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Dieses Thema hat 977 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Gubanov ( gelöscht )
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27.10.2011 08:50
#166 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

@Prisma, #162: Die Assoziation zu Marisa Mell kam mir in der Tanzszene mit Danning ebenfalls!
@Blap, #161: Danke für die Blumen. Wortklauberisch könnte ich mich noch auf „(nicht) vollständig geglückt“ herunterhadeln lassen. Wie du weißt, schlägt mein Herz eher für das Klassische.



Derrick: Paddenberg

Episode 9 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Franz Peter Wirth. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Peter Pasetti (Oswald Paddenberg), Anaid Iplicjian (Irene Hofer), Heinz Bennent (Robert Hofer), Ernst Jacobi (Gottfried Ehring), Edith Schultze-Westrum (Frau Hofer), Karin Heske, Erica Thomsen u.a. Erstsendung: 1. Juni 1975, ZDF.

Zitat von Derrick: Paddenberg
Durch puren Zufall entdeckt der Maler Robert Hofer seinen alten Kriegskameraden Goldinger vor einem Hotel wieder. Er findet heraus, dass der Mann sich unter dem Namen Paddenberg eine neue Identität aufgebaut hat, obschon Goldinger behauptet, dies sei schon immer sein Name gewesen. Das Wissen muss Hofer noch am selben Tag mit dem Leben bezahlen ...


Gespickt mit faszinierenden Charakteren und Charakterköpfen, zählt „Paddenberg“ zu meinen bisherigen Favoriten der „Derrick Collectors Box 1“. Man findet sich in einem kohärenten und spannenden Reinecker-Plot wieder, der einen abgeklärten Mord, ein psychologisch ausgeklügeltes Feindbild und massive gesellschaftliche Unterschiede zwischen den kriminalistischen Kontrahenten umfasst und damit bei mir keine Wünsche offenlässt.

Ein wahrer Leckerbissen ist das zentrale Duell zwischen Oswald Paddenberg und Irene Hofer, mit dem Peter Pasetti und Anaid Iplicjian sich für weitere „Derrick“-Auftritte qualifizierten. Pasetti ist in seiner Abgeklärtheit, Kälte und Zielstrebigkeit mit Curd Jürgens vergleichbar, auch weiß er, ähnlich wie dieser, nicht, an welchem Punkt er sein Spiel verloren hat. Paddenberg hat keine Skrupel, Irene Hofer sagt über ihn, er habe „die Aggressionen im kleinen Finger“, und wenn jemand seinen Absichten und seinem Wohlergehen im Weg steht, dann räumt er die betreffende Person kurzerhand aus der Laufbahn. Was für ein prädestinierter Derrick-Schurke, bei dem selbst das Autokennzeichen „Oswald Paddenberg, 1“ Bände über die Persönlichkeit spricht!

Iplicjians Irene Hofer ist in gewisser Weise Paddenbergs Seelenverwandte (eine erfolgsorientierte Person ohne sentimentale Blicke auf das Gewesene), zugleich aber seine größte Rivalin. Sie schafft das Unmögliche, Paddenberg in die Enge zu treiben, zum Weinen zu bringen, den gefühlskalten Mörder seine Taten zwar nicht bereuen, aber über seine eigene schlussendliche Zwangslage in Verzweiflung geraten zu lassen. Dabei spielt ein von Reinecker kongenial erdachter Twist eine wichtige Rolle: Zunächst behauptet Hofer, sie habe ihr Wissen über Paddenberg schriftlich festgehalten, später stellt sie infrage, dass dieses Dokument überhaupt existiert. Der zugleich Mitleid erregende und Distanz erhaltende Mörder wird sich so nie sicher sein können, ob eine Belastung gegen ihn vorliegt und ob er sich Irenes entledigen kann oder nicht. Sie hat ihn folglich mit einem einfachen, aber – ich wiederhole es gern – absolut genialen Trick in eine völlige Abhängigkeitssituation gebracht.

Es ist indes keine einfache Erpressung, die Irene Hofer da betreibt. Nach und nach leiert sie Paddenberg eine lukrative Stellung, einhunderttausend, fünfhunderttausend und eine Million D-Mark aus dem Kreuz, plant aber nie, dauerhaft oder überhaupt von diesen Vorzügen zu profitieren. Alles, was sie im Kopf hat, ist eine stille, gnadenlose Rache für den Tod ihres Mannes, für den sie also weit mehr Zuneigung gehegt haben muss, als Außenstehende, insbesondere die ebenfalls nachhaltig als verläumderische Schwiegermutter im Gedächtnis bleibende Edith Schultze-Westrum, gedacht haben.

Horst „Derrick“ Tappert bleibt in den meisten Szenen wieder einmal außen vor, weil der Hauptteil der Ermittlungen von Anaid Iplicjian übernommen wird. Er ergänzt sich aber ausgesprochen gut mit seiner unkonventionellen „Hilfskraft“, was in dem Gespräch deutlich wird, das er und Irene Hofer gen Ende der Folge in der Bar führen und das die Frau mit einem Satz beendet, der genauso gut von Derrick selbst hätte stammen können: „Heute sag’ ich nichts mehr“, beschließt sie und lässt ihr Gegenüber sitzen.

Ich entschuldige mich, falls mein Kommentar zu „Paddenberg“ eher wie eine Inhaltsangabe als wie eine Besprechung klingt. Es sind aber die uneingeschränkten inhaltlichen Stärken und psychologischen Kniffe der Folge, die eine Analyse der Handlung viel eher als eine Analyse der technischen Aspekte der Folge erfordern. Letztere sind aber ebenfalls als sauber und ansehnlich zu bezeichnen. Die Wertung 5 von 5 Punkten ist deshalb nur noch eine Formsache.

Blap Offline




Beiträge: 1.128

27.10.2011 10:53
#167 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Percy Lister im Beitrag #163
@Blap: Es gibt außer der Reihe eine Doppel-DVD "Derrick - Die Kollektion" (Folgen Nr. 136 und 173). Sie enthält Bonusmaterial ("Mein Name ist Derrick - Special zur Kultfigur", "Derrick - Ein Steckbrief" und "Trailer und Hintergrundinfos zu "Derrick, die Pflicht ruft!"). Ich habe noch einen Gutschein einzulösen und bei JPC wird dieser Artikel derzeit für 7,99 Euro angeboten. Kennst Du diese Ausgabe? Lohnt sich der Kauf?

Danke schon einmal für Deine Antwort!

Moin,

leider kann ich dir nicht weiterhelfen. Ich habe mich bisher lediglich auf die Boxsets beschränkt, über die älteren Veröffentlichungen liest man meist eher wenig begeisterte Meinungen.

***

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Gubanov ( gelöscht )
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29.10.2011 01:08
#168 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Hoffmanns Höllenfahrt

Episode 10 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Judy Winter (Inge Hoffmann), Klaus Löwitsch (Richard Hoffmann), Herbert Mensching (Herr Röhrig), Ingrid Steeger (Anneliese Röhrig), Bruno Hübner (Josef Horkel), Katharina Seyferth (Lisabeth Hoffmann), Pierre Franck (Erich Hoffmann), Margot Rupp (Frau Röhrig) u.a. Erstsendung: 29. Juni 1975, ZDF.

Zitat von Derrick: Hoffmanns Höllenfahrt
Von einem Kundenbesuch fährt der Elektriker Richard Hoffmann abends nach Hause zurück. Auf dem Weg begegnet er der angetrunkenen Nachbarstochter Anneliese, die keinen Zweifel darüber lässt, dass Alkohol gewisse Hemmungen abbaut. Im Nachhinein jedoch ist sie entsetzt über das Geschehene und droht Hoffmann: Sie will seinen Ruf zerstören. Jetzt kann er das Mädchen nicht mehr gehen lassen!


