Ich komme ja gar nicht mehr hinterher ... Von mir aus könnte es ewig weitergehen mit Rupert Davies als Kommissar Maigret, und so freue ich mich natürlich auch über das Erscheinen von Volume Fünf.
“Maigret und die widerspenstigen Zeugen” (“The Reluctant Witness”)
Darsteller: Rupert Davies (Kommissar Jules Maigret), Ewen Solon (Lucas), Neville Jason (Lapointe), Victor Lucas (Torrence), Peter Sallis (Armand Lachaume), Ellen McIntosh (Paulette Lachaume), Gareth Tandy (Gaston Lachaume), Peter O’Shaughnessy (Lèonard Lachaume), Edward Jewesbury (Rechtsanwalt Radel), Patricia Mort (Vèronique Lachaume), John Gabriel (Jacques Sainval), Jean Cadell (Catherine), Walter Horsbrugh (Rechtsanwalt Barbarin), Allan McClelland (Dr. Gadelle ), Blake Butler (Jules Breme), Rosemary Rogers (Madame Gaudois), Evelyn Lund (Madame Lachaume), David Grahame (Monsieur Lachaume)
Regie: Gerard Gaister
Drehbuch: Anthony Steven
Literarische Vorlage: “Maigret und die widerspenstigen Zeugen” (“Maigret et les témoins récalcitrants") von Georges Simenon
“Kennst du die Lachaume-Biskuits?” (Maigret) “Nein, noch nie davon gehört.” (Lucas) “Ich war noch ein kleiner Junge, da gab es die schon in allen Geschäften. Diese Fabrik hier stellte die Biskuits schon damals her, und ich erinnere mich, dass diese Dinger einen ganz pappigen Geschmack hatten. Ich dachte, die Fabrik wäre längst pleite gegangen.” (Maigret)
“Glauben Sie, dass der Mörder Ihres Bruders mit der Absicht ins Haus gekommen ist, zu stehlen?” (Maigret) “Weiß nicht, ‘ne Fensterscheibe wurde eingeschlagen.” (Armand Lachaume) “Er hat den Safe nicht angerührt. Das ist doch eigenartig. Ihr Bruder wurde erschossen. Ihr Zimmer ist nur ein paar Meter von seinem entfernt, und Sie haben nichts gehört. Ist doch auch eigenartig, nicht?” (Maigret)
“Ich war noch im Badezimmer. Sind Sie an Einzelheiten interessiert?” (Paulette Lachaume) “Immer.” (Maigret)
“Die Biskuits verschlangen die Mitgift schneller als die Leute die Biskuits verschlangen, nehme ich an.” (Maigret)
“Du musst herauskriegen, wo sich Vèronique Lachaume aufhält. Sie ging vor zehn Jahren von zu Hause weg. Ein Foto ist nicht vorhanden. Vielleicht heißt sie nicht mehr Lachaume. In zwei Stunden hast du’s geschafft.” (Maigret) “Da sehe ich aber schwarz, Chef.” (Lapointe)
“Hat er ein Testament gemacht?” (Maigret) “Ein Testament? Lèonard? Was sollte er hinterlassen? Ein paar zerkrümelte Biskuits?” (Rechtsanwalt Barbarin)
“Von Zeit zu Zeit brauchen gerade die alten Familien frisches Blut.” (Rechtsanwalt Barbarin) “Und frisches Geld ...” (Maigret)
“Ich hoffe, Sie können auch verantworten, was Sie hier tun.” (Jacques Sainval) “Soviel ich sehe, habe ich Ihnen das Essen verdorben. Das tut mir leid.” (Maigret)
“Was für ‘ne Atmosphäre!” (Maigret) “Das ganze Haus ist eine einzige Mottenkiste.” (Lucas) “Ja. Was hier drin lebt, wird aufgefressen.” (Maigret)
Lèonard Lachaume, der gemeinsam mit seinem Bruder Armand eine vor dem Bankrott stehende Biskuitfabrik leitet, wird erschossen in seinem Bett aufgefunden. Sämtliche Familienmitglieder hüllen sich gegenüber Maigret in Schweigen und sind lediglich in Gegenwart ihres Anwaltes, Maitre Radel, bereit, seine Fragen zu beantworten. Keine ihrer spärlichen Aussagen bringt den Kommissar bei seinen Ermittlungen voran.
Erst durch die Befragung des Buchhalters Breme erhält Maigret brauchbarere Hinweise. Paulette Lachaume ist seit ihrer vor sechs Jahren geschlossenen Ehe mit Armand der gute Engel der Firma, und lediglich ihrer finanziellen Unterstützung ist es zu verdanken, dass das Traditionsunternehmen nicht bereits Konkurs anmelden musste.
Vèronique Lachaume, die Schwester des Ermordeten, hat bereits mit achtzehn Jahren ihre Familie verlassen und ist derzeit als Animierdame in dem Lokal “Amazonenclub” tätig. Ihr Liebhaber, der Reklamefachmann Jacques Sainval, unterhält gleichzeitig eine Affäre mit Vèroniques Schwägerin Paulette, die ernsthaft eine Scheidung von ihrem Mann erwägt. Die Lachaumes müssen fürchten, ihren letzten monetären Rückkhalt zu verlieren und dem Ruin entgegen zu gehen ...
Anmerkungen:
Zitat “Wenn man schon so lange bei der Polizei ist, glaubt man gewiss nicht mehr an den Weihnachtsmann, an die Welt der erbaulichen Bücher mit den Reichen auf der einen und mit den Armen auf der anderen Seite, mit den anständigen Leuten und den Taugenichtsen, mit den Musterfamilien, die wie auf einem Foto um einen lächelnden Patriarchen gruppiert sitzen. Manchmal jedoch klammerte er sich, ohne dass es ihm bewusst wurde, an Kindheitserinnerungen, und dieses oder jenes, was in der Wirklichkeit geschah, erschreckte ihn wie einen Halbwüchsigen. Selten war er so entsetzt gewesen wie bei Lachaumes. Er hatte dort wirklich das Gefühl gehabt, den Boden unter den Füßen zu verlieren, und noch jetzt spürte er den bitteren Nachgeschmack, hatte das Verlangen, von seinem Büro wieder Besitz zu ergreifen, sich bequem in einen Sessel zu setzen und mit seinen Pfeifen zu spielen, als ob er sich vergewissern wollte, dass es noch eine alltäglich Wirklichkeit gab.”
“Er setzte sich erst in aller Ruhe bequem hin, stopfte sich eine neue Pfeife, und der kleine eiserne Ofen am Quai de la Gare lies ihn wieder einmal sehnsüchtig an den fast gleichen Ofen zurückdenken, den er noch lange, nachdem man hier die Zentralheizung gelegt hatte, in seinem Büro behalten und den die Verwaltung ihm schließlich weggenommen hatte. Jahrelang hatte man über sein Steckenpferd gelächelt, zwanzig mal am Tage im Ofen zu stochern, denn er liebt es, den glühenden Aschenregen zu sehen, so wie er auch das Bullern liebte, das man bei jedem Windstoß hörte.”
“Den Ellenbogen auf den Schreibtisch gestemmt, das Gesicht in die linke Hand gestützt schrieb er ein paar Worte nieder, während er an seiner Pfeife zog, und starrte dann eine Weile auf das graue Rechteck des Fensters. Wie am Tage vor einer Prüfung, in jener Zeit, da er zwei Jahre lang Medizin studiert hatte, hatte er alle Berichte noch einmal durchgelesen, darunter dreimal das berühmte Inventarverzeichnis, das ihm allmählich zum Halse heraushing. Dennoch kam er sich weniger wie ein Student denn wie ein Boxer vor, der in weniger als einer Stunde, vielleicht in einigen Minuten um seinen Ruf und seine Laufbahn kämpfen und Pfiffe oder jubelnden Beifall ernten Würde.”
