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Dieses Thema hat 108 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker international
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patrick Offline




Beiträge: 3.245

25.12.2015 12:23
#31 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Zitat von Georg im Beitrag #30
Danke nochmals für Eure Tipps! Das Böse unter der Sonne war eine hervorragende Wahl! Obwohl die meisten (einschließlich mir) den Film schon irgendwann mal gesehen hatten, konnte sich keiner mehr an die Handlung oder die Auflösung erinnern.

Da ging's euch genauso wie mir. Auch ich hab den Film vor sehr langer Zeit mal gesehen und konnte mich nicht erinnern. Achtung Spoiler: Allerdings kam mir gleich etwas seltsam vor, dass Mr. Redfern bei der Leiche blieb. Ich hatte schon so eine Ahnung, dass sie gar nicht tot war, da man auch ihr Gesicht nicht zeigte. Was mir ebenfalls seltsam vorkam war, wie auffällig Mrs.Redfern nach der Urzeit fragte. Sowas hat in einem Krimi meistens seine Gründe. Somit war ich zumindest auf der richtigen Spur. Allerdings wäre ich nicht draufgekommen, dass die beiden gemeinsame Sache machten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

25.12.2015 14:30
#32 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Da sich "Mord im Orient Express" aus dem Jahr 1974 hier keiner großen Beliebtheit zu erfreuen scheint, möchte ich Euch nicht die amüsante Betrachtung der Vorpremiere des Films im ABC Theatre in London vorenthalten. Sie stammt aus dem kürzlich erschienenen Comic "Agatha Christie - Das Leben ist kein Roman".

Agatha Christie plaudert mit der Queen und einigen Darstellern über das eben Gesehene:

Zitat von Anne Martinetti, Guillaume Lebeau: Agatha Christie, Das Leben ist kein Roman, Egmont Verlag 2015, S. 110
"Majestät...." - "Hat Ihnen der Film gefallen, Lady Mallowan....?" - "Beeindruckend, diese Superproduktion..." - "Es hat Ihnen nicht gefallen." - "Ich muss Ihnen etwas gestehen, Majestät: Die Verfilmungen meiner Romane haben mir immer missfallen. Lord Mountbatten hat mich überredet, seinen Schwiegersohn den Film produzieren zu lassen..." - (Ingrid Bergman:)" Wussten Sie, dass Sidney Lumet mir zunächst die Rolle der Prinzessin Dragomiroff angeboten hat?" - "Na, so was! Die der Greta war doch wie für Sie gemacht, Miss Bergman!" - "Genau, was ich brauchte. Diese völlig unbedarfte schwedische Missionarin! Und ich konnte den rechten Akzent einbringen!" - "Mr Finney, ich bin mit Ihrer Darstellung des Hercule Poirot zufrieden, bis auf eines!" - "Und das wäre, Mrs Christie....?" - "Der Schnurrbart!" - "Wie bedauerlich! Älter zu erscheinen war nicht leicht. Die falsche Nase, die ausgestopften Wangen... Ich sah aus wie ein Ei! Dazu die schwarz glänzenden Haare! Und erst dieser gestutzte Schnurrbart!" - "Für meinen Geschmack war er nicht füllig genug!"

Gelöschtes Mitglied
Beiträge:

26.12.2015 18:08
#33 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Also mir gefällt "Mord im Orient-Express" von Regisseur Sidney Lumet ausgezeichnet. Der Film beginnt mit einer albtraumhaft in Szene gesetzten Einführung bezüglich der Ermordung eines kleinen Mädchens namens Daisy Armstrong und steuert handlungsmäßig danach auf den Orient-Express zu, in dem mit Lauren Bacall als Mrs. Hubbard bereits der nächste Albtraum wartet. Wenn ich auch in diesem Zug gewesen wäre, hätte ich zu der einen Sicherheitsabstand von mindestens fünf Metern eingehalten, welcher einen gemeinsamen Aufenthalt in einem Abteil somit ausgeschlossen hätte. Dagegen gab es mit Jacqueline Bisset als Gräfin Andrenyi glücklicherweise auch einen richtigen optischen Leckerbissen!

Obwohl ich Peter Ustinov als Hercule Poirot in den beiden späteren Spielfilmen persönlich bevorzuge, hat mir Albert Finney in der Rolle des Poirot richtig gut gefallen. Er wurde für seine Darstellung ja auch für einen Oscar als Bester Hauptdarsteller nominiert und zudem von Claus Biederstaedt hervorragend synchronisiert. Während Ustinov in dieser Rolle eher als der stets gefasste Gentleman auftrat und ziemlich sachlich ermittelte, sprühten bei Finney ab und an auch mal die Emotionen, was speziell bei Gesprächen über bzw. mit Mrs. Hubbard auch nur allzu verständlich schien. Über das Ableben von Richard Widmark als Ratchett habe ich neben den 12 Geschworenen bzw. Messerstechern ebenfalls keine Träne vergossen, er hatte den eigentlichen "bad guy" des Films perfekt verkörpert, was in der deutschen Fassung mit Arnold Marquis' Reibeisenstimme noch zusätzlich garniert wurde. Anthony Perkins war vom Drehbuch offensichtlich an seine Paraderolle als Norman Bates angelehnt, aber leider wirkte Joachim Kerzel als sein Synchronsprecher wie ein Fremdkörper. Kerzel brachte diesen typischen Perkins-Charakter einer tickenden Psycho-Zeitbombe nicht mal ansatzweise so gut rüber wie es sein Stammsprecher Eckart Dux immer hervorragend zelebriert hatte. Alles in allem fiel auch von der übrigen Darstellerriege niemand richtig ab, wobei mir Jean-Pierre Cassel als Schlafwagenschaffner besonders gut gefallen hat.

Für den Mord im Orient-Express und seine Aufklärung vergebe ich daher 5 von 5 Punkten!