Voll und ganz teile ich Percy Listers Aussagen darüber, wie sehr die Lage und Verfassung des Mörders in „Hoffmanns Höllenfahrt“ der in „Stiftungsfest“ mit Siegfried Lowitz entspricht. Der sexuelle Übergriff im Affekt, die Tötungsart, das Bereuen, das Verschleiern, die Schuld gegenüber den gut bekannten Angehörigen – all das scheint, ebenso wie die akute Wiederholungsgefahr, die in den meisten dieser Fälle vorhanden ist, Punkt für Punkt aus Folge 3 übernommen. Die Frage lautet: Gibt es deshalb schon in einem so frühen Stadium der Reihe Versagen bzw. Ideenlosigkeit auf der Seite von Herbert Reinecker? Stellenweise ist ein solcher provokanter Vorwurf vielleicht nicht weit hergeholt, das Gesamtbild verdeutlicht jedoch, dass andere Punkte der „Höllenfahrt“ (oder den „Höllenfahrten“ im Plural, denn Hoffmann durchlebt mindestens drei Stück: die Tat einschließlich Beseitigung der Leiche, die Verdächtigungen seiner Familie, seine letzte Autofahrt) gleichsam Reineckers ungebremsten Erfindergeist verraten. Der interessanteste Charakter neben Klaus Löwitsch ist der des Schrotthändlers Horkel, von dem man, obwohl er bis zum Ende schweigt, sofort weiß, dass er über alle Zusammenhänge im Bilde ist. Weil er nicht das Zeug zum Erpresser besitzt, überlässt er es auf dezente Weise Löwitsch, „sich selbst zu erpressen“ und sich zu eindeutigen Zweideutigkeiten hinreißen zu lassen. Die von mir geschätzte Judy Winter hat allerdings eine fürchterliche Kratzbürstenrolle abbekommen, die – ebenso wie der unvermeidliche Pierre Franckh – schon nach einigen wenigen Indizien von der Schuld des Ehemanns bzw. Vaters überzeugt ist. Eine nette Familie hat sich Herr Hoffmann da angelacht!

Für „Hoffmanns Höllenfahrt“ sprechen die vielen Aufnahmen im Grünen (selbst die Müllkippe hat eine einigermaßen idyllische Waldlage) sowie die Action, die das Episodenfinale vorlegt. Stephan Derrick arbeitet für gewöhnlich ausschließlich mit Kopf- und Verstandsmethoden, muss sich dieses Mal aber auch in einer physisch gefährlichen Situation beweisen, die erneut sein bereits in „Mitternachtsbus“ oder „Paddenberg“ angedeutetes forsches Eingreifen fordern. In Anbetracht des Adrenalin-Kicks, den die letzte Höllenfahrt für alle Beteiligten bereithält, verzeiht man sogar den Anschlussfehler, dass Harry, der zuvor mit dem Funkgerät an einer völlig anderen Stelle der Strecke positioniert war, Sekunden nach dem Unfall bereits am Ort des Geschehens eingetroffen ist.

Mit der Zuordnung der Verantwortlichkeiten für die Tat konnte ich mich in „Hoffmanns Höllenfahrt“ nicht anfreunden. Wie bereits geschrieben, war es Anneliese selbst, die Herrn Hoffmann überredete, zumal er ihren Tod unabsichtlich herbeiführte. Mitleid gibt es deshalb keins zu verteilen, auch wenn sich Herbert Mensching als Angehöriger so weinerlich wie immer gibt. Judy Winter wurde unter Wert verkauft, dafür sprechen Klaus Löwitsch und der bewegende Schluss für sich. Schweren Herzens: 3 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

29.10.2011 01:08
#169 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Pfandhaus

Episode 11 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Dietrich Haugk. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Johanna von Koczian (Renate Konrad), Max Mairich (Herr Karusska), Doris Kunstmann (Ursula Mangold), Klaus Maria Brandauer (Erich Forster), Gusti Wolf (Frau Thieme), Jane Tilden (Frau Bänker), Dirk Dautzenberg (Albert Schröder), Robert Meyer (Ingo Behr) u.a. Erstsendung: 27. Juli 1975, ZDF.

Zitat von Derrick: Pfandhaus
Die Einsicht, dass man mit Geld zwar vielleicht Frauen, aber nicht deren Treue kaufen kann, verletzt den reichen Pfandhändler Karusska tief. Aus Schmerz fährt er zur Wohnung des Liebhabers seiner Freundin und schießt durch die geschlossene Tür – auf den falschen! Der eigentlich Gemeinte durchschaut die Tat und nistet sich von nun an höchst offiziell bei Karusska ein, um ihn zu demütigen ...


Abgesehen davon, dass ich eine unerklärliche Faszination für Morde hege, die in Form von Schüssen durch eine geschlossene Tür hindurch ausgeführt werden (siehe „Der Kommissar: Tod eines Klavierspielers“), bietet der oft als dünn und schwach bezeichnete Plot von „Pfandhaus“ in meinen Augen interessante Abwechslungen von der üblichen geradlinigen Fahrschiene, zumal man bei „Derrick“ bislang auch in anderen – selbst in den herausragenden – Folgen nicht von schierem Übermaß an Handlungskomplexität sprechen kann. Gerade die Umstände, dass Gustl Karusska das angepeilte Opfer zunächst anzuflehen versucht, bevor er sich zum Mord auf den Weg macht, dann eben den falschen erledigt und schließlich von seinem Tun in den ersten Stunden in Schockstarre versetzt ist, diese aber im Kommenden bis zum Grad des gezwungenen Lügners verarbeitet, erscheinen mir doch erwähnens- und beachtenswert, bevor man über das Reinecker-Script zu Gericht geht. Sicher wurden einige Szenen recht ausladend eingefangen, was nicht immer ein kontinuierlich vorantreibendes Tempo unterstützt, aber dies macht gerade in Zusammenhang mit den Darstellungen von Mairich und Brandauer einige Szenen sehr intensiv. Als Beispiel möchte ich die Tanzszene anführen, in der sich beide Akteure in ihren jeweiligen Situationen voll ausleben können. Sie dürfte als Musterbeispiel dafür gelten, dass Brandauers Erich Forster den Preis als widerwärtigstes Ekel aus Box 1 schon so gut wie in der Tasche hat – bewundernswert, welche Kaltschnäuzigkeit und Verachtung er aufzubringen in der Lage war. Gerade weil er nicht den Mörder, sondern den ursprünglich in Lebensgefahr schwebenden Liebhaber spielt, zeigt sich das Reinecker-Script wieder einmal angenehm doppelsinnig, was die Verteilung von Schuld und (Un-)Sympathie angeht.

Auffällig ist, welchen Stellenwert Derricks Liebesleben zur Abwechslung in „Pfandhaus“ einnimmt. Er, der als Prototyp des sich immer im Dienst befindlichen Beamten eigentlich wie ein Uhrwerk und nicht wie ein Schmusetiger zu funktionieren hat, bekam mit der Psychologin Renate Konrad (Johanna von Koczian) eine weibliche Ergänzung für amüsante Privatgespräche, die, bevor sie sich zu mehr entwickeln können, immer von Harrys Anrufen unterbrochen werden, zur Seite gestellt. Koczian lockert Tappert auf und bringt ihn als Persönlichkeit dem Zuschauer nahe, weshalb ich es als schade empfinde, dass sie den Part in nur zwei Folgen zum Besten gab. Sicher stehe ich damit nicht auf der Seite der Mehrheit, die befindet, dass bei „Derrick“ die Kriminalfälle derart im Mittelpunkt stehen, dass auch diese kleine Ablenkung unserem Inspektor verwehrt bleiben soll. Mitverantwortlich dafür die ungewöhnliche Zuschauerzusammensetzung mit eigenen, nicht ganz neutralen Anliegen: Der Sender SBS Australia konstatierte in seinem Gratulationsschreiben zur 250. Folge:

Zitat von Katrin Hampel: Das große Derrick-Buch, Henschel Verlag Berlin, 1995, S. 9
[Ou]r research also revealed an interesting fact: on average, more women watch ‚Derrick’ than men, which is unusual for a series of this kind [...]


Warum sollte die Damenwelt also bereit sein, ihren Polizeihelden mit einem auf den ersten Blick nicht sonderlich nützlichen Sidekick zu teilen? In dieser Hinsicht hätte ich in „Pfandhaus“ gern noch ein psychologisch motiviertes Schlusswort zum Verhalten der Verbrecher von Koczian gehört, um ihre Präsenz fachlich zu begründen.

Wennschon es sich objektiv nicht um die allerstärkste Folge handelt, so hat sie bei mir durch ihre ungewöhnliche Struktur, die mir nicht zuletzt aufgrund der modernen Kameraeinstellungen besser gelungen scheint als in „Zeichen der Gewalt“, sowie durch die Gastdarsteller und den Einfall mit einer Derrick-Flamme so einige Steine im Brett. Ich lasse mich von Frau von Koczian zu 4,5 von 5 Punkten verführen.

