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Dieses Thema hat 977 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Peter Offline




Beiträge: 2.886

05.04.2016 19:35
#796 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Die euphorische Besprechung seitens @Gubanov von "Ein seltsamer Ehrenmann" und die Tatsache, dass ich die Folge noch nie gesehen hatte, veranlasste mich, aus Neugier die Sichtung vorzuziehen, obwohl ich mit meiner eigenen ‚Nachbearbeitung‘ - in einer eher tröpfelweisen Derrick-Sause - noch ein ganzes Stück hinterher hinke ...

Claude Oliver Rudolph konnte unter seinen üblichen Raubautzen hier mal die halbwegs ehrliche Haut durchschimmern lassen. Sehr gut - aber auch nicht so weit entfernt von dem Standardmaß, das er einfach drauf hat. Er gehörte ja zu den vielen Jungschauspielern, die schon im BOOT ihre Nagelprobe mit Glanz bestanden hatten. Sieht man das potentielle Opfer erstmals vor sich, stellt sich zunächst die rhetorische Frage: Was macht schon einmal mehr oder weniger aus? Philipp Moog ist ja wirklich der ewige Student, selbst dann, wenn die Rolle eigentlich eine andere ist. Hier ist sie echt, darum ist das Moogsche Auftauchen nur bedingt als negative Kritik gemeint, denn wen hätte man in der damals eingeschliffenen Sehgewohnheit unkomplizierter besetzen sollen?

Henry van Lyck wirkt wie der perfekte Auftraggeber für einen perfekten Auftragskiller, jedenfalls so, wie man sich das im vorbildlichen Gangsterfilm vorstellt. Sehr originell der alte Spezi Peter Pasetti, der diesmal nicht im Laufe einer Folge vom Biedermann zum Bösewicht mutiert, sondern sozusagen mit einer Rückwärtsentwicklung vom Hauptverdächtigen hin zum heulenden Leidtragenden reduziert wird ... Eva Kryll vervollkommnet das Ensemble als böse Lady mit gewohnter Klasse und geradezu septischer Ausstrahlung.

Der umstrittene Musikus Frank Duval ist diesmal in der Tat ungewohnt zurückhaltend; dafür aber für mein Hörempfinden auch grottenseicht (und dieser Begriff kommt wohlgemerkt von einem klar tendenziösen Derrick-Duval-Befürworter ...!). Insgesamt ist es schon eine sehr starke Folge, auch wenn es bei mir nicht ganz für die Höchstwertung reicht. Als Vorschlag zum gütigen Kompromiss gibt's von mir summa summarum 4,5 von 5 Punkten ...

Wenn man sich heute also dem Motto "Verbrechen lohnt sich nicht - und Resozialisierung klappt auch nicht immer" hingibt, darf selbstverständlich die zweite Variante der Geschichte von Ersterfahrungen eines Ex-Knastis nicht fehlen ...: "Der Schrei": Dieser Schrei und sein Anlass ist in der Rückblende toll inszeniert und geht in seiner elektronisch verfeinerten Akustik - alptraumhaft wiederkehrend - durch Mark und Bein.

Wolf Roth spielt hier also auch so einen Frischentlassenen wie Claude Oliver R. in der zuvor genannten Folge, aber Roths Figur präsentiert das Comeback in Freiheit nicht nur (noch viel) weniger hartgesotten als sein 'Vorgänger', sondern verfeinert es differenziert - weil übel traumatisiert von der eigenen Tat. Vor allem so auffallend übersensibel, weil's ja eigentlich - fühlt und denkt der Betrachter - in Wahrheit sowieso nur der fiese Nachtclub-Komplize Rolf Zacher gewesen sein könne ...

Wir erleben Reineckers Mörderwelt als Mikrokosmos verschiedenster Charaktere, ganz wie im richtigen Bürgerleben. Wolf Roth tauchte nach früherer Ansicht meinerseits ja entschieden zu oft in den einschlägigen Krimis auf, vor allem bei Derrick. Wenn man ihn allerdings länger nicht gesehen hat, kommen die passgenauen darstellerischen Krimiqualitäten dieses 'Dauergastes' wieder gut zur Geltung - besonders in dieser für ihn tatsächlich perfekten Rolle.

Die Schlußszene ist natürlich eine Spur bewegender als das durchaus einprägsame "Ich-bin-froh,-dass-Sie-da-sind-Standbild" aus dem "seltsamen Ehrenmann". Hier also die Steigerung: Ein Schluß ohne "abschliessend-doch-irgendwie-fair-versöhnliches" Ende, ein Erinnerungs-Schicksal für die Ewigkeit - und damit auch die Einladung für den Zuschauer zu reflektieren - und die ganze Geschichte mitsamt Moral womöglich nie zu vergessen ... Apropos: Reinecker hat nach eigenen Berichten zeitlebens unheimlich viel selbst erlebten (Kriegs-)Schrecken in seinen Träumen immer wieder erleben müssen.

Also, ganz klar: auch eine sehr starke Folge, die sich ziemlich nah an der Höchstwertung bewegt. Von mir ebenfalls 4,5 von 5 Punkten.

Also: für die Derrick-Spezial-Session!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

27.05.2016 20:00
#797 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

DERRICK Collector’s Box 15 (Folgen 211 bis 225, 1992-93)





Derrick: Der stille Mord

Episode 211 der TV-Kriminalserie, BRD 1992. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Sonja Sutter (Greta Zinser), Juliane Rautenberg (Susanne Zinser), Karina Schieck (Reni Zinser), Gerd Baltus (Hahne), Dirk Galuba (Weber), Sona MacDonald (Frau Weber), Robert Wolfgang Jarczyk (Dowald), Karlheinz Vietsch (Justus Breuer) u.a. Erstsendung: 22. Mai 1992, ZDF.

Zitat von Derrick: Der stille Mord
Eine Betriebsfeier endet tödlich. Drei männliche Angestellte, die die Reize von Linda Maurus schon zuvor offen bekundet hatten, stehen unter dem Verdacht, über ihre hübsche Kollegin hergefallen zu sein, sie vergewaltigt und in die Isar geworfen zu haben. Derrick und Harry nehmen die Ermittlungen auf, doch neben ihnen scheint sich noch eine Mutter mit ihren zwei Töchtern, die auf den ersten Blick nichts mit dem Fall zu tun haben, für die Schuld der Vergewaltiger zu interessieren ...