Gruß
Klaus

"Henry Lightman, nochmal werd' ich Ihren Tee nicht trinken!"

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

27.12.2015 13:20
#34 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Hier gehen die Meinungen wieder einmal auseinander:



Mord im Orient-Express (Murder on the Orient Express)

Kriminalfilm, GB 1974. Regie: Sidney Lumet. Drehbuch: Paul Dehn (Buchvorlage „Murder on the Orient Express“, 1934: Agatha Christie). Mit: Albert Finney (Hercule Poirot), Lauren Bacall (Mrs. Hubbard), Richard Widmark (Ratchett), Anthony Perkins (McQueen), John Gielgud (Beddoes), Sean Connery (Colonel Arbuthnot), Vanessa Redgrave (Mary Debenham), Ingrid Bergman (Greta Ohlsson), Wendy Hiller (Prinzessin Dragomiroff), Jean-Pierre Cassel (Pierre) u.a. Uraufführung (GB): 21. November 1974. Uraufführung (BRD): 6. März 1975. Eine Produktion von G.W. Films Ltd. für Anglo-EMI Film.

Zitat von Mord im Orient-Express
Der Calais-Schlafwagen des Orient-Express ist auf seiner Reise über den Balkan bis unter die Decke gefüllt. Hercule Poirot, der von Ermittlungen aus Istanbul zurückkehrt, stolpert in den nächsten Kriminalfall, als an Bord des Zuges, der zu allem Überfluss in einer Schneewehe stecken bleibt, der Amerikaner Ratchett erstochen aufgefunden wird. Derjenige, der ihm zwölf Stichwunden zufügte, muss große Aggressionen gehegt haben – was verständlich wird, als sich herausstellt, dass Ratchett in Wahrheit Casetti, der Entführer und Mörder des Armstrong-Babies, war. Befindet sich etwa ein Angehöriger im Orient-Express?


Als Vorreiter einer neuen Art, Agatha-Christie-Bücher zu verfilmen, wendet sich „Mord im Orient-Express“ von der harmlos kalauernden Machart der britischen Sixties-Anläufe ab und stattdessen einem neuen Glamour zu. „Mord im Orient-Express“ überzeugt als ernstzunehmendes Starkino mit enger Bindung ans literarische Original. Mit der gestiegenen Wertschätzung der Vorlage stieg auch das Budget, was sich in Ausstattung und Kostümen niederschlägt, die ihren Dreißigerjahre-Chic in vollem Pomp über die Leinwand ergießen. Die vom Compagnie Internationale de Wagons-lits-Museum in Frankreich ausgeliehene Zuggarnitur versprüht Authentizität und küsst damit einen alten Mythos wach, der in der Nachkriegszeit viele Streckenänderungen und -kürzungen über sich ergehen lassen musste. Hier sieht man ihn in voller Pracht, wie er jenseits des schnöden PKW-Verkehrs die Crème de la crème der oberen europäischen und amerikanischen Zwischenkriegszehntausend befördert – ein Nostalgiebonus, den Sidney Lumet geschickt auszukosten weiß.

Der Zug ist vor allem in jenem Teil des Films der Star, in dem Mord und Ermittlungen noch in der Zukunft liegen. Bevor er – inhalts- und hindernisbedingt – in den Hintergrund tritt, tröstet er über die eine oder andere Länge hinweg, die sich vor allem aus den etwas schwatzhaften Dialogen ergibt. Interessanterweise tut Paul Dehns Drehbuch nicht viel für den Film als Endprodukt – dass eine solide Kammerspielatmosphäre auf Fernsehniveau überschritten wird, ist eindeutig der Verdienst von Regie, Kamera und Darstellern, nicht aber der Adaption als solcher. Natürlich stützt sich das Script auf einen der besten Christies; es scheint sich dieser Tatsache aber etwas zu bewusst zu sein und ruht sich auf den Lorbeeren, die der Roman einst einheimste, förmlich aus. Außer einem anfänglichen Flashback zu den Armstrongs ist nicht viel von einer Übertragung zwischen unterschiedlichen Medien zu spüren, weshalb „Mord im Orient-Express“ nicht die Dynamik und Verve der beiden ersten Ustinov-Filme erreicht.

Natürlich bügelt die schiere Bekanntheit und Güte der Verdächtigenschar so manche Delle im dramaturgischen Konstrukt aus. Vor allem Lauren Bacall als plapperhafte Amerikanerin und John Gielgud in der quintessenziellen britischen Butler-Rolle verstehen es, alle ihre Gegenüber an die Wand zu spielen. Sie sind es gleichermaßen, die von der Dialoglastigkeit des Films wie niemand sonst profitieren und verschiedene gelungene Späße zum Besten geben dürfen, während Sean Connery mit der Überzeichnung seiner Rolle eher angestrengte Akzente setzt. Das ist aber gar nichts gegen den Hauptschwachpunkt des Films. Agatha Christie selbst soll von „Mord im Orient-Express“ recht angetan gewesen sein und kritisierte lediglich den Schnurrbart Albert Finneys. In der Rückschau fragt man sich, warum sie sich in Anbetracht der erschreckend misslungenen Darstellung der Hauptrolle ausgerechnet dieses lapidare Detail auswählte. Wenn Finneys hoffnungslos überschminkter Poirot amüsiert sein soll, wirkt er linkisch, in allen anderen Momenten operiert er mit der Verbitterung und Aggression eines Kastenteufels, gestikuliert wild herum und brüllt mit schneidender Stimme. Dieser kindische Auftritt wird der Bedeutung und dem Stil der Rolle in keiner Weise gerecht; man spürt vor dem Bildschirm förmlich, für wie mühsam Finney die Verwandlung erachtet. Berichte von der Maske am Set klingen eher wie Leidensbriefe; ihm geht jede Begeisterung für den kleinen Belgier ab, die Ustinov und Suchet später im Übermaß mitbrachten.

