Fahrstuhl zum Schafott (Ascenseur pour l'échafaud) (F 1958)
Regie: Louis Malle
Darsteller: Jeanne Moreau, Maurice Ronet, Lino Ventura, Elga Andersen u.a.
Florence Carala und Julien Tavernier sind ein Paar und planen für eine unbeschwerte Zweisamkeit Florences Ehemann zu töten und das Ganze wie einen Selbstmord aussehen zu lassen. Was auf dem Papier nach einem perfekten Mord aussieht, wird bei der praktischen Umsetzung zu einer wackligen Angelegenheit...
"Fahrstuhl zum Schafott", 1958 von Louis Malle in der Tradition des amerikanischen Film Noir auf die Leinwand gebracht, gilt als einer der Begründer der Nouvelle Vague. Der Film beginnt als lupenreiner Kriminalfilm, droht nach dem ersten Drittel bisweilen jedoch den reinen Krimifreund durch verschlepptes Tempo und (allzu) dick aufgetragenen Desillusionismus zu verlieren. Wer sich darauf einlässt, bekommt dennoch einen in vielerlei Hinsicht interessanten Spielfilm geboten, der in Teilen eine ähnliche Atmosphäre versprüht wie der wenige Jahre später von Will Tremper vorgelgte Film "Die endlose Nacht". Der Vergleich drängt sich nicht zuletzt auch wegen der Jazz-Untermalung, vorliegend durch keinen geringeren als Miles Davis, auf, welche die Abgrenzung vom konventionellen Kriminalfilm unterstreicht. Punkten kann das Werk überdies durch seine gut aufgelegten Darsteller. Maurice Ronet, der später in mehreren Simmel-Verfilmungen auftreten sollte und Jeanne Moreau ("Die Braut trug schwarz") verkörpern ein Liebespaar, das sich dem Publikum nur bei einem Telefonat sowie auf Bildern als ein solches zeigt, aber durch die präzise, leidenschaftliche Darstellung dennoch keinen Zweifel im Hinblick auf die gegenseitig empfundenen Gefühle aufkommen lässt. In einer kleinen Rolle sieht man zu dem die deutsche Schauspielerin Elga Andersen ("Ein Sarg aus Hongkong"). Für Anhänger des Film Noir oder des französischen (Kriminal-)Films sicher zu empfehlen.
Die Blu-Ray von Studio Canal präsentiert den Film sehr kontrastreich, das Bild ist mitunter allerdings sehr "körnig".
Interessanter, anspruchsvoller Kriminalfilm, der trotz Längen in die Kategorie "sehenswert" fällt. 4 von 5 Punkten.
Darsteller: Alain Delon, Richard Crenna, Catherine Deneuve u.a.
In einem französischen Kurort raubt eine Bande um den Nachtclubbesitzer Simon eine Bank aus. Die Ermittlungen übernimmt Kommissar Coleman, der Simon gut kennt und ein Verhältnis mit dessen Freundin Cathy hat...
Der letzte Film Jean-Pierre Melvilles, der mit Hauptdarsteller Alain Delon zuvor bereits in "Der eiskalte Engel" und "Vier im roten Kreis" erfolgreich zusammengearbeitet hatte, strahlt eine sachlich-unterkühlte, ungemein einnehmende Atmosphäre aus. In hellblauen Bildern erzählt der Film die Geschichte um das Figurendreieck Simon-Coleman-Cathy, bei dem natürlich klar ist, dass es früher oder später sowohl aus beruflichen als auch privaten Gründen zu einem handfesten Konflikt kommen muss. Dass die Figurenzeichnung trotz der Konzentration auf diese drei recht oberflächlich bleibt, stört erstaunlich wenig, so sehr saugt man die beinahe hypnotischen Bilder auf. Alain Delon gibt den impulsiven Cop, der vor allem aus den ersten drei "Rambo"-Filmen bekannte Richard Crenna, der aber auch in dem sehenswerten Audrey Hepburn-Thriller "Warte, bis es dunkel ist" mitwirkte, gibt den berechnenden Gangster. Für kühle Erotik sorgt die hellblonde und äußerst ausdrucksstarke Catherine Deneuve. Inszenatorische Höepunkte sind neben dem anfänglichen Überfall vor allem die Szenen in und um einen Schnellzug, zu dem sich Simon zwecks Erlangung zweier mit Drogen gefüllter Koffer eines Schmugglerrings von außen spektakulär Zugang verschafft. Ein kleiner, aber feiner Showdown darf natürlich auch nicht fehlen. Kurzum: ein äußerst sehenswerter Seventies-Krimi aus unserem Nachbarland.
Die DVD von StudioCanal bietet ein gutes Bild.
Faszinierender Cop-Thriller mit sachlich-unterkühlter, aber ungemein einnehmender Atmosphäre und toller Besetzung. 4,5 von 5 Punkten.
Darsteller: Alain Delon, André Bourvil, Yves Montand, Gian Maria Volonté u.a.
Kurz bevor Einbrecher Corey aus dem Gefängnis entlassen wird, bekommt er von einem Wärter einen Tipp für einen Juwelenraub. Nach seiner Entlassung begegnet er zufällig dem flüchtigen Häftling Vogel. Die beiden werden zu Komplizen und bilden schließlich mit dem Ex-Polizisten und alkoholkranken Jansen ein Trio, das sich an den großen Coup macht. Auf ihren Fersen befindet sich indes Kommissar Mattei, dem Vogel in einem Nachtzug entwischt war...
Diese vier Figuren bilden die titelgebenden "Vier im roten Kreis" in Jean-Pierre Melvilles vorletztem Film, der heute einen exzellenten Ruf genießt und Heist-Movie-, Western-, Gangsterfilm- und Noir-Elemente zu einer recht gelungenen Mixtur vereint. Allein aufgrund einer Lauflänge von über zwei Stunden kommt er an den deutlich kompakteren "Chef" allerdings nicht ganz ran. Auch im vorliegenden Film bekommt der Zuschauer zwar eine kühle Atmosphäre sowie einen überzeugenden Alain Delon in der Titelrolle zu sehen, die Sogwirkung des Nachfolgers erreicht er dennoch nicht ganz. Vielleicht, weil man statt drei hier vier Hauptfiguren bekommt und sich der Fokus entsprechend weiter aufspalten muss? Vielleicht, weil es an einer nennenswerten Frauenrolle fehlt? Jedenfalls hat der Film gerade im zweiten Drittel manche Länge, auch der im Detail in Szene gesetzte und ohne Dialoge auskommende Überfall kann dies nicht vollends kompensieren. Im kurzen, aber umso knackigeren Finale geht es dann nochmal hoch her und man verrät wohl nicht zu viel, wenn man sagt, dass nicht alle vier das Ende des Films erleben werden.
Die gute DVD von StudioCanal gibt es aktuell bei verschiedenen Anbietern zum Spottpreis von 3,99€. Wer also an französischen Kriminalfilmen dieser Zeit Interesse hat und den Film noch nicht besitzt, sollte zuschlagen.
Etwas lang geratenes, aber doch insgesamt gelungenes Heist-Movie in kühler Atmosphäre mit einem überzeugenden Alain Delon in der Hauptrolle. 4 von 5 Punkten.
Darsteller: Jean-Paul Belmondo, Bernard Blier, Marie-France Pisier u.a.
Leclercq kommt nach sieben Jahren aus dem Gefängnis und kehrt sofort in die Stadt zurück, in der er vor seinem Haftaufenthalt gelebt hat. Sein Ziel: Die Hintermänner ausfindig zu machen, die ihm einen Mord angehängt haben...
Henri Verneuil ("I wie Ikarus") arbeitete in "Der Körper meines Feindes" erneut mit Jean-Belmondo zusammen. Heraus gekommen ist ein Kriminalfilm, der sich qualitativ hinter dem starken "Angst über der Stadt" keinesfalls zu verstecken braucht. Freilich handelt es sich inhaltlich und stilistisch um einen ganz anderen Film. Mit aus dem Film Noir entlehnten Mitteln (Ich-Erzähler aus dem Off, Rückblenden) erzählt der Regisseur einen spannenden Kriminalfall, der der Doppelmoral einer französischen Kleinstadt geschickt den Spiegel vorhält und trotz einer Länge von knapp zwei Stunden zu keiner Sekunde langweilt. Grund ist die virtuose Erzählweise. Verneuil springt geschickt zwischen der Gegenwart, der Rückkehr Leclercqs in die Kleinstadt, und den Rückblenden hin und her. Stück für Stück erfährt der Zuschauer, wie es zu seiner Verurteilung kam. Leclerq hatte die Tochter eines einflussreichen Industriellen kennen gelernt und mit ihr eine Affäre begonnen, wobei er sukzessive immer mehr Leute aus der "feinen Gesellschaft" kennen lernte. Nach einer Zeit entschloss er sich, einen Nachtclub zu gründen. Das Geschäft florierte und einflussreiche Männer gaben sich die Klinke in die Hand. Per Zufall erfuhr Leclerq eines Abends, das im Club hinter seinem Rücken Drogen verkauft wurden. Er stellte seinen Partner zur Rede und erklärte, dass er mit solchen Geschäften nichts zu tun haben wolle. Noch am selben Abend wurden ein Fußballer aus dem örtlichen Fußballverein sowie eine Angestellte erschossen aufgefunden.
