Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden Impressum 
Forum Edgar Wallace ,...



Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 1 Antworten
und wurde 642 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker international
Prisma Offline




Beiträge: 7.591

30.12.2018 20:19
Der Schlafwagenmörder (1967) Zitat · Antworten


DER SCHLAFWAGENMÖRDER


● MÖRDAREN - EN HELT VANLIG PERSON / DER SCHLAFWAGENMÖRDER / SCHLAFWAGENMÖRDER (S|1967)
mit Allan Edwall, Lars Ekborg, Karl-Arne Holmsten, Heinz Hopf, Britta Pettersson, Ewa Strömberg, Björn Gustafson, Curt Masreliez und Erik Hell
eine A-Produktion | im Verleih der NWDF-Unitas
ein Film von Arne Mattsson





»Auf die Polizei kann man sich verlassen. Die machen aus einem Mord einen Unfall...«


Die Fahrgäste des Nord-Express ahnen noch nicht, welch chaotischer Nacht sie entgegen sehen werden. In einen unbeobachteten Moment stößt ein Killer eine junge Frau aus dem fahrenden Zug und niemand bekommt etwas von den Vorfall mit, bis es zu einem weiteren Mord kommt. Das Opfer ist erneut eine junge, blonde Frau. Lena (Britta Pettersson) entdeckt die schreckliche Tat und betätigt die Notbremse. Aufgeschreckt von der allgemeinen Hysterie, kommen die Gäste des Zuges zusammen, und auch wenn sich gewisse Fraktionen unter ihnen bilden, blickt man sich gegenseitig überaus skeptisch an, denn jeder Einzelne von ihnen steht ab sofort unter Mordverdacht. Inspektor Holm (Erik Hell) untersucht den Fall, doch steht zunächst vor einem Rätsel, da das Motiv fehlt. Wer ist der Schlafwagenmörder..?

Arne Mattssons "Der Schlafwagenmörder" versucht, Krimi- und Thriller-Elemente miteinander zu vereinen; außerdem bietet das Vakuum Zug trotz des nur spärlich vorhandenen Platzes zusätzlichen Spielraum für erotische Einlagen, sowie verkappt wirkende Präsentationen rund um die Zwischenmenschlichkeit aller Couleur. Der deutsche Kino-Aushang kündigt in diesem Zusammenhang sogar vollmundig einen »Sex-Krimi« an, der in der Bundesrepublik erst 1969, also über zwei Jahre nach seiner Entstehung, in die Kinos kam. Viel zu spät für einen Film in Schwarzweiß, dessen eher konventioneller bis konservativer Stil keinen bedeutenden Transfer in die End-60er Jahre herstellen will, was insbesondere für die angebotene Exposition gilt, die seinerzeit bereits ganz andere Blüten trieb. Nichtsdestotrotz kann der Film bei bestehender Krimi-Affinität sehr gut unterhalten, da etliche Komponenten zusammenkommen, die sich über viele Jahre bewährt hatten. Bereits der Einstieg empfiehlt sich aufgrund seiner außerordentlich dichten Atmosphäre. Türklingen bewegen sich wie von Geisterhand, die schwarzen Handschuhe des Phantoms greifen nach einer attraktiven Blondine, deren Schreie wegen der typischen Akustik des Zuges im Fahrtwind verstummen, bis sie schließlich gegen die hohe Geschwindigkeit des Zuges den Kürzeren zieht und spurlos verschwindet. Die Kamera bleibt hierbei stets hoch aufmerksam. Interessant ist, dass dieser Mord unter den Fahrgästen völlig unbemerkt bleibt und sich die Inszenierung ab sofort sehr ausgiebig mit dem Vorstellen der Haupt- und Nebenpersonen dieser turbulenten Fahrt befasst.

