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Dieses Thema hat 977 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

06.01.2013 13:03
#496 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Der listige Lister holt langsam wieder auf und postet zunächst folgende Kritik:

BEWERTET: "Via Genua" (Folge 99)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Wolf Roth, Michael Degen, Klaus Behrendt, Siegfried Rauch, Heide Keller, Eckhard Heise, Zohra Zondler, Peter Chatel, Wilfried Klaus u.a. - Regie: Helmuth Ashley

Der Geschäftsmann John Lammers wird seit Tagen von anonymen Anrufen belästigt. Trotz seiner Angst nimmt er eine Verabredung in einem Hotel wahr. Kurze Zeit später wird seine Leiche in einem Wäschewagen gefunden. Achim Huber, der Partner von Lammers, weist den Buchhalter an, die Auslandskonten der Firma zu verschweigen; ganz offensichtlich verdiente Lammers am illegalen Waffenhandel, obwohl es vor Jahren bereits eine Anzeige gegen den Betrieb gab. Derrick heftet sich an die Fersen des Reiseschriftstellers Lusenke, der die Missstände in afrikanischen Ländern anprangert. Welche Rolle spielt der einzige Erbe von Lammers, ein Grundschullehrer aus Wasserburg?

Eines der liebsten Themen von Herbert Reinecker ist die Selbstjustiz, die vor allem bei Sexualdelikten zum Tragen kommt, wie Folge 99 beweist, jedoch auch aus Solidarität und einer gerechten Weltanschauung verübt werden kann. Die Bedrohung, die Lammers heimsucht, scheint von zwei jungen Menschen auszugehen, doch der Zuseher hat bald das Gefühl, dass die Urheber der Rachejustiz nicht greifbar sind. Über die Motive bleibt man lange Zeit im Unklaren, was erheblich zur Spannung beiträgt, zumal Michael Degen sehr diszipliniert und fast neutral agiert. Umso mehr fällt der Gegensatz zu seinem Bruder Rudolf auf, den Klaus Behrendt mit zunächst kindlicher Freude und Naivität ausstattet, der jedoch bald Ansprüche auf den Besitz seines Verwandten anmeldet; Ansprüche, die er weder aus Pflichtbewusstsein oder Anhänglichkeit, sondern aus reiner Geld(tungs)gier bekundet. Wieder einmal liegt es an der kritischen und informierten Jugend, hier einzuschreiten und für Recht zu sorgen.
Wolf Roth obliegt es, die Balance zwischen den ahnungslosen Erben und seinen Versprechungen gegenüber der Firmenpolitik zu halten. Das Todesurteil, das auch über ihm schwebt, sorgt für gleichbleibende Spannung und Aufmerksamkeit, was durch die peitschenden Rhythmen nachhaltig unterstrichen wird. Die afrikanische Musik dominiert die Atmosphäre im modernen, aber gesichtslosen Hotel, wo Menschen kommen und gehen und es eben auch einmal im Bleisarg wieder verlassen. Sinnbildlich steht es für die Anonymität der internationalen Geschäfte, wo Order per Fax oder Brief erteilt werden und sich die Partner nicht persönlich kennen. Ware, auch todbringende Güter, wird von einem Land zum anderen verschoben und prägt deshalb die Vorstellung, der Verantwortung entledigt zu sein. Selten, sehr selten, kommt es vor, dass das Blut derer, die an diesen Transaktionen zugrunde gehen, auf diejenigen zurückspritzt, die sich daran bereichert haben. Reinecker gelingt es, hier ohne moralinsaure Darstellungen (wie z.B. in "Kalkutta") auszukommen. Er wählt leise Töne, was durch das Geschwisterpaar Jean und Aimée zusätzlich betont wird. Der kernige Siegfried Rauch avanciert zum Sprecher der Gruppe und nimmt die Verantwortung in seine Hände. Er ist der Mittler zwischen dem Hintergrund der Tat und dem Ermittler in der Sache, dem tadellosen Oberinspektor Derrick, der ein Gefühl für Stimmungen (die Musik, die Gemälde) zeigt und so den Zusammenhang zwischen dem Geschäft des Mordopfers und den "Menschen im Hotel" herstellen kann.

Blap Offline




Beiträge: 1.128

06.01.2013 13:54
#497 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Dann lege ich gern die gestern gesichtete Folge nach:

Die Fortsetzung der "Mega-Derrick-Sause"


Derrick - Collector's Box 10 (Folgen 136-150)

Folge 141 - Der Charme der Bahamas (Deutschland 1986)

MILF-Katze, zornige Geschwister und ein auf dem Drahtseil balancierender Anwalt

Gerhard Brosch (Klaus Behrendt) ist verzweifelt, fragwürdige Geldanlagen haben ihn um sein Vermögen gebracht. Nach letzten Telefonaten mit seiner Tochter Bettina (Irene Clarin) und seinem Sohn Franz (Till Topf), erhängt sich der jeder Hoffung beraubte Mann im Keller. Schnell ist den jungen Leuten klar, wer für den Tod ihres geliebten Vaters verantwortlich zu machen ist, ein windiger Anlagenberater namens Hans Müller-Brode (Karl-Michael Vogler). Am Telefon wird Franz von Müller-Brodes Ehefrau Carina (Evelyn Opela) abgespeist, nur widerwillig spielt die attraktive Frau das feige Spiel ihres Gatten mit. Schäumend vor Wut fährt der junge Mann zum Anwesen Müller-Brode, kann sich jedoch keinen Zutritt verschaffen, spricht vor der Haustür eine Morddrohung aus. Nach Rücksprache mit Derrick, rät Müller-Brodes Rechtsanwalt Dr. Schwede (Thomas Fritsch), seinem Mandanten zur Aussprache mit dem Sohn des Selbstmörders. Tatsächlich meldet sich der Bedrohte bei Franz, bittet um ein persönliches Gespräch. Als Dr. Schwede seinen Klient in dessen Haus anruft, hebt Franz Brosch den Hörer am anderen Ende der Leistung ab. Müller-Brode liegt tot auf dem Boden ...