Manche „Derrick“-Folgen verwenden ihre meiste Energie auf ihre ausführlichen Expositionen. „Der stille Mord“ springt hingegen mitten ins Geschehen und erzählt den gesamten Kriminalfall – vom Auffinden der Leiche bis zur Rekonstruktion von Tatort, -zeit und Verdächtigen – innerhalb von nicht mehr als fünfeinhalb Minuten (den Vorspann nicht einmal herausgerechnet). Das heißt, dass Horst Tappert und Fritz Wepper von Anfang an sehr präsent sind, was der Folge ebenso zugute kommt wie die schönen Winteraufnahmen. Die Thematik stellt sich freilich weniger angenehm dar. Grädler und Reinecker verzichten auf schmutzige Details und übermäßig Mitleid schindende Momente und stellen das Problem Vergewaltigung dennoch nachdrücklich und keineswegs verharmlosend dar.

Eleganter als das Beiwohnen der zweckentfremdeten Betriebsfeier (ein Hinweis auf die männliche Übermacht in der freien Wirtschaft?) gelingt das Anprangern der Tat in Form der ebenfalls betroffenen Familie Zinser, die die Nachwirkungen einer früheren Vergewaltigung zu bewältigen versucht, dabei aber – so scheint es – gern Salz in die eigenen Wunden streut, indem der vergleichbare Fall Maurus hautnah mitverfolgt wird. Was wohl ein Psychologe zu diesem zwanghaften Verhalten sagen würde?

Die drei Verdächtigen, denen von den ganz in Schwarz gehüllten Damen ordentlich zugesetzt wird, sind von sehr unterschiedlichem Temperament, wobei dieses hauptsächlich dem Standard-Rollentypus der jeweiligen Besetzung zu entsprechen scheint: Robert Jarczyk versucht, jedes Problem mit einem süffisanten Lächeln hinwegzuwischen; Gerd Baltus ist ein Nervenbündel und sichtbar das schwächste Glied in der Kette; Dirk Galuba gibt den eiskalten Hund, der Derrick offen ins Gesicht sagt, dass die Polizei ohne konkrete Beweise machtlos ist. Man fragt sich allerdings, ob im Fall einer Vergewaltigung mit einem so überschaubaren Verdächtigenkreis nicht auch schon zu Beginn der 1990er Jahre eine Überführung mittels DNA-Test möglich gewesen wäre, was diesem Fall einen abwechslungsreicheren Verlauf und ein überzeugenderes Ende verliehen hätte. Planet Wissen ergänzt: „Seit etwa 1995 wird auch der genetische Fingerabdruck standardmäßig und mit großem Erfolg zur Identifizierung von Opfern und Tätern verwendet“, sodass Derrick auf diesem Terrain 1992 durchaus einen innovativen Weg hätte einschlagen können.

Am Ende erscheint es relativ egal, welcher der Männer am eigentlichen Verbrechen beteiligt und welcher nur schweigender Mitwisser war. Das Wichtigste ist der Folge das Aufmerksammachen auf die Schwere des behandelten Verbrechens, das – so Derrick – juristisch nicht als Kapitalverbrechen betrachtet wird und dennoch Leben ruinieren kann. Der Titel fängt diesen Zwiespalt passend ein.

Insgesamt hätte dem „stillen Mord“ ein bisschen mehr Schmiss gut getan, doch das Resultat ist erstaunlich geschmackvoll und keineswegs unterdurchschnittlich. Die guten Darstellerleistungen (auch in eher überflüssigen Rollen wie der des weinerlichen Hausverwalters oder der provozierenden Ehefrau Weber) sowie der angemessen ernste und durchaus spannende Ton schlagen sich in 3,5 von 5 Punkten nieder.

Gubanov ( gelöscht )
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28.05.2016 21:30
#798 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Beatrice und der Tod

Episode 212 der TV-Kriminalserie, BRD 1992. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Elisabeth Trissenaar (Beatrice), Kitty Speiser (Agnes Feldhaus), Carin C. Tietze (Helga Feldhaus), Liane Hielscher (Oberschwester), Werner Schnitzer (Professor Zoller), Axel Milberg (Arthur Bellmann), Gaby Herbst (Ruth), Wolfram A. Günther (David Herbst) u.a. Erstsendung: 19. Juni 1992, ZDF.

Zitat von Derrick: Beatrice und der Tod
Als hätte er nicht schon genug zu tun: Derrick bekommt von oben die Anweisung, die Dokumentarjournalistin Beatrice in die polizeiliche Ermittlungspraxis einzuführen. Nachdem die Frau ihren ersten Fall miterlebt hat, beginnen ihre philosophischen Gespräche mit Derrick über die Natur von Morden und die Beziehung zwischen Opfern und Tätern. Als dann ein neuer Mord geschieht, kann sich der Oberinspektor des Verdachts nicht erwehren, dass Beatrice tiefer in die Geschichte verwickelt ist, als es zunächst den Anschein hat ...


Schwarze Schafe gibt es in den besten Familien. Und in jedem Forum. Während hier „Der Teufel kam aus Akasava“ mit zuverlässiger Regelmäßigkeit die goldene Himbeere zugesprochen bekommt, hat sich das „Derrick“-Board in ähnlicher Geschlossenheit auf „Beatrice und der Tod“ eingeschossen. Ganz fürchterlich sei alles an dieser Folge, und überhaupt müsste man Minuspunkte vergeben für all die Philosophiererei und Spannungsarmut. Dass „Beatrice“ auf der aktuellsten dortigen Gesamtrangliste auch noch den renommierten Platz 281 belegt, hatte mich schon im Vornherein gespannt auf dieses verschriene Elaborat gemacht ...

Dass man es nicht mit einer Schema-F-Folge zu tun bekommt, merkt man schon, bevor die Titel aufblenden: Man sieht in der ersten Einstellung, wie Derrick – noch ausgelaugt, weil er sich am vorherigen Abend offenbar ausnahmsweise eine kleine Feierlichkeit gegönnt hat – das Präsidium betritt. Auch im Folgenden verharrt die Geschichte passend zu der Beobachterposition, die Beatrice einnimmt, in einer pseudodokumentarischen Haltung. Reinecker und Grädler gelingt es mit ihren nüchternen Porträts zweier sehr unterschiedlicher Todesfälle (ein Eifersuchtsdrama mit weinenden Angehörigen und ein Mord an einem alleinstehenden Arzt), die Routine der Polizei gut zu veranschaulichen. Zudem erhält Derrick die Gelegenheit, viele Details seiner Berufsauffassung zum Besten zu geben. Klar – das fällt in Reineckers Worten gern ’mal etwas schwülstig aus, aber dennoch fesseln die Gespräche zwischen Horst Tappert und Elisabeth Trissenaar. Da sich hier zwei intellektuell ebenbürtige Personen gegenübersitzen, wirken die philosophischen Metaphern, die in ihrer Häufigkeit ganz klar über reine Bruchstücke hinausgehen, nicht so fehlplatziert wie aus dem Mund mancher Proletarier oder halbwüchsiger Studenten.

