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Dieses Thema hat 191 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker international
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Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

27.04.2010 19:20
#106 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Staffel 11, Episode 01:

The Mystery of the Blue Train (nicht synchronisiert)


Mit: David Suchet. Als Gaststars: Georgina Rylance, Elliott Gould, Nicholas Farrell, Jaime Murray, James D'Arcy, Oliver Milburn, Lindsay Duncan, Tom Harper, Alice Eve u.v.a. Regie: Hettie Macdonald. Drehbuch: Guy Andrews. Erstsendung: 01.01.2006.

Man braucht kein Meisterdetektiv vom Schlage eines Hercule Poirot zu sein, um festzustellen, dass „The Mystery of the Blue Train“ die schwächste Folge der elften Staffel ist. Neben den drei herausragenden Produktionen „Cards on the Table“, „After the Funeral“ und „Taken at the Flood“ zeigt die auf dem Roman „Der blaue Express“ basierende Verfilmung doch merkliche Schwächen. Dies mag zunächst einmal am „blauen Express“ selbst liegen, denn als Erzählung aus Christies Frühwerk (Entstehungsjahr 1928) ist er selbstverständlich höchstens ein halbherziger Testlauf für den sechs Jahre später entstandenen „Mord im Orientexpress“. Gleichsam erzählt er eine recht ähnliche Geschichte wie die Kurzstory „Das Geheimnis des Plymouth-Express“ aus dem 1926er-Sammelband „The Underdog and Other Stories“, die bereits als 50-minütige Folge „The Plymouth Express“ (Mitgiftjäger) in der dritten Staffel der Poirot-Serie im Jahr 1991 verfilmt wurde.

Die ungewöhnliche Inszenierung umfasst auffällig viel Einsatz dynamischer Fotografie und recht zügiger Schnitte. „The Mystery of the Blue Train“ baut entsprechend eine ganz eigene Atmosphäre auf und ist damit optisch mit keiner anderen Episode vergleichbar. Während ich persönlich nicht darüber glücklich wäre, diese Art des Inszenesetzens innerhalb der Serie massiv ausgeweitet zu sehen, so muss man doch konstatieren, dass sie für einige sehr stimmige Momente sorgt, zu denen zum Beispiel die abendliche Abfahrt des Blauen Express bei Unwetter in Calais zählt. Auch mit der Enge des Zuges sieht man sich so recht gut konfrontiert.
Leider halten die Außenaufnahmen des fahrenden Blauen Express absolut nicht, was die Bahnhofs- und Innenszenen versprechen. „Computeranimation pur“ ist das Gefühl, das sich einstellt, wenn man den Zug durch die französischen Landschaften tuckern sieht. Es bleibt zu erwarten, dass man sich für die 2009/10er-Verfilmung „Murder on the Orient Express“ mehr Mühe mit echten Zugaußenaufnahmen gemacht hat, um auch in diesem Punkt noch eine große Schippe auf „Blue Train“ hinaufzulegen.

Der Großteil der Schauspieler überzeugt gemäß dem hohen Caststandard der Serie. Georgina Rylance als Katherine Gray wird in Abwesenheit regulärer Hauptdarsteller als Poirots Sidekick genutzt, was ihre Rolle unglaublich effektiv erscheinen lässt. Nur James D’Arcy liefert wie gewöhnlich eine gänzlich unpassende Performance ab, scheinen die Worte „Übertreibung“ und „klischeehafte Schubladentypisierung“ doch genau jene zu sein, auf denen er sein gesamtes Repertoire aufbaut. Wie ein echter Charakter aus den 1930er Jahren wirkt seine Rolle jedenfalls nicht – gleiches gilt im Übrigen auch für Lenox Templin, obwohl beide Originalfiguren der Buchvorlage sind.
Gewisse Ergänzungen und Veränderungen gegenüber dem Original stimmen ein wenig nachdenklich. So fragt man sich, ob die Geschichte mit dem Kloster in der vorliegenden Form nötig gewesen wäre und warum man die Todesart der Ruth Kettering dahingehend verändert hat, einen vorgetäuschten Mord in Betracht zu ziehen, wenn von dieser Möglichkeit inhaltlich kaum Gebrauch gemacht wird.

Nichtsdestotrotz bewegt sich der „Blaue Express“ mit einem ungeheuren Tempo: Die attraktiven Schauplätze und die flotten Schnitte sorgen für Kurzweil, bis man in einem klassischen und atemberaubenden Finale angelangt, das sich als Abschluss der Folge mehr als würdig erweist.

Keine Chance gegen die Konkurrenz der Staffel, aber nicht so schlecht, wie es einige Christie-Vertreter sehen. Die Inszenierung weicht deutlich vom Serienstandard ab, das stimmt, aber sie schafft damit lediglich Raum für ein verhältnismäßig gelungenes Experiment. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

27.04.2010 20:25
#107 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Staffel 07, Episode 01:

Murder on the Links (nicht synchronisiert)


Mit: David Suchet, Hugh Fraser. Als Gaststars: Bill Moody, Damien Thomas, Jacinta Mulcahy, Barnard Latham, Ben Pullen, Diana Fletcher, Terence Beesley, Sophie Linfield u.v.a. Regie: Andrew Grieve. Drehbuch: Anthony Horowitz. Erstsendung: 11.02.1996.

„Murder on the Links“ weist erstaunlich viele Gemeinsamkeiten mit „The Mystery of the Blue Train“ auf, sodass die Besprechung dieser Folge der siebten Staffel nur eine logische Ergänzung darstellen sollte. In beiden Fällen wird Hercule Poirot von Agatha Christie zu Ermittlungen nach Frankreich geschickt, in beiden Fällen stellt eine „Villa Marguerite“ einen wichtigen Schauplatz dar, in beiden Fällen gibt es Beziehungen zu Verbrechen in der Vergangenheit, unsympathische Männer und einen mehr oder minder verzwickten Mordfall. Beide Bücher entstanden in Agatha Christies erster Krimischaffensperiode in den 1920er Jahren und stellen damit Vorläufer ihrer großen Erfolge und tollen Plots dar, die noch nicht an die später zusammengeschusterten Genialitäten heranreichen, durch die sie schlussendlich weltberühmt wurde.
So ist auch die Erwartung an den Kriminalfall in „Murder on the Links“ eher verhalten, sodass man kaum enttäuscht werden wird, wenn man ein noch recht ungelenk geschildertes Verbrechen mit verschiedenen logischen Patzern und einer wenig memorablen Auflösung ohne anständiges dénouement vor den versammelten Verdächtigen sowie mit scheinbar willkürlich gewähltem Täter präsentiert bekommt.

Warum beispielweise wollte Renauld das alte Verbrechen so exakt kopieren, um sein Verschwinden zu vertuschen, wenn er dies ausgerechnet für seine alte Komplizin glaubhaft erscheinen lassen wollte, die natürlich wusste, dass es schon damals nur ein „abgekartetes Schauspiel“ war und es ein zweites Mal umso weniger für voll nehmen würde?

Berühmt-berüchtigt ist dieser Stoff darüber hinaus ja dafür, dass Christie in ihm, ihrem gerade einmal zweiten Poirot-Werk, Arthur Hastings „unter die Haube“ bringt. Immerhin kann man zugute halten, dass die Liebeleien recht gut mit dem Verbrechen selbst verbunden wurden. Auf der anderen Seite aber bleibt die Glaubwürdigkeit aller „Herumliebeleien“ auf der Strecke, wenn Isabel Duveen munter zwischen Hastings und dem jungen Renauld hin- und hergereicht wird. Auch nimmt die Liebschaft einen so großen Part in der Dramatisation für die TV-Episode ein, dass man sie – vor allem durch das von ihr in die Länge gestreckte Ende – doch eher in zweifelhafter Erinnerung behält. Dem zum Trotz bleiben vor allem die weiblichen Darsteller dieser Episode im Gedächtnis: Jacinta Mulcahy verleiht der Miss Duveen ein erstaunlich herbes und dennoch einfühlsames Profil und Diane Fletcher überzeugt als liebende Ehefrau des Toten.
Spannung und Tempo werden indes nicht ganz so erfolgreich hochgehalten wie in „The Mystery of the Blue Train“: Es macht sich bemerkbar, dass gerade die Ergänzungen zur Originalgeschichte – hier getätigt vom erfahrenen Anthony Horowitz –, nämlich die Wette um Poirots Bart, das Fahrradrennen von Deauville und die Newsreel vom Beroldy-Überfall, mit ein wenig Nervenkitzel erfrischende, aber nicht über die gesamte Spielzeit wirksame Akzente setzen. Letzteres, das Nachrichtenfilmchen, stellt übrigens einen der kuriosesten Filmfehler der gesamten Serie dar, wie diverse Fans auf IMDB.com aufmerksam herausstreichen:

Zitat von IMDB: Murder on the Links
Strange anachronism
This was a very entertaining adaptation with super French atmosphere, complete with antique racing bikes and many other period details. It's great to see such trouble taken. But how strange that there should be a glaring anachronism. The story starts with a voice-over newsreel in what we later find out was 1926! Sound newsreels were certainly not current at that date.