Geradezu verschwenderisch verwöhnt uns diese Folge mit großartigen Schauspielern. Zunächst kann Klaus Behrendt eine deutliche Duftmarke setzen, den Stab der Verzweiflung gibt er an den verschwitzten Karl-Michael Vogler weiter. Betrogener und Betrüger, für beide Herren nimmt es kein gutes Ende. Die wundervolle Evelyn Opela hat mich mit ihren katzenartigen Reizen sofort gefangen, was für eine Frau! Thomas Fritsch stehen die zusätzlichen Jahre gut zu Gesicht, der kriminelle Jungspund aus Folge 6 (Nur Aufregungen für Rohn, 1975) ist Geschichte. Überhaupt ist Dr. Schwede ein interessanter Charakter, bemüht um größtmögliche Loyalität zu seiner Mandantschaft, vom Drehbuch nicht als unsympathischer Winkeladvokat gezeichnet. Ullrich Haupt ist in einer kleineren Rolle zu sehen, fungiert als zündender Running Gag. Richard Münch sehem wir als väterlichen Freund und Nachbarn der verzweifelten Geschwister, welche von Till Topf und Irene Clarin sehr überzeugend verkörpert werden.

Wieder trifft ein leicht durchschaubarer Kriminalfall auf ein tolles Ensemble, die Damen und Herren vor der Kamera entschädigen für den unkreativen Plot. Mich stört das freilich nicht, schon gar nicht beim Blick in Evelyn Opelas Augen (die mit Produzent Helmut Ringelmann verheiratet war, der Mann hatte Geschmack). Möge die MILF-Katze mich anfallen ... (der Verfasser dieser Zeilen verliert die Contenance). Wo war ich stehen geblieben? Bei der Rollenverteilung zwischen Horst Tappert und Fritz Wepper! Wieder gibt Harry den Wadenbeisser, während Stephan immer einen Schritt weiter denkt. Leichtes Spiel für den erfahreren Regisseur Jürgen Goslar, mit dieser Mannschaft im Gepäck kann man nur gewinnen! Eberhard Schoener arbeitet mit minimalistischen Klängen, düster, hintergründig. Sehr effektiv und stilvoll eingesetzt, die Szene mit Tappert und Opela am Tatort spricht Bände.

7/10 (gut)

***

Vom Ursprung her verdorben

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

06.01.2013 14:15
#498 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Damit Blap sich wieder fassen kann, springe nun ich mit einem weiteren Bericht in die Bresche:

BEWERTET: "Die Tote in der Isar" (Folge 100)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Horst Frank, Sven Eric Bechtolf, Christiane Krüger, Horst Buchholz, Ulli Maier, Paul Dahlke, Sonja Sutter, Fritz Strassner u.a. - Regie: Alfred Weidenmann

Die 18jährige Annemarie Rudolf wird aus der Isar gefischt, die Untersuchungen ergeben, dass sie Selbstmord begangen hat. Am gleichen Tag wird in einem Apartmenthaus die Leiche von Maria Dissmann gefunden, die sich für einen gewissen Kabeck als Callgirl verdingte. Dieser pflegt eine enge Freundschaft mit Ingo Reitz, einem jungen Mann, dem es leichtfällt, laufend neue Mädchenbekanntschaften zu machen, die er dann zu seinem Vorteil nutzt. Oberinspektor Derrick muss sich fragen, welche Verbindung zwischen dem Mord an Maria und dem Selbstmord der Schülerin besteht. Dabei trifft er mit dem Witwer Arthur Dissmann und dem Großvater Rudolf zwei unterschiedliche Männer, die beide sehr vom Tod der beiden Frauen betroffen sind und mehr wissen, als sie sagen....

Die Thematik, die der Jubiläumsfolge zugrunde liegt, spricht 1982 schon ein Problem an, das mittlerweile unter dem Begriff "Loverboys" bekannt ist und von der "Elterninitiative für Loverboy-Opfer in Deutschland", die mithilfe einer pensionierten Kriminalkommissarin gegründet wurde, wie folgt beschrieben wird: "Loverboys sind Zuhälter, die minderjährige Mädchen ab elf Jahren in die Prostitution zwingen. Loverboys sprechen von der großen Liebe, machen großzügige Geschenke, schleichen sich in den Freundeskreis ein, suchen sich ihre Opfer vor Schulen, in der Nähe von Jugendtreffs oder im Web. Opfer sind Mädchen aus ganz normalen Familien."