Die ungewöhnliche Struktur mit den zwei Fällen ist ein Alleinstellungsmerkmal – etwas, was eine Serie nach 212 Folgen durchaus gut gebrauchen kann. Allerdings muss auch ich einschränken, dass gerade die langen Szenen nach der ersten Affekttat, die sich eigentlich „im Vorbeigehen“ löst, die Geduld etwas zu stark strapazieren. Fall Nummer 2 um das Ableben von Dr. Feldhaus, das scheinbar fast jeden kalt lässt, entwickelt ein interessanteres Eigenleben und teilweise sogar ordentliche Reibungspunkte zwischen Derrick und Beatrice bzw. Derrick und des Doktors Ex-Frauen oder Derrick und der resoluten Oberschwester. Der beide Fälle überschattende Spannungsbogen ist so konstruiert, dass man die Lösung schon ungefähr 40 Minuten im Voraus kommen sieht; dennoch weist sie einige nette Spitzfindigkeiten auf, die sie lohnenswert erscheinen lassen (also Äußerungen von Beatrice, die sich erst am Ende richtig erklären).

„Beatrice und der Tod“ ist ganz nebenbei auch ein schöner Gegenbeweis zu der Theorie, dass sich Reinecker nicht in weibliche Sichtweisen hineinversetzen konnte. In dieser Folge sind die vier wesentlichen Gastrollen Frauen mittleren oder gehobenen Alters, die über ein spürbares Maß an vorsätzlicher oder erzwungener Eigenständigkeit verfügen und einen gut abgerundeten Eindruck hinterlassen.

Um den Sonderstatus der Folge zu untermauern, hätte das Tempo der Geschichte etwas weniger gesetzt ausfallen können; darüber hinaus kann ich die harsche Kritik an „Beatrice und der Tod“ aber nicht wirklich nachvollziehen. Ich siedle die Episode im Mittelfeld an; wenngleich meine nicht ganz vernichtende Meinung zu dieser ungewöhnlichen Grädler-Arbeit mich vielleicht zu einer überschwänglichen Verteidigung hinreißen ließ. 3 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

11.06.2016 11:35
#799 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Eine eiskalte Nummer

Episode 213 der TV-Kriminalserie, BRD 1992. Regie: Helmuth Ashley. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Peter Fricke (Robert Rudger), Rolf Becker (Herr Kussner), Ilona Grübel (Katrin Kramer), Robert Wolfgang Jarczyk (Walter Kussner), Ullrich Haupt (Thorsten Hohner), Alexander Kerst (Alfred Reimann), Ludwig Haas (Kramer), Christiane Hammacher (Frau Kussner) u.a. Erstsendung: 17. Juli 1992, ZDF.

Zitat von Derrick: Eine eiskalte Nummer
Der Einbruch in eine ungesicherte Villa verläuft für die beiden Diebe Kussner senior und junior anders als gedacht: Als der Hauseigentümer Rudger vorzeitig nach Hause kommt, hat dieser nicht nur die Situation eiskalt im Griff, sondern benutzt den Bruch darüber hinaus auch, um sich eines lästigen Geschäftspartners mit der Kussners Waffe zu entledigen. Er scheint alle Trümpfe in der Hand zu haben, denn die Langfinger wollen mit Mord natürlich nicht in Verbindung gebracht werden ...


Das nennt man dann wohl den Vorführ-Effekt. Ausgerechnet an dem Tag, an dem Herr Kussner seinen Sohn in die Tricks seines „ehrenwerten“ Gewerbes einweihen will, läuft alles schief, was nur schieflaufen kann. Zuerst werden die beiden Einbrecher vom Hausherrn überrascht, dann herumdirigiert wie zwei Statisten und schließlich auch noch in einen saftigen Mordfall verwickelt. Das Zusammentreffen dieser einzelnen Elemente erscheint zwar eher überkandidelt, bietet aber immerhin eine reizvolle und kurzweilige Ausgangssituation, die Helmuth Ashley mit seiner langwierigen Inszenierung allerdings bald verschenkt.

Tatsächlich sind die anfänglichen Szenen im Hause Rudgers die stärksten, bevor die Folge dann zwei üblichen Motiven Platz einräumt, die man in anderen Episoden schon besser ausgeführt gesehen hat: die Skrupel eines unfreiwilligen Mordmitwissers und die Verbissenheit einer Angehörigen, die Derrick und Klein so lange mit ihrer Theorie in den Ohren liegt, bis die beiden den richtigen Täter schnappen. Zudem muss man sich fragen, was Reinecker dem Zuschauer wohl mit einigen der Dialoge sagen wollte – man darf sich jedenfalls aussuchen, ob man den Menschen an sich eher als Seiltänzer oder als Schmetterlingsfänger betrachten möchte ...

Die guten Leistungen von Fricke und Becker helfen über einige etwas unbeholfene Nebendarsteller hinweg, wobei besonders Ullrich Haupt mit einer affektierten Intonation auffällt – vielleicht wurde er zur Übertreibung angehalten, die immer ein beliebtes Mittel ist, wenn Schauspieler Schauspieler spielen. Dummerweise erhalten gerade die Theaterschauspieler am Ende die Gelegenheit, der Polizei unter die Arme zu greifen und den Täter zu überführen, was nicht nur an Shakespeares „Hamlet“ erinnert, sondern in einer Kriminalserie der Neunzigerjahre hoffnungslos unrealistisch wirkt. Dass der „ungefähre Text“, den Derrick den Mimen zum Ärgernis des gefühlskalten Rudger überlässt, dann auch noch 1:1 dem Gesagten am Tattag entspricht, ist das Tüpfelchen auf dem „i“ in „konstruiert“.

Nach einem vielversprechenden Beginn verliert sich „Eine eiskalte Nummer“ in philosophischer Belanglosigkeit und allzu häufig ausgelotetem Terrain, bevor eine ungewöhnliche, aber wenig stichhaltige Lösung präsentiert wird, die nicht gerade dazu beiträgt, die Folge ernstzunehmen. 3 von 5 Punkten.