(Georges Simenon: Maigret und die widerspenstigen Zeugen”)
Da es sich bei “Maigret und die widerspenstigen Zeugen” um ein Spätwerk von Georges Simenon handelt, legt der Autor den Fokus auf gänzlich andere Dinge als der Drehbuchautor Anthony Steven. Der Kommissar ist in der literarischen Vorlage seines Amtes überdrüssig, was durch seinen Gegenspieler, den jungen, ehrgeizigen und sich ständig in Maigrets Ermittlungen einmischenden Untersuchungsrichter Angelot noch verstärkt wird. Der Kommissar sehnt sich nach der Vergangenheit, während ihm die Gegenwart, in der seine Methoden als überholt angesehen werden, nicht behagt. Auch wenn Maigret seine Kritiker durch den erfolgreichen Abschluss des Falles widerlegt, wird ihm am Ende nicht einmal mehr die Gunst zuteil, das finale Verhör persönlich führen zu dürfen. Statt dessen hält sich Untersuchungsrichter Angelot Maigrets Ermittlungserfolg selbst zugute. Während sich der Fall bei Simenon im November ereignet und das trübe Wetter Maigrets Melancholie noch weiter befördert, spielt die Fernsehadaption bei strahlendem Sonnenschein, und Rupert Davies agiert als Kommissar Maigret mit gewohnter Souveränität. Die Figur des Untersuchungsrichters Angelot wurde vollständig eliminiert, statt dessen erwähnt Maigret in der Verfilmung, dass er soeben mit Untersuchungsrichter Coméliau, der in der literarischen Vorlage bereits pensioniert ist, konferieren musste und äußert missgelaunt, wenn auch alles andere als ernst gemeint, dass er sich nach einer weiteren derartigen Zusammenkunft in den Ruhestand versetzen lassen wolle. Der Suizid eines der Beteiligten endet im Roman tödlich, während der Betreffende in der Verfilmung nach einem eher halbherzig unternommenen Selbstmordversuch in eine geschlossene Anstalt eingewiesen wird. Neben derlei gravierenden Änderungen enthält Anthony Stevens Drehbuch auch unbedeutendere Abweichungen wie beispielsweise die Automarke von Jacques Sainvals rotem Kabriolet: im Roman ist es ein Panhard, im Film eine Renault Floride.
Kongenial getroffen ist die Atmosphäre in der düsteren Villa der Familie Lachaume am Quai de la Gare. “Ich verstehe nicht, wie man hier leben kann.” konstatiert der Polizeiarzt Dr. Gadelle sehr bezeichnend bereits zu Filmbeginn. Die äußerere Fassade ist zwar noch halbwegs intakt, aber der Verfall ist dennoch unübersehbar, was sowohl auf den Zustand des Hauses als auch auf die Familie Lachaume zutrifft. So ist es nicht verwunderlich, dass in dem alten Gemäuer keinerlei positive Gefühle gedeihen sondern statt dessen seelische Deformationen. Allerdings reagiert Kommissar Maigret im Roman noch weitaus konsternierter auf die dortigen Verhältnisse als in der Verfilmung.
Nachdem sich Inspektor Lognon in “Maigret und die Gangster” sozusagen in Ausübung seiner beruflichen Pflicht einen veritablen Vollrausch antrank, ist es dieses Mal die unverwüstliche Frohnatur Lucas, der während seines Verhörs mit dem Kapitän eines holländischen Schleppkahns zu tief ins Glas schaut und in angeheitertem Zustand an den Quai des Orfèvres zurückkehrt, wo er von seinem Vorgesetzten zwar mit einem tadelnden Blick aber auch mit Lob für seine erfolgreiche Ermittlungstätigkeit empfangen wird.
“Maigret und die widerspenstigen Zeugen” wartet mit zwei Premieren auf. Erstmals gelangt der Zuschauer in den Genuss von professionell vorgetragener Musik, wobei das improvisierte Intermezzo von Eric Thompson als Barpianist Pierre Eyraud in “Hier irrt Maigret” vernachlässigenswert ist. Allerdings interpretiert Celeste Gray kein französisches Chanson sondern einen Blues. Außerdem markiert die Episode den ersten Auftritt von Dr. Gadelle, dem mit einem wunderbaren Sinn für Sarkasmus ausgestatteten Polizeiarzt. In “Maigret und der Mann auf der Bank” wird ihm der Zuschauer erneut begegnen, während sein Darsteller Allan McClelland (1917–1989) bereits in “Maigret und die Anarchisten” in der gänzlich anders gearteten Rolle des Armand Lecocq d’Arneville zu sehen war.
Herzlichen Dank für die - wie immer - sehr interessanten Fortsetzungen Deiner Maigret-Kommentationen, liebe Cora Ann! Weiter so! Beste Grüße von Berthold
Darsteller: Rupert Davies (Kommissar Jules Maigret), Helen Shingler (Madame Maigret), Ewen Solon (Lucas), Neville Jason (Lapointe), Thomas Heathcote (Moss), Maria Andipa (Gloria), John Carson (Rechtsanwalt Paul Liotard), Edwin Richfield (Untersuchungsrichter Goudart), Edwin Richfield (Frans Steuvals), Barbara New (Fernande Steuvals), Frank Shelley (Claude Benoit), Mary Barclay (Madame Galaza)
Regie: Gerard Glaister
Drehbuch: Roger East
Literarische Vorlage: “Frau Maigret als Detektiv” / “Madame Maigrets Freundin” (“L'amie de Madame Maigret”) von Georges Simenon
Der folgende Beitrag enthält Spoiler.
“Ich nehme an, Sie wollen Madame Steuvals jetzt verhören.” (Paul Liotard) “Verhören? Dieses Wort liebe ich nicht. Ich möchte sie etwas fragen.” (Maigret)
“Merken Sie sich eins, Madame, wenn Ihr Mann unschuldig ist, brauchen Sie nichts zu verbergen. Überlegen Sie sich das.” (Maigret)
“Ja, gut. Wenn wir den Taxifahrer finden, dann ...” (Lucas) “Du hast ja dein System. In drei Wochen wirst du ihn haben.” (Maigret)
“Hallo? So ein Mist! Brieftauben sollte man nehmen.” (Maigret beklagt die Unzuverlässigkeit des Telefons)
“Du hättest allerdings eine Belohnung verdient, denn durch dich wissen wir jetzt wahrscheinlich, wer in der Heizung verbrannt wurde ... Wenn es stimmt, kaufe ich dir den schicksten weißen Hut von Paris.” (Maigret) “Bravo, Madame! Sie wären eine gute Polizeibeamtin.” (Lucas) “Ach was! Ich habe nur die Augen aufgemacht und mir von keinem Fachmann etwas ausreden lassen.” (Madame Maigret)
“Ach, Liebling, vergiss nicht, heute gibt es Hühnchen. Sei bitte pünktlich.” (Madame Maigret) “Ich vergesse es nicht, und bitte lass es nicht verbrennen.” (Maigret)
“Der ”Lumiere”? Seit wann liest du den denn?” (Madame Maigret) “Er ist mein Leib- und Magenblatt.Hör zu. Maitre Paul Liotard, der Anwalt von Frans Steuvals, protestierte gegen den groß angelegten Bluff, durch den die Polizei versucht, seinen Klienten einzuschüchtern. Er wendet sich ganz entschieden gegen Kommissar Maigrets Behauptung, dass Steuvals ein Geständnis ablegen werde und bereit sei, die Namen seiner Komplizen nennen.” (Maigret) “Stimmt das denn nicht?” (Madame Maigret) “Ist das Huhn schon verbrannt?” (Maigret)
“Ich habe mich mit Brizard angefreundet und bin bei ihm auf ‘ner Party.” (Lapointe) “Ach wirklich. Hoffentlich ist es nett.” (Maigret) (Lapointe bekommt einen leidenschaftlichen Kuss.) “Ne Wolke!” (Lapointe - etwas außer Atem) “Da rufst du mich mitten in der Nacht an, um mir das mitzuteilen?” (Maigret)
“Wollen Sie jetzt darüber sprechen oder warten, bis Richter Goudart dabei ist?” (Maigret) “Äh, ich ...” (Paul Liotard) “Ich kann Ihr Zögern gut verstehen. Vielleicht sollten Sie sich nach einem Verteidiger umsehen.” (Maigret)
“Sie als Vertreter des Rechts, der geschworen hat, der Wahrheit und dem Gesetz zu dienen. Ich bedaure, Maitre.” (Untersuchungsrichter Goudart) “Liotard - Meine Ehre ist mein Leben ...” (Maigret)
“Wie lange soll ich noch hier als Speck in der Mausefalle herumhocken?” (Lapointe) “Hier ist keine Maus ...” (Maigret)
“Sie hätten ihn uns überlassen sollen. Wir werden dafür bezahlt.” (Maigret)
Unerhörte Dinge ereignen sich im Hause von Kommissar Maigret: seiner liebenden Ehefrau ist das Essen verbrannt. Wie konnte es dazu kommenn, dass Frankreichs berühmtester Kriminalist zu Mittag statt mit Hühnchen lediglich mit Weißbrot und Käse Vorlieb nehmen muss?