Auch hier trifft es mit der hübschen, aber unauffälligen Annemarie ein sogenanntes Mädchen von nebenan, das in der Schule fleißig ist und ein gutes Verhältnis zu seinem Großvater hat. Sven Eric Bechtolf und Horst Frank geben ein glaubwürdiges Gespann ab und verkehren ihre in "Dem Mörder eine Kerze" gelebten Werte ins Gegenteil. Obwohl die Handlung absolut vorhersehbar ist, gelingt es, das Publikum durch überzeugendes Spiel vertrauter Gesichter zu fesseln. Die schöne Christiane Krüger, die souverän und angstfrei gegen die Interessen von Bechtolf und Frank angeht und damit ihr eigenes Todesurteil unterzeichnet; der angegriffen wirkende Paul Dahlke, dessen Schmerz ihn in hilfloser Wut zum Äußersten treibt; der gebeugte Fritz Strassner, der seine Ruhe haben möchte und leicht einzuschüchtern ist und nicht zuletzt Horst Buchholz. Sein letzter Auftritt innerhalb der "Derrick"-Reihe sorgt nach "Auf einem Gutshof" erneut für Teilnahme an seinem Schicksal - wieder verzweifelt er am Verhalten seiner Ehefrau. Man möchte ihn zur Seite nehmen und ihm fürsorglich die Hand auf die Schulter legen.
Derrick hingegen trifft gleich zweimal auf Zeugen, die die ganze Wahrheit kennen und sie aus verschiedenen Gründen für sich behalten. Das, und die Tatsache, dass einem Mann wie Ingo Reitz vom strafrechtlichen Standpunkt kaum beizukommen ist, erleichtern ihm seine Arbeit nicht, lassen ihn aber keine Minute von seiner klaren Linie abkommen. Wenn ringsherum alle verzweifeln, resignieren und ihre Fassung verlieren, bleibt Derrick der Fels in der Brandung. Auf ihn kann man sich verlassen und so wiegt sich der Zuseher, der mit manchem Ausgang einer Folge hadert, im Gefühl, von einem gerechten Mann vertreten zu werden - einem Mann, der für Ordnung sorgen wird. Dieses Sicherheitsbedürfnis ist das Potential, auf dem Ringelmann und das ZDF ihren Erfolg weiterführten - sehr zu unserer Freude.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

06.01.2013 14:20
#499 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Dr. Römer und der Mann des Jahres

Episode 108 der TV-Kriminalserie, BRD 1983. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Gisela Stein (Margarete Römer), Erich Hallhuber (Dr. Römer), Ernst Schröder (Professor Rotheim), Hans Dieter Zeidler (Professor Rauh), Kristina Nel (Dr. Brigitte Schenk), Maria Singer (Schwester Berta), Angela Hillebrecht (Hanna Krosigk), Rolf Castell (Pförtner Gantner) u.a. Erstsendung: 30. Dezember 1983, ZDF.

Zitat von Derrick: Dr. Römer und der Mann des Jahres
Welche ist die größte Bedrohung für die Menschheit? Dr. Römer meint: Intelligenz ohne Moral. Sie wird uns töten. Nun lebt er selbst nicht mehr; verstorben eines natürlichen Todes. Doch die Kripo interessiert sich für ihn, denn Augenzeugen sahen ihn am Schauplatz eines Mordes in einem Computer-Forschungsinstitut. Hat Dr. Römer wirklich das Zeitliche gesegnet? Und wenn nicht: Wie ist dann sein Arzt Professor Rotheim in die faule Geschichte verwickelt?


Ob sich Herbert Reinecker dafür rächen wollte, dass er, obschon vielleicht größter deutscher Drehbuchautor, nie das Script zu einem Dr.-Mabuse-Film schreiben durfte? Züge dieses ausgefallenen „Derricks“ erinnern jedenfalls an die Gedankenbeeinflussung, durch die das berühmteste Böse des deutschen Films in dem Nervenspezialisten Professor Pohland seinerzeit einen gefügigen Helfer und Nachfolger für seine Weltbeherrschungspläne fand. Philanthrop Reinecker lag es dabei natürlich fern, sich und seine geistigen Kinder in Zerstörungsfantasien zu suhlen, sodass das Testament des Dr. Römer sich eben der umgekehrten Wirkung, einer idealistischen Rettung vor der Vernichtung der Welt durch morallose Computer und (Kriegs-)Maschinen, verschreibt. Der Wahnsinn, den Arzt und Patient in sich tragen, sowie eine Aura der Transzendenz zwischen Leben und Tod bleiben allerdings erhalten und lassen Stephan und Harry sich ohne irgendwelche Zweifel auf einen Verdächtigen stürzen, der nach allen Regeln des gesunden Menschenverstandes nicht der Mörder sein kann. – Aber Halt: Haben wir dabei nicht eines vergessen? Geistige Gesundheit, so verlautbart eines von Reineckers Sprachrohren, ist vielleicht ebenso wenig existent wie geistige Krankheit.

Für den Fortbestand der Reihe wollen wir erst einmal hoffen, dass wir für Derrick und seinen Assistenten trotz allem einen positiven Befund ausstellen können. Und die Anzeichen stehen gut: Tappert manövriert sich, voll gesundet, geschickt zwischen zwei polarisierenden Extremen hindurch: den Technikgegnern und den Entwicklern von Chips, Computern und Superwaffen. Vielleicht fehlt beiden der Bezug zur Realität, denn neben Ernst Schröder in der Rolle des Professor Rotheim dreht auch sein Titelkollege und Leiter des wissenschaftlichen Instituts, Professor Rauh, gehörig am Rad. Mit Hans Dieter Zeidler griff man auf einen würdigen Antagonisten für Schröder zurück, der sein Talent für herausragende Verkörperungen bereits in seinem einzigen anderen „Derrick“-Auftritt, „Angst“ (#18), unter Beweis gestellt hatte.

Es spricht weiterhin für die Außergewöhnlichkeit von „Dr. Römer und der Mann des Jahres“, dass sich die beiden Koryphäen kaum persönlich über den Weg zu laufen brauchen, um als Gegenspieler von mabusianischer Tücke den Platz unter sich aufzuteilen. Die Titelfigur bleibt da nur ein billiges und williges Werkzeug, gerade so wie ein Computer, der auch ohne zu zucken (und ohne zu leben) töten kann.

