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Dieses Thema hat 108 Antworten
und wurde 12.172 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker international
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Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

28.11.2015 21:20
Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten



Agatha Christie, geborene Agatha Mary Clarissa Miller, erblickte 1890 im südenglischen Torquay das Licht der Welt. Dass die halbe Welt deshalb in diesem Jahr ihren 125. Geburtstag feierte, verdankt die Autorin ihrer unvergleichlichen Begabung, elaborate Krimirätsel auszutüfteln, die ihre Leser ein ums andere Mal auf die falsche Fährte führen. Ihre Detektivfiguren Hercule Poirot und Miss Jane Marple sind ebenso zu Ikonen des Genres geworden wie ihre klingenden Buchtitel, z.B. „Mord im Orient-Express“, „Zehn kleine Negerlein“ oder „Zeugin der Anklage“.

So gut wie alle ihrer Geschichten wurden fürs Fernsehen adaptiert, seltener jedoch sind echte Agatha-Christie-Kinofilme. Die, die es gibt, genießen Kultstatus. Eine Margaret Rutherford oder ein Peter Ustinov erwiesen sich wohl für fast alle Christie-Fans als rasch wirkende Einstiegsdrogen. In diesem Thread sollen die Kinofilme nach Vorlagen von Agatha Christie genauer unter die Lupe genommen werden – was Produktionsumstände und Werktreue, aber auch schlicht die Umsetzung der spannenden, humorigen oder dramatischen Potenziale jener verblüffend konstruierten Golden-Age-Mysteries betrifft.

Dieser Thread dient einer kompakten cineastischen Werkschau (ein repräsentativer Querschnitt verschiedener Jahrzehnte und Herkunftsländer, aber ohne Anspruch auf Vollständigkeit), auch wenn viele der hier anzusprechenden Filme im Forum bereits über eigene Threads verfügen. Auf diese wird dann zur jeweiligen Zeit hingewiesen, sodass auch ältere Diskussionen zu den Christie-Adaptionen für den interessierten Leser leichter zu lokalisieren sein werden. In diesem Sinne freue ich mich auf einige Stunden unbeschwerter Mörderjagden und vielleicht auch auf die eine oder andere Beteiligung anderer Fans der Queen of Crime.

Einem Kreuzverhör unterzogen wurden bereits ...

  • 1945: Das letzte Wochenende (And Then There Were None, René Clair) [1] [2]
  • 1961: 16 Uhr 50 ab Paddington (Murder, She Said, George Pollock) [1] [2] [3]
  • 1963: Der Wachsblumenstrauß (Murder at the Gallop, George Pollock) [1] [2] [3] [4]
  • 1964: Vier Frauen und ein Mord (Murder Most Foul, George Pollock) [1] [2] [3] [4]
  • 1964: Mörder ahoi! (Murder Ahoy, George Pollock) [1] [2] [3]
  • 1965: Geheimnis im blauen Schloss (Ten Little Indians, George Pollock) [1] [2]
  • 1965: Die Morde des Herrn ABC (The Alphabet Murders, Frank Tashlin) [1] [2]
  • 1974: Ein Unbekannter rechnet ab (Ten Little Indians, Peter Collinson) [1] [2] [3]
  • 1974: Mord im Orient-Express (Murder on the Orient Express, Sidney Lumet) [1] [2] [3] [4]
  • 1978: Tod auf dem Nil (Death on the Nile, John Guillermin) [1] [2]
  • 1980: Mord im Spiegel (The Mirror Crack’d, Guy Hamilton) [1] [2] [3]
  • 1982: Das Böse unter der Sonne (Evil Under the Sun, Guy Hamilton) [1] [2]
  • 1987: Das letzte Weekend (Desyat negrityat, Stanislav Govorukhin) [1] [2]
  • 1988: Rendezvous mit einer Leiche (Appointment with Death, Michael Winner) [1] [2] [3]
  • 1989: Tödliche Safari (Ten Little Indians / Death on Safari, Alan Birkinshaw) [1] [2]

Prisma Offline




Beiträge: 7.591

28.11.2015 22:45
#2 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten


Margaret Rutherford   Robert Morley   Flora Robson   in
DER WACHSBLUMENSTRAUSS

● MURDER AT THE GALLOP / DER WACHSBLUMENSTRAUSS (GB|1963)
mit Katya Douglas, James Villiers, Robert Urquhart, Gordon Harris, Noel Howlett, Duncan Lamont sowie Stringer Davis und Charles Tingwell
eine Produktion der Metro-Goldwyn-Mayer | George H. Brown Productions | im Verleih der Metro-Goldwyn-Mayer
ein Film von George Pollock





»Es ist ungewöhnlich für eine englische Frau, lieber mit einem Buch auf dem Zimmer, als auf einem Pferd zu sitzen!«


Der zurückgezogen lebende und sehr wohlhabende Enderby (Finlay Currie) verstirbt plötzlich, was seine raffgierige Verwandtschaft auf den Plan ruft. Als sie bei der Eröffnung des Testaments zusammenkommen, stellt sich für jeden einzelnen nur die Frage, wie es mit den Vermögensverhältnissen des alten Herrn bestellt ist, welcher Teil für jeden abfällt und die Trauer hält sich deutlich in Grenzen. Da das Ableben Enderbys einige Fragen offen gelassen hat, deutet Cora Lansquenet, die Schwester des Toten, das an, was eigentlich alle denken. Es soll sich um Mord handeln. Kurz darauf ereignet sich das nächste Verbrechen. Da Miss Marple (Margaret Rutherford) Mister Enderby tot aufgefunden hatte und einen Schuhabdruck eines Reitstiefels am Tatort gefunden hatte, ermittelt sie auf eigene Faust und ihr Weg führt sie in das Reithotel von Hector Enderby (Robert Morley), dem unscheinbaren Neffen des Verstorbenen...

