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Dieses Thema hat 167 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker international
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Alpagueur Offline



Beiträge: 1

13.05.2020 11:11
#121 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten

Wenn wir Delon/Ventura als Hauptprotagonisten mal rausnehmen, könnte es sich um den französischen Actionfilm "Der Greifer" von 1976 handeln. Hauptdarsteller sind hier allerdings Belmondo und Bruno Cremer.

Docca Offline



Beiträge: 4

13.05.2020 12:19
#122 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten

Danke für den Hinweis. Schau ich mal rein. Wobei ich Belmondo fast schon ausschliessen würde. Ein weiterer Tipp von anderer Stelle war "4 im roten Kreis", der ebenfalls sehr spannend klingt!

Ray Offline



Beiträge: 1.930

13.05.2020 14:03
#123 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #120


Der Tag bricht an (Le jour se lève)

Kriminaldrama, FR 1939. Regie: Marcel Carné. Drehbuch: Jacques Viot, Jacques Prévert. Mit: Jean Gabin (François), Jacqueline Laurent (Françoise), Jules Berry (Monsieur Valentin), Arletty (Clara), Bernard Blier (Gaston), Marcel Pérès (Paulo), Mady Berry (Pförtnerin), René Génin (Pförtner), Arthur Devère (Monsieur Gerbois), Jacques Baumer (Kommissar) u.a. Uraufführung (FR): 9. Juni 1939. Uraufführung (BRD): 11. November 1955. Eine Produktion von Productions Sigma Paris für Les Films V.O.G. Paris.

Zitat von Der Tag bricht an
Durch das ganze Treppenhaus hallen die Schüsse; wenige Minuten später stürzt der Leichnam eines Mannes die Stufen herunter. Sein Mörder, der junge Arbeiter François, der von den anderen Mietern als freundlich und zuvorkommend beschrieben wird, verbarrikadiert sich in der Tatwohnung direkt unterm Dach. Er nutzt die sich anschließende Nacht, um sich noch einmal alle Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen, die ihn dazu bewogen, den Varietékünstler Valentin zu töten. Er erinnert sich an Françoise, die er liebt und die Valentin ihm streitig gemacht hatte. Welche Unverfrorenheit seines Konkurrenten hat das Fass zum Überlaufen gebracht?

Der Bericht enthält Spoiler!

Als Poetischen Realismus bezeichnet man eine französische Filmströmung in den 1930er und 1940er Jahren, die wohl am ehesten mit dem Film Noir zu vergleichen und ebenso vielschichtig wie ihr US-amerikanisches Pendant ist, aber oftmals feinfühliger ausfällt und weniger harten Figurenstereotypen nachhängt. Zur Eingrenzung formuliert das Lexikon der Filmbegriffe der Universität Kiel:

Zitat von Jörg Türschmann: Poetischer Realismus. Universität Kiel: Lexikon der Filmbegriffe, 12. Oktober 2012, Quelle
Gemeinsam sind den Filmen Themen wie die düstere Alltagswelt volkstümlicher Helden und die Vergeblichkeit der Liebe. [...] Die Wortkargheit der Figuren, die übersteigerte Bedeutung einzelner Objekte, das nächtliche Ambiente und das statuarische Auftreten der Schauspieler lassen an den Film Noir denken. Der Pessimismus wird zum Identifikationsangebot für den Zuschauer in Form einer Melancholie, die sogar den Tod des Helden am Filmende zur Lösung macht.


Diese Beschreibung passt wie angegossen auf den Film „Der Tag bricht an“, den der Filmkritiker Tom Charity als Meisterwerk des betreffenden Genres bezeichnete. Im Zentrum des Films steht eine Vierecksgeschichte, die man aus den Augen des tragisch zum Mörder gewordenen François betrachtet – eine Position, die Milde und Unverständnis gleichermaßen im Zuschauer hervorruft. François, ein einfacher Arbeiter mit rauer Schale, aber ehrlichem Glauben an eine aufrichtige Liebe, präsentiert sich in den verschiedenen Zeitebenen des Films einerseits als sanfter Liebhaber, der mit widrigen Umständen zu kämpfen hat, und andererseits als verzweifeltes, in die Enge getriebenes Tier. Hauptinteresse des Films ist es, zu zeigen, wie sich diese Zustandsänderung ergeben hat. In dieser Form ist „Der Tag bricht an“ von Vornherein als aristotelisches Drama mit Katastrophe im 5. Akt angelegt; eine Konzeption, die nur deshalb aufgeht, weil dem Publikum das Schicksal der Protagonisten nahegeht.

Warum das funktioniert? Natürlich in erster Linie aufgrund des famosen Schauspiels von Jean Gabin als François. Der spätere „harte Hund“ Gabin ist hier in noch eher jungen Jahren zu sehen; die Bodenständigkeit und das Schicksal seiner Figur machen ihn leicht zugänglich und die tragische Wucht der Rolle bietet ihm die Gelegenheit, sein fachliches Können unter Beweis zu stellen. Besonderen Ruhm verdiente sich Gabin durch seine Wutrede am Fenster im letzten Drittel des Films, die er ohne jede Zurückhaltung darbot. Auch die anderen Akteure sind treffend besetzt: Jacqueline Laurent und Arletty bilden ein reizendes Damen-Duo aus blonder Unschuld und schwarzem Vamp, wobei beide Mitleid und Bewunderung verdienen. Gabin und Laurent haben ihre stärkste gemeinsame Szene im Gewächshaus; die von Arletty verkörperte Clara verbirgt sich zunächst hinter einem koketten Schutzpanzer, der aber später zerbricht, als sie die fiebrige Françoise pflegt. Ein besonderes Gustostück ist auch der Auftritt von Jules Berry als sprunghafter Monsieur Valentin, der als zerstörerisches Element des Films stellenweise eine wahrhaft diabolische Wirkung entfaltet. Die Entwicklung der Figuren deutet an, wie nah extreme Zu- und Abneigung beieinanderliegen und sich oftmals gegenseitig bedingen. Der dadurch in Gang gesetzte niederschmetternde Strudel der Ereignisse zeichnet den Film als besonders engagiertes und auch spannendes Kriminaldrama aus, erschien in Frankreich 1939/40 aber allzu demoralisierend, sodass er wenige Monate nach seiner Uraufführung verboten wurde.

