597 Daten, das ist eine schöne Auswahl an relevanten Ereignissen! Schön, dass du dir die Mühe machst, Peter Ross! Es sind diese kreativen und individuellen Beiträge, die ein Forum am Leben erhalten.
Ich danke Euch für die klaren und offenen Worte, die das Thema sehr gut auf den Punkt bringen. Im Bewertungs-Thread zum BEW-Film "Der Henker von London" wird in Beitrag Nr. 117 die Redewendung "bis zur Vergasung" in den Zusammenhang gestellt, was ich weder als angebracht, noch für sehr geschmackvoll erachte. Begeisterungsfähigkeit für einen Film oder einen Schauspieler sollte ebenso wenig wie Abneigung gegen ein Thema zu sprachlichen Entgleisungen führen - Respekt und kritische Distanz sollten immer die Basis für eine Diskussion bilden. Danke!
"Der schwarze Abt" (1963): Leslie Gine und Dick Alford bzw. Leslie Gine und Harry Chelford
Die Ruinen der Abtei Fossaway sind nicht nur Schauplatz eines Mordes, sondern auch der geheime Treffpunkt des sechsunddreißigjährigen Joachim Fuchsberger und der vierundzwanzigjährigen Grit Boettcher, die mit dem dreiundfünfzigjährigen Dieter Borsche verlobt ist. Schloss Chelford und seine Ländereien bilden den Rahmen für eine intensive Schatzsuche, der Lord Chelford seine ganze Energie widmet. Sein Vetter Dick verwaltet den Besitz und dient gleichzeitig als Hüter des Ansehens der Familie, die durch das rätselhafte Verschwinden von Lady Chelford, der Mutter des jetzigen Schlossbesitzers, sowie des verschrobenen Verhaltens von Lord Chelford an gesellschaftlicher Achtung eingebüßt hat. Die Gründe für die konstruierte Verlobung mit der mittellosen, jedoch aus gutem Hause stammenden Leslie Gine sind in dem Bemühen zu suchen, den Schein einer respektablen Verbindung zu schaffen, wobei Leslie nichts weiter als einen Posten in der Bilanz seiner Besitztümer darstellt. Dick Alford sieht diese arrangierte Beziehung mit zwiespältigen Gefühlen. Einerseits glaubt er an die Notwendigkeit, eine standesgemäße Herrin auf Fossaway zu sehen, andererseits bedauert er es, ausgerechnet Leslie Gine, die er schon lange mag, an seinen egozentrischen und weltfremden Vetter gebunden zu sehen.
Leslie Gine hat noch einen weiteren heimlichen Verehrer, den untersetzten Bürovorsteher ihres leichtsinnigen Bruders Arthur. Fabian Gilder, der vom vierundvierzigjährigen Werner Peters dargestellt wird, hat sich durch Bauernschläue ein hübsches Vermögen beiseite geschafft und meint, er könne Leslie damit beeindrucken. Der Unhold bedrängt die zierliche Frau, die den gesellschaftlichen Gepflogenheiten entsprechend zu einer zurückhaltenden jungen Dame erzogen worden ist, die gepflegte Konversation machen und ansonsten eine gute Partie eingehen soll. Das ungehobelte Benehmen ihres Verehrers entrüstet sie, weil ihr auf der Schule für Töchter des gehobenen Mittelstands nicht gesagt wurde, dass nicht alle Männer Kavaliere und Gentlemen sind, sondern eine Frau auch damit rechnen muss, einem Vertreter des starken Geschlechts zu begegnen, der keine anderen Absichten als die Befriedigung seiner sexuellen Gelüste hat. Sie ist deshalb zunächst irritiert und dann entsetzt, dass der Angestellte ihres Bruders sich erdreistet, ihr eindeutige Avancen zu machen und sie mit Gewalt in die Enge treibt. So findet sich Leslie von Männern umgeben, die, mit Ausnahme von Dick Alford, wenig vielversprechend sind und ihr das Gefühl vermitteln, sich in ihr Schicksal fügen zu müssen.
Die Fürsorge ihres älteren Bruders Arthur endet mit der Frage, wie Leslie an den Mann gebracht werden soll, damit er sie gut versorgt weiß und sich nicht mehr an das Versprechen halten muss, das er vermutlich den früh verstorbenen Eltern geben musste. Mit dem Tag versteht seine Schwester wenig mehr anzufangen, als auszureiten, spazieren zu gehen und Besuche zu machen. Mehr wird auch nicht von ihr verlangt, weswegen sie zwischen den nach Geld und Macht strebenden Männern ein wenig verloren wirkt. Instinktiv fühlt sie sich zu Dick Alford hingezogen, dem schneidigen und jüngeren Verwalter des Gutes, der ihr zwar keine besonderen Zuneigungsbekundungen entgegen bringt, sie aber recht gerne mag und sich für ihre Belange interessiert. Durch die zahlreichen Anspannungen und Eskalationen in und um die Abtei Fossaway, verbleiben im Grunde nur zwei Personen, die imstande sind, einen konventionellen Lebensweg zu verfolgen: Leslie Gine und Dick Alford. Ihre Union ist wie ein versöhnlicher Neubeginn nach den Jahren der Gier und des Wahnsinns, der die Atmosphäre des Anwesens schwer belastete. Dankbar, einem düsteren Schicksal in den altehrwürdigen Mauern entronnen zu sein, wird Leslie an der Seite von Dick neue Lebensfreude und Leichtigkeit finden.
