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 Film- und Fernsehklassiker national
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Cora Ann Milton Offline



Beiträge: 5.110

31.03.2013 17:48
#391 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

“Tod eines Hippiemädchens”

Regie: Theodor Grädler

Darsteller: Kornelia Boje (Karin Junker), Herbert Mensching (Dr. Harald Tucher), Brigitte Horney (Mathilde Dornberger), Werner Pochhath (Andreas Tucher), Dorothea Wieck (Irene Tucher), Stephan Behrens (Konrad), Harald Reeg (Stefan)


“Das ist so unbegreiflich, dass da etwas auf so endgültige Weise zu Ende gegangen ist ...”
(Konrad)

“Entschuldigung, das Wort ordnungsgemäß hat mich irritiert. Ich frage mich seit Jahren, was mit so einem Wort gemeint sein könnte ...”
(Konrad)

“Ja, hab’ ich gesagt, du kannst bei uns schlafen, Karin, wenn du nicht weißt, wohin. Ich hoffe, Sie werfen es mir nicht vor, dass ich sie nicht nach ihrem Pass gefragt habe.”
(Konrad)

“Was für’n Doktor sind Sie? Arzt?”
(Karin Junker)
“Nein, Jurist.”
(Dr. Harald Tucher)
“Ach du liebe Zeit!”
(Karin Junker)

“Was, sagte sie, Sie lachen? Sie sind Jurist und haben Humor? Ich wunderte mich selber, denn um ganz ehrlich zu sein, ich habe nicht einen Funken Humor.”
(Dr. Harald Tucher)

“Ich müßte versuchen, Ihnen ihr Gesicht zu beschreiben, damit Sie begreifen. Ihr Gesicht, das war geschlossen, zugeschlossen. Ernst, meistens ernst, sonderbar ernst. Fast traurig. Ich glaube, dass ich das richtig ausdrücke. Es war traurig. Aber wenn sie lachte, dann zerbrach diese Trauer in tausend Stücke. Es war so strahlend dieses
Lachen.”
(Dr. Harald Tucher)

“Es gab für mich nichts wichtigeres, als sie näher kennen zu lernen ...”
(Dr. Harald Tucher)

“So hilflos bist du? Weißt du eigentlich, wie hilflos du bist?”
(Karin Junker)

“Wir haben uns zwei Stunden wie die Verzweifelten gestritten.”
(Dr. Harald Tucher)

“Ich war wie vernichtet. Ich saß da wie vernichtet. Ich war es. Ich bin es noch, Herr Kommissar.”
(Dr. Harald Tucher)

“Ich hatte einfach nicht das richtige Bild von ihr. Das muß man mir doch zugute halten. Oder nicht ...”
(Andreas Tucher)


Im Wartehäuschen einer Straßenbahnhaltestelle wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Sie ist erstickt worden.
Die junge Frau wird von Konrad, der sich als Sozialarbeiter um drogenabhängige Jugendliche kümmert und der Hippieszene angehört, identifiziert. Karin Junker war 23 Jahre alt und lebte seit zwei Monaten bei ihm und weiteren Bekannten in einer Wohngemeinschaft.

Die letzten Stunden ihres Lebens verbrachte Karin Junker in der Villa des Landgerichtsrates Dr. Harald Tucher, mit dem sie eine Affäre hatte.

Kommissar Herbert Keller begegnet in diesem Fall einem Mann am Rande des physischen und psychischen Zusammenbruchs.
Korrekt an ihm ist lediglich noch sein dreiteiliger Anzug. Der entrückte Blick ins Leere, die heftige Transpiration, die Verweigerung jeglicher Nahrungsaufnahme, die zwanghafte Beschäftigung seiner Hände mit einer Schachtel, all das läßt ahnen, dass dieser Mann am Ende seiner Kräfte angelangt ist.

Das bisher so beschauliche, beinahe eintönige Leben von Dr. Harald Tucher ist durch Karin Junker vollständig aus den Fugen geraten.
Der Mann, der als Landesgerichtsrat über Recht und Unrecht zu urteilen hat, offenbart gegenüber den gesellschaftlichen Vorgängen seiner Zeit eine erstaunliche Ignoranz. So ist der Vietnamkrieg für ihn nichts weiter als eine Schlagzeile auf einem Flugblatt und die Schicksale der Menschen, mit denen er es zu tun, sind für ihn wohl nicht anderes als Akten, die man fein säuberlich archivieren kann.

Mit Karin Junker bricht das reale Leben in die wohlgeordnete, bürgerliche Welt von Dr. Harald Tucher ein.
Eine starke Frau, die zwar kaum materielle Werte ihr eigen nennt, aber dafür offen auf die Menschen sowohl in ihrer nächsten Umgebung als auch in der Fremde (bei ihren alljährlichen Reisen, die sie unter anderem nach Afghanistan und Marokko geführt haben) zugeht und wirklich an ihnen Anteil nimmt. Sie steht zu ihren tiefen Emotionen und ist unfähig zu jeder Unaufrichtigkeit.
Der Mann, der in einer privilegierten sozialen Stellung lebt, hingegen entlarvt sich als opportunistischer Schwächling, der sich von zwei älteren Frauen (seiner Mutter Irene sowie seiner Haushälterin Mathilde Dornberger) dominieren läßt und sich von tradierten Wertvorstellungen leiten läßt, von denen er vielleicht in seinem tiefsten Inneren nicht einmal selbst überzeugt ist.
Zwei einander diametral entgegen gesetzte Lebensentwürfe sind mit tödlichen Folgen kollidiert.

Die Unmöglichkeit einer Beziehung.
Dr. Harald Tucher ist sich nicht sicher, ob Karin Junker ihn geliebt hat, und dennoch war es so, auch wenn er dieser Liebe nicht wert war. Er behauptet allen Ernstes, die junge Frau geliebt zu haben und dennoch leugnet er zunächst die gemeinsame Beziehung bis ihm die Kriminalbeamten das Gegenteil beweisen.
Über das “Millieu”, aus dem sie und ihre Freunde stammen, urteilt er abfällig und charakterisiert die junge Frau gegenüber seinem jüngeren Bruder Andreas auf eine Weise, die diesem suggeriert, Karin sei für ihn wie für jeden anderen Freiwild, was wiederum entsetzliche Folgen nach sich zieht.
Erst durch den Tod von Karin Junker ist Dr. Harald Tucher wohl klar geworden, was er mit ihr unwiederbringlich verloren hat.

Herbert Mensching, der schon in der Folge “Besuch bei Alberti” sehr überzeugend einen schwachen Menschen verkörpert hat, glänzt auch hier wieder in der Rolle eines Mannes, der mehr oder weniger unfähig ist, sein Leben selbst zu gestalten und sich daher von anderen manipulieren läßt.

Es ist bezeichnend, dass in der Villa Tucher allein seine Haushälterin - auf grandiose Weise mit Eiseskälte und Grandezza von Brigitte Horney verkörpert - darüber zu entscheiden scheint, was ihrem Verständnis von Sitte und Anstand entspricht. Der Hass, den sie auf Karin Junker empfindet, entspringt sicher auch einem unterschwelligen Gefühl der Eifersucht, nunmehr eine Konkurrenz in der Regentschaft über den vermeintlichen Herren des Hauses erhalten zu haben und dass ihre Herrschaft über ihn sogar zu einem Ende gekommen sein könnte.

Dorothea Wieck als Irene Tucher steht ganz in der Tradition ihrer Rolle als Frau Born aus “Toter Herr im Regen”. Rigoros verlangt sie die Einhaltung dessen, was sie unter “Etikette” versteht. Herrisch gebietet sie über ihre Söhne, besonders über Harald, der seiner “Mama” nicht zu widersprechen wagt und ihrem Blick oft ausweicht. Frau Tuchers Gefühlskälte läßt ahnen, warum ihre Söhne zu dem wurden, was sie sind.

Stefan Behrens überzeugt als sozial engagierter Hippie, den die Vorurteile seiner Umgebung zwar nicht immer kalt lassen, der aber im Einklang mit sich selbst lebt. Ganz selbstverständlich nimmt er sich seiner Mitmenschen an, ohne auf irgendwelche Vorschriften oder Paragraphen zu pochen. Er hält sich - im Gegensatz zu manchem der übrigen Beteiligten - auch wohltuend zurück mit Beschuldigungen gegenüber anderen.

Und über allem agiert Kornelia Boje als sanfte und starke Frau, deren Wirkung zwar als nahezu engelhaft beschrieben wird, die aber dennoch ganz und gar im Leben steht. Erst bei ihrem gewaltsamen, frühzeitigen Ende wird durch ihre Darstellung deutlich, dass Karin Junker zerbrechlicher war, als man ahnte.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

05.04.2013 22:20
#392 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



Der Kommissar: Fährt der Zug nach Italien?

Zitat von Der Kommissar: Fährt der Zug nach Italien?
Von der Mutter ignoriert, vom Vater geschlagen. Das Schicksal der kleinen Ilse ist wenig erbaulich, sodass es nicht verwundert, dass sie eines Tages einfach nur weg will – mit dem Zug nach Italien. Die Bahnpolizei nimmt ihre Aufgabe wahr und bringt Ilse wieder nach Hause. Aber dort liegt Albert Kempe, ihr Vater, erschlagen auf dem Küchenfußboden. Die Tür war unverschlossen, also könnte jeder der Mörder sein!