Lange Dialoge bestimmen die weitere Fahrt in einer Melange aus Monotonie und Raffinesse, und es dauert seine Zeit, bis der nächste inszenatorische Paukenschlag zu sehen ist. Die Regie legt ihr Augenmerk auf eine sehr intensive Vorstellung der Reisenden, bei der signifikante Unterschiede angesichts der Charaktere herausgearbeitet werden können. Zwar wirkt die Kreation der Verdächtigen hin und wieder allzu bemüht, aber es kann sich ein Whodunit-Krimi entwickeln, dessen Stärke es sein wird, den Zuschauer weitgehend im Dunkeln tappen zu lassen, da man zunächst überhaupt keine Hintergründe angeboten bekommt. Sicherlich hat der aufmerksame Kenner derartiger Formate schnell seine Hauptverdächtigen im Visier, doch das Motiv will sich einfach nicht in den Mittelpunkt stellen. Alle Personen kennen sich bis auf wenige Ausnahmen nicht, haben dem Empfinden nach auch nichts miteinander gemein, da man sozusagen Tops und Flops der Gesellschaft vorgestellt bekommt. Neben den Interpreten sieht man zeitgebundene Moralvorstellungen als zusätzlichen Fahrgast mit Stammplatz, sodass die teils gewagt angebahnte Bebilderung rund um Nacktheit, tatsächliche sowie vermeintliche Perversion und Libido im Schutzmantel der Prüderie fast ergebnislos zurück bleibt. So schildern Sequenzen beispielsweise die sogenannte wilde Ehe und das damit verbundene Versteckspiel eines jungen Pärchens, oder die harten Arbeitsbedingungen einer Prostituierten, die Bekanntschaft mit den exklusiven Wünschen eines Herren der gehobenen Klasse macht.

Da der Zug nach dem zweiten Verbrechen zum Stillstand kommt, weil die Notbremse betätigt wurde, bekommt der bislang passable Erzählfluss dem Empfinden nach einen Knick, doch dieser Eindruck bestätigt sich nicht, da die Arena Zug gegen eine andere - nämlich das Haus eines Bahnhofsvorstehers - ausgetauscht wird ausgetauscht wird, und die Polizei nach der Hälfte des Films kompetent zum Zuge kommt. Die Inspektoren-Figur wird von Erik Hell sehr individuell gezeichnet und man wird mit einem ruhigen, unaufgeregten Zuhörer konfrontiert, dem man die Klärung der Vorfälle durchaus zutraut, wenngleich seine Arbeit rückblickend nicht besonders transparent geschildert wird. Allerdings ist es eine Wohltat, ihm dabei zuzusehen, wie theatralische Selbstinszenierungen, falsche Fährten oder Tendenzen der Selbstjustiz an ihm abprallen, beziehungsweise von ihm abgeschmettert werden. Am Ende besitzt er natürlich den richtigen Riecher, den er alleine schon vom Drehbuch zugebilligt bekommt, allerdings kann das Finale - mit oder ohne Vorhersehbarkeit - überzeugend bis überraschend wirken. Der ausschließlich schwedische Cast kann ohne ausnahmen überzeugen; vor allem Allan Edwall, Lars Ekborg und Heinz Hopf spielen sich immer wieder gekonnt in den Vordergrund. Erwähnenswert ist außerdem Ewa Strömberg, der hier so anders als in ihren wesentlich bekannteren Auftritten wahrzunehmen ist. Zwar ist sie innerhalb ihrer bereits vorgefertigten Rollen-Schablone schon komplett textilfrei zu sehen, aber sie hat zusätzlichen Raum zur Verfügung, der über die bloße Beschau und Großaufnahme hinausgeht.

"Der Schlafwagenmörder" lässt sich insgesamt in zwei Teile gliedern. Die erste Hälfte im fahrenden Zug handelt die plastische Darstellung des Filmtitels und die Vorstellungen, beziehungsweise Interaktion unter den Personen ab, um in der zweiten Hälfte eine ganz andere Dynamik anzunehmen. Außenaufnahmen mit der Suche nach der Leiche lockern das Geschehen auf, sogar ironische und karikaturistische Untertöne werden in sanfter Art und Weise laut. Auch für irritierende und aufwühlende Veranschaulichungen wird sich kurz Zeit genommen, sodass man der Regie einen gewissen inszenatorischen Ideenreichtum nicht absprechen kann, wenngleich die Produktion ihre weitgehend konventionelle Schiene nie wirklich verlassen möchte. Ein paar Personen schüren gegen Ende zusätzliche Zweifel und versuchen den Verdacht abermals auf sich zu lenken. Selbst ein weiterer Mord lässt nicht auf sich warten. Die mittlerweile entstandene Vernetzung zwischen den Personen lässt einige Außenseiter als potentielle Mörder übrig, auch simple Indizien veranlassen selbsternannte Hobbydetektive dazu, sich zu Richtern aufzuplustern. Dass Inspektor Holm dem Anschein nach zu oft aus der zweiten Reihe zusieht wie sich die Situation entwickelt, nimmt der Geschichte ein wenig an kriminalistischer Struktur, um letztlich einen psychologisch motivierten Schatten zu zeichnen. Das Finale des Films ist unterm Strich gelungen, obwohl es alles zwischen Unglaubwürdigkeit und Überraschung anbieten möchte. Alles in allem ist "Der Schlafwagenmörder" jedoch als gelungen zu bezeichnen und richtet sich ganz offensiv an Fans klassischer Kriminalgeschichten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