Bei "Der Wachsblumenstrauß" handelt es sich um die zweite von vier "Miss-Marple"-Verfilmungen, die der britische Regisseur George Pollock jeweils umgesetzt hat. Wie üblich beginnen die Geschichten um die hartnäckige Hobby-Detektivin sehr atmosphärisch und als Zuschauer findet man sich unmittelbar im Geschehen wieder, da man durch einen rätselhaften Mord aufgeschreckt, und vor allem zum Miträtseln animiert wird. Bereits bei der Testamentseröffnung entstehen großartige Momente, da ein letzter Wille verlesen wird, der auch gleichzeitig die Beteiligten vom Prinzip her zu charakterisieren versucht. »Obwohl ich es sehr bedaure, die unersättliche Gier meiner Verwandten befriedigen zu müssen, bestimme ich hiermit nichtsdestoweniger, dass mein gesamtes Vermögen gleichmäßig verteilt wird, zwischen meinem Vetter vierten Grades, George Crossfield, damit er nicht länger auf das Geld seiner Kundschaft zurückzugreifen braucht. Meiner Nichte Rosamund Shane, um ihr die Möglichkeit zu geben, ihrem Mann ein Leben zu bescheren, wie er es gerne führen möchte. Meinem Neffen Hector Enderby, damit er in der Lage ist, jeden Tag auf die Jagd zu reiten, anstatt einmal in der Woche, und ihm damit mehr als bisher die Gelegenheit gegeben wird, sich den Hals zu brechen. Und schließlich, meiner Schwester Cora Lansquenet, in dankbarer Erinnerung, dass sie sich 30 Jahre im Ausland aufgehalten hat, und ich nicht von ihr belästigt wurde. Das hinterlassene Geld ist sofort allen betreffenden Parteien auszuzahlen, in der Hoffnung, dass es sie alle so unglücklich wie nur möglich machen möge!« Einfach herrlich! Im Bereich der Dialogarbeit wird man somit immer wieder sarkastische Spitzen und geschliffene Wortgefechte ausfindig machen können, die sogar eine Basis für feinfühligen Humor darstellen werden. Das Geschehen findet vor gewohnt provinziellem Hintergrund statt, die resolute Miss Marple ist dem Empfinden nach mit allen Wassern gewaschen und eine feste Größe in der Stadt, der die Leute mit Respekt und Vertrauen begegnen. Lediglich mit der Polizei, sprich Inspektor Craddock, steht sie ein wenig auf Kriegsfuß, da gewisse Reibungsflächen entstehen, wenn sie dem kleinen Polizeiapparat stets einige Schritte voraus ist. So packt die umtriebige Dame ihre männlichen Kontrahenten gerne direkt an ihrer Eitelkeit, die weiblichen erfahren eine bestimmte Solidarität, allerdings ist im Zweifelsfall keine Schonung zu erhoffen.

Die filmische Figur Miss Marple wird vollkommen zurecht hauptsächlich mit Margaret Rutherford assoziiert, die in ihren vier Auftritten in der Titelrolle nicht nur maßgeblich zu den Auflösungen der jeweiligen Fälle führte, sondern als Garantin für den Erfolg der Filme steht. Rutherford präsentiert hier Darstellungskunst der alten Schule, ihre Figur wird mit feinen Facetten und einer Bandbreite ausgestattet, die Glaubwürdigkeit und Sympathie transportieren. Mord und Verbrechen rufen ihre Kombinationsgabe auf den Plan, sie kann verschachtelte Situationen entschlüsseln, Tathergänge mit Leichtigkeit skizzieren und ist den teilweise wenig logisch wirkenden Gedankengängen der Polizei in jeder Hinsicht überlegen. Rutherford glänzt vor allem in Szenen, in denen ihr weitere große Interpreten zur Seite stehen. Robert Morley zeigt sich beispielsweise in exzellenter Schauspiellaune und er setzt gezielte Pointen in Wort und Tat. Auch Flora Robson als verängstigt wirkende Miss Milchrest gibt ein Kabinettstückchen zum Besten, so dass der Zuschauer im Bereich der Hauptrollen hervorragende Leistungen geboten bekommt. Abgerundet wird dieses hochklassige Ensemble durch Charles Tingwell, James Villiers, natürlich Stringer Davis und vor allem durch die betörend wirkende Katya Douglas, die der hochmütig und verwöhnt wirkenden Nichte des Verstorbenen ein erstklassiges Profil gibt. »Wir haben anscheinend alle ziemlich schwache Alibis!«, hört man sie sarkastisch und beinahe amüsiert verkünden und die Polizei ist insgesamt wenig erfreut von den Launen und Verschleierungsversuchen der versnobten Gesellschaft. Der Kriminalfall an sich ist sicherlich nicht gerade der ausgekochteste, vielleicht kommt es zu diesem Eindruck, weil Erbschaftsangelegenheiten in diesem Genre zweifellos einen sehr hohen Wiedererkennungswert mit sich bringen, und der Vorgänger "16 Uhr 50 ab Paddington" hohe Maßstäbe gesetzt hatte, allerdings ist es Pollocks flexible, und über weite Strecken geistreiche Umsetzung, die bei Laune hält und einen spannenden bis kurzweiligen Verlauf garantiert. Die Inszenierung beinhaltet somit viele klassische Stilelemente, die zum Gruseln, Kombinieren und Staunen verleiten, der außerdem immer wieder angewandte Humor setzt angenehme Atempausen und ein sehr gelungenes Whodunit überzeugt in Verbindung mit einem beeindruckenden Finale auf ganzer Linie. "Der Wachsblumenstrauß" ist ein zeitloser Krimi-Spaß, dem man sich immer und immer wieder anschauen kann.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

29.11.2015 15:09
#3 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Ich habe als Kind alle Schnipsel, die ich über die Miss-Marple-Reihe finden konnte, aus Fernsehzeitschriften ausgeschnitten. Hier ein Fundstück aus dem "GONG":

ZDF-Erstsendung von "Der Wachsblumenstrauß" am 14. Februar 1970 mit einer Sehbeteiligung von 50%. Erste Wiederholung am 20. August 1974 ebenfalls mit einem Quotenanteil von 50%. "Die köstliche Margaret Rutherford und eine Reihe netter Details machen auch diesen Agatha-Christie-Krimi zu einem zwar nicht aufregenden, aber anregenden Filmvergnügen. (GONG-Lexikon)

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

29.11.2015 18:04
#4 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Danke, @Prisma, dass du gleich mit gutem Beispiel vorangehst!

Nachdem ich über lange Zeit ebenfalls ein vehementer Fürsprecher der Rutherford-Marples war, muss ich bekunden, mich mittlerweile ziemlich von ihnen entfremdet zu haben. Nach Kennenlernen neuerer und akkuraterer Miss-Marple-Darstellungen (ganz klar Joan Hickson, aber auch Geraldine McEwan und Julia McKenzie haben fraglos mehr mit Christies Miss Marple zu tun als Rutherford) bin ich auf die bauernschlaue Draufgängerin der Sechzigerjahre-Krimis gar nicht mehr so gut zu sprechen. Neulich hatte ich als Vorbereitung auf diesen Thread sogar "Murder, She Said" wieder einmal angetestet, musste jedoch nach 20 Minuten ausschalten, weil mir die Rutherford-Version einfach zu belanglos und die naseweise, vorlaute Dame mit ihrem breitbeinigen Stand und ihrem rückgratlosen Jasagerfreund recht unerträglich vorkam (in deinem Wortlaut: "resolut").

Insofern bin ich gespannt, welche Aspekte ich den Filmen dann abgewinnen kann, wenn ich wieder etwas tiefer in der Christie-Materie drinstecke und ob ich mich vielleicht von meiner eigenen Nostalgie oder von der hierzulande noch immer recht präsenten Begeisterung für Rutherford-Marple anstecken lasse (immerhin muss es ja einen Grund haben, dass ausgerechnet - und ziemlich exklusiv - in Deutschland die vier Rutherford-Filme jene Produktionen sind, die Otto Normalzuschauer als erstes mit dem Namen Agatha Christies verbindet).