Dass „Der Kommissar“ als Projektionsfläche für soziale Probleme und das Aufgreifen kritischer Aussagen genutzt wurde, wird klar, sobald man sich den Namen des Drehbuchautors vor Augen führt. Seitdem er sich für längere Fernsehserien verpflichtete, war es Herbert Reinecker ein besonderes Anliegen, die oft profane Hausmannskost Kriminalstück mit Gewürzen zu verfeinern, die die Wahrnehmung der Zustände hinter einer bestimmten Fassade ermöglichen. Dabei geriet das eigentliche Verbrechen zwar gern in den Hintergrund, doch der Standpunkt ist ein enorm realistischer, weil er dem Publikum begreiflich macht, wie sich Polizisten oft weniger mit Alibis und Verdachtsmomenten als vielmehr mit dem Kennenlernen von Familien- und Hausgemeinschaften, den vielzitierten „Umständen“, der Lebensumwelt von Opfer und wahrscheinlich auch Täter, auseinandersetzen müssen. Hinter einem Verbrechen steckt nur selten ein ausgereifter Plan, in dem es auf Sekunden, auf Lügen und heroische Motive ankommt, sondern häufig eine Tragödie, aus der die Betroffenen keinen anderen Ausweg wissen. Der Mord kann folglich als die Spitze des Eisbergs klassifiziert werden, die anzeigt, dass an einer gewissen Stelle Vorsicht und Feingefühl geboten sind.

Alle diese Überlegungen kommen deutlich zum Tragen in „Fährt der Zug nach Italien?“, einer Folge, die kriminalistisch kaum etwas zu bieten hat, aber dafür das elende Umfeld der „Familie“ Kempe mit viel Hingabe und Offenheit skizziert. Helmut Ringelmann verpflichtete für diese Aufgabe Theodor Grädler, der sich Hingabe und Offenheit, Vorsicht und Feingefühl, Tragödien und ihre Betroffenen häufig als Motto für seine Inszenierungen auswählte. Selbstverständlich also, dass der Regisseur den angemessenen Ton traf, ohne die Trinker- und Schlägergeschichte allzu schauerlich und jämmerlich wirken zu lassen. Was man sieht, erregt Mitleid, lässt sogar manchmal den Atem stocken, bewegt sich aber immer auf einem Niveau, das für eine in sich abgeschlossene einstündige Donnerstagabendunterhaltung taugt. Die Fratze der Selbstaufgabe, der Überforderung und der daraus resultierenden Wut erzählt eine kohärente Geschichte und fungiert nicht allein als Mittel zum Zweck, wie manch andere Serienfolge ihre Problemthemen vorführte.

Die Glaubwürdigkeit des Hinterhof- und Kneipenmilieus (Kommissar Keller und Erwin Klein trinken zusammen mit der nymphomanen Mutter Whisky) wird durch eine sorgfältige Schauplatzauswahl sowie kernige Schauspielerdarbietungen unterstrichen. Karin Baal spielt eine Rolle, die völlig anders angelegt ist als ihr durch und durch positiv gezeichneter Auftritt in „Die Anhalterin“ und der Gedanken an die Zeit aufkommen lässt, in der die Schauspielerin, damals mit dem Playboy aus Episode 93 verheiratet, selbst den Halt in ihrem Leben verloren hatte:

Zitat von Karin Baal, Cornelia Tomerius: Ungezähmt – Mein Leben, Südwest Verlag, München 2012, S. 123
Je größer Helmuth[ Lohner]s Rollen werden, desto kleiner wird die seiner Familie. [...] Ich bin einsam und fühle mich verletzt. Ich habe zu viel Zeit für mich und zu viele quälende Gedanken. Was hilft da? Natürlich der Alkohol. Er betäubt den Schmerz und vertreibt die Geister aus dem Gehirn. Für mich ist der Griff zur Flasche etwas ganz Natürliches.


Ebensolche Überzeugungsarbeit leisten der ewig zornige Peter Kuiper, Lina Carstens als Großmutter, die elfjährige Anne Bennent in einer ihrer ersten Rollen sowie Friedrich Maurer als Seemann (in München?), der Reineckers Sicht auf Nächstenliebe ein aufdringliches, aber nicht unsympathisches Sprachrohr verleiht. Die Verstöße gegen ein vernünftiges menschliches Miteinander sind im Mietshaus der Kempes an der Tagesordnung, sodass der Einzug eines mahnenden Zeigefingers kein Hindernis, sondern bitter nötig ist.

Triste und traurige Folge vor ernstem Hintergrund: ein „Kommissar“, den man nicht aus Vergnügen in den Player wirft. Das ist eine Abwechslung, die den Bedeutungsgehalt der Serie über den des trivialen Krimis hinaus steigert, die aber gleichzeitig ein Unbehagen hinaufbeschwört, das es unmöglich macht, das Gezeigte zu „genießen“ oder sich auf ein Wiedersehen zu freuen.

(3 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Kommissar Herbert Keller in angemessen angewiderter Pose
||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 6: Episode 92 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Elmar Wepper, Helma Seitz. Unter Verdacht: Karin Baal, Peter Kuiper, Anne Bennent, Klaus Löwitsch, Lina Carstens, Günther Haenel, Friedrich Maurer, Hans Hermann Schaufuss u.a. Erstsendung: 26. September 1975.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

07.04.2013 20:45
#393 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



Der Kommissar: Der Tod des Apothekers

Zitat von Der Kommissar: Der Tod des Apothekers
Da bekommt die Polizei eine ganz schön vertrackte Geschichte aufgetischt: Edward Scholl betritt das Präsidium mit der Meldung, seine Tante, die Frau des Apothekers Lahuser, sei entführt worden und ihr Onkel von der Lösegeldübergabe nicht zurückgekehrt. Als die Beamten das Haus der Lahusers erreichen, finden sie dort die entführte Frau, die von ihrem angeblichen Schicksal nichts weiß. Herr Lahuser dagegen liegt tot in den Isarauen. Und 400.000 Mark fehlen!


Selten hat man sich mit einer so ungewöhnlichen und ungewöhnlich reizvollen Ausgangssituation wie in dieser Episode konfrontiert gesehen. Von Anfang an wird durch widersprüchliche Aussagen und offensichtliche Geheimnisse verdeutlicht, dass eine oder mehrere Personen, die in die Affäre verwickelt sind, zwangsläufig lügen müssen. Die Riege der Verdächtigen sprengt erneut den Rahmen des Üblichen und sorgt auf diese Weise sowohl für eine gute Whodunit-Situation als auch für einen zusätzlichen Howdunit-Effekt, zumal die Episode in einer sehr angenehmen Umgebung angesiedelt ist und durch edle Dekors und verwöhnte, biestige Gemüter zum Leben erweckt wird. Natürlich ist es wahr, dass eine Episode, die sich „Der Tod des Apothekers“ nennt, Erwartungen weckt, der Plot müsste zu gewissen Teilen in der vom Titel angedeuteten Apotheke anzusiedeln sein, doch die Stadtvilla der Lahusers entschädigt für enttäuschte Vermutungen voll und ganz. Es bleibt lediglich, sich zu fragen, wie sich ein Apotheker eine solche Behausung leisten kann, die selbst die schicke Wohnung des „Klassenbesten“ Dr. Anders aus der 121. „Derrick“-Episode mit der kleinen Fingerspitze aussticht.

Hin und wieder erliegt man dem Gefühl, man hätte inszenatorisch mehr aus der Folge, die vor Neid, Missgunst und Doppelleben nur so trieft, herausholen können als die übliche Standardkost, die Michael Braun uns hier in diversen Szenen alternativlos auftischt. Doch diese Annahme gerät genau zweimal in den Hintergrund, wenn man auf Einstellungen trifft, die für die Verhältnisse des Regisseurs über eine unerwartete Kunstfertigkeit verfügen. Sie sind in ihrer endgültigen Form aller Wahrscheinlichkeit nach zu nicht unwesentlichen Teilen auch dem Drehbuch zu verdanken, weil sie sowohl bei der gemeinsamen Beratung in der Caféteria, in der das „Kommissar“-Team alle Tätermöglichkeiten durchgeht und Pro und Contra sammelt, als auch dem suggestiven Insbildrücken der Schneiderpuppe, mit der der Zuschauer einen Wissensvorsprung gegenüber den Ermittlern herausarbeitet, eng mit dem Inhalt verwoben sind. Dennoch: Davon unabhängige kreative Einfälle à la Becker oder Haugk gibt es nicht.

Das wird ausgeglichen von einer gut aufgelegten Besetzung. Während Percy Lister schreibt, die Charaktere würden Langeweile beim Zuschauer hervorrufen, habe ich mich instinktiv sogleich auf die Seite des geistesgegenwärtigen und schnippischen Edward Scholl geschlagen, wobei sicher half, dass dieser von Wolf Roth gespielt wird, bei dem es sich erwiesenermaßen um einen meiner Lieblingsakteure handelt. Roth verleiht der vielschichtigen Rolle Esprit und eine lebemännische Ausstrahlung, ohne billig oder heruntergekommen zu wirken. Unter den gefühlten Millionen Studenten in den ZDF-Abendkrimis nimmt er jedenfalls eine hervorstechende und äußerst sympathische Position ein, was ihn nicht davon abhält, zum ganz engen Kreis der Verdächtigen gezählt zu werden. Christine Schuberth ist zwar wie ihr Filmehemann Josef Meinrad, der in kurzen, aber memorablen Rückblenden gesichtet werden kann, gebürtige Österreicherin, geht in meinen Augen aber immer als eine Art zweite Uschi Glas durch, was Ausstrahlung und Art des Schauspiels betrifft. Überraschend und mit großer Variation ihres üblichen Auftretens zeigt sich dagegen Corny Collins, die man selten so mondän und selbstsicher wie in dieser Produktion erleben konnte.