Mit Hochspannung verfolgt der Zuschauer, wie sich das Puzzle Stück für Stück zusammenfügt und nicht nur die Tat, für die Leclerq die Haftstrafe verbüßen musste, offenbar wird, sondern auch die Hintergründe. Jean-Paul Belmondo macht seine Sache sehr ordentlich. Er ist der geborene Sympathieträger, dem das Publikum von Herzen wünscht, dass er das Komplott aufdecken möge. Enorm zur Atmosphäre bei trägt der Score des Oscar-prämierten Komponisten Francis Lai.
Die Blu-Ray von Studio Canal weist eine exzellente Bildqualität auf. Trotz der spärlichen Extras (Trailer, Wendecover) kann man für das Gesamtpaket eine definitive Kaufempfehlung aussprechen.
Virtuos inszenierter, gesellschaftskritischer Kriminalfilm Henri Verneuils, der über zwei Stunden anspruchsvolle Unterhaltung bietet. 5 von 5 Punkten.
Horrorfilm, FR / IT 1959/60. Regie: Georges Franju. Drehbuch: Pierre Boileau, Thomas Narcejac, Jean Redon, Claude Sautet (Romanvorlage, 1959: Jean Redon). Mit: Pierre Brasseur (Dr. Rasanoff [i.O. Dr. Génessier]), Alida Valli (Louise), Edith Scob (Christiane Rasanoff [i.O. Christiane Génessier]), François Guérin (Jacques Vernon), Juliette Mayniel (Edna Grüber), Alexandre Rignault (Inspektor Parot), Claude Brasseur (Kriminalassistent), Béatrice Altariba (Paulette), Michel Etcheverry (Gerichtsmediziner Dr. Lherminier), René Génin (Emile Tessot) u.a. Uraufführung (FR): 11. Januar 1960. Uraufführung (BRD): 11. März 1960. Uraufführung (IT): 3. Mai 1960. Eine Produktion der Champs-Élysées Productions Paris und der Lux-Film Rom.
Zitat von Augen ohne GesichtDr. Rasanoff kennt nur noch ein Ziel: Nach dem folgenschweren Unfall, bei dem das Gesicht seiner Tochter bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde, setzt er alles daran, der traurigen Christiane ihr früheres Aussehen zurückzugeben. Gemeinsam mit seiner Assistentin Louise entführt er Studentinnen ohne Verwandte in Paris und nimmt ihnen als Chirurg operativ die Gesichtshaut ab. Als problematisch erweist sich, dass Christianes Körper ihre neuen Gesichter immer wieder abstößt und so den Vater stets zu neuen Verbrechen anhält. Wie lange kann diese Posse gut gehen, bis Rasanoff von der Polizei gefasst wird oder seine Tochter vollends dem Wahnsinn anheimfällt?
„Lasst uns einen Horrorfilm über Hauttransplantationen machen“ – man kann Georges Franju wahrlich nicht die Fantasie (auch nicht für abwegige Themen) absprechen. „Augen ohne Gesicht“ erweist sich dabei nur in seltenen Momenten als Ekelgrusel der medizinischen Art. So in einer erstaunlicherweise nur in Deutschland zensierten und nun doch wieder mitausgestrahlten Szene, in der einem von Dr. Rasanoffs Opfern nach und nach die Gesichtshaut gelöst und abgezogen wird. Tapfer hält sich die Legende, dass diese Sequenz seinerzeit einige Besucher des Edinburgh Film Festival in Ohnmacht fallen ließ. Für den meisten Teil der Spielzeit bekommt man es jedoch mit einem handfesten und überaus atmosphärischen Krimi-Thriller-Gemisch zu tun, in dem Leichen verschwinden, Mitwisser beruhigt, auf dem Friedhof eingebrochen und um weitere Geschädigte gebangt werden muss. Auf Rasanoffs Landsitz mit angeschlossener „offizieller“ Klinik und „inoffiziellem“ Experimentierkeller laufen die Fäden zusammen, sodass der alte deutsche Kinotitel „Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff“ gar nicht so unpassend oder übertrieben erscheint. Die Erzählweise und Franjus unterschwellige Art, Spannung nach alter Gothic-Manier aufzubauen, lassen in den dort spielenden Szenen tatsächlich eine besondere Ausweglosigkeit zutage treten. Dass sowohl der Arzt als auch seine Assistentin und die bemitleidenswerte Tochter durch die wiederholten Vivisektionsversuche der Realität immer weiter entrücken und somit zu brennenden Gefahren für ihre Umwelt werden, trägt seinen Teil zum Gelingen des Films bei.
Am faszinierendsten an „Augen ohne Gesicht“ stellt sich ohne Zweifel Edith Scobs Verkörperung der Christiane dar. Ihre schreckliche Entstellung ist zwar in Worten und Leiden immer präsent, wird aber von Scobs engelsgleicher, zerbrechlich-attraktiver Anmut, die ein wenig an eine junge Mia Farrow erinnert, konterkariert. Bis sie sich am Ende gegen ihren unheilbringenden Vater wendet, erträgt sie als charakterliches Idealbild einer hohen Tochter alle seine Versuche, macht aber auch mehrfach ihre unendliche Verzweiflung deutlich. Die Kamera umspielt Edith Scob, zeigt sie lediglich von hinten oder mit einer skurrilen Maske, deren Farblosigkeit ihre geisterhafte Erscheinung mit den markanten Gesichtszügen noch unterstreicht. Nur in einem weiteren geschickt gesetzten Schreckensmoment erhält man eine Ahnung über ihr wahres Gesicht, das aber geschmackvollerweise nur in verschwommener Andeutung ersichtlich wird.
Mit Christianes verklungenem Lebenswillen und den Rückschlägen ihres zunehmend verzweifelten Vaters entbehrt „Augen ohne Gesicht“ auch nicht gewisser melodramatischer Elemente, ohne diese jedoch zu plakativ anzugehen. Pierre Brasseur überspielt seine Rolle als Dr. Rasanoff nicht im Sinne des klassischen Mad Scientist, sondern legt sie subtiler, grundsätzlich ideologischer und damit noch gefährlicher an. In einer anrührenden Szene sieht man ihn hilflos bei der Behandlung eines anderen Patienten, aber gleichsam der Mutter große Hoffnungen auf Heilung machend. Ebenso wie bei seiner eigenen Tochter zeigt sich hier in Dr. Rasanoff keine bösartige Schurkerei per se, sondern eher die Unfähigkeit, die Grenzen des Machbaren zu akzeptieren. Alida Valli darf an seiner Seite gezielte Blitze abfeuern und etabliert sich als rechte Hand des Teufels sehr eindrucksvoll. Ihre Auftritte begleitet eine markante, gegenüber dem Gesamteindruck des Films vielleicht etwas verspielt wirkende Kennmelodie, die an das Titelthema ihres bekanntesten Films „Der dritte Mann“ erinnert.
In anderen Aspekten gebärdet sich Franjus Film sehr eigenständig und teilweise künstlerisch-poetisch, woran insbesondere auch die Bildgestaltung des in Deutschland geschulten und international erfolgreichen Kameramanns Eugen Schüfftan Anteil hat. Optisch ist „Augen ohne Gesicht“ ein wahrer Leckerbissen – Ausleuchtung und Sets sind erste Wahl. Da ist es schon fast ein wenig schade, dass der Film offenbar nicht ohne offensichtliche Schockeffekte im Stil der damals erfolgreichen Hammer-Serie auskommen wollte, die ihn zwar bissig und innovativ machen, aber ihm einen Teil seiner Seriosität rauben.
„Augen ohne Gesicht“ ist die mit wilden, aber nicht stillosen Horrorelementen gespickte Geschichte einer außer Rand und Band geratenen Vaterliebe. Der Wissenschaftler, der seiner Tochter aus einem Schuldkomplex an einem selbst verursachten Unfall heraus zu einem neuen Gesicht verhelfen will, sorgt für Thrill und Tragik gleichermaßen, was Regisseur, Darsteller und Kameramann in ein hochwertiges Kleid in feinstem Schwarzweiß hüllten.