Madame Maigret macht auf einer Bank im Antwerpenpark die Bekanntschaft einer Italienerin. Die junge Frau trägt einen extravaganten weißen Hut und Maßschuhe, deren Eleganz nicht zu ihrem billigen blauen Kostüm passen. Plötzlich überlässt sie ihr Kind der Obhut von Madame Maigret und verschwindet überstürzt. Die Kinderliebe der Gattin des Kommissars wird auf eine harte Probe gestellt, denn erst über eine Stunde später kehrt die Mutter zurück und entschwindet sogleich wieder mit ihrem Sohn ohne ein Wort des Dankes. Durch diesen Zwischenfall kann Madame Maigret weder ihren Termin beim Zahnarzt wahrnehmen noch ihrem Mann ein angemessenes Mittagessen servieren.
Kommissar Maigret ist seit drei Wochen mit dem Fall Frans Steuvals beschäftigt. Der Buchbinder aus der Rue de Turenne sitzt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft, da zwei Mitarbeiter der Müllabfuhr in den Aschetonnen seines Hauses halbverbrannte Knochen und Zahnreste gefunden haben. Maitre Paul Liotard, dessen Ehrgeiz nur noch von seinem Standesdünkel übertroffen wird, hat die Verteidigung von Steuvals übernommen.
Das seltsame Erlebnis seiner Frau amüsiert Kommissar Maigret und er verspricht auf ihr Drängen hin, die Hintergründe merkwürdigen Vorfalls zu erhellen.
Madame Maigret stellt eigene Ermittlungen an, die ergeben, dass der auffällige weiße Hut sich im Besitz der Gräfin Panetti, einer notorischen Lebedame, befand, die ihn allerdings verschenkt hat, da er für eine Frau ihres fortgeschrittenen Alters zu ausgefallen war. Einige Tage später findet man in Neuilly am Ufer der Marne die Leiche der Gräfin Panetti. Sie ist in ihrem Wagen erschossen worden.
Madame Maigrets ungewöhnliche Bekanntschaft im Park und ihre Nachforschungen ermöglichen es ihrem Mann, einen Zusammenhang zwischen dem Fall Steuvals und dem Mord an der Gräfin herzustellen ...
Anmerkungen:
Zitat “Maigret musste mühsam ein Lächeln unterdrücken, denn es war das erste Mal, dass die schüchterne Madame Maigret sich in eine Untersuchung einmischte und ebenso bestimmt das erste Mal, dass sie einen Hutsalon im Opernviertel betreten hatte.”
“Und am nächsten Morgen hatte Maigret, weil die Sonne wieder so frühlingshaft schien, in der Badewanne sogar gesungen. Er hatte den ganzen Weg zum Quai des Orfèvres zu Fuß gemacht; in allen Straßen war es sonntäglich still gewesen, und es war immer für ihn eine besondere Freude, wenn er am Quai durch die weiten Flure kam und durch die überall offen stehenden Türen die unbenutzten Schreibtische sah.”
(Georges Simenon: “Frau Maigret als Detektiv”)
Drehbuchautor Roger East hat sowohl unbedeutende als auch gravierende Veränderungen an Georges Simenons Roman vorgenommen. Einige Nebenfiguren wie der Privatdetektiv Alfonsi sowie der Bildhauer Grossot und seine Familie wurden eliminiert. Der Vorname von Rechtsanwalt Liotard wurde von Philippe zu Paul verändert, und der Name des für den Fall Steuvals zuständigen Untersuchungsrichters wurde von Dossin zu Goudart modifiziert. Glorias Sohn ist im Roman bereits zwei Jahre alt, während es sich in der Verfilmung um ein Baby handelt. Die Verbrechen hat in der Fernsehadaption ein Anderer begangen als in der literarischen Vorlage. Bei Simenon handelt es sich um einen Gangster der unter den Pseudonymen Levin und Schwartz agiert, und den gesamten Roman über gar nicht persönlich in Erscheinung tritt, sondern von den übrigen Beteiligten nur erwähnt wird, während der Hauptäter der Verfilmung im Roman lediglich Levins Handlanger ist und dort auch in keiner persönlichen Beziehung zu der jungen Frau und ihrem Kind steht. Zudem wird sein Charakter gänzlich anders gezeichnet als bei Roger East, wo es sich nicht um eine gescheiterte, bemitleidenswerte Existenz handelt, die später geradezu folgerichtig Selbstmord verüben wird, sondern um einen skrupellosen Berufsverbrecher. Laszlo Krynker ist bei Simenon der Schwiegersohn der Gräfin Panetti, während er in der Verfilmung ihr Liebhaber ist. Das dürfte allerdings weniger ins Gewicht fallen, da der junge Mann in jedem Fall ausschließlich am Vermögen der Dame interessiert ist. Der Mordversuch an Frans Steuvals, den dessen Frau im Roman lediglich befürchtet, wird in der Verfilmung tatsächlich vollzogen. Völlig verändert ist der im Roman eher banal gestaltete Schluss, der in der Fernsehadaption weitaus spannender in Szene gesetzt wurde. Er zeigt eine zu nächtlicher Stunde unternommene, großangelegte Polizeiaktion zur Ergreifung des Verbrechers und gipfelt in einem dramatischen Finale.
Erstmals betätigt sich Madame Maigret als private Ermittlerin und versorgt ihren Gatten mit wichtigen Informationen, was dieser dankbar registriert, es aber dennoch nicht unterlassen kann, seine Frau die gesamte Episode damit zu necken, dass ihr das Essen verbrannt ist. Eine Premiere ist auch ihr Besuch im Büro ihres Mannes am Quai des Orfèvres, während sie sich in der literarischen Vorlage am Boulevard Richard-Lenoir über die Ergebnisse ihrer Nachforschungen äußert. Der im Roman geschilderte gemeinsame Kinobesuch des Ehepaars wäre gewiss eine schöne Ergänzung für die Fernsehversion gewesen. Die Kinderliebe der Beiden, denen nach dem schmerzlichen Verlust ihrer kleinen Tochter leider kein weiterer Nachwuchs vergönnt war, äußert sich in Madame Maigrets Begeisterung über das entzückende Baby sowie in dem strahlenden Lächeln ihres Mannes, als er ihrer Erzählung lauscht.
Der Roman “Frau Maigret als Detektiv” markiert den ersten Auftritt des jungen Inspektors Albert Lapointe, während er in der Serie von Beginn an präsent ist. Die von väterlicher Güte seitens Maigret und von tiefempfundenem Respekt von Seiten Lapointes getragene Beziehung wird von Rupert Davies und Neville Jason wunderbar adäquat umgesetzt. Nur geringfügig und kurzzeitig trübt sich das Verhältnis zwischen Maigret und Lapointe, als der junge Inspektor gegenüber seiner Schwester Marie-Louise (im Roman ist ihr Name Germaine) ein dienstliches Geheimnis ausplaudert und sie diese an ihren Geliebten, einen Boulevardjournalisten, weitergibt. Dessen Zeitungsartikel warnt den gesuchten Verbrecher und bewegt ihn dazu, seinen derzeitigen Schlupfwinkel zu verlassen und zu fliehen. Da gezielte Indiskretionen durchaus auch ihr Gutes haben können, wird Lapointes Schwester erneut mit Informationen versorgt, dieses Mal jedoch ganz und gar im Sinne von Maigret. Noch unorthodoxer ist die Methode des Kommissars, Lapointe einen Koffer, der Belastungsmaterial gegen Steuvals enthält, schlicht und einfach entwenden zu lassen.
