986. Regie: Gero Erhardt. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Horst Bollmann (Georg Bothe), Christoph Waltz (Eberhard Bothe), Lena Stolze (Helene Bothe), Volker Lechtenbrink (Ralf Bothe), Hilde Volk (Frau Lohse), Horst Naumann (Arzt), Lilian Rack, Wulf Schmid-Noerr u.a. Erstsendung: 22. August 1986, ZDF.

Zitat von Derrick: Schonzeit für Mörder?
Dass Dr. Arnold Bothe ein Familiendespot war, erklärt zwar seinen Mord, rechtfertigt ihn aber keineswegs. Seine Angehörigen hatten unter zynischen Bemerkungen und quälenden Überlegenheitsbekundungen zu leiden, die Bothe als Zeichen seiner totalen Kontrolle ausspielte. Kein Wunder, dass Bothes Sohn mit seiner Schwiegermutter eine Beziehung einging. Alles deutet darauf hin, dass in dieser unkonventionellen Liebesgeschichte der Schlüssel zum Verbrechen liegt. Doch es gibt ja auch noch den so untertänig agierenden Bruder Bothe ...


Derrick begleitet diesen Fall so eng wie nur wenige andere in seiner Laufbahn, ist er doch zufällig sogar im Krankenhaus zugegen, als der schwerverletzte Dr. Bothe, in seinen letzten Lebenszügen liegend, in die Notaufnahme eingeliefert wird. Der Blick, den der Oberinspektor in die Augen des beinahe toten Mannes wirft, bekräftigt ihn, den im Nachhinein auftauchenden Beschreibungen über die Persönlichkeit des Verstorbenen zum Trotz seine Ermittlungen „im Namen des Gesetzes“ fortzuführen. Seine Involvierung drückt sich auch durch die häufige Abwesenheit Harrys aus, die Derrick zum Alleinkämpfer macht und gemeinsam mit der kühlen, stimmigen Fotografie der „Schonzeit für Mörder“ eine besonders moderne Anmutung verleiht. Zum ersten Mal im Rahmen der Reihe hatte ich das Gefühl, einen aktuellen Fernsehkrimi und kein Nostalgieprogramm zu sehen.

Die Verantwortung dafür könnte man Gero Erhardt, einem neuen Regisseur für „Derrick“, zuschreiben, doch auch wenn Erhardt sicher seinen eigenen Stil optisch durchzusetzen wusste, so muss Reineckers apokalyptisch anmutendes Skript doch nicht weniger für den Umschwung in der Atmosphäre herangezogen werden. Der erste Mord zieht einen zweiten nach sich, der allein auf geistiger Labilität fußt und deshalb besonders tragisch ausfällt, weil er überflüssig ist und unter falschen Voraussetzungen verübt wird. Der zweite Mörder ist kein Täter im eigentlichen Sinne, sondern agierte in einer solchen Umnachtung, die eine gewisse Schonung, ein Vorenthalten der bitteren Wahrheit, möglich macht. So zumindest könnte man den vagen Titel der Episode interpretieren, der gleichsam aber darauf hindeutet, dass das Drehbuch ursprünglich über ein offenes Ende verfügt haben könnte. Der spezielle Sinn des Fragezeichens erschließt sich mir nicht.

Erhardts Inszenierung sorgt für überdurchschnittliche Längen und Ausfälle im Spannungsbogen, die das überzeugende Grundkonstrukt stellenweise zu einer Ausgeburt der Langeweile aufblähen. Dennoch blitzen in regelmäßigen Abständen nennens- und lobenswerte Ideen auf: die Überprüfung des Fotografen-Alibis anhand weiterer zur selben Uhrzeit aufgenommener Polizeifotografien, die Geschichte vom minderbegabten Pianisten, der zu seiner Musikalität gezwungen wird, und nicht zuletzt die lange ungelöste Frage nach dem Mordinstrument.

Für mich als Zuschauer, der Nostalgieproduktionen bevorzugt, ist Christoph Waltz kein besonderer oder gar ehreinflößender Name. Zu „Schonzeit“-Zeiten verhielt sich das wohl noch im Allgemeinen so, weshalb es keinen Grund gibt, die Folge allein aufgrund seiner Präsenz höher zu gewichten. Waltz liefert die von ihm verlangten Leistungen so glaubwürdig wie möglich ab, allerdings krankt die Rolle an inherenten Übertreibungen, die das Gezeigte schwer nachvollziehbar wirken lassen. Dem Lob für Lechtenbrink und Bollmann möchte ich mich dagegen anschließen; beide vermitteln eine besondere Präsenz, die Waltz-Stolze vermissen lassen.