Clevere Geschichte in biederer Inszenierung, getragen von einer Reihe gern gesehener Schauspieler. „Der Tod des Apothekers“ ist eine starke Episode, der jedoch der Aufstieg in die „Kommissar“-Oberliga durch Abzüge in der B-Note verwährt bleibt. Eine „Wohlfühlfolge“, wie Georg meint, bleibt sie aber trotzdem. Auf keinen Fall weniger als:

(4 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Inspektor Walter Grabert, dem in der Kantine etwas an der Sache nicht schmeckt
||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 7: Episode 91 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Michael Braun. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Elmar Wepper. Unter Verdacht: Josef Meinrad, Wolf Roth, Christine Schuberth, Gerd Vespermann, Corny Collins, Wolf Richards, Erich Fritze, Michael Brennicke u.a. Erstsendung: 5. September 1975.

Mr Keeney Offline




Beiträge: 1.365

11.04.2013 13:50
#394 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #393
Das wird ausgeglichen von einer gut aufgelegten Besetzung. Während Percy Lister schreibt, die Charaktere würden Langeweile beim Zuschauer hervorrufen, habe ich mich instinktiv sogleich auf die Seite des geistesgegenwärtigen und schnippischen Edward Scholl geschlagen, wobei sicher half, dass dieser von Wolf Roth gespielt wird, bei dem es sich erwiesenermaßen um einen meiner Lieblingsakteure handelt. Roth verleiht der vielschichtigen Rolle Esprit und eine lebemännische Ausstrahlung, ohne billig oder heruntergekommen zu wirken. Unter den gefühlten Millionen Studenten in den ZDF-Abendkrimis nimmt er jedenfalls eine hervorstechende und äußerst sympathische Position ein, was ihn nicht davon abhält, zum ganz engen Kreis der Verdächtigen gezählt zu werden.

Kleines Kuriosum hierzu am Rande: Wolf Roth war es vergönnt, zunächst beim „Tod des Apothekers“ mitzuwirken, um dann, gut 10 Jahre später bei „Der Alte“, „Die Angst des Apothekers“ (hautnah!) zu erleben…

Sowohl Lowitz als auch Ode hatten sich zum baldigen Ausklang ihrer Ermittlertätigkeit mit problembehafteten Apothekern zu beschäftigen.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

15.04.2013 12:30
#395 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



Der Kommissar: Noch 10 Minuten zu leben

Zitat von Der Kommissar: Noch 10 Minuten zu leben
Großer Empfang im Hause Lenhard. Die Gäste strömen in Scharen herbei, nur der Gastgeber lässt noch auf sich warten. Und als er endlich ankommt, hat er nur mehr zehn Minuten zu leben. Dann werden alle Besucher Zeugen eines schauerlichen Todesschreis, der das Ende des Herrn Lenhard verkündet. Offenbar wurde er von einem Einbrecher überrascht und getötet. Der Kommissar und sein Team hegen Zweifel an dieser Theorie ...


Die Besprechung enthält Spoiler.

Den ZDF-Krimis kann man die Begabung attestieren, den Zuschauer schnell und elegant in große, eingeschworene Personengruppen einzuführen. Man fühlt sich etwas fehl am Platz, den bedeutsamen Bossen, Bonzen und ihren repräsentativen Gattinnen über die Schulter zu schauen, wie sie gekünstelte Komplimente austauschen und versuchen, profitable Geschäftsverbindungen mittels elitärer Kleiderordnung und aufwändiger Buffets zu pflegen. Man kennt sich, man unterstützt sich. In diese Aura wirtschaftlicher Umtriebigkeit bricht urplötzlich ein Mord. Er wirkt inszeniert – und genau das ist der Dreh, der den Zuschauer und die Ermittler in der kommenden Stunde beschäftigen soll.

Es ist schon ein wenig ärgerlich, dass Herbert Reinecker seine Mordplanung und -durchführung bei „Neues vom Hexer“ ohne Variation abschaute. Nicht nur muss man ihm dafür ein Minus in puncto Einfallsreichtum ins Merkheft eintragen, auch passt das Ganze irgendwie nicht zur realitätsnahen Ausrichtung der „Kommissar“-Serie. Wie Mr. Keeney richtig ausführt, stört das bei der etwas fantastischen Vorgehensweise der Wallace-Mörder nicht, ist hier aber recht deplaciert:

Zitat von Mr Keeney im Beitrag Bewertet: "Neues vom Hexer" (1965, 19)
Wobei die „Idee mit dem Tonband“ mich im Umfeld von etwas realistischeren Serien wie „Der Kommissar“ (im Gegensatz zu Wallace) immer als realitätsfremd und zu unglaubwürdig etwas abstößt.

Um die Schwächen des Mordplans auszugleichen, bemüht das Script einige amüsante Szenen mit dem Ermittlerteam. Zudem legte sich Ringelmann bei der Besetzung ins Zeug, die schon beinah verschwenderisch anmutet und klassische Wallace-Mimen wie Eric Pohlmann und Tilo von Berlepsch in Rollen zeigt, die eigentlich kaum der Rede wert sind und nur als Stichwortgeber für Alibizwecke dienen. Dagegen stehen die TV-Dauerbrenner Goslar und Wodetzky im Mittelpunkt des Interesses – sie agieren wie gewohnt mit einer unterkühlten Strenge, die die inneren Flammen nur in standardisierten Umarmungen erkennen lässt. Grünwald eben.

Den undankbarsten Part hat Luitgard Im erwischt, die gern ihrem Bruder ins Jenseits hätte folgen dürfen, nachdem sie Gerüchte in die Welt setzt, die zwar der Wahrheit entsprechen, aber offen von Abneigung und Missgunst bestimmt sind. Es liegt unter der Würde des Kripo-Teams, solche Anschuldigungen zum Grund zu nehmen, gegen bestimmte Personen zu ermitteln.

Angenehmer fallen die Aufnahmen in der Villa und ihrem weitläufigen Garten aus; ebenso darf man einen Blick auf die obligatorische idyllische Hütte am See werfen, die so oft auftaucht, dass man kommende Bewohner bereits vor üblen kriminellen Machenschaften, die sie ereilen werden, warnen kann. Ebenso weit verbreitet ist das Phänomen, dass Reinecker gern außergewöhnliche Titel für seine Bücher wählte. Dieser hier überspannt den Bogen leider etwas zu sehr, indem er eine Bedrohung andeutet, die es gar nicht gibt. Man fühlt sich auf ähnliche Psychospiele wie in dem vergleichbar betitelten Film Noir „Du lebst noch 105 Minuten“ eingestimmt und ist dann enttäuscht, wenn man nicht nur auf Barbara Stanwyck, sondern auch auf die innuierte Spannung verzichten muss.

Es ist sicher immer schon grundsätzlich erfreulich, dem „Kommissar“ in einem Edelmilieu zu begegnen und nicht in Kneipen, Bahnhofsviertel, Drogenbars und zerrütteten Absteiger-Familien. Dennoch gelingt nicht jeder Grünwald-Fall ganz automatisch, vor allem wenn der Mord als zentrales Krimielement zu wünschen übrig lässt. Erfreulich an „Noch 10 Minuten zu leben“ ist in erster Linie der Cast – das reicht für:

(3,5 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Inspektor Robert Heines und der spektakuläre Fall seiner Theorie
||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 8: Episode 90 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Elmar Wepper, Helma Seitz. Unter Verdacht: Christine Wodetzky, Wolfgang Stumpf, Jürgen Goslar, Gerlinde Locker, Ute Willing, Luitgart Im, Erich Pohlmann, Tilo von Berlepsch u.a. Erstsendung: 25. Juli 1975.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

20.04.2013 15:55
#396 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



Der Kommissar: Sturz aus großer Höhe

Zitat von Der Kommissar: Sturz aus großer Höhe
Wenn ein Mann vom Himmel fällt, muss das nicht unbedingt eine göttliche Erscheinung sein. Ein verunglückter Fassadenkletterer tut es auch: Walter Kobenz, so meint die Kripo, ist bei einem Einbruchsversuch versehentlich ausgerutscht und in den Tod gestürzt. Bald jedoch ergeben sich Hinweise darauf, dass etwas an der Geschichte nicht stimmt. Die Wohnung, auf die Kobenz es abgesehen hatte, steht nämlich leer ...


Die Besprechung enthält Spoiler.

„Sturz aus großer Höhe“ spricht mich vom Titel her ganz besonders an: Wer selbst gehörigen Respekt vor der Tiefe hat, in dem erwecken schwindelerregende Bilder eigentlich immer ein beklemmendes Gefühl, das einen unmittelbar an den Bildschirm fesselt. In solchen Fällen begegnen wir ihm in Reinform: dem „Autounfall-Phänomen“ – einer unangenehmen Situation, die trotzdem den Blick unweigerlich auf sich zieht. Dies gilt auch für die Einstiegsszene dieses 89. „Kommissars“, als der junge Fassadenkletterer Walter Kobenz ohne Sicherungsleine die Außenwand eines Hochhauskomplexes erklimmt, die Kamera dabei bedrohlich über ihm schwebt und der Abgrund von Augenblick zu Augenblick wächst. Der Titel erweist sich in dieser ersten Minute als ungeheuer gelungen, weil er dem Publikum versichert, dass alles in einem Missgeschick enden und der Mann das Gleichgewicht verlieren wird. Die Vorahnung erfüllt sich auch prompt – nur wäre es kein „Kommissar“, wenn nicht eine helfende Hand an diesem Sturz mitbeteiligt gewesen wäre!