„Murder on the Links“ stellt weniger einen erstklassigen Krimi dar als eine erfreuliche Spielwiese für David Suchets wunderbare Interpretation der Hercule-Poirot-Rolle, die hier noch von einem – allerdings bereits sehr eigenständigen – Captain Hastings begleitet wird. Die französische Ausstrahlung der Folge ist sehr gelungen, wird aber durch die Liebesthematik ein wenig überstrapaziert. Was bleibt, sind verhältnismäßig wenig Spannung und ein paar Löcher in der Logik. Innerhalb einer so guten Serie wie „Poirot“ reicht es also nur zum Prädikat „durchschnittlich“. 3,5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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28.04.2010 20:06
#108 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Staffel 02, Episode 08:

The Adventure of the Cheap Flat (Mord im Mietpreis inbegriffen)


Mit: David Suchet, Hugh Fraser, Philip Jackson, Pauline Moran. Als Gaststars: Samantha Bond, John Michie, Jemma Churchill, Peter Howell, Jenifer Landor, Ian Price, William Hootkins, Gordon Wharmby u.v.a. Regie: Richard Spence. Drehbuch: Russell Murray. Erstsendung: 18.02.1990.

Zitat von „The Adventure of the Cheap Flat“
Arthur Hastings zu Hercule Poirot: „Ich hatte einen kleinen Disput mit dem Pförtner; der hat mich doch fast nicht ins Gebäude gelassen. Scheinbar schleicht da irgendein finsterer Fremder ums Haus und erkundigt sich nach den Robinsons. – Sie waren das nicht zufällig?“


In „Mord im Mietpreis inbegriffen“ (ein sehr schöner, wenngleich nicht ganz akkurater Titel übrigens) erhält Hercule Poirot noch mehr Spielraum als in vielen anderen Episoden. Nicht nur als kluger Kopf, der die wahre Natur seltsamer und gefährlicher Vorkommnisse sowie die Identität der dafür verantwortlichen Verbrecher enttarnt, tritt er auf; auch kann man ihn als Einbrecher, als Kinogänger, als FBI-Übertölpler und als seinen eigenen Dramaturgen (nicht der Drehbuchautor, sondern er selbst ist verantwortlich für den Showeffekt am Ende der Episode) bewundern. David Suchet, der hier noch in der unbeschwerten Frische früher Staffeln auftritt, verleiht all diesen Aspekten genau die richtige Mischung aus sympathischer Leichtigkeit und versnobbter Arroganz, die die Rolle bereits in Agatha Christies Büchern so populär und Suchet zum Liebling aller wahren Christie-Fans gemacht hat.
Auch das übrige Serienteam hat große Auftritte, worunter sich unter anderem eine der aktivsten Beteiligungen von Miss Lemon befindet. Selbstverständlich entspricht sie nicht wirklich den Originalvorlagen, aber Pauline Morans einnehmendes Spiel und die überhaupt dadurch erst stattfindende „Nutzbarmachung“ ihres Charakters lassen darüber hinwegsehen.

Die Folge trumpft durch die schönen Innen- und Außenaufnahmen am Campden Hill Gate auf, einem jener herausragenden Serienschauplätze, die zumindest äußerlich verhältnismäßig wenig Gebrauch vom die Reihe dominierenden Art-Deco-Stil machen. Die Entsorgungstüren und die Dienstbotentreppe, die die Wohnung verbindet, bietet sich dabei für interessante kriminalistische Ereignisse natürlich ebenso an wie die skurrile, fast schon an eine Sherlock-Holmes-Geschichte erinnernde Ausgangssituation.
Ins Auge fällt darüber hinaus besonders eine sehr reizvolle stilisierte Rückblende, die New York auf eine einzige Straße reduziert und dennoch in artistischer Rafinesse hübsch nebeneinander aufgebaut alles zeigt, was für die sich dort abspielende Handlung von Belang ist.

Unter den Darstellern beeindruckt selbstverständlich zuallererst einmal die aus „Ein Mord wird angekündigt“ bekannte Samantha Bond, die wiederum eine jener netten jungen Damen spielt, denen man einfach nicht misstrauen kann, egal wie sehr das Drehbuch auch versucht, einem diesen Gedanken in den Kopf zu pflanzen. Doch auch alle anderen Handlungsträger bleiben in positiver Erinnerung, sei es die burschikos-neufrauenbildliche Verbrecherlady Carla Romero (Jenifer Landor), der verschlagene Mafiamörder (Anthony Pedley), der urkomische Nachtklubbesitzer Bernie Cole (Nick Maloney) oder der feiste, in schönstem Slang parlierende FBI-Ami (William Hootkins), dessen einfaches Gemüt sich bereits in seinem Namen Burt widerspiegelt.
Abgerundet durch mehrere spannende, beinahe actionartige Szenen, die durch den klugen Handlungsaufbau ausgesprochen gut über die Episode verteilt sind und dementsprechend nicht „nur“ auf ein furioses Ende hinarbeiten, sondern auch den Weg als Ziel markieren, kann „The Adventure of the Cheap Flat“ anstandslos überzeugen.

Für Suchet-Fans ein Klassiker; für die ansonsten zumeist durch saubere 4-Punkte-Werke überzeugende Staffel 2 eine überdurchschnittliche Glanzleistung. Diesmal gibt’s volle 5 von 5 Punkten!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

30.04.2010 19:46
#109 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Staffel 02, Episode 09:

The Kidnapped Prime Minister (Im Namen der Nation)


Mit: David Suchet, Hugh Fraser, Philip Jackson, Pauline Moran. Als Gaststars: David Horovitch, Ronald Hines, Patrick Godfrey, Henry Moxon, Lisa Harrow, Jack Elliott, Kate Binchy, Milo Sperber u.v.a. Regie: Andrew Grieve. Drehbuch: Clive Exton. Erstsendung: 25.02.1990.

Der größte Verdienst der Folge „Im Namen der Nation“ ist ein Zitat Chiefinspector Japps, der seinen Freund Hercule Poirot mit den unsterblichen Worten „Er ist nicht langsam, er ist gründlich“ beschreibt. Poirot wird hier nämlich kritisiert, dem sich vor seinen Augen abspielenden Verbrechen von nationaler Tragweite zu wenig Aufmerksamkeit zu schenken und zu zögernd zu handeln. Dass sich natürlich am Ende herausstellen wird, dass Poirot der einzige mit dem Fall betraute Mann war, der die Dinge klar und richtig sah, ist für den Zuschauer von Anfang an ohne Zweifel.
Leider basiert auf diesem Umstand auch die charakterliche Schwäche von „Im Namen der Nation“: Man erhält unter den Gastdarstellern keinen einzigen Sympathisanten zur Seite gestellt – die steifen Politiker, die fundamentalistische Exfrau und der auf mysteriöse Weise verschwundene Chauffeur können alle kein echtes Interesse an den speziellen Vorkommnissen der Episode erzeugen. Zwar kann man diese (die übrigens vom Aufbau her zu den mittelmäßigen mit einem recht langgestreckten Hauptteil und einem ansprechenden Finale gehört) recht gut ansehen, aber von wirklichem Mitfiebern wie bei den Problemen positiv bestimmter und positiv stimmender Einzelpersonen ist man weit entfernt.
Aus diesem Grund versinkt auch der hervorhebenswerte Gastauftritt von „Marple“-Star David „Slack“ Horovitz weitgehend unreflektiert und ohne Selbstironie.

Einige hübsche Szenen, entstehend durch die prominente Nutzung englischer Landstraßen, so etwa dem Ort des ersten Überfalls auf den Premierminister, tragen zur Mildstimmung gegenüber der Folge bei. Auch die eigens komponierte Szenenmusik gehört zu den Highlights der Episode.

Die Riege der Protagonisten macht „The Kidnapped Prime Minister“ ein wenig dröge, wo sie dem Kurzkrimi im besten Falle wirklich aristokratisch-elegantes Flair hätte einhauchen können. Da sie trotz gewisser Attraktivitäten – allein schon durch die Szenen mit Poirot bei seinem Schneider (die Anprobe bezeichnet er als ein größeres Problem als die Rettung Englands) sind hinreißend – unter dem Niveau der Staffel liegt, erhält sie 3 von 5 Punkten.



Staffel 02, Episode 10:

The Adventure of the Western Star (Die Augen des chinesischen Gottes)


Mit: David Suchet, Hugh Fraser, Philip Jackson, Pauline Moran. Als Gaststars: Barry Woolgar, Bruce Montague, Struan Rodger, Rosalind Bennett, Oliver Cotton, Caroline Goodall, Alister Cameron, Stephen Hancock u.v.a. Regie: Richard Spence. Drehbuch: Clive Exton. Erstsendung: 04.03.1990.