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

29.11.2015 20:25
#5 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

@patrick und ich haben uns auch gleich einen Film aus den Sechzigern vorgenommen. Er passt ganz gut, weil Rutherford darin immerhin auch einen kleinen Auftritt hat:




Die Morde des Herrn ABC (The Alphabet Murders)

Kriminalkomödie, GB 1965. Regie: Frank Tashlin. Drehbuch: David Pursall, Jack Seddon (Buchvorlage „The ABC Murders“, 1936: Agatha Christie). Mit: Tony Randall (Hercule Poirot), Anita Ekberg (Amanda Beatrice Cross), Robert Morley (Hastings), Maurice Denham (Japp), Guy Rolfe (Duncan Doncaster), Sheila Allen (Lady Diane), James Villiers (Franklin), Julian Glover (Don Fortune), Grazina Frame (Betty Barnard), Clive Morton („X“) u.a. Uraufführung (GB): August 1965. Uraufführung (BRD): 18. Februar 1966. Eine Produktion von Lawrence P. Bachmann Productions für Metro-Goldwyn-Mayer.

Zitat von Die Morde des Herrn ABC
A.B.C. lauten die Initialen der ausnehmend hübschen Blondine, die Hercule Poirot ihren Drang zum Töten beichtet. Der Verdacht der Polizei fällt natürlich auf eben jene Unbekannte, als sich eine Mordserie entspinnt, in der die Opfer in alphabetischer Reihenfolge umgebracht werden. Doch Poirot vermutet eine Finte. Eine psychisch labile Person könnte auch von einem Mann im Hintergrund als Ablenkmanöver missbraucht werden. Trotzdem muss er – mithilfe des tollpatschigen Geheimdienstmitarbeiters Hastings – A.B.C. finden!


Es ist ein offenes Geheimnis, dass die selbst mit ernsthaften Adaptionen ihrer Bücher kritische Agatha Christie gegen diese cineastische Verballhornung eines ihrer berühmtesten Romane von Anfang an feindsinnig eingestellt war. Während die MGM ähnlich ihrer Miss-Marple-Filme mit einer Produktion gleich mehrerer Hercule-Poirot-Krimis rechnete, setzte sich die Autorin schon gegen diesen ersten Teil mit allen Mitteln zur Wehr. Vor allem eine Bettszene mit Poirot, die im ursprünglichen Skript enthalten war, erzürnte Christie so sehr, dass sie für den ursprünglich anvisierten ersten Drehtag einen Produktionsstopp erwirkte. Vielleicht liegt es an diesen Umständen, dass aus einem zweiten oder dritten Poirot-Film aus den Sechzigerjahren nichts geworden ist – man kann schließlich annehmen, dass Tony Randall für weitere Outings zur Verfügung gestanden hätte. Seine Darstellung des Poirot entspricht zwar von der Physiognomie her vielleicht nicht genau der Beschreibung in den Büchern; Details wie der Schnurrbart und die Halbglatze, die Eitelkeit und die Überzeugung von der eigenen Person stimmen dafür umso genauer. Vom Dreh wird überliefert, dass sich Randall viel Mühe gab, den Poirot-Look stimmig zu rekreieren; aus seinen Interviews zum Film liest man zwischen den Zeilen die Enttäuschung darüber, dass er die „ABC-Morde“ für eher misslungen hält (und die Rolle wahrscheinlich lieber in einer ernsthaften Adaption gespielt hätte). Die deutsche Synchronisation durch einen französelnden Friedrich Schoenfelder unterstützt den insgesamt soliden Eindruck, den Randalls Interpretation der Rolle hinterlässt.

Schwieriger liegt der Fall Hastings, der zwar schon bei Christie manchmal mit verdächtiger Sicherheit die falschen Schlüsse zog, in seiner Darstellung durch Robert Morley jedoch zur vollkommenen Witzfigur gerät. Dieser Umstand ärgert deshalb nicht so sehr, wie er vielleicht sollte, weil „die Chemie zwischen Randall und Morley stimmt“ und man mit der Nebenhandlung, Poirot beschatten und nach Belgien abschieben zu lassen, eine nette Idee einbaute, mit der der Detektiv nicht nur gegen den Mörder ankommen, sondern auch einen Kampf in den eigenen Reihen ausfechten muss. Dies verleiht den „Morden des Herrn ABC“ ein beträchtliches Tempo – der Film quillt förmlich vor Einfällen und Überraschungen über und dürfte wohl eine der rasantesten Christie-Verfilmungen überhaupt sein. Jede Szene ist für sich genommen ein vergnügliches Unterfangen, auch wenn sich der Film im Ganzen für den Anhänger der Buchvorlagen eher in die Kategorie eines Guilty Pleasure einreiht.

Von der originalen Erzählung bleibt zwar einiges übrig (die Grundidee der Geschichte wird simplifiziert, aber im Kern kaum verändert; viele der Figuren treten mit ähnlichen Charaktereigenschaften wie im Roman auf), wird jedoch so bunt durcheinandergewürfelt, dass selbst der Kenner der Story immer wieder überrascht wird. Trotz seiner Humorlastigkeit versucht sich „ABC“ auch an familientauglichem Grusel und ernsthaften Ansätzen und überzeugt vor allem dort, wo die Handlung stellenweise in etwas düsterere Gefilde abgleitet – exemplarisch seien die wirklich spannenden Mordszenen (mit vereinheitlichter Verwendung eines Giftpfeils), die Sequenzen in der Praxis des Psychiaters, in denen sich leise tatsächlich so etwas wie charakterlicher Tiefgang in Anita Ekbergs schillernder Rolle ankündigt, sowie die Überführung der Täter an Bord des Zuges nach Schottland genannt.

Originalschauplätze in London sorgen für ein beschwingtes und authentisches Sixties-Flair, wobei Edgar-Wallace-Kameramann Desmond Dickinson teilweise ungewöhnlich experimentelle Kameraeinstellungen findet, die den Film noch unvorhersehbarer machen. Seine Palette reicht von kohlrabenschwarzen Gewitternächten bis hin zu einem mit weißem Nebel verhangenen Hyde-Park und fängt in türkischen Bädern und Hafenvierteln ebenso gelungene Motive ein wie im eleganten Nobelwohnsitz der Familie Clark. Einen weiteren Beitrag zum Gelingen des Films leistet der bereits für die vorangegangenen Marple-Filme verpflichtete Komponist Ron Goodwin, der mit seiner Komposition auch Momente plumperen Humors grazil und ironisch erscheinen lässt.

Als ernsthafte Auseinandersetzung mit einem von Agatha Christies blutrünstigsten Thrillern ist „Die Morde des Herrn ABC“ kaum zu gebrauchen; allerdings sollte auch der Christie-Freund einem Spaß von Zeit zu Zeit nicht abgeneigt sein. Eine solide Poirot-Darstellung, ein temporeicher Plot und ständig wechselnde Schauplätze machen diesen Film zu einem kurzweiligen Vergnügen, dem man allerdings so manchen Fehlgriff bei der Karikierung der Christie-Stoffe verzeihen muss. 4 von 5 Punkten.