So weit, so überzeugend. Nur beschränken sich Erwartungen und Vorfreuden meist nicht auf die Prätitelsequenz. Was ich in erster Linie mit der Folge verband, war die Nennung von Ulrich Beiger in allen Cast-Angaben. Da es sich um Beigers einzigen „Kommissar“-Auftritt handelt, lehnte ich mich zurück und freute mich, ihn schon bald als Schnäppchenjäger auf der Suche nach einem Jaguar (dem Auto) zu begegnen. Nahm ich jedoch an, man würde diesen Interessenten an Walter Kobenz’ ergaunertem Eigentum als einen der Verdächtigen aufbauen, lag ich meilenweit daneben, denn nach der einen Szene im Apartment des Toten taucht Beiger gar nicht erst nochmal auf! Stattdessen bewegt sich die Geschichte in eine unangenehme Richtung, indem sie in Kreise einer merkwürdigen Sekte abtaucht, die sich „Jesus People“ nennt (wahrscheinlich, weil es ihr zu altmodisch war, unter dem Banner „Mission“ oder „Heilsarmee“ zu firmieren). Reinecker nimmt sich überaus viel Zeit, die Anschauungen der Weltverbesserer zu beleuchten und lässt Keller und Klein sogar auf den Hokuspokus hereinfallen und zum Essen bleiben. Der sachliche Robert ist der, der den klaren Blick bewahrt und pflichtschuldig mit den Augen rollt, als ihm der predigende Kobenz-Bruder in die Finger gerät.

Was bleibt abseits der Wohlfahrt? Der Plot von „Sturz nach großer Höhe“ ist sehr konservativ gestrickt und wartet mit einer „Kommissar“-typischen Whodunitfrage auf. Ungünstig auf diese Konstellation wirkt sich aus, dass diese Folge zu jenen gehört, in denen die Namen auf der Besetzungsliste schon viel über Täter- bzw. Mittäterschaft verraten. Es macht jedenfalls stutzig, dass Walter Giller erst in der 22. Minute auftritt und auch weiterhin Nebenfigur bleibt – wenn da nicht ... – Abseits der Giller-Darbietung freue ich mich über jedes Wiedersehen mit dem durchtriebenen Hans-Dieter Zeidler, dem man zwar eine klischeebehaftete Rolle aufs Auge gedrückt hat, die so in jedem Wallace-Film vorkommen könnte, der aber trotzdem nicht unwesentlich zum Gesamteindruck beiträgt.

„Sturz aus großer Höhe“ scheitert daran, dass die Episode die eingangs versprochene Spannung nicht halten kann und immer weiter in nichtige Gespräche und uninteressante Szenenwechsel abdriftet. Es hat schon etwas zu bedeuten, wenn ich einen „Kommissar“ zum ersten Mal sehe, aber trotzdem nach der halben Laufzeit dem Verlangen nachgebe, etwas anderes nebenbei zu erledigen. Alte Gretchenfrage: Könnte es am Regisseur liegen?

Viele gute Ansätze werden nicht ausreichend bis zum Ende verfolgt, verlaufen im Sande und weichen irrelevantem Geschwafel. Wenn auch Herbert Keller sein böses Gesicht gegenüber den dienstbeflissenen Mitarbeitern zeigt, so verleiht Rehbeinchen dem Kriminalbüro doch eine sehr menschliche Seite: Cola gab es damals noch für wartende Verdächtige – bei Derrick kaum mehr vorstellbar („Ein Coala? Harry, wir sind doch hier nicht in Australien!“).

(3 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Inspektor Robert Heines, dessen nervenaufreibende Überstunden ein Dienstbier rechtfertigen
||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 9: Episode 89 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Michael Braun. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Elmar Wepper, Helma Seitz. Unter Verdacht: Walter Giller, Eva Berthold, Hans-Dieter Zeidler, Wolfram Weniger, Kathrin Ackermann, Johannes Schaaf, Rebecca Völz, Ulrich Beiger u.a. Erstsendung: 20. Juni 1975.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

20.04.2013 17:03
#397 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #396
Alte Gretchenfrage: Könnte es am Regisseur liegen?

Für mich: definitiv nein. Ich mag Brauns Regiearbeiten sehr gerne und habe sicherlich an die 200 Serienepisoden von ihm gesehen. Seine Kommissar-Folgen mag ich alle samt. Aber wie sovieles ist das Ansichtssache. Du magst ja dafür Grädler :-).

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

28.04.2013 14:25
#398 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



Der Kommissar: Die Kusine

Zitat von Der Kommissar: Die Kusine
Gottesanbeterinnen verspeisen das Männchen nach dem Geschlechtsakt. Ähnlich geht das junge Mädchen vor, das in Münchner Szenevierteln Freier aufreißt und gemeinsam mit ihnen eine tödliche Autofahrt unternimmt. Doch halt: Da ist noch die ominöse Kusine der Frau – ist sie etwa die Täterin? ‚Wie könnte man das leichter herausfinden als am eigenen Körper?’ denkt sich Erwin Klein und geht in Schwabing auf die Pirsch ...


„Die Kusine“ wartet mit vielen Dingen auf, die eine „Kommissar“-Folge potenziell verderben können: nächtliche Bars, Männer mit primitiven Bedürfnissen und Täter mit einem familiären Hintergrund, der diese Bezeichnung überhaupt nicht verdient. Auch kriminalistisch gibt es einige äußerst gewagte Annahmen: Eine junge Frau, die von Zeugen mit den Worten „Sie sah aus wie ein Kind“ beschrieben wird, kann für Keller & Co. schon einmal von vornherein nicht die Täterin sein – dafür läuft sie Erwin aber prompt über den Weg (und München ist eben doch ein Dorf). Aus Zufall, auf den sich, wie der Kommissar kurz zuvor noch mahnte, kein Kriminalist verlassen sollte. Auch eine andere seiner Aussagen, die zum Schmunzeln verleitet, wird in der Episode in mehrfacher Hinsicht ad absurdum geführt: „Es gibt immer zwei Möglichkeiten: eine positive und eine negative. Wir entscheiden uns dann für die negative“, gibt er mit resigniertem Sarkasmus zum Besten, hat dabei aber vergessen, dass der ja nur als Puppe des ungebrochenen Reinecker-Optimismus agiert: Wo Böses herrscht, ist die Bestrafung am Ende doch nicht weit.

Trotz einiger gewagter Konstellationen entpuppt sich „Die Kusine“ als ein absolutes Kleinod. Woran das liegt, ist schwer einzuordnen. Vielleicht hat Helmuth Ashley, der hiermit seine letzte Regie-Arbeit für den „Kommissar“ ablieferte, einfach begriffen, wie viel man zeigen kann und was man verbergen, in welchen Portionen man Sex & Crime dosieren muss. In sich ist die Folge einfach stimmig und vernachlässigt nie den Fall zugunsten der aufreißerischen Umgebung. Im Gegenteil: Das ganze Team ist zu vielen Laufereien und Deduktionen eingeladen, wobei besonders Erwin heraussticht und sich in spannenden Szenen der gefährlichen Renate Billert nähern darf. Vieles an diesen Sequenzen bekommt einen beinahe surrealen Anstrich, nicht zuletzt was den Schießstand im Hinterzimmer des Nachtlokals betrifft. Und natürlich Vioffs Rolle, die den Begriff Verbrechertum auf ein ganz neues, perverses Niveau hebt.

Auch wenn häufig erwähnt wird, welche verblüffenden Ähnlichkeiten dieser Fall doch zur „Stahlnetz“-Episode „Spur 211“ besitze, so sind die beiden Produktionen unterm Strich doch nur sehr bedingt vergleichbar. Der „Kommissar“ wirft den uneingeschränkten Realitätsbezug über Bord und entledigt sich damit des banalen Anstrichs des zentralen Hörigkeitsverhältnisses. Worüber man sich in „Spur 211“ noch ärgerte, das entwickelt in „Die Kusine“ eine seltsame, nicht greifbare Faszination, die wie auch bei Erwin die Frage nach einer letzten Grenze, einer Sperre im Kopf, gegen die Schädeldecke hämmern lässt. Wie weit Renate Billert gehen wird, ist dann auch die Frage in einem Showdown ohne eigentliche Beweise, in dem alles von ihrer Aussage abhängt.

Mit Agnes Dünneisen ist die perfekte Schauspielerin für den Part der unter Druck gesetzten Erfüllungsgehilfin gefunden worden. Ich stelle fest, dass sie mir in bisher allen mir bekannten Auftritten außerordentlich gut gefallen hat (es regnete auch je 5 Punkte für die „Derrick“-Episoden „Tod des Wucherers“ und „Abitur“) – in „Die Kusine“ setzt sie dem Ganzen aber noch die Krone auf. Unsicherheit und Zerbrechlichkeit liegen ihr ausgesprochen gut, besser noch als das später zur Schau gestellte Aufrührertum.