Kaum auszudenken, was aus dieser Episode in den Händen eines Juxregisseurs geworden wäre. Die nachdenklich stimmenden und sarkastischen Betrachtungen einer sich verändernden Welt, in der potenzielle Mächte leicht außer Kontrolle geraten können, profitiert von Theodor Grädlers nüchternem Stil, der dem Geschehen weder eine Spur von Komik entlockt, noch versucht, die eingebaute Philosophiestunde zu einem zeigefingerschwingenden Überkonstrukt auszubauen. Ihm war offensichtlich einmal mehr an der Schauspielerführung gelegen, was zu absoluten Glanzleistungen von Schröder, Zeidler und Nel führte und zugunsten derer Wandlungsfähigkeit auch die Spannungsdramaturgie wieder in luftige Höhen aufsteigen ließ.

Computer lassen Menschen gern verzweifeln. Trost für die, die manchmal in die Schreibtischkante beißen möchten, bietet dieser 108. „Derrick“, der das Unglaubhafte glaubhaft macht: Computer können darüber hinaus waschechten psychischen Wahnsinn auslösen. Weil das so unterhaltsam ist, zücke ich 5 Punkte für die vom Time Magazine 1982 zum Mann des Jahres gewählte Ikone der neuen Zeit und nochmal 5 von 5 Punkten für die Geschichte, die ein sagenhaft kreativer und unverbrauchter Kopf um sie herum gebastelt hat.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

06.01.2013 14:46
#500 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Nach Beendigung der ersten hundert Episoden fühle auch mich berufen, eine TOP-15 zu erstellen. Es gab unterm Strich viel mehr Kandidaten für die besten fünfzehn Folgen als für die schlechtesten fünfzehn, die ich anschließend posten werde. Das spricht für die durchgehend gute Qualität der Serie.

Platz 1: Kaffee mit Beate
Platz 2: Das Superding
Platz 3: Waldweg

Platz 4: Paddenberg
Platz 5: Das Bordfest
Platz 6: Stiftungsfest
Platz 7: Lissas Vater
Platz 8: Abendfrieden
Platz 9: Madeira
Platz 10: Dem Mörder eine Kerze

Platz 11: Der Mann aus Portofino
Platz 12: Auf einem Gutshof
Platz 13: Der Kanal
Platz 14: Tod am Bahngleis
Platz 15: Eine ganz alte Geschichte

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

06.01.2013 20:17
#501 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Wie jede Serie, die sich über Jahre erstreckt und dabei verschiedene Themen abhandelt, Darsteller austauscht und Regisseure wechselt, wartet auch "Derrick" mit Folgen auf, bei denen eine einmalige Sichtung genügt bzw. schon zuviel ist. Hier nun die FLOP-15 aus den ersten hundert Episoden:

Platz 1: Ein Todesengel
Platz 2: Am Abgrund
Platz 3: Mord im TEE 91

Platz 4: Ein unbegreiflicher Typ
Platz 5: Auf eigene Faust
Platz 6: Alarm auf Revier 12
Platz 7: Besuch aus New York
Platz 8: Der Tod sucht Abonnenten
Platz 9: Der Spitzel
Platz 10: Pfandhaus

Platz 11: Pecko
Platz 12: Ein Kongress in Berlin
Platz 13: Hausmusik
Platz 14: Ein Lied aus Theben
Platz 15: Hoffmanns Höllenfahrt

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

06.01.2013 20:32
#502 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Da schreibt Mister Lister wahre Worte. Einigen Folgen gehören in den Giftschrank der Fernsehgeschichte und für immer und ewig darin vergessen. Und weil gerade die Auswahl dieser miesen „Derrick“-Folgen (es gab wenige, aber es gibt sie eben doch) sehr unterhaltsam ist, möchte ich meine dringlichsten Warnungen für die ersten 100 Folgen auch noch loswerden.

Achtung: Sichtung auf eigene Gefahr!

Platz 01 | Box 06 | Folge 080 | Am Abgrund (Ashley)
Platz 02 | Box 03 | Folge 036 | Mord im TEE 91 (Brynych)
Platz 03 | Box 04 | Folge 047 | Solo für Margarete (Braun)
Platz 04 | Box 05 | Folge 064 | Ein Todesengel (Vohrer)
Platz 05 | Box 06 | Folge 085 | Das sechste Streichholz (Vohrer)

Platz 06 | Box 02 | Folge 021 | Kalkutta (Weidenmann)
Platz 07 | Box 03 | Folge 045 | Klavierkonzert (Ashley)
Platz 08 | Box 04 | Folge 060 | Besuch aus New York (Ashley)
Platz 09 | Box 02 | Folge 028 | Pecko (Brynych)
Platz 10 | Box 01 | Folge 012 | Ein Koffer aus Salzburg (Weidenmann)

Platz 11 | Box 01 | Folge 015 | Alarm auf Revier 12 (Brynych)
Platz 12 | Box 06 | Folge 083 | Die Schwester (Ashley)
Platz 13 | Box 05 | Folge 068 | Ein Lied aus Theben (Weidenmann)
Platz 14 | Box 05 | Folge 072 | Der Tod sucht Abonnenten (Brynych)
Platz 15 | Box 07 | Folge 098 | Ein unheimliches Erlebnis (Grädler)

Georg Offline




Beiträge: 3.263

07.01.2013 11:24
#503 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Natürlich eine subjektive Liste, auch wenn ich bei mehr als der Hälfte zustimme. Die ganz argen Sachen kommen dann aber vor allem Anfang / Mitte der 90er, als Reinecker den Derrick in vielen Folgen nur mehr als Plattform für seine philosophischen Anwandlungen verwendet hat und das häufig nur mehr ganz wenig mit Krimi zu tun hat und auch meist nur mehr in den Grünwalder Nobelvillen spielt. Gleichwohl gibt es aber bis zum Schluss der Reihe immer wieder sehr starke Folgen wie Anruf aus Wien, Abendessen mit Bruno (wieder mal das bekannte Bruno-Thema: schieben wir dem Beeinträchtigten den Mord in die Schuhe!) oder Herr Kordes braucht eine Million, aber eben auch Totalausfälle wie Nachtgebete (bei dem übrigens Tappert unerwähnt den kranken Grädler als Regisseur ablöste) oder Kostloffs Thema. Ich nehme an, dass ein Gros der späteren Folgen die von Dir genannten 15 Folgen von ihren Plätzen verdrängen werden ;-). Bin diesbezüglich mal gespannt ...