Blap Offline




Beiträge: 1.128

30.10.2011 00:20
#170 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Die Fortsetzung der "Mega-Derrick-Sause"


Derrick - Collector's Box 6 (Folgen 76-90)

Folge 85 - Das sechste Streichholz (Deutschland 1981)

Henry Janson (Tommi Piper) ist der Inhaber einer Diskothek, zu seinem Disc Jockey Jo Mahler (Thomas Schücke) hat er kein gutes Verhältnis. Nach der üblichen Öffungszeit hält sich Janson noch im Büro seines Schuppens auf, plötzlich steht Konrad Vollmer (Pierre Franckh) mit einer Pistole in der Hand vor dem Geschäftsmann. Ein Schuss fällt, Henry Janson ist tot. Der Taxifahrer Rolf Heckel (Jacques Breuer) meldet den Schuss seiner Zentrale, wenig später nehmen Derrick und Klein die Ermittlungen auf. Egon Janson (Robert Atzorn), der Bruder des Mordopfers, verdächtigt Jo Mahler, der jedoch von einem plötzlich auftauchenden Augenzeugen, einem älteren Herrn (Hans Hessling), entlastet wird. Ferner gibt Mahlers Bekannte Irmgard Schneider (Sissy Höfferer) ihm ein Alibi für den Zeutpunkt der Tat, ergo ist zunächst kein Hauptverdächtiger greifbar. Nach und nach wird ein interessantes Beziehungsgeflecht sichtbar, die in den Fall verwickelten jungen Leute scheinen sich allesamt näher zu kennen...

Tommi Piper hatte bereits mehrere starke Auftritte in der Serie, hier wird er allerdings sehr früh aus dem Spiel genommen, immerhin kommt er in Rückblenden erneut zum Zuge. Jacques Breuer spielt solide, steht aber im Schatten von Thomas Schücke, der Gelegenheit zur Darstellung eines heißkalt-arroganten Charakters bekommt, seine Bühne zum Vortrag pseudo-philosophischer Ausführungen nutzt. Das Drehbuch und Schücke überspannen den Bogen zeitweise, letztlich wird die tendenziell etwas dröge Folge dadurch jedoch aufgewertet. Pierre Franckh gibt (wie so oft) einen verstörtes Bürschlein, was ihm erwartungsgemäß gut gelingt. Schade, Franckh beschäftigt sich inzwischen mit fragwürdigen Veranstaltungen, hat die Schauspielerei aufgeben (oder übt sie zumindest auf eine Art aus, ich halte mich an dieser Stelle besser zurück). Sissy Höfferer bleibt unscheinbar, austauschbar, ihre Rolle gibt nicht viel her, daher ist dies nicht als negative Kritik zu verstehen. Hans Hessling punktet als einsamer Spießbürger, dessen beschränktes Weltbild er perfekt auf den Bildschirm zaubert. Robert Atzorn bleibt eine Randerscheinung, der Fokus liegt auf anderen Figuren. Wie üblich agiert ein gutes Ensemble vor der Kamera, teils mit angezogener Handbremse. Echte Höhepunkte sind nicht zu vermelden, viele andere Folgen bieten weitaus mehr.

Alles läuft recht vorhersehbar ab, hin und wieder stören moralinsaure Zwischentöne. Alfred Vohrer gehört zu meinen Lieblingsregisseuren aus Deutschland -nicht nur (aber auch) wegen seiner Beiträge zu "Derrick"- hier kann er aus der durchschnittlichen Story nicht mehr als eine "brauchbare" Folge formen. (Zu) selten lässt er Horst Tappert von der Leine, der in solchen Momenten sehr gekonnt mitzieht. Mir würde "Das sechste Streichholz" vermutlich besser gefallen, wenn Vohrer sich mehr Freiheiten gegönnt hätte, ein wenig die wilde Wutz durchs Szenario getrieben hätte. Sicher wäre dies einigen "Kritikern" sauer aufgestoßen, da die Hintergründe der Tat von traurig-ernsthafter Natur sind. Schade, ich mag vermeintlich unpassende Ausritte, weiß Mut und Frechheit (meist) zu schätzen. Nach dem großen Erfolg von "Angel of Mine" (aus "Dem Mörder eine Kerze", 77), wollte Frank Duval offenbar mit aller Gewalt einen weiteren Hit, ständig haut man uns einen Song namens "Cry (For our World)" um die Ohren. Während "Angel of Mine" als angenehme Untermalung durchgeht, nagt "Cry ..." mit zunehmender Spieldauer und Häufigkeit an den Nerven, Duval hat weitaus besseres Material produziert. Im direkten Vergleich zu den starken bis sehr starken Folgen 81-84, fällt "Das sechste Streichholz" deutlich ab, rettet sich lediglich auf knappe

6/10 (obere Mittelklasse)

***

Vom Ursprung her verdorben

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

30.10.2011 21:10
#171 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Ein unbegreiflicher Typ" (Folge 24)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Carl Heinz Schroth, Jürgen Goslar, Hilde Krahl, Walter Gross, Jan Niklas, Bruno Hübner, Michaela May u.a. - Regie: Theodor Grädler

Risikoreiche Erpressungsgeschäfte erfordern Absicherung gegen mögliche Angriffe. Ein gerissener ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter, gespielt von Carl Heinz Schroth, hat einen Obdachlosen in sein Hotelzimmer mitgenommen, da er vermutet, dort einem Mordanschlag zum Opfer zu fallen. Er liegt richtig, der Mann wird erschossen. Mit einem Koffer voller Geld gelingt es Schroth zu fliehen und unterzutauchen.
Die Episode beginnt schwungvoll, doch die Spannung flacht nach dem Mord permanent ab. Je länger sich die Ermittlungen im Familienkreis des Flüchtigen hinziehen, desto zäher wird die Geschichte. Lustlos verfolgt man die Gespräche, die Derrick mit der geschiedenen Frau von Schroth führt, einzig der gutaussehende Jan Niklas sorgt für momentane Aufhellung des trüben Klimas, das Schlachthöfe, Schrebergärten und heruntergekommene Pensionen umgibt. Jürgen Goslar, gewohnt professionell und engagiert, spielt die zweite Hauptrolle und trägt zur Tarnung ein weißes Hündchen mit sich herum. Warum er dies tut, bleibt im Dunkeln. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass es im Wesentlichen darum geht, uns den "unbegreiflichen Typen" begreiflich zu machen. Wie schon in "Was kosten Sie, Herr Kommissar?" aus der Reihe "Intercontinental Express" wirkt Carl Heinz Schroth auch hier nur auf seinen Vorteil bedacht und setzt alle Hebel in Bewegung, andere Menschen zu manipulieren, wenn es ihm an den Kragen geht. Seine weinerliche Miene, die er unerschüttet vor sich herträgt, lädt nicht gerade dazu ein, mit ihm zu sympathisieren. Im Gegenteil: Er geht einem schnell auf die Nerven und man will gar nicht mehr wissen, wo er denn nun untergetaucht ist. Hauptsache, die Episode neigt sich ihrem Ende zu.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

30.10.2011 21:29
#172 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Ein Koffer aus Salzburg

Episode 12 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Alfred Weidenmann. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Günther Stoll (Schröder), Ralf Schermuly (Scharwedder), Max Eckard (Karl Hinz), Jacques Breuer (Richard Hinz), Eva Brumby (Kläre Hinz), Liane Hielscher (Hilde Brand), Traugott Buhre (Korschoff), Friedrich Joloff (Schepka) u.a. Erstsendung: 24. August 1975, ZDF.

Zitat von Derrick: Ein Koffer aus Salzburg
Mord am Hauptbahnhof. Der Täter ist flüchtig. Er trägt einen auffälligen Koffer bei sich. Auch wenn Derrick und sein Team bald die Identität des Mannes herausfinden, bleibt er – zum Unverständnis der Angehörigen – auf freiem Fuß. Schmuggel steckt hinter dem Verbrechen, und Derrick hat es auf die Hintermänner des organisierten Verbrechens abgesehen.


Als Mann mit Stil wurde Max Eckards Rolle im Durbridge-Krimi „Tim Frazer: Der Fall Salinger“ noch heute an anderer Stelle im Forum beschrieben, als Ziel eines jeden kühnen Lebenstraums. Zwölf Jahre später zeigt sich ein anderes Bild des Theaterschauspielers, heruntergekommen, gealtert und verfallen präsentiert sich Eckard als Ehemann der toten Kläre Hinz, für den das Ende des Wirtschaftswunders und die nicht mehr ganz so glänzenden Jahre der Mittelsiebziger Arbeitslosigkeit und Unmengen an Alkohol bereithalten.

Der Charme der Besetzung lässt sich dennoch sehen, denn vor allem stützt er sich auf nostalgische Komponenten. Wie in kaum einer anderen Folge begegnet man einer ganzen Reihe an Schauspielern, die man schon aus den 1960er- oder sogar den 1950er-Jahren kennt: Hielscher, Joloff, Braut, Mayr, Georg, Tiede und Jaggberg – eine Liste, die einerseits ein jedes Krimi-Herz höher schlagen, andererseits aber auch schon vermuten lässt, dass die vielen, teils textlosen Nebenrollen die Schärfe einer eingängigen Charakterisation, wie sie die bisherige Stärke in allen „Derrick“-Folgen war, vermissen lassen.