Spannung pur: Die nicht gezeigten Morde, ein skurriler Kleidertrick und Charaktere aus dem Gruselkabinett machen die mörderische Kusine zu einem Volltreffer. Dafür gibt es keinen gelben Teddy, sondern passend zu den bevorzugten Aufenthaltsorten von Renate Billert und Helmut Hagen ...

(5 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Kriminalhauptmeister Erwin Klein auf der Balz mit der Kusine der Kusine
||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 10: Episode 88 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Helmuth Ashley. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Elmar Wepper, Helma Seitz. Unter Verdacht: Udo Vioff, Agnes Dünneisen, Rainer Basedow, Thomas Astan, Sigurd Fitzek, Joachim Regelien, Andrea Wildner, Laurence Bien u.a. Erstsendung: 23. Mai 1975.

Gubanov ( gelöscht )
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29.04.2013 10:24
#399 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Der „Kommissar“-Countdown wäre natürlich nicht vollständig, würde er nicht alle 97 Folgen umfassen. Dank der freundlichen Mithilfe eines Forummitglieds bin ich auch zu den drei Folgen gekommen, die im DVD-Set von Universum Film nicht enthalten sind, die hier aber ebenso Beachtung finden sollen. Als erstes betrifft das den „Mord an Dr. Winter“ und im weiteren Verlauf außerdem „Das goldene Pflaster“ (#83) und „Anonymer Anruf“ (#27).



Der Kommissar: Der Mord an Dr. Winter

Zitat von Der Kommissar: Der Mord an Dr. Winter
Ein Toter liegt im Straßengraben neben einer einsamen Landstraße. Es handelt sich um den Lehrer Dr. Winter. Dr. Winter war ein Einzelgänger, der stets eine entschiedene Unsicherheit im Umgang mit anderen Menschen an den Tag legte. Wer könnte ihn ermordet haben? Seine Kollegin, die Studienrätin Echte, hat eine Idee. Sie lenkt die Aufmerksamkeit des Kommissars auf die Clique der Schülerin Hanna Bauer.


Dass Herbert Reinecker im „Kommissar“ mehr als bei „Derrick“ immer wieder ganze Episoden im Dunstkreis des Bildungswesens ansiedelte, freut mich aus naheliegenden Gründen jedes Mal aufs Neue. Gerade Reineckers Lehrerfiguren, die in Folgen wie „Auf dem Stundenplan: Mord“, „Tod eines Schulmädchens“ und „Der Mord an Dr. Winter“ auftauchen, sind Musterbeispiele dafür, wie man als Pädagoge tunlichst nicht auftreten sollte. In jenen Münchner Klassenräumen, die von Scheinwerfern des ZDF erhellt werden, sticht eine Atmosphäre des gegenseitigen Misstrauens, eines Clashs generationenbedingter Unterschiede hervor. Die These: Solange nicht eine der Generationen bereit ist, sich der anderen anzunähern, scheitert das Zusammenleben von Schülern und Lehrern zwangsläufig. Die logische Schlussfolgerung: Schuld an explosiven Entwicklungen tragen beide gegnerischen Lager gleichermaßen, auch wenn eine gewisse Tränendrüsenmassage am Ende von „Der Mord an Dr. Winter“ eindeutige Schlagseite aufzeigt.

Dr. Winter ist es, der sich wider besseren Wissens tagtäglich in die Höhle des Löwen wagt und sich dabei sehr wohl bewusst ist, den falschen Beruf gewählt zu haben. Rudolf Platte tut das, was er am besten kann, und präsentiert den hochintelligenten, aber soziopathischen Studienrat als Nervenbündel, das geradezu dazu einlädt, ausgelacht und ausgenutzt zu werden. Das alte Sprichwort trifft in seiner ganzen Erbarmungslosigkeit zu: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Und dass in dem alten Narren während des offensichtlich auf eigene Vorteilnahme ausgerichteten Annäherungsversuchs der Schüler tatsächlich Hoffnungen aufkeimen, pflastert die letzten Meter bis zu Dr. Winters unausweichlichem Ende. Mit diesem setzt sich der Titel der Folge auf unkonventionelle Weise in Beziehung: Auch nach der Aufklärung der Tatumstände skandiert der Abspann in Großbuchstaben: „DER MORD AN DR. WINTER“ – wir erinnern uns an Reineckers weitreichende Definition von Mord, die über die des Gesetzbuchs weit hinausgeht.

Der Zeigefinger piekt den Zuschauer beinah in beide Augen, zieht jedoch fast immer im letzten Moment geschickt zurück, wenn Situationen in blanken Humor aufgelöst werden. Einen Gegenpol zum undurchsichtigen Spiel der attraktiven Jungdarstellerin Andrea L’Arronge und des schon vor „Schwarzwaldklinik“- und „Traumschiff“-Zeiten allzu schnöseligen Sascha Hehn etabliert Xenia Pörtner in einer urkomischen Rolle als verpeilte Mutterdiva, die von Wohl und Wehe ihres Kindes nicht den geringsten Schimmer hat. Reinecker verkleidet in dieser Rolle familiäre Beweggründe für asoziales Handeln in so leichtfüßigem Gewand wie selten sonst.

Für Johannes Schaaf war „Der Mord an Dr. Winter“ die einzige „Kommissar“-Episode, in der er Regieverantwortung übertragen bekam. Dieser Personalie ist es zuzuschreiben, dass die Folge in den 2011 erschienenen DVD-Boxsets nicht enthalten ist: Schaaf verweigerte seine Zustimmung zur Auswertung – ein weniger trivialer Grund der Auslassung lässt sich beim besten Willen nicht finden. Immerhin sind die beiden Folgen, in denen er als Schauspieler auftrat (#89, „Sturz aus großer Höhe“, und #96, „Der Held des Tages“), sowie seine Regiearbeiten für „Der Alte“, nicht von diesem ärgerlichen Veto betroffen.

Was als simple Mordsache beginnt, weitet sich zu einer interessanten moralischen Betrachtung aus, die mehr Relevanz als viele verwandte Folgen aufweist und von skurrilen, aber auf seltsame Art zielstrebigen Charakteren getragen wird. „Der Mord an Dr. Winter“ unterhält als einer der anspruchsvolleren „Kommissare“ und brilliert in Besetzung und technischer Ausführung.

(5 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Kommissar Herbert Keller, der mit Altersweisheit gegen junge Besserwisser antritt
||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 11: Episode 87 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Johannes Schaaf. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Reinhard Glemnitz, Elmar Wepper. Unter Verdacht: Rudolf Platte, Marianne Hoppe, Andrea L’Arronge, Werner Schnitzler, Sascha Hehn, Helmut Stange, Xenia Pörtner, Heinz Meier u.a. Erstsendung: 25. April 1975.

Gubanov ( gelöscht )
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29.04.2013 12:45
#400 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



Der Kommissar: Ein Mord auf dem Lande

Zitat von Der Kommissar: Ein Mord auf dem Lande
Die Brutalität des Wirtshausbesitzers Alfons Tolke ist im ganzen Dorf bekannt. Er verprügelt seine Kinder und den Kellner. Als er eines Abends wieder betrunken auf sie losgeht, kommt es zum Äußersten. Am nächsten Morgen rückt die Kripo an: Man hat Tolke den Kopf mit einem Beil eingeschlagen. Einer der Vier muss es gewesen sein, da sind sich alle einig. Aber das Dorf ist auf der Seite der Hinterbliebenen – aus verschiedenen Gründen ...


Die Besprechung enthält Spoiler.

Theodor Grädler nimmt beim „Kommissar“ eine Sonderstellung als Fachmann für unangenehme Situationen ein. Die Arbeiten keines anderen Regisseurs innerhalb der Reihe sind so durch aufreibende Probleme bestimmt – wobei es Grädler stets gelingt, deutlich zu machen, dass genau diese Probleme weniger bei sozialen Fehlstrukturen als bei den betroffenen Personen selbst liegen. Der gewohnheitsmäßige Säufer Albert Kempe ist derjenige, der die Schuld trägt an seinem eigenen Verderben und dem Verderben der Familie in „Fährt der Zug nach Italien?“, nicht eine imaginäre gesellschaftliche Lücke, die dafür zur Verantwortung gezogen werden könnte, Kempe nicht genug im Umgang mit dem Leben geschult zu haben. In eine ganz ähnliche Kategorie fallen die Tolkes in dieser etwas einfallslos als „Ein Mord auf dem Lande“ betitelten Folge. Sie geht noch einen Schritt weiter und fragt: Kann nicht in einem Einzelfall ein Mord gutgeheißen und verteidigt werden, wenn vom Mordopfer nur Schlechtes ausging?

Diese Rhetorik kennt man von Herbert Reinecker und man weiß schon im Vornherein, wie er und mit ihm sein Sprachrohr Kommissar Keller das Problem beantworten. Was der simpel gestrickte Zuschauer dieser Episode den Bedenkenträgern, Prinzipienreitern und Moralaposteln voraus hat, ist, dass er vor der Tat hautnah einen Blick auf die Vorgänge werfen konnte, die als Beweggründe für den Mord an Alfons Tolke angenommen werden. Dass diese die Frage nach Verhältnismäßigkeiten und „guten“ Mordmotiven aufwerfen, verdeutlicht einmal mehr, mit welcher Intensität und dramatischen Begabung Theodor Grädler derlei Vorkommnisse ins rechte Licht zu rücken verstand. Zugegeben: Ihm halfen sowohl der ewig bedrohliche Giftzwerg Walter Sedlmayr (diesmal über das übliche Grantlerniveau beeindruckend hinauswachsend) sowie eine peitschende Musikuntermalung, die gleichzeitig in die Beine geht und in die Knochen fährt.