„Schonzeit für Mörder?“ trennt als zweischneidiges Schwert neue von alten „Derrick“-Ansätzen, lässt dabei jedoch eine konsequent zufriedenstellende Umsetzung vermissen. Reineckers Drehbuch läuft stellenweise aus dem Ruder. 3 von 5 Punkten. Besser hätte die Folge bei stringenterer Inszenierung und einer weniger vorhersehbaren Täterauflösung werden können.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

03.08.2013 22:10
#639 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Die Rolle seines Lebens

Episode 146 der TV-Kriminalserie, BRD 1986. Regie: Alfred Weidenmann. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Franz Boehm (Martin Theimer), Sonja Sutter (Lydia Theimer), Roswitha Schreiner (Dinah Theimer), Peter Bongartz (Robby Bracht), Edwin Noël (Helmut Bossner), Erich Hallhuber (Roland Scholler), Karl-Heinz Vosgerau (Mischa Krenz), Heini Göbel (Adi Kessler) u.a. Erstsendung: 3. Oktober 1986, ZDF.

Zitat von Derrick: Die Rolle seines Lebens
Aufgeregt ersucht Martin Theimer um ein Gespräch bei Produzent Roland Scholler. In dessen neuestem Filmprojekt will der abgetakelte Schauspieler, dessen Karriere in Alkohol und Depressionen ersoff, unbedingt die Hauptrolle spielen. Ein von Grund auf kaputter Typ – das sei die Rolle seines Lebens. Dummerweise wurden bereits Verträge mit einem anderen Darsteller gemacht. Dieser, Leinwandstar Mischa Kranz, liegt tags darauf tot in seiner Villa.


Musste bei den anderen „Derrick“-Produktionen immer peinlich genau darauf geachtet werden, Kulissenkanten und Mikrofonschatten aus dem Bild herauszuhalten, so hatten Kamera und Regie in „Die Rolle seines Lebens“ ein bedeutend einfacheres Leben. Die Episode entführt den Zuschauer in eine Film-im-Film-Situation auf dem Gelände der Bavaria-Filmstudios in Geiselgasteig, wo hinter Kamerapulte und den Regiestuhl, aber auch in Büroräume und auf Kulissenstraßen geblickt wird. Viele Dinge bewegen sich in einem Dunstkreis wohliger Bekanntheit: Das Filmprojekt trägt den Titel „Das Ende der Dinge“ (offenbar ein Reinecker-Stoff, denn es dreht sich um einen Vater, der Rache für die Verprostituisierung seiner Tochter üben will), Zeilen wie „Liebe gibt es nicht“ nehmen zentralen Platz in den Szenen ein, bei denen man dem Filmteam über die Schulter schauen darf, und als Verdachtsgrund Derricks gegen zwei junge Mitbürger genügt allein der beiläufige Satz „Die studieren beide“.

Und dennoch geht es ungewohnt zu, denn an einem Filmset übte Derrick seine Ermittlungen bisher überhaupt noch nicht aus. Im Gegensatz zu seinem amerikanischen alter ego Columbo, der ständig in die Welt des schönen Scheins eintauchte. Das etwas gesetztere deutsche Pendant betont mehrfach, wie fremd ihm diese Umgebung ist, was einerseits verbildlicht, wie trocken Reinecker seine „Guten“ aufbaut – asketisches Leben, Berufsfokussierung, bloß keine Unterhaltung bitte! –, andererseits aber mit jeder Wiederholung zum Insider-Witz avanciert, weil Tappert natürlich wie kaum ein anderer Serienstar an den regulären Drehbetrieb gewöhnt war. Auch anderweitig wird kurz gescherzt, als Vosgerau im Interview seine Vorfreude darüber ausdrückt, wieder einen „Film mit Weidenmann“ zu machen (wo doch Regisseur und Produzent Bracht und Scholler heißen).

Das zentrale Problem der „Rolle seines Lebens“ ist Martin Theimer. Einerseits konzentriert sich die Handlung so stark auf ihn, dass der Krimi um ihn herum völlig aus den Augen gelassen wird. Deshalb kann man die Folge in Bezug auf Ermittlungen, Motive oder Überführung völlig vergessen. Richtiggehend ärgerlich wird hier simplifiziert: ein wohlhabender Schauspieler, der in seiner Villa ermordet aufgefunden wird, offeriert laut dieser Folge keinerlei Mordmotive, die in Richtung Geld, Erbe oder Eifersucht gehen – wer’s glaubt! Zurück zu Theimer: Andererseits ist sein Charakter einer jener jämmerlichen Reinecker-Antihelden, für die ich beim besten Willen kein Mitleid aufbringen kann. Der versoffene Theimer zerstörte sich seine Karriere durch den Hang zur Flasche und erwartet nun, dass ihn die Studios mit offenen Armen zurückempfangen? Dass Theimers Trunksucht sich nicht auf die berufsbedingte Angst vor schwierigen Rollen und Situationen gründete, wie manchmal ausweichend anklingt, sondern einfach darauf, dass sich Theimer nach Drehschluss gedankenlos mit dem Produktionsfahrer einige genehmigte, verdeutlicht nur, wie hier auf wackeligen Füßen eine scheinheilige, nicht funktionierende Glorifizierung versucht wird, die Hand in Hand mit der Vergötterung von Vertretern der Selbstjustiz geht. Und auch Franz Boehm als Darsteller: Hätte man für diese zentrale Rolle nicht einen überzeugenderen Schauspieler finden können? Jemand, der nicht glaubt, dass Sätze umso intensiver werden, je längere Pausen man zwischen Wörtern lässt? Vosgerau wird zwischendrin als hölzern beschrieben, dabei träfe diese Beschreibung viel eher auf seinen Konkurrenten zu. Zwanzig Jahre eher wäre Theimer eine gute Rolle für Martin Held gewesen.

