Episode 22 der TV-Kriminalserie, BRD 1976. Regie: Leopold Lindtberg. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Ullrich Haupt (Hans Schirmer), Gudrun Thielemann (Margot Schirmer), Andreas Seyferth (Jürgen Schirmer), Claudia Golling (Helga Schirmer), Henning Schlüter (Herr Schunk), Johanna Hofer (Frau Balte), Herbert Weissbach (Herr Balte), Renate Grosser (Frau Schliebach) u.a. Erstsendung: 27. Juni 1976, ZDF.
Zitat von Derrick: Kein schöner SonntagHans Schirmer droht seinen Job als Prokurist zu verlieren. Im Laufe der vergangenen Jahre hat er Unterschlagungen in Höhe von 100.000 D-Mark begangen, die er nicht bis zur nächsten Buchprüfung wiederbeschaffen kann. Sein Plan: ein Einbruch, der den Verlust verschleiert. Jürgen Schirmer, sein Sohn, erklärt sich bereit, die Tat zu begehen – doch als er am Tresor steht, blendet ihn der Strahl einer fremden Taschenlampe ...
Leopold Lindtberg drehte nur zwei „Derricks“ und diese auch noch am Stück. „Johanna“, sein anderer Beitrag zur Serie, schaffte es auf Ausstrahlungsplatz Nummer 2 nach „Waldweg“, während die ZDF-Mitarbeiter „Kein schöner Sonntag“ (obwohl noch vor „Johanna“ als siebte Folge gedreht) aus unerfindlichen Gründen für mehrere Jahre vor der Erstsendung zurückstellten. Dabei handelt es sich hierbei um die wesentlich stärkere der beiden Arbeiten des Regisseurs, der in seiner Schauspielerführung den Fachmann erkennen lässt. Zwar war dem Namen Lindtberg keine häufige Fernsehpräsenz beschieden, doch seine routinierten Fähigkeiten erwarb er vor allem im Theaterfach.
In der dazu passenden Form des klassischen Dramas schießt sich „Kein schöner Sonntag“ rigoros auf die beiden Protagonisten, den Vater und Sohn der Familie Schirmer, ein und bürgt mit dieser Entscheidung, die bisher auch schon immer für eine gute Folgenkonstellation gut war (siehe „Stiftungsfest“, „Mitternachtsbus“ oder „Der Tag nach dem Mord“), für plastische Täterfiguren und einen Verzicht auf Derrick-Büroszenen oder unnötige Kriminalassistenten. Der Unterschied zu den genannten Folgen besteht darin, dass von Anfang an eine Zusammenarbeit von Vater und Sohn besteht. Während der Sohn sich einen zwischenfallslosen Einbruch vorstellt und darin auch sein moralisches Limit findet, sitzt die Hemmschwelle beim Vater aufgrund der 2WK-Erfahrungen wie auch in den anderen Reinecker-Erzählungen dieser Art niedriger. Dennoch ist es gerade der nicht unbedingt der üblichen „Derrick“-Schwere entsprechende nächtliche Einbruch in die Firma Schunk, der für massiven Suspense sorgt und mich wie auf heißen Kohlen sitzen ließ. In beiden Szenen am Tatort ertappte ich mich dabei, mich trotz des drastisch dargestellten Schicksals des alten Wachmanns wie in bisher keinem anderen „Derrick“-Fall getreu dem Motto „Nimm das Geld und verschwinde!“ auf die Seite der Täter zu schlagen.
Stephan und Harry treten erst relativ spät in Erscheinung und dürften objektiverweise nicht einmal das: Bis zur letzten Minute ist kein Todesfall zu beklagen und selbst dann bleibt die Frage offen, ob der Wachmann tatsächlich tot ist oder ob es sich um einen Trick handelt, da man das, was am Telefon gesagt wird, als Zuschauer nicht hören kann. Die Folge fällt nicht nur damit aus dem Rahmen: Auch konnte man die übrigen bisherigen Outings des Münchner Inspektors problemlos in whodunits und howcatchems einteilen – „Kein schöner Sonntag“ fällt jedoch in keine der beiden Kategorien, da Derrick keine nennenswerte Arbeit zu verrichten hat, sondern die Schirmers letzlich selbst für ihre Verhaftung sorgen.
Andreas Seyferth gibt eine glänzende Vorstellung, im Laufe derer er sich vom willfährigen Helfershelfer zum traumatisierten Hauptschuldigen wandelt. Wenn seine Worte auch manchmal etwas gestelzt klingen, so habe ich keine Zweifel, dass dies an Reineckers Dialogen oder dem Theaterblut Lindtbergs lag. Neben ihm wird sogar der immer positiv auffallende Ullrich Haupt in eine Nebenrolle gedrängt. Er schaltet als Hans Schirmer alle Bedenken und Einwände aus und hofft in radikaler Rationalität auf den Tod des Wächters, der seinen Sohn vielleicht belasten kann. Schon einmal zuvor tanzte Haupt im echten Leben auf einem ähnlich zweischneidigen Schwert: Der 1915 in Chicago geborene Sohn des gleichnamigen Stummfilmschauspielers moderierte dereinst die Nazi-Radiopropaganda „Vision of Invasion“ – unter der Androhung, seine Familie käme sonst ins Konzentrationslager und er vors Exekutionskommando.
Man liest viel über „Kein schöner Sonntag“: Nicht spannend, nicht ausgefeilt genug sei diese Folge. Doch findet sie sich in den meisten Ranglisten der zweiten DVD-Kollektion ziemlich weit oben wieder. Charme scheint sie also mehr als genug zu haben. Das finde ich auch und verteile 5 von 5 Punkten für einen außergewöhnlichen „Derrick“-Geheimtipp.
Zitat von Gubanov im Beitrag #196Man liest viel über „Kein schöner Sonntag“: Nicht spannend, nicht ausgefeilt genug sei diese Folge. Doch findet sie sich in den meisten Ranglisten der zweiten DVD-Kollektion ziemlich weit oben wieder.
In meiner nicht. Spannung möchte ich der Folge gar nicht absprechen; die ausgedehnte Einbruchsequenz ist zweifelsohne kompetent inszeniert. Doch anschließend verläuft "Kein schöner Sonntag" zu unspektakulär; bereits bei der ersten Begegnung mit Derrick lockt Herr Schirmer den Oberinspektor durch eine unbedachte Äußerung auf seine Fährte. Anschließend verläuft alles in erwartbaren Bahnen, wenngleich die psychologische Belastung des Sohnes glaubwürdig ausgearbeitet ist.