„Angst über der Stadt“ entführt den geneigten Zuschauer auf eine Abenteuerreise durch das von stilsicheren Verbrechen erschütterte Paris der bunten 1970er Jahre. Der testosterongesteuerte Belmondo überzeugt als raubeiniger Bulle im Zweikampf gegen einen rachsüchtigen Mörder, dessen Taten und Tathintergründe stark an italienische Gialli erinnern. Gewürzt wird die Mischung mit atemberaubenden Stunt-Einlagen.
Hab den Film gestern nach Stöberei hier im Forum auch noch mal geguckt. Gerade unter dem Aspekt seiner Vorbilder.
Tatsächlich ist er doch sehr stark von Dirty Harry inspiriert, obwohl oder gerade weil er sich in einigen Szenen offenbar auch von seinem Vorgänger distanzieren will. Ist Inspektor Le Tellier nur ein Abklatsch von Harry Callahan ? Natürlich stehen da erstmal die rüden Ermittlungsmethoden im Vordergrund, deren sich beide Inspektoren bedienen. Deswegen haben ja die Filmkritiker vor über 40 Jahren bei beiden Filmen schon befürchtet, dass das Vierte Reich kurz bevorstehe, wenn man solche Polizisten ihre Arbeit tun lässt. Im Unterschied zu Inspektor Callahan, dessen Vorgehensweisen im Allgemeinen und dann im Speziellen zur Dingfestmachung des "Scorpio"-Killers von seinen Vorgesetzten kritisch hinterfragt werden (bis hin zum Wieder-Laufenlassen des psychopathischen Mörders), lässt mal Le Tellier weitgehend freie Hand. Die Reibereien mit seinem Chef entstehen ja weniger durch seine cowboy-haften Einsätze, sondern eher, weil er lieber den flüchtigen Bankräuber fassen will, anstatt den triebgestörten "Minos" zu fangen. So befreit er auch zum Schluss zwar (fast) alleine, doch mit der ganzen Staatsgewalt im Rücken, die Geiseln, die Minos genommen hat, während Dirty Harry tatsächlich im (unerlaubten) Alleingang den geiselnehmenden Schurken zur Strecke bringt, während seine Vorgesetzten noch mühselig über das weitere Vorgehen diskutieren - eigentlich ein Motiv, dass sich durch alle Dirty-Harry-Filme zieht, die aber mit jedem Teil schlechter und austauschbarer werden und nie die Qualität des ersten Films erreichen und hier auch nicht diskutiert werden sollen. Ich finde, der Hauptunterschied zwischen dem amerikanischen und dem französischen Film liegt wirklich darin, dass Eastwood-Dirty Harry den sich damals entwickelnden linken Friede-Freude-Eierkuchen-Umgang mit Gewaltverbrechern in Frage stellt und den täglichen Dreck aufzeigt, mit dem der "Schmutzige" Harry zu tun hat und dessen zynisch-rücksichtslose Eskapaden nur eine Antwort darauf sind, wogegen sich Belmondo-Tellier nur ironisch-rüpelhaft durch die Handlung schießt und prügelt, wobei sein Antrieb eher nebulös bleibt. Dirty Harry ist viel düsterer als Angst über der Stadt, trotz des finsteren Scores von Ennio Morricone im letzteren Film. So überlebt der geistesgestörte Killer -arg ramponiert- auch den letzten Einsatz von Le Tellier, wobei Scorpio von Callahan zum Schluss ja fast hingerichtet wird. Man mag nun davon halten, was man will, trotzdem vermag der Zuschauer mit Dirty Harry eine Sympathie zu entwickeln, welcher einen sadistischen Killer so lange foltert, bis der ihm das Versteck eines entführten Teenagers verrät, um das Mädchen (vergeblich) vor einem qualvollen Erstickungstod zu retten. Eine solche Entwicklung der Figur macht der schnodderige Belmondo nicht durch, er ist eben so, lässt einen Gangster fast verbluten und will die Sympathien auf seiner Seite haben.
Gemeinsam ist beiden Inspektoren natürlich der psychopathische Gegenspieler. Sie haben beide Partner, die mit ihnen an einem Strang ziehen, obwohl ja der von Callahan vorzeitig das Handtuch wirft. Das verstärkt noch dessen Einzelgängertum, wobei Le Tellier offenbar bei seinen Kollegen sehr beliebt und wesentlich geselliger ist. Bei beiden Filmen gibt es ziemlich am Anfang einen Bankraub, der in einer Schießerei endet (legendär hier der hamburgerkauende Clint Eastwood). Beide Polizisten haben schon Partner verloren (Belmondo in Folge der Bankraub-Schießerei). Während Callahan einen Selbstmord-Sprung von einem Hochhaus verhindert, fällt bei Angst über der Stadt eine Frau durch Psycho-Terror aus einem solchen, allerdings ist das erste Opfer des amerikanischen Scorpio-Mörders wiederum eine Frau auf einem Hochhaus-Dach. Beide Schauspieler, Clintwood und Belmondo, machen übrigens ihre halsbrecherischen Stunts selber- Eastwood springt von einer Brücke auf das Dach eines Schulbusses, Belmondo auf das Dach einer U-Bahn. Der Franzose verwendet, genau wie Dirty Harry, als Waffe einen großkalibrigen Revolver, wenngleich dieser nicht so fetischistisch im Vordergrund steht wie bei seinem amerikanischen Kollegen. Beide verfolgen fanatisch und rücksichtslos einen Mörder, Callahan von Beginn an Scorpio, Tellier lieber den Bankräuber Marcucci, mit dem er noch eine persönliche Rechnung offen hat. Der Psycho-Killer Minos mit seinen literarischen Anspielungen ist für den ziemlich proletenhaften Polizisten ein "ungeliebter" Antagonist, dem er aber nach Erledigung seines Hauptfeindes dann auch mit Verve nachstellt. Minos mit seiner Sonnenbrille, Motorradhelm und -anzug erinnert in einigen Einstellungen auch sehr an den bzw. die mordenden Polizisten aus Dirty Harry 2 - Calahan, der zwei Jahre nach dem ersten Teil erschien. Na, da gibt es wohl noch viele Gemeinsamkeiten und bewusste Abgrenzungen zu erkennen, doch trotz allem hat Angst über der Stadt eine durchaus eigenständige, im Prinzip nicht allzu tiefschürfende Handlung, die kaum Langeweile aufkommen lässt. Die lange Verfolgungsjagd in der Mitte des Filmes, in der Le Tellier Minos von einem Tatort hinterherhetzt und dann plötzlich auf seinen Lieblingsfeind Marcucci wechselt, ist echt spektakulär. Zeit für Frauen bleibt dem Helden hier kaum, die beginnende Romanze mit einer attraktiven bedrohten Krankenschwester, welche dann aber bald dem Mörder zum Opfer fällt, nötigt dem Kommissar hinterher kaum mehr als ein bedauerndes Schulterzucken ab. In der ungeschnittenen DVD-Fassung gibt es zum Ende hin etwa zehn Minuten untertitelten Film, wo sich Psychiater im Fernsehen über die Rolle der unterdrückten Sexualität in der Gesellschaft bei der Entstehung von Kreaturen wie Minos auslassen. Warum wurde das wohl weggeschnitten - war das Thema damals irgendwie zu "heiß" für den deutschen Michel oder sollte nur das plötzliche sehr auffällige Ausbremsen der Handlung dadurch übersprungen werden ?
Alles in allem ist Angst über der Stadt wirklich ein sehr temporeicher Thriller, möglicherweise einer der besten Belmondo-Filme (aber da bin ich kein Experte), aber gewiss sehr viel besser als Der Profi. Gutes europäisches Kino und einer der Klassiker des Polizeifilms.
Kriminalfilm, FR / IT 1963. Regie: Georges Franju. Drehbuch: Jacques Champreux, Francis Lacassin (Romanvorlage, 1917: Arthur Bernède, Louis Feuillade). Mit: Channing Pollock (Privatsekretär Vallières / Judex), Francine Bergé (Gouvernante Marie Verdier / Diana Monti), Edith Scob (Jacqueline Favraux), Michel Vitold (Bankier Favraux), Théo Sarapo (Morales), Jacques Jouanneau (Detektiv Alfred Cocantin), Sylva Koscina (Artistin Daisy), René Génin (Pierre Kerjean), Roger Fradet (Leon), Philippe Mareuil (Amaury de la Rochefontaine) u.a. Uraufführung (FR): 4. Dezember 1963. Uraufführung (IT): 9. Juli 1964. Uraufführung (BRD): 20. Oktober 1967. Eine Produktion der Comptoir Français du Film Production Paris und der Filmès Cinematografica Rom.