Hört man bei Finney lieber weg, so wendet sich das Blatt in den Momenten, in denen Richard Rodney Bennetts Filmmusik erklingt, die mit Fug und Recht zu den besten Melodien und Arrangements der Filmgeschichte gezählt werden darf. Schon die Szene, in der der Orient-Express im Bahnhof von Istanbul auf die Abfahrt vorbereitet wird, dann seine Scheinwerfer setzt, schließlich der Motor angeheizt wird und sich das Stahlross langsam in Bewegung setzt, wird so deskriptiv untermalt, dass man Bennetts Score nur die Höchstwertung zusprechen kann. Er versteht es, die Dynamik des Zugs auf die Tonspur zu projizieren und immer wieder Rückbezüge auf die Filmhandlung zu nehmen, die sich in Form von Signalhörnern und Tempiwechseln bemerkbar machen. Auch kleinere Motive wie das der Prinzessin Dragomiroff oder das unheimliche Armstrong-Thema fügen sich perfekt in die jeweiligen Szenen ein.

„Mord im Orient-Express“ ist der Prototyp der klassischen Christie-Adaptionen und kämpft als solcher mit diversen Kinderkrankheiten, von denen hauptsächlich die frappierende Fehlbesetzung der Hauptrolle das Filmvergnügen empfindlich stört. Die Wertigkeit der Kulissen, die selbstbewusste Regie und die exzellenten „Nebendarsteller“ helfen darüber nach Kräften hinweg. 3,5 von 5 Punkten.



Fakten und Trivia zu „Mord im Orient-Express“

* Den Tod der kleinen Daisy Armstrong empfand Christie dem Entführungsfall Charles Lindbergh jun. nach. Der anderthalbjährige Sohn des bekannten Piloten wurde am 1. März 1932 vom Familienlandsitz Highfield in East Amwell, New Jersey, gekidnappt. Die Leiche fand man 72 Tage später. Gleichfalls basiert das Feststecken des Orient-Express in einer Schneewehe auf wahren Begebenheiten vom Februar 1929, als der Zug für sechs Tage bei Çerkezköy in der Türkei verzögert wurde.

* Nach schlechten Erfahrungen mit den Verfilmungen ihrer Bücher in den 1960ern verweigerte Agatha Christie ihre Zustimmung zur cineastischen Umsetzung ihres bekanntesten Poirot-Romans. Lord Louis Mountbatten musste persönlich für die Qualität der Arbeit seines Schwiegersohns, des Produzenten John Brabourne, bürgen, bevor das Projekt von der Queen of Crime grünes Licht erhielt.

* Laut Christie-Bio- und -Bibliograf Charles Osborne entpuppte sich „Mord im Orientexpress“ mit einem Bruttogewinn von mehr als 20 Millionen Pfund als bis dato erfolgreichster britischer Film überhaupt. Damit entwickelte er allerdings ein gefährliches Eigenleben: 1981 berichtete die Presse über den Mord an einem 16-jährigen Mädchen in Bamberg, der in seiner Durchführung der Tötung Ratchetts genau glich und demnach Kenntnis des Buchs oder Films verriet.

patrick Offline




Beiträge: 3.245

27.12.2015 13:22
#35 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Murder on the Orient Express (Mord im Orient-Express, 1974)



Filmdaten:
Deutscher Titel: Mord im Orient-Expreß
Originaltitel: Murder on the Orient Express
Produktionsland: Vereinigtes Königreich
Originalsprache: Englisch
Erscheinungsjahr: 1974
Länge: 131 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12

Stab:
Regie: Sidney Lumet
Drehbuch: Paul Dehn
Produktion: John Brabourne,
Richard B. Goodwin
Musik: Richard Rodney Bennett
Kamera: Geoffrey Unsworth
Schnitt: Anne V. Coates

Besetzung:
Albert Finney: Hercule Poirot, Lauren Bacall: Mrs. Hubbard, Martin Balsam: Signor Bianchi, Ingrid Bergman: Greta Ohlsson, Michael York: Graf Andrenyi, Jacqueline Bisset: Gräfin Andrenyi, Jean-Pierre Cassel: Pierre Paul Michel, Sean Connery: Colonel Arbuthnott, John Gielgud: Mr. Beddoes, Wendy Hiller: Prinzessin Dragomiroff, Anthony Perkins: Hector McQueen, Vanessa Redgrave: Mary Debenham, Rachel Roberts: Hildegarde Schmitt, Richard Widmark: Mr. Ratchett, Colin Blakely: Mr. Hardman, George Coulouris: Dr. Constantine, Denis Quilley: Antonio Foscarelli, Jeremy Lloyd: ADC, Vernon Dobtcheff: Concierge


Handlung:

Poirot reist im Orientexpress Richtung London und wird während der Fahrt von dem Amerikaner Mr. Ratchett für gutes Geld um Personenschutz gebeten, da dieser durch Morddrohungen eingeschüchtert ist. Poirot lehnt ab, da ihm der Mann suspekt erscheint. Kurz darauf wird Rachett tatsächlich in seinem Abteil mit zwölf Messerstichen getötet. Schließlich stellt sich heraus, dass er ein widerwärtiger Verbrecher mit eigentlichem Namen Casetti war, der Jahre zuvor die kleine Daisy, die Tochter der vermögenden Familie Armstrong, entführte, die nach der Zahlung des Lösegelds ermordet wurde. Mrs. Armstrong hatte durch den Schock eine Totgeburt, bei der auch sie selbst starb. Daraufhin beging Mr. Armstrong Selbstmord, genauso wie eine Bedienstete, die fälschlicherweise verdächtigt wurde, an der Entführung mitbeteiligt gewesen zu sein. Alles in Allem war Casetti damit am Tod von nicht weniger als fünf Menschen mitschuldig. Seltsamerweise befinden sich im Orientexpress zwölf Personen, die alle mindestens einer der fünf auf so tragische Weise aus dem Leben geschiedenen Personen sehr nahestanden. Auch liebte jeder die kleine Daisy.