Und wenn ich dann sehe, dass du hier die Höchstpunktzahl ziehst, gleichzeitig aber die absolute Knaller-Folge "Tote Vögel singen nicht" beinahe in der Luft zerreißt ...
Dennoch warte ich voller Spannung auf deine nächsten Rezensionen; demnächst stehen ja einige kontrovers diskutierte Folgen auf der Agenda.
Zitat von Marmstorfer im Beitrag #197Und wenn ich dann sehe, dass du hier die Höchstpunktzahl ziehst, gleichzeitig aber die absolute Knaller-Folge "Tote Vögel singen nicht" beinahe in der Luft zerreißt ...
Das darf ich doch, oder etwa nicht?
Was die Ranglisten angeht, so zählst du in diesem Fall eher zu dem Negativ-Extrem, ich weiß. Im Derrick-Fanclub-Forum sitzt "Kein schöner Sonntag" andererseits aber auch zweimal auf Platz 2, einmal auf Platz 3, zweimal auf Platz 4 und einmal auf Platz 5, d.h. bei insgesamt 6 von 13 Listen im obersten Drittel.
Zitat von Gubanov im Beitrag #198Das darf ich doch, oder etwa nicht?
Ich wäre der letzte, der dir das verbietet.
Zitat von Gubanov im Beitrag #198Was die Ranglisten angeht, so zählst du in diesem Fall eher zu dem Negativ-Extrem, ich weiß. Im Derrick-Fanclub-Forum sitzt "Kein schöner Sonntag" andererseits aber auch zweimal auf Platz 2, einmal auf Platz 3, zweimal auf Platz 4 und einmal auf Platz 5, d.h. bei insgesamt 6 von 13 Listen im obersten Drittel.
Stimmt, habe ich auch gesehen (eine der dreizehn Ranglisten dort ist ja auch von mir). Die von dir verschmähte Folge "Kalkutta" hat es in drei der dreizehn Listen übrigens auf Platz 1 geschafft. So verschieden sind eben die Ansichten.
Episode 23 der TV-Kriminalserie, BRD 1976. Regie: Zbynek Brynych. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Günther Stoll (Schröder), Horst Frank (Achim Schenke), Karl John (Euler), Helmut Käutner (Duktus), Siegfried Rauch (Winterstein), Wolf Richards (Kallmerten), Agnes Schulte, Sibylle Brunner u.a. Erstsendung: 11. Juli 1976, ZDF.
Zitat von Derrick: Auf eigene FaustAuf dem Odeonsplatz findet Polizeibeamter Winterstein vom Falschgelddezernat ein jähes Ende. Scheinbar war er einer heißen Sache auf der Spur. Derrick trifft in der Wohnung von Mutter Winterstein den pensionierten Kriminaler Euler, der mit Winterstein zusammenarbeitete. Seine Geheimniskrämerei macht die Ermittlungen nicht leichter, doch Derrick sucht sich Hilfe bei einem Spitzel.
Nach dem Ausflug ins Grünwalder Villenviertel und auf die Tennisanlage von Pullach kehren Derrick und seine Assistenten in urbane Fußgängerzonen- und Hinterhofszenarien zurück. Dass dies ein logischer Schachzug ist, verrät nicht nur der gesunde Wunsch nach Abwechslung, sondern ebenso ein Blick auf die Crew-Liste. Bezüglich der Arbeit des Regisseurs und der musikalischen Untermalung lässt sich wieder genau dasselbe sagen wie bereits zu „Tod des Trompeters“, sodass ich mich an technischen Details nicht lange aufhalten werde. Nur fürs Protokoll: einen Haken hinter den Ohrwurm und als Randnotiz die Tatsache, dass sich Brynych bei „Derrick“ offenbar wirklich besser im Griff hatte als beim „Kommissar“.
Inhaltlich gibt es etwas mehr zu beobachten: Die Herstellung von Falschgeld bietet einen attraktiven Hintergrund für Schnellschussverbrechen im wahrsten Sinne des Wortes. Reinecker gibt sich damit die Möglichkeit, über die tieferen Folgen davon zu reflektieren, wenn Menschen aus nichts beliebig viel Geld erschaffen und damit beliebig größere Stücke vom Kuchen des Lebens abschneiden können. Man möchte es kaum vermuten, doch wer hier die Fäden zieht, ist kein herkömmlicher Verbrecher, sondern ein Künstler ... – Dieser Künstler beschäftigt zwar Handlanger im üblichen Westentaschenformat, kommt selbst aber erstaunlich schwächlich und kränkelnd daher. Percy Lister hat Helmut Käutners Fädenhalter Duktus so treffend als „Spinne“ bezeichnet und diese Beschreibung passt nicht nur, weil er im Zentrum des erst nach und nach enttarnten Netzes sitzt, sondern weil er so ein kleines, aber gefährlich wirkendes, dabei in Wahrheit ziemlich gutartiges Wesen ist. Duktus’ äußere Hülle zeigt, dass er mehr Gerissenheit und Allmacht verspricht, als er zu halten imstande ist. Am Ende zieht er, besiegt, das Fazit, dass er versagt hat – ehrlicher hat es kaum ein Schurke formuliert. Käutner trat nach dieser sehr dankbaren Rolle, die der „Derrick“-Tätergalerie ein weiteres faszinierendes Gesicht hinzufügt, nur mehr in zwei anderen Produktionen vor die Kamera.
Was „Auf eigene Faust“ mit „Kein schöner Sonntag“ verbindet, sind gewisse „theatralische“ Einflüsse. In dieser Folge kommen sie in der Szene zum Tragen, in der Harry Klein den eigensinnigen Kommissar Euler durch das nächtliche „Problemviertel“ verfolgt. Das im fahlen Lichtschein schimmernde Straßenpflaster, die schwarzen Wände, das leichte Mädchen, die lachende Silhouette am Fenster und nicht zuletzt Fritz Weppers Gebaren hinterlassen nicht den Eindruck authentischer Realität, sondern gewollter Überspitzung. Auch die komplette Darstellungsweise, die Horst Frank wie in allen seinen Auftritten an den Tag legt, spricht eher für etwas völlig Künstliches, unterschwellig Exotisches.
Einige Momente hätten straffer herüberkommen können, doch die Geschichte bietet viel Stoff zum Unterhalten und zum Nachdenken. Ich merkte nur deutlich, dass ich mich persönlich weit weniger angesprochen fühlte als beim nervenaufreibenden Vorgänger. 4 von 5 Punkten sind trotzdem drin.