Als außenstehendes Forumsmitglied habe ich in den letzten Monaten nicht das Gefühl gehabt, dass mit negativen Wertungen gespart wird: im Gegenteil. Wenn ich an das vehemente Beharren einiger User denke, einem Film 0 Punkte geben zu MÜSSEN, weil es sich ja um eine grottenschlechte Produktion handelt, die leider nicht dem eigenen Geschmack entspricht und deshalb natürlich durchgeprügelt werden muss, dann denke ich, werden wohl einige in manchen Kategorien nur 1 Punkt vergeben - ob das nun mit Herz und Verstand geschieht oder aus Boshaftigkeit gegenüber Produktionen, die sich die Freiheit nehmen, vom klassischen Schema der Frühphase abzuweichen, müssen die Betreffenden selbst beantworten.
Meine Wertungen sind raus. In den Kategorien "Persönliche Lieblingsfilme" und "Voraussichtliche Favoriten" klaffen meine Punkteangaben arg auseinander.
Weswegen zählt eigentlich eine Wertung von 36 Punkten nicht, während es anscheinend legitim ist, einem Film das pure Existenzrecht abzusprechen, indem er mit niederschmetternden 0 Punkten bewertet werden kann, wie es hier bereits in verachtender Weise von einigen Mitgliedern in den "WdW"-Threads zelebriert wurde?
Ich habe mir die Episode heute extra noch einmal angesehen. Es ist Rosemarie Lücke. Sie spielt die blonde, blauäugige Inge Holm in "Tonio Kröger", Rolf Thieles Literaturverfilmung nach Thomas Mann aus dem Jahr 1964.
ich habe auf einer niederländischen Seite den Eintrag gefunden, dass es sich um die Trinity Road Nr. 142 handeln soll (siehe www.filmvandaag.nl), hoffe die Angabe stimmt.
Thema von Percy Lister im Forum Film- und Fernsehklass...
"Der Schimmelreiter" (Deutschland 1934) mit: Marianne Hoppe, Mathias Wieman, Walther Suessenguth, Ali Ghito, Hans Deppe, Margarete Albrecht, Eduard von Winterstein, Wilhelm Diegelmann, Walter Griep, Walter Werner u.a. | Drehbuch und Regie: Hans Deppe und Curt Oertel
Hauke Haien arbeitet für den Deichgrafen Tede Volkerts, den größten Bauern an einem nordfriesischen Küstenabschnitt und unterstützt ihn auch bei der Verwaltung und Buchhaltung. Nach zwei Jahren Abwesenheit kehrt Elke, die Tochter des Deichgrafen zurück. Der gewissenhafte Hauke gewinnt ihre Zuneigung und als ihr Vater stirbt, schlägt sie ihren Bräutigam für die Stellung vor, was von der Verwaltungsbehörde akzeptiert wird. Hauke trägt sich mit großen Plänen: er will einen neuen, modernen Deich errichten, um dem Meer fruchtbares Ackerland abzuringen und die Gefahr der Sturmfluten zu reduzieren. Sein Gegner ist der ehemalige Großknecht Ole Peters, der die Bevölkerung gegen Haukes Vorhaben aufhetzt, weil er selbst Deichgraf werden wollte. Doch die Pläne für die Errichtung des neuen Deichs werden genehmigt und nun müssen alle mit anpacken, damit das Projekt vor dem Herbst fertiggestellt werden kann. Ole Peters intrigiert jedoch weiter und gefährdet damit sogar Menschenleben....
Die Novelle von Theodor Storm beruht auf seinem großen Interesse für die Sagenwelt seiner Heimat, wobei der gespenstische Schimmelreiter "bei Sturmfluten nachts auf den Deichen gesehen wird und, wenn ein Unglück bevorsteht, mit seiner Mähre sich in den Bruch hinabstürzt." Die Filmlandschaft sah sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Einerseits wurden publikumswirksame Unterhaltungsfilme mit beliebten Stars gedreht, andererseits versuchte das Regime bereits in den Anfangsjahren, dezent Botschaften der neuen Ideologie einfließen zu lassen und griff dabei besonders gern auf Klassiker der deutschen Literatur zurück. Der schicksalsschwere "Schimmelreiter", der im Frühjahr 1888 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, eignet sich in besonderem Maße dazu, den Menschen als Bezwinger der Natur zu inszenieren, um damit "für das Volk neuen Lebensraum zu schaffen". Dennoch schrammt die Produktion von Rudolf Fritsch haarscharf an der Kategorie Propagandafilm vorbei, weil sie sich eng an die Buchvorlage hält und keine typischen Stigmatisierungen vorgenommen werden. Im Mittelpunkt der Handlung stehen Hauke Haien und sein Kampf gegen die Sturheit der gottesfürchtigen, gleichzeitig aber auch abergläubischen Landbevölkerung, deren Voreingenommenheit jede Modernisierung blockiert. Persönliche Animositäten spielen dabei natürlich eine nicht unwesentliche Rolle. Hauke Haien wirkt auf Fremde wenig zugänglich, er ist nachdenklich und wortkarg, blüht nur beim Gedanken an sein Lebenswerk und seine Frau Elke auf. Eine ganz besondere Beziehung hat er zu dem Pferd, das er per Zufall erwirbt und das von niemandem außer Hauke geritten werden kann. Im Dorf erzählt man sich, er hätte den Schimmel vom Teufel erworben und es handele sich dabei um einen Wiedergänger, dessen Knochengerippe bis vor kurzem noch auf Jeverssand lag. Der Brauch, dem Staudamm ein Lebendopfer zu bringen, rührt ebenfalls von der diffusen Angst her, die in der Bevölkerung grassiert wie ein schleichendes Fieber. Auch mit dieser Tradition bricht der rationale Hauke Haien, der für so viel Dummheit nur ein Kopfschütteln übrig hat.