Zitat von JudexObwohl er an einem Abend das zwanzigjährige Jubiläum seiner Bank und die Verlobung seiner Tochter Jacqueline feiern kann, wird der Kostümball für Monsieur Favraux kein Vergnügen. Wie angekündigt, stirbt er auf der Veranstaltung – durch die Hand des mysteriösen Rächers Judex, der ihm vorwirft, seinen Erfolg auf unlautere Machenschaften begründet zu haben. Favraux wird beerdigt, doch niemand bemerkt, dass er in Wahrheit nur betäubt und nicht tot ist. Judex verbringt ihn aus der Familiengruft in seinen Schlupfwinkel, wo er den betrügerischen Bankier lebenslang einzusperren gedenkt. Doch auch andere sind Favraux und seiner Hinterlassenschaft auf den Fersen – denn kompromittierende Papiere, aus denen sich noch immer Geld schlagen lässt, üben einen großen Reiz auf die Verbrecherkreise rund um die ruchlose Marie Verdier aus ...
Im Jahr 1914 angelegt, basiert „Judex“ auf einem später in Romanform umgearbeiteten Filmserial des „Fantômas“-Erfinders Louis Feuillade. Der Judex-Charakter beschreibt den spiegelbildlichen Gegenpart zum sinistren Weltherrschaftsstreber Fantômas und ähnelt in gewissen Grundzügen dem Hexer von Edgar Wallace, der ebenfalls als eine Art krimineller, im Namen der Gerechtigkeit erpressender und mordender Robin Hood auftritt. Wer jedoch mit dem Gedanken in den Film startet, einen raffiniert ausgetüftelten Mordplan des heimlichen Judex an Bankier Favraux zu sehen, der wird von Georges Franjus Film enttäuscht werden, denn die reizvolle Ausgangssituation mit Drohbrief, (scheinbarem) Leichenfall auf einem skurrilen Kostümball und sich anschließenden Erbschaftsangelegenheiten nimmt nur einen geringen Anteil im gesamten filmischen Geschehen ein. Entsprechend der Machart, die sich auch in den „Fantômas“-Filmen zeigt, widmet „Judex“ den größten Teil seiner Spielzeit einer wilden Jagd zweier konkurrierender Parteien um gleich zwei eher mittelmäßig interessante Macguffins: den wider Erwarten doch lebendigen Favraux sowie dessen aufrichtige Tochter, die zu viel weiß, daher beseitigt werden soll, sich aber nicht so leicht aus dem Weg räumen lässt.
Franju war sich der dünnen, sich lediglich aus lose aneinander geknüpften Münchhausiaden zusammensetztenden Handlung offenbar allzu bewusst, denn im Gegensatz zu „Augen ohne Gesicht“, wo er mit starker Antriebskraft engagiert eine fesselnde Geschichte erzählt, versteht sich „Judex“ offenkundig als Kostüm- und Schauwertfilm. Selten einmal aufflammende Spannung vernachlässigt Franju zugunsten einer sehr originalgetreu wirkenden, aber letztlich überkorrekten und in ihrer Aufdringlichkeit unnötigen Prä-WK-I-Stimmung, die den Film streckenweise künstlich wirken lässt. Nicht ohne Grund monierte der Schriftsteller und Journalist Claude Mauriac am vorliegenden Film, Franju erschwere es seinem Publikum, sich der Handlung zuzuwenden, indem er „Plastik-Schönheit“ seines Films zu sehr betone. Gerade aus der sonderbaren Diskrepanz zwischen billiger Groschengeschichte und einer Inszenierung im Stile von „Wie gefalle ich möglichst vielen Juroren auf einem Filmfestival“ ergeben sich fortwährend Irritationen: Man merkt, dass sich „Judex“ (sowohl der selbstgerechte Erpresser als auch der Film als solcher) viel ernster nimmt, als ihm gut tut.
Dabei hat der Film im handwerklichen Bereich – wenn man über inhaltliche Schwächen und Längen hinwegsieht – ja durchaus große Meriten. Insbesondere die Auswahl der sommerlichen, geradezu dekadent wirkenden Drehorte, die üppige Ausstattung und die historischen Kostüme sind unzweifelhafte Augenweiden. Judex trägt einen wallendes schwarzes Cape im Stil der Mantel-und-Degen-Filme, während seine Kontrahentin Marie Verdier in verschiedensten Verkleidungen von der eleganten Einbrecherin bis hin zur kirchlichen Krankenschwester operiert. Auffällig ist die gehäufte Verwendung von Masken, der teilweise symbolischer Charakter zugesprochen werden kann. Die Sequenz auf dem Maskenball fällt gegenüber dem prosaischen Rest des Films wesentlich zu kurz aus, aber Judex’ Verkleidung und sein Spiel mit Leben und Tod (Erweckung der unbeweglichen Taube, „Tötung“ von Monsieur Favraux) faszinieren aufs Äußerste. Da ist es fast schon ironisch, dass gerade diese Szenenfolge eine Erfindung des 1963er-Remakes ist, das sich sonst einigermaßen eng ans Original hält. Fingerzeige auf die Originalzeit des „Judex“-Stoffs liefern auch die stummfilmartigen Zwischentafeln, die gelegentlich eingeblendet werden, sowie das Auftauchen einer Detektivkarikatur, die an die ganz frühen Tage des Kriminalgenres erinnert.
Keine der Rollen in „Judex“ ist in grober Art und Weise fehlbesetzt, doch eine große Anziehungskraft der Rollen und ihrer Darstellungen geht diesem insgesamt eher oberflächlichen Film ab. Unterschiede in der Intensivität der Schauspielerführung bemerkt man im Vergleich mit „Augen ohne Gesicht“ insbesondere bei Edith Scob, die im Horrorfilm von 1960 noch ein reizvolles Mysterium abbildete, in „Judex“ hingegen trotz ähnlicher Rollenanlage als leidgeprüfte Favraux-Tochter weitgehend blass bleibt. Auch der Amerikaner Channing Pollock, der die Hauptrolle übernahm, profiliert sich erstaunlich wenig und muss zudem für Teile des Films als Privatsekretär eine unglaubwürdige Maskerade zur Schau tragen. Wirklich effektiv nutzt nur Francine Bergé die Möglichkeiten ihres Parts aus. Ihre Hauptschurkin Marie Verdier gewinnt vor allem dadurch an Reiz, dass sie für das Entstehungsjahr der Geschichte eine erstaunlich fortschrittliche und emanzipierte Persönlichkeit ist. Als treibende Kraft des Bösen stellt sie Geschlechtervorurteile auf den Kopf, aber Bergé zeigt sich auch ganz einfach überzeugend in Momenten von Hass, Gewalt und Verachtung. Den Detektiv Cocantin in Gestalt von Jacques Jouanneau hätte man sich etwas ernster gewünscht, während Michel Vitold als Bankier mit undurchsichtiger Vergangenheit prinzipiell richtig besetzt ist, aber zu wenig Gelegenheit erhält, die düstere Seite seiner Figur zu betonen. Ob man am Ende ein fragwürdiges Happy End mithilfe einer von Sylva Koscina dargestellten Artistin gebraucht hätte, die in den letzten zehn Minuten wie ein deus ex machina urplötzlich aus dem Nichts auftaucht, sei dahingestellt. Auch erscheint es mir etwas geschmacklos, dass die tugendhafte Tochter am Ende ausgerechnet den Mann küsst, der ihren Vater wahlweise töten oder lebendig einsperren wollte. Aber was will man diesbezüglich kritisieren in dieser kindlich-naiven Welt alter Kriminalabenteuer, in denen Gut und Böse, Weiß und Schwarz so dezent voneinander getrennt sind wie in einem Scherenschnitt aus Kohlepapier?
Georges Franju selbst bezeichnete „Judex“ als den einzigen schlechten Stoff von Louis Feuillade – eine überraschende, aber folgerichtige Einschätzung, wenn man sich seine inhaltliche dünne, hauptsächlich durch optische Reize und überbordendes Zeitkolorit bestechende Neuinterpretation dieses Klassikers ansieht. Franju gelang es nicht, mit Aufwand und altfranzösischem Stil die Schwächen sowie die Episodenstruktur der Vorlage zu übertünchen. Daher nur teilweise sehenswert.
Der Mörder wohnt in Nr. 21 (L’assassin habite ... au 21)
Kriminalkomödie, FR 1942. Regie: Henri-Georges Clouzot. Drehbuch: Henri-Georges Clouzot, Stanislas-André Steeman (Romanvorlage, 1939: Stanislas-André Steeman). Mit: Pierre Fresnay (Inspektor Wenceslas Wens), Suzy Delair (Mila Malou), Jean Tissier (Triquet / Professor Lalah-Poor), Pierre Larquey (Monsieur Colin), Noël Roquevert (Dr. Théodore Linz), Natol (d.i. Marc Natol) (Kammerdiener Armand), Huguette Vivier (Mademoiselle Vania), Jean Despeaux (Kid Robert), Odette Talazac (Madame Point), Maximilienne (Mademoiselle Cuq) u.a. Uraufführung (FR): 7. August 1942. Uraufführung (D): 1943. Eine Produktion der Continental Films für Films Sonores Tobis und AGDC Alliance Générale de Distribution Cinématographique.