Folge 93 - Die Fahrt nach Lindau(Deutschland 1982)
Martin Gericke (Klaus-Jürgen Wussow) wird seit einiger Zeit immer wieder durch Drohanrufe belästigt, ein unbekannter Mann kündigt den baldigen Tod des erfolgreichen Geldjongleurs an. Als Gericke eines Abends mit seinem PKW von München nach Lindau aufbrechen will, erreichen die beunruhigen Anrufe eine neue und erschreckende Qualität. Offenbar ist der rätselhafte Telefondrangsalierer bestens über die Reisepläne seines Opfers unterrichtet, er hat Kenntnis von der geplanten Fahrt, sagt Gerickes Tod für die kommenden Stunden voraus. Gericke lässt sich auch durch die Warnungen seines Mitarbeiters Wörner (Klaus Herm) nicht von seinem Vorhaben abhalten, er nimmt die fernmündlichen Drohungen nicht ernst. Sogar seine Gattin Wilma (Lotte Ledl) kann ihn nicht umstimmen, unter den Augen Wörners braust der Finanzexperte in seinem schicken Daimler davon. Wenig später erhält Wilma Gericke eine niederschmetternde Nachricht, ihr Gatte ist mit dem Auto verunglückt, verbrannte in seinem Wagen. Die Polizei findet Hinweise auf eine Straftat, der Mercedes weist mehrere Einschusslöcher auf, Derrick und Klein nehmen die Ermittlungen auf. Wilma Gericke erleidet einen Zusammenbruch, ihre Kinder Malte (Ekkehardt Belle) und Mona (Anne Bennent) leiden ebenfalls sehr unter dem Verlust des geliebten Vaters. Jedoch wartet eine unfassbare Überraschung auf die Familie, die besonders den aufgeweckten und sensiblen Malte zu unangenehmen Gedankengängen veranlasst...
Klaus-Jürgen Wussow spielt seine Rolle routiniert, seine Filmfamilie übertrumpft ihn aber locker (was in erster Linie der Anlage der Rollen geschuldet ist). Ekkehardt Belle scheint wie geschaffen für den Part den "aufgewühlten jungen Mannes", den er z. B. in "Ein tödlicher Preis" (70) mit Bravour meistert. Ich bin nicht unbedingt ein grosser Fan Belles, doch auch diesmal gibt es nichts an seiner Darbietung zu bemängeln. Vielleicht mutet er schon fast ein wenig zu alt an, um den "noch im Elternhaus lebenden Sohn" zu verkörpern, aber dies kann man ihm freilich nicht anlasten. Anne Bennent nimmt man die Tochter schon eher ab, die schauspielerischen Glanzpunkte muss sie jedoch Ekkehardt Belle überlassen. Lotte Ledl gibt die erschütterte Dame, ein interessanter Kontrast zu ihrem Auftritt als "Hure mit Herz" (Folge 80 - Am Abgrund). Blieb Sissy Höfferer in "Das sechste Streichholz" (85) recht unscheinbar, überzeugt sie nun als verschlagen wirkende Sekretärin des Opfers. Man macht sich weniger Gedanken darüber ob sie an den Vorfällen beteiligt war, sondern stellt sich eher die Frage nach ihrem Gewicht innerhalb des Netzes. Auch Klaus Herm tauchte bereits mehrfach in der Reihe auf, sein unscheinbares Äußeres passt perfekt zum Klischees des biederen Buchhalters, des unterwürfigen Zuarbeiters. Heinz Ehrenfreund spielt einen windigen Burschen, dem Derrick mit Nachdruck auf den fauligen Zahn fühlt. Das Ensemble agiert auf gewohnt gutem Niveau, Ekkehardt Belle rückt zunehmend in den Mittelpunkt.
Die "Verschwörung" ist zwar schnell erkennbar, aber ihre Details treten erst Schritt für Schritt aus der Dunkelheit hervor, die Kälte der Ausführung verpasst dem Betrachter ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Erwartungsgemäß verabreicht Derrick seinem "Hauptschuldigen" zum Ende eine philosophische Ohrfeige, saust die Moralkeule mit Wucht auf den Bösewicht hernieder (der erhobene Zeigefinger vor des Publikums Nase ist nicht zu übersehen/überhören, dank der maßvollen Dosierung gleichwohl unproblematisch). Für meinen Geschmack hätte das Drehbuch den Fokus noch stärker auf die Familie Gericke legen dürfen, die knappe Spieldauer einer TV-Episode hätte dann vermutlich zu wenig Raum für die übrigen Figuren gelassen. Wäre das Leben ein Wunschkonzert -oder ich der Autor dieser Folge- hätte das Geschehen eine deutlich fiesere Wendung genommen, aber den Spruch bezüglich Leben & Wunschkonzert kennen wir ja (leider?) allesamt. Alfred Vohrer belässt es bei einer sachlichen und handwerklich ansprechenden Inszenierung, ich vermisse die alte Wüstheit des von mir sehr geschätzten Regisseurs. Frank Duval hat seine Musik teils eine Spur kantiger als üblich gestaltet, was ausdrücklich und vorbehaltlos meine Zustimmung findet. Insgesamt ein unterhaltsamer Beitrag zum "Derrick-Universum", dem etwas mehr Kernigkeit und Bitterkeit gut zu Gesicht gestanden hätten.
Episode 24 der TV-Kriminalserie, BRD 1976. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Günther Stoll (Schröder), Hilde Krahl (Frau Bösenhaupt), Carl Heinz Schroth (Herr Koller), Jürgen Goslar (Herr Schündler), Walter Gross (Herr Pöllmann), Hans-Michael Rehberg (Herr Sander), Bruno Hübner (Herr Grothke), Michaela May (Katharina Koller) u.a. Erstsendung: 25. Juli 1976, ZDF.
Zitat von Derrick: Ein unbegreiflicher TypIhr Vater ist ein unbegreiflicher Typ, findet Katharina Koller. Der Mann, der sich vor 20 Jahren von ihrer Mutter scheiden ließ, steht plötzlich wieder vor der Tür. Ein paar Tage später ist er wie vom Erdboden verschwunden und in seinem Hotelzimmer findet man einen toten Obdachlosen. Derrick deckt ein Geschäft auf, bei dem es um eine halbe Million Mark geht ...
Derrick goes Agentenkrimi. Vor allem zu Beginn der Handlung, die zwar mit einem bekannten Mörder, aber unbekannten Motiven aufwartet, gelingt Theodor Grädler eine temporeiche Inszenierung, die sich später in eine beobachtende Zurückhaltung wandelt und trotz actionbeladenen Schießereien für Geheimdienstverhältnisse recht hausbacken daherkommt.