Marianne Hoppe scheint mit ihrem nordischen Naturell prädestiniert für die Rolle der Jungfer Elke, deren Anhänglichkeit sich in einfachen Gesten ausdrückt und keinen Pathos benötigt. Sie beherrscht das herzhafte Lachen ebenso wie sie stille Tränen weinen kann und ihr schmales, herbes Gesicht entbehrt jeder aufgesetzten Künstlichkeit. Mathias Wieman und sie ergänzen sich in ihrem Spiel auf natürliche Weise, weil ihre Geradlinigkeit Sympathien weckt, während das Kontrastpaar Walther Suessenguth und Ali Ghito von berechnenden Gefühlen und Zielen geleitet wird. Es bedarf anfangs nicht vieler Worte, um den Verlauf in einfachen, klaren Bildern zu skizzieren. Die Regie nimmt Anleihen bei den Stummfilm-Kompositionen, deren sparsamer Expressionismus den Sachverhalt auf wenige Szenen reduziert und die Handlung damit vorantreibt. Die Fokussierung auf das Wesentliche lässt jedoch immer noch genügend Platz für sentimentale Bilder, welche die Beständigkeit des Wechselspiels zwischen Ebbe und Flut zeigen und den immerwährenden Kreislauf des Meeres, das nach dem Land greift, das der Mensch ihm abringen will. Die Panorama-Aufnahmen der windumtosten Weite wirken in ihrer schwarzweißen Inszenierung sowohl poetisch, als auch bedrohlich, weil sich neben der menschlichen eine höhere Gewalt auftut, die zu bezwingen eine jahrtausendealte Herausforderung darstellt. Die Betonung der Tradition, die im ländlichen Raum noch pflichtschuldig gepflegt wird, unterstreicht die Schwierigkeit, Neues zu wagen, ohne sich gegen die Mehrheit aufzulehnen. Interpretationen, die dahin gehen, hier einen Führerkult herauszulesen, negieren die Tatsache, dass Hauke Haien erst post mortem dauerhafte Anerkennung finden wird, während dem realen Diktator die ewige Verdammnis beschert ist. Das Zusammenspiel der beiden Regisseure - wobei Oertel vom Dokumentarfach und Deppe vom Heimatfilm kommt - wirkt frisch, wenn auch etwas unentschlossen; der große Respekt vor der Vorlage verhindert die eine oder andere künstlerische Freiheit, die vor allem in der Dialogarbeit für mehr Verständnis gesorgt hätte. Dafür ist die Bildersprache kraftvoll und von intensiver Nachhaltigkeit, die Kamera leistet gute Arbeit und zeigt Momente von großer Schönheit ebenso wie unheimliche Vorboten des Todes. Sehenswert!
"Der Schlafwagenmörder" (Original: Mördaren - en helt vanlig person) (Schweden 1967) mit: Allan Edwall, Lars Ekborg, Karl-Arne Holmsten, Heinz Hopf, Britta Pettersson, Ewa Strömberg, Curt Masreliez, Elsa Prawitz, Björn Gustafson, Nils Hallberg, Julie Bernby, Karl-Arne Bergman, Tore Bengtsson, Frej Lindqvist, Christina Carlwind, Gunnar Stanzén, Olle Björling, Christina Sellgren, Erik Hell u.a. | Drehbuch: Maj Sjöwall und Per Wahlöö | Regie: Arne Mattson
Der Nord-Express bringt seine Passagiere auch in der Mittsommernacht ans Ziel, doch dieses Mal geschehen zwei Frauenmorde, von denen der erste unbemerkt bleibt. Als das zweite Opfer aus dem Zug gestoßen wird, zieht eine junge Frau, die das gleiche Coupé belegte wie die Ermordete, die Notbremse. Der erzwungene Halt beschädigt das Bremssystem und der Zug muss für vier Stunden eine Pause einlegen, in der die Passagiere in einer nahegelegenen Bahnstation auf die Polizei warten, die den vermeintlichen Unfall untersuchen will. Kurz vor der Tat wurde der Mörder auf dem Gang gesehen, er trug schwarze Handschuhe und einen schwarzen Regenmantel aus Lackleder....