30.12.2018 21:18
#2 RE: Der Schlafwagenmörder (1967) Zitat · Antworten

"Der Schlafwagenmörder" (Original: Mördaren - en helt vanlig person) (Schweden 1967)
mit: Allan Edwall, Lars Ekborg, Karl-Arne Holmsten, Heinz Hopf, Britta Pettersson, Ewa Strömberg, Curt Masreliez, Elsa Prawitz, Björn Gustafson, Nils Hallberg, Julie Bernby, Karl-Arne Bergman, Tore Bengtsson, Frej Lindqvist, Christina Carlwind, Gunnar Stanzén, Olle Björling, Christina Sellgren, Erik Hell u.a. | Drehbuch: Maj Sjöwall und Per Wahlöö | Regie: Arne Mattson

Der Nord-Express bringt seine Passagiere auch in der Mittsommernacht ans Ziel, doch dieses Mal geschehen zwei Frauenmorde, von denen der erste unbemerkt bleibt. Als das zweite Opfer aus dem Zug gestoßen wird, zieht eine junge Frau, die das gleiche Coupé belegte wie die Ermordete, die Notbremse. Der erzwungene Halt beschädigt das Bremssystem und der Zug muss für vier Stunden eine Pause einlegen, in der die Passagiere in einer nahegelegenen Bahnstation auf die Polizei warten, die den vermeintlichen Unfall untersuchen will. Kurz vor der Tat wurde der Mörder auf dem Gang gesehen, er trug schwarze Handschuhe und einen schwarzen Regenmantel aus Lackleder....



Große Dramen spielen sich in den Zügen auf der Leinwand ab; der Geschwindigkeitsrausch befördert seine Passagiere ins Verderben und manchmal sogar in den Tod, während die Lokomotive davon unbeeindruckt weiterhin kraftvoll ihre Waggons zieht. Kommt die Fahrt zu einem abrupten Stillstand, so bedeutet dies fast immer die Konsequenz einer Katastrophe. Der schwedische Regisseur Arne Mattson ist dem deutschen Publikum vor allem wegen seines rührseligen Liebesdramas "Sie tanzte nur einen Sommer" (1951) mit Ulla Jacobsson bekannt. Hier erhält er Gelegenheit, einen Kriminalfilm zu inszenieren, der seine Vielschichtigkeit hinter einer konventionellen Fassade tarnt. Nach dem fulminanten Auftakt sinkt der Spannungspegel wieder auf ein Normalmaß zurück, so, als wäre der Mord nur in der Phantasie des Zuschauers geschehen, dessen Wunsch nach Sensationen mit dem Ruhebedürfnis der Reisenden kontrastiert. Im Zug herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, Unruhe und Nervosität treiben die Passagiere an und spiegeln sich auch in der Konservation im Salonwagen wider, wo sich jene versammeln, die allein reisen oder ein Publikum suchen. Selbstdarsteller finden ihre Bühne und ein Querschnitt aus der Gesellschaft präsentiert sich in kontroversen Bemerkungen und klischeetypischen Reaktionen. Der Rittmeister prolongiert sein militärisches Engagement und versucht die Kontrolle an sich zu reißen, indem er die Vorzüge der Armee mit den Mängeln im Eisenbahnbetrieb konfrontiert. Eine Opernsängerin lässt sich nur schwer aus der Reserve locken, weil sie ihr neugieriger Gesprächspartner auf ein volkstümliches Niveau reduzieren möchte. Ein junges Paar vergisst alles um sich herum und nistet sich in einem leeren Abteil ein. Die Krankenschwester lebt resoluten Pragmatismus vor. Der Sohn aus reichem Haus treibt die Nervosität seiner Mitreisenden mit ironischen und sarkastischen Spitzen in die Höhe. Der Direktor im öffentlichen Dienst sucht ein Ventil, um seinen angestauten Frust loszuwerden. Selbst der Schaffner scheint neben seiner Dienstauffassung auch andere Beweggründe mit an Bord des Zuges gebracht zu haben. Über allem liegt eine gereizte, angespannte Atmosphäre der Beklemmung. Die engen Abteile, der schmale Gang und die gegenseitigen Behinderungen durch ruheloses Verhalten, erhöhen die latent vorhandene Platzangst einiger Passagiere und bereiten den Boden für die kommenden Ereignisse, welche die Charaktereigenschaften der Personen gnadenlos entlarven und emotional alle Schleusen öffnen werden.