Angeblich sollte sich jemand vor dem Mord kurz im Abteil von Mrs. Hubbard aufgehalten haben, die jedoch nicht ausmachen konnte, wer es war. Im Gepäck einer Verdächtigen wird die Uniform eines Schaffners gefunden, was die Schlussfolgerung aufwirft, ein Mitglied der Mafia habe in dieser Verkleidung den Mord begangen und den Zug inzwischen verlassen. Doch Poirot kommt auf eine ganz andere Spur ...

Hercule Poirot:

Albert Finney (geb. 1936) ist in der Rolle des Poirot schon sehr gewöhnungsbedürftig und steht tief im Schatten seines um ein Vielfaches gefälliger agierenden Nachfolgers Peter Ustinov. Finneys Charme wirkt gekünstelt und er hat eine Körperhaltung wie Bela Lugosi als Igor in „Frankensteins Sohn“. Im Gegensatz zu Ustinovs wesentlich feineren und väterlicheren Interpretation der Rolle, erscheint dieser Poirot schon fast grobschlächtig. Er ist oft emotional, wobei der Wutausbruch in Anwesenheit von Mary Debenham gespielt ist, um eine Reaktion von Colonel Arbuthnott zu provozieren.

Atmosphäre:

Leider hat der Film eine sehr fade, blasse und milchige Farbgestaltung, die ihn jeglichen optischen Reizes beraubt. Ich stelle mir gerade vor, wie dieser Streifen wohl in den vollen und satten Farben der Hammerfilme aus den 60er-Jahren, garniert mit ein paar düsteren Aufnahmen und der passenden Musik aussehen würde. In Punkto Atmosphäre wurde nicht annähernd das herausgeholt, was in dieser, im Grunde sehr interessanten, Geschichte alles drinnen gewesen wäre. Gerade die sich anbietende Beklemmung in dem im Schnee festgefahrenen Orientexpress ist völlig unbefriedigend umgesetzt.

Spannung:

Wie oben schon erwähnt, macht die Grundidee einiges her, krankt aber an der wenig befriedigenden Inszenierung. Es erscheinen nicht weniger als zwölf Verdächtige auf der Bildfläche, mit denen Poirot wirklich alle Hände voll zu tun hat. Die Auflösung ist mehr als unkonventionell und überrascht zugegebenermaßen, dennoch ist es ein etwas langatmiger Weg dorthin, der keine echte Hochspannung aufkommen lässt.

Charaktere:

Wie bei den späteren Ustinov-Filmen üblich, tritt auch hier schon ein bemerkenswertes Ensemble von Weltstars in Erscheinung. Eine recht kurze Rolle hat Hollywood-Haudegen Richard Widmark (1914-2008) als Mordopfer Rachett / Casetti.

Anthony Perkins (1932-1992) vermittelt als Hector McQueen den Eindruck, als würde er seine Norman-Bates-Rolle fortsetzen. Übrigens ist mit Martin Balsam als Signor Bianchi ein weiterer "Psycho-Darsteller" mit von der Partie.

Recht ungewohnt hingegen ist Ingrid Bergman (1915-1982) in einer Altersrolle als schrullige und einem religiösen Wahn verfallene Greta Ohlsson, vor allem wenn man sie, wie ich, fast ausschließlich als junge Schönheit der 40er-Jahre in Erinnerung hat.

Sean Connery bekommt als Colonel Arbuthnott vom Drehbuch zu wenig Entfaltungsspielraum und hat nicht annähernd seine Präsenz aus anderen Filmen. Dennoch strahlt er den ganzen Kerl aus, was sich vor allem in der Szene zeigt, wo er Mary Debenham zur Hilfe eilt und dabei den Schaffner niederschlägt, nachdem Poirot sie in die Mangel nimmt.

Hollywood-Ikone Lauren Bacall (1924-2014) zeigt hier, im Gegensatz zu "Appointment with Death", dass sie auch eine Altersrolle würdig auszufüllen vermag.

Der schönste Blickfang in dieser Geschichte ist natürlich die bezaubernde Jaqueline Bisset (geb. 1944) als Gräfin Adrenyi.

Angesichts der widerwärtigen Vergangenheit des Mordopfers und seiner Mitbeteiligung am Verbrechen an einem kleinen Mädchen, sind die Sympathien in dieser Geschichte eindeutig bei den Mördern, denen man die Tat in keinster Weise Übel nimmt und die damit nicht die Aura von Bösewichtern umgibt.

Fazit:

Recht unbefriedigend umgesetzter, etwas langatmiger Krimi mit vielen verpatzten Chancen und furchtbar verwaschenen Farben. 2 von 5 Schnurrbärten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

27.12.2015 14:13
#36 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Man sollte sich auch einmal fragen, warum Poirot zugunsten der Täter entscheidet: In Anbetracht der Tatsache, dass ihm die Mörder zahlenmäßig überlegen sind, muss er um sein Leben fürchten. Ein aufbrausender Charakter wie Colonel Arbuthnot würde nicht lange zögern, Poirot körperlich zu attackieren. Wer die Suchet-Verfilmung gesehen hat, spürt diese latente Bedrohung und sorgt sich um den Detektiv. Wie leicht wäre es, einen unerwünschten Mitwisser verschwinden zu lassen.

patrick Offline




Beiträge: 3.245

27.12.2015 14:16
#37 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Zitat von Percy Lister im Beitrag #36
In Anbetracht der Tatsache, dass ihm die Mörder zahlenmäßig überlegen sind, muss er um sein Leben fürchten. Ein aufbrausender Charakter wie Colonel Arbuthnot würde nicht lange zögern, Poirot körperlich zu attackieren.