Marmstorfer Offline




Beiträge: 7.519

07.01.2013 13:37
#504 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Georg im Beitrag #503
aber vor allem Anfang / Mitte der 90er, als Reinecker den Derrick in vielen Folgen nur mehr als Plattform für seine philosophischen Anwandlungen verwendet hat und das häufig nur mehr ganz wenig mit Krimi zu tun hat

Ja, diesen Eindruck habe ich auch von den meisten 90er-Derricks gewonnen, die ich bereits auf Sky Krimi sehen konnte. In gewisser Weise sogar nachvollziehbar, schließlich hat Reinecker in seinem Leben so viele Kriminalgeschichten erfunden, dass er dessen wohl irgendwann überdrüssig wurde und in vielen späten Derricks sein eigenes Schaffen und Œuvre sozusagen kritisch reflektierte. Dass viele dieser Folgen tempoarm und langatmig sind, liegt aber auch darin begründet, dass die Macher der Serie mitalterten und Ringelmann seinen Regisseuren wie Ashley, Grädler, Haugk und Weidenmann bis zum Ende treu blieb. Auch Itzenplitz, der ja in der Spätphase öfter mal randurfte, war bei seinem "Derrick"-Debüt bereits 70 Jahre alt. Ein über 80-jähriger Autor, die Regisseure im Durchschnitt nur unwesentlich jünger und ein Hauptdarsteller, der im wahren Leben längst das Pensionsalter erreicht hatte - es ist konsequent und logisch, dass sich der Charakter der Reihe im Vergleich zu den Anfangsjahren wesentlich verändert hatte.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

07.01.2013 14:21
#505 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Georg im Beitrag #503
häufig nur mehr ganz wenig mit Krimi zu tun hat

Dazu ist mir letztens eine sehr schöne Stelle im "Derrick"-Aufsatz von Andreas Quetsch aufgefallen. Ich wollte sie mir eigentlich für eine Besprechung aufheben, aber sie passt gerade wie der Topf auf den Deckel (und erklärt so einiges über die Natur mancher "Derrick"-Fälle). Quetsch schreibt in Bezug auf ein Zitat Reineckers im Karin-Hampel-Buch: "Auf die Frage 'Glauben Sie, dass Derrick ein Krimi ist?', sagt er in vollem Ernst: 'Ich nicht!'" So gibt Hampel die Einschätzung Reineckers wieder. [...] Die von Reinecker verkündeten Lehrformeln bauen auf den von ihm bevorzugt dargestellten (zwischen-)menschlichen Problemen auf. Seine Geschichten um eheliche Untreue, Persönlichkeitsschwächen oder den Absturz in die Rauschgiftsucht sind menschliche Dramen. [...] Folglich meint Reinecker, dass die Erfolgsgründe für Derrick "wohl im menschlichen Bereich gesucht werden müssen, im Gefühlsbereich, im mitgegebenen Unbewussten, das sich im Bedürfnis äußert. In fundamentalen und irrationalen Bedürfnissen."
Zitat von Georg im Beitrag #503
und auch meist nur mehr in den Grünwalder Nobelvillen spielt

Hach, in mancher Brynych'scher Kneipennacht habe ich mich schon nach dieser Perspektive gesehnt.
Zitat von Georg im Beitrag #503
Ich nehme an, dass ein Gros der späteren Folgen die von Dir genannten 15 Folgen von ihren Plätzen verdrängen werden ;-).

Das mag gut sein. Nach Folge 200 melde ich mich diesbezüglich erneut ...

Chinesische Nelke Offline



Beiträge: 136

07.01.2013 21:09
#506 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Ich habe in den 90er Jahren Derrick fast nur noch aufgenommen, um die Serie komplett zu haben. Ab und an habe ich mir dann mal Folgen angesehen, manche fand ich garnicht schlecht wie z.B. "Teestunde mit einer Mörderin": Das ist zwar eigentlich kein Krimi und die Geschichte ist auch eher unrealistisch, aber Christina Plate, Maria Becker und vor allem Thomas Kretschmann machen das Ganze sehenswert.

Über Weihnachten habe ich mir dann die 6 Folgen Das leere Zimmer / Mädchen im Mondlicht / Der Verteidiger / Eine kleine rote Zahl / Das erste aller Lieder / Pornochio auf 2 DVD herausgesucht und war mehr oder minder geschockt: Eine Besprechung einzelner Folgen ist fast entbehrlich: Es sind keine Kriminalfälle, es werden immer wieder die gleichen Reinecker-Themen aufgewärmt, das aber deutlich schlechter als in früheren Jahren, die Dialoge sind gestelzt und die Schauspieler können einem nur leid tun. Zwei kleine Highlights in den o.g. Folgen: Phlipp Moog als der Verteidiger und Lara Joy Körner in "Mädchen im Mondlicht".

Horst Tappert hat man sicherlich damit auch keinen Gefallen getan, möglicherweise spielt aber auch der grausame Kleidungsstil Mitte der 90er eine Rolle bei meiner negativen Beurteilung.

Heißer Kandidat auf Platz 281 für mich: "Das leere Zimmer". Diese Stunde hätte ich besser nutzen können!