Der misshandelte Rumpf der Familie, der letztendlich übrig bleibt, erhält durch die glaubhafte, sehr rechtschaffen wirkende Lis Verhoeven eine agile Kontaktperson mit Kripo und Publikum. Verhoeven zeigt ebenso wie Frithjof Vierock eine Leistung, die lange im Gedächtnis bleiben wird, während Jutta Speidel und Martin Semmelrogge allein aus der Anlage ihrer Figuren heraus nur wie leere Hülsen, Stichwortgeber und funktionslose Erweiterungen des Verdächtigenkreises wirken. Seitwärts ins Spiel grätscht Werner Kreindl, der im Laufe der Ermittlungen immer mehr an Bedeutung gewinnt und dafür sorgt, dass die Tolkes einem Bilderbuchende entgegenblicken können: Mit seiner Enttarnung als Täter bleibt gewährleistet, dass eine Rechtsverfolgung des Mörders nicht den Unmut des Publikums erregt, weil das Mordmotiv statt in verkorkster Notwehr in einfach zu verurteilender Habgier besteht. Diese Lösung, die es sich etwas zu leicht macht, sieht man schon länger kommen, weil man sie sich aber auch irgendwie wünscht, gibt es dafür nur geringen Punktabzug.

„Ein Mord auf dem Lande“ gestaltet sich als abwechslungsreiches Experiment von Solidarität. Einerseits treten die Kinder Tolkes füreinander so gut wie eben möglich ein, andererseits ist ihnen aus der Dorfgemeinschaft Unterstützung sicher. Diese hat noch gut den Tod der Mutter in Erinnerung, an dem Alfons Tolke nicht unbeteiligt war, und hegt nun völliges Verständnis für die Höllenfahrt des Tyrannen. In der diesbezüglichen Erklärung des Wirtshausstammgasts Oberländer schwingt jedoch eine makabere Note mit: Jedes derartige Angebot ist zwangsläufig auch an die Annahme gekoppelt, dass die Kinder eine Verantwortung auf sich geladen haben, die die Unterstützung überhaupt erforderlich macht.

Die düstere Geschichte ist ein ganz typisches Konstrukt der Serie „Der Kommissar“ mit den üblichen Fragen, mit denen Herbert Reinecker das Gerechtigkeitsbewusstsein seines Publikums trainieren wollte. Wer sich zum Zirkushund dressiert sieht, dem sei die Beleidigung gegönnt. Schauspieler, Musik und Regie sorgen allerdings dafür, dass die Leine ein wenig gelockert wird.

(4 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Kommissar Herbert Keller, der eine entschiedene Abneigung gegen Musik entwickelt
||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 12: Episode 86 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Elmar Wepper. Unter Verdacht: Walter Sedlmayr, Lis Verhoeven, Martin Semmelrogge, Jutta Speidel, Frithjof Vierock, Werner Kreindl, Ella Büchi, Willy Schultes u.a. Erstsendung: 14. März 1975.

Prisma Offline




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01.05.2013 12:14
#401 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



TOD EINES LADENBESITZERS (Folge 36)

mit Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz
Gäste: Curt Bois, Werner Kreindl, Hans Herrmann Schaufuss, Fritz Rasp, Margarethe von Trotta, Lisa Helwig, u.a.
Regie: Wolfgang Staudte



Aufruhr in einer kleinen Ortschaft. Kurz nachdem der Kleinhändler Heinze sein Ladenlokal abgeschlossen hat, geschieht ein Verbrechen. Als Kommissar Keller und seine Leute den Tatort untersuchen, scheint es zunächst klar zu sein, dass der Erschlagene einem Raubmord zum Opfer gefallen ist. Doch handelt es sich wirklich um dieses Tatmotiv? Die Ermittlungen ergeben, dass der Ladenbesitzer nicht sehr umgänglich war, und die ältere Kundschaft eines nahe liegenden Seniorenheims sehr schlecht behandelte. Plötzlich steht das Rachemotiv im Raum, was Kommissar Keller veranlasst, sich näher mit den alten Herren des Heims zu beschäftigen...

Ein alter Mann steht vor dem Spirituoren-Sortiment und hat die selben glänzenden Augen wie sie Kinder haben, wenn sie vor dem Süßigkeiten-Regal stehen. Doch diese beinahe unschuldig wirkende Situation wird plötzlich durch einen Zwischenfall und einen unangenehmen Ladenbesitzer gestört, der den alten Herr vor die Türe setzt und entnervt abschließt. Plötzlich geschieht ein Mord, der in Standbildern lediglich von den Schreien des Opfers untermalt wird. Schnell führt die Spur in das nahe liegende Altenheim, und es wird sich ebenso als interessant, wie auch schwierig erweisen, weil es die Polizei mit Gegenspielern zu tun bekommt, die ohnehin nichts mehr zu verlieren haben. Schnell stellt sich heraus, dass das Drehbuch mit uralten Konflikten der Generationen jonglieren möchte, und die Dialoge mit der Erfahrung älterer Menschen, die in diesen Fällen nicht mehr das höchste, sondern das einzig verbliebene Gut dieser Menschen im goldenen Käfig darstellt. Die Angst ausgedient zu haben, die Furcht vor dem Abstellgleis, oder besser gesagt vor der Endstation wird quasi stillschreiend thematisiert, und die besseren Lösungen haben nun stets die jüngeren Generationen parat. Das Szenario wirkt überaus grotesk. Mord und Polizei scheinen alle Beteiligten zu belästigen, die Heimleitung kommt ins Rudern weil die mühsam aber unerbittlich aufgebaute Tagesstruktur gestört wird. Ansichten und Befehlston kommen dem Umgang in einer Kaserne gleich, der resigniert von lebenden Toten nur noch unbeteiligt quittiert wird. Die überspitzte Darstellung soll bestenfalls auf Missstände hinweisen und schlimmstenfalls die Realität schildern.

Die Heimleitung wird von Werner Kreindl ausgezeichnet dargestellt. Mit Wendungen wie »Alle Vergünstigungen werden gestrichen!« oder »Alte Leute haben ein anderes Verhältnis zur Realität!« fällt er binnen kürzester Zeit überaus unangenehm auf. Die außerordentliche Situation macht ihn nervös und er fühlt sich von der neuen Unordnung bedroht, denn sie ist einfach zu spontan für ihn. Bei den älteren Herrschaften fällt im Besonderen Curt Bois auf, der das erfahrene Sprachrohr einer kompletten Mannschaft glaubhaft darstellt. Da man versuchte, alle Generationen abzudecken und in dieser Farce zu Wort kommen zu lassen, ist der kurze Auftritt von Margarethe von Trotta noch erwähnenswert, die ihren Großvater in das Seniorenheim bringt. Obwohl kein Leerzimmer, sondern nur noch ein einzelnes Bett frei ist, lässt sie ihn zurück, da sie den alten Herrn sonst wieder mit sich nehmen müsste. Kommissar Keller geht sachlich und zielstrebig vor, vergisst es jedoch in keinem Moment, den Senioren mit Respekt gegenüber zu treten. Was ihm und dem Zuschauer so eigenartig erscheint ist, dass der Mord keinerlei Bestürzung auslöst, sondern eher Solidarität und beinahe eine neue Agilität. Der Heimleiter wittert eine Meuterei und geht mit verschärften Methoden vor, um die renitenten Gäste in die Schranken zu weisen. Folge 36 ist insgesamt schön fotografiert worden und überrascht mit einer eigenartigen, hinsichtlich des Geschehens beißend und kontrakt wirkenden Musik. Wolfgang Staudte inszenierte schließlich nicht uninteressant, jedoch basiert diese Folge, aus der man das Möglichste herausnehmen konnte, auf Unwahrscheinlichkeiten und kippt für meinen Geschmack Thematisch gesehen zum Ende hin leider erwartungsgemäß um, da kann auch die ziemlich spannend inszenierte finale Sequenz nicht drüber hinwegtäuschen. Zu viele dumpf klingende, unangenehm formulierte Untertöne und eine entgleiste Absolution für ein Verbrechen haben mich schließlich nicht überzeugen können.

Prisma Offline




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01.05.2013 15:50
#402 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



DIE ANDERE SEITE DER STRAßE (Folge 37)

mit Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Helma Seitz
Gäste: Gisela Dreyer, Bruno Hübner, Christine Ostermayer, Gerd Baltus, Kurt Beck, Klaus Höhne, Hans Brenner, u.a.
Regie: Theodor Grädler



Auf offener Straße wird ein Mann erschossen, der zuvor in panischer Angst umher lief, und Kommissar Keller geht davon aus, dass der Fall schnell geklärt werden kann, da es genügend Augenzeugen zu geben scheint. Doch zu seiner Verwunderung will niemand der Befragten etwas gesehen haben. Egal wie die Verhöre ablaufen, es herrscht Schweigen. Auch gutes Zureden oder verschärfte Befragungen helfen bei den Ermittlungen nicht weiter. Es scheint, als seien alle Aussagen gut abgesprochen worden zu sein, doch was steckt wirklich dahinter? Erst als ein weiterer Mord geschieht, kann der Kommissar dem Mörder eine Falle stellen...