Dass der Film diesen Rückschlag und auch die versuchte Vernichtung aller Kopien im Zuge des US-Remakes von Anatole Litvak („The Long Night“, 1947) überlebte, ist ein großer Glücksfall, denn nicht nur inhaltlich und darstellerisch, sondern auch formell beweist „Der Tag bricht an“ große Klasse. Regisseur Marcel Carné brachte den Realismus ironischerweise gerade deshalb so überzeugend zum Tragen, weil er den Film praktisch ausschließlich in Studiokulissen drehte. Sie verdeutlichen die bedrückende Umgebung der Industriestadt und die Einsamkeit des Protagonisten in seinem Dachgeschosszimmer eines Hauses, das weit über die Nachbarbebauung hinausragt. Ein aufwendiger Schwenk durch das gesamte Treppenhaus darf ebenso als Pionierleistung von Carné und seinen Kameramännern angesehen werden wie die Einbindung von Rückblenden, welche sich durch langsame Überblendungen ankündigen. Beide Ideen waren damals stilprägend; hinzu kommen das klassische, weich ausgeleuchtete Schwarzweiß und die dichte Atmosphäre, die von den überzeugenden Kulissen von Alexandre Trauner geschaffen wird.

„Der Tag bricht an“ wird in jeder Hinsicht heute zurecht als Grundpfeiler des französischen Kinos erachtet, lohnt sich aber auch einfach als rührend bittere Kriminalromanze mit faszinierender Konsequenz. Tatsächlich poetisch realistischen Darstellungen von Jean Gabin, Jacqueline Laurent und Arletty steht ein überzeugend bösartiger Jules Berry gegenüber.

(5 von 5 Punkten)

PS: Pflichtlektüre zum Film ist wieder einmal der Artikel auf Der-Film-Noir.de, wo „Der Tag bricht an“ verdientermaßen die seltene 5-Sterne-Bewertung erhält.





Über den Titel bin ich auch schon mehrfach gestolpert. Deine Besprechung dürfte nun der maßgebliche Anstoß sein, sich den Film mal vorzunehmen. Zu dem Werk finden sich übrigens auch mehrere Seiten in dem Buch "Kino der Blicke", das ich mir auf deinen Hinweis zugelegt und überblicksartig durchgelesen habe. Kann man wirklich empfehlen. In die jeweilige Zeitgeschichte eingebettet werden die einzelnen Phasen jeweils anhand repräsentativer Werke erörtert. Mnache Filme werden einer längeren Analyse zugeführt, andere kurz erwähnt. Dank Film- und Personenregister eignet sich das Buch auch als Nachschlagwerk.

haui Offline



Beiträge: 46

14.05.2020 19:57
#124 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten

Moin,

ich würde den Film mit Jean Gabin + Robert Stack und "unseren" Walter Giller gerne mal sehen (deutsch).
Leider kenne ich nur die gängigen Trailer.

ACTION MAN - Bankraub fast perfekt (Le Soleil des Voyous)

Gibt es einen TIPP, eine DVD und wo ?

Oder hat Jemand eine DVD ... vom TV erstellt und würde tauschen oder ...
Grüße haui

Ray Offline



Beiträge: 1.930

15.05.2020 13:26
#125 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten

Der Film klingt sehr interessant, ist aber wohl noch nicht auf DVD erschienen. Kann dir also leider nicht weiterhelfen.


Der Mann aus Marseille (La Scoumoune, F/I 1972)

Regie: José Giovanni

Darsteller: Jean-Paul Belmondo, Claudia Cardinale, Michel Constantin, Gérard Depardieu u.a.



Marseille in den 1930ern: Im Rahmen eines Bandenkrieges ist Roberto Borgo zu Unrecht wegen Mordes verurteilt worden. Sein Freund Xavier will die Unschuld Robertos beweisen und mischt zu diesem Zweck im Kampf der Gangster ordentlich mit. An seiner Seite: Robertos schöne Schwester Georgia...

José Giovanni inszenierte diesen Gangsterfilm auf Basis seines eigenen Romans. In 100 Minuten Film packt er dabei enorm viel Inhalt: Das Verfahren um Roberto, Xaviers Einstieg und Aufstieg im Bandenkrieg, seine Verhaftung, der gemeinsame Gefängnisaufenthalt mit Xavier und die Zeit danach. Der Film besitzt eine gute Atmosphäre und kann dem Genre entsprechend mit dem ein oder anderen Schusswechsel unter den Gangstern aufwarten. Mit Jean-Paul Belmondo, Claudia Cardinale und Michel Constatin ist der Film in zentralen Rollen zudem vorzüglich besetzt, die Musik von Francois de Roubaix ist erstklassig. Allerdings verflacht der Film in der Phase, während Roberto und Xavier sich gemeinsam hinter Gittern befinden, ein wenig. Geweckte Erwartungen bezüglich eines Ausbruchs oder zumindest eines Versuchs werden nicht erfüllt. Giovanni arbeitet im Übrigen mehrfach mit Auslassungen, was dem Film nicht immer zugute kommt. Alles in allem handelt es sich dennoch um einen sehenswerten Beitrag seiner Gattung. In einer kleinen Rolle zum Ende des Films ist übrigens der junge Gérard Depardieu zu sehen.

Die (vergriffene) DVD von Universal bietet ein gutes Bild.