Raum zur Entfaltung wird deshalb vor allem den Schauspielern gegeben. Meine Vorliebe für die übersehenen Figuren ist erfahrungsgemäß groß; deshalb tat es mir vor allem Frau Bösenhaupt an. Während man in ihr zu Beginn noch ein harmloses, schuftendes Mütterchen vermutet, stellt sich im Nachhinein heraus, dass sie gerissener als alle Geheimdienstler Derrick und das Publikum zu beschummeln in der Lage ist. Erst spät stellt Derrick fest: „Eine Wahrheitsfanatikerin ist sie nicht.“ Es hört sich wie eine bittere Einsicht an. Einen Part in diesem Mosaik spielt auch Heinz Sass – Jan Niklas hätte gern auch schon etwas eher auftreten können, um den Kreis der verdächtigen Personen zu erweitern und inhaltliche Zusammenhänge weniger offensichtlich zu gestalten.
Natürlich liefert der Radio-Paul-Cox Carl Heinz Schroth als Geheimagent eine gelungene Leistung ab, allerdings muss er mit dem eigenen Alter sowie der Beschränkung der Rolle, dass er nur am Anfang, am Ende und kurzzeitig in Rückblenden zu sehen ist, fertig werden. Man erhält somit fast ausschließlich die Möglichkeit, den „unbegreiflichen Typen“ über das Gesagte anderer sowie Fremdinterpretationen seiner Handlungen zu entmystifizieren. Darum überraschen nach allem auch noch seine letzten Worte.
Bleibt der immer gern gesehene Jürgen Goslar, der in funkigen Siebzigerjahreanzügen, mit Theo-Waigel-Augenbrauen und einem ebenso haarigen Pudel herumläuft. Das gute Tier trägt nach besten Kräften zu der besonders klischeehaften herzlich-ruchlosen Eigentümlichkeit großer Gangsterbosse bei, die Reinecker dem Krimistammmimen angedeihen und ihn damit geradewegs ins Parodistische abgleiten ließ. Überhaupt muss man sein Drehbuch zwiespältig sehen. Auf der einen Seite steht eine interessante Mordidee: die lebendige Lebensversicherung für den Geheimdienstler, der, um sich ein Auskommen im Alter zu sichern, pragmatisch über Leichen geht; andererseits bleiben auch einige Fragen ungeklärt oder schwammig. Was hatte es beispielsweise mit der Hundemarke auf sich, die Schündler im Park offenbar seinem Komplizen zugespielt hat? Und was steckte nun eigentlich genau hinter den Dokumenten, dem Gegenwert für die 500.000 Mark? Sind die Infos so brisant, dass das ZDF nicht verantworten konnte, sie seinem Publikum zu offenbaren? Handelte es sich etwa um die Spesenrechnung des Teams nach einem Drehtag im altbekannten Café Mozart?
Die Folge ist keine Ausgeburt von Genialität, sondern zählt durch ihre nicht immer ganz glücklich zu Ende gedachten Kleinigkeiten eher zum gediegenen Durchschnitt. Das Schicksal des Obdachlosen Pöllmann steht als gut ausgearbeiteter Punkt der eher naiven und oberflächlichen Schilderung der Nachrichtendienstverwicklungen entgegen. Beides gleicht sich auf 3 von 5 Punkten aus.
BEWERTET: "Angst" (Folge 18) mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Hans Dieter Zeidler, Heidelinde Weis, Uschi Glas, Bernd Herzsprung, Beatrice Norden, Hans Kaetner, Jean Pierre Zola u.a. - Regie: Theodor Grädler
Theodor Grädler inszenierte nicht nur "Angst", sondern auch die "Kommissar"-Folge "Ein Mädchen nachts auf der Straße" (1973). Uschi Glas spielt darin eine ähnlich gelagerte Rolle, mit dem Unterschied, dass sie mit Curd Jürgens einen verständnisvollen, herzensgebildeten Philanthropen als Freund hat. Ihre Inge Birkmann ist dankbarer als Irene Kronach und obwohl auch sie sich einem anderen, jüngeren Mann zuwendet, gibt es keine hässliche Szene wie zu Beginn von "Angst". Bernd Herzsprung als Liebhaber mit Rose und elegantem Halstuch teilt das gleiche Schicksal wie Amadeus August: Gegen die starke Persönlichkeit der Vätergeneration kommt er nicht auf und bleibt deshalb wichtiger Zeuge und hübscher Blickfang am Rande. Im Zentrum des Geschehens steht der Psychokrieg, den Dr. Hertel und seine Frau Franziska ausfechten. Das kinderlose Paar hat den himmlischen -oder hier besser: teuflischen- Bund der Ehe vor zehn Jahren geschlossen und vergiftet die klinisch saubere Atmosphäre des Wohnsitzes seitdem mit Sticheleien, unterschwelligen Drohungen, Betrug, Lüge und Heimlichkeiten. Hans Dieter Zeidler ist für die Rolle des feisten, knallhart kalkulierenden Westentaschen-Potentaten geeignet wie kaum ein anderer Darsteller. In fügsamer Anhänglichkeit ihm zur Seite stellte man die filigrane, durch Pinkas Braun bereits 1971 ("Die Frau in Weiß") eingeschüchterte Heidelinde Weis, die in Habitus und Gewandung wie eine japanische Geisha darherkommt, Speisen und Getränke aufträgt und zustimmend nickt. Ihren Coiffeur sollte man allerdings Dr. Hertel überantworten, wie der scharfsinnige Blap in seiner Kritik bereits festgestellt hat. Stephan Derrick und Harry Klein halten sich diesmal wohltuend vom muffigen Büro und dem nicht weniger abgestandenen Kollegen Schröder fern, was der Episode einen frischen Touch verleiht und in der Szene kulminiert, in der Franziska Hertel verzweifelt die Privatnummer des Oberinspektors wählt. In Zeiten des Mobiltelefons undenkbar. Hätte der Oberinspektor damals bereits ein Handy gehabt, wäre der Fall anders ausgegangen und Franziska Hertel würde noch leben. So bleibt ihm nichts weiter zu tun, als sich sein Versagen einzugestehen. Hätte er den listigen Dr. Hertel in seinem klebrigen Spinnennest festgenagelt, hätte er das zappelnde Opfer daraus befreien können. Wenigstens darf er den Mörder an die Wand drücken und hätte Harry ihn nicht zur Ordnung gerufen, wäre es wohl nicht bei dem verbalen Ausbruch ("Sie Schwein!") geblieben. Schade eigentlich. Wir mögen Derricks menschliche Reaktionen auf unmenschliches Treiben und bewundern gerade den frühen Oberinspektor für seinen Esprit, während der spätere Derrick in Resignation und Würde erstarrt zu sein scheint. Eine herausragende Arbeit des präzisen Theodor Grädler; eine erstklassige Darsteller-Folge, die unverbraucht und topaktuell daherkommt, ohne Zeitgeist und Gesinnung wiederzugeben und deshalb die feinen Zwischentöne herausstreicht, die das menschliche Zusammenleben erst (un)möglich machen.