"Die andere Seite der Straße" ist eine der erstaunlichsten Folgen der gesamten Kommissar-Reihe! Erstaunlich deswegen, weil sich innerhalb von nur 90 Sekunden deutlich herausstellt, dass es für den ersten Mord tatsächlich nur zwei Verdächtige geben kann, es sei denn man ist schwerhörig. Nach zehn Minuten ist dann auch schon völlig klar, dass nur noch eine in Frage kommende Person übrig bleiben wird. Also musste noch ein zweiter Mord her. Schnell findet man sich in einem heruntergekommenen Viertel wieder, in dem es von zwielichtigen Gestalten nur so zu wimmeln scheint, die man vorzugsweise in der nahe gelegenen Nacht-Bar finden kann. Es ist schier unglaublich, dass man das Potential dieser Folge im Handumdrehen verplemperte. Die Idee, dass alle, die den Mord gesehen haben schweigen, ist vom Prinzip her ganz originell, da es unter diesen Umständen einige Möglichkeiten gibt, den Fall aufzurollen und das Warum exponiert in Erscheinung treten zu lassen. Doch Theodor Grädler kam erst gar nicht auf diesen Dreh, und er inszenierte von Anfang bis Ende unspektakulär und entsetzlich langweilig. Eintönige, schrecklich oberflächliche Wischi-Waschi-Dialoge, ermüdende Befragungen von stummen Zeugen und weitgehend uninteressante Charaktere machen Folge 37 zu einer Geduldsprobe. Selbst die permanenten Ortswechsel wirken hier wie eine Katze die sich in den Schwanz beißt, und auch die modernere Musik sorgt nicht für eine gewünschte, erfrischende Note.

Die Rollenverteilungen wirken wie ein russisches Roulette an Klischees. Da es wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, die schwachen Eindrücke zu schildern, sollen die soliden Auftritte lobend erwähnt werden. Kurt Beck wirkt überzeugend und agiert angemessen, ihn hätte man tatsächlich gerne häufiger in derartigen Rollen oder Serien gesehen, ansonsten ist für mich nur Gisela Dreyer zu erwähnen, die sich von allen anderen Beteiligten in Darstellung und Anlegung abheben kann. Mit ihrer Traurigkeit und Resignation zieht sie immer wieder versteckte, mitleidige Blicke auf sich, sie stellt eine besonders authentisch wirkende Schlüsselfigur im Dickicht der verkommenen Kneipe dar. Ansonsten hat man es reihenweise mit gescheiterten Existenzen zu tun, oder solchen, die auf dem besten Wege dazu sind. Der zweite Mord bringt nochmal eine gewisse vage Spannung in die Geschichte und stiftet bestenfalls zunächst Verwirrung. Was man jedoch im Finale für Erklärungen aufgetischt bekommt, ist nicht unbedingt logisch, geschweige denn wahrscheinlich. Überhaupt lassen sich zahlreiche Mosaik-Steinchen finden, die etwas absurd anmuten, aber es ist dem gelangweilten Zuschauer schließlich auch irgendwie egal, da man sich das qualvolle Ende buchstäblich herbeiwünscht. Aufgesetzte Tragik, unbeholfene gesellschaftskritische Färbungen und ein im Endeffekt langatmiger Fall, machen "Die andere Seite der Straße" zu einem deutlichen Tiefpunkt der Serie. Mit Theodor Grädlers konservativer Regie ist der Jahrmarkt der Langeweile und der Unwahrscheinlichkeiten also wieder einmal eröffnet gewesen.

Percy Lister Offline



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07.05.2013 20:41
#403 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Bewertet: "Die Tote im Park" (Folge 44/ Erstsendung am 18. Februar 1972)
mit: Heidelinde Weis, Martin Held, Siegfried Lowitz, Siegfried Wischnewski, Ethel Reschke, Ann Höling, Willy Semmelrogge, Manfred Spies, Gabi Gasser - Regie: Wolfgang Staudte

Vor zwei Jahren sind die Schwestern Gerti und Erika Halonde nach München gekommen. Nachdem sie zwei Monate im Büro gearbeitet hatten, wurden sie von einem gewissen Rotter angesprochen, der den beiden jungen Frauen eine lukrativere Tätigkeit vermittelte. Nun ist Erika tot, man hat sie im Englischen Garten auf einer Parkbank gefunden. Die Prostituierte ist erwürgt worden und nun steht ihre Schwester vor einem Dilemma: Wielange kann sie dem Vater, der zur Beerdigung anreist, verheimlichen, dass auch sie diesem Gewerbe nachgeht? Der Lehrer aus Heidenheim ist ein gewissenhafter Erzieher und glaubt, Gerti arbeite immer noch als Kontoristin....

Die Episode wartet gleich mit zwei Rätseln auf: der Frage, wer Erika Halonde getötet hat und wie Herr Halonde reagieren wird, wenn er erfährt, dass beide Schwestern sich als Prostituierte betätigt haben. In Martin Held wurde ein adäquater Darsteller für die Rolle des rechtschaffenen Lehrers gefunden. Ein Mann, der Werten wie Disziplin, Tradition, Ehre und Leistung verpflichtet ist und sich rühmt, seinen Kindern eine Erziehung mit auf den Weg gegeben zu haben, die sie gegen die Unbillen des Lebens wappnet. Heidelinde Weis, der man zunächst durch ihre nüchterne Abgeklärtheit Anteilslosigkeit unterstellt, überrascht dann doch durch eindeutige Parteinahme. Sie meistert den Spagat zwischen unauffälliger Tochter und aufbegehrender Frau überzeugend. Gerti scheint aber nicht so erfolgreich gewesen zu sein wie ihre Schwester. Ihre Wohnung ist bescheidener eingerichtet; schwarzen Marmor im Badezimmer oder einen Nerz auf dem Bett sucht man bei ihr vergeblich. Wie so oft innerhalb der Kriminalserie webt das Drehbuch einen Nimbus um das Mordopfer, vor allem, wenn es jung und weiblich ist. Schön soll sie gewesen sein, aufregend und faszinierend - doch Kommissar Keller findet beim Betrachten ihrer Fotos nichts Besonderes. Wenn wir dann am Ende in das sommersprossige Gesicht von Gabi Gasser blicken, stellen wir fest, dass sie ein nettes Mädchen gewesen sein muss, aber keinesfalls außergewöhnlich. Siegfried Wischnewski und Ethel Reschke ergänzen sich als tolerantes Ehepaar, das zwar am Rande mit dem Gewerbe zu tun hat und von seinen Ausläufern profitiert, die brutalen Begleiterscheinungen - die vom notorischen Manfred Spies verkörpert werden - jedoch ablehnt. Prügel, Druck und Drohungen werden nicht gezeigt, liegen jedoch wie abgestandener Zigarettenrauch in der Luft. Die Zeugenaussagen zeichnen das Bild einer Gefahrensituation, die vom Zuseher nachvollzogen werden kann und sorgen deshalb im Finale für einen rabenschwarzen Twist, als die Gefahr urplötzlich dort lauert, wo man eigentlich Schutz erwartet hatte. In dieser Hinsicht punkten vor allem Ann Höling und Siegfried Lowitz, der aufgrund einer Arthrose an den Sessel gefesselt ist und so in scheinbar harmloser Untätigkeit auf jedes Geräusch achtet. Die Enge der Wohnungen und die Eingeschlossenheit der Mieter, die nur im Haus gezeigt werden, erfahren durch die obligatorische Kneipe und schöne Ansichten vom Münchner Hauptbahnhof (diesmal mit Panorama-Aufnahmen aus dem im Obergeschoss befindlichen Restaurant) etwas Auflockerung.

Percy Lister Offline



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08.05.2013 14:48
#404 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Bewertet: "Tod eines Hippiemädchens" (Folge 56/ Erstsendung am 2. Februar 1973)
mit: Herbert Mensching, Kornelia Boje, Brigitte Horney, Werner Pochath, Stefan Behrens, Dorothea Wieck, Harald Reeg, Otto Friebel, Ralph Martens, Franziska Liebing, Alfred Pongratz - Regie: Theodor Grädler

Im Schutzhäuschen einer Straßenbahnhaltestelle wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Karin Junker ist erstickt worden. Jemand hat ihr Nase und Mund zugehalten bis sie tot war. Die Ermittlungen der Polizei weisen in zwei gegensätzliche Richtungen: in die Villa des Landgerichtsrats Dr. Harald Tucher und zu einem 17jährigen Alkoholiker, mit dem Karin in einer Wohngemeinschaft gelebt hat. Der Sozialarbeiter Konrad kannte beide Verhältnisse der jungen Frau. Er ist es auch, der die Identifizierung der Leiche vornimmt....