Sehenswerter Gangsterfilm mit hochkarätiger Besetzung, erstklassiger Musik, aber auch kleineren inhaltlichen Schwächen. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

17.05.2020 11:30
#126 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten



Mord bleibt Mord (Un meurtre est un meurtre)

Kriminalfilm, FR / IT 1972. Regie: Etienne Périer. Drehbuch: Dominique Fabre, Etienne Périer (Romanvorlage, 1972: Dominique Fabre). Mit: Jean-Claude Brialy (Paul Kastner), Stéphane Audran (Marie Kastner / Anne Andrieux), Robert Hossein (Jean Carouse), Michel Serrault (Commissaire Plouvier), Catherine Spaak (Françoise Noblet), Michel Creton (Apotheker Moureux), Olivier Hussenot (Notar), Claude Chabrol (Schlafwagenschaffner), Madeleine Damien (1. Kundin im Modesalon), Jeanne Pérez (2. Kundin im Modesalon) u.a. Erstsendung (FR): 23. August 1972. Erstsendung (BRD): 1974. Eine Produktion von Les Films de l’Epée Paris, Planfilm Paris und Tritone Cinematografica Rom.

Zitat von Mord bleibt Mord
Autoverkäufer Paul Kastner ist in doppelter Hinsicht beruhigt: Seine ebenso steinreiche wie unleidliche Gattin Marie ist gerade beerdigt und die Untersuchung ihres Todes mit der Feststellung von Pauls Unschuld beendet worden. Der Witwer erwartet, nun endlich in Ruhe mit seiner Geliebten Françoise zusammenkommen zu können, hat dabei aber die Rechnung ohne zwei entschiedene Störfaktoren gemacht: seine Schwägerin, die ihm hartnäckig doch noch den Mord in die Schuhe schieben will, und einen Erpresser namens Carouse. Dieser gibt unumwunden zu, Marie getötet zu haben, um dann von Paul ein Schweigegeld zu kassieren. Wird Paul zur Polizei gehen, Carouse bezahlen oder ihn ermorden?


Man kann schon echtes Mitleid mit dem armen Paul Kastner empfinden, dessen einziger, aber dafür umso folgenschwererer Fehler es war, die Ehe mit einer Frau einzugehen, welche sich nach einem Unfall in eine Hobby-Despotin verwandelte. In einigen Rückblenden erhält der Zuschauer Einblick in das psychotische Verhalten der Rollstuhlfahrerin Marie Kastner, die ihrem Mann mit Eifersucht und Aggression zusetzte – sodass es eine richtiggehende Befriedigung ist, Stéphane Audran in dieser Rolle gleich zweimal sterben sehen zu dürfen. Auch gerät der Ehemann logischerweise unter Verdacht, bei so einem „gelegenen“ Ableben seiner Gattin nachgeholfen zu haben – ein simples Vorurteil, um das bereits viele Schauergeschichten gestrickt worden sind. Glaubt man zunächst, mit „Mord bleibt Mord“ eine ebensolche Story serviert zu bekommen, in der der Gemahl sich an den Bremskabeln des Unfallwagens verging, erweist sich der Film von Etienne Périer als wesentlich einfallsreicher.

Tatsächlich ist Paul unschuldig und man würde ihm eine Beziehung in ruhigerem Fahrwasser mit der wesentlich ausgeglicheneren Françoise von Herzen gönnen; doch nach Maries Beerdigung geht der Terror für ihn erst richtig los. Jean-Claude Brialy wird nicht nur von einem aufdringlich liebenswürdigen Kommissar (Michel Serrault) wieder und wieder malträtiert; auch erhält er mit Maries Schwester, die der Toten wie aus dem Gesicht geschnitten ist, einen neuen Quälgeist als Mitbewohnerin. Audran legt ihre zweite Rolle noch geifernder und unverschämter an als die erste und verleiht der Anne Andrieux sogar deutliche Anzeichen von Wahnsinn, die sie gefährlich und explosiv, manchmal aber auch einfach wie ein stures Kind auf der Suche nach einem Sündenbock wirken lassen.

Wesentlich qualifizierter bringt sich Robert Hossein ins Geschehen ein: Als kaltblütiger Erpresser, der scheinbar an alles denkt, um Paul in die Klemme zu manövrieren, darf Hossein die wohl ungewöhnlichste Rolle des Films bekleiden. Seine Rolle liefert dem Drehbuch nicht nur immer wieder neue Wendungen, sondern ist auch eine gelungene Verdrehung üblicher Krimiklischees. Zugleich hat sie etwas unglaublich Mysteriöses an sich, was auch damit zusammenhängt, dass Carouse seine Karten nur sukzessive und sehr strategisch ausspielt – wie ein Raubtier lässt er Paul, seine Beute, zappeln und beobachtet dessen Abwehrverhalten mit sadistischer Freude. Auch veranlasst er Paul und Françoise (die übrigens von einer reizend bodenständigen Catherine Spaak – ganz anders als in „Die neunschwänzige Katze“ – gespielt wird), nun doch einen Mord zumindest in Erwägung zu ziehen.

So spielt „Mord bleibt Mord“ mit den Konventionen des Genres und erweist sich dabei immer als frisch und überraschend. Gut gelungen sind auch die auflockernden Momente, für die neben dem Ermittler auch zwei alte Damen mit offenbar spitz gefeilten Zungen sowie ein vom bekannten Regisseur Claude Chabrol verkörperter Eisenbahnschaffner zuständig sind. Périers inszenatorische Handschrift inklusive Kamera und Musik hätte hingegen noch etwas kühner ausfallen können, um die Gruselmomente, die anziehende psychologische Spannungsschraube und die Ausweglosigkeit für Paul stärker zu akzentuieren. Des Weiteren wirkt es etwas enttäuschend, dass am Ende eine Nebenfigur als Katalysator und Lösungsgeber des gesamten Rätsels auftritt – dieser Charakter hätte vorher bereits etwas stärker ausgebaut werden können.

Trotz kleinerer Mängel verbringt man als Zuschauer mit diesem ungewöhnlichen Psychokrimi eine äußerst unterhaltsame und kurzweilige Zeit, was vor allem an seiner inhaltlichen Beweglichkeit und den treffend (manchmal vielleicht allzu pointiert) aufspielenden Darstellern liegt. „Mord bleibt Mord“ mag kein glanzvoller Meilenstein des französischen Thrillergenres sein, stellt aber sehr wohl ein spannendes Puzzlestück in dessen Gesamtbild dar.