Große Dramen spielen sich in den Zügen auf der Leinwand ab; der Geschwindigkeitsrausch befördert seine Passagiere ins Verderben und manchmal sogar in den Tod, während die Lokomotive davon unbeeindruckt weiterhin kraftvoll ihre Waggons zieht. Kommt die Fahrt zu einem abrupten Stillstand, so bedeutet dies fast immer die Konsequenz einer Katastrophe. Der schwedische Regisseur Arne Mattson ist dem deutschen Publikum vor allem wegen seines rührseligen Liebesdramas "Sie tanzte nur einen Sommer" (1951) mit Ulla Jacobsson bekannt. Hier erhält er Gelegenheit, einen Kriminalfilm zu inszenieren, der seine Vielschichtigkeit hinter einer konventionellen Fassade tarnt. Nach dem fulminanten Auftakt sinkt der Spannungspegel wieder auf ein Normalmaß zurück, so, als wäre der Mord nur in der Phantasie des Zuschauers geschehen, dessen Wunsch nach Sensationen mit dem Ruhebedürfnis der Reisenden kontrastiert. Im Zug herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, Unruhe und Nervosität treiben die Passagiere an und spiegeln sich auch in der Konservation im Salonwagen wider, wo sich jene versammeln, die allein reisen oder ein Publikum suchen. Selbstdarsteller finden ihre Bühne und ein Querschnitt aus der Gesellschaft präsentiert sich in kontroversen Bemerkungen und klischeetypischen Reaktionen. Der Rittmeister prolongiert sein militärisches Engagement und versucht die Kontrolle an sich zu reißen, indem er die Vorzüge der Armee mit den Mängeln im Eisenbahnbetrieb konfrontiert. Eine Opernsängerin lässt sich nur schwer aus der Reserve locken, weil sie ihr neugieriger Gesprächspartner auf ein volkstümliches Niveau reduzieren möchte. Ein junges Paar vergisst alles um sich herum und nistet sich in einem leeren Abteil ein. Die Krankenschwester lebt resoluten Pragmatismus vor. Der Sohn aus reichem Haus treibt die Nervosität seiner Mitreisenden mit ironischen und sarkastischen Spitzen in die Höhe. Der Direktor im öffentlichen Dienst sucht ein Ventil, um seinen angestauten Frust loszuwerden. Selbst der Schaffner scheint neben seiner Dienstauffassung auch andere Beweggründe mit an Bord des Zuges gebracht zu haben. Über allem liegt eine gereizte, angespannte Atmosphäre der Beklemmung. Die engen Abteile, der schmale Gang und die gegenseitigen Behinderungen durch ruheloses Verhalten, erhöhen die latent vorhandene Platzangst einiger Passagiere und bereiten den Boden für die kommenden Ereignisse, welche die Charaktereigenschaften der Personen gnadenlos entlarven und emotional alle Schleusen öffnen werden.
Der Schauplatz Eisenbahn bietet einen Mikrokosmos erster Güteklasse. Lange Flure führen ins Nirgendwo und dienen nur dem Flanieren entlang fremder Kabinen, in denen sich zwischenmenschliche Banalitäten, aber auch Tragödien und Romanzen abspielen. Abteiltüren dienen als Barrieren, welche die Personen gegen die anderen abschotten, ihnen Grenzen aufzeigen oder im schlimmsten Fall zum Tatort werden. Die Klaustrophobie nährt sich aus den rudimentären Räumlichkeiten, die zweckmäßig und unpersönlich sind und nur der simplen Unterbringung, nicht aber dem gehobenen Aufenthalt dienen. Der Salonwagen fungiert als Versammlungsort, um über die Mitreisenden herzuziehen, sich von unliebsamen Passagieren abzusondern oder um ernsthafte Überlegungen anzustellen. Der Aufbruch zur einsamen Bahnstation ist wie eine Befreiung und die blank liegenden Nerven aller brechen sich in den - im Vergleich zu den spartanischen Schlafkabinen geradezu fürstlich geräumigen - Aufenthaltsräumen endlich ihre Bahn. Der pedantische Stationsvorstand ("Ein Beamter muss nicht höflich, sondern ordentlich sein.") sorgt mit seinem Egoismus für eine Reinigung der Atmosphäre, in der ausgeübte Befehlsgewalt, eine deutliche Hierarchie und die Geringschätzung anderer - inklusive der Polizei - bereits für eine Vergiftung des Ambientes sorgten. Der Kriminalinspektor transportiert routinierte Souveränität und Gelassenheit. Situationen wie die vorliegende können ihn nicht aus seinem Konzept bringen, das auf jahrelanger Berufserfahrung und Menschenkenntnis fußt. Die Regie schafft es hier, die Spannung neu anzuheizen, nachdem die Handlung in den engen Zuggarnituren an ihre buchstäblichen Grenzen gelangt war. Psychogramme unterschiedlicher Couleur festigen die Individualität der Figuren, wobei einige besonders ins Auge fallen, so z.B. Allan Edwall, Heinz Hopf, Ewa Strömberg und Lars Ekborg. Reue macht sich stellenweise breit, sogar ein grotesker Moment der Nekrophilie wird heraufbeschworen und emotionale Extreme umfassen die Gruppe der Reisenden mit variierender Intensität. Gregor Hult sieht sich nach seinen ausschließlich sarkastischen Kommentaren bemüßigt, ein Geständnis abzulegen, das gleichzeitig eine Lebensbeichte darstellt; Pia verharrt in stummer Verachtung, die jederzeit in explosiven Hass umschlagen kann und der Direktor will mit ein paar Scheinen hastig reinen Tisch machen. Selbst der Rittmeister erkennt, dass seine Ordnung zerschlagen wird, weil er glaubt, seinen treuen Verbündeten Grälle durch Eigennutz verloren zu haben.