Zitat von Der Mörder wohnt in Nr. 21Ganz Paris zittert vor einem selbstbewussten Serienmörder, der bei jedem Leichnam eine Visitenkarte hinterlässt: „Monsieur Durand“ ist darauf zu lesen. Wer verbirgt sich hinter diesem Pseudonym? Durch den Hinweis eines Informanten wird klar: Der Killer Durand wohnt in der Pension Les Mimosas – doch unter den Mietern gibt es immer noch reichlich Auswahl für den heimtückischen Täter. Obwohl sich Inspektor Wens in Verkleidung eines Geistlichen in die Pension einmietet, gelingt es dem unsichtbaren Durand noch mehrfach, ihm ein Schnippchen zu schlagen ...
Der Regisseur Henri-Georges Clouzot wird gern als „französischer Hitchcock“ bezeichnet. Wie sehr diese Parallelen zutreffen, kann man schon an Clouzots Debütfilm erkennen. Ähnlich wie Hitchcock beginnt Clouzot seine Karriere mit einem leichtherzigeren Ausrufezeichen, bevor er später zu ernsthafteren, düstereren Werken überging. Obwohl auch „Der Mörder wohnt in Nr. 21“ einige markante Noir-Momente aufweist, legt der Film über weite Strecken großen Wert auf seine Screwball- und Komödienmomente, was etwa an Hitchcocks „Mr. and Mrs. Smith“ erinnert, aber der Jagd nach dem unbekannten Monsieur Durand leider nicht unbedingt gut tut. Auf der einen Seite werden Leichen am laufenden Band aufgefahren; auf der anderen Seite zwischen Schock- und Überraschungsmomente immer wieder kleinere und größere Albernheiten geschoben. Ganz besonders affektiert agiert die Hauptdarstellerin Suzy Delair (die Geliebte von Henri-Georges Clouzot und deshalb mit ihm zusammen auch an „Sie waren sechs“ und „Unter falschem Verdacht“ beteiligt). Auf beinahe hysterische Weise porträtiert sie eine erfolglose Bühnensängerin als naiv-durchsetzungsstarke Kindfrau, die als Gegenstück zur recht seriösen Ermittlerfigur die Nerven des Zuschauers teilweise bis zum Äußersten strapaziert.
Dennoch – und damit kommen wir wieder auf Hitchcock zurück – verlieren sich die feinen Thriller-Momente des Streifens keineswegs alle in seinen Albernheiten. Clouzot demonstriert ähnlich wie der glatzköpfige Brite ein exzellentes Gespür für Spannungsaufbau sowie die Fähigkeit, sein Publikum gezielt an der Nase herumzuführen. Monsieur Durand tritt als Killerfigur bis kurz vor Schluss nicht ins Sichtfeld des Zuschauers, verfügt aber doch über eine allgegenwärtige Präsenz und eine ausgesprochen sinistre Reputation. Dazu passen dunkle und heruntergekommene Sets – sei es die nächtliche Straße, auf der ein Betrunkener in den ersten Filmminuten seinen Tod findet, oder die Pension Les Mimosas, deren Bewohner sich eine einzige Badewanne teilen und das gesamte Spektrum von spleenigen Exzentrikern bis hin zu gefährlichen Mordverdächtigen ausfüllen. Alle Eindrücke, die der Film vermittelt, wirken im stark kondensierten Filmstil der frühen 1940er Jahre bruchstückhaft und enigmatisch; auch die Frage nach den Motiven des Monsieur Durand oder der Quelle des Informanten, der auf das Haus Nummer 21 verweist, werden nicht oder nur am Rande beleuchtet. Stattdessen spielt Clouzot mit der Neugier des Publikums, bedient und verkehrt Konventionen des Genres im gleichen Ausmaß und bringt blendend schöne Schwarzweißaufnahmen zuwege.
Zitat von „Der Mörder wohnt in Nr. 21“ bei Der-Film-Noir.de, QuelleDie Charaktere sind allesamt obskure Einzelgänger und bizarre Geheimnisträger, deren Grundlagen der Existenz meist undurchsichtig und keineswegs nur legal sind. Das Panoptikum von Außenseitern wird ergänzt durch eine klar dem Expressionismus geschuldete, innovative Kameraarbeit Armand Thirards, Clouzots auch in Zukunft wichtigstem Kameramann, der die Nacht in tiefe Schatten taucht und dem Film seinen Film-Noir-Charakter einhaucht.
Pierre Fresnay führt als Inspektor Wenceslas Wens mit schalkhafter Selbstsicherheit durch die Handlung, während sich die ausgewogene Verdächtigenschar mit offensichtlicher Freude an der Verkörperung des Halbseidenen und Zweifelhaften vor ihm aufbaut. Stellenweise geraten auch ihre Porträts arg übertrieben (der dauerpfeifende Kammerdiener oder die vermietende Mannsfrau), doch sowohl das spätere Mordopfer Mademoiselle Cuq (eine alte Jungfer, die sich als Kriminalschriftstellerin versuchen will) als auch die äußerst undurchschaubaren männlichen Mieter bieten latenten Grusel und Wens ernsthafte Gründe zum Misstrauen. Es tut sich vor allem Jean Tissier als diabolischer Magier Lalah-Poor sehr markant hervor; man würde jedenfalls nicht unbedingt gern das Zimmer neben dem seinen beziehen. Die Auflösung, mit der die Geschichte des belgischen Autors Steeman aufwartet, stellt den Zuschauer trotz beschränkter Verdächtigenzahl zufrieden und erweist sich beinah als Hommage an die Plotkonstruktionen von Agatha Christie. Ebenfalls stimmig die Musikuntermalung, deren Impulsivität zu den oft ruppig ins Bild geworfenen Opfern des Monsieur Durand passt.
Auch wenn man sich gewünscht hätte, dass Henri-Georges Clouzot in seinem Debütfilm einige nervige Comedyelemente weggelassen hätte, so zeigt sich doch bereits sein Talent für abseitige Spannung in hochwertiger Umsetzung. Die charismatische, manchmal etwas dick auftragende Besetzung macht aus der Mörderjagd ein Kuriositätenkabinett im attraktiven Vierzigerjahrestil, durchsetzt von Lockerheit, aber auch geheimnisvoller Aura. Mit etwas mehr Tempo wäre noch mehr drin gewesen.
Kriminaldrama, FR 1943. Regie: Henri-Georges Clouzot. Drehbuch: Henri-Georges Clouzot, Louis Chavance. Mit: Pierre Fresnay (Dr. Rémy Germain), Ginette Leclerc (Denise Saillens), Micheline Francey (Laura Vorzet), Pierre Larquey (Dr. Michel Vorzet), Héléna Manson (Schwester Marie Corbin), Noël Roquevert (Schuldirektor Saillens), Liliane Maigné (Rolande Saillens), Sylvie (Mutter von Patient Nr. 13), Antoine Balpêtré (Dr. Delorme), Louis Seigner (Dr. Bertrand) u.a. Uraufführung (FR): 28. September 1943. Uraufführung (BRD): 6. März 1972. Eine Produktion der Continental Films für Films Sonores Tobis.
Zitat von Der RabeKurz nachdem der geheimnisvolle Frauenarzt Dr. Germain in eine französische Kleinstadt gezogen ist, beginnen die Anwohner, anonyme Briefe mit Schmähungen und Drohungen zu erhalten. Vor allem auf Dr. Germain und dessen zwei Liebschaften mit der versehrten Denise und der verheirateten Laura hat es der unbekannte Schreiber, der als „Der Rabe“ unterzeichnet, abgesehen. In der Stadt entwickelt sich eine allgemeine Panik, die darin gipfelt, dass die Krankenschwester Marie gelyncht und verhaftet wird. Doch die Briefe treffen weiterhin ein – mit anhaltender Bösartigkeit sät der Rabe Zwietracht und sorgt damit auch für einen blutigen Todesfall ...
Denjenigen Zuschauer, der vorher Clouzots „Der Mörder wohnt in Nr. 21“ gesehen hat, wird der krasse Kontrast zwischen dem humoristisch übereifrigen Vorgänger und dem bis ins kleinste Detail düsteren Zweitfilm überraschen – ebenso wie der Umstand, dass ein derartiger Film über Spitzel- und Anschwärzertum sowie gesellschaftliche Unruhe zur Zeit der deutschen Besetzung Frankreichs überhaupt von Goebbels’ verlängertem Arm Alfred Greven produziert werden konnte. Die Verschiedenartigkeit der Filme zeigt Clouzots Bandbreite von Anfang an auf. Sicher ist das Sujet von „Der Rabe“ dabei nicht nur auf die Faszination des Regisseurs für anonyme Briefe zurückzuführen, sondern lässt sich darüber hinaus auch mit der zeitgleichen Veröffentlichung des Agatha-Christie-Romans „Die Schattenhand“ in Frankreich begründen.