Die Täter sind keine bösartigen Verbrecher, sondern Selbstjustiz treibende Racheengel. Ein Mord an Poirot würde wohl ihr Gewissen belasten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

27.12.2015 14:19
#38 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Aber wenn ihre eigene Freiheit oder gar ihr Leben bedroht wird? Wer sagt ihnen, dass sie sich für ihre Taten nicht vor Gericht verantworten müssen? Rechneten sie automatisch damit, ihre Beweggründe würden Poirot rühren?

patrick Offline




Beiträge: 3.245

27.12.2015 14:23
#39 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Poirot hatte keine Beweise sondern stellte lediglich eine Theorie in den Raum. Außerdem hätten sie dann auch den Direktor der Bahnlinie beseitigen müssen, der ebenfalls mit dem Fall vertraut war, was sicher zu viele Wellen geschlagen hätte.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

27.12.2015 20:00
#40 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten



„When it’s all over, when it’s behind us ...“

Das Wiedersehen mit den Poirot-Kinofilmen liegt nun hinter mir und ich möchte an dieser Stelle – auch wenn’s etwas ins Off-Topic tendiert – einen kurzen Vergleich der Verfilmungen mit den Suchet-TV-Filmen ziehen. Ich argumentiere bezüglich Suchet zwar aus dem Gedächtnis und nicht aus frischer Sichtungserfahrung, aber ich habe die genannten Adaptionen (mit Ausnahme von „Appointment with Death“) so häufig gesehen, dass sie sich mir deutlich eingeprägt haben.

Fall 1: „The Alphabet Murders“ (1965) gegen „The ABC Murders“ (1992)

Mein Urteil: Solider Sieg für Suchet (4 Punkte [Kino] gegen 4,5 Punkte [TV]). Ganz klare Sache: Auch wenn sie ganz liebenswert und für ihre Zeit sogar recht gelungen gemacht ist, so hat die Komödie von 1965 gegen eine „richtige“ Version dieses Stoffes keine Chance. Die Suchet-Adaption grenzt sich nicht nur durch den ernsthafteren Grundtenor von der Randall-Fassung ab, sondern betont explizit die tragische Seite der Geschichte mit der Ausnutzung des willensschwachen Hausierers Alexander Bonaparte Cust. Eventuell hätte die Folge optisch noch etwas opulenter ausfallen können, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt verfilmt worden wäre, aber das ist ein geringer Makel.

Fall 2: „Death on the Nile“ (1978) gegen „Death on the Nile“ (2004)

Mein Urteil: Beide, knappe Vorliebe für Suchet (5 Punkte [Kino] gegen 5 Punkte [TV]). Dieser Vergleich ist für meine Begriffe der schwierigste, weil die Umsetzungen sich am meisten ähneln. Beide fangen das ägyptische Flair sehr gelungen ein, wobei die Ustinov-Fassung mit enorm aufwändigen On-Location-Drehs sowie der famosen Angela Lansbury punktet, während sich Suchet zum Drehzeitpunkt auf mittlerweile 15 Jahre Erfahrung als Poirot berufen konnte und Drehbuchautor Kevin Elyot einen wunderbaren Rahmen um die Love Story von Jackie und Simon schrieb. Beide Versionen können sich, ebenso wie bei „Das Böse unter der Sonne“, legitim „perfekte Adaptionen“ nennen.

Fall 3: „Evil Under the Sun“ (1982) gegen „Evil Under the Sun“ (2001)

Mein Urteil: Beide, unentschieden (5 Punkte [Kino] gegen 5 Punkte [TV]). Im dritten Duell ist mir keine Entscheidung zugunsten einer bestimmten Version möglich. Das liegt daran, dass beide Verfilmungen so grundlegend verschieden voneinander sind. Die üppige, amüsante Produktion mit Peter Ustinov ist mein Favorit unter den Poirot-Kinofilmen, während die TV-Variante sich näher ans Buch hält und die Geschichte auf einer kleinen Kanalinsel ansiedelt (der gleichen übrigens, die Christie auch zu „Zehn kleine Negerlein“ inspirierte; davon ist Mallorca doch recht weit entfernt). Auch Suchet wartet mit herrlichem Humor auf, vor allem weil der Detektiv nur deshalb in dem Hotel weilt, weil er sich auf eine ärztlich verordnete Diät begeben muss.

Fall 4: „Appointment with Death“ (1989) gegen „Appointment with Death“ (2009)

Mein Urteil: Weder noch, beide misslungen (2,5 Punkte [Kino] gegen 2 Punkte [TV]). Es ist wirklich schade um den schönen Roman, aber beide Versionen taugen nicht als gute Adaptionen. Die Ustinov-Fassung ist zum Einschlafen und an den Stellen, an denen sie die Vorlage abändert, häufig unglaubwürdig. Das Suchet-Team gab sich erstaunlicherweise gar nicht erst die Mühe, den Roman als Ausgangsbasis für den TV-Film zu verwenden, was ein einmaliger Ausrutscher im Rahmen der Serie, aber deshalb nur umso unerklärlicher war.