Denkt man allein schon an die selten amüsante Szene, in der Poirot die Wohnung für die Ankunft des belgischen Filmstars Marie Marvelle herrichtet, so kann man sicher sein, „Die Augen des chinesischen Gottes“ als eine der lustigsten, wenn nicht gar als die lustigste Folge der „Poirot“-Serie bezeichnen zu können. Wie der kleine Meisterdetektiv die Nachlässigkeiten seiner Kumpanen rügt und selbst so Feuer und Flamme ist für die belle femme aus seiner Heimat, dass er nah daran ist, sein Gesicht zu verlieren, als Hastings und Japp darüber herziehen, dass in Belgien überhaupt Filme gedreht werden, strapaziert die Lachmuskeln derart, dass man Clive Exton für diese Schikane des Drehbuchs auf Knien danken möchte:

Zitat von Poirot: Das offizielle Booklet zu Collection 2
Dass eine der Beteiligten aus Poirots Heimatland kommt, ist eine Erfindung des Drehbuchs von Clive Exton. In der Kurzgeschichte, die dieser Episode zugrunde liegt, helfen Poirot und Hastings einem bekannten amerikanischen Filmstar. Eine weitere Neuerung des Drehbuchs gegenüber der Vorlage ist die Geschichte um den Diamantenkäufer Van Braks.


Leider muss man in dieser Hinsicht anmerken, dass die kriminalistische Aufarbeitung der Geschichte ausbaufähig gewesen wäre. Die durchaus schwerwiegende Änderung in Form der Einbringung der Van-Braks-Rolle (fantastisch gespielt von Struan Rogers) hätte noch einiges mehr an Dramatik und an Härte in die 50 Filmminuten bringen können. Die Folge kommt beispielsweise komplett ohne Mord aus, was ich – bedenkt man die Möglichkeiten, die sich vor allem mit der optischen Einbringung des Chinesen-Themas eröffnet hätten – trotz des Umstandes, dass dies eine eigentlich zu fördernde Abwechslung darstellt, irgendwie nicht recht gutheißen kann. Auch die zu frühe Enttarnung des Täters trägt dazu bei, dass das Finale an Schwung verliert. Wüsste man nicht, mit wem sich Van Braks auf dem Flughafen treffen will, so würde die Folge massiv von einem ausgeweiteten Whodunit-Vorteil profitieren.
Dennoch beeindruckt das Finale, was in erster Linie an seinem Schauplatz liegen dürfte. Alles strebt hier auf den Shoreham Airport zu, der zum ersten Mal in der Serie zu sehen ist und später mit seiner einzigartigen Art-Deco-Architektur noch in „Death in the Clouds“ und „Lord Edgware Dies“ fasziniert. Auch ein zweiter Schauplatz sorgt für Aufsehen, nämlich Dorney Court, der hier als Yardley Chase, dem Anwesen von Lord und Lady Yardley fungiert (letztere besonders einprägsam durch Caroline Goodall verkörpert, die unterdessen zu namhaften Rollen in Filmen wie „Schindlers Liste“ oder diversen renommierten amerikanischen TV-Serien „aufgestiegen“ ist). Das schicke und unverkennbar englische Gebäude war auch in der Jeremy-Brett-Sherlock-Holmes-Serie zu sehen und kann in der „Inspector Barnaby“-Reihe inzwischen ganze drei Auftritte verbuchen.

Die exzellente Atmosphäre und die Heiterkeit der Geschehnisse täuscht darüber hinweg, dass die Geschichte an sich noch mehr Potenzial gehabt und bei entsprechender Ausarbeitung aus „The Adventure of the Western Star“ eine der besten Folgen der Serie hätte entstehen können. Die in Höchstform agierenden Darsteller trösten über diesen wehmütigen Gedanken hinweg. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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01.05.2010 10:17
#110 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Für die Liebhaber von David Suchets "Poirot" gibt es auf Youtube einige hübsche Fundstücke, darunter zwei Dokumentationen zur Serie:

David Suchet: Poirot and Me
David Suchet gibt episodenartig Aufschluss über gewisse Themenaspekte und Fragen zur Serie. Die kleinen viereinhalbminütigen Sequenzen wurden in England an einem "Poirot-Wochenende" vor verschiedenen Folgen gezeigt.



Teile:
David Suchet: Poirot and Me (1/9) - How it all began
David Suchet: Poirot and Me (2/9) - My most intriguing mystery
David Suchet: Poirot and Me (3/9) - My most humorous episode
David Suchet: Poirot and Me (4/9) - My favourite male star
David Suchet: Poirot and Me (5/9) - My all time favourite
David Suchet: Poirot and Me (6/9) - My loneliness as Poirot
David Suchet: Poirot and Me (7/9) - My favourite leading lady
David Suchet: Poirot and Me (8/9) - Poirot almost gets it wrong
David Suchet: Poirot and Me (9/9) - My most challenging location


Poirot: Super Sleuths
Die Dokumentationsreihe "Super Sleuths" gibt es zu vielen englischen Serien, unter anderem zu "Inspector Barnaby", bei dem sie sogar auf DVD erschienen ist (als Bonus-DVD in Collection 6 oder einzeln). Die "Poirot"-Doku aus dieser Reihe gibt's immerhin bei Youtube:



Teile:
Poirot: Super Sleuths (1/7)
Poirot: Super Sleuths (2/7)
Poirot: Super Sleuths (3/7)
Poirot: Super Sleuths (4/7)
Poirot: Super Sleuths (5/7)
Poirot: Super Sleuths (6/7)
Poirot: Super Sleuths (7/7)

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

02.05.2010 13:14
#111 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Staffel 11, Episode 04:

Taken at the Flood (nicht synchronisiert)


Mit: David Suchet, David Yelland. Als Gaststars: Elliot Cowan, Eva Birthisle, Amanda Douge, Patrick Baladi, Penny Downie, Pip Torrens, Tim Pigott-Smith, Nicholas Le Prevost u.v.a. Regie: Andy Wilson. Drehbuch: Guy Andrews. Erstsendung: 02.04.2006.



„Taken at the Flood“ gehört mit Sicherheit nicht zu Christies besten Geschichten oder Geheimnissen, obgleich die Erzählung mit einer komplexen Personenstruktur und einem in die Vergangenheit reichenden Verbrechen aufwartet. Vielmehr jedoch fasziniert dieser Stoff durch seine Charakterzeichnung, die den Zuschauer – wie auch Poirot persönlich – wahrhaftig schockiert und damit über die 100 Minuten der Folge hinaus berührt. Selten, ich meine sogar: nie, hat man in einem klassischen Kriminalfilm einen derart teuflischen und bösartigen Charakter gesehen wie David Hunter in dieser Episode. Sein Part gestaltet sich eiskalt und schaudererregend emotional zugleich, lässt tiefste Abneigung aufkeimen und bedient sich dennoch nicht der gängigen Plattitüden naiver Schwarzzeichnung. Das differenzierte Ergebnis ist so abstoßender Art, dass ich keine Sekunde zögern kann, allein aufgrund dieser Person der Folge eine Wertung von vollen 5 von 5 Punkten zu erteilen.
Elliot Cowan (Bild oben) stellt die Idealbesetzung dieses selbstsicher erscheinenden und dennoch um seine zerstörenden Einflüsse wissenden Unmenschen dar und überzeugt in einem erschreckenden Ausmaß: Sieht man ihn zum ersten Mal in dieser „Poirot“-Episode, so ist sein Gesicht so stark unmittelbar mit seiner hierin vorstellig gemachten Leistung verbunden, dass man ihm – so geht es zumindest mir – nie wieder eine positive Rolle wie etwa die in „Marple: They Do it with Mirrors“ mit Julia McKenzie abnehmen wird. Für immer und ewig wird er jener verachtenswerte Lump bleiben, der in seiner überheblichen Wesensart ein Terrorregime gegen alle anderen Charaktere installiert hat, das in Vernichtung und Katastrophe gipfelt. Dies stellt eine einmalige Leistung nicht nur innerhalb der Serie, sondern auch innerhalb meines Film- und TV-Erfahrungsschatzes dar, was für mich David Hunter zum ernsthaftesten Gegner für Hercule Poirot und Elliot Cowan zum einzigen Darsteller überhaupt adelt, der Suchet trotz seiner abermals brillanten Leistung wahrhaftig die Schau stiehlt.

Unter dieser Herangehensweise entbehrt „Taken at the Flood“ sogar eines richtigen Whodunit-Plots: Der wahre Schurke der Story – das Wort „Schurke“ erscheint mir in diesem drastischen Falle beinahe schon karrikativ – trägt seine Abscheulichkeit von Anfang an offen zur Schau und demütigt damit die anderen Protagonisten. Als beeindruckendes Beispiel dafür soll die Bloßstellung von Frances Cloade auf der Party gelten, die er vor versammelter Gesellschaft als Bittstellerin enttarnt und jeglicher Würde beraubt.
Die Nebendarsteller unterstützen Cowan nach bestem Vermögen und legen ebenfalls erstklassige Performances ab. Eva Birthistle als Rosaleen Cloade erweckt Mitleid und Trauer, Patrick Baladi und Amanda Douge brillieren als ungleiches Pärchen wider Willen, Nicholas Le Prevost sticht als schuldhafter Major hervor und Celia Imrie bietet gleichsam einen winzigen Schuss Humor und die typische trockene englische Bissigkeit. Mit David Yelland („Murder in the Mews“) und Pip Torrens („The Mystery of the Spanish Chest“) verfügt die Folge darüber hinaus über zwei bereits auf „Poirot“-Territorium erfahrene Gaststars, die trotz der ursprünglichen Prämisse, nie ein und denselben Schauspieler in zwei verschiedenen Rollen zu besetzen, vorbehaltlos überzeugen. Tim Pigott-Smith kennt sich ebenfalls schon mit dem belgischen Meisterdetektiv aus, denn er trat 1986 neben Sir Peter Ustinov in dem von Suchet bisher noch unverfilmten „Mord mit verteilten Rollen“ (d.i. „Wiedersehen mit Mrs. Oliver“, im Original „Dead Man’s Folly“) als Sir George Stubbs auf.