PS: Wer genau hinschaut, sieht nochmal die Immobiliengeschäfte des berüchtigten Herrn Tossner auf der Titelseite der „Nachtzeitung“, die Kussner und Sohn am Kiosk (am helllichten Tage) durchblättern. Der Versuch, eine Serienparallelwelt mit Querbezügen zu schaffen, oder einfach nur Sparsamkeit bei den Requisiten?

Gubanov ( gelöscht )
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11.06.2016 12:28
#800 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Nachdem das Label MORE es leider nicht hinbekommen hat, noch eine 20. Derrick-Box mit Bonusmaterial und dem Zeichentrickfilm zu veröffentlichen, um den „Derrick“-Schriftzug auf dem Rücken der 19 anderen Editionen zu vervollständigen, ist nun eine Neuauflage der alten „Derrick“-Folgen angekündigt worden:



Am 1. Juli sollen die ersten 45 Folgen in fünf 3-Disc-Sets erscheinen. Für Neueinsteiger vielleicht eine ganz interessante Option, auch wenn bezweifelt werden darf, dass die Bildqualität, die bei einigen Folgen wie z.B. „Schock“ manches zu wünschen übrig lässt, gegenüber den Altauflagen überarbeitet wurde.

Ähnliche Neuauswertungen sind auch für „Ein Fall für Zwei“ vorbestellbar.

TV-1967 Offline



Beiträge: 652

11.06.2016 19:21
#801 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

"Eine eiskalte Nummer" wurde bereits 1990 produziert und galt innerhalb der Produktionsfirma als so schlecht, daß man sie erst am 17.07.1992 sendete. Wer genau hinsieht erkennt deutlich, daß DERRICK noch keine BRILLE durchgängig trägt. Kritik von damals: "Märchenstunde - gute Idee, peinliche Umsetzung." Während der Zuschauer nach bester "COLUMBO"-Manier den Bösewicht von Beginn an kannte, forschte Derrick lange im Dunkeln. Und der theatralische Showdown gehörte in die Märchenstunde! Das war leider nix, Herr Ashley. Und die Filmmusik von FRANK DUVAL konnte den Film und das Drehbuch auch nicht mehr retten.

Gubanov ( gelöscht )
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12.06.2016 22:45
#802 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Danke für die Bestätigung, dass die 1990 im Abspann tatsächlich stimmte. So erbärmlich schlecht, dass man die Ausstrahlung verzögern musste, war die Folge dann aber auch nicht. Die folgende Episode kann das Niveau jedenfalls nochmal unterbieten:



Derrick: Tage des Zorns

Episode 214 der TV-Kriminalserie, BRD 1992. Regie: Günter Gräwert. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Jürgen Schmidt (Ingo Donath), Jessica Kosmalla (Agnes Heckel), Klaus Grünberg (Alfred Heckel), Krista Posch (Simone), Edgar Walther, Michael Tregor, Herbert Trattnigg, Fritz Werner u.a. Erstsendung: 21. August 1992, ZDF.

Zitat von Derrick: Tage des Zorns
Ein Kollege ruft Derrick zu Hilfe: Ihm wurde die Frau ausgespannt. Der Nebenbuhler ist nicht irgendwer, sondern der Zuhälter und Verbrecher Donath, den der Gehörnte vor einigen Jahren ins Gefängnis gebracht hatte. Hat Donath also gar kein echtes Interesse an der Frau, sondern will sie nur aus Rache an dem Kriminalisten in die Prostitution treiben? Das wissen Stefan und Harry – kollegial, wie sie nun einmal sind – zu verhindern!


Unterhaltsam ist die im gewohnten Rotlichtmilieu angesiedelte Folge irgendwie schon: Man merkt Günter Gräwerts gefällige Handschrift, die das Beste aus der Vorlage macht und sich nicht scheut, sowohl den anrüchigen Club des Herrn Donath mitsamt Personal genauestens ins Licht zu rücken als auch Derrick und Klein einige amüsante Momente zuzuschreiben. So darf beispielsweise Harry – nicht ohne Interesse – den Proben der „Tänzerinnen“ zusehen und Freundschaft mit einer Hostess schließen, die Stephan dann in einer Stunde vor dem Lokal treffen möchte, ohne dass es jemand mitbekommt.

Das Hauptproblem von „Tage des Zorns“ besteht (trotz des aufgeriebenen Titels) darin, dass die Folge ohne nennenswerte Zwischenfälle dahinplätschert. Das bedeutet im Wesentlichen, dass man auf jegliches ernsthaftes Verbrechen verzichten muss. Was man geboten bekommt, ist im Wesentlichen ein Ehedrama (übrigens weitgehend ohne erhobenen Zeigefinger, dafür ein verhaltenes Lob), nicht aber ein Kriminalfall, denn das Schlimmste, was sich zuträgt, ist die Täuschung einer liebestrunkenen Frau und die Schlägerei mit einer anderen. Jürgen Schmidt gibt sich alle Mühe, dieses Manko mit einer schleimig-fiesen Darstellung des Nachtclubkönigs Donath zu kaschieren; das Unterfangen ist aber einigermaßen aussichtslos.

Als typisches Gräwert-Merkmal zeigt die Prätitelsequenz vor dem Auftauchen der derrick-typischen Fanfare eine heftige Liebesszene, die von Helmut Trunz (den ich nach wie vor Frank Duval vorziehe) passend mit einem frivolen Schlager untermalt wird. Die Idee der sexuellen Hörigkeit kommt einem zum Beispiel aus der Folge „Fliegender Vogel“ bekannt vor, wo sie mit gelungenerer Spannung kombiniert wurde. Es hätte fraglos auch Möglichkeiten gegeben, das Liebesdreieck zwischen Donath, Agnes und Alfred Heckel in der hier vorliegenden Folge so eskalieren zu lassen, dass die Handlung a) dem Titel gerechter wird und b) einen saftigen Mord mit mindestens zwei, eventuell drei Tatverdächtigen beinhaltet. Diese Unterlassung und der Umstand, dass auch in der harmlosen Endfassung keinerlei überraschende Wendung enthalten ist, sorgen für eine verhältnismäßig dröge „Derrick“-Stunde.