Fall 5: „Murder on the Orient Express“ (1974) gegen „Murder on the Orient Express“ (2010)

Mein Urteil: Deutlicher Sieg für Suchet (3,5 Punkte [Kino] gegen 5 Punkte [TV]). Ich stehe vielleicht allein auf weiter Flur mit meiner Meinung, aber für mich ist die neue Suchet-Fassung dem vielgerühmten Kinofilm deutlich überlegen. Meine Abneigung gegen Albert Finney habe ich deutlich zur Sprache gebracht; darüber hinaus fühlt sich die Adaption von Paul Dehn gegenüber der interpretativen, aber immer stimmigen Leistung von Stewart Harcourt sehr basic an. Das Entkommenlassen des Mörders ist ein Punkt, der einfach nicht mit Poirots Persönlichkeit in Übereinstimmung zu bringen ist (er ist kein unkonventioneller Sherlock Holmes, sondern ein konservativer Mann mit festen Prinzipien), sodass Poirots Selbstzweifel absolut angebracht sind und außerdem zur glaubhaften „Endzeitstimmung“ an Bord des eingeschneiten Zuges beitragen.

Gelöschtes Mitglied
Beiträge:

31.12.2015 21:07
#41 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Zwei sehr schöne Rezensionen zu "Mord im Orient-Express", aus denen man klar erkennt, wie sehr sich bei diesem Film bzw. Albert Finney als Hercule Poirot die Geister scheiden. Während der Orient-Express für mich im Verlauf der Handlung buchstäblich voll Fahrt aufnimmt, scheint er für andere Forumsmitglieder mehr als einmal zu entgleisen und bleibt somit letztendlich im wahrsten Sinne auf der Strecke bzw. dort in einer Schneewehe stecken. Dass der Film auch einige Längen aufweist, bis er mit der spektakulären Auflösung endlich auf sein Finale zusteuert, stelle ich keinesfalls in Abrede, hier hätte man wie bei Ratchett mehrmals das Messer bzw. die Schere ansetzen können. Ich denke da in erster Linie an die Verhöre mit der Prinzessin Dragomiroff und ihrer Dienstmagd Hildegarde Schmitt sowie die nicht nur Poirot ständig nervende Mrs. Hubbard, die man dialogtechnisch durchaus hätte beschneiden können.

Wie auch immer, mir gefällt dieser Streifen trotzdem richtig gut, insbesondere die bei den Verhören immer wieder eingestreuten kurzen Rückblenden und Poirots Reaktionen darauf (als ob er diese dabei hätte sehen können). Am Schluss stellt er Signor Bianchi vor die Wahl, welche Theorie er der jugoslawischen Polizei für diesen Fall präsentieren möchte: entweder die Wahrheit oder die Geschichte von einem in den Zug eingedrungenen und als Schaffner verkleideten Unbekannten, der Ratchett im Auftrag der Mafia ermordet haben soll. Bianchi entschließt sich dazu, der jugoslawischen Polizei die einfachere Lösung mit dem ominösen Fremden zu präsentieren und sorgt damit für ein Happy End bei allen mutmaßlichen Messerstechern, die sich anschließend erleichtert in die Arme fallen. Ob sie sich andernfalls an Monsieur Poirot vergriffen hätten, wage ich jedoch zu bezweifeln, da deren kriminelle Energien nach dem gemeinsamen Mord an Ratchett aus meiner Sicht aufgebraucht waren.

Schöne Grüße und einen guten Rutsch!
Klaus

"Henry Lightman, nochmal werd' ich Ihren Tee nicht trinken!"

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

01.01.2016 14:20
#42 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

BEWERTET: "Mord im Orient Express" ("Murder on the Orient Express", Großbritannien 1974)
mit: Albert Finney, Lauren Bacall, Martin Balsam, Ingrid Bergman, Jacqueline Bisset, Jean-Pierre Cassel, Sean Connery, George Coulouris, John Gielgud, Wendy Hiller, Anthony Perkins, Denis Quilley, Vanessa Redgrave, Rachel Roberts, Richard Widmark, Michael York u.a. | Drehbuch: Paul Dehn nach dem gleichnamigen Roman von Agatha Christie | Regie: Sidney Lumet

Meisterdetektiv Hercule Poirot befindet sich auf der Rückreise nach London und besteigt dazu den berühmten Orient Express in Istanbul. Als der Zug in der zweiten Nacht in einer Schneewehe steckenbleibt, ereignet sich ein Mord. Der Millionär Ratchett wird in seinem Abteil mit zwölf Messerstichen getötet. Kurz vorher hatte er Poirot um Schutz gebeten. Dieser hatte jedoch abgelehnt, weil ihm Ratchetts Gesicht nicht gefiel. Als sich herausstellt, dass der Ermordete der Entführer und Mörder der kleinen Daisy Armstrong war, bekommen Poirots Ermittlungen eine neue Dimension, denn alle Personen an Bord des Zuges hatten in irgendeiner Weise Verbindung zu der Familie Armstrong....



Agatha Christie liebte Züge, diese schnaufenden, kraftstrotzenden Ungetüme, die sich ihren Weg durch die Landschaft pflügen und einen an ferne Ziele bringen. So ist es nicht verwunderlich, dass der Gedanke an einen gepflegten Mord ihre Phantasie beflügelte und eines ihrer stilvollsten und bekanntesten Werke hervorbrachte. Bereits der Vorspann, der mit nassglänzender Seide unterlegt ist, suggeriert Opulenz: die Namen der Darsteller stehen für Glamour und verheißen die Aussicht auf entspannende Spannung mit einem Schuss Nervenkitzel, jedoch ohne sich in den Niederungen plumper Gewalt zu wälzen, die laut den ungeschriebenen Gesetzen dieser Gesellschaftsschicht nur von den Händen des Proletariats ausgeht. So wird offensichtlich, dass Ratchett von Beginn an von seinen Mitreisenden geschnitten wird. Obwohl er in feinem Zwirn auftritt, gehört er nicht dazu. Ein Emporkömmling, dessen Direktheit für Stirnrunzeln sorgt und dessen unangemessene Anwesenheit im Zug nur durch einen Mord korrigiert werden kann. Der semidokumentarische Auftakt mit der sensationellen Erläuterung des Entführungsfalls Armstrong bereitet den Boden für weitere Rückgriffe in jene Zeit vor fünf Jahren, die für die Anwesenden an Bord des Zugs eine Zäsur bedeutete. Eine alte Rechnung ist noch offen, muss beglichen und zerrissen werden. Es scheint, als könnten die Personen erst dann wieder frei atmen, als hätten sie in den Jahren seit der Familientragödie in stummer Verzweiflung, in beherrschter Contenance oder in grimmiger Erwartung einer Gerechtigkeit zugebracht, deren Vollstrecker sie sein wollten. Der Film, dessen gefällige Aufmachung an die Sympathien des breiten Publikums appelliert, die Mörder nicht zu verurteilen, ignoriert das Angebot das Mrs Hubbard am Ende des Buches macht:

Zitat von Agatha Christie: Murder on the Orient Express, Harper Collins, Auflage von 1994, S. 232
"What are you going to do about it? If it must all come out, can't you lay the blame upon me and me only?"


Zweifellos wäre so ein Ansinnen von der solidarischen Gemeinschaft zurückgewiesen worden, weshalb es hier nicht angebracht wurde. Die Erleichterung, die sich bei allen Beteiligten nach dem Freispruch durch Poirot und Bianchi einstellt, überträgt sich im Allgemeinen auf den Zuschauer. Die Botschaft lautet: ein weiser Mann hat entschieden, die Täter agierten als verlängerter Arm des Gesetzes und handelten aus Liebe und Verbundenheit mit den Opfern der Entführungstragödie. Der Gedanke, die gesammelten Beweise für Cassettis Schuld der Gerichtsbarkeit zu übergeben und darauf zu vertrauen, dass er wie sein Komplize hingerichtet wird, wird gar nicht erst bemüht. Dennoch spürt man das Unbehagen, das sowohl die bläulich beleuchtete Mordsequenz als auch die Ernüchterung am Tag danach begleiten. Die edlen Menschen haben sich selbst die Hände schmutzig gemacht und darüber kann das Klirren der Champagnergläser nicht hinwegtäuschen.

Im Mittelpunkt des Dramas steht neben dem illustren Ensemble der legendäre Luxuszug, der zum Inbegriff der Nostalgie wurde:

Zitat von Eberhard Urban: Die Eisenbahn als Filmstar, transpress Verlag, 2015, Seite 108
"Die Dampflok 230 G 353, Bauart 2'C, die in diesem Film den Zug zieht, ist ein Filmstar. In acht Filmen spielt sie mit, zum Beispiel in "Le Train". Die Lok wurde 1923 in den Batignolles-Werken, Paris, gebaut. Inzwischen restauriert, gehört sie immer noch der SNFC, ist ein Ausstellungsstück und geht manchmal auf Fahrt."


Über die schauspielerischen Leistungen lässt sich sagen, dass sie durch die unterschiedlichen Temperamente besser im Einzelverhör funktionieren. Hier erhalten die Darsteller Großaufnahmen und man liest in ihren Gesichtern. Leider werden einige Figuren arg überzeichnet, was besonders im Fall von Ingrid Bergman, Anthony Perkins und Albert Finney der Fall ist. Mrs Hubbard stört mich in der kühlen Interpretation von Lauren Bacall gar nicht sehr, denn ihre Schwatzhaftigkeit bringt ein wenig Pfeffer in die streckenweise doch recht langweilig wirkende Gesellschaft im Speisewagen. Die Manierismen des belgischen Detektivs werden von Finney in dramatischen Kadenzen ausgelebt. Stellenweise tobt er wie ein Rumpelstilzchen durch die Waggons, wobei man zu seiner Verteidigung sagen muss, dass er die verschwiegenen Reisenden dadurch aus der Reserve locken und ihre unerschütterliche Haltung ins Wanken bringen will (siehe Vanessa Redgrave oder auch John Gielgud). Es passt zum Grundton der Verfilmung, dass hier kein vornehmer David Suchet, sondern ein jovialer Albert Finney am Werk ist. Gewissensbisse sind nicht gefragt, das Ergebnis soll dem Mainstream gefallen - wie es bei den meisten Verfilmungen von "And then there where none" der Fall ist. Dazu passt das optimistische Leitmotiv der eleganten Musik, die als mentaler Pfeifenreiniger fungiert und den letzten trüben Gedanken wegpustet.

Das Streben nach einer perfekten Welt wird durch diese Hochglanzproduktion angefeuert und zeigt gleichzeitig den Abglanz einer untergegangenen Epoche. Pathos, heimliche Leidenschaften und große Denker fesseln das Publikum über die übliche Laufzeit hinaus. Ein erlesenes Vergnügen für die winterlichen Feiertage, das uns die Welt von gestern so zeigt, wie sie in unseren Träumen existiert, aber vermutlich nie war. 4 von 5 Punkten

schwarzseher Offline



Beiträge: 626

01.01.2016 15:28
#43 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Zur Zeit "arbeite" ich mich noch durch die David-Suchet-Staffeln und mein Urteil ist schon irgendwie eindeutig, Suchet ist Hercule Poirot. Natürlich finde ich auch Peter Ustinovs Poirot toll, sozusagen ganz großes Kino mit einem ganz großen Schauspieler, Schauplätzen und super Besetzungen. Aber Peter Ustinov spielt immer ein wenig Ustinov (wie auch Margaret Rutherfords Miss Marple). Alles Filme, die ich oft in den Player lege. Albert Finney kommt bei mir fast wie eine Parodie rüber, etwas übertrieben also kein Vergleich zu Ustinov und Suchet.

Mein Fazit also: Auch wenn man die große Kinowelt mit der Serienwelt vergleicht, Suchets Poirot hat Suchtgefahr.