Lucas unternimmt in dieser Episode den zaghaften Versuch, mittels einer grafischen Darstellung die Ermittlungsarbeit zu modernisieren. Maigret lässt ihn zwar gewähren, vertraut jedoch lieber seinen bewährten Methoden.
Gaststar John Carson (*28.02.1927 in Colombo / damals Ceylon) verkörpert den Rechtsanwalt Liotard in großartiger Entsprechung zu Simenon als einen von Ehrgeiz zerfressenen, auf seine aristokratische Herkunft pochenden und mit keinerlei moralischen Skrupeln belasteten Widerling. Auch sein scheinbar heroisches Ende, als dass er es wohl gern verklären möchte, wird von Kommissar Maigret als das durchschaut, was es ist: bloße Angabe. Der Schauspieler mit der düster wirkenden Physiognomie wurde häufig als Schurke besetzt, besonders in Horrorfilmen wie beispielsweise als diabolischer Landjunker in “Nächte des Grauens” (“The Plague of the Zombies” (1966)
“Mein Freund Maigret” - Rupert Davies und die Rolle seines Lebens
Hommage eines nachgeborenen Fans
“Mein” Maigret - das war Jean Gabin. Felsenfest war diese Überzeugung in mir verankert, seitdem ich die Ikone des französischen Kinos in dem Spielfilm “Maigret kennt kein Erbarmen” zum ersten Mal als Kommissar Jules Maigret gesehen hatte. Natürlich war es naheliegend - der berühmteste französische Detektiv, wenn auch von einem belgischen Schriftsteller ersonnen, musste auch von einem Franzosen verkörpert werden. “Kommissar Maigret stellt eine Falle” und “Kommissar Maigret sieht rot” zementierten meine Meinung.
Bis zu jenem Tag im Juli 2015 als ich mich entschied, die erste Staffel einer Serie auf DVD zu erwerben, von der ich bis dahin lediglich gehört hatte: “Kommissar Maigret” mit einem gewissen Rupert Davies in der Titelrolle. Ein Engländer, der einen der berühmtesten Charaktere der französischen Literatur verkörpert? Unglaublich. Ich war skeptisch, doch das einhellige Lob für diese Serie weckte meine Neugier auf etwas, das lange vor meiner Geburt auf deutschen Bildschirmen zu sehen und mir daher vollkommen fremd war.
Ein Musette-Walzer, dessen höchst eingängige Melodie zugleich beschwingt und dennoch melancholisch klingt. Ein Mann, der ein Streichholz an einer Wand anreißt und miteinem wissenden Lächeln seine Pfeife entzündet. Das war er also: Rupert Davies als Kommissar Maigret. Ein Mann von imposanter Statur, dessen Auftreten geprägt ist von gelassener Autorität, jemand, der ganz und gar in sich selbst ruht. Von der Natur beschenkt mit einem Charakterkopf und einem offenen, sogleich Vertrauen erweckenden Gesicht mit ausdrucksvollen Augen, die tiefe Mitmenschlichkeit und einen wachen Verstand offenbaren - all das zog mich sogleich in seinen Bann. Georges Simenon hat seine berühmte Schöpfung Jules Maigret auf unverwechselbare Weise beschrieben, wobei der Familienname sich in schöner Ironie von "maigre" (mager) ableitet. Vergleicht man Simenons Worte mit dem Gesicht von Rupert Davies, so ist die Ähnlichkeit in der Tat frappierend. Des öfteren schwelgt die Kamera geradezu in Großaufnahmen dieses Antlitzes, in dem Güte und Verschmitztheit, Härte und Sanftmut sich auf wunderbare Weise ergänzen.
Bereits wenn er in der ersten Episode “Maigret und die Tänzerin Arlette” die Stufen zu seinem Büro hinaufstapft, scheint Rupert Davies’ Maigret direkt den Seiten der Romane von Georges Simenon entstiegen zu sein. Früher hätte ich zwischen dem filmischen und dem literarischen Maigret keinerlei Vergleiche anstellen können, denn erst meine Faszination für Rupert Davies und seinen Kommissar Maigret bewegte mich zur Lektüre von Simenons Werken. Und natürlich mussten es unbedingt die Ausgaben der nur noch antiquarisch verfügbaren Heyne Taschenbücher sein, denn deren Titelseiten ziert der gebürtige Liverpooler.
Binnen kürzester Zeit war mir sein Kommissar Maigret vertraut, als hätte ich ihn immer schon gekannt. Seine Warmherzigkeit und sein sanfter Humor ließen mich ihn sogleich in mein Herz schließen. Nichts Menschliches ist ihm fremd, seine Toleranz macht nur Halt vor Infamie und Niedertracht. Maigrets väterliche Güte lässt ihn zum Beispiel einem sich zu Unrecht selbst des Mordes bezichtigenden jungen Mann liebevoll übers Haar fahren (“Maigret und der Kopflose”), ein von ihm festgenommener jugendlicher Dieb darf vor dem Verhör zunächst erst einmal etwas essen (“Maigret als möblierter Herr”) und ein völlig verzweifelter Neunzehnjähriger, den Maigret soeben von einem Mord abgehalten hat, wird von ihm sanft ermahnt, sich die Haare zu kämmen, da er ihn anschließend zum Essen einladen möchte (“Maigret und sein Revolver”). Er ist sogar bereit, ihm bisher völlig fremden Menschen finanziell auszuhelfen wie etwa der jungen Tänzerin Nina Moinard in “Maigret und der Schatten am Fenster” und Francois Lagrange in “Maigret und sein Revolver”. Wenn Kommissar Maigret seine gewohnte Ruhe einmal verliert und aufbraust, so ist es stets dem Ernst der jeweiligen Situation geschuldet, zum Beispiel wenn er es mit einem besonders widerwärtigen Kriminalfall zu tun bekommt wie mit den Verbrechen der “Metzger der Picardie” in “Maigret und sein Toter” oder wenn man ihm ganz offensichtlich die Wahrheit vorenthält. So wird er in “Maigret und die alte Dame” gegen einen der am Verbrechen Beteiligten ebenso massiv handgreiflich wie er beispielsweise in “Maigret und die Gangster” sowie in “Maigret vor dem Schwurgericht” kriminelle Elemente mit physischem Nachdruck und Verbalinjurien zu einer Aussage bewegt.
Georges Simenon staffiert seinen Maigret unter anderem mit einem Mantel mit Samtkragen sowie mit einer Melone aus, doch bereits die literarische Figur hat sich in “Maigrets Memoiren” dagegen höchstpersönlich verwahrt. So ist es nur nur konsequent, dass Rupert Davies als Maigret einen Trilby und einen Trenchcoat oder einen schweren dunklen Mantel trägt, was ihm ausgezeichnet steht. Sein bevorzugtes Kleidungsstück ist zumindest in den frühen Episoden ein Nadelstreifenanzug. Darüber hinaus erlebt der Zuschauer den Kommissar des öfteren in Hemdsärmeln sowie in einem eleganten Morgenmantel und sogar im Pyjama.
Zu Kommissar Maigrets unverzichtbaren Utensilien gehört selbstverständlich die geliebte Pfeife, wobei er meist die gerade “Straight” raucht und nur in “Maigret als möblierter Herr” die gebogene “Bent”. In “Maigret und der Weihnachtsmann” schenkt ihm seine Frau eine Meerschaumpfeife nebst seinem Lieblingstabak, was ihn vor Freude strahlen lässt.
Ebenso undenkbar ist Maigret ohne seine ausgeprägte Neigung zum Alkohol: Calvados, Pernod, Pastis, Whisky, Weißwein, Chartreuse, Chianti, Champagner und immer wieder sein geliebtes Bier. Außer der Anregung seines Appetites durch einen Aperitif in der Brasserie “Dauphine” - die leider in der Serie nur erwähnt und nicht auch gezeigt wird - und der Linderung seines Durstes dient Maigret der Genuss von Alkohol selbstredend auch dem Knüpfen sozialer Kontakte. Wie leicht man einen Wirt zum Reden bringt, wenn man ihm nur versichert, wie ausgezeichnet sein Wein schmeckt. Wie schnell der Alkohol die Zunge eines Anderen lösen kann. Wie angenehm es sich bei einem Gläschen plaudern lässt.