"Der Schlafwagenmörder" verfügt über eine dichte Atmosphäre, die der klassischen Kriminalhandlung intime Nuancen verleiht und sich in feinen Personenporträts ausdrückt, was die Frage nach dem "Who's done it?" zu einem psychologischen Rätsel macht, dessen Lösung den Film zu einem anspruchsvollen und anregenden Geheimtipp macht.
Thema von Percy Lister im Forum Film- und Fernsehklass...
BEWERTET: "Rauschgift-Banditen" (The Man who died twice) (USA 1958) mit: Rod Cameron, Vera Ralston, Mike Mazurki, Gerald Milton, Richard Karlan, John Maxwell, Bob Anderson, Louis Jean Heydt, Don Megowan, Paul Picerni, Luana Anders u.a. | Drehbuch: Richard C. Sarafian | Regie: Joseph Kane
Nachtclubbesitzer Richard Brennon verunglückt tödlich mit seinem Wagen, kurz darauf sieht seine Witwe Lynn, wie ein Mann vom Balkon ihrer Wohnung abstürzt. Sie erleidet einen Schwächeanfall und kann sich anschließend nicht mehr an den Vorfall erinnern. Ihr Schwager Bill, der sich nie mit seinem Bruder verstand, bietet Lynn seine Hilfe an, doch auch Richards rechte Hand Rak zeigt Interesse an der Geschäftsführung. Die Polizei lässt das Haus beobachten, weil sie einem Drogenhändlerring auf der Spur ist. Bald geschieht ein weiterer Mord und Lynn weiß nicht mehr, wem sie trauen kann....
Der Film legt ein Tempo vor, das sich sehen lassen kann. Die Bilanz der ersten drei Minuten: zwei tote Männer und eine ohnmächtige Frau. Aufgrund seines relativ unbekannten Schauspieler-Ensembles vertraut der Streifen auf eine solide dramaturgische Basis und klassische Versatzelemente des Noirs. Der Vorteil eines weitgehend unvertrauten Darstellerstabs liegt in der Vermeidung von Zuordnungen. Eine Unterscheidung zwischen Gut und Böse wird somit erschwert, jeder verdächtigt jeden und bespitzelt und misstraut seinem Gegenüber. Das B-Movie bedient sich der selben Stilmittel, die auch in den Klassikern des Genres Verwendung finden. Ein Nachtclub mit dem Namen "Blauer Schwan", der als Umschlageplatz für Heroin dient, eine Sängerin zwischen zwei Männern und mehrere mysteriöse Todesfälle, die als Unfälle getarnt ein Geheimnis bewahren, das am Ende alles auf den Kopf stellt. Selbst eine schwarze Katze schleicht unheilbringend durchs Szenario - Unheil kommt jedenfalls über ihre Besitzerin, eine schwatzhafte alte Dame, die zu viel sieht und zu viel hört - in jenen Kreisen ein Todesurteil. Vera Ralston ist eine solide Besetzung für die weibliche Hauptrolle, wobei "Rauschgift-Banditen" bereits der letzte Film ist, in dem sie mitspielt. Die ehemalige Eiskunstläuferin war u.a. neben John Wayne in Westernproduktionen mit von der Partie, doch in großen kommerziellen Erfolgen sah man sie nie. Ihr tschechischer Akzent wurde oft bemängelt, über ihre schauspielerischen Qualitäten gehen die Meinungen auseinander.
Dennoch macht sie als weiblicher lead eine aparte Figur, man vertraut ihr und sie ist der einzige Charakter, dem man seine Unbescholtenheit glaubt. Vielleicht ist es gerade ihr Unvermögen, sich ganz und gar auf eine Rolle einzulassen und diese nach einem professionell einstudierten Muster zu zeichnen. Ebenso wie die dreifache Eistanz-Olympiasiegerin Sonja Henie wagte Vera Ralston den Sprung zum Film, ihre Leistung in "Rauschgift-Banditen" ist allemal ausreichend für die Drehbuchvorgaben. Dem deutschen Publikum fallen die markanten Synchronstimmen von Heinz Drache, dessen Sonorität noch nicht völlig ausgeprägt ist, und Werner Peters auf, ein angenehmer Anker in dem unbekannten Umfeld. Mit einer Laufzeit von kaum siebzig Minuten sollte der Film keine Längen aufweisen. Dennoch knickt das Tempo nach dem vielversprechenden Auftakt bald wie ein Streichholz ein und der Zuschauer sieht sich mit einem Pingpong an Dialogen konfrontiert, die von Personen geführt werden, die ihn wenig interessieren. Es gelingt der Produktion über lange Strecken nicht, den richtigen Nerv zu treffen, zu harmlos und zu belanglos gestaltet sich die Suche nach dem Rauschgift und dessen Vertriebsleiter. Nichtsdestotrotz verströmt der Film einen altmodischen, wenn auch herben Charme, der sich aus dem authentischen Zeitkolorit ergibt. Zu den unvergessenen Klassikers des Genres kann er nicht aufschießen, sein Unterhaltungswert ist solide und wartet mit der einen oder anderen hübschen Idee auf, die jedoch nicht konsequent genug zu Ende verfolgt wird.