Die Produktionswerte von „Taken at the Flood“ entsprechen dem hohen Niveau der elften Staffel und präsentieren liebliche Landschafts- und Dorfaufnahmen als Kontrast zur düsteren Zeichnung des David Hunter. Die Ausstattung des Cloade’schen Schlosses lässt ebenfalls nichts zu wünschen übrig.
Von Agatha-Christie-Fans werden wie üblich gewisse Freiheiten kritisiert, die man sich mit der Vorlage herausnahm. Wie fast immer ist dies aber auch hier als verbohrter Unfug abzuwickeln, denn schließlich ergeben sich die Veränderungen aus der zwingenden zeitlichen Versetzung der Geschichte in die 1930er Jahre, machen auch nicht den Plot unglaubwürdiger und nehmen noch weniger dem Originaltitel – wiederum einem Shakespeare-Werk, dieses Mal „Julius Caesar“, entnommen – seine Bedeutung. Natürlich kann auch in der vorliegenden Verfilmung David Hunter als Opportunist und sein Handeln als „Herausholen des Besten aus der Situation“ ausgelegt werden – so, wie es der berühmte englische Dichter seinerzeit mit den Worten „taken at the flood“ ausdrücken wollte...

Dunkler Höhepunkt der Serie, der lange nachwirkt und mit erstklassigen Charakterisierungen und Darstellern aufwartet. Fraglos gilt für mich meine schon weiter oben im Text genannte Wertung.

Gubanov ( gelöscht )
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02.05.2010 23:31
#112 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Staffel 10, Episode 04:

The Hollow (Das Eulenhaus)


Mit: David Suchet. Als Gaststars: Jonathan Cake, Megan Dodds, Claire Price, Caroline Martin, Edward Hardwicke, Tom Georgeson, Jamie de Courcey, Lysette Anthony u.v.a. Regie: Simon Langton. Drehbuch: Nick Dear. Erstsendung: 26.04.2004.

Die „Poirot“-Serie durchlebt in ihren nunmehr über 60 Folgen selbstverständlich die verschiedensten Jahreszeiten. Man sieht die Blüten des Frühlings, die Hitze des Sommers, die Kälte und sogar den Schnee des Winters. Aber kaum hat man im Rahmen der Serie ein so authentisches und stimmungsvolles Bild der Herbstzeit vor Augen geführt bekommen wie in „Das Eulenhaus“. Bäume verlieren ihr buntgefärbtes Laub, das auf das ungereinigte Wasser des Swimming Pools vor dem verfallenen Pavillon fällt; Nadelgehölze dominieren ganze Szenen; die wärmende Sonne des Spätsommers und der frische Wind der einsetzenden Kühle wirken sich auf die Gemüter der Menschen aus, die von ihnen umschlossen werden. Optisch und darstellerisch gibt es dementsprechend auch an dieser „Poirot“-Folge so gut wie nichts auszusetzen.
Sonderbarerweise ist es mit Megan Dodds gerade eine gebürtige Amerikanerin, die als eine der von Christie-Fans oftmals als menschlich bewundernswerteste aller Christie-Figuren angeführte Henrietta Savernake brilliert und sich im Gedächtnis des Zuschauers einen festen Platz sichert. Sie sorgt gleichsam dafür, dass die emotionale Geschichte um die Liebschaften des Dr. John Christow einen beruhigenden und ausgleichenden Part erhält.
Auch Claire Price als Ehefrau des Mordopfers weiß, die Wesensart ihrer Rolle ideal zu nutzen und damit als absolutes Unikum im Christie-Kanon zu überzeugen – ein Vorteil, der anderen ebenfalls guten Darstellern (darunter die kratzbürstige Schauspielerschauspielerin Lysette Anthony, der berühmte Gaststar Edward Fox als Butler oder Edward „Dr. Watson“ Hardwicke) nicht zukommt.

Neben der etwas befremdlichen Dinnerszene am Vorabend des Mordes ist das Drehbuch von Nick Dear auch in anderen Punkten leider ein wenig schwachbrüstig. Während es sich genüsslich viel Zeit nimmt, die Ereignisse vor dem Mord in teilweise unnötiger Länge und Breite zu schildern, entwickelt es sich danach recht oberflächlich: Christie ist schließlich neben der kunstfertigen Planung und Ausführung „ihrer“ Verbrechen auch für die zentrale Thematisierung gewisser Teilaspekte solcher Taten berühmt. Um diesen Umstand zu verdeutlichen, hier einige Beispiele aus anderen Romanen:

- In „Murder on the Orient Express“ beschäftigt sie sich mit einem Vergleich der Schwere verschiedener Schuldlasten und der Rechtfertigung eines Mordes, wenn das Opfer selbst ein bösartiger Verbrecher war.
- In „Ten Little Niggers“ spielt sie gedanklich die Ausführung höherer Gerechtigkeit jenseits des Gesetzes durch.
- In „Five Little Pigs“ geht sie auf die Befangenheit und Subjektivität von Zeugenaussagen bis ins kleinste Detail ein.

Auch „The Hollow“ weist ein kleinteiliges Eingehen auf solche speziellen moralischen, taktischen und planerischen Besonderheiten auf, sogar in mehrlei Form. Leider werden diese von der filmischen Umsetzung nicht ausreichend in den Fokus gerückt und gehen dem Zuschauer entsprechend im besseren Falle nur durch große Erfahrung mit Kriminalfilmen oder im schlechteren Falle sogar erst dann auf, wenn er sich die Dokumentation zum Film ansieht:

1. Jeder hat am Tag der Ankunft mit der Mordwaffe im Rahmen der von Sir Henry initiierten Schießübung geschossen. Damit hat jeder Übung im Umgang mit der Feuerwaffe, jeder hat sie berührt, hat Fingerabdrücke hinterlassen, hat ein Gefühl fürs Abfeuern (bekommen). Jeder ist ein Verdächtiger. – Mit Rückblenden auf die Schießübung hätte man dieses Motiv herausarbeiten können. In Anlehnung an Poirots psychologisches Vorgehen in Romanen wie „Cards on the Table“, in dem er die Personen nach ihren Erinnerungen an das Bridgespiel und an die Einrichtung des Raumes fragt, wäre es ebenso möglich gewesen, die Verdächtigen nach ihrer Waffensicherheit und ihrer Einschätzung der Waffensicherheit der anderen zu interviewen.
2. Die Ablenkung des Verdachts von Gerda Christow gestaltet sich sehr geschickt. Wie Poirot korrekt sagt: „There is only one thing to do, if you want to clear from suspicion the person who is actually guilty. Suggest guilt elsewhere. But never localise it.“ – Tatsächlich wird sehr geschickt auf jede einzelne Figur der Vorlage ein Verdacht gelenkt, was in vielen Fällen erst im Nachhinein geschieht und entsprechend nur einen kollaborativen Versuch darstellt, Poirot in die Irre zu führen. Es wäre nötig gewesen, diese Versuche im Einzelnen aufzuwickeln und die Motivationen zu erklären.
3. Was wird aus den Kindern der Christows, die beide Elternteile verlieren? Wird sich Henrietta Savernake um sie kümmern? Oder werden sie bei Edward und Midge ein neues Heim finden?

„The Hollow“ stellt eine stilistisch ausgewogene Folge dar, in der die Melancholie neuer Folgen und der positive Ausblick auf das Kommende – etwa am Beispiel von Midge und Edward – sich in einem erbaulichen Maße die Waage halten. Die Folge wäre wirklich sehr rund geworden, wenn man noch ein wenig mehr Sorgfalt bezüglich des Drehbuchs hätte walten lassen. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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04.05.2010 14:37
#113 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Staffel 03, Episode 04:

Wasps’ Nest (Das Wespennest)


Mit: David Suchet, Hugh Fraser, Philip Jackson, Pauline Moran. Als Gaststars: Martin Turner, Melanie Jessup, Peter Capaldi, John Boswall, Kate Lynn Evans, Serena Scott Thomas, Hilary Tindall, Julian Forsyth u.v.a. Regie: Brian Farnham. Drehbuch: David Renwick. Erstsendung: 27.01.1991.