"The moment Simenon saw me he shouted: "C'est Maigret, c'est Maigret. You are the flesh and bones of Maigret! ... That was a wonderful beginning. Then he drove us to his lovely château in the village of Enchandens, where I met his wife. Later he began to coach me in Maigret's idiosyncrasies.” erinnert sich Rupert Davies. Diese Eigenheiten sind vor allem der häufige Griff zum Gesicht: das Aufstützen des Kinns auf die Faust, das Kratzen am Kopf, das Zupfen am Ohrläppchen, das Durchfahren der Haare mit beiden Händen. Gesprächspartner werden in den Oberarm oder vor die Brust geboxt, zum Trost wird der Arm um den Betreffenden gelegt. Darüber hinaus das häufige Aufstützen auf Möbelstücke: Stühle werden oft rittlings in Beschlag genommen, auf Schreibsekretäre und anderes Mobiliar wird einer der Füße abgestützt. Rupert Davies als Kommissar Maigret ist sich seiner beeindruckenden Physis wohlbewusst, etwa wenn er häufig mit hinter dem Kopf verschränkten Armen die breiten Schultern reckt. Wenn Maigret zu einer handfesten Auseinandersetzung herausgefordert wird, so scheut er diese nicht, selbst wenn sie wie in “Maigret und die schrecklichen Kinder” in einem Kampf auf Leben und Tod kulminieren.
Doch was wäre dieser lebenskluge, einfühlsame Mann ohne die wunderbare Frau an seiner Seite? Helen Shingler (geboren am 19. August 1919 in London / andere Quellen geben den 29.08. 1919 an) verfügt als Madame Maigret über ebensoviel Herzenswärme wie gesunden Menschenverstand. Sie und Rupert Davies harmonieren so großartig, dass der Zuschauer nicht auch nur eine Minute den Eindruck hat, hier verkörperten lediglich zwei Schauspieler ihre Rollen, sondern man empfindet es, als seien die Beiden das, was sie so grandios darstellen: ein in tiefer Liebe verbundenes, mit einander älter gewordenes Ehepaar. Alle Blicke, Worte und Gesten zwischen ihnen sind erfüllt von einer herzerwärmenden Zärtlichkeit, wodurch Rupert Davies und Helen Shingler die Beziehung zwischen Jules und Louise Maigret weitaus inniger gestalten als in den Romanen von Georges Simenon. Gelegentliches liebevolles Frotzeln stört die Harmonie nicht, etwa wenn sie in “Maigret nimmt Urlaub” wohl nicht zu Unrecht annimmt, er verbringe einen Großteil seiner Freizeit in Cafès, während er sie in “Frau Maigret als Detektiv” die gesamte Episode damit aufzieht, dass ihr - allerdings ohne ihr Verschulden - das Mittagessen verbrannt ist. Selbst wenn die Maigrets, was selten genug vorkommt, einmal verschiedener Meinung sind wie in “Maigret und die Adligen” so dauert der Zwist nur kurze Zeit, und das Ehepaar findet zu seiner gewohnten Harmonie zurück. Die große Tragik im Leben der Maigrets ist der Verlust ihrer Tochter. Das Mädchen ist im Alter von drei oder vier Jahren an einer schweren Krankheit verstorben. Weitere Kinder blieben ihnen versagt, und noch immer ist der Tod ihres Kindes eine offene Wunde für Madame Maigret, denn als eine Nachbarin in “Maigret und der Weihnachtsmann” ebenso takt- wie gedankenlos das Ereignis erwähnt, ringt die sanfte Gattin des Kommissars mit den Tränen. Die tiefe gegenseitige Liebe der Maigrets hat das Ehepaar auch diesen Schicksalsschlag bewältigen lassen.
Selbst der scharfsinnigste Kriminalist benötigt Mitarbeiter, und so verfügt Kommissar Maigret mit Lucas, Lapointe und Torrence gleich über deren drei. Jeder der Inspektoren - die sich, was Lucas und Torrence angeht, in der physischen Erscheinung ihrer Darsteller deutlich von Simenons literarischen Vorlagen unterscheiden - bringt unterschiedliche, doch stets unterhaltsame Nuancen in das Büro am Quai des Orfèvres. Der gebürtige Neuseeländer Ewen Solon (07.09.1917 – 7.07.1985) verkörpert den treuen Lucas - keiner von Maigrets Assistenten steht dem Kommissar häufiger zur Seite - als eine Mischung aus pflichtbewusstem tough guy und charmantem, keinem Flirt abgeneigten Witzbold. Neville Jason (29.05.1934 - 16.10.2015) verkörpert den jungen, attraktiven Inspektor Lapointe, für den Kommissar Maigret väterliche Gefühle hegt. Der zunächst schüchterne Kriminalist wandelt sich von der ersten zur zweiten Staffel zu einem selbstbewussten Mitarbeiter, der nicht mehr wie noch in “Maigret hat Skrupel” verschämt ein Dessousgeschäft aufsucht, um Informationen über dessen Mitinhaberin zu erhalten und in “Maigret und die Bohnenstange” seinem Chef in förmlicher Amtssprache Bericht erstattet wobei er sich vor Eifer verhaspelt, sondern er rettet beispielsweise in “Inspektor Lognons Triumph” während eines Feuergefechtes mit einem Gangster einem verwundeten Gendarmen das Leben, in dem er ihn aus der Schusslinie zieht. Kommissar Maigret ist Lapointes erklärtes Vorbild, und so ist es nicht verwunderlich, dass der junge Mann wie dieser des öfteren einen Nadelstreifenanzug trägt und sich in “Inspektor Lognons Triumph” zum Verhör des international operierenden Hochstaplers “Commodore Bresson” kess eine Pfeife zwischen die Lippen steckt und kurzerhand in Maigrets Bürosessel Platz nimmt. Die Anwesenheit von Lapointe und Lucas in der selben Episode bürgt zumeist für besonders amüsante Momente, denn der “Kleine” wird von seinem “Vater” Maigret und seinem “großen Bruder” Lucas des öfteren liebevoll geneckt, wobei der einst so zurückhaltende junge Mann mittlerweile dem um keine freche Bemerkung verlegenen Lucas häufig Kontra gibt. Victor Lucas (12.07.1919 - 17.11.2000) - wie sein Kollege Neville Jason ein gebürtiger Londoner - steht seit “Maigret und die Gangster” als Inspektor Torrence seinem Chef zur Seite. Die überdimensionale und gutmütige Frohnatur - Mademoiselle Adrienne bezeichnet ihn in “Maigret und die Gangster” nicht zu Unrecht als “Riesen-Baby” - hat eine Neigung zu forschem, doch leider nicht immer intelligentem Handeln. Torrence scheut keine physische Auseinandersetzung, dafür mangelt es ihm in entscheidendem Maße an Feingefühl. Die Zahl der Einsätze von Maigrets Assistenten ist unterschiedlich. Während der treue Lucas auf 50 Episoden kommt, sind Lapointe in 29 und Torrence in 25 Folgen zu sehen. Der in Simenons Romanen häufig auftretende Inspektor Janvier wird in einer Art Running Gag in nahezu jeder Folge erwähnt, doch tritt er niemals persönlich in Erscheinung.
Die gesamte Ausstattung dieser nicht-englischsten aller englischen Serien atmet ganz und gar französische Atmosphäre: seien es die gemütliche Wohnung der Maigrets, das behagliche Büro des Kommissars, die Gaststuben und Hinterzimmer der Bistros und Restaurants, die Ladengeschäfte und Büros, die mondän möblierten Villen der Begüterten, die bescheidenen Wohnungen der Mittel- und Unterschicht sowie die Behausungen der “verkrachten Existenzen”. Das größte Lob gebührt in dieser Hinsicht der Production Designerin Eileen Diss (geboren am 13.05.1931).