[ Weitere Besprechungen des Films finden sich in diesem Thread. ]

Fakten und Trivia zu „Die Morde des Herrn ABC“

* Die Produktion, wie sie letztlich in die Kinos kam, war eine Notlösung: Statt Tony Randall war ursprünglich die Besetzung des Poirot mit Zero Mostel geplant, als Regisseur statt Frank Tashlin Hammer-Ikone Seth Holt vorgesehen. Die Änderungen wurden erst im letzten Moment vorgenommen.

* Im Film arbeitet Captain Hastings für den Secret Service (zunächst gibt er vor, das Landwirtschaftsministerium sei sein Auftraggeber). Agatha Christie erwähnt hingegen in ihrem ersten Buch „Das fehlende Glied in der Kette“, dass Hastings eigentlich bei der Lloyd’s-Versicherung angestellt ist.

* Der titelgebende ABC Railway Guide erschien zum ersten Mal im Jahr 1853. Er sollte den Passagieren das Finden von Verbindungen erleichtern, indem er – von London als Startpunkt der Reise ausgehend – die jeweils schnellste Verbindung zu allen Bahnhöfen des Landes in alphabetischer Reihenfolge auflistete.

patrick Offline




Beiträge: 3.245

29.11.2015 20:25
#6 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

The Alphabet Murders (Die Morde des Herrn ABC, 1965)



The Alphabet Murders
Directed by: Frank Tashlin
Written by: David Pursall (screenplay),
Jack Seddon (screenplay),
Agatha Christie (novel)

Starring: Tony Randall, Anita Ekberg, Robert Morley

Music by: Ron Goodwin
Cinematography: Desmond Dickinson
Distributed by: Metro-Goldwyn-Mayer
Release dates: August 1965 (UK),
17 May 1966 (U.S.)
Running time: 90 min
Country: United Kingdom
Language: English


Handlung:

Der Wasserclown Albert Aachen mit den Initialen AA wird beim Proben in einem Hallenbad mit einem aus einer Luftpistole abgeschossenen vergifteten Pfeil ermordet. Am Tatort wird der Stadtplan "ABC-London" zurückgelassen. Hercule Poirot, der eigentlich nur in London ist, um seinen Schneider zu besuchen, nimmt sich des Falls an und wird kurz darauf in einer Sauna von einer hübschen Blondine, auf deren Handtasche die Initialen ABC stehen, gewürgt. Die Blondine entkommt allerdings. Zu Poirots Leidwesen wird ihm der Secret-Service-Bedienstete Hastings zum persönlichen Schutz zur Seite gestellt, den er immer wieder versucht loszuwerden. Schließlich geschieht in einem Bowlingclub ein weiterer Mord an der Bowlinglehrerin Betty Barnard (BB), ebenfalls mit einem vergifteten Pfeil und dem Stadtplan als Visitenkarte. Poirot hat anschließend nochmals eine Begegnung mit der unbekannten blonden ABC, die seinen Hut stiehlt und wieder fliehen kann. Eine Spur führt den Detektiv zu dem Psychiater Duncan Doncaster, der ihm erklärt, dass die Dame Amanda Beatrice Cross (ABC) heißt und unter einer ernsthaften Persönlichkeitsstörung leidet. Schließlich stellt sich heraus, dass der Psychiater sowohl mit Amanda als auch mit Lady Di, der Gattin des Reeders Sir Carmichael Clarke, ein Verhältnis hat. Letzterer ist das nächste Mordopfer (CC). Wie sein Name bereits andeutet, folgt ihm Duncan Doncaster (DD) sehr bald. Die im Verdacht stehende Amanda wird von Poirot verfolgt, flüchtet auf einen Kran und stürzt sich hinunter ins Wasser, aus dem sie nicht mehr auftaucht. Allerdings wittert Poirot erst jetzt eine heiße Spur ...

Humor:

Bei der vorliegenden Verfilmung handelt es sich unter der routinierten Regie von Jerry-Lewis-Regisseur Frank Tashlin (1913-1972) vielmehr um eine Komödie als um einen ernsthaften Krimi. Der Streifen hat eine gewisse Verwandtschaft zu der im Jahr zuvor eingestellten, wesentlich besseren Miss Marple-Reihe mit Margaret Rutherford, was dadurch unterstrichen wird, dass diese, zusammen mit Mr. Stringer, einen Kurzauftritt hat. Typisch britischer Wortwitz und Pointen lassen dann auch keinen Zweifel an der Herkunft des Films aufkommen. Doch wirken diese, verglichen mit dem viel gewagteren und frecheren angelsächsischen Humor späterer Jahre, schon sehr abgedroschen.

Spannung:

Leider baut der Film keinen wirklichen Spannungsbogen auf und die Geschichte tümpelt größtenteils sehr langweilig dahin, wobei viel zu viel herumgealbert wird. Der Schluss und die Auflösung sind allerdings durchaus wirkungsvoll und vermögen auch zu überraschen. Davon abgesehen lässt lediglich die Szene bei Dr. Doncaster, in der später Amanda hinzukommt, echte Thriller-Atmosphäre aufkommen. Im Großen und Ganzen wirkt der Krimi recht altbacken und angestaubt und auch die wenig anregende Begleitmusik fängt rasch zu nerven an.

Darsteller:

Genauso wenig wie „The Alphabet Murders“ ein wirklich ernsthafter Krimi ist, kann Tony Randall (1920-2004) als ernsthafter Darsteller des spleenigen belgischen Meisterdetektivs Hercule Poirot betrachtet werden. Ich wage sogar, ihn als völlige Fehlbesetzung zu bezeichnen. Er bedient hier mehr oder weniger einfach eine weitere Komödienrolle. Der schwedische Kurven-Star Anita Ekberg (1931-2015) besticht einmal mehr durch ihr wunderbares Aussehen, als Schauspielerin dafür, ... na ja ..., eher weniger. Der markante Robert Morley (1908-1992) tritt gewohnt souverän und schwergewichtig in Erscheinung und lässt wohl als einziger in diesem Film den britischen Humor einigermaßen unterhaltsam rüberkommen. Guy Rolfe (1911-2003) wirkt als zwielichtiger Psychiater Duncan Doncaster hinterhältig und durchtrieben genug, um die Antipathie des Zusehers auf sich zu ziehen.

Fazit:

Alberne und verstaubte Klamotte. Eine Agatha-Christie-Verfilmung hätte wahrlich mehr Spannung und weniger Kaspertheater verdient. 2 von 5 Schnurrbärten.

Prisma Offline




Beiträge: 7.591

01.12.2015 23:40
#7 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #4
immerhin muss es ja einen Grund haben, dass ausgerechnet - und ziemlich exklusiv - in Deutschland die vier Rutherford-Filme jene Produktionen sind, die Otto Normalzuschauer als erstes mit dem Namen Agatha Christies verbindet.