„Wasps’ Nest“ nimmt in gewisser Hinsicht innerhalb der Suchet-Serie eine Vorreiterrolle ein. Als erste Folge bot diese einen düstereren Blick auf Poirots Tätigkeit und eine Stimmung, die sich sehr bedrückend darstellt. Es handelt sich um die Geschichte eines (Selbst-)Mordes, der noch nicht begangen wurde und dementsprechend von Poirot verhindert werden muss. Die Töne, die angeschlagen werden, nehmen die spätere Entwicklung der Reihe in gewissen melancholischen Momenten vorweg. Auch der starke Einsatz einer sehr eigenständigen Musik, die kaum Ähnlichkeit mit dem damals an allen Ecken und Enden verwendeten „Poirot Theme“ von Christopher Gunning hat, trägt zu dem in den neueren Langfolgen propagierten Eigenständigkeitsgefühl bei.
Die Story spielt sich dieses Mal in dem beschaulichen Londoner Vorort Marble Hill ab, wobei die anfänglichen Aufnahmen der U-Bahn-Station im und um den Art-Deco-Haltepunkt Arnos Grove gedreht wurden, der sich so ziemlich am anderen Ende der Stadt – im Norden und nicht im Südwesten – befindet. Das Setting erweckt dennoch den Anschein, wie aus einem Guss zu sein, und trägt mit seiner freundlich-sinistren Ausstrahlung der hinter sonnigen Landschaften versteckten Tragödien unmittelbar zur zentralen Aussage der Geschichte bei.

Sicher ist noch zu bemerken, dass die Macher und Darsteller der Serie auf dem Gebiet trauriger Ernsthaftigkeit nach den vorher gedrehten leichtherzigen Folgen noch recht unbewandert waren. Oftmals setzen sie einen sehr langsamen, getragenen Szenenaufbau mit schwermütiger Atmosphäre gleich und verhindern mit dieser Fehlsicht die tempovolle Entwicklung, die die Folge hätte machen können, wenn man das Dramatische seinem Wortsinn entsprechend als vollwertig spannendes Drama und nicht als gemächlichen Trauermarsch in Szene gesetzt hätte.
Es ist demnach nicht unbedingt zu kritisieren, dass die Atmosphäre des Öfteren aufgebrochen wird, um die eingeübte, lichte Seite des komplett auftretenden alten Serienvierergespanns um Poirot, Hastings, Japp und Miss Lemon zu zeigen. Alle vier Charaktere erhalten in dieser Folge entsprechend der damaligen Serientradition kleine Eigenheiten, die sie zu runden Menschen formen sollen: Poirot sieht in die Zukunft (verbindet dies aber mit deduktivischer Kriminalistik und nicht, wie etwa Jeremy Bretts später Sherlock Holmes, mit übernatürlichen Kokolores), Hastings fotografiert, Japp lässt sich seinen Blinddarm entfernen und Miss Lemon besucht einen Trimm-Dich-Kurs. Da außer Japps krankheitsbedingtem Ausfall alle Tätigkeiten zur Entwicklung der Story beitragen, kann man ihre prominente Herausstellung durchaus tolerieren, was mir in anderen Fällen, in denen die Ergänzungen tatsächlich nichts weiter als naiv-lieblich schmückendes Beiwerk sind, um die Folgen auf 50 Minuten Länge zu bringen, manchmal etwas schwerfällt.

„Das Wespennest“ bedient sich nicht nur einer sehr ungewöhnlichen Story, sondern auch einer ungewöhnlich dunklen Aufarbeitung für die Verhältnisse der ersten Staffeln. Da die Episode über einige Strecken doch recht in die Länge gezogen wirkt (kein Wunder: Christies Vorlage war nur acht Seiten lang!), wollte sie mir zunächst nicht richtig gefallen, doch mit jeder Sichtung gewinnt sie an Sympathie. Momentan stehe ich mit ihr bei 3,5 von 5 Punkten – mit einer Möglichkeit der Steigerung bei kommenden Betrachtungen.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

06.05.2010 15:23
#114 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Staffel 01, Episode 07:

Problem at Sea (Eine Tür fällt ins Schloss)


Mit: David Suchet, Hugh Fraser. Als Gaststars: Melissa Greenwood, Victoria Hastead, Roger Hume, John Normington, Sheila Allen, Ann Firbank, James Ottaway, Ben Aris u.v.a. Regie: Renny Rye. Drehbuch: Clive Exton. Erstsendung: 19.02.1989.



Dieser Review enthält Spoiler zur vorliegenden Folge sowie zum Christie-Stoff „Das Böse unter der Sonne“.

Dass in der ersten Staffel der „Poirot“-Serie ausgerechnet die beiden exotischen Folgen „Triangle at Rhodes“ und „Problem at Sea“, die Poirot auf Reisen auf der Insel Rhodos bzw. auf dem Mittelmeer und in Alexandria und damit weit ab von der Londoner Heimat bei Miss Lemon und Chief Inspector Japp zeigen, direkt hintereinander ausgestrahlt wurden, ist ein kleines Unikum: Sicher konnte man bei einem gemeinsamen Dreh der beiden Folgen einiges an Unkosten sparen, aber die Frage, warum man die Episoden dann in der letztendlichen Sendereihenfolge immer noch so zusammenbehielt, stellt sich kurioserweise dennoch.
Wie auch immer, Poirot wird auf diesem Ausflug von Captain Hastings begleitet, was übrigens nicht der Originalgeschichte entspricht und damit eine der zahlreichen im DVD-Booklet näher beschriebenen Ergänzungen von Drehbuchautor und Ergänzungs-König Clive Exton darstellt. Hastings hat in dieser Folge ein weiteres Hobby, das Tontaubenschießen, zugeschrieben bekommen, was leider gen Ende der Episode aus dem Blick verloren wird. Hätte man im Mittelteil der Folge in Alexandria bzw. bei den Befragungen der Passagiere ein wenig zurückgenommen (auch diese Parts kommen so in der Kurzgeschichte nicht vor, in der direkt vom Mord zu dessen Aufklärung gesprungen wird), so wäre am Ende noch genügend Zeit gewesen, das von Hastings organisierte Turnier live mitzuerleben. Einen kleinen Trost bietet der Umstand, dass die vorliegende Schlussszene auf dem nächtlichen, vernebelten Deck beinahe schon als ein cineastisches Juwel zu bezeichnen ist.

Die Geschichte „Eine Tür fällt ins Schloss“ ist vor allem in der Hinsicht interessant, dass sie – im Jahr 1939 erschienen – einen Vorreiter des zwei Jahre später veröffentlichten berühmten Romans „Das Böse unter der Sonne“ darstellt. Beide Erzählungen verfügen über ganz augenscheinliche Gemeinsamkeiten: Poirot auf Reisen; ein sehr unsympathisches, weibliches Mordopfer (innerhalb der Suchet-Serie ist die von Sheila Allen gespielte Mrs. Clapperton gar noch um einiges erwähnenswerter als die verhältnismäßig blasse Louise Delamere in der Rolle der Arlena Stuart); ein Mord, der eher verübt wird, als gemeinhin angenommen; ein „Double“ für eine Leiche, das von den anwesenden Zeugen nicht richtig gesehen und demnach lediglich mit dem Mordopfer assoziiert wird. Diese Umstände verhelfen dem hier geschilderten „Problem at Sea“ zu einer Sonderstellung unter den Poirot-Kurzgeschichten, der auch insofern Rechnung getragen wird, als in ihr eines jener extrem berühmten Poirot-Zitate Verwendung findet. Was für Sherlock Holmes „The game’s afoot“ ist, sind für sein belgisches Pendant die Schlussworte

Zitat von „Eine Tür fällt ins Schloss“
„I do not approve of murder.“ / „Ich kann einen Mord nicht billigen.“


Doch sogar direkt nimmt Poirot Bezug auf Sir Arthur Conan Doyles Schöpfung, ein amüsanter Querverweis Christies:

Zitat von „Eine Tür fällt ins Schloss“
Es herrschte eine Minute lang Schweigen. Dann sagte Miss Henderson leise: „Und Sie glauben immer noch – der Täter ist ein Passagier?“
Poirot nickte.
Miss Henderson lachte plötzlich – ein lautes, abwehrendes Lachen. „Ihre Theorie wird wohl schwer zu beweisen sein, Monsieur Poirot. Es gibt sehr viele Passagiere.“
Poirot verbeugte sich vor ihr. „Ich benütze eine Redewendung eines Ihrer Kriminalschriftsteller: ‚Ich habe meine eigenen Methoden, Watson.’“


Und die hat Poirot tatsächlich. Die Auflösung, in der Poirot die Puppe zum Sprechen bringt und damit als Kronzeugin an dem Mord an Mrs. Clapperton ins Spiel bringt, gehört zu den besonders spannenden und überzeugenden Momenten der Story. Unglücklicherweise ließ Clive Exton den Nebenplot um das Digitalis fallen, der dem Schluss noch einen zusätzlichen Mehrwert an Dramatik, wenngleich auch an moralischer Fragwürdigkeit Poirots, für die die TV-Serie zum fraglichen Zeitpunkt wohl noch nicht bereit war, verliehen hätte.

Erstklassiges Lokalkolorit spricht ebenso für die hervorragenden Produktionsumstände wie die so gut wie immer makellose Besetzung. Suchet konnte zwölf Jahre vor „Evil under the Sun“ und 15 Jahre vor „Death on the Nile“ hier schon einmal eine effektive und beeindruckende Kombination beider Geschichten proben. 4,5 von 5 Punkten aufgrund winziger Abzüge in der A-Note.