“Kommissar Maigret” ist ein Gesamtkunstwerk, zu dessen unvergänglichem Zauber viele Faktoren beitragen, doch wäre es undenkbar ohne die faszinierende Gestaltung der Titelrolle durch Rupert Davies. Viele seiner Filme habe ich mir inzwischen aufgrund meiner Begeisterung über seinen Maigret angesehen, und in nahezu allen seiner Rollen fand ich etwas von dem Kommissar aus Paris wieder. Väterliche Güte, Mitmenschlichkeit, Verständnis und gelassene Selbstsicherheit strahlen sie alle aus, seien es der Rechtsanwalt David Morton in “Der Onkel” (1965), der im fortgeschrittenen Alter noch einmal Vater eines kleinen Jungen geworden ist, die couragierten Geistlichen - übrigens war Pfarrer der eigentliche Berufswunsch von Jules Maigret - Monsignore Ernst Müller in “Draculas Rückkehr” (1968) und John Lowes in “Der Hexenjäger” (1968), der Geheimdienstagent George Smiley in “Der Spion, der aus der Kälte kam” (1966), der mit seiner Vaterliebe zu kriminellen Aktivitäten erpresste Physiker Professor Jules Merlin in “Die 13 Sklavinnen des Dr. Fu Man Chu” (1966), und selbst der gravitätische General Alexander Gordon in dem Monumentalfilm “Waterloo” (1970) erwähnt, dass einige seiner Soldaten ihn anders als lediglich mit seinem militärischen Rang ansprechen dürften. Die adäquate Bezeichnung dürfte ohne jeden Zweifel Vater sein.
Am 22. Mai 2016 jährt sich zum hundertsten Male der Geburtstag von Rupert Davies, am 22.11.2016 gedenken wir seines 40. Todestages. Manchen Schauspielern genügt lediglich eine einzige Rolle, um für immer in den Herzen der Menschen präsent zu sein: Rupert Davies ist dies mit seinem Kommissar Maigret unbezweifelbar gelungen.
Rupert Davies als David Morton in "The Uncle" ("Der Onkel") (1965)
Rupert Davies als Dr. Richard Campbell in "Danger Tomorrow" ("Tödliches Wissen") (1960)
Rupert Davies als Monsignore Ernst Müller in "Dracula Has Risen from the Grave" ("Draculas Rückehr") (1968) und als John Lowes in "Witchfinder General" ("Der Hexenjäger") (1968)
Rupert Davies als George Smiley in "The Spy Who Came in from the Cold" ("Der Spion, der aus der Kälte kam") (1965) und als Colonel Alexander Gordon, 4th Duke of Gordon in "Waterloo" (1970)
Abschließend ein Ausschnitt aus einem Interview, das Rupert Davies am 13.11.1961 mit Roy Plomley führte:
@Berthold Deutschmann & @Lord Peter Herzlichen Dank für euer beständiges, liebenswürdiges Feedback. Ich freue mich sehr darüber.
ich habe inzwischen die Staffeln 1-3 erworben und natürlich inzwischen auch schon angesehen.
Staffel 4 + 5 werde ich mir demnächst auch zulegen.
Die Ankündigung der LETZTEN STAFFEL, Vol.5, sagt aber leider auch aus, dass
folgende 6 Teile FEHLEN WERDEN !!! Vielleicht hat jemand eine Kopie ...
Grüße haui
1. Maigret Maigret und der Minister (30) 2. Maigret Maigret und die sonderbaren Geschwister (34) 3. Maigret Maigret stellt eine Falle (36) 4. Maigret Maigret im Luxushotel (40) 5. Maigret Maigret und die Unbekannte (41) 6. Maigret Maigret und der Sonntagsmörder (49)
"wat nu ?"
Hier meine Aufstellung !
MAIGRET Vol. 1 Rupert Davies 1. Maigret und die Tänzerin Arlette (Murder in Montmartre) 2. Maigret hat Skrupel (Unscheduled Departure) 3. Maigret und die Bohnenstange (The Burglar's Wife) 4. Maigret und sein Revolver (The Revolver) 5. Maigret in der Liberty Bar (Liberty Bar) 6. Maigret und der tote Herr Gallet (A Man of Quality) 7. Mein Freund Maigret (My Friend the Inspector) 8. Hier irrt Maigret (The Mistake) 9. Maigret nimmt Urlaub (On Holiday) X als Bonusfolge "Maigret und die alte Dame" (The Old Lady)
MAIGRET Vol. 2 Rupert Davies 1. Maigret und die Gangster (The Experts) 2. Maigret als möblierter Herr (The Cactus) 3. Maigret unter den Anarchisten (The Children's Party) 4. Maigret und der Schatten am Fenster (Shadow Play) 5. Maigret und der Kopflose (The Simple Case) 6. Maigret trifft einen Schulfreund (Death of a Butcher) 7. Maigret und sein Toter (The Winning Ticket) 8. Maigret und Inspektor Lognons Trumph (Inspector Lognon's Triumph) 9. Maigret und der geheimnisvolle Kapitän (The Lost Sailor)
MAIGRET Vol. 3 Rupert Davies 1. Maigret und die Kanalratten (The Golden Fleece) 2. Maigret vor dem Schwurgericht (Raise Your Right Hand) 3. Maigret und die schrecklichen Kinder (The Liars) 4. Maigret und der Weihnachtsmann (A Crime for Christmas) 5. Maigret und die widerspenstigen Zeugen (The Reluctant Witness) 6. Frau Maigret als Detektiv (The White Hat) 7. Maigret und der Mann auf der Bank (Murder on Monday) 8. Maigret und die Adeligen (Voices from the Past) 9. Maigret und der Verrückte (The Madman of Vervac)
MAIGRET Vol. 4 Rupert Davies 1. Maigret und das Geheimnis im Schloß (The Countess) 2. Maigret und die Groschenschenke (The Wedding Guest) 3. Maigret hilft einem Dienstmädchen (Love from Felicie) 4. Maigret ist wütend (The Dirty House) 5. Maigret und die Wahrsagerin (The Crystal Ball) 6. Maigret riskiert seine Stellung (Death in Mind) 7. Maigret und der faule Dieb (The Amateurs) 8. Maigret verliert eine Verehrerin (Poor Cecile!) 9. Maigret hat Angst (The Fontenay Murders)
MAIGRET Vol. 5 Rupert Davies 1. Maigret und der Fall Josset (A Man Condemned) 2. Maigret bei den Flamen (The Flemish Shop) 3. Maigret gibt Lapointe eine Chance (A Taste of Power) 4. Maigret und das Verbrechen an Bord (The Log of the Cap Fagnet) 5. Maigret und das Haus des Richters (The Judge's House) 6. Maigret auf Reisen (Another World) 7. Maigret und die seltsame Leiche (The Crime at Lock 14) 8. Maigret und die Zwillinge (Peter The Lett) ***9. "LETZTER FALL Maigret als Zuschauer (Maigret's Little Joke)
Da wirst Du wenig Glück haben, diese sechs Folgen sind im ZDF-Archiv verrottet oder verlorengegangen, und private Mitschnitte aus dieser Zeit kann es nicht geben (allenfalls auf Tonband, Videorecorder gab es da noch nicht).
Da müßte man schon Kontakte nach England haben, um wenigstens an die Originalfassungen der betreffenden Folgen zu kommen...
“Maigret und der Mann auf der Bank” (“Murder on Monday”)
Darsteller: Rupert Davies (Kommissar Jules Maigret), Ewen Solon (Lucas), Neville Jason (Lapointe), Christine Lindsay (MadameThouret), Sylvia Kay (Monique Thouret), Jack Rodney (Fred), Tom Adams (Albert Jorisse), Stratford Johns (Philippe Natali), Madge Ryan (Madame Machare), Eileen Kennally (Mariette Gibon), Allan McClelland (Dr. Gadelle), Bartlett Mullins (Louis Thouret), Mary Webster (Josette Vodier), Joan Phillips (Ginette)
Regie: Terrence Williams
Drehbuch: Giles Cooper
Literarische Vorlage: “Maigret und der Mann auf der Bank” (“Maigret et l’homme du banc”) von Georges Simenon
Der folgende Beitrag enthält Spoiler.