Von hier aus ist der Weg nicht weit zu der Erkenntnis, dass zum ersten Mal ein echter Hauptgegner schmerzlich durch Abwesenheit glänzt. An die Stelle eines zentralen Anti-Objekts tritt eine eher gesichtslose Schmugglerorganisation, an deren Spitze Schermuly durch fehlende Bissigkeit und Traugott Buhre sowie Friedrich Joloff durch mangelhafte Persönlichkeit nicht überzeugen. Ein weiterer Fauxpas der Folge sind die von Reinecker eher ungeschickt eingebauten Orts- und Zeitsprünge von teilweise bis zu vier Wochen, die die Geschichte zwar sicher realistisch, aber nicht sonderlich zusammenhängend gestalten.

Martin Böttchers Musik empfand ich als Bereicherung für die Episode, auch wenn sie fast schon ein wenig zu sehr an seine Arbeit für die Pater-Brown-Filme erinnert. Sie tönt immerhin angenehm melancholisch, was vonnöten ist, um Stolls Anwesenheit zu kommentieren und die vom jungen Jacques Breuer mit Bravour gegebene Vorstellung zu unterstreichen.

Das Thema Eisenbahn eignet sich für spannende Verfolgungsjagden einschließlich nächtlicher Szenen auf den Gleisen. Hier hat man diese Möglichkeiten in Form der Frage nach der Methode des Schmuggels im Metallkoffer genutzt, es aber versäumt, sie mit einem persönlich betroffen stimmenden Plot zu kombinieren. Dazu trägt bei, dass der Mord nicht zu sehen ist und man Kläre Hinz vorab nur in einer kurzen Szene begegnet. Im Vergleich mit anderen „Meisterwerken“ der ersten Box ziehe ich deshalb nur die Karte „belanglos“, oder in Zahlen: 3 von 5 Punkten.

Blap Offline




Beiträge: 1.128

31.10.2011 01:07
#173 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Die Fortsetzung der "Mega-Derrick-Sause"


Derrick - Collector's Box 6 (Folgen 76-90)

Folge 86 - Prozente (Deutschland 1981)

Martin Schlehdorn (Gerd Baltus) und seine Ehefrau Gerlinde (Gerlinde Locker) benötigen dringend einen Kredit, haben bei den üblichen Anbietern allerdings schlechte Karten. Als Herr Schlehdorn ein Gespräch mit dem Kreditwucherer Hollerer (Rolf Boysen) in dessen Büro führt, fallen unvermittelt mehrere Schüsse im Vorraum, sofort vermutet Hollerer einen Anschlag auf sein Leben, sperrt in grösster Eile die Tür seines Raumes zu. Wenig später wagt Schlehdorn einen Blick in das Vorzimmer, dort liegt der sterbende Herr Mahler (Willy Semmelrogge) auf dem Boden, ein Mitarbeiters des Kredithaies Hollerer. Vor dem Haus wartet Gerlinde Schlehdorn im PKW der Eheleute, folglich muss sie den Täter aller Wahrscheinlichkeit nach gesehen haben. Martin Schlehdorn wittert seine Chance, er will das Wissen seiner Frau gezielt nutzen, nach Möglichkeit die überhöhten Kreditzinsen drücken. Die Ermittlungen führen Derrick und Klein in das luxuriöse Anwesen Hollerers, der dort Frau Mertens (Barbara Rütting) und Herrn Brasse (Michael Degen) beschäftigt, die sich in erster Linie um seine an den Rollstuhl gefesselte Tochter Alice (Sunnyi Melles) kümmern. Offensichtlich erwartet der Beutelschneider einen weiteren Anschlag auf sein Leben, ebenso fürchtet er einen Übergriff auf seine Tochter. Während die Kriminalpolizei eine heisse Spur verfolgt, geht per Telefon die Mittteilung über einen weiteren Mord ein...

Rolf Boysen stellt den knallharten Geschäftsmann äusserst überzeugend dar. Zunächst umgarnt er potentielle Kunden, wer seine Pratiken jedoch hinterfragt, wird mit aalglatter Kaltschnäunzigkeit abgespeist. Sein Gewissen (falls überhaupt vorhanden) regt sich nicht, generell sind immer andere Schuld, und "er hat die Welt schliesslich nicht gemacht". Boysen darf jedoch auch eine andere Seite des unangehmen Charakters Hollerer zeigen. Um seine Tochter sorgt er sich aufrichtig, will die junge Frau vor der harten Realität ausserhalb des herrschaftlich anmutenden Wohnhauses schützen. Dabei kommt ein nahezu überfürsorgliches, erdrückendes Verhalten ans Tageslicht, die übliche Spieldauer von knapp einer Stunde, lässt eine intensive Verfolgung dieses Ansatzes freilich nicht zu. Gerd Baltus ist gewissermaßen die Verkörperung des "unscheinbaren, durchschnittlichen Spießbürgers", der hin und durch nervös-hinterhältige Anflüge aus seinem Korsett entfliehen möchte. Auf Baltus ist wie immer Verlass, eine für ihn typische Rolle, die er mit der für ihn typischen Klasse meistert. Gerlinde Locker bleibt gewollt unscheinbar und unsicher, wird passenderweise von ihrem Filmgatten gegängelt. Barbara Rütting und Michael Degen werden von ihrem Chef mit kühler Arroganz behandelt, der von Degen dargestellte Herr Brasse mutet eher schlicht an, strampelt sich ähnlich wie Baltus/Schlehdorn ab, indes fehlt im der clevere Ansatz. Sunnyi Melles wird ab und an durchs Bild geschoben, Willy Semmelrogge darf zum Auftakt den grummligen "Vorzimmersklaven" geben. Martin Semmelrogge taucht in der späten Phase der Folge auf, glotzt ein wenig aufgedunsen aus der Wäsche. Wie immer: Gute Arbeit, die Damen und Herren vor der Kamera verstehen ihr Handwerk.

"Prozente" bringt eine interessant konstruierte Geschichte auf den Bildschirm, die Verknüpfung unterschiedlicher Motive findet meine volle Zustimmung (oder sind sie Motive gar nicht von unterschiedlicher Natur? Überprüft es bitte selbst!). Leider mutet die Auflösung des zweiten Mordes extrem einfallslos an, an dieser Stelle mangelte es dem Autor vermutlich an guten Einfällen, vielleicht wollte man die Zuschauer auch nicht überfordern. Gut gelungen ist die Doppelbödigkeit der Charaktere, sogar der arg unsympathische Kreditwucherer Hollerer ist zu warmherzigen Gefühlen und echter Besorgnis fähig, zumindest im Hinblick auf seine Tochter. Besonders positiv ist mir das Spiel Boysens aufgefallen, als er in einem Gespräch mit Gerd Baltus von schleimig-unechter Freundlichkeit auf die kalt-selbstherrliche Schiene ausweicht, grandios! Die musikalische Untermalung hält sich diesmal sehr zurück, ganz im Gegensatz zur Folge davor (Das sechste Streichholz, 85). Theodor Grädlers Inzenierung ist handwerklich in Ordnung, die Schwächen der Story versucht er nicht durch Krawall oder Popanz zu übertünchen. Herbert Reinecker gelang es nicht, beide Taten mit einer ansprechenden Auflösung auszustatten, der erhobene Zeigefinger wedelt immerhin nicht allzu penetrant vor unseren Nasen herum. Von der Spitzengruppe bleibt "Prozente" deutlich entfernt, der Fan bekommt eine ansprechende Folge in solider Qualität geboten.

6,5/10 (oberste Mittelklasse)



Folge 87 - Der Untermieter (Deutschland 1981)

Zehn Jahre verbrachte Walter Buschmann (Peter Kuiper) im Gefängnis, nun ist der Tag seiner Entlassung endlich gekommen. Leo Kurat (Fritz Strassner) soll sich um die gesellschaftliche Eingliederung des Ex-Häftlings kümmern, stösst jedoch von Beginn an seine Grenzen. Buschmann fährt zu seiner ehemaligen Lebensgefährtin Gudrun Kaul (Lisa Kreuzer), zu der er seit zehn Jahren keinerlei Kontakt mehr hatte. Inzwischen führt Gudrun mit ihrem zehnjährigen Sohn und ihrem Gatten Ulrich Kauf (Horst Sachtleben) längst ein beschauliches Dasein, in ihrem Leben ist kein Platz mehr für ihren damaligen Freund. Buschmann hat Kenntnis von seiner Vaterschaft, trotz aller Warnungen und Bitten seitens Leo Kurat, dringt er mit eisiger Bestimmheit in das Leben der Familie Kauf ein. Verzweifelt versucht Gudrun Kaul ihren Sohn zu schützen, kann sich aber nicht gegen Buschmann behaupten. Gleiches gilt für Ulrich Kauf, der der kaltschnäuzigen Art seines Widersachers nichts entgegensetzen kann. Kurat informiert Derrick über seine Beobachtungen und Befürchtungen, der Oberinspektor war damals mit Buschmanns Fall betraut. Derrick überkommt ein ungutes Gefühl, denn während der Richter vor zehn Jahren "ledliglich" auf Totschlag urteilte, war (und ist) der Kriminalbeamte fest davon überzeugt, dass Buschmann zu jener Zeit einen eiskalten Mord verübte...