Ein schwacher „Derrick“ wird manchmal durch liebevolle Details und einigen Humor aufgelockert. Dummerweise nimmt „Die Rolle seines Lebens“ das Ernste locker und das Lockere ernst, schockiert mit Schwarzweißmalerei und einem kriminalistischen Konzept, dessen Lösung selbst Harry schnell aufgegangen wäre. Weidenmanns Regie weiß gegen diese Minuspunkte in ihrer uninspirierten Art wieder nicht anzukämpfen. 3 von 5 Punkten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

04.08.2013 14:11
#640 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Die Rolle seines Lebens" (Folge 146)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Franz Boehm, Sonja Sutter, Peter Bongartz, Karl Heinz Vosgerau, Edwin Noel, Heini Göbel, Erich Hallhuber, Roswitha Schreiner, Pierre Franckh, Helma Seitz, Dirk Galuba, Peter Bertram u.a. - Regie: Alfred Weidenmann

Martin Theimer ist verzweifelt: Die "Bavaria Film" dreht in Geiselgasteig einen neuen Film - ohne ihn. Dabei glaubt er felsenfest, dass es nur einen Mann für die Hauptrolle gibt: ihn selbst. Mischa Kranz, der Darsteller, den man unter Vertrag genommen hat, gefällt zwar dem Produzenten, aber nicht dem Regisseur und so gibt es lange Diskussionen über die Frage, ob man einem alkoholkranken Mann eine tragende Rolle zuteilen kann. Am nächsten Morgen löst sich die Angelegenheit zugunsten von Martin Theimer - jedoch nicht, weil die Produktion ihre Meinung geändert hat, sondern, weil Mischa Kranz tot in seinem Wohnzimmer liegt: erschlagen.....

Das Terrain, das der Zuseher betritt, ist ihm fremd und doch bekannt. Es handelt sich um die Filmstudios der "Bavaria" in Geiselgasteig in München-Grünwald. Schwungvoll bringt die Straßenbahn die Hauptperson der Episode an den Schauplatz und zeigt die Fragilität des Darstellerberufs auf. Das Betteln um eine Anstellung und die Hoffnung, noch nicht vergessen zu sein, weitet sich auf das gesamte Denken aus und ist eine schwere Belastung für das Umfeld des Gescheiterten. Ehefrau und Tochter begeben sich in eine emotionale Co-Abhängigkeit und leiden an den Folgen, die Depressionen und Alkoholismus des Vaters nach sich ziehen. Die Schnelllebigkeit des Filmgeschäfts, das knallhart kalkulieren muss, da sehr viele Arbeitsplätze an einem Projekt hängen, wird schön herausgearbeitet. Hier ist besonders Peter Bongartz hervorzuheben, der sensibel und weitsichtig vorgeht und sich beharrlich, aber unaufgeregt durchsetzt. Natürlich lässt es sich die "Derrick"-Folge nicht nehmen, mit den Klischees ihrer Branche zu spielen: da gibt es den beflissenen Produktionsfahrer, der sich sehr wichtig vorkommt, weil er den Hauptdarsteller kutschieren darf; die Eitelkeit der Schauspieler, die selbstverliebt der Presse Auskunft geben und die Sorge um den "Star" des Films, von dem jede Banalität des Alltags ferngehalten werden muss.