Sie bilden innerhalb der "Kommissar"-Serie die Minderheit: In nur 29 von 97 Fällen sind Frauen das Mordopfer. Oft und gern wird ihre Persönlichkeit von denen, die sie kannten, verklärt und glorifiziert. Die äußere Schönheit wird als außergewöhnlich bezeichnet und nur von den inneren Werten überstrahlt. Es fällt dem Zuseher schwer, sich immer wieder aufs Neue auf diese "Traumbilder" einzulassen, gerade, wenn das Verhalten des Opfers unter allen Umständen gerechtfertigt wird. Nach Reineckers Vorstellung ist Promiskuität unter Hippies nichts Ungewöhnliches; zu denken gibt allenfalls die Tatsache, dass die sexuellen Kontakte nicht etwa aus Lust oder Liebe zustande kommen, sondern aus Barmherzigkeit. Karin Junker beglückt einsame, hilflose Männer mit ihrer Körperwärme; sie schläft mit einem Alkoholiker, um ihn von der Flasche wegzubekommen - kein Wunder, dass so viele Süchtige rückfällig werden: ohne diese spezielle Therapie! Selbst einen Mann, der mitten im Leben steht wie Dr. Tucher muss sie kurieren, schließlich leidet er unter der sinnesfeindlichen Umgebung seines Hauses. Verständlich, dass Keller diesmal seinen Jüngsten vorschiebt. Am ehesten sollte noch Harry in diesem Gefühlschaos durchblicken. Hätte Zbynek Brynych die Folge inszeniert, wäre eine wilde Sause darausgeworden und man hätte ein schrilles Zeitbild der frühen Siebziger Jahre erhalten. Mit Grädler erfährt die Handlung jedoch einen Ernst, der die Dialoge unfreiwillig komisch erscheinen lässt. Die Rechtfertigungen um jeden Preis bringen das Ermittlerteam in Verlegenheit. Karin Junker mag in ihrer Naivität wohlmeinend sein, dass sie jedoch von zwei Männern im wahrsten Sinne des Wortes aufs Kreuz gelegt wird, ist ihr nicht klar. Die Schuld am Unglück der Männer dieser Folge liegt laut Drehbuch bei den Frauen. Bei den beiden älteren Mütterfiguren, die mit harter Hand regieren und der anpassungsfähigen jungen Frau. Erstgenannte sorgen für das emotionale Defizit, Letztgenannte muss dies durch körperlichen Einsatz wieder ausbügeln. Ihre Gutmütigkeit bezahlt sie am Ende mit dem Tod. Der einzige Mann, der frei von solcherlei Abhängigkeiten ist, ist der Sozialarbeiter Konrad. Er kennt die menschlichen Schwächen und weiß, dass es Stadien gibt, in denen keine Hilfe mehr möglich ist und jeder für sich selbst Verantwortung trägt. Als Vorbild taugt Karin Junker fürwahr nicht.

Gubanov ( gelöscht )
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14.05.2013 18:10
#405 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



Der Kommissar: Warum es ein Fehler war, Beckmann zu erschießen

Zitat von Der Kommissar: Warum es ein Fehler war, Beckmann zu erschießen
Als Fahrer eines Geldtransports sind Beckmann und Metzler besonders gefährdet. Deshalb reagieren sie mit großer Vorsicht, als Polizisten sie unterwegs anhalten und vor einem geplanten Überfall bewahren wollen. Einer der Polizisten fährt im Geldtransporter, einer der Fahrer im Streifenwagen mit. Dumm nur, dass sich die angeblichen Hüter des Gesetzes selbst als geldgierige Halunken erweisen. Und dass einer von ihnen die Fassung verliert und Beckmann hinterrücks erschießt ...


Was ist schon das Verlorengehen einer gewissen Summe Geldes, wenn man es gleichzeitig mit dem Verlust eines Menschenlebens zu tun bekommt? So äußert sich Kommissar Keller sinngemäß und unterstreicht damit die eigene Wichtigkeit, Mörder zu fangen, gegenüber den Tätigkeiten seiner Kollegen anderer Dezernate. In Kellers wie auch in Reineckers Weltbild stellt der Mord das ultimative Verbrechen dar, dessen Kaltblütigkeit alles andere in den Schatten stellt, ja unwichtig und lapidar macht. Das Problem, das eine Geschichte wie „Warum es ein Fehler war, Beckmann zu erschießen“ dann aber irgendwie umschiffen muss, ist, dass die niedere Form der Kriminalität oft die wesentlich interessantere und ausgefeiltere sein kann. Ein Mord im Sinn des klassischen Krimis interessiert das Publikum nur dann, wenn er von besonderer Rafinesse, irgendwie außergewöhnlich oder eben besonders rätselhaft erscheint. All das ist in der vorliegenden Episode nicht der Fall – wohl aber treffen alle Attribute auf den Raubüberfall als „Verbrechen aus der zweiten Reihe“ zu. Wenn Keller also klarstellt, im Mordfall Beckmann und nicht bezüglich des Diebstahls der zwei Millionen Mark zu ermitteln, dann hat er sich damit ausgerechnet das biederere der beiden Vergehen ausgesucht.

Obwohl die Ausführung des Überfalls an sich eine sehr interessante ist, lässt die Folge besonderen Ideenreichtum vermissen. Was mir zudem missfiel, war der Versuch, völlig unterschiedliche Welten auf engstem Raum miteinander in Verbindung zu bringen. Gerade die sehr noble Familie des Bankiers passt nicht in das Gesamtbild, weil sich ihre Verbindung mit dem Geschehen nicht als schlüssig erweist. Die Vergangenheit des Höringer-Sprosses wirkt weit hergeholt und konstruiert, die gegenwärtige Familiensituation überkandidelt und die Gespräche in der Villa obendrein auch noch gekünstelt. Keine der beiden Männerfiguren im Hause überzeugt, weil beide versuchen müssen, konträre und richtiggehend unvereinbare Punkte unter einen Hut zu bringen: Der Vater (zufällig natürlich immer dann und dort zur Stelle, wo er gerade einen verdächtigen Eindruck machen und von der Polizei auf den Kieker genommen werden kann) zeichnet sich durch Bestimmtheit, Korrektheit und Durchsetzungsvermögen aus, wird in seiner häuslichen Lage aber als ausgegrenzt und unterdrückt porträtiert, als hätte er weder etwas zu sagen noch den Mumm, sich auch nur ansatzweise gegen Verdächtigungen und offene Beleidigungen seiner nächsten Verwandten zur Wehr zu setzen. Der Sohn dagegen soll wie ein flüchtiges Fähnchen im Wind flattern, trumpft aber mit unverschämter Selbstsicherheit und einer Vergangenheit auf, auf die stämmige Hünen wie Peter Kuiper noch stolz gewesen wären.

Was an Charakterzeichnung den Bach heruntergegangen ist (andere Personen können sich nämlich ebenso wenig profilieren, weil sie Randerscheinungen bleiben und sich teilweise – siehe Pleva – ebenfalls unrealistisch bzw. – siehe Kolldehoff – klischeehaft verhalten), fängt die Musik einigermaßen souverän wieder auf. „Warum es ein Fehler war“ ist eine jener Episoden, bei denen im Abspann kein Filmkomponist zu finden ist, weil der Score abgesehen von der Titelmusik nur aus damals aktuellen Charthits zusammengestellt ist. Diese Taktik mit ihrem hocherwünschten Symbiosephänomen gegenseitigen Profits – eine auffällige und eingängige Untermalung der Bilder im Tausch gegen kurzzeitigen zusätzlichen Popularitätsschub – trägt zum authentischen Eindruck vieler Szenen bei und vermittelt zudem gerade von der heutigen Warte aus ein besonders nostalgisches Sehgefühl. „Kung Fu Fighting“ von Carl Douglas hat zwar erst einmal in seinem exotischen asiatischen Sujet mit dem Inhalt der Folge nichts zu tun, überzeugt auf abstrakter Ebene aber durchaus auch mit seinem Text: „Those kids were fast as lightning / In fact it was a little bit frightening / But they did it with expert timing“ – wer denkt da nicht an die Erfahrung der Planer und Helfershelfer beim Klau des verlockenden Bankgelds?

Das angestammte Kommissar-Team tritt erneut nicht in seiner Gänze zum Dienst an. Diesmal ist es Grabert, der fehlt, der aber auch nicht sonderlich vermisst wird, weil den Beamten keine anspruchsvollen Aufgaben zugedacht werden, sondern sie sich lediglich von Befragung zu Befragung retten. Damit das funktioniert, werden allerlei Zaubertricks vorgeführt, die von beinah übersinnlicher Gedankenleserei im Verhalten der Hinterbliebenen bis hin zu ausgesprochen offenherzigen Eingeständnissen führen. Ein wenig sieht es so aus, als wöllte man Kommissar Keller die Aufrechterhaltung seiner galaktischen Erfolgsquote diesmal besonders leicht machen.

Beim Anblick der Galgenvögel Dautzenberg, Brenner und Kinalzik darf eine explosive Krimimischung erwartet werden, die eher einfache gedankliche Sphären und Personenkreise tangiert. Das Drehbuch hielt sich an derlei Erwartungen, indem es die Geschichte vom schnellen Ende des einfachen Mannes aufwärmte, überwürzte sie aber mit unpassenden Zutaten, von denen die Figuren im Hause Höringer sicher die seltsamsten sind. Anfängliche Spannung und Dynamik verlaufen sich schnell in routinierter Polizeiarbeit und unausgegorenen Verdächtigen.

(2,5 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Kriminalhauptmeister Erwin Klein, dessen feine Beobachtungsgabe die Aufklärung veranlasst
||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 13: Episode 85 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Michael Braun. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Reinhard Glemnitz, Elmar Wepper, Helma Seitz. Unter Verdacht: Will Quadflieg, Alwy Becker, Gerd Böckmann, Hans Brenner, Friedrich Karl Grund, Jörg Pleva, Dirk Dautzenberg, Barbara Gallauner u.a. Erstsendung: 14. Februar 1975.

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