Peter Kuiper legte als irrer Frauenmörder in "Tod am Bahngleis" (Folge 5) eine nachhaltig beeindruckende Vorstellung hin, die zu den stärksten Momenten des "Derrick-Universums" zählt. In Folge 34 (Tod des Wucherers) spielt er einen cholerischen Kredithai. Obschon man ihm dort nach wenigen Minuten den Löffel entreisst, bleibt auch dieser Auftritt langfristig im Gedächtnis haften. Sein dritter Streich ist nicht weniger eindrucksvoll geraten, als Walter Buschmann versetzt er eine kleine Familie in Angst und Schrecken. Sein Vorgehen ist eiskalt und berechnend, seinen Opfern geht im Würgegriff der Furcht mehr und mehr der Atem aus. Buschmann hingegen stellt seinen langen Atem unter Beweis, lässt sich sogar durch Derricks Versuch der Famlie Kauf zu helfen, nicht einen einzigen Millimeter von seinem perversen Vorhaben abbringen. Lisa Kreuzer taucht immer wieder in der Reihe auf, erweist sich dabei als erstaunlich wandlungsfähig. Auch die Rolle der zunehmend verzweifelten Mutter und Ehefrau meistert sie souverän. Horst Sachtleben ist dem "Feind im Bett" nicht nur körperlich unterlegen, er kann sich auch verbal nicht gegen die unfassbaren Vorträge des unerwünschten Gastes behaupten. Hans-Jürgen Schatz war lange Zeit in der TV-Serie "Der Fahnder" zu sehen, spielte dort an der Seite von Klaus Wennemann. Hier sehen wir in als Studenten -pikanterweise studiert er ausgerechent Jura, was sich allerdings nicht als hilfreich erweist- der bei den Kauls ein Zimmer zur Untermiete bewohnt. Das kleine Ensemble liefert eine tadellose Vorstellung ab, Peter Kuiper spielt erneut sehr beeindruckend.

Regisseur Michael Braun durfte mit "Der Untermieter" eine packende Folge in Szene setzen, die in weiten Teilen kammerspielartig angelegt wurde. Die abstossende Vorgehensweise des "Bösewichts" ist perfekt eingefangen, kommt ohne wüste Prügeleien oder Pöbeleien aus, Kuiper geht in der Rolle des Walter Buschmann ruhiger, methodischer und abgebrühter vor, wirkt dadurch umso erschreckender. Mir ist zwar das extrem passive Verhalten der Familie Kaul unverständlich, aber vermutlich gibt es jede Menge Menschen, die sich dem Diktat eines Soziopathen dieses Kalibers beugen würden. Was tun gequälte und unterlegene Hunde, die sich ängstlich in eine Ecke zurückziehen? Sie ergeben sich völlig dem dominanten Gegenüber, können aber auch in Angstbeisserei verfallen. Ähnliches bekommen wir in dieser Folge zu sehen. Ständig stellt man sich die Frage, wann die Lage völlig aus dem Ruder läuft, es zu einer Eskalation, Eruption kommt. Mit der Auflösung bin ich nicht ganz zufrieden, zu einfach und lasch klingt das Geschehen aus. Zugegeben, weitere Gedankenspiele werden dem Zuschauer nicht verboten, daher will ich ich nicht mit Ausdauer nörgeln. Die Musik steuerte Klaus Doldinger bei, der sich auf dezente Untermalung beschränkte. Bei der ungeliebten Zahlenwertung verhindert das (in meinen Augen) schwache Finale, dann doch noch den Sprung in die höchsten Regionen, für ein rundes "gut" reicht es aber allemal.

7/10 (gut)

***

Vom Ursprung her verdorben

Gubanov ( gelöscht )
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01.11.2011 11:25
#174 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Kamillas junger Freund

Episode 13 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Alfred Vohrer. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Günther Stoll (Schröder), Luitgard Im (Kamilla Kessler), Siegfried Wischnewski (Herr Kessler), Harry Meyen (Dr. Hauffe), Kerstin de Ahna (Frau Hauffe), Karl Walter Diess (Herr Bocke), Hans-Georg Panczak (Herr Helm), Gerd Böckmann (Kaub) u.a. Erstsendung: 21. September 1975, ZDF.

Zitat von Derrick: Kamillas junger Freund
In seiner Mittagspause wird der Unternehmer Kessler überfallen. Ein mit einem Strumpf maskierter Mann hält ihm die Pistole vor die Brust und zwingt ihn, einen Scheck über 50’000 Mark auszustellen. Der Plan wird allerdings von der Haushälterin durchkreuzt. Später haben die Räuber im Haus von Dr. Hauffe mehr Glück. Derricks einziger Anhaltspunkt: Die Tatverantwortlichen müssen sich in beiden Haushalten gut auskennen!


Alfred Vohrer debüttiert bei „Derrick“ und bereichert die Reihe um die Textur eines actiongewürzten Kinokrimis. Die Verve, mit der er selbst die brutalsten Vorkommnisse temporeich und spannungsgeladen schildert, ist als bisher einmalig in der Reihe zu bezeichnen und belehrt alle Irrigen, die glauben, Derrick sei nur ein Abklatsch von Kommissar Keller, eines Besseren. „Man kann mir alles mögliche nachsagen, aber ich bin kein Moralist“, befindet Stephan. Es klingt fast wie eine Warnung an alle Zuschauer, die die Moralbilder und Zeigefingerduselei der Konkurrenzserie nun auch beim frischen Horst Tappert erwarten. Doch daraus wird nichts: Statt in der Denkerpose hinterm Schreibtisch zu sitzen und über die verrohte Jugend und die Scheinmoral der High Society zu philosophieren (dass sich beides anböte, aber bewusst ausgelassen wird, spricht für die reale inhaltliche Dichte des Stoffes), zeigt sich Derrick bei einem Spitzel auf der Go-Kart-Bahn, von gemieteten Kavalieren unbeeindruckt, unkonventionell ermittelnd und gern auch mit Schießeisen in der Hand.

Ob des trotz Ballereien geschmackvollen und stimmigen Endergebnisses kann man sich freuen, dass das ZDF noch nicht in das spätere, selbstverordnete political-correctness-Zöllibat eingestiegen ist. Lustig erscheinen deshalb in Anbetracht des Finales Äußerungen der Fernsehrats-Ausschusssitzung, dass ...

Zitat von Peter Jordan: Das Fernsehen und seine Zuschauer, Verlag Moritz Diesterweg, 1982
Darstellungen von Gewalt auch in Unterhaltungssendungen weiterhin zu begrenzen und zu kontrollieren sind [, weil es] u.a. zu einer „Gewöhnung“ kommen kann, wenn durch „die ständige Wiederholung auf dem Bildschirm erlebter Gewalt mit der Zeit das Gefühlsleben des Zuschauers abstumpft.“


Derrick zeigt sich vor Abstumpfung gefeit, aber durchsetzungsstark sowie oft mit trockenem, teils gar sarkastischem Humor. Er führt in dieser Hinsicht unter Vohrer – im Gegensatz zu anderen Auftritten in bisherigen Folgen – seine Rolle als Inspektor Perkins bzw. Perrak (mit dem Derrick deutliche phonetische Ähnlichkeiten verbinden) relativ lückenlos fort. Besonders schön sein strahlendes Lächeln, wenn er „Interviewpartnern“ durch die Blume mit harten Bandagen droht. Auch das trägt zur guten Konsumierbarkeit von „Kamillas junger Freund“ bei.

Auf der Darstellerseite mache ich lediglich leichte Abstriche bei den liebestollen Damen Kessler und Hauffe, deren Dialoge teilweise ein wenig gestelzt klingen. Ansonsten freue ich mich vor allem über ein Wiedersehen mit Ilse Pagé in ihrer ersten mir bekannten Rolle außerhalb der Wallace-Filme (und mit echter Berliner Schnauze mitten in München), wurde aber auch von Siegfried Wischnewski überzeugt, der direkt nobel wirken kann, wenn er sich nur einen Schnurrbart stehen lässt. Karl Walter Diess ist für fiese Ekelrollen mit gewalttätigem Einschlag prädestiniert und damit eine Idealbesetzung für den bewaffneten Maskenmann, während mit Butler-Original Albert Bessler als Obdachloser mit bankentauglichem Prä-Weltkriegscharme ein durchaus interessanter, weil vom Üblichen abweichender Kniff geglückt ist. Bruno Dallansky trifft in seinem Part genauso ins Schwarze wie Fritz „Harry“ Weppers diesmal größerer Anteil an der Überführung Kaups.