Liegt vielleicht daran, dass diese Filme für so gut wie jeden als Einstieg in die Materie dienen. Bei mir war das seinerzeit als Kind genauso und diese vier Filme habe ich jeweils mindestens über 50 Mal gesehen. Für mich zählen sie insgesamt gesehen tatsächlich zu den wenigen Beiträgen, die ich mir immer wieder anschauen kann, ohne dass mir dabei langweilig wird, oder sie etwas von ihrem zeitlosen Reiz einbüßen. Im Lauf der Jahre hat es auch bei mir zahlreiche Christie-Erweiterungen gegeben, sehr gute und natürlich auch sehr mäßige, nur beim Thema Miss Marple ist nach meinem Geschmack so gut wie jede andere Version durchgefallen, außer vielleicht "Mord im Spiegel", auch wenn da sicherlich einige mit dem Kopf schütteln werden. In die Kategorie beinahe kaum zu ertragen fällt bei mir beispielsweise "Die Morde des Herrn ABC".

Matze K. Offline



Beiträge: 1.060

02.12.2015 18:10
#8 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

wie zwei mal der gleiche Film und einem 2 und einmal 4 Punkte -> ihr hab nicht den selben Geschmack oder? Ich wäre eher bei 4

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Immer wenn du lügst, muss Jesus Blut weinen.
(Todd Flanders)
Wie kann Dummheit entscheiden was klug ist
(meine Frau)

patrick Offline




Beiträge: 3.245

02.12.2015 19:57
#9 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Zitat von Matze K. im Beitrag #8
wie zwei mal der gleiche Film und einem 2 und einmal 4 Punkte -> ihr hab nicht den selben Geschmack oder? Ich wäre eher bei 4

Wie schon angedeutet, kann ich diesen Film als Krimi nicht ernst nehmen, und als Komödie ist er mir zu seicht. Von Christie erwarte ich mir schon ganz etwas anderes. Hätte nur Seth Holt und nicht Frank Tashlin den Film gedreht.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

02.12.2015 20:04
#10 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Zitat von Matze K. im Beitrag #8
ihr habt nicht den selben Geschmack, oder?

Nicht zwangsläufig. Aber umso interessanter wird es ja, wenn da nicht zweimal dasselbe hoch- und runtergelobt wird. Wobei ein derartiger Fall sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.
Zitat von Prisma im Beitrag #7
Liegt vielleicht daran, dass diese Filme für so gut wie jeden als Einstieg in die Materie dienen. Bei mir war das seinerzeit als Kind genauso und diese vier Filme habe ich jeweils mindestens über 50 Mal gesehen. Für mich zählen sie insgesamt gesehen tatsächlich zu den wenigen Beiträgen, die ich mir immer wieder anschauen kann, ohne dass mir dabei langweilig wird, oder sie etwas von ihrem zeitlosen Reiz einbüßen.

Das erklärt die Vorreiterstellung der Rutherford-Adaptionen unter den Miss-Marple-Filmen, aber nicht unbedingt, warum im deutschsprachigen Raum (und irgendwie auch nur hier) diese "Miss Marple" (ich setze das 'mal lieber in Anführungszeichen) populärer und bekannter als jeder Poirot ist. Fragt man in England, Frankreich, Spanien, Amerika oder sonstwo nach Agatha Christie, wird man Hercule Poirot oder die "Zehn kleinen Negerlein" als erste Assoziation hören; hier empfinde ich es eher so, als würde Christies Name am engsten mit Miss Marple verknüpft. Das kann ich weder vom Charme der Rutherford-Filme noch von dem der Buchvorlagen ableiten. Nicht umsonst wählte man ja auch ausgerechnet für die Rutherford-Serie zwei Poirot-Romane als Vorlagen. Effektiv ist nur "16 Uhr 50 ab Paddington" eine echte Miss-Marple-Verfilmung ...

Zu "Mord im Spiegel" kann und will ich erstmal nichts sagen. Ich glaube, den habe ich erst einmal gesehen und das dürfte so sieben, acht Jahre her sein. Mit dem Kopf schüttle ich über diesen Film trotz seines, sagen wir 'mal, verbesserungsfähigen Rufes ganz sicher nicht, aber das mag daran liegen, dass ich ja ein ausgesprochener Angela-Lansbury-Fan bin.

patrick Offline




Beiträge: 3.245

02.12.2015 20:15
#11 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #10
Das erklärt die Vorreiterstellung der Rutherford-Adaptionen unter den Miss-Marple-Filmen, aber nicht unbedingt, warum im deutschsprachigen Raum (und irgendwie auch nur hier) diese "Miss Marple" (ich setze das 'mal lieber in Anführungszeichen) populärer und bekannter als jeder Poirot ist. Fragt man in England, Frankreich, Spanien, Amerika oder sonstwo nach Agatha Christie, wird man Hercule Poirot oder die "Zehn kleinen Negerlein" als erste Assoziation hören; hier empfinde ich es eher so, als würde Christies Name am engsten mit Miss Marple verknüpft. Das kann ich weder vom Charme der Rutherford-Filme noch von dem der Buchvorlagen ableiten. Nicht umsonst wählte man ja auch ausgerechnet für die Rutherford-Serie zwei Poirot-Romane als Vorlagen. Effektiv ist nur "16 Uhr 50 ab Paddington" eine echte Miss-Marple-Verfilmung ...

Das liegt vielleicht an dem zeitlichen Zusammenfallen mit der Wallace-Reihe in Deutschland, dass da sozusagen ein bisschen ein Funke übersprang. Für mich liegen Ustinovs Poirot-Filme und die "Zehn kleinen Negerlein" deutlich vor den Rutherford-Marple-Filmen.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

06.12.2015 20:00
#12 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten



Tod auf dem Nil (Death on the Nile)

Kriminalfilm, GB 1978. Regie: John Guillermin. Drehbuch: Anthony Shaffer (Buchvorlage „Death on the Nile“, 1937: Agatha Christie). Mit: Peter Ustinov (Hercule Poirot), Simon MacCorkindale (Simon Doyle), Lois Chiles (Linnet Ridgeway), Mia Farrow (Jacqueline de Bellefort), David Niven (Colonel Race), Bette Davis (Mrs. van Schuyler), Maggie Smith (Miss Bowers), Angela Lansbury (Mrs. Salome Otterbourne), Olivia Hussey (Rosalie Otterbourne), George Kennedy (Andrew Pennington) u.a. Uraufführung (BRD): 13. Oktober 1978. Uraufführung (GB): 23. Oktober 1978. Eine Produktion von Mersham Productions für Columbia / EMI / Warner.

Zitat von Tod auf dem Nil
Die steinreiche Erbin Linnet Ridgeway spannt ihrer besten Freundin Jackie den Liebhaber aus und heiratet ihn. Als frischgebackene Mrs. Doyle flieht sie vor Jackies Rache mit ihrem Ehemann Simon auf eine Flitterwochenreise nach Ägypten. Dort trifft sie allerdings nicht nur auf den urlaubenden Meisterdetektiv Hercule Poirot: Zu ihrem Unmut hat auch Jackie eine Kabine gebucht! Es kommt, wie es kommen muss: In einer Nacht fallen gleich zwei Schüsse. Jackie schießt Simon vor Eifersucht ins Bein und ein Unbekannter tötet Linnet ...