BEWERTET: "Der Würger vom Tower" (Deutschland 1965) mit: Hans Reiser, Charles Regnier, Kai Fischer, Ellen Schwiers, Christa Linder, Alfred Schlageter, Ady Berber, Ruth Jecklin, Lis Kertelge, Walter Kiesler, Inigo Gallo, Rainer Bertram, Gerhard Geisler, Gisela Lorenz u.a. | Drehbuch: Erwin C. Dietrich | Regie: Hans Mehringer
Die vermögende Witwe Mary Wilkins, Besitzerin eines von nur fünf existenten Parvati-Smaragden, wird eines Nachts ermordet. Kurz darauf wird ihre Tochter Jane von Mitgliedern der "Brüder der ausgleichenden Gerechtigkeit" entführt. Inspektor Harvey von Scotland Yard sucht den Juwelier Clifton auf und informiert sich über die Geschichte des wertvollen Steines, der aus einem indischen Tempel entwendet wurde und wie ein Heiligtum verehrt wird. Währenddessen verfolgt der unheimliche Würger die Spur des Smaragden und tötet jeden, der sich weigert, den Stein herauszugeben....
Im Zuge der populären Krimiwelle sahen mehrere Produzenten die Chance, sich mit einem stilverwandten Film an den Erfolg der Kollegen ran zu hängen und von der Mundpropaganda zu profitieren. Es wurde angenommen, dass der Zuschauer nicht zwischen A- und B-Ware unterscheiden würde, sondern sich von einem klingenden Filmtitel und einer reißerischen Geschichte ebenso ins Kino locken lassen würde wie bei der namhafteren Konkurrenz. Die bekannten Leinwandregisseure waren fast durchgehend ausgebucht, weswegen auch Männer aus dem Fernsehmetier engagiert wurden. Der Schweizer Schauspieler Hans Mehringer hatte bisher vor allem Unterhaltungssendungen für das Fernsehen seiner Heimat inszeniert, ebenso schrieb er die Drehbücher zu einem dreiteiligen Mitratefernsehkrimi mit Alfred Schlageter und Fred Tanner ("Wer ist der Täter?"). Sein Engagement als Kinoregisseur blieb ein Gastspiel und er wandte sich anschließend wieder dem Unterhaltungsfernsehen zu. Andreas Demmer oblag es, für eindrucksvolle Bilder zu sorgen, was ihm nur teilweise gelingt. Viel Potential wird liegengelassen, wenn die Kamera falsch positioniert ist und die herrlichsten Gruselszenen übereilt und emotionslos abgedreht werden. Es gelingt leider nicht, Ady Berber unheimlich in Szene zu setzen, die Morde sind schlecht ausgeleuchtet und geschehen teilweise im Off. Die Musik ist sehr beschwingt, unterstützt die Handlung also nur bedingt. Stellenweise hört man einzelne Töne aus dem Score zum "Unheimlichen Mönch" (Regie: Harald Reinl) heraus, der im Herbst des selben Jahres gedreht wurde. Die krude Philosophie der Kapuzensekte erhält breiten Raum. Kuttenträger sind im Allgemeinen beliebte Exoten in der Krimilandschaft, assoziiert man mit ihnen doch ein unberechenbares Verhalten, das keine Rücksicht zu nehmen braucht, weil die Tarnung die Identität der Person unsichtbar macht.
Leider gelingt es der Urania Film nicht, das erfolgreiche Muster der routinierten Konkurrenz stimmig zu kopieren. Alles wirkt wie ein billiges Plagiat, das den Zuschauer seltsam ungerührt lässt. Es stellt sich keine Verbindung zu den Figuren her, welche größtenteils fremd und schablonenhaft wirken. Selbst gute alte Bekannte wie Charles Regnier und Ellen Schwiers geben sich wenig Mühe, ihren Rollen Leben einzuhauchen und aus den grob gezeichneten Vorgaben mehr herauszuholen als eine müde Performance im Fall von Regnier und eine geradezu ironisch überspitzte Dialogwiedergabe im Fall seiner Kollegin Schwiers. Hans Reiser, der von Arnold Marquis synchronisiert wurde - während man bei dem Vorsitzenden des Geheimbundes leider auf eine Stimmencamouflage verzichtete - spult seinen Part lustlos herunter. Kai Fischer ist in diesem träge wirkenden Ensemble die erfrischende Ausnahme, sie besticht durch die für sie typischen Akzente von feinem Humor und charmanter Lebhaftigkeit. Positiv hervorzuheben ist auch der Wechsel der Schauplätze. Obwohl es natürlich obligatorische London-Aufnahmen aus der Konserve gibt, bietet man durch die Schweizer Connection einige neue Außendrehorte. Schloss Hilfikon im Schweizer Kanton Aargau diente als Hintergrund für den Ansitz des Pferdeliebhabers Alfred Schlageter. So konnte man den Berliner und Hamburger Drehorten der deutschen Kollegen wenigstens eine eigenständige Note entgegensetzen. Der geheime Versammlungsort der Kapuzenbrüder sorgt nur bedingt für eine furchteinflößende Atmosphäre, obwohl die junge Heldin Christa Linder dort bange Tage durchleben muss. Ihre Figur bleibt weitgehend passiv, weil sie im Rahmen ihrer Rollenvorgabe wenig Möglichkeiten hat, einen nachhaltigen Auftritt zu formulieren. In Erinnerung bleiben so vor allem ihre Angst und ihre Resignation.