„Alfred Vohrer is a genius“, sagte Quentin Tarantino. „Yes, he is“, bestätige ich nach der Sichtung von „Kamillas junger Freund“ erneut. Wenn ihm ein so makelloses und spannendes Drehbuch vorliegt wie in diesem Fall, steht man mit ihm auf der sicheren Seite und erhält eine TV-Folge, die sich nicht hinter großen Leinwandproduktionen zu verstecken braucht. 5 von 5 Punkten.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

01.11.2011 11:47
#175 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

In der Tat ist "Kamillas junger Freund" eine der spannendsten und rasantesten Derrick-Folgen jener Zeit und ein gelungener Ringelmann-Einstand des Regisseurs, den der Produzent gar nicht haben wollte, weil er in seinen Augen mit seinen Wallace-Filmen nicht zu ihm passte. Tappert hatte ihn ihm epfohlen und überredet und Ringelmann später nie enttäuscht. Bis zu seinem Tod hat Vohrer für Ringelmann gearbeitet, starb bei den Dreharbeiten zu einer neuen Kress-Alte-Folge, die dann Wolfgang Becker fertig drehte.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

01.11.2011 14:59
#176 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Das Bordfest" (Folge 25)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Ernst Schröder, Matthieu Carriere, Herlinde Latzko, Judy Winter, Wolfgang Reichmann, Erna Sellmer, Walter Schmidinger u.a. - Regie: Alfred Weidenmann

Eine ausgelassene Betriebsfeier eines Textilherstellers auf einem Dampfer auf dem Starnberger See. Der Firmenchef ist beim Anlegen des Schiffes nicht auffindbar. Kein Wunder: Seine Leiche wird am nächsten Morgen ans Ufer gespült. Der Mann ist durch einen Messerstich getötet worden.
In den Siebziger Jahren, als Damenoberbekleidung noch in Deutschland gefertigt und nicht in asiatischen Nähstuben von unterbezahlten Frauen hergestellt wurde, leistet es sich die Firma Kettwig/Solms, zu der Belegschaft ein familiäres Verhältnis zu pflegen, wobei die Tradition besonders von Vater und Sohn Solms hochgehalten wird. Eine attraktive Zuschneiderin oder die Ehefrau des Kompagnons bleiben nicht unerreichbar, wenn man Charme und Nachdruck (Vater) oder Mitgefühl und Verständnis (Sohn) anwendet. Ernst Schröder dominiert den Kreis seiner Lieben (wie bereits in "Rudek" aus: Der Kommissar) und seine Motive sind dabei ebenfalls Wahrung des Scheins unter gleichzeitiger Garantie auf persönlichen Lustgewinn. Judy Winter spielt die abgeklärte, aber keineswegs kapitulierende Ehefrau, deren logische Kombinationen Derrick zugleich verblüffen und beeindrucken. Herlinde Latzko, die in der Historien-Kriminalverfilmung "Die Affäre Lerouge" den weiblichen Hauptpart spielt, nimmt hier eine ähnlich gelagerte Stellung ein. Vermutlich prädestiniert sie ihr sanftes Aussehen dafür, ebenso, wie Matthieu Carriere gern den jungen Mann in stiller Aufruhr gibt; eine Rolle, die er in "Sonderbare Vorfälle im Haus von Professor S." (aus: Der Kommissar) so überzeugend ausfüllte. Der Ansitz des Ehepaars Kettwig ist das selbe Haus wie in "Mord nach der Uhr", einer "Kommissar"-Folge, die Alfred Weidenmann ein Jahr vor der "Derrick"-Folge inszenierte. Das Anwesen ist dem Stil eines Frank Lloyd Wright nachempfunden und "verkörpert die gläserne kastenförmige Unnahbarkeit moderner Architektur" wie Anke Sternenborg in ihrem Essay über "North by Northwest" schreibt. Die Verdachtsmomente gegen die Familie Solms sind so erdrückend, dass der Überraschungstwist am Ende verblüfft. Anmerkung am Rande: Da ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland bereits seit 1974 innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Dreimonats-Frist straffrei war, wundert es, dass der Mörder von einem "unerlaubten Eingriff" spricht. Da Reinecker seine Drehbücher immer schnell umsetzen ließ und die behandelten Fälle so auf dem aktuellen Stand waren, ist anzunehmen, dass es sich um einen Abbruch nach der vom Gesetzgeber tolerierten Frist handelt. Dies spräche für die Ruchlosigkeit des Zeugers und die Scheinmoral des "ehrbaren" Geschäftsmannes. Eine Geschichte mit Tiefgang, die die Verwicklungen innerhalb der zwei Familien sachlich und ruhig erzählt, wobei die guten Darsteller für Qualität bürgen.



BEWERTET: "Das Superding" (Folge 26)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Horst Buchholz, Gottfried John, Ullrich Haupt, Christine Schuberth, Horst Sachtleben, Gerhard Garbers, Fritz Hakl, Günther Stoll u.a. - Regie: Wolfgang Becker

Der Direktor des Bankhauses München erhält einen Anruf von einem Mann, der ihm gegen Bezahlung Informationen über einen bevorstehenden Millionenraub geben will. Das Geldinstitut soll in den nächsten Tagen Ziel eines Einbruchs werden. Auf dem Weg zur Bank wird der Informant aus einem fahrenden Wagen heraus erschossen.
Die Spur führt in die Diskothek Rock Shop, die schräg gegenüber des Bankhauses liegt und in der der Ermordete häufig verkehrte.
Horst Sachtleben mit rot-weiß-kariertem Hemd und Bergsteigerhut krächzt am Telefon Vertraulichkeiten, während der resche Ullrich Haupt als verantwortungsbewusster Bankdirektor mit dem Schlimmsten rechnet. Bewaffnete Geiselnahme, Erpressung der Zahlenkombination des Tresors, Bedrohung seiner Familie? Oberinspektor Derrick nimmt sich routiniert die Anverwandten des Direktors vor, die offenbar Einsicht in die Lagepläne der Bank hatten, verwirft diese Spur jedoch nach seinem Besuch in der Diskothek, die von einem Mann geführt wird, der als Quereinsteiger auf Gewinnmaximierung aus ist - fragt sich nur auf welche Weise.
Horst Buchholz spielt einen ehemaligen Mathematiklehrer - einen Oberstudienrat - der nach einem schweren Autounfall mit mehrtätiger Bewusstlosigkeit seinen Beruf aufgeben musste. Um sich zu beweisen, dass sein Gehirn noch so präzise arbeitet wie ein Uhrwerk, hat er einen meisterhaften Plan entwickelt, unterirdisch in das Bankhaus zu gelangen und sich die dreieinhalb Millionen Mark anzueignen, die dort lagern. Wer hier nicht unvermittelt an Professor Moriarty und "Die Liga der Rothaarigen" denkt, hat von Sherlock Holmes keine Ahnung. Setzen!
Wolfgang Becker beweist, dass er mit der Materie vertraut ist und hat mit dem 42jährigen Buchholz einen Mann engagiert, der nicht minder genial-verrückt erscheint als Jim Moriarty in der BBC-Serie "Sherlock" (mit Benedict Cumberbatch). Vorbei sind die Tage unbeschwerter Jugendzeit mit Romy Schneider, in denen getanzt, gescherzt und im Schnee herumgetobt wurde. Listig seine Gegner fixierend, blickt die Besessenheit aus seinen Augen, die nun nicht mehr wohlwollend auf seiner Herzensfreundin ruhen, sondern den Erfolg suchen. Die eigentliche Beute bedeutet ihm gar nichts. Der Kampf gegen seine inneren Dämonen, den geistigen Verfall und den Gegner Polizei dafür alles. Dennoch haut Becker recht flott auf den Putz und bietet mit kreisenden "Fruchtkörben" (O-Ton Blap), "Hossa!Hossa"-Rhythmen und dem absonderlich-unheimlich wirkenden Auftritt des Kleinwüchsigen (Fritz Hakl) einiges, das Kollege Brynych mit Freuden ausgekostet hätte. Der Einfall, einen Zwerg durch den Luftschacht der Bank zu schleusen, ist nicht alltäglich und alle Szenen (von der Ankunft des Mannes - in Anzug und mit Aktenkoffer - am Münchner Hauptbahnhof, bis zu seinem kindlichen Gelächter nach geglückter Tat) zeugen vom Sinn für das Groteske und ebnen den Weg für das Finale, das den Haupttäter zufrieden zurücklässt.
Er hat sich bewiesen, dass er rechnerisch noch top ist, ob ihm dies in der Beurteilung durch die Gerichtssachverständigen Pluspunkte einbringen wird, ist jedoch anzuzweifeln. "Mariengrund" und die verschneite Bergwelt von Berchtesgaden hat er jedenfalls hinter sich gelassen.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