Nur während der kurzen Exposition verweilt die Kamera auf Englands nassgrünen Wiesenlandschaften. Was daheim als betrogene Freundschaft beginnt, weitet sich erst unter der brennenden ägyptischen Sonne zu einem echten Verbrechen aus – ein Backdrop, der für auflodernde Leidenschaften wie gemacht ist. Mit seinen stattlichen 134 Minuten Laufzeit gelingt es John Guillermins Film fast im wahrsten Sinne des Wortes, auf zwei Hochzeiten zu tanzen: einerseits wie ein Reiseprospekt eine antike Sehenswürdigkeit und Naturschönheit nach der anderen in Szene zu setzen und darüber andererseits nicht das stetige Vorantreiben der komplexen Christie-Geschichte zu versäumen. Auch wenn an den Pyramiden von Gizeh, im Tempel von Karnak und an den Ramses-Statuen von Abu Simbel gedreht wurde, so erscheint diese Rundfahrt keinesfalls selbstgefällig, sondern steht in Übereinstimmung mit dem Stoff, der mit der Hochzeitsreise über eine Motivation für Spannung und Verbrechen sowie einen Antrieb für Handlung und Schauplatzwechsel gleichermaßen verfügt.

Die außergewöhnlich lange Spielzeit erlaubt außerdem eine verhältnismäßig ausgeprägte Originaltreue und Detailverliebtheit, sodass „Tod auf dem Nil“ sich nicht gezwungen sieht, wesentliche Handlungsstränge des umfangreichen Buches zugunsten eines kompakteren Formats zurechtzustutzen. Natürlich fehlen einige der im Roman an Bord befindlichen Personen (Mrs. Allerton und ihr Sohn Tim, Mrs. van Schuylers Cousine Cornelia Robson, der Archäologe Richetti und der Anwalt Fanthorp), was jedoch weder für den Fall an sich noch für den Geist der Vorlage ein nennenswerter Verlust ist. In der vorliegenden Form zählt die Reisegesellschaft zu einer der elegantesten Charakter- und Charakterdarsteller-Mischungen, die jemals in Christie-Filmen zu sehen waren. Neben den Hauptfiguren Simon, Linnet und Jackie sowie Hercule Poirot und Colonel Race fügen vor allem Mrs. van Schuyler und Mrs. Otterbourne mit ihren jeweiligen Begleiterinnen der Nilkreuzfahrt den nötigen Pfeffer, eine welterfahrene Note und leichten, unaufdringlichen Humor hinzu, der stellenweise so schwarz ausfällt wie eine Nacht am Flussbett des Nils. Vor allem Angela Lansbury läuft als versoffene und schwatzhafte Autorin von Liebesromanen zu Hochtouren auf – es wird nicht das letzte Mal sein, dass sie eine Schriftstellerrolle spielt, die über gewisse Parallelen zu Agatha Christie selbst verfügt.

Peter Ustinovs Poirot-Darstellung bleibt in Anbetracht der stargeladenen Besetzung der Nebenrollen über lange Zeit im Hintergrund, bevor er dann das Finale weitgehend im Alleingang stemmt. Ustinovs Poirot, der in puncto Originaltreue von David Suchets Verkörperung mittlerweile ausgestochen worden ist, wird häufig in einem Atemzug mit Margaret Rutherford als unauthentische Interpretation einer Christie’schen Detektivfigur erwähnt, wobei jedoch vergessen wird, dass Ustinov im Gegensatz zu Rutherford durchaus bemüht war, viele Charakteristika der Vorlage in seinen Auftritt einzubauen. Eines der wesentlichen ist wie üblich Poirots Selbstbewusstsein, das ihn sich vergnüglich mit den namhaften und ranghohen Urlaubsbekanntschaften messen lässt. Auch wenn Ustinov naturgemäß nur wenig mit dem schwarzhaarigen, kleinen Belgier mit dem eiförmigen Kopf gemein hat, so würdigt er doch immerhin die Figur einer liebenswerten und zugleich auch für Kenner der Bücher als kompetent zu bewertenden Darstellung, die darauf verzichtet, den Ermittler komödiantisch umzuinterpretieren und die deshalb dem Niveau der Produktion absolut angemessen ist.

Leider erscheint seine Synchronisation durch Horst Niendorf recht schwach, der Poirot seines Akzents beraubt (Ustinov hatte sich extra einen lokalen Einschlag beim belgischen Botschafter in Paris „abgehört“) und bei französischen Vokabeln kaum wie ein Muttersprachler klingt. Dieses kleine Luxusproblem würde sich im kommenden Film lösen, in dem Ustinov – bekannterweise ein Sprachengenie – seine Texte selbst auf Deutsch, und dann auch mit poirot-typischem Einschlag, einsprach.

Kaum einem anderen Agatha-Christie-Film sieht man auf den ersten Blick an, wie viel Geld in die Produktion gesteckt wurde. Von einem All-Star-Cast bis hin zu betörend schönen Szenerien im auf Dreißigerjahre getrimmten Ägypten überzeugt „Tod auf dem Nil“ als Großprojekt, auf das Agatha Christie sicher stolz gewesen wäre. Ihre Geschichte liefert trotz der luxuriösen Staffage den notwendigen Zündstoff und die anhaltende Faszination der zeitlosen Konstellation von Liebe, Verrat und Mord. 5 von 5 Punkten.



[ Weitere Besprechungen des Films finden sich in diesem Thread. ]

Fakten und Trivia zu „Tod auf dem Nil“

* Peter Ustinov übernahm die Poirot-Rolle von seinem Vorgänger Albert Finney („Mord im Orient-Express“), weil dieser während der Drehzeit von „Tod auf dem Nil“ durch Theaterengagements gebunden war.

* Für die Theaterfassung des Romans „Tod auf dem Nil“, die am 19. März 1946 unter dem Titel „Murder on the Nile“ im Londoner West End premierte, eliminierte Agatha Christie die Poirot-Rolle vollständig, weil sie ihrer überdrüssig geworden war. Francis L. Sullivan, der in „Black Coffee“ den Poirot auf der Bühne gespielt hatte, bekam von Christie die Ersatzrolle des Kanonikus Pennefather auf den Leib geschrieben, der später noch einmal im Marple-Roman „Bertrams Hotel“ auftauchte.