Der Schauplatz Eisenbahn bietet einen Mikrokosmos erster Güteklasse. Lange Flure führen ins Nirgendwo und dienen nur dem Flanieren entlang fremder Kabinen, in denen sich zwischenmenschliche Banalitäten, aber auch Tragödien und Romanzen abspielen. Abteiltüren dienen als Barrieren, welche die Personen gegen die anderen abschotten, ihnen Grenzen aufzeigen oder im schlimmsten Fall zum Tatort werden. Die Klaustrophobie nährt sich aus den rudimentären Räumlichkeiten, die zweckmäßig und unpersönlich sind und nur der simplen Unterbringung, nicht aber dem gehobenen Aufenthalt dienen. Der Salonwagen fungiert als Versammlungsort, um über die Mitreisenden herzuziehen, sich von unliebsamen Passagieren abzusondern oder um ernsthafte Überlegungen anzustellen. Der Aufbruch zur einsamen Bahnstation ist wie eine Befreiung und die blank liegenden Nerven aller brechen sich in den - im Vergleich zu den spartanischen Schlafkabinen geradezu fürstlich geräumigen - Aufenthaltsräumen endlich ihre Bahn. Der pedantische Stationsvorstand ("Ein Beamter muss nicht höflich, sondern ordentlich sein.") sorgt mit seinem Egoismus für eine Reinigung der Atmosphäre, in der ausgeübte Befehlsgewalt, eine deutliche Hierarchie und die Geringschätzung anderer - inklusive der Polizei - bereits für eine Vergiftung des Ambientes sorgten. Der Kriminalinspektor transportiert routinierte Souveränität und Gelassenheit. Situationen wie die vorliegende können ihn nicht aus seinem Konzept bringen, das auf jahrelanger Berufserfahrung und Menschenkenntnis fußt. Die Regie schafft es hier, die Spannung neu anzuheizen, nachdem die Handlung in den engen Zuggarnituren an ihre buchstäblichen Grenzen gelangt war. Psychogramme unterschiedlicher Couleur festigen die Individualität der Figuren, wobei einige besonders ins Auge fallen, so z.B. Allan Edwall, Heinz Hopf, Ewa Strömberg und Lars Ekborg. Reue macht sich stellenweise breit, sogar ein grotesker Moment der Nekrophilie wird heraufbeschworen und emotionale Extreme umfassen die Gruppe der Reisenden mit variierender Intensität. Gregor Hult sieht sich nach seinen ausschließlich sarkastischen Kommentaren bemüßigt, ein Geständnis abzulegen, das gleichzeitig eine Lebensbeichte darstellt; Pia verharrt in stummer Verachtung, die jederzeit in explosiven Hass umschlagen kann und der Direktor will mit ein paar Scheinen hastig reinen Tisch machen. Selbst der Rittmeister erkennt, dass seine Ordnung zerschlagen wird, weil er glaubt, seinen treuen Verbündeten Grälle durch Eigennutz verloren zu haben.

"Der Schlafwagenmörder" verfügt über eine dichte Atmosphäre, die der klassischen Kriminalhandlung intime Nuancen verleiht und sich in feinen Personenporträts ausdrückt, was die Frage nach dem "Who's done it?" zu einem psychologischen Rätsel macht, dessen Lösung den Film zu einem anspruchsvollen und anregenden Geheimtipp macht.

 Sprung  
Xobor Einfach ein eigenes Forum erstellen
Datenschutz