Eindringlich zeigt Clouzot das Misstrauen, die Unsicherheit und die aufbegehrende Volksseele, die durch die Briefe des gehässigen „Raben“ zum Kochen gebracht wird. Er nutzt die Geschichte dabei nicht auf vordergründige Art kriminalistisch aus. Die Suche nach Anhaltspunkten auf den Täter wird durch allgemeine Ratlosigkeit und eine perfide Hexenjagd ersetzt. Stattdessen stehen psychologische Momente im Mittelpunkt, da viele Charaktere präsentiert werden, denen man ein derart abseitiges Vorgehen ohne Weiteres zutrauen würde. Mit großer Offenheit legt Clouzot seinen Finger in verschiedene Wunden: Die offene Feindschaft der Dorfgesellschaft gegenüber Außenseitern, Drogenmissbrauch, sexuelle Normabweichungen, verbotene Beziehungen, Lügen und Betrügereien stehen im Mittelpunkt des Films – negative Eigenschaften, von denen auch die Hauptfiguren des Streifens nicht ausgenommen werden. Dr. Germain ist ein rücksichtsloser, kinderhassender, freilebiger Pessimist, der es mit zwei ähnlich verdorbenen Frauenzimmern zu tun bekommt – einer neurotischen Kranken, die ihre körperlichen Defizite mit billiger Laszivität zu überdecken versucht, und einer fremdgehenden Ehefrau, die ihre Verfehlungen in der Ehe mit einem deutlich älteren Mann mit großherzigem Samaritertum im örtlichen Krankenhaus ausgleicht. Hinzu kommen Morphinisten, rächende Mutterfiguren und wenig schmeichelhafte Kindergestalten.
Clouzots Film ist nicht nur inhaltlich schonungslos und nimmt damit die figürlichen Typen des amerikanischen Film Noir vorweg, sondern zeigt sich auch in seiner Inszenierung ganz auf Höhe der Zeit. Während er inhaltlich vieles der Spekulation des Zuschauers überlässt, arbeitet er kamera- und lichttechnisch enorm präzise und mit einem Gespür für brillante Chiaroscuro-Bilder. Wenn sich Star Pierre Fresnay (dem einige Zuschauer eine unheimliche Ähnlichkeit mit Edgar Allan Poe nachsagen) und das psychologische Gewissen des Films, Pierre Larquey, in einem nächtlichen Schulzimmer miteinander unterhalten, schwenkt über ihnen eine Lampe hin und her, die den Raum in eine reizvoll changierende Licht-Schatten-Stimmung taucht. Vergleichbar wirft auch der „Rabe“ immer wieder Schatten auf scheinbare Lichtgestalten. Niemand ist vor seinen Bösartigkeiten sicher.
Wirklich großes Kino ist die Anspannung, die Clouzot bis kurz vor Schluss des Films darüber schafft, wer sich denn nun hinter dem Pseudonym des Briefeschreibers verbirgt. So geschickt und hinterlistig legt er die Fährten aus, dass selbst das eindeutige Ende für den Protagonisten keinen endgültigen Sinn zu ergeben scheint. Eingestreute Motive von Wahnsinn und Religiosität verstärken noch den enigmatischen Eindruck der letzten Filmminuten. Aussagen, der Film sei von den Nazis missbraucht worden, um die grundlegende Verdorbenheit der Franzosen zu demonstieren, zerstreuen sich jedoch ins Nichts, wenn man berücksichtigt, dass der Film seinerzeit auf deutschem Boden überhaupt nicht zur Aufführung kam. So bleibt ein Film, den man vorbehaltsfrei als ein hochspannenden, vielleicht etwas künstlerisch geratenen Musterknaben seiner schwierigen Entstehungszeit und als unmissverständlichen Hinweis auf Clouzots große inszenatorische Begabung deuten kann.
Die Briefe des „Raben“ sind ebenso wie der gesamte Film intensiv maliziös und sorgen dafür, dass man als Zuschauer sich wie bei einem schlimmen Unfall nicht vom Geschehen abwenden möchte. Die gegenseitige Zerstörung und der Argwohn gegenüber dem Nächsten kommen in den Darstellungen von Pierre Fresnay, Ginette Leclerc, Micheline Francey und Pierre Larquey hervorragend zur Geltung.
Neun im Fadenkreuz (Sans mobile apparent / Senza movente)
Kriminalfilm, FR / IT 1971. Regie: Philippe Labro. Drehbuch: Philippe Labro, Jacques Lanzmann, Vincenzo Labella (Romanvorlage „Ten Plus One“, 1963: Ed McBain). Mit: Jean-Louis Trintignant (Stéphane Carella), Dominique Sanda (Sandra Forest), Sacha Distel (Julien Sabirnou), Carla Gravina (Jocelyne Rocca), Paul Crauchet (Francis Palombo), Laura Antonelli (Juliette Vaudreuil), Jean-Pierre Marielle (Perry Rupert-Foote), Stéphane Audran (Hélène Vallée), Gilles Ségal (di Bozzo), Erich Segal (Hans Kleinberg) u.a. Uraufführung (FR): 15. September 1971. Uraufführung (IT): 22. Dezember 1971. Uraufführung (BRD): 13. Juli 1972. Eine Produktion von Cinetel Paris, Président Films Paris und EIA Euro International Film Rom für Valoria Films Paris.
Zitat von Neun im FadenkreuzInnerhalb von vier Tagen stirbt in Nizza eine Reihe scheinbar völlig unterschiedlicher Personen durch die Hand eines treffsicheren Scharfschützen. Commissaire Carella, der auf den Fall angesetzt ist, wittert trotz der allgemeinen Gefahr und der rätselhaften Motivlage zunächst nichts weiter als Routineermittlungen – bis sich herausstellt, dass seine Freundin Jocelyne in den Fall verwickelt ist und auch sie den Kugeltod stirbt. Er glaubt nicht, dass die Hintergründe der Taten in den politischen oder geschäftlichen Fallstricken der High Society an der Côte d’Azur zu suchen sind, sondern konzentriert sich auf die Vergangenheit der Toten. Tatsächlich findet er ein verbindendes Element – ein Theaterstück, an dem vor acht Jahren alle Opfer beteiligt waren ...
Philippe Labro gelang mit der Adaption des Ed-McBain-Romans ein Krimithriller mit beachtlichem Spannungsaufbau, der zwar nicht einmal langsam, aber doch mit der recht episch angelegten Erzählweise eines 1970er-Jahre-Großfilms beginnt und dann zusehends an zugkräftiger Dramatik gewinnt. Auch wenn Jean-Louis Trintignant in der Rolle des kaltschnäuzigen, wenig empathischen Ermittlers keine rechte Identifikationsfigur darstellt (zumindest in der westdeutschen Synchronisation durch Rolf Schult), so fiebert man durch die hinterhältigen, sehr gekonnt inszenierten Morde doch ernsthaft mit seinen Untersuchungen mit. Labro macht aus den Taten des unbekannten Schützen kleine Meisterwerke, die den Zuschauer teilweise völlig unvorbereitet treffen und teilweise durch unheilvolle Musik oder direkte Blicke der Opfer in die Kamera angekündigt werden. Unter der Verwendung sehr modern wirkender Slow-Motion-Aufnahmen wird die Wirkung der präzisen Attentate noch gesteigert; der Mörder benötigt nur jeweils einen Schuss und zeichnet sich somit im Stil eines Hinrichtungskommandos als besonders gefährlich aus.
Struktur erhält „Neun im Fadenkreuz“ nicht nur durch die fieberhafte Suche nach einem Tatmotiv, sondern auch durch die Einteilung des Films in vier Handlungstage mit entsprechenden Einblendungen. Diese suggerieren trotz der offensichtlichen dramatischen Übersteigerung eine gewisse Authentizität und erinnern ebenso wie Labros gefällige Mordinszenierungen und das sommerlich-satt-südliche Farbenspiel an aktuelle Blockbuster. Im Gegensatz dazu schlägt der Grund für die Morde, der letztlich zutage tritt, in die Kerbe damaliger Giallo-Krimis mit ihren gebrochenen Frauencharakteren und psychologischer Traumata, während sonst von der italienischen Produktionsbeteiligung durch die römische EIA kaum etwas zu bemerken ist. Als eine weitere Brücke wäre höchstens noch Jean-Pierre Marielle zu nennen, der im gleichen Jahr in Dario Argentos drittem Tier-Trilogie-Teil „Vier Fliegen auf grauem Samt“ eine ähnlich einprägsame, aber gänzlich anders gelagerte Rolle bekleidete.