PS: heute Abend schaue ich: "Der Mann aus Portofino" (1976), garantiert keine Zeitverschwendung.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

08.01.2013 17:08
#507 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #505
"Auf die Frage 'Glauben Sie, dass Derrick ein Krimi ist?', sagt er in vollem Ernst: 'Ich nicht!' [...]"

Ja, das ist bekannt, dass Reinecker diese Meinung vor allem später immer wieder vertreten hat und wie gesagt, manche Filme sind eigentlich gar keine Krimis. Selbst Horst Tappert sah das so. In seiner Autobiographie Derrick und ich-Meine zwei Leben (Heyne, München, 1998, p. 224) sagt er etwa über die von ihm inszenierte Folge Katze ohne Ohren: "Als Krimi eigentlich unverfilmbar, eher ein Fernsehspiel mit ökologischem Tiefgang". Und genau dieser Tiefgang ist bei manchen Folgen (bei genannter, in der der spätere Siska Peter Kremer einen Verbrecher spielt, gar nicht so sehr) so stark ausgeprägt, dass es überhaupt nur mehr eine Aneinanderreihung von philosophischen Absurditäten ist. Schlimm war dabei auch, dass Reinecker die Personen gar nicht mehr differenzierte, der Bettler (wie in Zeuge Karuhn) gab ebenso Hochphilosophisches wie Intellektuelles von sich wie der Universitätsprofessor. Sprache und Syntax waren ident, keine soziolinguistischen Unterschiede, nichts. Besondes schlimme Anwandlungen hatte übrigens auch Udo Vioff in der von Chinesische Nelke zitierten Folge Mädchen im Mondlicht.
Zitat von Marmstorfer im Beitrag #504
Dass viele dieser Folgen tempoarm und langatmig sind, liegt aber auch darin begründet, dass die Macher der Serie mitalterten und Ringelmann seinen Regisseuren wie Ashley, Grädler, Haugk und Weidenmann bis zum Ende treu blieb. Auch Itzenplitz, der ja in der Spätphase öfter mal randurfte, war bei seinem "Derrick"-Debüt bereits 70 Jahre alt.

Bedingt richtig, ich finde, dass Haugk bis zum Ende konsequent Tempo in die Folgen brachte und auch die ödesten Drehbücher noch irgendwie retten konnte. Aber es stimmt, Ringelmann hatte die letzten dreißig Jahre so gut wie keine jungen Regisseure an seine Produktionen rangelassen, später beim Alten gab's dann eine Phase, in der jahrelang nur mehr Hartmut Griesmayr, Helmuth Ashley und Gero Erhardt Regie führten, als Ashley mit über 85 ausstieg, kamen dann nur mehr Vadim Glowna und Hartmut Griesmayr zum Zug. Erst zwei Jahre vor seinem Tod kamen junge, begabte Regisseure, aber ich weiß nicht, ob die von Seiten des ZDF engagiert wurden (anzunehmen, da sie auch die anderen Freitagskrimis drehten).
Zitat von Chinesische Nelke im Beitrag #506
Es sind keine Kriminalfälle, es werden immer wieder die gleichen Reinecker-Themen aufgewärmt, das aber deutlich schlechter als in früheren Jahren ...

Richtig! Auffallend, wie sich die Reinecker'schen Grundthemen wiederholen, etwa:

* Tochter spielt in Pornofilm mit und bringt sich um / wird getötet: Pornocchio = Die Festmenüs des Herrn Borgelt (diese Folge ist grandios, aber auch nur aufgrund des herausragenden Ernst Schröder!)
* Dem Behinderten wird der Mord in die Schuhe geschoben: Anschlag auf Bruno = Abendessen mit Bruno (und: Der Kommissar: Mord nach der Uhr u.a.)
* Verheiratete Ehemänner werden beim Stelldichein fotografiert und erpresst: Mama Kaputtke = komme jetzt nicht auf die Folgentitel, es waren aber mindestens zwei andere Derricks.
* Wenig intellektuelle / intelligente Zeugin sieht Mörder: Die verlorenen Sekunden = Anna Lakowski
Zitat von Chinesische Nelke im Beitrag #506
PS: heute Abend schaue ich: "Der Mann aus Portofino" (1976), garantiert keine Zeitverschwendung.

Sehe ich auch so. Bekannterweise mein Lieblings-Derrick.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

13.01.2013 13:32
#508 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Geheimnisse einer Nacht" (Folge 101)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Heinz Bennent, Christian Wolff, Thekla Carola Wied, Jürgen Goslar, Gila von Weitershausen, Anne Bennent, Siegfried Wischnewski u.a. - Regie: Alfred Vohrer

Der Unternehmer Dr. Vrings hat seit einigen Monaten ein Verhältnis mit der Frau seines Angestellten Sobach. Eines Tages schickt er ihn mit einem Eilauftrag nach Straßburg, um den Abend und die Nacht ungestört mit Maria Sobach verbringen zu können. Der gehörnte Ehemann kehrt jedoch um und erscheint mitten in der Nacht im Haus seines Chefs, um ihn zur Rede zu stellen. Er bedroht ihn mit einer Schusswaffe, läuft dann allerdings davon. Wenige Minuten später wird Dr. Vrings getötet und alle Hausbewohner inklusive Sobachs Ehefrau sagen aus, er sei es gewesen. Oberinspektor Derrick zweifelt daran. Vor allem, da Maria Sobach am nächsten Tag einen hohen Bankkredit ohne Sicherheiten erhält. Bürge: Gustav Vrings, der Bruder des Toten.....