* In der Filmversion ist als Karnak das historische Dampfschiff S.S. Memnon zu sehen. Dieses befährt noch heute – renoviert im Jahr 2000 – den Nil; Bucher von Charter-Reisen können an Bord des Schiffes zwischen 24 Suiten wählen.

patrick Offline




Beiträge: 3.245

06.12.2015 20:04
#13 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Death on the Nile (Tod auf dem Nil, 1978)



Filmdaten:
Deutscher Titel: Tod auf dem Nil
Originaltitel: Death on the Nile
Produktionsland: Vereinigtes Königreich
Originalsprache: Englisch
Erscheinungsjahr: 1978
Länge: 134 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12

Stab:
Regie: John Guillermin
Drehbuch: Anthony Shaffer
Produktion: John Brabourne,
Richard B. Goodwin
Musik: Nino Rota
Kamera: Jack Cardiff
Schnitt: Malcolm Cooke

Besetzung:
Peter Ustinov: Hercule Poirot, David Niven: Colonel Johnny Race, Simon MacCorkindale: Simon Doyle, Mia Farrow: Jacqueline De Bellefort, Lois Chiles: Linnet Ridgeway, Bette Davis: Marie Van Schuyler, Maggie Smith: Miss Bowers, Angela Lansbury: Salome Otterbourne, Olivia Hussey: Rosalie Otterbourne, George Kennedy: Andrew Pennington, Jane Birkin: Louise Bourget, Jack Warden: Dr. Ludwig Bessner, Jon Finch: James Fergusson, Harry Andrews: Barnstable, Inderjeet Singh Johar: Manager der Karnak, Sam Wanamaker: Sterndale Rockford


Handlung:

Jaqueline De Bellefort stellt ihrer besten Freundin, der reichen Linnet Ridgeway, ihren Verlobten Simon vor und bemüht sich darum, diesem eine Stelle bei ihr zu verschaffen. Allerdings verliebt sich nun Linnet in Simon und die beiden heiraten. Die Hochzeitsreise führt nach Ägypten zu einer Nilkreuzfahrt, wo rein zufällig auch Poirot und sein Freund Colonel Race anwesend sind. Die wütende und verbitterte, von Simon im Stich gelassene Jaqueline folgt ihnen.

Bei einem Aufenthalt an Land stürzt plötzlich ein Felsen, der offensichtlich von jemandem herabgestoßen wurde, auf Linnet und Simon herab, die gerade noch zur Seite springen können. Auf dem Schiff kennen sämtliche Mitreisende, deren Anwesenheit kein Zufall ist, die reiche Linnet und sind ihr aus den unterschiedlichsten Gründen nicht unbedingt wohlgesonnen. Ein Streit zwischen Jaqueline und Simon eskaliert, wobei Jaqueline eine Pistole zieht und Simon in Anwesenheit von Rosalie Otterbourne ins Bein schießt. Rosalie und James Fergusson bringen sie sofort in ihr Zimmer und der herbeigeholte Dr. Ludwig Bessner kümmert sich um Simon. Seltsamerweise verschwindet jedoch die Waffe und es geschieht ein Mord an der schlafenden Linnet durch einen Schuss in den Kopf. Nachdem der ermittelnde Poirot dem Mörder offensichtlich lästig wird, deponiert dieser eine Kobra in seiner Kajüte, die allerdings von Colonel Race unschädlich gemacht werden kann. Kurz darauf wird die Mordwaffe aus dem Nil gefischt und praktisch jeder außer Jaqueline und Simon steht nun im Verdacht, die Tat begangen zu haben.

Poirot erklärt der alten Marie Van Schuyler, dass er glaubt sie habe der toten Linnet ihre Halskette gestohlen, was sie dazu veranlasst, diese wieder zurückzugeben. Doch ist sie auch die Mörderin?

Schließlich wird Louise Bourget mit durchschnittener Kehle und einem Papierfetzen in der Hand vorgefunden, der von einem Geldschein stammt. Sie kannte den Mörder und wollte ihn erpressen. Doch kennt auch die alte Salome Otterbourne den Täter und ist im Begriff seinen Namen zu nennen, als auch sie durch einen gezielten Kopfschuss aus dem Hinterhalt getötet wird. Inzwischen hat Poirot dank seines Scharfsinns und seiner hervorragenden Beobachtungsgabe aber erkannt, wer die Morde begangen hat. Vor den versammelten Mitreisenden präsentiert er die Lösung des Falles ...

Spannung:

Seit ich den Film als Junge um 1980 herum, als er noch relativ neu war, zum ersten Mal gesehen habe, sind viele Jahrzehnte vergangen und trotzdem hat er nichts von seinem Reiz eingebüßt. In die ca. 134 Minuten lange Handlung schleichen sich keinerlei Längen ein und die Spannung bleibt permanent aufrecht, wobei man mit einer wirklich wunderbar durchdachten Auflösung verwöhnt wird, die ihresgleichen sucht. Zwar sind gewisse Unglaubwürdigkeiten nicht wegzuleugnen, wenn man mal bedenkt, in welch kurzen Zeitfenstern die Taten begangen werden und was der Täter dabei alles zu beachten hat, doch beeinträchtigt dies den hohen unterhaltungswert nicht im Geringsten und gehört wohl auch zum Charakter derartiger Thriller. Die schönen und exotischen Schauplätze in Ägypten verwöhnen das Auge und geben dem Film einen abenteuerlichen „große-weite-Welt-Flair“, der durch die wunderbar agierende internationale Starbesetzung glaubhaft verstärkt wird.

Hercule Poirot:

Ich muss gestehen, dass ich den literarischen Poirot nicht kenne und auch die Serie mit Suchet nie gesehen habe. Aus meiner rein auf die Kinofilme beschränkten Perspektive ist Peter Ustinov einfach DER POIROT. Er spielt den exzentrischen und ausgesprochen scharfsinnigen belgischen Meisterdetektiv, der so ungern für einen Franzosen gehalten wird, überlegen, arrogant, selbstgefällig, aber dennoch sympathisch und bringt wohl auch die äußeren Voraussetzungen für die Rolle mit. Im Gespräch mit sämtlichen Verdächtigen ist es seine Strategie, mit unbarmherziger Härte zu provozieren und dabei die Reaktionen genau zu beobachten. Bedingt durch seinen multikulturellen Hintergrund sprach Ustinov mindestens acht Sprachen und konnte dadurch auch Akzente perfekt nachahmen. In dem vier Jahre später entstandenen „Das Böse unter der Sonne“ synchronisierte er sich sogar selbst und sprach mit französischem Akzent deutsch. Ustinov und Niven waren auch im wahren Leben alte Bekannte, nachdem Niven im Zweiten Weltkrieg Ustinovs Vorgesetzter war.

Charaktere:

David Niven (1910-1983) bildet in typisch britischer und steifer Manier als Colonel Race zusammen mit Ustionv ein perfekt harmonierendes Gespann.

Ein sehr seltsames Duo geben Bette Davis (1908-1989) und Maggie Smith (geb.1934) als Marie Van Schuyler und deren Bedienstete Miss Bowers ab, die sich in einer Tour gegenseitig sticheln und provozieren. Sie drohen sich Kündigen und Gekündigt-Werden an, können aber, wie es scheint, irgendwie doch nicht ohne einander auskommen.

Der hühnenhafte George Kennedy (geb. 1925), vor allem in den 60er-und 70er-Jahren in vielen Nebenrollen und oft als Bösewicht besetzt, erscheint als betrügerischer Treuhänder Andrew Pennington von Anfang an zwielichtig und erweckt durchaus den Eindruck, ihm wäre alles zuzutrauen.

Lois Chiles als Linnet zeigt mehr Ausstrahlung, als ich als Bond-Girl in „Moonraker“ bei ihr wahrgenommen habe. Auch die übrigen Stars enttäuschen in keinster Weise.

Fazit:

Einer der wohl besten Krimis der Filmgeschichte. 5 von 5 Schnurrbärten.