(4 von 5 Punkten)

Ray Offline



Beiträge: 1.930

24.05.2020 14:23
#127 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten

Der Panther wird gehetzt (Classe tous risques, F 1960)

Regie: Claude Sautet

Darsteller: Lino Ventura, Jena-Paul Belmondo, Sandra Milo u.a.



Auf der gemeinsamen Flucht von Italien nach Frankreich mit Familie und Komplizen kommen die Frau des Gangsters Abel Davos sowie der Kumpane ums Leben. Davos bittet alte Weggefährten, ihm bei der Einreise behilflich zu sein. Diese kümmern sich jedoch nicht persönlich, sondern schicken den aus Sicht von Davos unbekannten Eric Stark. Entgegen den Erwartungen der vermeintlichen Freunde gelingt die Einreise. Nachdem Davos diese zur Rede gestellt hat, wenden sie sich endgültig von Davos ab und begehen Verrat...

„Der Panther wird gehetzt“ basiert auf einem Roman von José Giovanni und zeigt Lino Ventura in der Rolle des Gangsters Davos sowie den jungen Jean-Paul Belmondo als seinen Helfer Eric Stark. Die Inszenierung von Regisseur Claude Sadet erinnert an spätere Kriminalfilme von Jean-Pierre Melville und zeichnet sich durch atmosphärische Dichte aus. Ventura entwickelt als Gangster mit naturgemäß einigen negativen, aber auch positiven Charaktereigenschaften eine gewohnt beeindruckende Präsenz, Belmondo bringt eine gewisse Lockerheit ins Spiel. Sandra Milo, die im Verlaufe der Handlung dazustößt, punktet durch ihre natürliche Ausstrahlung. Nach spektakulärem Einstieg inklusive eines „Blitz-Raubes“ von Davos und seinem Komplizen inklusive anschließender Flucht im Auto und auf dem Motorrad legt der Film in der Folge ein eher ruhigeres Tempo an den Tag, um am Ende in Sachen Action und Spannung noch einmal anzuziehen. Wenn man dem Werk etwas vorwerfen kann, dann ist es der Umstand, dass die Polizisten kaum in Erscheinung treten, obendrein wenig charismatisch sind und daher aus Sicht des Zuschauers für Davos keine echte Gefahr darstellen. Dies wurde etwa bei „Der Clan der Sizilianer“ – allerdings auch erst nach Anstoß durch den Produzenten – besser gelöst.

Die Bildqualität der Blu-Ray von Filmjuwelen ist insgesamt sehr gut, in weiten Teilen sogar exzellent. Als Bonus gibt es neben dem üblichen Booklet eine ca. 20 Jahre alte, halbstündige Dokumentation über Lino Ventura, in der u.a. auch José Giovanni zu Wort kommt.


Hochwertig inszeniertes und erstklassig gespieltes Gangsterdrama mit kleinen inhaltlichen Schwächen. 4 von 5 Punkten.

Ray Offline



Beiträge: 1.930

29.05.2020 18:53
#128 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten

Ho!/Die Nummer Eins bin ich (Ho!, F 1968)

Regie: Robert Enrico

Darsteller: Jean-Paul Belmondo, Joanna Shimkus, Stéphane Fey, Sydney Chaplin u.a.



Francois Holin, von Freunden auch Ho genannt, muss seine Rennfahrerkarriere an den Nagel hängen, nachdem er bei einem Rennen den Tod eines Freundes verursacht hat. Über die Rolle eines Fluchtfahrers bei Banküberfällen gelingt ihm der Einstieg in die Ganovenszene, in der er sich rasch zur „Nummer 1“ hocharbeitet und so die Aufmerksamkeit erhält, die er gerne als Rennfahrer bekommen hätte. Doch Ho muss aufpassen: Ihm ist nicht nur permanent die Polizei auf den Fersen, auch aus den eigenen Reihen drohen ihm Gefahren...

„Ho!/ Die Nummer 1 bin ich“ basiert auf einer Romanvorlage von José Giovanni und erzählt die Geschichte eines vielversprechenden Rennfahrers, der nach einem dramatischen Vorfall zum gefürchteten Gangster wird. Die Vorgeschichte nimmt in der Inszenierung Robert Enricos nicht allzu viel Raum ein, dafür bekommt der Zuschauer gleich in den ersten Minuten den ersten Überfall geboten, an dem Ho jedoch noch lediglich als Fluchtfahrer mitwirkt, der „Boss“ ist in diesem Moment noch Canter, gespielt von Sydney Chaplin („Das Gesicht im Dunkeln“, „Der Clan der Sizilianer“). Nach einer unfreiwilligen Selbsttötung setzt Ho alles daran, Canters Platz einzunehmen. Ein Gefängnisaufenthalt bildet einen Rückschlag, doch mithilfe eines findigen Tricks gelingt ihm schon bald die Flucht. Ab jetzt ist er vorläufig nicht aufzuhalten und genießt seinen Ruhm in vollen Zügen, weitere Coups folgen. Kennzeichnend für „Ho“ ist sein doch recht ernster Grundton. Hier wird kein Gangster schlichtweg „abgefeiert“, sondern Höhen und Tiefen im Leben eines Individuums gezeigt, das eher unfreiwillig auf die schiefe Bahn geraten ist. Nicht nur als Krimineller, sondern auch als Privatmann wird Ho vor Herausforderungen gestellt, denn seine Beziehung zu Bénedicte, dargestellt von Joanna Shimkus, Ehegattin von Sidney Poitier, gestaltet sich als schwierig. Und wenn „Ho“ auch nicht zum allerbesten gehört, was Belmondo in seiner Karriere vollbracht hat, hebt sich der Film von späteren Genre-Filmen ab, die zunehmend eher „leichte“ Unterhaltung boten. Entsprechend mehr wird Bébel in schauspielerischer Hinsicht abverlangt. Zudem hat Regisseur Enrico den Flair der Endsechziger gut eingefangen.