Zitat von Gubanov im Beitrag #202Bleibt der immer gern gesehene Jürgen Goslar, der in funkigen Siebzigerjahreanzügen, mit Theo-Waigel-Augenbrauen und einem ebenso haarigen Pudel herumläuft. Das gute Tier trägt nach besten Kräften zu der besonders klischeehaften herzlich-ruchlosen Eigentümlichkeit großer Gangsterbosse bei, die Reinecker dem Krimistammmimen angedeihen und ihn damit geradewegs ins Parodistische abgleiten ließ. Überhaupt muss man sein Drehbuch zwiespältig sehen. Auf der einen Seite steht eine interessante Mordidee: die lebendige Lebensversicherung für den Geheimdienstler, der, um sich ein Auskommen im Alter zu sichern, pragmatisch über Leichen geht; andererseits bleiben auch einige Fragen ungeklärt oder schwammig. Was hatte es beispielsweise mit der Hundemarke auf sich, die Schündler im Park offenbar seinem Komplizen zugespielt hat? Und was steckte nun eigentlich genau hinter den Dokumenten, dem Gegenwert für die 500.000 Mark? Sind die Infos so brisant, dass das ZDF nicht verantworten konnte, sie seinem Publikum zu offenbaren? Handelte es sich etwa um die Spesenrechnung des Teams nach einem Drehtag im altbekannten Café Mozart?
Hervorragende Ermittlungsarbeit, @Gubanov! Hehe, ich bin ja fast geneigt, letzterer These als wahrscheinlichster beizupflichten, vielleicht waren aber auch die viel zu überteuerten Rechnungen für des Pudels Coiffeur desselbigen Kern.
Sorry, bei Pudeln kann ich einfach nicht widerstehen ("... god intentionally wanted to build a schnauzer, but he fucked up").
BEWERTET: "Tod des Trompeters" (Folge 17) mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Sabine von Maydell, Alexander Stephan, Bernd Herzsprung, Herbert Tiede, Sky du Mont, Wolfgang Büttner, Alexander Malachowsky - Regie: Zbynek Brynych
Stephan und Harry haben gerade ihren Dienst beendet und wollen zusammen essen gehen, als ein Telefonanruf von einem anderen Revier eingeht. Ein junger Mann will unbedingt mit einem vertrauenswürdigen Polizeibeamten sprechen und wer käme da besser in Frage als Oberinspektor Derrick? Treffpunkt ist das Armeemuseum. Als die beiden Kriminalbeamten dort eintreffen, knallen Schüsse und der junge Mann, der Derrick Hinweise auf eine geplante Entführung geben wollte, ist tot. Harry wurde bei dem Schusswechsel am Bein verletzt und muss sich stationär behandeln lassen. Die Handschrift des Mannes aus Karlsbad ist unverkennbar. Bereits die ersten Minuten weisen deutlich auf Brynych hin, ist Tappert doch wieder einmal zu sarkastischen Scherzen und Dauergrinsen aufgelegt. Er schäkert mit den beiden jungen Mimen Herzsprung und von Maydell, schnauzt die Funkstreifenbeamten an und drückt die drei "terroni" am Ende an die Wand. Dass gerade die Drahtzieher der Entführung aussehen, als seien sie einem Nick-Knatterton-Comic entsprungen, trübt die Freude an der Auflösung. Doch müssen wir uns wohl mit dem kleinen Dickerchen begnügen, da dem eleganten Sky du Mont schon in der Mitte der Folge der Garaus gemacht wurde. Wie sagte bereits Mario Adorf über sein Image als Super-Mafioso des deutschen Fernsehens: Die echten Gangster sind nicht halb so fotogen. Wie wahr, wie wahr.... Brynych richtet sein Augenmerk deshalb lieber auf die Jugend, die -man hört förmlich Herbert Reineckers mahnende Worte- immer nur auf das schnelle Geld aus ist und deshalb zu jeder Schandtat bereit ist. Wenn dann einer von ihnen hops geht, gibt man sich zunächst trotzig, dann frech und schließlich bekommt man sich gegenseitig in die Haare, um dann am Ende dankbar zu sein, mit dem Oberinspektor einen erfahrenen Beichtvater zur Seite zu haben. Die Musiknummer "Ohne dich ist es Nacht" schmeichelt sich in das Ohr des Zuhörers, der diesmal live beschallt wird, was beweist, dass Brynych Musik nicht nur um ihrer selbst willen spielt, sondern durchaus auch dramaturgisch einsetzt. Die Beerdigung des Trompeters am Ende ist ungewöhnlich für eine frühe "Derrick"-Folge und überrascht durch das Betonen des katholischen Ritus, der sich im Glockengeläut und den Worten des Pfarrers ausdrückt. Eine Folge, die bissig beginnt, gegen Ende jedoch ein wenig aus dem Ruder läuft, EBEN WEIL Brynych sich im Finale um einen konventionellen Abschluss bemüht. So friert das Schlussbild Derricks steinerne Miene ein; das Lachen ist ihm vergangen und hinter ihm beginnen die Totengräber ihr Tagewerk.
Episode 25 der TV-Kriminalserie, BRD 1976. Regie: Alfred Weidenmann. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Judy Winter (Agnes Solms), Ernst Schröder (Werner Solms), Matthieu Carriere (Walter Solms), Wolfgang Reichmann (Ernst Kettwig), Herlinde Latzko (Hetty Kettwig), Walter Schmidinger (Herr Steiner), Erna Sellmer (Frau Wagner), Kristina Nel (Gisela Trubal) u.a. Erstsendung: 8. August 1976, ZDF.
Zitat von Derrick: Das BordfestAls der Dampfer nach seiner Fahrt über den Starnberger See wieder am Ufer anlegt, befindet sich eine Person weniger an Bord als zu Beginn. Der Unternehmer Kettwig wird vermisst und bald darauf tot im Wasser gefunden – mit einer Stichwunde im Rücken. Nachdem Derrick sich zunächst auf familiäre Motive konzentriert, wirft ein weiterer Mordanschlag auf Kettwigs Kompagnon Solms seine Theorie über den Haufen ...
Die Besprechung enthält leichte Spoiler.