PS: Freunde von „Eine Tür fällt ins Schloss“ werden auch Gefallen an dem gleichnamigen Felix-von-Manteuffel-Hörspiel mit dem genialen Friedhelm Ptok als Erzähler finden. Näheres dazu unter folgendem Link: Agatha-Christie-Hörspielreihe von SWR und MDR.

Gubanov ( gelöscht )
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07.05.2010 17:21
#115 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Staffel 04, Episode 01:

The ABC Murders (Mord nach Fahrplan)


Mit: David Suchet, Hugh Fraser, Philip Jackson. Als Gaststars: Donald Sumpter, Donald Douglas, Nicholas Farrell, Pippa Guard, Cathryn Bradshaw, Nina Marc, David McAllister, Vivienne Burgess u.v.a. Regie: Andrew Grieve. Drehbuch: Clive Exton. Erstsendung: 05.01.1992.

Es ist eine fast einmalige Ausnahmesituation im Rahmen der hochgelungenen David-Suchet-Hercule-Poirot-Serie, dass das hingebungsvolle und detailverliebte Produktionsteam es tatsächlich hinbekommt, „treffsicher“ die Stimmung und das Gusto der Originalvorlge zu verfehlen. Genau dies passierte in meinen Augen allerdings bei der Dramatisierung des Christie-Klassikers „Die Morde des Herrn ABC“, bei dessen TV-Version „Mord im Fahrplan“ ich bei allem Respekt vor der an sich wie immer hochklassigen Art der Produktion zwei extrem wichtige Aspekte doch schmerzlich vermisse: Einerseits fehlt mir die allgegenwärtige Bedrohung, die vom scheinbar wahnsinnigen Massenmörder zunächst unbemerkt von der Öffentlichkeit ausgeht. Zu lokal und personenbeschränkt wickeln sich die Geschehnisse ab, die im Zuschauer größere Beunruhigung und Sorge um jeden einzelnen der Millionen namenlosen Menschen in englischen Städten und Dörfern hätten wecken müssen. Andererseits wirkt die Episode für eine Sommerreise durch ganz England zu trübe, verhangen und optisch ausgesprochen unspektakulär – ein typisches Beispiel dafür, wie eine Mischung aus schlechtem Wetter, einem unpassenden Drehzeitpunkt und fehlender farblich-stilistischer Computeranpassung des Filmmaterials eine griffige Atmospähre so ziemlich zerstören kann. Auch die teilweise sehr kulissenartigen Außenschauplätze, etwa bei Custs Unterkunft oder in Doncaster, tragen nicht zu einem angenehmen Seheindruck bei.
Ich bin mir sicher, dass „The ABC Murders“ wesentlich passender und wirkungsvoller hätte insziniert werden können, wenn man sich diesen Stoff für eine der neuesten Staffeln – zur Not auch ohne Captain Hastings, der zwar auch in der Buchvorlage auftaucht, aber hier eigentlich funktionslos ist, – aufgespart hätte.

Die vertretene Riege der Schauspieler zählt zu den durchschnittlichen in der Poirot-Reihe. David Suchet lobt zu Recht die Leistung von Donald Sumpter als Alexander Bonaparte Cust:

Zitat von David Suchet in „Poirot and Me“
I remember there’s only the two of us in the scene and a lot of it was profile and, just very quietly, two fully rounded characters confronting one another in the very small area of the jail cell. Looking back over all the years that I’ve done „Poirot“, that scene with Donald has to be one of my very favourites.


Doch gleichsam weist die Folge neben einer der vielversprechenden Beschreibung der Megan Barnard des Buches (ein energiegeladenes schwarzhaariges Mädchen mit Bubikopf) kaum gerecht werdenden Pippa Guard einen der schwächsten und schauspielerisch am wenigsten ausgearbeiteten Mörder auf. Dies liegt neben dem recht schwachen Darsteller unter anderem auch an dem Versäumnis des Drehbuchs, gewisse mehrdeutige Charakteristika dieser Figur, die Poirot im Roman überhaupt erst auf ihre Spur kommen lassen, einfach unter den Tisch zu kehren.
Drei Aspekte tragen dann aber noch zur Ehrenrettung dieses Films bei: Sowohl die offensichtlich sehr aufwendige Umsetzung des Pferderennens in Doncaster als auch die schöne Idee, aus den Filmen, die Mr. Cust sich ansieht, frühe Hitchcock-Thriller zu machen, und nicht zuletzt das explizite Zeigen der Leichen im Detail – ein Novum innerhalb der Serie, das gut mit der Härte des Romans zu vereinbaren ist, – stimmen mich milde. Auch habe ich beim nunmehr dritten Sehen dieser Episode nicht mehr die gleiche Abneigung gegenüber der Art ihrer Aufmachung empfunden. Mag es daran liegen, dass ich mich langsam an sie gewöhne, wo ich doch vorher jahrelang mit dem Hörbuch zum Roman „großgeworden“ bin?

Ein endgültiges Fazit zu „Mord nach Fahrplan“ fällt mir sehr schwer. Während der Film aus den oben genannten Gründen himmelweit davon entfernt ist, mich vollends zu überzeugen, so kann man ihm trotzdem den liebevollen Entstehungsprozess ansehen und die bei Suchet und seinen Filmen stets geltenden Qualitätsmaßstäbe auch hier zumeist ohne große Abstriche anlegen. Deshalb vergebe ich 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

09.05.2010 00:28
#116 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Anlässlich meiner 50. Besprechung einer Suchet-Poirot-Episode widme ich mich einem der berühmtesten Christie-Romane in seiner vielleicht besten Verfilmung:

Staffel 10, Episode 03:

Death on the Nile (Tod auf dem Nil)


Mit: David Suchet. Als Gaststars: James Fox, Emma Griffiths Malin, J.J. Feild, Emily Blunt, Judy Parfitt, Daisy Donovan, Barbara Flynn, Daniel Lapaine u.v.a. Regie: Andy Wilson. Drehbuch: Kevin Elyot. Erstsendung: 12.04.2004.


Quelle: wikipedia.org

La vie est vaine.
Un peu d’amour,
Un peu de haine,
Et puis bonjour.

La vie est brève.
Un peu d’espoir,
Un peu de rêve,
Et puis bonsoir.


David Suchet und sein Produktionsteam waren sich selbstverständlich bewusst, in welch große Fußstapfen sie bei der Verfilmung des unsterblichen Agatha-Christie-Meisterstücks „Death on the Nile“ treten würden – wahrscheinlich sogar in die bislang größten, wenn man bedenkt, dass ihre Fassung von „Murder on the Orient Express“ noch nicht ihre Erstsendung feierte. In so ziemlich jedem Falle dürfte dem Zuschauer die 1978 mit einem extraorbitanten Budget entstandene Starverfilmung des 1937 entstandenen Romans „Der Tod auf dem Nil“ nicht nur bekannt, sondern eng vertraut sein, was eine erhebliche Hürde darstellt, wenn man, wie Suchet es in „Poirot“ versucht, etwas völlig Eigenständiges auf die Beine zu stellen, das sich nur an den Büchern und nicht an anderen Filmadaptionen messen lassen soll (man verzeihe mir dennoch das Aufzeigen einiger Parallelen in Ermangelung der vollständigen Kenntnis des Originalromans zum Zeitpunkt der Rezension).
Tatsächlich braucht man einige Sichtungen, damit man sich von den vorgefassten Meinungen über Aussehen und Verhalten der Charaktere sowie den Stil des Films löst und sich wirklich auf das neue Werk vorbehaltlos einlässt – ich weiß schon nicht mehr, zum wievielten Male ich mir Suchets „Death on the Nile“ in den letzten Jahren angeschaut habe, bin mir aber sicher, seit dem nie wieder zu Ustinov zurückgekehrt zu sein (nicht aus Missachtung der Erstverfilmung, sondern aufgrund der puren Freude über David Suchets in jeder Hinsicht unzweifelbare Überlegenheit als Hercule Poirot).