Die Blu-Ray von Filmjuwelen weist eine sehr gute Bildqualität auf. Enthalten ist zum einen die Original-Kinofassung, zum anderen eine von Rainer Brandt verantwortete „schnodderdeutsche“ Neusynchronisation aus den 1980er-Jahren, die eine um 16 Minuten kürzere Laufzeit hat. Ich habe die zweite Fassung noch nicht gesehen, aber es ist anzunehmen, dass der Film dort einen weniger ernsten Ton hat. Als Extra gibt es außerdem neben dem Booklet eine kurze zeitgenössische Backstage-Reportage, in der Regisseur und Hauptdarsteller zu Wort kommen.


„Ho!“ zeigt Aufstieg und Fall eines Gangsters. Der ernste Grundton des Films von Robert Enrico hebt sich von späteren Genre-Filmen Belmondos ab, geht mitunter aber auf Kosten des Unterhaltungswerts. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

31.05.2020 10:00
#129 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten



Luzifers Tochter (Retour de manivelle)

Kriminalfilm, FR / IT 1957. Regie: Denys de la Patellière. Drehbuch: Michael Audiard, Denys de la Patellière (Romanvorlage „There’s Always a Price Tag“, 1956: James Hadley Chase). Mit: Michèle Morgan (Hélène Fréminger), Daniel Gélin (Robert Montillon), Bernard Blier (Commissaire Plantavin), Peter van Eyck (Eric Fréminger), Michèle Mercier (Jeanne), François Chaumette (Charles Babin), Jean Ollivier (d.i. Olivier Darrieux) (Kriminalassistent), Pierre Leproux (Monsieur Bost, Gläubiger), Hélène Roussel (Sekretärin), Lucien Frégis (Gendarm) u.a. Uraufführung (FR): 18. September 1957. Uraufführung (BRD): 27. September 1957. Eine Produktion von Intermondia Films Paris und CIAS Cinematografica Associati Rom.

Zitat von Luzifers Tochter
Der arbeitslose Robert Montillon rettet eines Abends das Leben des in betrunkenem Zustand beinahe vor ein Auto stürzenden Eric Fréminger. Fréminger, der in seiner Ehe sehr unglücklich und dem Alkohol verfallen ist, stellt Robert gegen den Willen seiner Frau Hélène als Chauffeur an. Zunächst feindet Hélène den Eindringling Robert an; doch als Eric Selbstmord begeht, becirct sie den Angestellten, damit dieser ihr hilft, den Vorfall wie Mord aussehen zu lassen. Sie hofft damit auf die Auszahlung einer hohen Versicherungssumme, braucht dafür aber eine zweite Zeugin – ein Hausmädchen, mit dem Robert ebenfalls eine Affäre eingehen soll ...

Zitat von Georgia Glover: James Hadley Chase. David Higham, Quelle
Hailed as the ‘thriller maestro of the generation’, [James Hadley] Chase’s books (many of which were adapted to films) were all fast moving tales of murder, intrigue, blackmail and espionage. [...] Chase was heavily influenced by the American crime and gangster scene and his earlier books fell within that genre.


Der Film „Luzifers Tochter“, der auf dem Roman „Man muss für alles zahlen“ basiert, schlägt eine Brücke zwischen der melancholischen, romanzenbetonten Erzählweise französischer Krimidramen, den ungehörigen Seilschaften eines amerikanischen Noir und den mörderischen Familiengeschichten, wie sie später in ganz ähnlichem Stil auch die Hammer-Studios mit Filmen wie „Der Schnorchel“ oder „Ein Toter spielt Klavier“ erzählten. Im Vergleich zu den britischen Schauerproduktionen nimmt sich „Luzifers Tochter“ noch einigermaßen harmlos aus; doch trotz eines gewissen Mangels an gruseligen Schockeffekten lassen die Handlungen der Figuren in menschliche Abgründe blicken. Eric Fréminger ist ein gebrochener Mann, der sich zwischen Selbstmitleid und wüsten Drohungen dem Alkohol hingibt und nicht zuletzt deshalb zu einer Last für seine hinterlistige Frau wird. Hélène nimmt die Rolle der klassischen Femme fatale ein und dass sie beim Tod ihres Mannes nicht selbst Hand anlegen muss, sondern ihn gewissermaßen in den freiwilligen Selbstmord treibt, unterstreicht ihre Diabolik von Anfang an. Im Gegensatz zu den amerikanischen Klassikern mit ähnlichen Konstellationen (man denke z.B. an „Frau ohne Gewissen“) muss man sich im vorliegenden Film trotz Hélènes unzweifelhafter Attraktivität fragen, warum Robert sich auf sie einlässt – ihre Gefährlichkeit liegt sofort offen auf der Hand.

Michèle Morgan wickelt ihn mit erkennbarem Eigennutz um die zarten Finger – ihre Darstellung lässt den Film ein mondänes Flair atmen und hilft ihm über manche Verzögerung hinweg. Es ist überraschend, welche Vielseitigkeit Morgan an den Tag legt, wenn man ihre Rolle in „Luzifers Tochter“ mit jener im amerikanischen Thriller „The Chase“ vergleicht, bei dem die Verhältnisse genau umgekehrt aufgeteilt waren und sie das Opfer neben einem manipulativen und gewalttätigen Ehemann mimte. Während in „The Chase“ alle Darsteller der Dreieckskonstellation nachhaltige Auftritte verbuchen, bleibt Denys de la Patellières Film ganz auf Morgan zugeschnitten. Daniel Gélin als Fall Guy und Peter van Eyck als kurzlebiger Gatte können sich im Vergleich nur ansatzweise durchsetzen. Van Eyck ist zwar präsent wie in jedem seiner Auftritte, verlässt aber leider bereits nach kurzer Zeit wieder die Bühne. Gélin hätte durchaus memorabler und weniger schwach auftrumpfen dürfen – die Rolle des abhängigen Mannes muss keineswegs mit Profillosigkeit einhergehen, wie etwa Fred MacMurray als Walter Neff in „Frau ohne Gewissen“ bewies.