Franz Boehm überzeugt in seiner Rahmenrolle als kaputter Charakter, dessen Überleben nur von dieser Rolle abzuhängen scheint, kann jedoch nicht belegen, dass er ein guter Schauspieler ist. Im "Film im Film" wird deutlich, dass er zu bemüht ans Werk geht. Sein Auftreten und das Artikulieren der Dialogsätze bereiten ihm Mühe; ein natürlicher Zugang zu einer Rolle sieht anders aus. Relativ billig wirken Kulissen und Drehbuch - der Film wäre bestimmt im Spätprogramm des Senders untergegangen. Es stellt sich die Frage, wie der Mord/Totschlag vor Gericht beurteilt werden wird. Es besteht diesmal gar die Möglichkeit, das Ableben des Opfers als Unglücksfall hinzustellen, was den Kriminalfall zusätzlich schwächt. Fast scheint es so, als habe Regisseur Weidenmann hier Milde walten lassen, da er die Familie Theimer zutiefst bemitleidet. Das entspricht seinem Stil, ist aber verhängnisvoll, wenn Drehbuchautor Reinecker gleichzeitig auf die Moralpauke haut und unwidersprochen eine Rechtfertigung für Rache durchdrücken kann. Derrick lässt sich von all dem nicht beirren und geht geradlinig seinen Weg - für ihn zählt allein die Aufklärung des Mordfalls - Oberflächlichkeiten, Animositäten zwischen Berufssparten oder Einschüchterungen können ihn nicht aus dem Konzept bringen.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

04.08.2013 14:59
#641 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Entlassen Sie diesen Mann nicht!

Episode 147 der TV-Kriminalserie, BRD 1986. Regie: Horst Tappert. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Pinkas Braun (Dr. Kroll), Reinhild Solf (Dr. Anna Kerwien), Günter Mack (Karl Kerwien), Michael Hinz (Erich Kerwien), Wolf Roth (Dr. Kraus), Paul Hoffmann (Professor Schenker), Marilene von Bethmann (Frau Schlehdorf), Johannes Habla u.a. Erstsendung: 28. November 1986, ZDF.

Zitat von Derrick: Entlassen Sie diesen Mann nicht!
Derrick kann sich das Entsetzen Frau Dr. Kerwiens gut vorstellen. Ihr unterdessen geschiedener Mann, der sie vor fünf Jahren zu erwürgen versuchte und für schizophren befunden wurde, soll als geheilt aus der Anstalt entlassen werden. Dabei glauben weder sie noch Derrick, dass man alle Symptome in so kurzer Zeit bekämpfen kann. Als Dr. Kroll frei kommt, versucht er hartnäckig, mit Anna Kerwien Kontakt aufzunehmen. Einer seiner Ärzte scheint diese Vorstöße sogar zu unterstützen ...


King Horst „Derrick“ Tappert beginnt seine erste Serienfolge als Regisseur mit einem beschwingten Schwenk durch sein Reich, bevölkert von seinem Hofstaat, den Handlangern und Assistenten. Doch schnell ändert sich die Stimmung: Kaum möchte jemand Stephan Derrick sprechen, beginnt der Ernst des verbrecherischen Lebens – dauerhaft ist Tappert schließlich im Einsatz, hier nun zum ersten Mal auch hinter der Kamera. Dass „Entlassen Sie diesen Mann nicht!“ von keinem professionellen, erfahrenen Regisseur gedreht wurde, mag man der Episode stellenweise ansehen, aber in ihrer unperfekten Art mit überpräsenten Gefühlen und abrupten, manchmal recht amüsanten Schnittfolgen erinnert sie ein wenig an die „goldenen Derrick-Zeiten“ der mittleren Siebzigerjahre.

Das liegt auch daran, dass Horst Tappert, der sich in seiner Autobiografie nicht gerade als Befürworter des dauerwedelnden Reinecker’schen Zeigefingers outete, seinen Inszenierungsstil luftig-leicht wählte, anstatt in pessimistisch-philosophische Abgründe abzudriften wie jüngst seine Kollegen Weidenmann und Erhardt. In diesem Sinne war die Regieverpflichtung Tapperts genau das, was die Serie zum Drehzeitpunkt 1986 brauchte: frischer Wind, nicht von außen, sondern von innen heraus, mit anderen Ideen und doch einem so großen Erfahrungsschatz, was die Serie „Derrick“ als Ganzes angeht. Tapperts Folge gliedert sich ungleich besser ein als die Erhardts, um nur den naheliegendsten Vergleich zu bemühen.

Des weiteren merkt man Tapperts Führungsstil an, wie bedacht er auf eine umsichtige Verteilung der Verantwortlichkeiten bedacht war. Einmal reizte er Höchstleistungen aus den sonst manchmal etwas abfilmerisch agierenden Kameramännern heraus (z.B. Braun hinter dem Auto von Solf und Mack), auch vergaß er seine nächsten und treuesten Mitarbeiter nicht. Für Harry und Berger gibt es diesmal verantwortungsvollere Aufgaben und überhaupt stehen die beiden Assistenten so sehr im Mittelpunkt wie lange nicht mehr. Tapperts Samthandschuhe im Fall Harry waren sogar so bedächtig, dem bayerischen Kollegen eine Maß Bier ins Büro zu schmuggeln ...