Neben Trintignant und Marielle treten noch einige weitere Stars der damaligen Zeit in der hochwertig besetzten Produktion auf. Eine besondere Ankündigung erfährt z.B. die distinguierte Stéphane Audran, die ebenso wie die tragische Carla Gravina zu den interessanteren und auch mysteriöseren Frauenrollen des Films zählt, während Dominique Sanda und Laura Antonelli auf junge, mehr oder weniger ahnungslose, recht passive Opferdarstellungen beschränkt bleiben. Die Herren wirken anfangs neben dem durchsetzungsstarken Hauptakteur etwas blass; später im Filmverlauf tauchen mit dem Wahrsager Hans Kleinberg (Erich Segal) oder dem Theaterregisseur Palombo (Paul Crauchet) kurz einige erinnerungswürdige Charaktertypen auf. Alles in allem ist „Neun im Fadenkreuz“ dennoch weniger ein Ensemblefilm, der sich auf die schauspielerischen Leistungen all seiner Mitwirkenden oder auf eine psychologische Tiefe der Figuren stützt, als vielmehr ein aufregendes Polizeiabenteuer in unterhaltsamem Event-Stil.
Über dem gesamten Film schwebt dafür ein Hauch Melancholie, für den die präzise, teilweise getragene Kameraarbeit ebenso verantwortlich ist wie der Score, den Ennio Morricone für „Neun im Fadenkreuz“ komponierte. Besonders das gepfiffene Leitmotiv beeindruckt, weil es z.B. Commissaire Carella nach dem Tod seiner Freundin inmitten hektischer Täterverfolgung und Spurensicherung isoliert und wie einen traumatisierten Einzelkämpfer wirken lässt. Ähnlich findet das Musikstück dann später auch bei der verstörten Juliette Vaudreuil Anwendung. Der Schluss-Clou, den Film mit einer Rückblende der Scharfschützenmorde enden zu lassen, setzt dieser emotionalen Strategie die Krone auf und entlässt das Publikum mit einem ordentlichen zweiten Adrenalinschuss aus dem Kino bzw. dem heimischen Fernsehsessel.
„Neun im Fadenkreuz“ ist ein wertiger, sehr konzentrierter Krimireißer mit besonderen Stärken im Suspense Building, der Vergegenwärtigung einer dauerhaften Serienmordgefahr und der emotionalen Ansprache des Zuschauers. Demgegenüber bestehen trotz guter Besetzung und zielgerichteter Suche nach der Verbindung zwischen den Filmfiguren Reserven bei den Rollen und ihrer inhaltlichen sowie nachfühlbaren Ausgestaltung. Insgesamt bürgt der Streifen für ein vielleicht allzu gefälliges, aber sehr engagiertes und optisch ansprechendes Sehvergnügen.
Auf den Tipp von @Ray hin und weil mir „Angst über der Stadt“ so gut gefallen hatte, habe ich mir einen weiteren Belmondo-Thriller gegönnt:
Der Körper meines Feindes (Le corps de mon ennemi)
Kriminalfilm, FR 1976. Regie: Henri Verneuil. Drehbuch: Henri Verneuil, Michel Audiard, Félicien Marceau (Romanvorlage, 1975: Félicien Marceau). Mit: Jean-Paul Belmondo (François Leclercq), Bernard Blier (Jean-Baptiste Liégard), Marie-France Pisier (Gilberte Liégard), Yvonne Gaudeau (Madame Liégard), Daniel Ivernel (Bürgermeister Victor Verbruck), Claude Brosset (Oscar), François Perrot (Raphaël di Massa), Nicole Garcia (Hélène Mauve), Elisabeth Margoni (Karine Dupart), Jean Turlier (La Roche-Bernard) u.a. Uraufführung (FR): 13. Oktober 1976. Uraufführung (BRD): 28. Januar 1977. Eine Produktion von Cerito Films und Andrea Films für A.M.L.F.
Zitat von Der Körper meines FeindesAls François Leclercq nach sieben Jahren aus der Haft entlassen wird, findet er die Stadt Cournai verändert vor. Er sucht alte Bekannte auf, um das Verbrechen aufzuwickeln, für das er unschuldig im Gefängnis saß: den Mord an einem Fußballspieler und einer Bardame in jenem Nachtclub, den Leclercq damals selbst führte. Dabei zeigt sich, dass zwei Dinge in all den Jahren gleich geblieben sind: die Machtposition des lokalen Textilunternehmers Liégard und die Korruption politischer Kreise. Kann Leclercq die Tat trotzdem sühnen?
In knappen zwei Stunden präsentiert „Der Körper meines Feindes“ die ausladende, als Krimi getarnte Lebensgeschichte des Protagonisten François Leclercq. Enthalten sind nämlich neben einem eher simpel konstruierten Doppelmord vor allem Elemente einer bittersüßen Romanze, eines beachtlichen Sozialaufstiegs mit Schattenseiten, sich nach vielen Jahren erneut kreuzender Lebenswege und einer lange wachsenden, ausgetüftelten Rache. Henri Verneuils Film präsentiert Jean-Paul Belmondos Leclercq-Figur dabei einerseits als gewinnenden einfachen Mann, dessen Handlungen man gerade in Hinblick auf das Unrecht, das ihm angetan wurde, gut nachvollziehen kann, verleiht ihr aber andererseits auch zweifelhafte, eher hemdsärmelige Qualitäten im typischen 1970er-Jahre-Antihelden-Stil. Auch wenn der Filmdienst Belmondo darstellerisch (vermutlich aus Neid wegen dessen anhaltender Popularität zur damaligen Zeit) „sichtlich überforder[t]“ sieht, so verfolgt man als Zuschauer seine Jagd auf die wahren Verantwortlichen nur umso gespannter.
Denn nicht nur baut man rasch eine enge Beziehung zu Leclercq auf, die das Interesse an dessen Tour de Force in die eigene Vergangenheit zusehends befeuert; auch unterstützen Drehbuch und Regie diese Identifikation mittels einer großen Zahl von Rückblenden. Mühelos springt Verneuil durch die einzelnen Zeitebenen, die manchmal wichtige Schlüssel zum Verstehen des Mordfalles und manchmal nur nebensächliche Assoziationen oder Spuren ins Nichts beinhalten. Der Film gibt sich dadurch den Anschein, jederzeit den Gedanken seines Handlungsträgers zu folgen, und kommt auf natürlichem Wege zu mehreren Erkenntnismomenten. Vorwürfe, er gerate dadurch zusammenhanglos oder verwirrend, scheinen mir hingegen herbeigeredet. Wie bei französischen Krimis üblich, ist die Erzählweise eher getragen und der Plot recht komplex; aber wer gut aufpasst, wird auch von der großen Anzahl der Charaktere und der wechselnden Tempora nicht durcheinandergebracht werden.
Auch über Belmondo hinaus genügt der Film vor und hinter der Kamera hohen Ansprüchen. Fotografisch gewinnt er von der selbstbewussten, hochprofessionellen Bildsprache des Stammkameramanns Jean Penzer; musikalisch wird diese sommerliche Schwere durch Francis Lais überzeugende, melancholische Töne ergänzt. Ein Mord wird sehr eindrücklich in Slow Motion gezeigt; hier und da kommen des Weiteren Off-Kommentare oder laut ausformulierte Gedanken zur Ansprache des Zuschauers zum Einsatz. An Belmondos Seite überzeugen Bernard Blier als skrupelloser Magnat (synchronisiert von Klaus Schwarzkopf) und Marie-France Pisier als kratzbürstige, letztlich aber selbst aufs Kreuz gelegte Tochter im goldenen Käfig. Pisier erinnert optisch an Jennifer O’Neill, behauptet sich aber in starken Szenen auf sehr eigenständige Weise, indem sie spannende (Wort-)Duelle mit dem vorlauten Belmondo eingeht und dabei auch unterschwellige Gefühlsregungen erkenntlich macht.