Gelöschtes Mitglied
Beiträge:

01.01.2016 17:30
#44 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Zitat von Percy Lister im Beitrag #42
Der Film, dessen gefällige Aufmachung an die Sympathien des breiten Publikums appelliert, die Mörder nicht zu verurteilen, ignoriert das Angebot das Mrs Hubbard am Ende des Buches macht:

Zitat von Agatha Christie: Murder on the Orient Express, Harper Collins, Auflage von 1994, S. 232
"What are you going to do about it? If it must all come out, can't you lay the blame upon me and me only?"

Zweifellos wäre so ein Ansinnen von der solidarischen Gemeinschaft zurückgewiesen worden, weshalb es hier nicht angebracht wurde. Die Erleichterung, die sich bei allen Beteiligten nach dem Freispruch durch Poirot und Bianchi einstellt, überträgt sich im Allgemeinen auf den Zuschauer. Die Botschaft lautet: ein weiser Mann hat entschieden, die Täter agierten als verlängerter Arm des Gesetzes und handelten aus Liebe und Verbundenheit mit den Opfern der Entführungstragödie. Der Gedanke, die gesammelten Beweise für Cassettis Schuld der Gerichtsbarkeit zu übergeben und darauf zu vertrauen, dass er wie sein Komplize hingerichtet wird, wird gar nicht erst bemüht.


Ich denke auch, dass das Buchende als Filmende nicht geeignet gewesen wäre, obwohl ich persönlich gut damit hätte leben können, wenn Mrs. Hubbard als Architektin des Mordplans allein die volle Härte des Gesetzes getroffen hätte, zumal sie mir mit ihrem ständigen Gefasel über ihre Ehemänner im Gegensatz zu meinen Vorrezensenten mächtig auf den Zeiger gegangen ist.

Als Colonel Arbuthnott beim Verhör DIE Bemerkung schlechthin machte, die Poirot letztendlich auf die richtige Spur führte: "Verurteilt von 12 gewählten Geschworenen, wie es sich gehört!", legte er in diesem Moment praktisch eine Beichte ab, in dem er sich und seine Mitverschwörer als für diesen Fall gewissermaßen rechtmäßig selbst gewählte Geschworene ohne ordentliche Gerichtsbarkeit bezeichnete. Sein Gesichtsausdruck dabei sprach jedenfalls Bände, zumindest für mich.

Zitat von Percy Lister im Beitrag #42
Die Manierismen des belgischen Detektivs werden von Finney in dramatischen Kadenzen ausgelebt. Stellenweise tobt er wie ein Rumpelstilzchen durch die Waggons, wobei man zu seiner Verteidigung sagen muss, dass er die verschwiegenen Reisenden dadurch aus der Reserve locken und ihre unerschütterliche Haltung ins Wanken bringen will.

Und genau DAS hat mir an Finneys Darstellung von Meisterdetektiv Hercule Poirot so gut gefallen, auch wenn es möglicherweise der Romanfigur widerspricht, aber er brachte dadurch wenigstens mal richtig Leben in die ansonsten tristen Abteile eines stehenden Zuges sowie die mutmaßlichen Täter bei seiner Schlussabrechnung bis auf wenige Ausnahmen zum Schweigen. Geschwiegen hätte besser auch Ingrid Bergman als Greta Ohlsson, die soviel wirres Zeug von sich gegeben hat, dass es sogar für einen Oscar gereicht hatte...

Frohes Neues Jahr!

Gruß
Klaus

"Henry Lightman, nochmal werd' ich Ihren Tee nicht trinken!"

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

28.02.2016 11:15
#45 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Vielleicht kennen es noch nicht alle – deshalb hier ein Hinweis auf das, wie ich finde, sehr gelungene Agatha-Christie-Denkmal in London, das ganz in der Nähe des St Martin’s Theatre anlässlich des 60. Bühnenjubiläums von „The Mousetrap“ am 25. November 2012 enthüllt wurde. Das Denkmal ist aus Bronze gegossen und zeigt in Form eines Buches neben Christie selbst auch ihre bekanntesten und beliebtesten Figuren und Romanzutaten sowie eine informative Einschrift:


Zitat von Agatha Christie Memorial, Great Newport Street / Cranbourn Street
Agatha Christie, née Miller, was born on 15 September 1890 in Torquay, Devon. Educated at home, she acquired as a child her lifelong passion for reading and writing. Knowledge of poisons, gained as a pharmaceutical dispenser in the 1914-18 war, proved invaluable for her crime writing. She married Archie Christie in 1914; their daughter Rosalind was born in 1919.

A devotee of travel, she gave many books foreign settings, especially in the Middle East, where she assisted her second husband, the archaeologist Max Mallowan, on his expeditions in Syria and Iraq. Her daughter, her son-in-law Anthony Hicks, her grandson Mathew Prichard, born in 1943, and all who knew it shared her great love for Greenway, her house on the River Dart, which her family later gave to the National Trust.

Agatha Christie was appointed Dame Commander of the British Empire in 1971. She died on 12 January 1976.

Agatha Christie’s books have sold over two billion copies in 100 languages, more than any other modern writer. Her work has been widely adapted for the cinema, radio and television. THE MOUSETRAP, the world’s longest-running show, opened in 1953 at the Ambassadors Theatre and has played at the St Martin’s Theatre since 1973. In 1954 she became the first woman to have three plays running in London at the same time.

Hercule Poirot, the all-knowing Belgian detective, made his bow in 1920 in Agatha Christie’s first book, THE MYSTERIOUS AFFAIR AT STYLES. Miss Jane Marple, her all-seeing village spinster, followed a few years later. THE MOUSETRAP, her many other plays, one more than eighty novels and books of short stories brought Agatha Christie world-wide fame in her lifetime. Through her unique understanding of human nature, her dramatic skills and mastery of the art of storytelling she has become one of the most successful and best-loved writers of all time.


Hier noch ein Bericht des Guardian über die Errichtung des Denkmals vom 10. August 2012.

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