Inhaltlich erinnert „Entlassen Sie diesen Mann nicht!“ an „Dr. Römer und der Mann des Jahres“, was in jeder Hinsicht als Kompliment verstanden werden darf. Das Bindeglied besteht in den mabuse-artigen Anspielungen, die hier sehr starke Rückschlüsse auf „Das Testament“ desselben zulassen. Die Folge konzentriert sich darüber hinaus auf die Hochnäsigkeit und Selbstverliebtheit hochintelligenter Menschen, die alltägliche, aber essenziell wichtige Dinge mit Geringschätzung betrachten, weil sie hinter ihren eigentlichen geistigen Möglichkeiten zurückbleiben.

Hinter ihren schauspielerischen Möglichkeiten zurück bleibt Reinhild Solf, die nicht viel mehr tun darf, als erschrocken dreinzuschauen und wie ein in die Ecke gedrängtes Tier mit langsamen Bewegungen dem blutrünstigen Räuber zu entkommen. Diesen gibt Pinkas Braun mit einer unveränderten Diabolik, die sich weniger auf seine Mimik als vielmehr auf die Stimme gründet, die von einer vehementen Selbstsicherheit und von Überbleibseln seines Staletti-Wahnsinns aus „Die Tür mit den 7 Schlössern“ zeugt. Wolf Roth, der in seinen Mimiken und Mundbewegungen einen jungen, noch ungefestigten Peter Pasetti nachzuahmen scheint, hat die schwierigste Rolle zugedacht bekommen, deren Anlage man direkt als „wüst“ bezeichnen kann – hier werden nach und nach Schalen freigelegt, die unserem geschätzten Blap sicher munden werden.

Ein Höhepunkt mit Herz und Hirn. Tapperts Leidenschaft für die Serie erkennt man in jeder Szene, diesmal auch in denen, in denen er nicht selbst zu sehen ist. Die Stellen der Unvollkommenheit geraten liebenswerter als in anderen aktuellen Episoden, während der Plot und einige der Darstellungen so abgefahren wirken, dass man hier einfach eine diebische Freude haben muss. 5 von 5 Punkten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

04.08.2013 15:28
#642 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Entlassen Sie diesen Mann nicht!" (Folge 147)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Pinkas Braun, Reinhild Solf, Wolf Roth, Michael Hinz, Günther Mack, Paul Hoffmann, Marilene Bethmann u.a. - Regie: Horst Tappert

Der Biochemiker Dr. Kroll versuchte vor fünf Jahren seine Frau zu erwürgen. Dr. Anna Vogt war selbst eine erfolgreiche Wissenschaftlerin und arbeitete zusammen mit ihrem Mann an gentechnischen Forschungen. Als sie eine Beziehung zu dem Buchhändler Kerwien begann, wollte ihr Mann sie töten. Daraufhin wurde er in einer psychiatrischen Klinik interniert. Dr. Kraus behandelte seine Schizophrenie und attestierte seinem Patienten nun eine völlige Genesung. Deshalb kann Dr. Kroll jetzt entlassen werden, was seine Ex-Frau und ihren neuen Ehemann das Schlimmste befürchten lässt....

Zitat von Horst Tappert: Derrick und ich - Meine zwei Leben, Verlag Wilhelm Heyne, 1998
Gerne hätte ich mehr Folgen von "Derrick" inszeniert. Doch das war zeitlich und vom Energieaufwand her nicht zu schaffen. Ein Regisseur muss sich um alles kümmern. Die Sets, die Motive, die Drehorte, die Kostüme. Er muss die Besetzung zusammenbringen - trotz Ringelmanns Erfahrung und Hilfe sehr mühsam, weil die guten Schauspieler wie ein gutes Restaurant lange im voraus ausgebucht sind. (...) Dann der Dreh - auf den ich mich ja auch für meine Rolle als Derrick vorbereiten muss, danach den Rohschnitt anschauen. Schließlich der Feinschnitt und die Mischung (Musik, Geräusche) für die Endfassung. Das bedeutete für mich Nachtarbeit, denn tagsüber wird bereits die nächste "Derrick"-Episode aufgenommen. Dieser Doppelbelastung wollte ich mich nur einmal im Jahr aussetzen."