Ferien für die Mordkommission! Ein erprobtes Milieu steht der ungewöhnlichen Aufmachung einer „Derrick“-Folge als absolutem Non-Krimi gegenüber. Es ist bekannt, dass Reinecker die gesellschaftlichen Aussagen im Serienverlauf für zunehmend wichtiger erachtete als den Kriminalfall, so auf die Spitze getrieben wie in „Tage des Zorns“ hat er diese Ungleichgewichtung allerdings selten. Humorige Auftritte von Tappert und Wepper sowie eine solide Performance von Jürgen Schmidt federn die Enttäuschung darüber, dass im Großen und Ganzen – wie sagt man’s am höflichsten? – nichts passiert, ein Stückweit ab. 2 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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14.06.2016 13:30
#803 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Die Frau des Mörders

Episode 215 der TV-Kriminalserie, BRD 1992. Regie: Zbynek Brynych. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Thekla Carola Wied (Ruth Abel), Gerd Baltus (Abel), Christian Berkel (Alex Sierich), Bernhard Baier (Robert Sierich), Marijam Agischewa (Helena Sierich), Esther Hausmann (Tina Sierich), Michael Mendl (Dr. Riemann), Andreas Voss (Benny Abel) u.a. Erstsendung: 18. September 1992, ZDF.

Zitat von Derrick: Die Frau des Mörders
Das letzte Stündlein hat geschlagen für den gutmütigen Kellner Abel. Sterbenskrank liegt er im Hospital, als ihm ein verlockendes Angebot gemacht wird: Er soll die Schuld für einen Mord auf sich nehmen, in dessen Verhandlung er als Zeuge gegen einen anderen ausgesagt hatte. Der wahre Täter, der mit diesem Täuschungsmanöver aus der Haft befreit werden soll, bietet Abels Familie 300’000 Mark als Entschädigung für die Aussage eines Mannes, der nichts mehr zu verlieren hat. Das Komplott scheint aufzugehen, doch die Angehörigen beider Familien haben die Rechnung ohne Derrick gemacht ...


In den letzten Tagen seines Lebens wider Erwarten noch eine Person mit Bedeutung zu werden, versetzt den geborenen Verlierer Abel in gespannte Erregung. Gerd Baltus – häufig auf schwache Typen abonniert – passt hervorragend in die Rolle des Patienten, für dessen Wohlergehen sich auf einmal auch eine Person interessiert, die ihm feindsinnig gegenüberstehen müsste. Auf diese Weise gerät der erste Abschnitt der Geschichte, in dem nach rascher, fast überhasteter Einführung in die Grundidee Abel bestochen und von dem unmoralischen Unterfangen überzeugt wird, zu makelloser „Derrick“-Kost. Nicht nur die Abstrusität des Plans, sondern auch die schlechte Verfassung des Kranken lässt die Spannung darüber, ob die ausgeheckte „Schuldabschreibung“ tatsächlich aufgehen wird, beachtlich anwachsen.

Ist die Angelegenheit dann in Sack und Tüten, kann aus Sicht des zuerst verurteilten Mörders und seines hilfreichen Bruders eigentlich nichts mehr schiefgehen. Dabei liegt die Betonung auf „eigentlich“, denn selbstverständlich schenkt Derrick der Scharade keinen Glauben. Obwohl die Inszenierung perfekt ist, alarmiert sie den Spürsinn des altgedienten Ermittlers, der in dieser Folge fast ein bisschen unsympathisch wirkt. Schon häufiger baute Reinecker auf Derricks siebten Sinn, doch selten war es so offensichtlich wie in „Die Frau des Mörders“, dass Derrick prinzipiell alles ahnt und jeden durchschaut, um am Ende als Sieger vom Platz gehen zu können. Das Lügenkonstrukt ist wasserdicht und so fragt man sich, mit welcher Berechtigung Derrick Anschuldigungen in den Raum wirft, von deren Wahrheit er zwar überzeugt sein, die er aber lange nicht beweisen kann.

Immerhin führt seine fixe Idee zu einigen kreativen Szenen mit Thekla Carola Wied, die als schwächstes Glied in der Kette der Punkt ist, an dem Derrick mit seinen Psycho-Spielchen-Methoden ansetzt. Allem Vernehmen nach spielt Wied die titelgebende „Frau des Mörders“, wobei Reinecker hier eine faszinierende Doppeldeutigkeit gelungen ist: Frau Abel wird mit dem Geständnis ihres Mannes zur Frau eines Mörders, der in Wahrheit keiner ist, sodass sie die Scham, die mit der Angehörigkeit normalerweise verbunden ist, erst verzögert zu empfinden beginnt. Auf der anderen Seite ist da aber auch Helena Sierich, „Die Frau des richtigen Mörders“, die im Zuschauer eher Bedauern auslöst (sowohl über die Perspektive, bald ihren schurkischen Gatten wiederzusehen, als auch über das eher spärliche Schauspieltalent der hübschen Marijam Agischewa).

Nach der kleinen Delle in der Ermittlungsphase erholt sich die Episode auf den letzten Metern im Gegensatz zum armen Gerd Baltus vollständig und schließt mit einer veritablen Konfrontation des Gangsters mit den Scherben seiner hinterlistigen Tüftelei. Damit hinterlässt „Die Frau des Mörders“ in einer schwächelnden Serienphase einen verhältnismäßig starken Eindruck.

Von Thekla Carola Wied lässt Horst Tappert sich sichtlich beeindrucken, auch wenn die Zwei inhaltlich Antagonisten sind. Die Episode baut nicht nur auf dieses reizvolle Spannungsfeld, sondern auch auf die interessante Geschichte eines falschen Mordgeständnisses, die auf den ersten Blick unüberführbar erscheint und deshalb eine besondere Herausforderung für einen ausgesprochen bissigen Derrick darstellt. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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15.06.2016 12:00
#804 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Billies schöne, neue Welt

Episode 216 der TV-Kriminalserie, BRD 1992. Regie: Wolfgang Becker. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Muriel Baumeister (Billie), Nikolaus Gröbe (Christian), Bernd Herzsprung (Bernhard Troyda), Elisabeth Endriss (Frau Troyda), Will Danin (Ralf Wells), Dorothea Kramps-Ehrlich (Frau Wells), Sona MacDonald (Lena Scholl), Thomas Schücke (Hajo Dickel) u.a. Erstsendung: 16. Oktober 1992, ZDF.