Schale Kriminalproduktion mit einem verschenkten Schauspieler-Ensemble, das selbst nicht an einen Erfolg zu glauben scheint. 2 von 5 Punkten
Ich bin gespannt, ob es sich hier um eine exakte Umsetzung des gruseligen Romans "The Lodger" von Marie Adelaide Belloc Lowndes handelt, der erstmals 1913 bei Charles Scribner's Sons erschienen ist und den ich mir vor Jahren aus den USA kommen ließ. Alfred Hitchcock hat die Geschichte zugunsten seines Hauptdarstellers Ivor Novello umgewandelt, um den Weg für ein romantisches Happy-End mit June Tripp frei zu räumen. Im Roman heißt es im letzten Absatz: "Mr. Sleuth never came back, and at last, after many days and many nights had gone by, Mrs. Bunting left off listening for the click of the lock which she at once hoped and feared would herald her lodger's return."
Hans Nielsen spielt den Anwalt Dr. Reinhardt, einen alten Freund von Dr. Georg Sibelius. Er kommt relativ spät zu seinem Auftritt und berät den Arzt zu einem heiklen Fall von Verleumdung. Eine von Ann Savo gespielte Patientin beschuldigt Dr. Sibelius, sie verführt zu haben. Dr. Reinhardt argumentiert fast ärgerlich, weil er die Anschauung seines Freundes kennt, der seinen Patientinnen gegenüber oft zu arglos und leichtgläubig reagiert. Hans Nielsen schüttelt seine Rolle fast schon aus dem linken Ärmel, hat er sie doch in verschiedenen Varianten immer wieder überzeugend gespielt.
Thema von Percy Lister im Forum Film- und Fernsehklass...
BEWERTET: "Frauenarzt Dr. Sibelius" (Deutschland 1962) mit: Lex Barker, Senta Berger, Barbara Rütting, Sabine Bethmann, Harry Meyen, Anita Höfer, Berta Drews, Elisabeth Flickenschildt, Ann Savo, Hans Nielsen, Gudrun Schmidt, Rudolf Platte, Loni Heuser, Christine Gerlach, Lou Seitz u.a. | Drehbuch: Janne Furch und Sigmund Bendkover nach einer Idee von Artur Brauner | Regie: Rudolf Jugert
Chefarzt Dr. Georg Sibelius genießt das Vertrauen seiner Patientinnen, die den besonnenen Mediziner schätzen und bewundern. Elisabeth, seine Ehefrau, plagen Langeweile und Eifersucht. Sie sitzt den ganzen Tag über zuhause und wartet auf ihren Mann, der des öfteren bis spät in der Nacht in der Klinik bleibt. Verstärkt wird ihr Misstrauen, als die jüngere Schwester ihrer alten Freundin Sabine bei ihnen einzieht. Ihre heftigen Vorwürfe und Anschuldigungen entbehren zwar jeder Grundlage, aber ihr Mann ist zunehmend verzweifelt und fragt sich, wie er seine Frau beruhigen kann. Als bei seiner Jugendliebe Sabine Leukämie im letzten Stadium diagnostiziert wird, trifft er eine folgenschwere Entscheidung....
Lex Barker überzeugt als Frauenarzt, der selbst im Umgang mit Hypochondern Milde und Verständnis ausstrahlt, obwohl seine Nerven gerade im Privatbereich seines Lebens häufig bis zum Anschlag gespannt sind, wenn ihm geballte Emotionen entgegenschlagen und er immer wieder die selben Anschuldigungen hören muss. Während er im Krankenhaus weibliche Loyalität und Vertrauen erfährt, bringt ihm seine Ehefrau weitaus zwiespältigere Gefühle entgegen, da ihre uneingestandenen Schuldgefühle und Minderwertigkeitskomplexe an ihrem Selbstverständnis nagen und deshalb in jeder potentiellen Konkurrentin die Bestätigung ihrer eigenen Wertlosigkeit sehen. Senta Berger überzeugt mit ihrem Wechselbad der Gefühle trotz ihrer eigenen Attraktivität, die eigentlich verhindern sollte, dass sie in jeder anderen Frau eine Rivalin sieht. In Gestalt von Barbara Rütting, die das weibliche Pendant zu Lex Barker verkörpert, scheint Berger ihre Meisterin gefunden zu haben. Rütting spielt die Reisejournalistin Sabine, deren berufliches Engagement ihr jedoch im Gegensatz zu Barker wenig Bewunderung einbrachte. Weiblicher Erfolg wird in "Frauenarzt Dr. Sibelius" dem zeitlichen Rahmen entsprechend mit Einsamkeit konnotiert. Sowohl die Journalistin, als auch der Humanmediziner schätzen ihren Beruf, moralisch honoriert wird allerdings nur jener des Arztes, während die Reporterin laut Drehbuch zur Einsicht kommen muss, das Glück verpasst zu haben. Solange sie unabhängig ist und keiner Gesellschaft bedarf, ist sie das Schreckensbild der gefährlichen Rivalin für Elisabeth Sibelius. Als sie jedoch erkrankt und Hilfe, Fürsorge und Wärme benötigt, wird die Keule der Geschlechterklischees geschwungen und ihr Lebensentwurf in Frage gestellt.