Horst Tappert führt zum ersten Mal Regie bei "Derrick" und hinterlässt seine Handschrift in deutlicher Weise. Es beginnt bereits in den ersten Sekunden, die nicht wie sonst üblich von den dominanten "Derrick"-Klängen, sondern von der Big Band von Count Basie untermalt werden. Die Kamera fährt in die Bürokulisse, die hier deutlich als solche enttarnt wird und zeigt Harry, Willy und andere Beamte bei ihrer täglichen Routinearbeit. Nur Derrick selbst wirkt diesmal wie ein Besucher. Man sieht Tappert an, dass er sich nicht nur mit seiner eigenen Rolle befassen muss, sondern seine Augen und Ohren überall haben, auf alles achten und alles kontrollieren muss. Er wirkt deshalb ein wenig steif und lässt Kollege Harry mehr Spielraum. Immer wieder gibt es Momente, in denen die Wertschätzung des langjährigen Partners sichtbar wird.

Seinen Gastdarstellern Braun, Solf, Roth und Hoffmann bringt Tappert Wertschätzung entgegen, besonders Pinkas Braun ("mit dieser unvergleichlichen Miene aus Liebenswürdigkeit und Dämonie") trägt zum reibungslosen Zusammenspiel bei. Es ist verblüffend, welch frappierende Ähnlichkeit Braun mit Heinz Bennent aufweist. In einigen Szenen hatte ich das Gefühl, er stünde dort und nicht der finstere Edgar-Wallace-Bösewicht, dessen Ausstrahlung mit dem Alter viel von seiner eiskalten Grausamkeit verloren hat. Die messerscharfe Stimme, der harte Blick und die Unberechenbarkeit seines Temperaments sind bei dem 63-jährigen in den Hintergrund getreten zugunsten einer Aura der Absonderlichkeit. Brauns Physiognomie hat wenig von einem nüchternen Wissenschaftler, sondern lässt an einen Primaten denken. Als Bindeglied zwischen Genie und Wahnsinn, als Vorbereiter des Weges in die Normalität kann Wolf Roth kraftvoll aufspielen. Die unkonventionelle Hilfe, die er seinem Patienten zukommen lässt, erinnert in ihrer Loyalität an die "Kommissar"-Folge "Traum eines Wahnsinnigen" (Folge 43/1972).

Doch nicht nur die seltsame Freundschaft zwischen Arzt und Patient, sondern vor allem die Sichtweise auf die Frau wiederholt sich. Der Mann, der mit oder durch seine Frau etwas Vollkommenes schaffen will und sein Werk bedroht sieht, will die Frau töten, um zu verhindern, dass sie der Mittelmäßigkeit anheim fällt. Sein "Geschöpf" soll zerstört und dadurch gleichzeitig bewahrt werden. Eine solche Anmaßung ist Ausdruck einer übersteigerten Selbsteinschätzung - einer "Herrenmenschen"-Mentalität, die glaubt, sich über das Normale emporheben zu können. Dazu passt die Geringschätzung des Berufs von Anna Krolls zweitem Mann: Dem Buchhändler werden Intelligenz und Sinnhaftigkeit seiner Arbeit abgesprochen, was nahelegt, dass Herbert Reinecker der elitären Gruppe der Wissenschaftler skeptisch gegenüberstand (siehe auch: "Der L-Faktor", "Dr. Römer und der Mann des Jahres").

Wolf Roth versteht es glänzend, die Sichtweise des Drehbuchautors umzusetzen; sein selbstbewusster Charme, sein Optimismus und seine Zielstrebigkeit lassen seinen Auftritt in Folge 147 zu seiner bisher stärksten Rolle werden. Michael Hinz spielt den stillen Günther Mack in seiner Empörung an die Wand - wie ein Löwe kämpft er um die Sicherheit seiner Schwägerin. Man kann Horst Tappert einen guten Geschmack in der Auswahl seiner Schauspieler bescheinigen. Das Debüt überzeugte - freuen wir uns auf die nächsten zehn Einsätze Tapperts auf dem Regie-Stuhl!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

09.08.2013 23:10
#643 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Mädchen in Angst

Episode 148 der TV-Kriminalserie, BRD 1987. Regie: Horst Tappert. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Sona MacDonald (Anja Ruland), Joachim Bissmeier (Johannes Ruland), Angela Hillebrecht (Margot Ruland), Stefan Behrens (Herr Rotter), Gisela Trowe (Anna Wiebusch), Henry van Lyck (Franz Belter), Claus Ringer (Dr. Krohn), Stefan Miller (Arzt) u.a. Erstsendung: 2. Januar 1987, ZDF.

Zitat von Derrick: Mädchen in Angst
Vor einer Bar wird Harry Zeuge einer handgreiflichen Auseinandersetzung eines Mannes mit einer Frau. Der Polizist eilt dem schutzbedürftigen Geschöpf zur Hilfe, doch sie will sich eigentlich gar nicht helfen lassen. Erst als man ihren Peiniger tot auffindet, nimmt die Handlung eine Entwicklung, die Harry und Anja Ruland näher zueinander rücken lassen. Doch auch Derricks Unterstützung, der die Abenteuer seines Assistenten skeptisch beäugt, wird Harry gut gebrauchen können ...