Auch andere Fakten sprechen für die 2004er-TV-Verfilmung:
Die geniale Aufwicklung so ziemlich aller Nebenhandlungen der Romanvorlage und das Auftreten einiger Figuren, die aus dem Ustinov-Film gestrichen wurden – auch wenn man der Übersicht halber immer noch auf etwa 10 Personen verzichten muss –, lassen die Episode noch scharfsinniger und temporeicher erscheinen als ihr berühmtes Kinopendant, was von den wundervollen, galanten Ägyptenaufnahmen – die Bilder entstanden wie immer in der Serie aufwändig direkt am Ort des Geschehens – unterstützt wird. Bekannt ist der Umstand, dass das Boot SS Memnon, das die „Karnak“ des Films gibt, sowohl bei Ustinov als auch bei Suchet verwendet wurde. Der Unterschied, der aber enorm zur Steigerung der Atmosphäre beiträgt, ist der, dass bei Suchet das Schiff nicht nur von Weitem zu sehen ist, sondern tatsächlich für diverse Aufnahmen genutzt wurde, was im Gegensatz zur 1978er-Kinoversion, die eigens ein maßstabsgetreues Modell anfertigte, die Studioaufnahmen auf ein absolutes Minimum reduziert und die optische Wirkung vollends ausreizt.
Nicht einmal der Humor geht Suchets „Death on the Nile“ ab. Obwohl oft behauptet wird, die neuen Folgen seien enorm ernst, baute der Drehbuchautor gerade in dieser Folge regelmäßig urkomische Szenen ein, ohne die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Vorlage vermissen zu lassen. Im Gegenteil: David Suchet streicht völlig richtig heraus, dass „Der Tod auf dem Nil“ insofern ein sehr leichtes Buch ist, als Christie in der für sie typischen Weise viel Wert auf die „Exzentrik der Charaktere“ legt. Tatsächlich machen die Charaktere, ebenfalls besetzt mit einer – natürlich auf Fernsehverhältnisse „heruntergerechneten“ – all-star cast einschließlich Namen wie Judy Parfitt, James Fox und Barbara Flynn, einen ausgesprochen exzentrischen, teilweise richtiggehend überdrehten Eindruck. Die Freude am Spiel merkt man der harmonischen Gruppe an, die es schafft, einige der Rollen der Ustinov-Adaption gänzlich vergessen zu machen. Zoe Telford und Alastair Mackenzie etwa geben als Rosalie Otterbourne und James Fergusson tausendfach einprägsamere Leistungen ab als die recht hausbackenen Olivia Hussey und Jon Finch (wobei trotz der humorvollen Frances de la Tour an Angela Lansbury als Salome Otterbourne nach wie vor kein Vorbeikommen ist).

Was der Neuverfilmung sehr zur Ehre gereicht, ist schließlich auch ihre Rahmenhandlung an Anfang und Ende, in deren Verlauf man die verliebten Simon und Jackie in ihrer ärmlichen Wohnung sieht. Diese Klammer verleiht der Story besondere Aussagekraft und nimmt ihr, die sie dadurch, wie bereits einmal an anderer Stelle geschrieben, in ein reines Gedankenexperiment umgewandelt wird, in gewisser Weise ihre Tragik, was „Death on the Nile“ unterm Strich wirklich zu einer der positivsten und optimistischsten Folgen der neuen „Poirot“-Ära macht. Gleiches gilt für die hervorragende Musikuntermalung durch Titel wie „Love Is the Sweetest Thing“ (Al Bowyll) oder „Mad about the Boy“ (Noel Coward).

Dem Klassikerstatus der Vorlage wird die TV-Variante von „Death on the Nile“ in jeder Hinsicht gerecht, ohne entgegen der Erwartung sonniger und exotischer Schauplätze in grau-trübe Melancholie umzuschlagen. Suchets verantwortungsvolle und dennoch augenzwinkernde Performance sowie das völlige Verstehen aller, der ernsthaften wie der amüsanten, Aspekte des Christie-Romans, sorgen für ein ausgewogenes Sehgefühl, das nach ständiger Wiederholung lechzt. Volle 5 von 5 Punkten.

Aus Matt Christensens Blog Christie in a Year seine Einschätzung des Romans „Death on the Nile“:

Markus Offline



Beiträge: 683

09.05.2010 22:22
#117 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Interessant, dass du diese Episode inzwischen so überschwänglich beurteilst, hatte ich grob in Erinnerung, dass sie dir beim ersten Sichten nicht besonders gefallen hat. Lag's an der mittelprächtigen Synchronisation oder an der von dir benannten Vertrautheit mit der Ustinov-Version?
Als kleine Ergänzung, weil du dich auch für multimediale Adaptionsvergleiche interessiert: David Suchet hat diesen Roman, wie viele weitere Christie-Werke, ungekürzt als Hörbuch eingelesen, wobei er seine Stimme jenseits der kongenialen Poirot-Stimme gekonnt variiert.

Gruß
Markus

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

09.05.2010 23:18
#118 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Verantwortlich für meine anfängliche Skepsis war eine Mischung der beiden von dir genannten Gründe. Seitdem mir "Death on the Nile" auf DVD vorliegt, sehe ich ihn mir tatsächlich nur noch auf Englisch an und empfehle dringend jedem, es mit allen drei synchronisierten Folgen der zehnten Staffel ("Five Little Pigs", "Death on the Nile", "The Hollow") ebenso zu halten. Der Originalton gibt einem so viel mehr als die sterile und sprachlich nicht sonderlich gelungene Synchronisation. Zur Problematik der Gewöhnung hatte ich mich ja bereits geäußert.

Was übrigens die Audioumsetzungen angeht, so kann ich auch die BBC-Hörspielversion von "Death on the Nile" mit John Moffat als Hercule Poirot empfehlen, die mit fünf dreißigminütigen Teilen noch ein wenig ausführlicher und detaillierter ist als der Suchet-Film.

Zitat von Markus
David Suchet hat diesen Roman, wie viele weitere Christie-Werke, ungekürzt als Hörbuch eingelesen, wobei er seine Stimme jenseits der kongenialen Poirot-Stimme gekonnt variiert.


Lustig, dass du es gerade jetzt ansprichst. Die Lesungen von David Suchet sind tatsächlich sehr zu empfehlen. Neben "Death on the Nile" hat er auch noch die beiden anderen großen Klassiker, "Murder on the Orient Express" und "Evil under the Sun", sowie die Romane "Sad Cypress" und "Dead Man's Folly" und die Kurzgeschichtensammlung "Poirot Investigates" gelesen (dem Rest verlieh Hugh "Hastings" Fraser die Stimme). Ich habe mir just vorige Woche "Dead Man's Folly" besorgt und bin wahrlich erstaunt. Die Hörproben waren schon vielversprechend, aber selbst sie ließen nicht im entferntesten erahnen, welch ein riesiges stimmliches Talent Suchet hat. Bei so ziemlich allen anderen Hörbuchlesern, auch denen, die ihre Arbeit sehr gut machen, ist es ja so, dass man nach wie vor mitbekommt, dass es sich bei allen Charakteren um die Stimme des gleichen Menschen handelt. Bei Suchet ist das völlig anders: Er ist so variabel, dass einem beim Hören die pure Verwunderung überkommt. Dazu dann noch der schöne Christie-Stoff - ja, das hat 'was!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

15.05.2010 20:19
#119 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

Staffel 04, Episode 03:

One, Two, Buckle My Shoe (Himmel und Hölle)


Mit: David Suchet, Philip Jackson. Als Gaststars: Carolyn Colquhoun, Joanna Phillip-Lane, Peter Blythe, Chris Spencer, Michael Tudor Barnes, Alan Penn, Guy Oliver Watts, Joe Greco u.v.a. Regie: Ross Devenish. Drehbuch: Clive Exton. Erstsendung: 19.01.1992.

Dieser Review enthält Spoiler zur vorliegenden Folge.

One, two, buckle my shoe; Three, four, knock at the door,
Five, six, pick up sticks; Seven, eight, lay them streight,
Nine, ten, a big fat hen; Eleven, twelve, dig and delve,
Thirteen, fourteen, maids a-courting; Fifteen, sixteen, maids in the kitchen,
Seventeen, eighteen, maids a-waiting; Nineteen, twenty, my plate’s empty.


Auch nach mehrfachem Sehen dieser Episode und Hören des zugehörigen fünfteiligen BBC-Radiohörspiels gilt „One, Two, Buckle My Shoe“ für mich als einer der, wenn nicht sogar als der unangefochten komplexeste und komplizierteste aller mir bekannten Agatha-Christie-Krimis und ich ziehe meinen Hut vor Count Villain, wenn er tatsächlich vorab die Motive und den Täter enttarnen konnte, die sich hinter den Morden verbergen.
Agatha Christie bedient sich in diesem Fall wieder einmal eines Kinderliedes, das dieses Mal im Gegensatz zu ihrem sonstigen Habitus nicht zur Handlungsrichtlinie des Mörders, sondern zu der Poirots gemacht wird. Der belgische Detektiv erinnert sich des Reims und kann jeder Phase seiner Ermittlungen einen Vers mehr oder minder frei zuordnen, wodurch „One, Two, Buckle My Shoe“ eher eine strukturelle als eine wirklich konsequent inhaltliche Bedeutung zukommt (im Roman sind die einzelnen Kapitel mit den Versen überschrieben, im Hörspiel erwähnt sie der Erzähler John „Poirot“ Moffat meist explizit in seinen die fünf Episoden eröffnenden und abschließenden Zusammenfassungen). Für die Filmvariante konnte man natürlich weder auf Kapitelüberschriften noch auf erläuternde Texte zurückgreifen, sodass man das Lied hier direkt in die Handlung einbaute und es die spielenden Mädchen vor Mr. Morleys Zahnarztpraxis singen ließ. Wer in diesen Szenen übrigens genau auf den Schauplatz achtet, wird feststellen, dass die Behandlungsräume von Dr. Morley exakt im rechten Nachbarhaus von Dr. Christows Arztpraxis aus „Das Eulenhaus“ liegen!