„Das Bordfest“ darf als die klassischste Whodunit-Folge des bisherigen Ausstrahlungsverlaufs gelten. In aller Ruhe etabliert Weidenmann zunächst ein Verschwinden und die darauf folgende Ungewissheit der nahestehenden Familien, die schließlich zur Gewissheit wird. Zuvor spielen Vater und Sohn Solms verschiedene Szenarien durch, bei denen sich Matthieu Carriere als abgeklärter Realist, Ernst Schröder dagegen als schwerfälliger Träumer entpuppt. Es wird interessant sein, festzustellen, dass beide im weiteren Handlungsverlauf ihre Gerissenheit tauschen, vor allem, was die Abneigungen angeht, die Reinecker gegen den Part von Schröder aufzubauen versucht. Es gelingt ihm in meinen Augen weniger als bei einer anderen Person: Judy Winter nämlich spielt eine ganz ähnliche Frau wie bereits 15 Folgen zuvor und ich kann meine Schlussfolgerung aus „Hoffmanns Höllenfahrt“, dass Mann, wenn er mit Judy Winter verheiratet ist, keine Feinde mehr braucht, nur noch einmal unterstreichen. Die Frau versteht es wie kaum eine andere, unterkühlten und wenn auch vielleicht auf der Seite des Rechts stehenden, so doch richtiggehend bösartigen Weibsstücken ein Gesicht zu verleihen. Für ihre Vielseitigkeit spricht auf der anderen Seite jedoch, wie sie ihre von diesem Schema merklich abweichende Gattinnenrolle in dem ein Jahr später gedrehten Finke-„Tatort“ „Reifezeugnis“ umsetzte.
In Frankreich lief „Das Bordfest“ unter dem Titel „Bienvenue à bord“, in Italien als „Festa a bordo“. „Derrick“ geriet in unzähligen Ländern inner- und außerhalb Europas zu einem großen Publikumserfolg. „Das große Derrick-Buch“ führt aus:
Zitat von Katrin Hampel: Das große Derrick-Buch, Henschel Verlag Berlin, 1995, S. 173Die Niederländer kauften als erste ausländische Nation eine „Derrick“-Episode und strahlten sie im März 1975 aus. Noch im gleichen Jahr entschieden sich die Ungarn und Polen für die deutsche Krimiserie. 1979 sind bereits Zuschauer in über 40 Ländern, darunter Norwegen, Schweden, Frankreich, Spanien, Finnland, Japan und Hongkong „Derrick“-Fans. 1980 will auch Südafrika „Derrick“ sehen. 1982 bekunden Italien und einige lateinamerikanische Staaten ihr Interesse an dem Oberinspektor und seinem Assistenten. 1987 haben Stephan und Harry endlich auch in London Fuß gefasst, dann in Südkorea, Australien, Indien, Russland, Albanien, Vereinigte Emirate, China usw.
„Das Bordfest“ profitiert enorm von den Außenaufnahmen auf dem Ausflugsschiff, am Ufer des Starnberger Sees, im Zoo oder im Garten der Villa Solms. Leider boten Reinecker und Weidenmann aber auch den Stereotypen und Nachteilen des Whodunit-Musters besten Nährboden. Die Auflösung, dass das Mordopfer lediglich verwechselt wurde und Solms von Anfang an Ziel des Täters war, enttäuscht deshalb, weil es dazu über den größten Teil der Spielzeit keine Anhaltspunkte gab und richtigerweise die Frage aufgeworfen werden darf, ob man einfach ’mal jemandem ein Messer in den Rücken sticht, bevor man sich von dessen Identität überzeugt hat. Da der Täter sowohl Kettwig als auch Solms persönlich kannte, ist es unglaubhaft, anzunehmen, dass eine Verwechslung überhaupt zustande kommen könnte. Und schließlich ist die Wendung derart hastig inszeniert, dass sie einen unfertigen und unausgewogenen Eindruck hinterlässt. Ohne die letzten Infos von Judy Winter wäre Derrick überhaupt niemals auf die Lösung, die ähnlich dem viel dafür gescholtenen „Gespenster im Schloss“ den uninteressantesten aller Charaktere als Täter aus dem Hut zaubert, gekommen.
„Das Bordfest“ ist per se recht gut gelungen, doch die Gewichtung der inhaltlichen Punkte hätte stimmiger ausfallen müssen. Hätte man die Schwangerschaft, die Verwechslung und die Figur des Täters besser ausgearbeitet bzw. eher in die Handlung integriert, wäre kaum etwas auszusetzen. So aber nur 3,5 von 5 Punkten.
Episode 26 der TV-Kriminalserie, BRD 1976. Regie: Wolfgang Becker. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Günther Stoll (Schröder), Horst Buchholz (Gerke), Gottfried John (Eduard Krummbach), Ullrich Haupt (Direktor Veicht), Gerhard Garbers (Victor Veicht), Christine Schuberth (Simke Mains), Claus Fuchs (Bittrop), Horst Sachtleben (Eberhard Witte) u.a. Erstsendung: 5. September 1976, ZDF.
Zitat von Derrick: Das SuperdingWitte wird vor der Tür einer Münchner Bank erschossen. Dabei wollte er gerade den Direktor vor einem Bankraub warnen. Direktor Veicht stellt sich nun alles mögliche von eine Geiselnahme bis zur Bedrohung seiner Familie vor, doch die Hintermänner agieren viel geschickter: Eines Morgens sind die dreieinhalb Millionen einfach ohne jedes Aufsehen verschwunden!
Ich liebe alle Krimis, in denen akribisch die Planung und Durchführung eines komplizierten Bankraubs – betone -raubs, nicht -überfalls! – gezeigt wird. Insofern konnte „Derrick“ #26 für mich nur zum vollen Erfolg werden, und diese Prognose ist selbstverständlich auch eingetreten. Altmeister Wolfgang Becker begrüßt den Zuschauer mit einigen mysteriösen und temporeichen Szenen um den Quertreiber und ewigen Ringelmann-Mimen Horst Sachtleben, der auch schon im „Kommissar“, z.B. in „Keiner hörte den Schuss“, zu sehen war. Es schließt sich eine saubere Ermittlungsphase an, in deren Verlauf sich Derrick nicht nur kurz als Discjockey probiert, sondern sich zudem auch eines der bislang besten Duelle mit einem Hauptverantwortlichen liefert: Besonders gut gelungen sind Machern und Darstellern nämlich Auftreten und Motiv des Bankraub-Planers.