“Es ist Schlag acht. Man kann die Uhr nach ihm stellen. Und um sechs ist er wieder da.” (Nachbarin) “Er ist die Pünktlichkeit selbst. Ich glaube, es gibt in Paris keinen Mann, der so solide und zuverlässig ist wie er.” (Christine Thouret)
“Die Woche fängt mal wieder gut an, mein Lieber. Gefällt mir nicht. Das Messer wird uns auch nicht weiterbringen. Der Täter hat den Griff natürlich abgewischt.” (Maigret) “Ist ja ganz klar. Die Leute lesen zu viel Kriminalromane.” (Lucas)
“So Madame. Können wir jetzt gehen?” (Maigret) “In zehn Minuten bin ich soweit.” (Madame Thouret) “In zehn Minuten?” (Maigret) “Mein Mann ist tot. Sie erwarten doch nicht von mir, dass ich ohne Schleier auf die Straße gehe?” (Madame Thouret)
“Ich schreibe gleich den Bericht, dann können Sie ihn mitnehmen. Er enthält nichts Außergewöhnliches.” (Dr. Gadelle) “Nein, nein. Nur eine Stichwunde im Rücken.” (Lucas) “Die ist nicht außergewöhnlich. Bei uns nicht.” (Dr. Gadelle)
“Hier ist ein Foto von Louis Thouret, der ermordet wurde. Er muss irgendwo beim Boulevard Saint-Michel ein Zimmer gehabt haben. Stell das mal fest.” (Maigret) “Gemacht. Wohnt noch jemand in dem Zimmer?” (Lapointe) “Das kann ich doch nicht wissen, aber ich kann dir sagen, was du dort findest. Nämlich eine komplette Herrengarderobe. Schwarze Schuhe, einen dunklen Anzug und so weiter.” (Maigret) “Ein Zimmer, wo ein dunkler Anzug und schwarze Schuhe liegen ... (verdreht entnervt die Augen) Sehr wohl, Chef!” (Lapointe)
“Kommissar Maigret! Sieh mal einer an. Welche Ehre! Kennen Sie mich noch?” (Freddy) “So’n hübsches Gesicht vergesse ich nicht. Trauer-Freddy, nicht wahr? Spezialist für Warenhäuser.” (Maigret)
“Ich habe das ganz Stadtviertel nach möblierten Zimmern abgeklappert. Immer in strömendem Regen.” (Lapointe) “Und unser nimmermüder Held kriegt nasse Füße ...” (Maigret)
“Sie mögen die Polizei nicht, was?” (Maigret) “Den Regen mag ich auch nicht, und trotzdem regnet’s.” (Mariette Gibon)
“Da ist ein Mädchen in der Badewanne!” (Lapointe) “So. Hast du wenigstens Wasser mitgebracht?” (Maigret) “Nein.” (Lapointe) “Wo willst du hin?” (Maigret) “Ein guter Polizeibeamter muss jeder Situation gewachsen sein, Chef.” (Lucas)
“Ich muss hierbleiben und das Haus da drüben bewachen.” (Lapointe) “Was willst du noch mehr? Wein, Frauen. Du bist zu beneiden, Kleiner!” (Lucas)
“Ich schlage vor, Sie bleiben jetzt hier eine Weile sitzen und lassen sich das ganze durch den Kopf gehen. Und das nächste Mal suchen Sie sich ein Mädchen, das den Unterschied zwischen Recht und Unrecht kennt.” (Maigret)
“Das ist doch zum Verrücktwerden! Während wir am laufenden Band Unschuldige verhören, sitzt der Mörder direkt vor unserer Nase.” (Maigret)
Louis Thouret, ein älterer, unscheinbarer Mann von kleiner Statur, ist ein Muster an Korrektheit. Allmorgendlich begibt er sich zur gleichen Zeit von seiner Wohnung in der Vorstadt an seinen Arbeitsplatz und kehrt abends ebenso pünktlich nach Hause zurück. Doch eines Montags findet man ihn ermordet in einer Seitengasse auf. Louis Thouret ist erstochen worden.
Die Ermittlungen von Kommissar Maigret fördern zutage, dass der Lebenswandel des vermeintlich so zuverlässigen Mannes alles andere als solide war. Angeblich bekleidete er in der Firma “Kaplan et Zanin” mit der Position des Hauptbuchhalters quasi einen Direktorposten. Doch in Wahrheit war er lediglich als Lagerverwalter tätig. Überdies ist das Unternehmen geschlossen, da es vor drei Jahren Konkurs anmelden musste.
Obwohl Thouret keiner geregelten Tätigkeit nachging und seine freie Zeit zumeist mit Aufenthalten auf öffentlichen Bänken sowie mit Kinobesuchen verbrachte, verfügte er dennoch über große Geldsummen, die es ihm ermöglichten ein möbliertes Zimmer zu mieten und sich elegant wenngleich etwas extravagant zu kleiden. Seine Beteiligung an den kriminellen Aktivitäten des Einbrechers Freddy ermöglichte ihm wenige glückliche Stunden an der Seite einer Geliebten. Der Preis, den Louis Thouret für den zeitweiligen Ausbruch aus seinen ihn zutiefst bedrückenden familiären Verhältnissen zahlen muss, ist jedoch unverhältnismäßig hoch: sein Leben ...
Anmerkungen:
Zitat “Maigret saß allein in seiner Ecke in der “Brasserie Dauphin”, seinem Stammlokal, und aß zu Mittag. Das hatte etwas zu bedeuten, denn niemand hinderte ihn daran, nach Hause zu gehen und dort zu essen. Wie gewöhnlich tranken mehrere Inspektoren vom Quai des Orfèvres ihren Aperitif, und dabei gingen ihre Blicke unablässig zu ihm hin, der an einem Tisch Platz genommen hatte in der Nähe eines Fensters, durch das er die Seine sehen konnte. Obwohl die Inspektoren nicht zu seiner Abteilung gehörten, blickten sie sich stumm an. Wenn Maigret so versunken dasaß, gleichsam traumverloren und mit einer Miene, die die Leute für ein Zeichen schlechter Laune hielten, dann wusste jeder bei der Kriminalpolizei, was das bedeutete. Man lächelte zwar leise darüber, aber doch nicht ohne Respekt, denn es endete früher oder später immer auf die gleiche Art: eine Mann oder eine Frau gestand ein Verbrechen.”
“Am Quai des Orfèvres gilt es geradezu als Regel, dass montags nur selten jemand ermordet wird.”
“Der Regen hatte zwar inzwischen aufgehört, aber die Luft war noch feucht. Das Pflaster glänzte immer noch von der Nässe, am stärksten dort, wo viele Menschen gingen. Gegen vier Uhr nachmittags, kurz vor Anbruch der Dämmerung, legte sich wieder derselbe gelbliche Nebel wie am Morgen auf Paris und verhüllte das Licht der Laternen und Schaufenster.”
“Er hatte am Anfang seiner Laufbahn lange genug die Runde machen müssen, um zu wissen, dass jede Bank sozusagen Stammgäste hat, die sich immer zu der gleichen Zeit auf ihr niederlassen. Die Vorübergehenden bemerkten sie kaum, weil nur selten jemand einen Blick auf die Leute wirft, die auf den Bänken hocken. Aber diese kennen sich alle untereinander. Hatte nicht Madame Maigret einmal, als sie sich auf einer Bank auf dem Square d’Anvers mit der Mutter eines kleinen Jungen unterhielt - sie war zum Zahnarzt bestellt, aber es war noch zu früh, und sie hatte sich deshalb für eine Weile hingesetzt - ganz zufällig die Spur eines Mörders entdeckt?”
(Georges Simeon: “Maigret und der Mann auf der Bank”)
Obwohl sich der Kommissar zu Beginn von “Maigret und der Mann auf der Bank” alles andere als begeistert über seinen neuen Fall zeigt, erweist sich dieser dennoch als typisch für Maigret. Er befindet sich wieder auf seinem gewohnten Terrain: in der Welt der einfachen Leute, der kleinen Ganoven und der Gunstgewerblerinnen.
Wie schon in “Maigret und der tote Herr Gallet” leidet ein sanftmütiger Mann unter der Tyrannei seiner Ehefrau, wird von seinem eigenen Fleisch und Blut erpresst und ist zu schwach, sich dagegen aufzulehnen.