Jürgen Goslars Lebemänner, die er bereits im "Kommissar" (Folgen 60, 90) als Produkte ihrer auf Gewinnmaximierung getrimmten Unternehmen zeigen konnte, treten dem Betrachter spöttisch und überlegen, selbstgefällig und maßlos entgegen. Er ist an seinen Mitmenschen nur so lange interessiert, als sie seine Wünsche und Bedürfnisse erfüllen und orientiert sich dabei an der gesellschaftlichen Etikette. Er ist freundlich und charmant, zuvorkommend und hilfsbereit - aber nur bis zu einem gewissen Grad. Auf ihn trifft zu, was Michael Schmitz in seinem Buch "Psychologie der Macht" (Verlag Kremayr & Scheriau, 2012) über Machtmenschen schreibt: "Mächtige verfügen über ein feines Gespür, wer ihnen nützlich sein könnte [...] Lässt ihre Funktionalität nach, bringen sie Machthabern nicht, was die erwarten, entziehen die Oberen ihnen Aufmerksamkeit und Zuwendung rasch." (Seite 150) Thekla Carola Wied ist also nur eine Fußnote im Leben von Goslar, doch sie ist der Pferdefuß, der ihn zu Fall bringen wird. Christian Wolff fällt die Rolle des zornigen, gedemütigten Mannes zu, der mit seinem von den Vorgaben seines Chefs abweichenden Verhalten mitten in ein Wespennest sticht und an seinem Mut zur Selbstüberwindung kurzfristig hinter Gittern, aber längerfristig in dem selbstgebauten Käfig seiner Gefühle leiden muss. Oberinspektor Derrick fällt das Verdienst zu, nicht die erstbeste, offensichtliche Lösung zu wählen, sondern das gesamte Familiengefüge auseinanderzunehmen.
Neben den glaubwürdigen Leistungen von Wied und Wolff, sehen wir erneut den Charakterschauspieler Heinz Bennent, dem ich anfangs kritisch gegenüberstand, der jedoch mittlerweile ein gerngesehener Gast auf dem Bildschirm geworden ist. Die Arbeit der Maskenbildner muss hier explizit gelobt werden. Gustav Vrings ist ein Mann mit einer Vorgeschichte - eine tragisch-schaurige - nicht frei von Romantik. Wie ein Rochester aus "Jane Eyre" kommt er daher und lässt Gila von Weitershausen (mit einer grausamen Aerobic-Frisur der Achtziger Jahre) blass und nichtssagend aussehen. Anne Bennent und Siegfried Wischnewski bedienen die Enkelin-Großvater-Schiene, wobei Bennent diesmal weitaus weniger Wirkung entfaltet als noch in "Lissas Vater". Man schrieb ihr hier eine Rolle auf den Leib, aus der sie bereits herausgewachsen war. In einer Minirolle zu Beginn sieht man Claudia "Carol Stewart" Gerstäcker, die nach ihrem schrulligen Auftritt in "Melissa" erneut am Telefon gebraucht wird. Die Geschichte entwickelt sich nach und nach zu einer Anklageschrift gegen Dr. Vrings und endet mit dem Aufdecken verscharrter "Leichen im Keller". Alfred Vohrers Finale kommt wehmütig daher und zeigt sein Gespür für Stimmungen; man glaubt fast, den kalten Hauch des Abschieds zu spüren, der den Tod des erfolgreichen Regisseurs Anfang 1986 einleitet.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

13.01.2013 14:21
#509 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Der Täter schickte Blumen" (Folge 102)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Ruth Leuwerik, Peter Bongartz, Ernst Fritz Fürbringer, Jacques Breuer, Hans Quest, Edwin Noel u.a. - Regie. Helmuth Ashley

Vera Baruda, eine vermögende Witwe, möchte sich mit dem smarten Alexander Rudow verloben. Alles ist schon vorbereitet, der Sekt kaltgestellt, Freunde und Verwandte im Familienansitz warten nur auf das Eintreffen des künftigen Bräutigams. Doch dieser erscheint in Begleitung von Oberinspektor Derrick und Inspektor Klein. Man habe einen Anschlag auf sein Leben verübt, erklärt Rudow seiner erschrockenen Verlobten, ein Taxifahrer sei dabei schwer verletzt worden. Bald stellt sich heraus, dass Rudow wegen Heiratsschwindels und Betrugs mehrere Jahre im Gefängnis verbracht hat; die ohnehin skeptische und ablehnende Haltung von Veras Familie wird dadurch noch verstärkt. Vor allem eine Frage schwebt im Raum: Wird sich der Mordanschlag wiederholen?