Die Nähe zum amerikanischen Kino wird vor allem zu Anfang durch ständige Licht-Schatten-Spiele mit Jalousien betont (Venetian Blind Effect). Zugleich kreiert der südfranzösische Schauplatz eine eigenständige Atmosphäre, die später auch durch kauzige Nebenrollen zum Tragen kommt. Am interessantesten gestaltet Bernard Blier seinen marottenhaften Inspektor als vordergründig freundlichen, aber sofort scharf schneidenden Logiker; und auch François Chaumette droht, den Plan des schwerenöterischen „Paares“ zu durchkreuzen. Man hätte sich dabei gewünscht, dass die Gefahren und Umdispositionen bei der Verschleierung des Selbstmordes noch besser von Regie und Drehbuch herausgearbeitet worden wären – das Geschehen hat zwar Achterbahncharakter, doch die Gondel fährt mit angezogener Handbremse durch die 115 Filmminuten. Stellenweise ist die Romanze stimmungsprägender als der Kampf um Unschuld und Versicherungsgeld; ein Prioritätenwechsel wäre hier willkommen gewesen, ohne dass er der Rolle von Hélène Fréminger die Butter vom Brot genommen hätte.

Stilvoller und hochwertig umgesetzter Côte-d’Azur-Thriller in Noir- und Hammer-Stilistik, der zwar eine wendungsreiche Geschichte erzählt und mit einigen Tabus spielt, aber trotzdem eine Spur zu zahm wirkt, um wahrlich zu fesseln. Das liegt am wenigsten an Aktrice Michèle Morgan, die als eiskalte Sirene die Männer ins Verderben lockt.

(4 von 5 Punkten)

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

03.06.2020 07:30
#130 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten



Unter falschem Verdacht (Quai des Orfèvres)

Kriminalfilm, FR 1947. Regie: Henri-Georges Clouzot. Drehbuch: Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry (Romanvorlage „Légitime défense“, 1942: Stanislas-André Steeman). Mit: Louis Jouvet (Inspecteur Antoine), Suzy Delair (Jenny Lamour), Bernard Blier (Maurice Martineau), Simone Renant (Dora Monier), Charles Dullin (Georges Brignon), René Blancard (Hauptkommissar), Jean Daurand (Inspecteur Picard), Pierre Larquey (Taxifahrer Lafour), Robert Dalban (Paulo), Jeanne Fusier-Gir (Garderobenfrau Pâquerette) u.a. Erstsendung (FR): 3. Oktober 1947. Erstsendung (BRD): 13. September 1949. Eine Produktion von Majestic Films Paris für Les Films Corona Paris.

Zitat von Unter falschem Verdacht
Es ist bereits an der Tagesordnung, dass in dem unscheinbaren Musiker Maurice Martineau immer wieder Eifersucht auf seine aufsehenerregende Freundin, die Varietésängerin Jenny Lamour, erwacht. Doch als sich diese vom alten, einflussreichen Lüstling Brignon Kontakte zur Filmbranche erwartet, eskaliert die Situation und Maurice stößt Morddrohungen gegen den Schürzenjäger aus. Als Brignon getötet wird, muss die Polizei unter Leitung von Inspecteur Antoine annehmen, dass Maurice für die Tat verantwortlich ist. Doch weder Antoine noch Maurice wissen, dass Jenny mit einer Champagnerflasche zugeschlagen hat ...


Manche Dinge verändern sich nicht. Henri-Georges Clouzot packte seine Thriller nach Ende des Zweiten Weltkriegs offenbar weiterhin ganz ähnlich an wie zuvor; „Unter falschem Verdacht“ ähnelt den Vorgängern „Der Mörder wohnt in Nr. 21“ und „Der Rabe“ stilistisch in frappierendem Maße. Nach „Der Rabe“ kehrt man nun wieder zu einem großstädtischen Pariser Schauplatz zurück – zudem scheint die Lebensfreude, die durch die omnipräsente Varietémusik symbolisiert wird, nach Ende der politischen Auseinandersetzungen wieder zurückgekehrt zu sein. Doch das Dilemma, in das die Hauptcharaktere des Films geraten, degradiert gerade jene laute, bunte Feel-Good-Branche zu einer sonderbaren Scheinwelt und einem beinah störenden Hintergrundrauschen. Mord bricht auch über so freundliche Gesellen wie Maurice und Jenny herein und unterzieht sie schwierigen emotionalen Feuerproben.

Eigentlich erzählt „Unter falschem Verdacht“ eine simple Geschichte, die nur dadurch verkompliziert wird, dass am Tatort noch vor der Polizei verschiedene Verdächtige auftauchen, sodass jeder von ihnen später um Alibis und Glaubwürdigkeit ringen muss. Der Zuschauer muss dabei eine Reihe von Zufällen in Kauf nehmen (z.B. den Autodiebstahl des Hauptdarstellers ausgerechnet in jenem Moment, in dem dieser sich im Mordhaus befindet), wird dafür aber mit einer durch verschiedene Tricks und Kniffe dicht gedrängten, schnell voranschreitenden Erzählung belohnt. Clouzot verstand es, so viele Aspekte der Charakterentwicklung und auch Seitenstränge der Handlung aus der Romanvorlage zu übernehmen, dass in jeder Szene neue Entwicklungen und Andeutungen um die Aufmerksamkeit des Zuschauers buhlen. Der Film wirkt geradezu übervoll – wie ein Glas kurz vor dem Überlaufen oder, um eine von Clouzot selbst verwendete Bildmetapher heranzuziehen, wie ein überlaufender Topf Milch auf dem Herd. Diese Einstellung symbolisiert im Film die sexuelle Anziehungskraft und Erregung zwischen Maurice und Jenny, kann aber auch als das Eskalieren von Ehrgeiz und Eifersucht gedeutet werden, wie sie den beiden hier fast das Genick zu brechen droht.