Horst Buchholz spielt den seines Amts und seiner Würden enthobenen ehemaligen Mathematik-Oberstudienrat plastisch, nachdrücklich und völlig überdreht zugleich. Dabei ist zu beobachten, dass er nicht von Anfang an plakativ einen auf verrückt macht, sondern dass der Schaden, den er offenbar in der Tat von dem Unfall davontrug, erst nach und nach sein Auftreten bestimmt, ja sogar erst nach Vollendung des Supercoups völlig durchbricht. Der zweite Hauptdarsteller der Folge hat relativ kurze Spielzeit und steht sehr weit hinten in der Cast-Liste. Oben aufgeführt ist er nicht einmal, dabei hätte Fritz Hakl diese Ehre absolut verdient. Der kleinwüchsige Schauspieler, der normalgroßen Eltern 1932 in Oberfeistritz als sechstes Kind geboren wurde, spielte fast drei Jahrzehnte lang am Wiener Burgtheater. Für diesen „Derrick“ nahm er sich eine Auszeit und legte gleich einen zweiten absolut faszinierenden Charakter für „Das Superding“ aufs Parkett des Tresorraums. Percy Lister hat ihn als „absonderlich-unheimliche“ Erscheinung beschrieben, was auch genau meinen Eindruck trifft. Ich möchte in dieser Hinsicht unbedingt anmerken, dass er sich entgegen anderen „gehandicapten“ Schauspielern glücklicherweise noch immer des Lebens erfreut. Michael Spreitzhofer schrieb über ihn:
Zitat von Michael Spreitzhofer: Die Großen sind genauso verklemmt und schüchtern, 1998, Tyskforlaget.dkNun [...] befindet er sich wieder dort, wo alles begonnen hat: in seinem steirischen Geburtsort. Als Pensionist genießt er ein zurückgezogenes, ruhiges Leben am Land, fernab der grellen Scheinwerfer der Großstadt.
Die „grellen Scheinwerfer der Großstadt“ bekommt man auch in dieser Episode zu spüren. Sie kontrastieren die Ernsthaftigkeit des Bankmilieus in der Brienner Straße (heute befindet sich dort der Hauptsitz der BayernLB) mit der in Grenzen der Sonntagabendunterhaltung vertretbaren Undurchsichtigkeit und richten sich im üblichen Zeitgeschmack auf freizüge Tänzerinnen, was nicht weiter erwähnenswert wäre, wenn die zugehörigen Rhythmen nicht so sehr in die Beine gingen. Ipi ’Ntombi und Margaret Singana zeichnen für das Lied „The Warrior“ verantwortlich, bei dem es sich um ein von Peter Thomas vorzüglich ausgewähltes Beispiel für südafrikanische Musik handelt. Die Trommeln und Rufgesänge stehen vor allem in Verbindung mit den Bauarbeiten im Keller der Disco für unermütliches Vorstoßen und Vorankommen.
Ich bin nicht der erste, der das Wortspiel benutzt, doch davon lasse ich mich nicht abhalten: „Das Superding“ ist halt einfach ein Superding! Und um nicht in Allgemeinplätze zu verfallen, schiebe ich den 5 von 5 Punkten noch ein Blap-Style-Lieblingszitat hinterher: „Wissen Sie, was das Geheimnis erfolgreicher Polizeiarbeit ist?“ fragt Derrick und der Mathematiker antwortet: „Der Zufall.“ Welch wunderbar formulierte Geringschätzung!
Wir sind bei der Bewertung der Episoden häufig unterschiedlicher Meinung -was ich sehr spannend finde- aber hier bin ich ganz bei dir, diese Folge ist ein Knüller!
Kaum hat sich Stephan für ein paar Tage in den Urlaub verabschiedet, wartet ein in besonderem Maße aufwühlender Fall auf Harry. Nachts wird der wohlhabende Heinrich Gruga (Karl Lieffen) durch verdächtige Geräusche geweckt, offenbar haben sich Einbrecher Zutritt zu seiner Villa verschafft. Flugs weckt Gruga seinen "Hausmeister" auf, Herr Bennecke stürzt sich auf einen Gauner, wird aber von diesem im Kampfgetümmel erschlagen. Grugas Aussage erweist sich als nicht besonders hilfreich für Harry, dem Ermittler kommt der Geschäftsmann jedoch sofort merkwürdig vor. Bei einem weiteren Arbeitsbesuch in Grugas Haus, trifft der Kriminalbeamte auf die äusserst hübsche Herta Klinger (Irina Wanka), Klinger stellt das Mädchen als seine neue Haushälterin vor. Herta wirkt sehr schüchtern, regelrecht verstört und ängstlich, sofort meldet sich Harrys Beschützerinstinkt. Weitere Nachforschungen führen ihn zur Familie des Mädchens, er tritt auf Hertas spröde Mutter (Ida Krottendorf), ihren hilflosen Vater (Karl Renar) und die anderen Kinder der Eheleute Klinger. Richard Klinger (Sven-Eric Bechtolf), der älteste Sohn, arbeitet als Kellner in einem Betrieb Grugas, welches merkwürdige Band besteht zwischen Gruga und den Klingers...???
Fritz Wepper darf sich diesmal als Chefermittler betrachten, mit Herz und Verstand verbeisst er sich in diesem tragischen Fall. Auf Horst Tappert müssen wir dennoch nicht vollständig verzichten, er telefoniert mehrfach mit Harry, kann auch im Urlaub nicht wirklich abschalten. Willy Schäfer kommt trotz Tapperts "Fast-Abwesenheit" nicht ausführlicher als sonst zum Zuge, er bleibt die übliche Randnotiz. DER Gaststar dieser Folge ist fraglos Karl Lieffen, der eine absolut grandiose Vorstellung hinlegt. Der von ihm dargebotene Heinrich Gruga ist ein unglaublich widerwärtiger, abstossender und ekelhafter Charakter, man möchte dem Mistkerl mit Wonne den Hals umdrehen. Lieffen erweckt einen schleimig-verschlagenen Drecksack zum Leben, der sich bei Bedarf in cholerischen Ausbrüchen ergeht, fantastische Arbeit! Klar, der Zuschauer wird massiv gegängelt, denn Lieffens Opfer ist ein hübsches und blutjunges Mädchen, die verzweifelte, still leidende Herta schliesst man sofort ins Herz, nicht nur in Harry regt sich verständlicherweise der eifrige Beschützer. Sven-Eric Bechtolf gleitet zunehmend in die Rolle des "zornigen jungen Mannes", Karl Renar leidet still, ähnlich wie seine Tochter, Ida Krottendorf begegnet der Situtation mit kantiger Kratzbürstigkeit. Tolle Leistungen des Ensembles, Wepper schwingt das Zepter, Lieffen gibt das Hassobjekt, Irina Wanka möchte man(n) ohne Zögerlichkeit retten.