01.11.2011 15:59
#177 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

"Das Bordfest" gehört zu meinen Lieblingsepisoden, auch wegen dem großartigen Ernst Schröder, den man leider viel zu selten sah. Später spielte er nochmal den an Dr. Mabuse erinnernden Wissenschafter in "Dr. Römer und der Mann des Jahres" (Regie: Theodor Grädler) und grandios den verzweifelten Vater in "Die Festmenüs des Herrn Borgelt" (ebenfalls von Weidenmann).
Toll auch der Soundtrack von Peter Thomas - kennt jemand den Titel der Nummer, ich bin schon lange auf der Suche danach!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

03.11.2011 20:45
#178 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Der Tag nach dem Mord

Episode 14 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Helmuth Ashley. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Krista Keller (Frau Wegmann), Alexander Kerst (Herr Wegmann), Oliver Grimm (Horst Wegmann), Anita Lochner (Andrea Königer), Angela Hillebrecht (Frau Königer), Günter Mack (Herr Königer), Renzo Martini (Mario), Paolo Pacino (Enrico) u.a. Erstsendung: 19. Oktober 1975, ZDF.

Zitat von Derrick: Der Tag nach dem Mord
Den Schüler Horst Wegmann übermannen die Gefühle: Nachdem er seine Flamme Andrea mit seinem Freund Mario knutschen gesehen hat, geht er im Affekt mit einem Schraubendreher auf den Italiener los. Schnell ist die erste Wut verflogen: Horst will Mario zum Arzt bringen, doch der stirbt vorher. Glücklicherweise ist sein Vater zur Stelle. Dieser meint: Niemand braucht etwas von Horsts Missgeschick zu erfahren.


Wer wie ich Oliver Grimm bisher nur als Kinderdarsteller aus Fünfzigerjahre-Kassenschlagern wie „Frühlingslied“, „Wenn der Vater mit dem Sohne“ oder „Kleiner Mann ganz groß“ kannte, ist geneigt, beim ersten Blick auf „Der Tag nach dem Mord“ den verwandtschaftlichen Dauerbrenner „Mensch, bist du aber gewachsen!“ zum Besten zu geben. Ein Dreikäsehoch zu sein, hat natürlich auch seine Vorteile: Zumindest geriet Grimm in den alten Filmen nie in eine derartige Zwangslage – mit den Hormonen allerdings kommen auch die Beziehungsprobleme in Fahrt, vor allem wenn man einen solchen Vater zum Vorbild hat. Der stets hervorragende Alexander Kerst lenkt die Geschicke seines Sohnes aus der verständlichen Regung, seinem Sohn das Zuchthaus zu ersparen, aber nicht zuletzt genauso aus der Sorge um den eigenen Ruf heraus. Es trifft sich gut, dass er einige Jahre zuvor bereits Erfahrungen in dieser Hinsicht sammeln konnte – so fühlte ich mich stärker an „Maigrets größter Fall“ als an den oft im Zusammenhang mit dieser Folge zitierten „Mitternachtsbus“ erinnert.

Die Episode „Der Tag nach dem Mord“ verfügt über viele kleine Bausteine, die sie zu einem vorbildlichen „Derrick“-Vergnügen machen. Sie ist im Vergleich zu anderen Angst- und Psycho-Hammern angenehm ruhig und zurückhaltend, was wohl vor allem in der von seinen Eltern unterdrückten Persönlichkeit des Mörders begründet liegt. Oliver Grimms Performance (der Schauspieler wurde im Übrigen nachträglich von Michael Ande synchronisiert) ist still und wie gelähmt, nachdem er seinen fatalen Fehler entdeckt und sich in die Obhut seines Ernährers begeben hat. Vielsagend gestaltet sich die Szene, in der er den Kaffee machen geschickt wird, weil weder Herr noch Frau Wegmann bereit sind, sich in der Küche zu verlustieren.

Dann sind da die Streitgespräche zwischen den getrennten Eheleuten Wegmann, die keifend bis vorwurfsvoll ausfallen. Die puppenhafte Krista Keller stellt sich als glänzende Wahl für eine besonders eigensinnige und selbstverliebte Person heraus und im Nachhinein lacht man sich darüber ins Fäustchen, dass sie mit den Worten „Als Frau hat sie nicht viel getaugt, jetzt wollen wir sehen, wie viel sie als Mutter wert ist“ angekündigt wird. Diese Dialogzeile (oder Monolog-, wie fast alles, was Alexander Kerst in den 58 Minuten von sich gibt) fällt vor dem Hoftor des berühmten Maximiliansgymnasiums – nach wie vor anscheinend Münchens einzige Schule und immer wieder für Einstellungen in Grau- und Brauntönen gut. Auf der Seite der Inszenierung, bei der es sich um die erste von Helmuth Ashley handelt, stehen neben der Schauplatz- auch die Musikwahl sowie das winterliche Flair, das mit dezentem Schneefall am Bildrand und einem Weihnachtsbaum in der Ferne für unaufdringliche Festtagsstimmung sorgt.

Auch wenn neben dem Duell Keller-Kerst vor allem naturgemäß Derrick als Widersacher des Hauptdarstellers brilliert, so liegt gerade in der lupenreinen Ausrichtung auf den Kampf zwischen Vater und Inspektor die einzige Schwäche der Folge. Sie verrät zum ersten Mal deutlich, dass Reinecker um einer gefälligen Einstundendramaturgie willen Derrick mit Super-Hellseherkräften ausstattete, die es ihm ermöglichten, ohne nennenswerte Anhaltspunkte sofort den richtigen Täter zu fixieren. Die Pinocchio-Bar oder der Arbeitsplatz Marios hätten realistischerweise in seinen Ermittlungen viel mehr Spuren aufwerfen können bzw. müssen als die eine so vage Anmerkung Königers.

Ein Derrick nach meinem Geschmack. Die eine geringe Schwäche, dass Derrick sein „Ich nagle dich fest“-Lächeln schon etwas zu früh aufsetzt, muss aber in Anbetracht der Qualität der Serie zu einem leichten Punktabzug führen: 4,5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

05.11.2011 20:27
#179 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Alarm auf Revier 12

Episode 15 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Zbynek Brynych. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Günther Stoll (Schröder), Gert Haucke (Ross), Rosemarie Fendel (Frau Ross), Mascha Gonska (Lona Ross), Nikolaus Paryla (Herr Haller), Carl Möhner (Oberinspektor Matthes), Walter Sedlmayr (Koch), Heinz Werner Kraehkamp (Krosske) u.a. Erstsendung: 14. Dezember 1975, ZDF.

Zitat von Derrick: Alarm auf Revier 12
Albert Ross ist ein gefährlicher Mann: Aus dem Gefängnis entlassen, macht er Haller, dem Freund seiner Tochter, weil dieser ihm nicht passt, die Hölle heiß. Eines Abends kommt Haller betrunken und mit Taschen voller Geld nach Hause. Hat er sich zu einem Einbruch verführen lassen? Einen Tag später ist er tot. Findet Derrick den Zusammenhang?


Zbynek Brynych eroberte nach dem „Kommissar“ auch „Derrick“. Ringelmann – und nicht nur er – muss irgendetwas an ihm gefressen haben, der „Kult“-Status wird „Alarm auf Revier 12“ in Fankreisen immer wieder bestätigt. Was ich zuerst sehe, ist, dass mit Brynych die Tristesse der Schauplätze einkehrte. Grau und ocker geht es in dieser Folge zu: Gefängnismauern und -jacken, die Wohnung eines Knackis, Villen allerhöchstens bei Nacht und Gert Haucke mit einer Bande von Nichtstuern, deren Gesichtsfarben sich perfekt ins Farbschema eingliedern. Als zweites fällt Brynychs Humor auf, der an mir vorbeifährt wie ein ICE am Bahnhof Zoo. Aus heiterem Himmel beginnen alle möglichen Leute, in lautes Gelächter auszubrechen – dass selbst Horst Tappert einstimmt, nimmt auch ihm die Überlegenheit, die er ansonsten im Kreis der Gangster tough zu demonstrieren versucht. Ebenfalls als komische Einlage muss das Wunderkästchen der Einbrecher angesehen werden, mit dem sie die Alarmanlage ausschalten. Das kann Fleischmann Ross im Gefängnis aber nun wirklich nicht gegeben haben. Punkt 3 lässt sich in fünf Worte packen: „Theo, wir fahr’n nach Lodz“! Mit dem Schlager malträtiert Brynych Ohren und in praktischer Anwendung beim spontanen Körper- oder Magenbad Augen der Zuschauer für gefühlte 30 von 59 Minuten. Diese Zeit hätte der gute Mann lieber für etwas Spannungsarbeit nutzen sollen, denn in diesem Belang passiert nicht allzu viel in Folge 15.