Wo gibt’s denn sowas? Harry allein außer Haus, obwohl es schon dunkel ist? Das kann ja nur schiefgehen. Prompt werden alle Erwartungen erfüllt, denn nicht nur legt sich der Juniorpart unseres beliebtesten Ermittlerduos mit Zuhältern und Drogendealern an, auch verliebt er sich Hals über Kopf in eines jener Mitleidsmädchen, die wir nicht immer gern, aber dafür umso häufiger bei „Derrick“ zu sehen bekommen. Was als eine (zugegeben etwas funkige) Nuttenmolloch-München-Folge beginnt, nimmt jedoch eine unerwartete und spannende Wendung, als Harry selbst zum Hauptverdächtigen am Mord an der Szenegröße Belter wird. Von diesem Zeitpunkt an liegt der Schwerpunkt nicht mehr auf missionierenden Warnungen vor dem am allersteilsten absteigenden Ast, sondern darauf, wie „man“ (was selbstverständlich Stephan bedeutet) Harrys Kopf wieder aus der Schlinge ziehen kann.

Anrührend wie kaum eine andere Folge illustriert „Mädchen in Angst“ – der Titel passt eher in die Giallo-Ecke: „Gepeinigte Mädchen in Angst“ oder „Mädchen in Angst und Ketten“ – die Figur des zweiten Serienermittlers und die Beziehung, die zwischen Oberinspektor Derrick und Inspektor Klein besteht. Derrick erscheint als eine starke Vaterfigur, die sich dem naiven, nicht rational, sondern gefühlsgesteuert agierenden Kind mit Nachsicht und gleichsam auch mit bestimmter Hand annimmt. Auf diese Weise entsteht natürlich ein Entwicklungs- und Intelligenzkontrast zwischen den beiden Kollegen, der Derrick geradezu ins Übermenschliche erhebt, während Harry kein Fettnäpfchen auslässt, sich unprofessionell verhält, gar seine Dienstwaffe verliert. Trotz aller eindimensionaler Typenraster berühren die Szenen, die die Bindung zwischen Stephan und seinem Freund herausstreichen in einem frappierenden Maße. Hier zeigt sich erneut, welch ein Clou es war, Tappert als Regisseur zu verpflichten. Wäre in den zentralen Momenten dem Schauspieler ein unsichtbarer Inszenator in den Karren gefahren, hätte man die große emotionale Stärke der Folge völlig unter Ulk verbuchen können. So darf sie jedoch als etwas ganz Besonderes und Persönliches gelten.

Nach Derrick und Klein die Sintflut. Oder zumindest so ähnlich. Ganz so seicht wie einige der neuesten Beiträge zur Reihe gestaltet sich der Fall abseits des besonderen Verdächtigen zwar nicht, aber es fällt trotzdem auf, dass Reinecker auch schon kreativere Einfälle hatte. Gerade die Auflösung mag nicht so recht überzeugen, wirkt weit hergeholt und konstruiert. Der Autor wollte sowohl die offensichtlichste Lösung als auch weibliche Mörder wieder einmal umgehen, leider zulasten der Glaubwürdigkeit der Story. Ausgebügelt wird dieses Problem von sehr guten Darstellerleistungen, die neben den regulären Hauptdarstellern vor allem von Sona MacDonald und Stefan Behrens stammen. MacDonalds Rolle gibt nicht viel her, aber sie macht immerhin einen niedlich-spitzbübischen Eindruck, sodass man Harrys Voreingenommenheit durchaus nachvollziehen mag.

Wer einmal an den Punkt gelangt, zu wähnen, bei Tappert und Wepper hätte sich dröge Routine eingeschlichen, der solle bitte sofort „Mädchen in Angst“ einwerfen. Nach „Eine Falle für Derrick“ steht diesmal Klein-Harry unter dringlichem Tatverdacht, was dem an sich nicht weiter erwähnenswerten Fall eine sehr ausgefallene Stimmung verleiht. 4 von 5 Punkten.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

10.08.2013 10:43
#644 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Ich mag Tapperts Regiearbeiten sehr. "Mädchen in Angst" ist eine meiner Lieblingsfolgen. Er war ein begabter Regisseur, super fand ich dann auch "Tödliches Patent" (für mich seine beste Regiearbeit), danach haben ihn die Bücher oft etwas im Stich gelassen, auch wenn "Katze ohne Ohren" vom Thema her noch interessant ist (und auch von der Besetzung: Karlheinz Hackl und Peter Kremer (später "Siska")). Übrigens gibt es inoffiziell auch eine 12. Tappert-Regie-Folge, nämlich "Nachtgebete" (was für eine lahme Angelegenheit!), die der Hauptdarsteller zu Ende drehte, nachdem Regisseur Grädler erkrankte. Außerdem war Tappert auch mal für die Regie bei der Konkurrenz vom "Alten" Mitte der 90er vorgesehen, da ist aber nichts daraus geworden.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