Obwohl „Der Körper meines Feindes“ (die Titelübersetzung ist im Übrigen falsch – besser wäre „Die Leiche meines Feindes“) über eine sehr ernste Aussage und einen kritischen Grundtenor verfügt, versäumt der Film es nicht, die Zuschauer stellenweise auch mit lockeren Momenten bei der Stange zu halten. Darsteller wie Claude Brosset, Yvonne Gaudeau oder Pierre Forget demonstrieren komödiantisches Talent, ohne aufgesetzt oder unpassend zu wirken. Es ist gut, dass sich der Film solchen Momenten nicht verschließt, weil er damit in seiner lebensnahen Machart glaubwürdiger wird. Man hätte sich lediglich gewünscht, dass – gerade wenn man den Umfang des Streifens bedenkt – einige für die Mordgeschichte zentrale Charaktere (der Nachtklub-Kompagnon di Massa, der Fußballer Cojac, einige Erfüllungsgehilfen um Liégard, die Killer am Ende) detaillierter ausgearbeitet worden wären. Aber vielleicht verbergen sich auch Hinweise in diesem vielschichtigen Film, derer man erst beim zweiten Sehen vollends gewahr wird. Es wäre diesem prallem Füllhorn an Nachforschungen, Abgründen und Begegnungen durchaus zuzutrauen.
Im Gegensatz zu einigen eher cop- oder actionlastigen Spielfilmen der 1970er Jahre verlässt sich „Der Körper meines Feindes“ ganz auf seine fein strukturierte, großteils in Rückblenden ausgegliederte und psychologisch sowie inhaltlich anspruchsvolle Figurendramatik. Mittels seines Sprachrohrs Belmondo lässt Verneuil viele kleine Ungerechtigkeiten Revue passieren, die spannend in Mord und Selbstjustiz münden. Nicht flott, aber gehaltvoll.
Freut mich, dass dir der Film auch gefallen hat. Belmondo gehört inzwischen zu meinen Lieblingsschauspielern. Ob familientaugliche Abenteuerkomödie ("Abenteuer in Rio", "Die tollen Abenteuer des Monsieur L."), anspruchsvolle Kost ("Außer Atem"), Thriller ("Angst über der Stadt", "Der Körper meines Feindes", "Der Greifer") oder Action ("Der Profi" & Co). Die Filmografie von Belmondo hat wahnsinnig viel zu bieten.
Ich habe mit Belmondo noch "Der Profi" und den älteren Film "Der Teufel mit der weißen Weste" vorliegen und mir zudem jetzt noch "Der Coup" bestellt, der sich sehr gut anhört. Bin gespannt!
Vom "Profi" war ich bei der Erstsichtung etwas enttäuscht, da er gefühlt immer so der Belmondo-Film ist, jedenfalls habe ich es immer so wahrgenommen. Der Morricone-Score ist natürlich klasse, ansonsten ist die Rache-Story eher flach, da gibt es m.E. wesentlich bessere Belmondo-Streifen. Würde mich aber sehr interessieren, wie er dir so gefällt. Wollte ihn mir mit etwas herabgesetzter Erwartungshaltung demnächst auch nochmal vornehmen.
An "Der Teufel mit der weißen Weste" habe ich nur noch vage Erinnerungen. "Der Coup" interessiert mich sehr, den kenne ich noch gar nicht. Die deutsche DVD ist ja leider vergriffen. Da bin ich ebenfalls gespannt auf deine Eindrücke.
Darsteller: Alain Delon, Dalila Di Lazzaro, Pierre Dux, Michel Auclair
Der reiche Waffenproduzent Emmerich (Pierre Dux) verabschiedet spätabends sichtlich genervt einige seiner Mitarbeiter, welche nach Hause fahren wollen. Dabei überholt einer von ihnen aggressiv den professionellen Pokerspieler Michel Gerfaut (gespielt von Alain Delon), der sich gerade auf dem Weg zu einem neuen Spielchen befindet. Wenige Minuten später findet Gerfaut den Raser verunglückt am Straßenrand und schafft ihn ins nächste Krankenhaus. Da er es eilig hat, macht er sich bald aus dem Staub, so entgeht ihm, dass am bald darauf verstorbenen Opfer Schussverletzungen festgestellt wurden. Während er am nächsten Tag mit seiner Freundin Bea (Dalila Di Lazzaro) Urlaub am Meer bei seiner Mutter macht, fallen noch zwei weitere hohe Angestellte des Rüstungskonzerns Attentaten zum Opfer. Nachdem zwei Männer versucht hatten, auch Gerfaut beim Schwimmen zu ertränken und ihn wenig später mit einem fingierten Telefonanruf in eine Falle locken wollen, erkennt er in den Schlagzeilen der Zeitungen über die Ermordung der drei Männer auch den Mann wieder, den er verletzt aus dem Auto gezogen hatte. Was steckt dahinter ? Der Zuschauer weiß mittlerweile, dass der Konzernchef Emmerich, stets flankiert von einem zwar servilen, aber zynischen Stellvertreter namens Leprince (Michel Auclair), die drei Mitarbeiter aus Bedenken wegen deren Loyalität beseitigen ließ und nun glaubt, dass Gerfaut möglicherweise zu viel von dem Verletzten erfahren hat oder gar ein Agent ist. Deswegen sind ihm die Killer auf den Fersen, sie ermorden in seiner Wohnung versehentlich einen guten Polizisten-Freund von ihm. Nun dreht der Spieler den Spieß um und verfolgt die Mörder, wobei er sie nach einiger Zeit auch töten kann. Schließlich will Emmerich den widerspenstigen Einzelgänger verschonen und für sich gewinnen, doch der will nur in Ruhe gelassen werden. Doch wer einmal in die Fänge der Rüstungsmafia geraten ist, der kann ihr schlecht entkommen…
Hier spielt Delon tatsächlich, wie es die zeitgenössischen Filmkritiken auch betonen, wieder mal die Rolle des einsamen Kämpfers gegen ein schier übermächtiges System. Diesmal ist er unverschuldet in die Misere geraten, er hat nur aus menschenfreundlichen Motiven einem vermeintlichen Unfallopfer geholfen, etwas, was wohl jedem passieren kann. Neben seinem etwas absonderlichen Broterwerb hat er noch das genreübliche Privatleben in Form einer attraktiven Blondine, die sich gleich bei ihrem ersten Auftritt lasziv halbnackt in ihrem Bett rekeln darf und weiterhin als besonderes Problem in Gedanken wälzt, welchen superknappen Bikini sie als nächstes kaufen soll. Damit auch das weibliche Publikum was geboten bekommt, findet Delon ebenfalls genügend Zeit, mit freiem Oberkörper durch die Gegend zu laufen. Doch mit der erotischen Leichtigkeit ist es bald vorbei, das Geschehen wird zunehmend gefährlicher für die beiden, denn auch Bea wird von den Mördern bedroht. Nach einer Auto-Verfolgungsjagd und einer heftigen Schiesserei, die an einer brennenden Tankstelle endet (hat da Steve McQueens Bullitt ein wenig Pate gestanden?), zeigt der Mann ohne Hintergrund seine Qualitäten als Fighter, doch was treibt ihn an und woher hat er seine Kenntnisse ? Schließlich verliert er auch in solchen Extremsituationen nicht die Nerven. Das fragt sich auch der große Waffenguru Emmerich, doch es bleibt ihm und auch dem Zuschauer offen und ist irgendwie ein Manko des Filmes. Ebenso werden die politischen Hintergründe von Emmerichs Verhalten nur schemenhaft aufskizziert, im Prinzip ist der Film meist eine Art Spiel von Verfolger und Verfolgten. Die Ordnungskräfte des Staates treten nur in Form eines Inspektors der Sicherheitspolizei auf, der sich eher zurückhaltend gibt, obwohl die Geschehnisse ja spektakulär genug sind. Irgendwie unglaubwürdig, doch Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen ist bei den Franzosen ja populärer als bei uns, vielleicht ist ja auch die Polizei gekauft. Nachdem ein weiterer Killer Gerfauts Opfer wurde, will Emmerich ihn ja für sich gewinnen; seine Auftragsmörder interessieren ihn nicht weiter, die lässt er sowie weitere unliebsame Zeugen zum Ende hin auch selber beseitigen, eine regelrechte Mordorgie, währenddessen der Stellvertreter Leprince immer mehr in den Focus rückt. Der gibt dem an derlei Machenschaften desinteressierten Gerfaut deutlich zu verstehen, was ihn wohl für ein Schicksal zu erwarten hat. So ist auch das Ende des Filmes unvermeidlich „unhappy“ - wegen der implizierten Gesellschaftskritik, die die Handlung durchdringt und sicher auch ein Grund dafür war, dass der Streifen in die DDR-Kinos kam, hier aber unter dem Titel Drei Männer müssen sterben.
Killer stellen sich nicht vor ist ein Thriller, der die skrupellosen Machenschaften in der Rüstungsindustrie als Aufhänger für eine Geschichte nutzt, in welcher sich eine Einzelperson notgedrungen gegen eine Maschinerie zur Wehr setzt, gegen die es auf Dauer kein anderes Mittel gibt außer „Mitmachen oder Untergehen“. Die Actionmomente im zunehmend spannenden Geschehen sind wohldosiert und gut gesetzt, leider bleiben die Hintergründe und Motivationen der Hauptpersonen reichlich nebulös.