Dabei sind die Voraussetzungen nicht schlecht: Ich mag es, wenn unter realistischen Umständen andere Abteilungen und Verbrechensarten in den Mordfall mit eingebunden werden. In diesem Fall handelt es sich um eine Einbruchsserie, die mit dem Mord an Herrn Haller (nachdrücklich Nikolaus Paryla) nicht ungeschickt verwoben wird. Auch das Thema Gefängnisentlassung ist für Reinecker erprobtes und durchaus funktionierendes Terrain – ich denke zum Beispiel an die „Kommissar“-Folge „In letzter Minute“ – und so überzeugt vor allem die mit Albert Ross’ (die Fantasie macht leicht den Albatros daraus) abschreckender Wirkung verbundene Unterdrückung der Familie. Rosemarie Fendel gehört, gerade in der Geständnis-Szene, einwandfrei zu den Pluspunkten.

Gert Haucke dominiert im Vergleich zu Fendel und Paryla „Alarm auf Revier 12“ nach meinem Empfinden nicht so sehr, wie ich es immer in Besprechungen lese. Er macht sich als Ekel natürlich ausgesprochen gut, verliert aber vor allem durch die teilweise lächerliche Inszenierung und das schwache Finale, in dem eine gute Gelegenheit für einen Ausraster seinerseits verschenkt wurde, an Gewicht (nicht bildlich gesprochen). Man hätte sich ruhig eines besseren Timings bedienen können: Das sonst immer sehr effektvolle Aufblenden von Vor- und Abspann wirkt jeweils etwas deplatziert, was im zweiten Fall auch daran liegen kann, dass zum ersten Mal das „Derrick“-Thema fehlt. In diesem Sinne, und weil es mir nicht mehr aus dem Kopf geht, stimme ich auch nochmal an: „Dies verdammte Nest gibt mir den Rest: Ich fühl mich zu jung für Mist und Dung. Theo, wir fahr’n nach Lodz!“

Der Abschluss der ersten „Derrick“-DVD-Edition ist kein uneingeschränktes Glanzlicht. Gewisse, vor allem schauspielere, Qualitäten erkenne ich mit Freude an, mit Brynych bin ich aber erneut nicht wirklich warm geworden. ’Mal sehen, wie es sich im Laufe der kommenden Boxen entwickelt. 3 von 5 Punkten.



Meine Rangliste zur Kollektion sieht wie folgt aus:

Platz 01 | ★★★★★ | Folge 001 | Waldweg (Haugk)
Platz 02 | ★★★★★ | Folge 009 | Paddenberg (Wirth)
Platz 03 | ★★★★★ | Folge 013 | Kamillas junger Freund (Vohrer)
Platz 04 | ★★★★★ | Folge 007 | Madeira (Grädler)
Platz 05 | ★★★★★ | Folge 003 | Stiftungsfest (Käutner)

Platz 06 | ★★★★☆ | Folge 014 | Der Tag nach dem Mord (Ashley)
Platz 07 | ★★★★☆ | Folge 005 | Tod am Bahngleis (Weidenmann)
Platz 08 | ★★★★☆ | Folge 011 | Pfandhaus (Haugk)

Platz 09 | ★★★★★ | Folge 004 | Mitternachtsbus (Grädler)
Platz 10 | ★★★★★ | Folge 006 | Nur Aufregungen für Rohn (Becker)

Platz 11 | ★★★☆★ | Folge 008 | Zeichen der Gewalt (Grädler)
Platz 12 | ★★★☆★ | Folge 002 | Johanna (Lindtberg)

Platz 13 | ★★★★★ | Folge 010 | Hoffmanns Höllenfahrt (Grädler)
Platz 14 | ★★★★★ | Folge 015 | Alarm auf Revier 12 (Brynych)
Platz 15 | ★★★★★ | Folge 012 | Ein Koffer aus Salzburg (Weidenmann)

Blap Offline




Beiträge: 1.128

05.11.2011 22:23
#180 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Die Fortsetzung der "Mega-Derrick-Sause"


Derrick - Collector's Box 6 (Folgen 76-90)

Folge 88 - Tod im See (Deutschland 1981)

Rudolf Wiegand (Robert Atzorn) gerät auf dem Starnberger See in einen Sturm, sein Segelboot kentert, Wiegand kann in letzter Sekunde gerettet werden. Auf Nachfrage der Rettungskräfte gibt er an, dass auch seine Ehefrau Ursula (Maria Sebaldt) an Bord gewesen sei, die anschliessende Suche bleibt jedoch erfolglos. Herr Randolf (Heinz Moog), der Vater der Vermissten, ist sofort fest davon überzeugt, dass sein Schwiegersohn nicht die Wahrheit sagt, Ursula aller Wahrscheinlichkeit nach sogar ermordet hat. Der ältere Herr sucht Derrick und Klein auf, die zunächst keinerlei Hinweise auf eine Straftat erkennen können. Als die Kriminalbeamten sich schliesslich ein Bild von Rudolf Wiegand machen, keimen erste Verdachtsmomente gegen den leicht reizbaren Burschen auf. Die Ehe der Wiegands war offenbar schon seit einiger Zeit schwer zerrüttet, Rudolf Wiegand unterhielt schon vor dem Verschwinden seiner Gattin ein Verhältnis zu Anita Kampe (Christiane Krüger). Ferner findet sich kein Zeuge, der Ursula Wiegand am Tag des Sturms auf dem Boot gesehen hat. Für Derrick besteht inzwischen kein Zweifel mehr, Ursula Wiegand wurde von ihrem Ehemann ermordet. Aber wo sollen die Ermittler ansetzen, die Leiche der Frau ist nicht auffindbar, eindeutige Zeugenaussagen sind gleichfalls Mangelware...

Robert Atzorn spielt einen Charakter am Rande des Irrsinns. Auf den zunehmenden Ermittlungsdruck reagiert er mit Gereizheit, verliert mehr und mehr die Kontrolle über seine Gedanken und Handlungen, bringt letztlich seine "Verbündete" gegen sich auf. Eine starke Vorstellung, konsequent unsympathisch und glaubwürdig. Christiane Krüger mutet zunächst wie das "typische blonde Liebchen" an, bietet aber dennoch mehr als eine hübsche Fassade. Sie glänzt in sehr starken Szenen mit Horst Tappert, in der Autor Herbert Reinecker seinem Hang zu philosophisch angehauchten Dialogen nachgibt. Heinz Moog tobt in der Rolle des zornigen Schwiegervaters und (eher nebenher) trauernden Vaters durchs Bild. Holger Petzold untermauert in einer kleinen Nebenrolle, die Fragwürdigkeit des von Atzorn dargebotenen Verdächtigen. Für Willy Schäfer (Berger) fallen erneut lediglich ein paar Krümel ab, er darf am Ende der Folge den Schrott aus dem Büro seiner Herrschaften entfernen.

Obwohl "Tod im See" nur ein kleines Ensemble auffährt, mutet diese Folge zu keiner Zeit wie ein Kammerspiel an. Herbert Reinecker hat weitaus packendere Geschichten erdacht, hier läuft alles viel zu schematisch ab, mangelt es an Höhepunkten und Griffigkeit. Die ausgelutschte "Zermürbungstaktik" zeugt ebenso von der wenig kreativen Arbeit Reineckers. Da kann auch -der von mir sehr geschätzte- Alfred Vohrer nicht viel ausrichten, mehr als brave Kost wird nicht geboten. Dank der üblichen Klasse der Schauspieler, wird der Fan immerhin zufriedengestellt, nachhaltigen Eindruck hinterlässt Folge 88 leider nicht. Erstaunlich, wo manch andere Episode durch (pseudo)-philosophische Dialoge (fast) beschädigt wird, sind diese Momente die bescheidenen Glanzlichter von "Tod im See". Immerhin klingt der Score von Frank Duval diesmal kantiger, erinnert teilweise an die Folgen aus der ganz frühen Phase der Reihe (1974-75), an denen Duval noch nicht beteiligt war. Insgesamt eine Folge aus dem Unterhaus der Reihe, die spürbar hinter dem Durchschitt (der bei gefühlten 7/10 liegt) zurückbleibt.

6/10 (obere Mittelklasse)

***

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