Neben den menschlichen Schicksalen, mit denen Kommissar Maigret in dieser Episode konfrontiert wird,erstreckt sich seine Güte dieses Mal auch auf das Wohl eines Tieres. In rührender Weise sorgt er sich um einen Kanarienvogel, den Louis Thouret in seinem Zimmer beherbergt und der ebenso wie sein Besitzer dem ihn umgebenden Käfig nicht zu entfliehen vermochte. Diese Methapher ist ein Einfall von Drehbuchautor Giles Cooper, während Georges Simenon durch die Tatsache, dass Thouret sich beim Kauf des Tieres betrügen lies - er hat statt eines männlichen ein weibliches Tier erworben, das nicht singt - dessen Unbedarftheit in den Mittelpunkt rückt.
Keine Erwähnung finden in der Verfilmung die aufälligen gelben Schuhe des Opfers, von denen im Roman häufig die Rede ist. Sie sind ein Symbol für den zumindest zeitweiligen Ausbruch von Louis Thouret aus seinen deprimierenden familiären Verhältnissen, in denen er nicht von ungefähr ausschließlich dunkle Anzüge und Schuhwerk von der selben Farbe trug. Maigret wird durch sie an die Zeit seiner ersten Ehejahre erinnert, als er selbst Schuhe in dieser damals hochmodernen Farbe erworben hatte, sie jedoch aufgrund des sanften doch nachdrücklichen Einspruchs seiner Frau niemals trug und sie durch Madame Maigret als angeblich zu klein an den Händler retournieren lies.
Ebenso wenig tritt Madame Maigret persönlich in der Verfilmung auf, obwohl sie in der literarischen Vorlage sehr wohl präsent ist. In der Fernsehadaption telefoniert der Kommissar lediglich mit seiner Gattin, um ihr anzukündigen, das Mittagessen zu Hause einzunehmen. Doch bleibt der gemeinsame Genuss von Kalbsnierenbraten nur ein frommer Wunsch, da Maigret es sich wieder anders überlegt. Die dafür fällige Entschuldigung bei Madame Maigret überlässt er klugerweise seinem treuen Mitarbeiter Lucas.
Besonders gut gelungen sind jene Szenen, in denen Maigret in das Milieu seines Falles eintaucht, etwa bei seinem Besuch des sich in einem desolaten Zustand befindlichen Firmengeländes von “Kaplan et Zanin”.
Erneut erweist es sich, dass Frauen, die Kommissar Maigret verbieten, seine geliebte Pfeife zu entzünden, nicht nur höchst unsympathisch erscheinen, sondern überdies auch einiges zu verbergen haben. Monique Thouret befindet sich in dieser Hinsicht in “bester” Gesellschaft.
Albert Lapointes Schüchternheit im Umgang mit Frauen sorgt für einige amüsante Momente, während der unverwüstliche Lucas derlei Skrupel nicht kennt und sich beispielsweise eines der “leichten Mädchen” kurzerhand unter den Arm klemmt, um sie zum Verhör zu bringen. Wunderbar auch jener Moment, in dem sich Josette ängstlich in Kommissar Maigrets Arme wirft und der soeben das Zimmer betretende Lapointe sich diskret wieder entfernen will, woraufhin er sich die tadelnde Bemerkung “Schafskopf!” anhören darf. Georges Simenon geht in der literarischen Vorlage noch weiter, denn dort versucht Arlette - so ihr Name im Roman - Kommissar Maigret tatsächlich zu verführen, was dieser moralisch untadelige Mann selbstredend mit überlegener Gelassenheit von sich weist.
Der in der Verfilmung “Trauer-Freddy" genannte Komplize von Louis Thouret trägt bei Simenon den Namen Jef Schramek und ist unter dem Spitznamen “Freddy der Clown” bekannt, da seine Gesichtszüge an einen solchen erinnern. Maigrets Verhör des Kriminellen wiederum ist kongenial zur literarischen Vorlage gestaltet.
Ebenso analog zur literarischen Vorlage wird auch der Regen thematisiert, der im Roman noch intensiver ausfällt und nicht dazu angetan ist, Maigrets Stimmung zu heben.
Die gravierendste Änderung zum Roman hat Giles Cooper in den Szenen vorgenommen, die zur Überführung des Täters führen. Nachdem bisher bereits einige Male Polizeiaktionen gezeigt wurden, kommt der Zuschauer nunmehr erstmals in den Genuss einer großangelegten Fahndung und Verfolgungsjagd. Bei Simenon liest sich die Ergreifung des Mörders hingegen völlig unspektakulär.
Die Schlußpointe wurde fast exakt von Georges Simenon übernommen, nur dass Maigret sich mit Lucas statt mit seiner Gattin darüber unterhält, dem “kleinen” Lapointe noch eine weitere Nacht als “Schutzengel” die Gesellschaft von Josette zu gönnen.
Der deutschen Synchronisation ist ein Fehler unterlaufen als Hans Wilhelm Hamacher für Rupert Davies den zuständigen Polizeiarzt mit Dr. Gadeau anspricht statt mit Dr. Gadelle. Man hätte sich des korrekten Namens durchaus noch erinnern können, da der etwas exzentrisch anmutende Herr zuvor bereits in “Maigret und die widerspenstigen Zeugen” mit der medizinischen Untersuchung der Umstände des Todesfalles von Lèonard Lachaume betraut war.
Vol. 1 erschien am 17. Juli 2015, Vol. 5 erscheint offiziell am 22. Juli 2016. In rund einem Jahr hat Pidax alle deutschsprachigen Maigrets herausgebracht, soweit aus dem ZDF-Archiv noch präsentabel, eine Superleistung! Ich muss gestehen, dass ich bis jetzt in Spannung war, ob Pidax durchhält. Immerhin hatte ich ja schon einmal erlebt, dass Maigret in Serie angekündigt war (3sat, Anfang der 90er Jahre), mein Videorecorder war schon startbereit - und dann wurde doch nichts daraus (aus "rechtlichen Gründen"). Der Schock von damals steckt mir bis heute in den Knochen, daher meine Zitterpartie bis jetzt.
Ganz ausdrücklich möchte ich mich deshalb beim ZDF und vor allem bei Pidax dafür bedanken, dass "Kommissar Maigret" nun doch - so weit wie möglich - auf DVDs im Handel zu bekommen ist.
Natürlich bleibt die Frage bislang offen, ob die BBC mit der englischen Originalversion nachzieht. Die Serie ist vor über 50 Jahren entstanden, so dass eventuell Maigret Rupert Davies schon ins öffentliche Domain gehört, das bei literarischen Werken (wie vor einigen Jahren bezüglich Edgar Wallace) ab 70 Jahre nach dem Tode des Autors greift. Die Texte werden dann sozusagen "Allgemeingut", und jeder darf sie drucken und vervielfältigen, ohne den Autor zu fragen. Ob bei Film und Fernsehen schon 50 Jahre ausreichen, weiß ich leider nicht.
Laut Georges Simenon ("Intime Memoiren") wurden sämtliche Originale wie auch 16mm-Kopien vernichtet. Ein "Vermittler" habe im letzten Moment vor der Vertragsunterzeichnung Simenon-BBC Klauseln im Vertragstext eingefügt, die besagten, dass die Serie nur 12 Jahre lang gezeigt werden dürfe und danach unter notarieller Aufsicht von der BBC zu vernichten sei. Eine andere Quelle (IMDb) behauptet, Madame Simenon (Denise) habe das so in den Vertrag hineingeschrieben. Zum Glück können wir heute mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass Maigret in den BBC-Archiven überlebt hat. Ich nenne hier noch einmal den Link, der Anlass zu dieser Hoffnung gibt:
Außerdem wurden - trotz des Vertrages - einige Folgen im britischen Fernsehen längst nach Ablauf der 12-Jahres-Frist wiederholt. Und ein Fan hat sich seine Wunsch-Episode "Maigret sets a trap" im Vorführraum der BBC vor ein paar Jahren angeschaut (er war überrascht über die inhaltliche wie optische Qualität des Films, aber enttäuscht darüber, dass Madame Maigret nicht darin auftrat, lediglich ein Foto von ihr habe auf Maigrets Schreibtisch gestanden). Desweiteren wäre ein alleiniges Vernichtungs-Vorgehen der BBC problematisch geworden, denn es gab eine Co-Produktions-Firma, deren Arbeit man nicht so einfach übergehen konnte: Winmill Productions.