Der Mordfall wird in den Hintergrund gedrängt, die Hochspannung zwischen "Ermittler", "Fiesling" und "Opfer(n)" steht im Mittelpunkt. Auf eindeutig schlüpfrige Szenen wurde verzichtet, es reicht vollkommen aus, wenn der vor Gier geifernde Bonze an der Tür der holden Maid scharrt, die sich ängstlich in ihrem Zimmer eingeschlossen hat, dank Lieffens fantastischem Spiel ergiesst sich Sleaze in Reinkultur über diese Szene. Der verschlagene Bonze beutet die wehrlosen Proletarier aus, es ist mir nicht bekannt, ob Autor und/oder Regisseur eine entsprechende "Message" unters Volk bringen wollten. Ida Krottendorf hat ihren stärksten Moment als stummes Mahnmal, dessen Präsenz in eine durchschlagende und feige Verzweiflungstat mündet. Ohne Moralkeule geht es nicht, das Finale ist mir eine Spur zu gradlinig und einfallslos gestaltet, mehr Bitterkeit und Tragik würde die gelungene Folge zusätzlich aufwerten. Zbynek Brynych lässt seinen Darstellern Raum zur Entfaltung, egal ob schleimig-explosiv oder still-melancholisch, alle relevaten Mitwirkenden hinterlassen einen bleibenden Eindruck. "Ein Fall für Harry" mag zwar kein besonders clever konstruierter Kriminalfall sein, krallt sich aber mühelos am Zuschauer fest. Diese Episode transportiert jede Menge Emotionen, in und vor der Glotze die volle Breitseite, eine Suhle der Gefühle. Frank Duval liefert seinen üblichen Stoff ab, solide Arbeit, die der starken Folge nicht immer gerecht wird.
Episode 27 der TV-Kriminalserie, BRD 1976. Regie: Franz Peter Wirth. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Günther Stoll (Schröder), Wolfgang Müller (Alex Schech), Günther Ungeheuer (Dr. Schech), Werner Bruhns (Herr Habinger), Maria Sebaldt (Frau Habinger), Michaela May (Vera Habinger), Christian Reiner (Horst Habinger), Kristina Nel (Brigitte Tetzlaff) u.a. Erstsendung: 19. September 1976, ZDF.
Zitat von Derrick: RisikoEine Bande hält systematisch Lastwagenfahrer auf Landstraßen an, um diese dann zu betäuben und sich mit dem Fahrzeug mitsamt geladener Waren aus dem Staub zu machen. Dann bekommt es Derrick unerwarteterweise mit dem Fall zu tun: Zum ersten Mal haben die Täter einen Mord begangen. Dies scheint sich nun einzubürgern: Der zweite folgt noch am selben Tag ...
Die Besprechung enthält leichte Spoiler.
Dass Vernachlässigung im Elternhaus in unstabilen jugendlichen Gehirnen kriminelle Energie und den Wunsch nach Rowdytum keimen lässt, ist eines von Herbert Reineckers Lieblingsthemen. Sonst legte er es gern dem „Kommissar“ nahe, gegen diesen Missstand erhobenen Zeigefingers anzuphilosophieren, doch in dieser Folge waren auch Stephan und Harry einmal dran. Und dann bin ich auch noch in der Zwangslage, zugeben zu müssen, dass die Umsetzung dieser hochmoralischen (oder besser: hochunmoralischen) Entwicklung doch ziemlich gelungen daherkommt. Bonuspunkte erhält „Risiko“ schon gleich zu Beginn durch den spannenden Vergleich zweier Überfälle der Chloroform-Bande. Zunächst wird ein gelungener Coup gezeigt, was den fatal schieflaufenden zweiten Anlauf umso dramatischer ausfallen lässt, zumal man sich die ganze Zeit fragt, wer sich unter der Sonnenbrille und der blonden Perücke versteckt. Dass es die bezaubernde Kristina Nel sein könnte, die hier nach „Das Bordfest“ ihren zweiten für die Lösung zentralen, aber wesentlich interessanteren „Derrick“-Auftritt verbucht, ist selbst für mich, der ich sie bereits gut aus den „Lümmel“- und „Lausbuben“-Filmen mit Hansi Kraus kenne, eine enorme Überraschung.
Als zweites schockieren die erwarteten, aber trotzdem so ungeheuer plötzlich fallenden Schüsse auf Horst Habinger, der durch seine so jungenhafte Art den Konventionen nach eigentlich unverletzlich scheint.
Auch der gesamte Akt der Überführung, der Derrick merklich an den Nerven zehrt, dafür aber durch eine interessante Rückblende, bei der vor allem das wiederholte Einblenden eines Stoppschilds auffällt, aufgelockert wird, hebt die Folge auf ein gelungenes Niveau. Im Gegensatz zu Mr Keeney möchte ich die Bedeutung dieses Zeichens nicht als plakativ oder hölzern bezeichnen, sondern dankbar als stummen Ersatz für die Litaneien, die uns andernfalls vonseiten eines Protagonisten aufgezwungen worden wären, annehmen. Auch glaube ich nicht, dass Reinecker mit der Einblendung die einfache Message „Stoppt die Rowdys“ an den Mann bringen wollte, sondern dass er es vielmehr auf ein Anprangern der Verhältnisse abgesehen hat, die die beiden jungen Männer so ruchlos haben werden lassen, dass sie daran letztenendes zugrunde gehen. Nicht unwichtig ist dabei das Elternhaus, das sich beidseitig durch fehlendes Interesse auszeichnet und sich deshalb trotz Besetzung mit Bruhns und Ungeheuer auch nicht wirklich im Gedächtnis des Zuschauers festsetzen kann.
Stattdessen erinnert man sich nach der Sichtung zum Einen an ein sehr lebhaft und durchaus nicht einseitig gezeichnetes Verhältnis zwischen den Jungen (Reinecker, der sich zumeist scheute, offenkundige Hinweise auf Homosexualität einzubauen, überlässt hier das meiste der Spekulation den eingefleischten „Derrick“-Fan, doch Plakate des jeweils anderen hängen schonmal in den beiden „Buden“) und zum Anderen einer endlich wieder etwas privater angehauchten Tappert’schen Performance. Gleich mehrfach muss er sich mit der Frage, ob er denn Kinder habe, auseinandersetzen, doch man hat das Gefühl, dass ihm eine 350er Imperia, wie er sie auch 1951 schon hatte, mehr Freude bereiten würde.
„Risiko“ überzeugt sowohl als Studie eines Kriminalfalls, der endlich wieder einmal aus München herausführt, als auch als Studie einer Freundschaft, die aber zeitweise so intensiv in den Mittelpunkt gestellt wird, dass sie – gerade im Mittelteil, z.B. der Szene in der Stammkneipe – zu einigen Durchhängern führt. Deshalb 4 von 5 Punkten.