Zitat von Derrick: Billies schöne, neue Welt
Ihre Rauschgiftsucht veranlasste Heidi Wolf zu einer unüberlegten Drohung gegenüber ihrem Dealer: Dieser setzt ihr kurzerhand den goldenen Schuss. Da die Diskothek, in der sich der Vorfall ereignet, ein echtes Familienunternehmen ist, übernehmen die Kinder der Betreiber die Entsorgung von Heidis Leiche im Wald. Bald steht jedoch die Frage im Raum, ob Tochter Billie dem psychologischen Druck des Halbweltlebens überhaupt gewachsen ist. Zunehmend versteckt sie sich in ihrer Fantasiewelt ...


Wolfgang Beckers Abschied von „Derrick“ und seine letzte Regiearbeit überhaupt enthält viele Motive, für die man den Spielleiter als einen der verlässlichsten und kreativsten Köpfe hinter Ringelmann’schen Kulissen schätzt. Auch im hohen Alter haut Becker nach pflichtschuldigem Abspielen der „Derrick“-Kennmelodie nach nur 20 Sekunden dem geneigten Zuschauer moderne, harte Rave-Klänge um die Ohren; später bringt er sogar eine Techno-Version von „O sole mio“ auf die Tanzfläche, die mühelos den Preis für die beste Verwurstelung eines Klassikers seit „A Fifth of Beethoven“ in Vohrers „verlorenen Sekunden“ abräumt.

Leider sind die Vorgänge in der Disco des erstaunlich zugeknöpften Bernd Herzsprung weniger einladend, als der Score es vermuten lässt. Und auch hier zeigt sich Becker kompromisslos: Arm, Spritze und das Gesicht der Toten zeigt er fast schon mit genüsslichem Sadismus. Aber er kann nun eben nicht kaschieren, dass man es hier mit der gefühlt hundertsten Drogengeschichte zu tun bekommt, die so realitätsfremd konstruiert ist, dass man den Übeltätern allein schon wegen ihrer Unvorsichtigkeit Derrick an den Hals wünscht. Sie konferieren über das neueste Mordopfer in geselliger Runde und beauftragen mit Zielgenauigkeit die beiden Personen mit der Entsorgung der Toten, die dafür am wenigsten geeignet sind. Natürlich wird die Leiche dann auch in aller Seelenruhe durch den halben Wald getragen und sich anschließend noch mit ihr unterhalten (!).

Vermutlich ging es Reinecker weniger um den kriminalistischen Gehalt als vielmehr um den Charakter des Mädchens Billie, das sich aus der Welt von „O sole mio“, Herzsprung und Heroin in ihre Traumfantasien flüchtet. Man mag es ihr prinzipiell nicht verdenken – Billies übertrieben weltfremde Art kann jedoch mit den überzogensten Esotherik-Geschöpfen (jung, blond, verstrahlt) mithalten, die der Autor jemals erschaffen hat. Lag das Script etwa gar seit Christiane-Schröder-Zeiten in der Schublade? Aufgefordert zu den unnatürlichsten Dialogen, ständiger mentaler Abwesenheit und einer Art Dauerdepression, die sich nur in einer Hütte im Wald als Refugium der Unschuld aufhebt (eine Hütte, „die Ja sagt“ – wer hätte Reinecker Feng-Shui-Anleihen zugetraut?), kann Muriel Baumeister mit dieser Rolle wenig Staat machen, auch wenn sie den Rückzugsort zu ihrer eigenen Republik ausruft.

Erstaunlich ausgereift ist die Darstellung einer Süchtigen durch Sona MacDonald, die den Leiden ihrer Abhängigkeit durch eine beinahe schon amüsante Aufmüpfigkeit begegnet. Ein bisschen Mitleid verdient außerdem Debütant Nikolaus Gröbe, der es mit der nervigen Billie aushalten muss, ohne die Geduld zu verlieren und ein Stückweit Ruhe in die überkandidelten Szenen hineinbringt – man darf auf weitere Auftritte gespannt sein.

Trotz lobenswerter Bemühungen verabschiedet sich Wolfgang Becker nicht gerade mit einem Highlight: „Billies schöne, neue Welt“ ist aufgewärmter Kaffee und verfügt über horrendes Nervpotenzial und einige unschöne Längen. Die Darsteller tun ihr Bestes, können aber teilweise den Unterschied zwischen dem, was ihre Figuren natürlicherweise sagen würden, und dem, was Reinecker ihnen in den Mund legt, nicht überbrücken. Am besten fahren die Schauspieler, die ihre Rollen pragmatisch angehen (Gröbe, Schücke, die Ermittler). 2 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

20.06.2016 15:20
#805 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Ein merkwürdiger Privatdetektiv

Episode 217 der TV-Kriminalserie, BRD 1992. Regie: Helmuth Ashley. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Peter Fricke (Johann Raude), Heike Faber (Sandra Raude), Richy Müller (Johannes Lipper), Tobias Hoesl (Ingo Görner), Anaid Iplicjian (Frau Sorge), Eva Maria Meineke (Hanna Lipper), Renate Grosser (Margarete Paporski), Paul Neuhaus u.a. Erstsendung: 13. November 1992, ZDF.

Zitat von Derrick: Ein merkwürdiger Privatdetektiv
Der neurotische Ehemann Johann Raude vermutet, dass seine Frau ein außereheliches Verhältnis unterhält und setzt den Privatdetektiv Lipper auf sie an, um seinen Verdacht zu bestätigen. Lipper kommt tatsächlich schnell einer Romanze auf die Spur, entscheidet sich aber, das gesammelte Material seinem Auftraggeber zu verheimlichen, da Herr Raude ihm kreuzunsympathisch ist. Dieser findet die Wahrheit trotzdem heraus, was eine Reihe von Unglücken nach sich zieht, die in einem Mord kulminieren ...


Offenbar hielt Ringelmann an seinem Konzept von Doppelverpflichtungen von Schauspielern auch 1992 fest, denn nach den fast unmittelbar aufeinanderfolgenden Auftritten von Gerd Baltus (#211, #215) gibt sich nun auch Peter Fricke die zweifache Ehre (#213, #217). Ganz im Stile von „Eine eiskalte Nummer“ entwickelt er den unterkühlten Geschäftsmann mit Hang zur Rücksichtslosigkeit weiter und tritt noch eine Spur verabscheuungswürdiger auf als in der Vorgänger-Episode. Dass er aber an der Spitze des Cast geführt wird, ist nicht gerechtfertigt, steigt er als wohlverdientes Mordopfer schließlich „schon“ nach 20 Minuten in andere Sphären auf. Sowohl die Schüsse auf Fricke als auch die vorangehende Züchtigung seiner Frau fängt Ashley mit Hang zum Voyeurismus ein, was aber durch eine stilvolle Inszenierung der übrigen Szenen und das gehobene Ambiente der Episode einigermaßen ausgebügelt wird.