Dabei ist es natürlich die Polizei, die den beiden Protagonisten ordentlich einheizt. Nicht ohne Grund trägt der Film im französischen den sehr allgemein gehaltenen Titeln „Quai des Orfèvres“, der sich auf die Adresse des Pariser Polizeihauptquartiers bezieht. Nachdem zunächst die Gefühle und Verschleierungen der Verdächtigen von Clouzot ins rechte Licht gerückt wurden, konzentriert er sich zunehmend auf die Ermittlungen von Inspecteur Antoine, der von Louis Jouvet enorm charismatisch dargestellt wird. Es ist schwer, die Figur des Ermittlers in Worte zu fassen, weil er sehr vielschichtig angelegt ist – einerseits als schmeichelnder Konversateur und andererseits als harter, unnachgiebiger Jagdhund; einerseits als liebender Ziehvater eines dunkelhäutigen Sohnes und andererseits als Kriegsversehrter; einerseits als etwas vergesslich und durchaus auch parteiisch, aber andererseits als jemand, der die Situation jederzeit, wenn auch manchmal als verdeckter Marionettenspieler, im Griff hat. Jouvet ergänzt diese attraktive Rollenanlage um ein markantes Charaktergesicht, das ihn herb und zweifelnd wirken lässt.

Weniger zweideutig legt Suzy Delair ihre Rolle an. Die daueraufgedrehte Schauspielerin, bei der es wohl schon einer Untertreibung gleichkäme, zu behaupten, sie neige zum Overacting, steht als patente, aber auch egoistische Sängerin eine Spur zu sehr im Mittelpunkt. Delair strapaziert auch in diesem Film wieder die Geduld des Zuschauers; doch insgesamt gelingt es Clouzot besser, sie in das Gesamtbild einzugliedern als in „Der Mörder wohnt in Nr. 21“. Gemeinsam mit dem jungen Bernard Blier bildet sie ein untypisches Paar, das aber im Rahmen der filmischen Erzählstruktur gut funktioniert – gerade weil es so offenkundig dysfunktional ist, einander in Kerninteressen entgegenläuft und im Wesentlichen auf körperliche Anziehungskraft und gegenseitige Abhängigkeit aufgebaut ist. Blier demonstriert in seiner Rolle geradezu hündische Ergebenheit, die ihn kurz vor Ende des Films, als die Verhörsequenzen überhand zu nehmen drohen, zu einem drastischen Schritt bewegt ...

Wie oben angedeutet, lebt „Unter falschem Verdacht“ in nicht unwesentlichem Maße von der Vielfalt und Dichte seiner Milieueindrücke. Die leichtlebige Künstlerbranche eignet sich nicht nur inhaltlich hervorragend, sondern ist natürlich auch sonst ein wirkungsvolles Arbeitsfeld für Clouzot, der sich in den Hinterzimmern von Varietébühnen besonders heimisch zu fühlen scheint. Die Ausstattung und Kameraarbeit unterstützen den hochgelobten Filmschaffenden auf hohem Niveau und die kauzigen Nebenrollen, die sich wie von selbst ergeben, verleihen dem Film Würze und Leben. Dazu gehört insbesondere auch die mit Maurice und Jenny befreundete Fotografin Dora – eine jener Chargen, die französischen Filmen ihre typische sentimentale Schwere verleihen.

„Unter falschem Verdacht“ schildert einen kurzweiligen und wendungsreichen Mordfall und lässt sich auf halbem Wege zwischen anrührender Verdächtigenromanze und atmosphärisch dichtem Polizeikrimi verorten. Dank vieler spannender falscher Fährten und schillernder Inszenierungsideen von Henri-Georges Clouzot fühlt man sich wie mitten im hektischen Geschehen. Insbesondere Louis Jouvet und Bernard Blier machen den Film sehenswert; Suzy Delair muss man wie gewohnt ertragen können.

(4,5 von 5 Punkten)

Ray Offline



Beiträge: 1.930

06.06.2020 09:46
#131 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten

Folgender Clouzot-Klassiker konnte mich auch bei der zweiten Begegnung nicht überzeugen...


Lohn der Angst (Le salaire de la peur, F 1953)

Regie: Henri-Georges Clouzot

Darsteller: Yves Montand, Charles Vanel, Peter van Eyck, Folco Lulli, Véra Clouzot u.a.



Venezuela: Nachdem eine Ölquelle in Brand geraten ist, gibt es nur einen Weg, das Feuer zu löschen: Es muss eine Ladung Nitroglycerin gezündet werden. Vier Fahrer aus einer mehrere hundert Kilometer entfernten Stadt nehmen sich der Aufgabe an. Dabei müssen sie jedoch die hochexplosive Ladung durch höchst unebenes Gelände fahren...

Die oben angerissene Story klingt zwar sehr spannend. Leider stattete Regisseur Henri-Georges Clouzot den Film mit einer knappen Stunde unnötigem Vorgeplänkel aus, weswegen er viel zu spät in Gang kommt und damit schon manchen Zuschauer verprellt haben dürfte. Die vier entscheidenden Figuren hätte man ohne weiteres auf der Fahrt näher vorstellen bzw. ausarbeiten können, die überflüssige Romanze wurde wahrscheinlich nur eingebaut, um der Gattin des Regisseurs eine kleine Rolle zu verschaffen und ist daher ebenfalls entbehrlich. Ab dem zweiten Drittel wird man zwar mit Dramatik und Schauwerten ein Stück weit für die entgegengebrachte Geduld belohnt, auch in diesem Bereich wären jedoch Einsparungen möglich gewesen. Mit einem anderen Autoren bzw. einem rigorosen Cutter hätte aus „Lohn der Angst“ ein mitreißender Film werden können, so erscheint der Klassiker-Status des überlangen Streifens doch einigermaßen zweifelhaft. Auf Seiten der Schauspieler gibt es zumindest ein Wiedersehen mit Yves Montand und Peter van Eyck.