11.08.2013 14:42
#645 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Mädchen in Angst" (Folge 148)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Sona MacDonald, Henry van Lyck, Stefan Behrens, Gisela Trowe, Joachim Bissmeier, Angela Hillebrecht u.a. - Regie: Horst Tappert

Inspektor Klein trinkt nach Feierabend noch ein Glas Bier und begibt sich dann auf den Nachhauseweg. Dabei beobachtet er, wie ein Mann eine junge Frau ins Gesicht schlägt. Als er ihr zur Hilfe eilt, merkt er, dass ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den beiden besteht. Er nimmt Anja Ruland mit zu sich in die Wohnung und befragt ihre Vermieterin. Trotz der Warnungen seines Freundes Derrick legt er sich mit Franz Belter und seinen Männern an und wird zusammengeschlagen. Als Klein wieder zu sich kommt, findet er Belter tot auf - erschossen mit seiner Dienstwaffe....

Ein Drehbuch ist für den Zuseher immer dann emotional belastend, wenn ein integrer Charakter unschuldig unter Mordverdacht steht. Traf es in Folge 91/1982 "Eine Falle für Derrick" den Oberinspektor selbst, so ist es diesmal sein Kollege Harry Klein, dem man vorwirft, ein Tötungsdelikt begangen zu haben. Der Umstand, dass Harry der jungen Anja weiterhin helfen will und sich um sie sorgt, erschwert die Ermittlungen, die Derrick diesmal nicht als neutraler Beamter, sondern als väterlicher Freund durchführen muss. Zudem handelt es sich bei dem von Sona MacDonald verkörperten Charakter nicht um das klassische Opfer eines brutalen Unterdrückers, sondern um die Tochter eines wohlhabenden und wohlmeinenden Mannes, der ihr die Rückkehr in das geschützte Elternhaus anbietet. Umso mehr ärgert sich der Zuseher, dass Harry Kopf und Kragen riskiert, um eine Situation zu ändern, die von der geschädigten Partei nicht konsequent als verabscheuungswürdig betrachtet wird. Das Verhalten der weiblichen Hauptfigur, die dem brutalen Mann passiv hilft und dem freundlichen Mann durch Gleichgültigkeit und Trotz aktiv schadet, soll auf einen ungefestigten Charakter hinweisen - eine Person, die ihren Platz im Leben (noch) nicht gefunden hat. Dazu passen die Stimmungsschwankungen und der Flirt mit der Kamera, der Sona MacDonald mit dem (männlichen) Publikum versöhnen soll, das an dem neckischen Blick und dem Kindchengesicht Gefallen findet.

Der Regisseur bricht mit den Erwartungen, die der Zuschauer an gefährliche Momente stellt und inszeniert Harrys Leiden aus einer anderen Perspektive:

Zitat von Horst Tappert: Derrick und ich - Meine zwei Leben, Verlag Wilhelm Heyne 1998
Eins ist beim Drehen unentbehrlich: Die Kunst des Weglassens. In den besseren amerikanischen Fernseh-Serien eine Selbstverständlichkeit, bei uns durch die schon erwähnte UFA-Tradition und ihren missverstandenen Realismus - nach dem Motto: "Alles, was zur Szene hinführt, wird detailliert gezeigt" - noch immer populär. Das erspart dem Regisseur Denkarbeit und raubt den Zuschauern ihre Emotionen.

Dennoch gibt es viele Großaufnahmen des malträtierten Gesichts von Harry, obwohl Tappert beklagt, dass "man doch niemandem freiwillig so nah auf die Pelle rücken würde". Hatte der Hauptdarsteller bei seiner ersten Regie-Arbeit für die Serie noch Schwierigkeiten, seine Präsenz nicht hinter die Betreuung der anderen zurückfallen zu lassen, so zeigt er diesmal, wie wichtig es ist, dass Derrick der Fels in der Brandung ist. Die Fürsorge für den Kollegen bringt ihm weitere Sympathiepunkte ein und zeigt, dass sein analytisches Denken und die Ruhe, die er an den Tag legt, essentiell für den Erfolg einer Untersuchung sind.
Die Auflösung weckt Erinnerungen an "Der Kommissar: Die Nacht, in der Basseck starb" (Folge 60/1973) und zeigt einen Täter, der ganz in der Tradition Reineckers steht, obwohl er diesmal nicht so stark aufspielen darf wie noch im Dunstkreis von Jürgen Goslar und Evelyn Opela (in einer Nebenrolle übrigens unser geschätzter Horst Tappert).

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