Im Mittelpunkt steht die titelgebende Detektivfigur, die dem „Dauerganoven“ Richy Müller eine willkommene Abwechslung als positiver Charakter bietet. Stellenweise wirken seine poetischen Ausführungen kurios, wozu auch beiträgt, dass er von den zwei Glucken Eva Maria Meineke und Renate Grosser bemuttert wird; insgesamt aber geht das Konzept auf, weil es der Folge einen interessanten Dreh und einen perfekten Ausgleich zu Frickes Bösartigkeit verleiht. Zudem ist man froh, dass sich bei diesem Titel aufkeimende Befürchtungen, Derrick bekäme es wieder einmal mit einem verbissenen Amateur-Gerechtigkeitsfanatiker zu tun, nicht bewahrheiten. Im Gegenteil: Das Katz-und-Maus-Spiel, das Hoegl und Müller mit Tappert aufsetzen, ist unterhaltsam anzusehen und man fiebert durchaus mit den beiden Herren mit.

Die etwas konstruierte Auflösung macht den Weg in ein Happy End frei, wobei sie sich für Müllers Figur dennoch ambivalent darstellt – Stichwort: berufliche Diskretion. Über solche verfügt hingegen die Haushälterin Frau Sorge, die die Schandtaten ihres Arbeitgebers still beobachtet und insgeheim gutheißt, weil sie ihre Konkurrentin um die Zuneigung von Herrn Raude offen missbilligt. Leider ist diese Kollaborateurin, die immerhin eine gute Informationsquelle für Derrick und Klein ist, die letzte „Derrick“-Rolle für die hochbegabte Anaid Iplicjian. Man hätte ihr einen größeren und würdigeren Part als Ausklang gewünscht.

Darstellerisch starke und von ungewöhnlichen Dynamiken bestimmte „Derrick“-Folge, deren ausführliches Mordvorspiel ganz auf Peter Fricke zugeschnitten ist. Auch nach der Tat fällt die Spannung nicht ab, denn aus einer scheinbar offensichtlichen Situation erwächst ein überraschender Whodunit. 4 von 5 Punkten.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

20.06.2016 17:28
#806 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #805
Offenbar hielt Ringelmann an seinem Konzept von Doppelverpflichtungen von Schauspielern auch 1992 fest, denn nach den fast unmittelbar aufeinanderfolgenden Auftritten von Gerd Baltus (#211, #215) gibt sich nun auch Peter Fricke die zweifache Ehre (#213, #217).

Wie @TV-1967 oben ja schrieb, wurde die "eiskalte Nummer" schon zwei Jahre eher produziert und so kam Fricke nur durch die Verzögerung der Ausstrahlung so eng hintereinander auf die Bildschirme. Ringelmann verpflichtete die Darsteller eher im Doppelpack für seine parallel laufenden Produktionen "Der Alte" und "Derrick". Später, als er älter war, verließ er sich auf immer weniger Darsteller. In "Siska" und auch in den späten "Alten" gibt's Darsteller, die alle 3, 4 Folgen mit dabei sind. Das stört natürlich irgendwie und ist nur manchmal durch eine Vertauschung der Ausstrahlungsreihenfolge bedingt (wie im Falle von Wolf Roth, der in "Siska" #3, #6 und #9 mit dabei war). Von Hans-Georg Panczak brauchen wir gar nicht zu reden: Im "Alten" war er in den späten 90ern in fast jeder zweiten Folge mit an Bord, ähnliches gilt dann später auch für Hans-Peter Hallwachs oder Michael Mendl. Ich weiß noch, dass wir damals mit Freunden gewitzelt haben, dass die beim Alten nur mehr drei Nachspänne hätten und diese alle Folgen hin- und hertauschten ... :-)

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

20.06.2016 17:49
#807 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Danke für die Korrektur, da fehlte mir schon wieder eine Querverbindung. Aus Sicht der Produktionsreihenfolge waren sie also doch ganz gut verteilt, die Fricke-Auftritte, zumal er zwischen 1980 und 1990 eine zehnjährige "Derrick"-Pause einlegte. Da ist man auch nicht gleich übersättigt, wenn man ihn nun zweimal hintereinander sieht, weil die eine Folge etwas hinausgezögert wurde.

Marmstorfer Offline




Beiträge: 7.519

20.06.2016 21:02
#808 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Georg im Beitrag #806
...oder Michael Mendl.

War Mendl wirklich so häufig beim "Alten" zu Gast? Da gibt es doch ganz andere Kandidaten, die um die Jahrtausendwende überrepräsentiert waren, etwa Jacques Breuer, Renan Demirkan, Michaela Merten, Daniel Friedrich, Michael Lesch, Robinson Reichel und Michaela Rosen.

Jan Offline




Beiträge: 1.753

21.06.2016 10:43
#809 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Marmstorfer im Beitrag #808
War Mendl wirklich so häufig beim "Alten" zu Gast? Da gibt es doch ganz andere Kandidaten, die um die Jahrtausendwende überrepräsentiert waren, etwa Jacques Breuer, Renan Demirkan, Michaela Merten, Daniel Friedrich, Michael Lesch, Robinson Reichel und Michaela Rosen.

Gerade Jacques Breuer, ein wirklich begabter und sehenswerter Darsteller, wurde in dieser Phase durchaus aufgebraucht. Ich erinnere mich auch noch daran, dass meine Eltern damals sowohl von Derrick als auch vom Alten abrückten, weil dort die ewig gleichen Gesichter zu sehen waren. Das war ein großer Kritikpunkt abseits der z.T. hanebüchenen Geschichten, die dort erzählt wurden. Will Danin war auch so ein Kandidat, der spätestens seit dem Beginn der 1990er Jahre regelrecht verbraten wurde. Bei den Regisseuren war Ringelmann ja stets eher konservativ vorgegangen, wenngleich er in früheren Jahren durchaus den Mut bewies, Experimente einzugehen. Das starb leider in der späteren Phase nahezu völlig aus. Erst Hartmut Griesmayr und Vadim Glowna brachten (im Falle des Alten) dringend benötigte Abwechslung; wohl auch deswegen, weil die Granden hinter der Kamera langsam aber sicher nicht mehr zur Verfügung standen.