Die Finnin Ann Savo verdichtet gleich mit den ersten Schritten in Sibelius' Behandlungszimmer die Atmosphäre des Raumes, dem sie sich halb bedrohlich, halb vorsichtig nähert. Es scheint, als wäge sie jede ihrer Gesten und Worte ab und wie so oft benötigt sie keinen großen Anlauf, um ihr Gegenüber zu vereinnahmen und seine Aufmerksamkeit zu erringen. Die Charaktere in Savos Repertoire sind kraftvolle und unkonventionelle Vertreter des Typs eigenständige Frau, wobei ihre Ausstrahlung immer anrüchig und verletzbar zugleich ist. Sie bleibt exotischer Farbtupfer und Außenseiterin; nie wird man sie im Mittelpunkt einer Familie oder Freundinnengruppe antreffen, dafür ist sie zu eigenwillig und zu wenig angepasst. Sabine Bethmann leistet im Sinne ihres Berufs wertvolle Arbeit, sie ist eine verlässliche Stütze des verehrten Chefarztes und hat selbst keine Ambitionen nach Ruhm oder Aufstieg. Ganz anders Harry Meyen als unbequemer Aspirant auf den Posten des Chefs: Finster, ehrgeizig und unergründlich wie ein stilles Wasser spinnt er im Hintergrund subtile Intrigen, sobald er seine Chance gekommen sieht. Im Gegensatz zu Bethmann begnügt er sich nicht damit, einem erfolgreichen Kollegen zuzuarbeiten, sondern er will selbst an den Schalthebel der Entscheidungen. Die Klimax ergibt sich nach seiner Vorarbeit, die er ebenso kühl wie unpersönlich auch Elisabeth Sibelius präsentiert, die halb hoffend, halb zaudernd am Ende leidlich die Kurve kriegt, was zu einem halboffenen Finale mit Aussicht auf Besserung führt. Vorher muss sich die Arbeit ihres Mannes jedoch durch einen Eingriff auf Leben und Tod live rechtfertigen, um ihre Zweifel zu zerstreuen und sie zur demütigen Einsicht zu bringen.
Formidabel besetzt überzeugt die Produktion in erster Linie durch die prominenten Schauspieler, die sich empathisch mit den Sorgen und Nöten rund um eine prekäre Ehe befassen und die Produktion spannend und unterhaltsam gestalten, auch wenn man Rudolf Jugert ein bisschen mehr Mut zugestanden hätte, um gewisse Botschaften des Films nicht allzu konservativ zu vermitteln. 4 von 5 Punkten
Die Satire mit dem ursprünglichen Arbeitstitel "Dream" sollte laut Aussage von Orson Welles keine Erzählung werden, sondern eine Abfolge von Eindrücken bieten. Er war überzeugt, dass sich sein ehrgeiziges Projekt seinem meisterhaften Erstling ("Citizen Kane") als ebenbürtig erweisen werde. Im Grunde erzählt er seine eigene Geschichte: ein alternder Kinoregisseur bemüht sich, sein Lebenswerk mit einem letzten Opus zu vollenden und muss nun sehen, wie er das Geld dafür aufbringt. Da sich Welles von iranischem Kapital abhängig gemacht hatte, bedeuteten die politischen Umwälzungen im ehemaligen Persien den Strich durch seine Rechnung. Nach dem Sturz des Schahs Reza Pahlavi beschlagnahmten die neuen erzkonservativen Machthaber das gesamte Filmmaterial und hielten es in einem Pariser Tresor unter Verschluss. So wiederholte sich das Schicksal der Filmfigur Jake Hannaford auf groteske Weise an Welles persönlich, der bereits einen Rohschnitt des Films erstellt hatte und die ungewöhnliche Produktion für sein Comeback in Hollywood nutzen wollte, wo man schon lange tuschelte, dass das verrückte Wunderkind aus Wisconsin - er wurde "Crazy Welles" genannt - nichts mehr fertig bringe. Sein zur selben Zeit beendetes Kinowerk "F for Fake" fand zunächst in den USA keinen Verleih und wurde nur in Europa gezeigt. Während es noch über zehn Jahre nach Welles' Tod so aussah, als wäre "The Other Side of the Wind" für immer verloren, ist es nun umso erfreulicher, dass eine weitere geheimnisumwobene Produktion wieder der Allgemeinheit zugänglich gemacht wurde - entgegen aller Unkenrufe, sie werde für immer verschollen bleiben.
In diesem Sinne: Danke an Prisma für den präzisen und hintergründigen Bericht, aus dem echte Begeisterung spricht.