„Himmel und Hölle“ weist im Kontrast zu den elaboraten Verstrickungen des Plots bei näherer Betrachtung tatsächlich leider zwei zu verräterische Anfangssequenzen auf und reiht sich damit neben „Hercule Poirot’s Christmas“, „Murder on the Links“ und in gewisser Weise auch „Das Geheimnis der spanischen Truhe“ in die Riege der allzu redseligen Episodeneinstiege ein. Zunächst einmal zeigt die Mordszene recht viel von dem zu Werke gehenden Verbrecher – die Hände eines Mannes im mittleren Alter, seinen teuren, eleganten Anzug, seine makellosen Schuhe. Nach dem Tod des Erpressers Mr. Amberiotis bleibt nur mehr ein Verdächtiger übrig, auf den diese Beschreibung passt. – Die Rückblende nach Indien deckt überdies die Identität von Gerda Blunt bzw. Helen Montressor sowie ihre Heirat mit dem Mörder auf, zumal es für den deutschen Zuschauer gewöhnungsbedürftig ist, in den Archivaufnahmen Sätze wie „Gott segne den Prince of Wales!“ vom selben Kommentator in der gleichen scharfen Artikulation zu hören, die er im propagantistischsten aller Basil-Rathbone-Sherlock-Holmes-Filme, „Die Stimme des Terrors“, als Nachrichtenstimme der Nazis einsetzte, um England in Angst und Schrecken zu versetzen.
Bauch-, nicht Zahnschmerzen bereitet mir auch, dass der Drehbuchautor Clive Exton einen recht starken Fokus auf Christopher Ecclestons Rolle des rechtsgesinnten Frank Carter legte, die als zeitgenössisches Fragment zwar interessant sein mag, aber in ihrer Intensität die ursprünglich harmonisch abgewogene, sehr pazifistische Grundaussage des Originals beträchtlich verschiebt. Im Hörspiel etwa werden Carters Ansichten zwar deutlich gemacht, aber nur kurz angeschnitten; im Umkehrschluss darf er jedoch gerechterweise kein Mädchen nach Hause führen und bekommt nach seiner Verhaftung von Poirot trotz dessen einsichtigen Hilfsangebots sogar gehörig den Kopf gewaschen:

Zitat von „One, Two, Buckle My Shoe“, BBC-Hörspiel mit John Moffat
Poirot: „Mr. Carter, I do not care for you very much. You are a bully and a liar, and you would be no loss to the world. I have only to stand back and let you persist in your story, and you will almost certainly be hanged for the murder of Morley.“


Der Hauptaspekt politischer Aussagen liegt in „One, Two, Buckle My Shoe“, das im Jahr 1940 und damit mitten im Zweiten Weltkrieg veröffentlicht wurde, allerdings auf den Friedensverdiensten des Mörders Alistair Blunt, der Großbritannien über Jahre hinweg mit seinen drei Werten „sanity and stability and honesty“ (Vernunft und Beständigkeit und Ehrlichkeit) zu einer Festung gemacht hat. Während weniger fest entschlossene Menschen als Poirot dieser Umstand in eine moralische Bedrängnis führen könnte, legt der Detektiv eine zutiefst menschliche Moral an den Tag, mit der er auch bereits anderen Christie-Büchern sehr humanistische Züge verlieh – ein höchst wichtiger Aspekt, der in der Verfilmung zwar so ähnlich aufgegriffen, aber allein schon durch das allzu alltägliche Aussehen des Alistair Blunt nicht klar genug gemacht wird (mir schwebt unter einer in den 1930er Jahren so wichtigen politischen Figur der alten Schule ein Mann mit weißem Haar und illustrem Bart vor). Unterm Strich gestaltet sich das Zwiegespräch im Hörspiel wesentlich markanter, auch weil es tatsächlich nur unter zwei Augen und vor dem direkten Kriegshintergrund geführt wird und Alistair Blunt Poirot so zunächst einen driftigen Grund aufbinden möchte, ihn nicht verhaften zu lassen:

Zitat von „One, Two, Buckle My Shoe“, BBC-Hörspiel mit John Moffat
Poirot: „For me, the lives of those four people are just as important as your life.“
Blunt: „You’re wrong.“
Poirot: „No, I am not wrong! You are a man of great natural honour and rectitude. But within you, the love of power blinded you to all else. So you sacrificed these lives and thought them of no account.“
Blunt: „Within a matter of months, Europe may be plunged into the most terrible conflagration. The safety of the whole nation depends on me.“
Poirot: „I am not concerned with nations, monsieur. I am concerned with the lives of private individuals who have the right not to have their lives taken from them.“


Dennoch überzeugt die Verfilmung durch ein ganz eigenes Flair, für das zunächst einmal die beiden markanten Hauptdarstellerinnen, Joanna Phillips-Lane als Gerda Blunt und Carolyn Colquhoun als Mabelle Sainsbury Seale verantwortlich zeichnen. Wie sich die eine als die andere verkleidet und damit vor den offenen Augen des Zuschauers davonkommt, ist ein wahres Meisterstück und lässt erahnen, zu welchen Höhenflügen man hätte ansetzen können, wenn man Frau Phillips-Lane für die Rolle der Helen Montressor eine dritte, wirklich eigenständige Maske zugestanden hätte.
Der Tatort des „ersten“ Verbrechens sowie der Beruf des Opfers geben natürlich bereits von sich aus unglaublich viel her und tragen damit zur Einmaligkeit der Episode bei, was von der Musik – diverse Variationen des titelgebenden Songs – aktiv unterstützt wird. Die Szenen in Lichfield Court (im Hörspiel trägt der Apartmentkomplex den Namen des britischen Königshausmitglieds Prince Leopold, 1853-1884) sind hervorragend gelungen und bringen ebenso ein gutes Maß an Spannung in die Folge wie das falsche Attentat im Garten des Landhauses von Mr. Blunt. Christies brutaler Mordart wird wie bereits in „The ABC Murders“ ohne Vorbehalt Rechnung getragen, wenngleich wir dieses Mal keinen gänzlich unverhüllten Blick auf die entstellte Leiche der angeblichen Miss Sainsbury Seale werfen dürfen.

Eine wirklich tolle Geschichte, die mich mit ihren kriminalistischen Untiefen jedes Mal aufs Neue vom Stuhl fegt, wurde souverän und mit passender Würze, wenngleich nicht ohne einen recht behäbigen Mittelteil in Bilder gebannt. Das Drehbuch hätte aus einem weniger verräterischen Filmbeginn sowie offeneren Bezügen zur europäischen Situation jenseits kleinkarierter Schwarzhemdenformationen noch weitere Vorteile ziehen können. 4 von 5 Punkten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

16.05.2010 13:06
#120 RE: David Suchet ist Hercule Poirot - Episodenbewertungen Zitat · Antworten

"Das Geheimnis der spanischen Truhe" (Originaltitel: The Mystery of the Spanish Chest) dt. als "Die spanische Truhe" in "Der Unfall und andere Fälle"
Erstsendung: 17. Februar 1991

Eine Fechtszene in Sepia eröffnet die Episode 7 der deutschen Collection 1. Die Situation ist angespannt und einer der beiden Männer wird an der Wange verletzt. Unvermittelt blendet die Kamera zu einer Opernaufführung über und man sieht Poirot und Captain Hastings in feiner Abendrobe in einer weitaus entspannenderen Situation, die durch das Auftreten von Lady Chatterton auf angenehme Weise bereichert wird, bringt sie dem Detektiv doch einen neuen Fall.
In wunderbarer Art balanciert die Episode zwischen den Vorzügen, die Poirot in Gesellschaft seiner Auftraggeberin genießt, und der Entwicklung von Ereignissen, die aus Verzweiflung geboren wurden und in einer Tragödie enden. Der Unterschied zwischen einer Freundschaft, die (Für)sorge und Hilfe anbietet, und einer berechnenden Vertrautheit wird am Beispiel Lady Chatterton/Marguerite Clayton bzw. Colonel Curtis/Edward Clayton aufgezeigt. Während sich die ältere Dame um ihre Freundin ehrliche Gedanken macht, handelt der Colonel aus eigennützigen Motiven und will Edward Clayton gar nicht helfen, sondern ihn anstacheln und zum Werkzeug seines teuflischen Plans machen. Der Gegensatz zwischen einer heiteren Abendunterhaltung und einem ungewöhnlichen Mord wird durch originelle Drehbucheinfälle unterstrichen. So ist es für den Zuseher ein besonderes Vergnügen, Poirot beim Charlestontanz zu sehen. Leichtfüßig schwingt er sich über das Parkett und erweist sich einmal mehr als Kavalier, für den die Bitte einer Frau wichtig ist. Weniger angenehm erscheint hier im Vergleich das Finale, das Poirot in eine gefährliche Situation bringt, aus der ihn das plötzliche Auftauchen von Major Rich rettet. Abgerundet wird der Fall durch die Aufwartung des neuen Paares Rich/Clayton. Bescheiden nimmt Poirot den Dank entgegen und man empfindet erneut Bewunderung für seine Fähigkeit, sich weder durch Schmeichelworte noch durch Beleidigungen in seiner Substanz erschüttern zu lassen. Er weiß um seinen Wert, freut sich über ein Kompliment und kann einen Angriff auf seine Person durch Souveränität und Besonnenheit abwehren.

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