Ruth Leuweriks Auftritte in "Derrick" oder "Der Kommissar" veredeln die Szenerie. Die Schauspielerin verleiht auch den trivialsten Dialogsätzen Ernst und Würde und so vermag es nicht zu wundern, dass ihre Vera Baruda trotz des blinden Vertrauens, das sie ihrem vorbestraften Verlobten schenkt, weitaus weniger verachtet oder verdammt wird, als es eine ihrer Kolleginnen würde. Sie macht sich rar; nicht nur innerhalb langlaufender Serien, sondern auch in ihrem Wesen. Bereits 1956 bescheinigt ihr das Album "Unsere Filmlieblinge" (Verlag Bernhard Reiff) "weise Mäßigung und eine richtige Selbsteinschätzung". Sie wirkt stark, aber dennoch nicht unverwundbar und schöpft ihre Kraft aus ruhigen Überlegungen, (selbst)kritischer Betrachtung und verstandesorientierten Handlungen. Umso spannender wirkt es auf ihr Publikum, wenn sie sich von einem Mann beeindrucken lässt, dessen Vorleben jeden Eingeweihten zur Wachsamkeit und Vorsicht aufrufen muss. Die Drehbuchkniffe arbeiten gegen die vorgefasste Meinung des Zusehers. Natürlich erwartet man, dass Vera erst durch die Kriminalpolizei auf Alexanders Vergehen hingewiesen wird. Selbstredend vermutet man eine Wiederholung der Schüsse aus dem Hinterhalt. Doch nichts dergleichen geschieht. Nicht einmal der Taxifahrer erliegt seinen Verletzungen, sondern wird wieder vollständig genesen. Reinecker schafft es, durch dezente Variationen seines Standard-Plots "Ahnungslose Frau trifft auf einen Schurken" für Überraschungen zu sorgen. So ist man weder Peter Bongartz böse, noch bedauert man Ruth Leuwerik. Umso lieber richtet man sich in der mit exquisitem Geschmack eingerichteten Villa ein, begleitet den giftig auftrumpfenden E.F. Fürbringer, dessen Wille und Gestalt auch durch sein hohes Alter nicht gebeugt wurden, und freut sich am nicht weniger überzeugenden Spiel des jungen Breuer, der hier Reife und Nachhaltigkeit verkörpert. Der leise Hans Quest, vornehm und besonnen, ergänzt das Ensemble vorzüglich. Nur die seltsame Verehrung, die sein Sohn Vera entgegenbringt - eine Liebe, die förmlich körperlichen Kontakt sucht, mutet absonderlich an und passt nicht in die beherrschte Männerrunde.
Die Natur darf neben Martin Böttchers angenehmer Musik ihre ganze Pracht zeigen: die herbstliche Baumallee auf der Rückfahrt vom Privatsanatorium erstrahlt in bunter Bombastik, während anfangs der Wind kraftvoll im Efeu der Villa rauscht. Immer wirkt sie dabei dämpfend, nie bedrohlich und so fragt man sich, ob der Schreckensmoment im Pflegeheim tatsächlich von Dauer sein wird. Ohnehin handelt Vera geradezu inkonsequent: "Vergeben und vergessen" galt für sie nur solange, als nicht eine ihr bekannte Person durch Alexanders Handeln geschädigt wurde. Betrifft es ihren unmittelbaren Kreis, fällt sie aus ihrem Wolkenkuckucksheim auf den Boden der Realität. Der Zuseher kommt nicht umhin, sich zu fragen, wen man hier mehr verabscheuen soll: Den geständigen Heiratsschwindler oder die Doppelmoral seiner Verlobten. Ein rundes Familiendrama mit engagierten Darstellern in einem stilvollen Ambiente, das wie ein Smaragd unter Diamanten funkelt.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

13.01.2013 20:22
#510 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Die kleine Ahrens" (Folge 103)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Hans Caninenberg, Lisa Kreuzer, Dieter Schidor, Peter Chatel, Pascal Breuer, Renate Grosser u.a. - Regie: Günter Gräwert

Sehr zur Verwunderung seiner Haushälterin verbringt Oberstudienrat Blomann seit einer Woche jeden Abend im Nachtlokal "Paradies", wo er französischen Champagner trinkt und mit Amüsierdamen schäkert. Er macht die Bekanntschaft von Bernhard Molz, einem Stammgast des Lokals und verabredet sich für 11 Uhr nachts. Am nächsten Morgen wird Molz in einer stillgelegten Industrieruine erhängt aufgefunden. Zeitgleich meldet sich Blomann bei der ehrenamtlichen Organisation "Hilfe für Indien", für die auch der Ermordete tätig war....

Enthält Spoiler!

Die Episode beginnt mit der völligen Umkehrung der sonst von Hans Caninenberg meist gespielten Rolle des korrekten, gesetzes- und prinzipientreuen Bildungsbürgers. Er wirft sein altes Leben über Bord, gibt sich Genüssen hin, die er bisher verurteilt hat und macht die Bekanntschaft mit Menschen, die nur daran interessiert sind, dass er viel Geld ausgibt und, dass er es bei ihnen ausgibt. Die ungewohnte Ausgelassenheit überfordert nicht nur Blomann, sondern auch den Darsteller Caninenberg, der sichtlich verunsichert agiert und dessen Aktionen im Nachtclub aufgesetzt wirken. Lisa Kreuzer als Stimmungsmacherin ist dabei ebenso fehl am Platz wie der Schaumwein, den sie gläserweise in den Ausguss schüttet. Der Zuseher sieht dem Treiben gelangweilt zu und vermutet eine Ermordung Caninenbergs durch eine aufgebrachte Renate Grosser, die hinter einem Baum auf die Rückkehr ihres Arbeitgebers wartet und auf ihn schießt, bis das Magazin leer ist. Als nach Molz' Tod eine Gruppe Schüler, "Milchpulver für Kalkutta" und eine Drogentote ins Spiel kommen, brennen beim Zuschauer die Sicherungen durch und er möchte die ganze Bande von Derrick verhaften lassen oder wenigstens in einer Holzkiste nach Bombay verfrachten. An den Nerven zehrt auch Pascal Breuers weinerlicher Auftritt als Adlatus des Oberstudienrats und das Femegericht, das über Chatel gehalten wird. Man kann die Geschichte um eine fehlgeleitete Schülerin, deren Tod die ganze Klasse rächen muss, gar nicht mehr hören. Schon gar nicht, wenn der Plot so plump daherkommt. Die Zutaten aus früheren Folgen vermengen sich zu einer Suppe, die man träge löffelt und sich dabei fragt, wonach sie eigentlich schmecken soll. Eine Prise Mitleid, ein Gramm Aggression, ein Tropfen Gerechtigkeitssinn und eine Messerspitze Kühnheit - es ist Hans Caninenberg zu verdanken, dass man hängenbleibt und nicht vorzeitig abschaltet. Die Tatsache, dass die Musik beim Abspann fehlt, soll vermutlich Derricks Sympathie mit den Tätern symbolisieren. Ich muss sagen: Es gab schon Fälle, die mich mehr erschüttert haben. Unterhalten sowieso.

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