„Lohn der Angst“ vernichtet sein dramaturgisches Potential durch einen überlangen und größtenteils überflüssigen Prolog. Das zweite und dritte Drittel können besonders geduldige Zuschauer nur noch teilweise entschädigen. 3 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

06.06.2020 10:05
#132 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten

"Lohn der Angst" würde in meiner Clouzot-Reihe als nächstes anstehen. Ich war ohnehin schon ein bisschen skeptisch, aber dein Review steigert auch nicht gerade die Vorfreude. Aber wie du schreibst: Immerhin gibt es Peter van Eyck ...

Georg Offline




Beiträge: 3.263

06.06.2020 11:06
#133 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten

Ich fand Lohn der Angst sehr spannend! Aber in der Tat muss man erst mal den Prolog durchhalten, den man gerne um die Hälfte kürzen hätte können. Ich war beim ersten Sichten vor vielen Jahren auch knapp dran, dabei abzuschalten. Aber das Durchhalten hat sich ausgezahlt.
Übrigens könnte man Helmuth Ashleys letzten Kinofilm Danger - Keine Zeit zum Sterben (aus dem Jahr 1984 mit Horst Janson und John Phillip Law) als Kopie von Lohn der Angst sehen. Einer Plagiatsprüfung würde der Film inhaltsmäßig wohl kaum standhalten. Nur eben leider um Klassen schlechter.

Ray Offline



Beiträge: 1.930

09.06.2020 22:44
#134 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten

Der folgende ähnlich gelagerte Film hat mir deutlich besser gefallen als "Lohn der Angst"...


100.000 Dollar in der Sonne (Cent mille dollars au soleil, F/I 1964)

Regie: Henri Verneuil

Darsteller: Jean-Paul Belmondo, Lino Ventura, Gert Fröbe, Bernard Blier, Andréa Parisy u.a.



Fahrer Rocco macht sich mit einem LKW aus dem Staub, der Ware im Wert von 100.000 Dollar an Bord hat. Spediteur Castigliano schäumt vor Wut und setzt Roccos Kumpel Marec auf ihn an, der Rocco nun quer durch die Sahara verfolgt...

Von der Prisma recht treffend als Trivialversion von „Lohn der Angst“ umschrieben, entpuppt sich „100.000 Dollar in der Sonne“ als deutlich befriedigenderes Seherlebnis als das vermeintliche Vorbild. Das liegt zunächst daran, dass der vorliegende Film eine halbe Stunde kürzer ausfällt und dabei bei weitem nicht so viele Längen aufweist wie das Clouzot-Werk. Beim Cast hat "100.000 Dollar in der Sonne" ebenfalls die Nase vorn, lässt er doch mit Jean-Paul Belmondo und Lino Ventura gleich zwei Asse des französischen Kinos aufeinander los und hat mit Gert Fröbe noch ein weiteres schauspielerisches Schwergewicht in der Hinterhand. Fröbe macht aus der Figur des Spediteurs Castigliano ein kleines Kabinettstückchen und sorgt mit dafür, dass der Film wesentlich besser in die Gänge kommt als „Lohn der Angst“. Der Schauplatz Sahara liefert im Verlauf des Films z.T. prächtige Schauwerte, Regisseur Henri Verneuil baut zudem manch gelungene (LKW)-Actionszene ein. Die Kameraarbeit bewegt sich auf hohem Niveau, was sich beispielhaft an der finalen Auseindersetzung zwischen Belmondo und Ventura zeigt, die aus einem simplen Faustkampf enorm viel herausholt. Wenn es neben kleineren Längen etwas zu kritisieren gibt, dann, dass Andréa Parisy in der dramaturgisch nicht unwichtigen Rolle von Roccos Freundin Pepa ausgesprochen blass bleibt. In Summe bleibt „100.000 Dollar in der Sonne“ ein absolut sehenswertes Actionabenteuer alter Schule.

Die DVD von Universum zeigt den Film in guter Qualität.


Actionabenteuer alter Schule von Henri Verneuil mit Starbesetzung und tollen Schauwerten. 4,5 von 5 Punkten.

Ray Offline



Beiträge: 1.930

12.06.2020 22:40
#135 RE: Französische Kriminal- und Gangsterfilme Zitat · Antworten

Straßensperre (Gas-Oil, F 1955)

Regie: Gilles Grangier

Darsteller: Jean Gabin, Jeanne Moreau, Gaby Basset u.a.



Eines Abends überfährt LKW-Fahrer Jean einen toten Gangster. Da die Komplizen des Toten irrigerweise glauben, Jean habe sich eine Menge Geld, die der Tote unmittelbar vor seinem Tod bei sich trug, unter den Nagel gerissen, setzen sie Jean massiv unter Druck...

„Straßensperre“ vereint mit Jean Gabin und Jeanne Moreau zwei große französische Stars vor der Kamera. Gabin agiert als kleiner Mann, der gegen ihn bedrängende Gangster aufbegehrt, sehr sympathisch. Moreau, die eine für die damalige Frau recht „moderne“ Frau spielt (sie ist Lehrerin), bereichert den Film ebenfalls. Da es sich im Ganzen um eine sehr sympathsiches Produkt handelt und der Film auch auf handwerklicher Ebene sauber gemacht ist, kann man darüber hinwegesehen, dass es ein wenig dauert, bis die eigentliche Kriminalstory in Gang kommt. Die finale Konfrontation fällt dafür durchaus überzeugend aus. Für Fans von Gabin und/oder Freunde des französischen Kinos ist der Film definitiv sehenswert.

Die DVD von Pidax weist ein gutes Bild auf. Als Bonus gibt es wie üblich den Abdruck der Illustrierten Film-Bühne. Der Film gehört übrigens zu den aktuell günstig angebotenen "Restposten" des Labels.


Sympathischer kleiner Kriminalfilm, in dem Jean Gabin als LKW-Fahrer gegen eine Gruppe von Gangstern aufbegehrt. 4 von 5 Punkten.

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