Aufgrund Gubanovs Text zu "Billies schöne neue Welt" sowie aufgrund meines Faibles für Wolfgang Becker hatte ich dessen Alterswerk die Tage auch einmal in den Player geschoben. Ich gebe zu: Bei Minute 14 habe ich kapituliert und das Fiasko beendet. Bei allem Respekt vor der Leistung des über Achtzigjährigen Becker, sich noch auf Techno-Beats einzulassen und damit - wenngleich ein wenig steifer als in jüngeren Jahren - Zeitgenössisches auf die Mattscheibe zu bringen, war das "Ja" sagende Haus dann des Hardcores doch zu viel.

Neben einem abwechslungsreicheren Cast und neuen Regisseuren hätte es in der Spätphase des Derrick wohl auch eines neuen Autoren bedurft. Das aber wäre Herbert Reinecker sicher kaum zu vermitteln gewesen. Wenn seine Bücher denn überhaupt produktionsintern zur Diskussion gestanden haben. Möglich, dass dies gar nicht der Fall war - wohingegen ich mich dann schon fragen muss, ob Helmut Ringelmann das, was er da produzierte, überhaupt noch inhaltlich und formal zur Kenntnis nahm oder ob nicht eher die Maschinerie derart routiniert eingelaufen war, dass das Endprodukt als Selbstläufer betrachtet gar nicht mehr im Fokus stand.

Gruß
Jan

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

22.06.2016 14:00
#810 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Jan im Beitrag #809
Neben einem abwechslungsreicheren Cast und neuen Regisseuren hätte es in der Spätphase des Derrick wohl auch eines neuen Autoren bedurft.

Sakrileg! Ohne Reinecker wäre es dann nicht mehr „Derrick“ gewesen.
Zitat von Jan im Beitrag #809
Will Danin war auch so ein Kandidat, der spätestens seit dem Beginn der 1990er Jahre regelrecht verbraten wurde.

Will Danin? Kannst du haben:



Derrick: Kein teurer Toter

Episode 218 der TV-Kriminalserie, BRD 1992. Regie: Helmuth Ashley. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Will Danin (Dr. Lohst), Joachim Kemmer (Johannes Berger), Ingeborg Schöner (Martha Berger), Juliane Rautenberg (Hanna Berger), Udo Thomer (Erich Kaindorf), Sissy Höfferer (Elfriede Hohner), Hans M. Darnov (Tressler) u.a. Erstsendung: 11. Dezember 1992, ZDF.

Zitat von Derrick: Kein teurer Toter
Sägewerkbesitzer Berger ist kein angenehmer Zeitgenosse: Der despotische Geschäftsmann unterjocht sowohl seine Angestellten als auch seine Familie. Der befreundete Dr. Lohst informiert seinen Bekannten Derrick, weil Berger seit einiger Zeit besorgniserregende Morddrohungen erhält. Und tatsächlich läuft das Fass bald über: Kurz nach Derricks fruchtlosem Gespräch mit Herrn Berger zieht man dessen Überreste aus der Sägevorrichtung. Derrick stellt sich nun die Frage, wer Berger am meisten hasste ...


Dass Wallace-Fans ihre Probleme mit der Besetzung des ungeliebten Mordopfers Berger (nicht verwandt oder verschwägert mit einem gewissen Kriminalassistenten) haben könnten, ist der Produktion nicht anzulasten. Kurios ist er trotzdem, der krasse Unterschied zwischen dem gutmütigen Inspector Higgins, den Joachim Kemmer in den drei 1995er-RTL-Wallaces spielte, und dem bitterbösen Despoten, für den er hier gehalten wird. Vielleicht liegt es an der Vorprägung, aber die Vorschusslorbeeren, welche der Verbitterung des Herrn Berger zugesprochen werden, kann Kemmer nicht in vollem Umfang erfüllen. Sicher wirkt er nicht besonders sympathisch, aber man muss nur eine Folge zurückgehen, um in Peter Fricke ein noch deutlich dämonischeres Mordopfer zu finden. Dennoch (oder gerade deshalb?) ist es schade, dass Kemmer nach kurzer Zeit vom Bildschirm verschwindet. Man hätte ihm mehr Screentime gewünscht, um der blumigen Beschreibung seines Charakters Ausdruck zu verleihen. Zumal es leider Higgins’ einziger „Derrick“-Auftritt bleibt ...

Neben der inhaltlich nicht weiter relevanten Ingeborg Schöner, die ebenfalls ein Einmal-Gastspiel gibt, sind hauptsächlich alte Bekannte zu sehen: Will Danin, der vom Verbrecherfach in die Anwaltsrobe schlüpft, sich aber nach und nach doch noch als Verdächtiger aufbaut; Juliane Rautenberg, gewissermaßen die Verena Peter der 1990er Jahre; und Udo Thomer, so bayerisch-bodenständig wie eh und je.

Als klassische Whodunit-Ermittlung angelegt (mit traditionellen Elementen wie dem Spürsinn des Schäferhunds), sollte sich „Kein teurer Toter“ eigentlich sicher auf bereits gut sondiertem Terrain bewegen. Die privaten Vorabermittlungen gestalten sich dementsprechend auch sehr passabel; der Leichenfund kommt zwar nicht unerwartet, aber die Wahl der Mordmethode zaubert dem Zuschauer dann doch ein hämisches Lächeln auf die Lippen. Dennoch entgleitet das Geschehen nach und nach den Händen von Autor und Regisseur; die übliche bis zur Heiligkeit überzeichnete Mädchenfigur sorgt in der zweiten Hälfte für gepflegte Langeweile sowie für peinliche Momente für Rautenberg und vor allem Danin. Die Auflösung schließlich scheint ernst gemeint zu sein, hätte aber sehr viel mehr Stil gehabt, wenn sie unterschwellig als Falschaussage zum Schutz von Hanna Berger verkauft worden wäre. Der Boden für einen nicht ganz gesetzeskonformen Ausgang wäre mit dem unleidlichen Mordopfer und Derricks persönlicher Involvierung ja durchaus gegeben gewesen.

Mittelmäßiger Mitrate-„Derrick“, dessen interessanteste Komponente die Besetzung des Mordopfers mit RTL-Wallace-Inspektor Joachim Kemmer ist. Die anfangs sachlich und kriminalistisch interessant aufgemachte Story gleitet nach und nach zunehmend in altbekannte Schwülstigkeiten ab. 3 von 5 Punkten.

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