Prisma Offline




Beiträge: 7.591

07.12.2015 14:52
#14 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten


Peter Ustinov   in
RENDEZVOUS MIT EINER LEICHE

● APPOINTMENT WITH DEATH / RENDEZVOUS MIT EINER LEICHE (US|1988)
mit Lauren Bacall, Carrie Fisher, John Gielgud, Hayley Mills, Jenny Seagrove, David Soul, John Terlesky und Piper Laurie
eine Produktion der Golan-Globus Productions | im Scotia International Filmverleih
nach dem Kriminalroman von Agatha Christie
ein Film von Michael Winner





»Ich vergesse niemals! Keine Handlung, keinen Namen und kein Gesicht!«


Die ehemalige Gefängnis-Aufseherin Emily Boynton (Piper Laurie) ist nun Witwe. Ihr wohlhabender Ehemann, der Direktor eines amerikanischen Gefängnisses war, in welchem sich die beiden kennen lernten, hinterlässt sein gesamtes Vermögen zu gleichen Teilen seinen Kindern aus erster Ehe und der gemeinsamen Tochter mit Emily. Bei dieser Verfügung handelt es sich allerdings um einen erst kürzlich geänderten letzten Willen zugunsten seiner Kinder, bei dem seine Frau leer ausgeht. Durch Erpressung kann sie den Familienanwalt Jefferson Cope (David Soul) dazu bringen, dass er das neue Testament vernichtet. Mrs. Boynton ist nun Verwalterin über das Vermögen, was den Hass ihrer Familie nur noch weiter schürt. Alle würden sie am liebsten tot sehen. Damit Gras über die Sache wächst, und sich die Gemüter beruhigen, wird eine gemeinsame Reise unternommen, die sie zuerst nach Europa und dann ins englisch regierte Palästina führt. Cope, der ein Verhältnis mit Mrs. Boyntons Schwägerin Nadine (Carrie Fisher) hat, reist der Familie nach und es kommt zum Eklat, der darin gipfelt, dass die verhasste ehemalige Aufseherin ermordet wird. Hercule Poirot (Peter Ustinov) begibt sich an die Ermittlungen und durchleuchtet die unterschiedlichen Personen aus dem Umfeld der Ermordeten. Es stellt sich heraus, dass nahezu jeder ein Motiv für das Verbrechen hatte...

Michael Winners Poirot-Adaption gilt nicht als der gelungenste Beitrag der Reihe, da er sich hauptsächlich Vergleichen mit der äußerst starken Konkurrenz wie beispielsweise "Tod auf dem Nil" auseinandersetzen muss. Es empfiehlt sich daher, das Ergebnis als eigenständigen Beitrag mit gleicher Titelfigur, und unabhängiger zu betrachten, denn er wird in vielerlei Hinsicht seine Stärken präsentieren. Wie üblich, bekommt der Zuschauer diese Vorzüge anhand imposanter Schauplätze und Kulissen, beeindruckender Ausstattung, geschliffener Dialoge und einer hervorragenden Besetzung präsentiert, so dass auch diese Produktion ihren sehenswerten Status gerechtfertigterweise erhält. Sicherlich zeigt die ambitionierte Inszenierung einen über weite Strecken zu betulichen Spannungsaufbau, bei dem man lange auf größere Ausrufezeichen warten muss, aber der überaus klare Aufbau, der den Weg für einen gelungenen Verlauf ebnen wird, kann für unerhebliche Durchhänger entschädigen. Der Verlauf nimmt sich dieses Mal sehr viel Zeit für die lückenlose Integration der beteiligten Charaktere und deren Verstrickungen untereinander, so dass die Ermittlungsarbeit von Hercule Poirot dem Empfinden nach sehr knapp erscheint. Wie er schließlich die Zusammenhänge erfasst und diese auswertet, bleibt wieder einmal sein persönliches Geheimnis. Der Kriminalfall wirkt in seiner Mechanik zunächst überaus nachvollziehbar, denn eine tyrannisch veranlagte Person findet nach Ansicht aller Beteiligten ihr verdientes Ende. Allerdings ist das schöne an dieser Geschichte, dass sie natürlich Überraschungen bereit halten wird, eben ganz nach Art des Hauses Poirot. Dies geschieht zugegebenermaßen eher auf recht vorhersehbarer Ebene, wenn man Vergleiche zu den Vorgängern ziehen möchte, aber die Stärken dieses Falles können auf konventionelle Art richtig gut unterhalten.

Peter Ustinov stattet Hercule Poirot erneut mit einer unverkennbaren Note aus, sein Spürsinn lässt alle Verdächtigen erstarren und nervös werden. Immer wieder lockern die Kostproben seines subtilen Humors das Geschehen in angenehmer Art auf, was die Tatsache Mord allerdings zu keinem Zeitpunkt verwässert. Ustinov lässt sein jeweiliges Gegenüber stets genau wissen, woran man gerade ist, allerdings immer mit einer höflichen Nonchalance und spürbaren Distanz. Somit verbittet er es sich quasi selbst, den Fall und dessen Beteiligte öffentlich zu werten, bevor er ihn abgeschlossen hat. Seine sachlichen Ermittlungen wirken abwechslungsreich und tatsächlich unfehlbar, Peter Ustinov ist definitiv der richtige Mann für die Rolle des Hercule Poirot gewesen. Da die Besetzungsliste nicht mehr so überflutet mit großen Stars erscheint, ist die Erscheinung von Lauren Bacall genau so erstaunlich, als auch erfreulich. Lady Westholme erscheint in der Silhouette einer Dame von Welt, allerdings kann sie ihre durch und durch gewöhnliche und sogar aufdringliche Art zu keinem Zeitpunkt verbergen. Stets fordert sie ihre Rechte als Dame der gehobenen Gesellschaft und die damit verbundenen Annehmlichkeiten ein, so dass selbst Poirot seine ungläubigen Blicke manchmal nur schwer verbergen kann. Insbesondere Im Zusammenspiel von Lauren Bacall und Piper Laurie entstehen beeindruckende Momente, wenn sie auch recht kurz ausgefallen sind. Die ehemalige Gefängnis-Aufseherin Emily Boynton wirkt wie eine schwarze Witwe, die jeden in ihrem Umfeld bedroht, auf welche Art und Weise auch immer. Der Mord beweist, dass sie eine große Gefahr dargestellt haben muss und selbst als Zuschauer hat man nur bedingtes Mitleid mit dieser hartherzigen Frau, die ihre eiskalte Berechnung und ihren klaren Verstand als scharfe Waffe einzusetzen pflegte. Dieser Würgegriff machte selbst vor ihren nächsten Angehörigen nicht halt und daher lassen sich auch dort einige Verdächtige herleiten. Nicht nur von den bereits erwähnten Darstellern sieht man großartige Leistungen, sondern auch von dem vergleichsweise zunächst eher unscheinbar wirkenden Rest der Besetzung, so dass man in diesem Zusammenhang von einem absoluten Hit sprechen darf.

Wie erwähnt, hat "Rendezvous mit einer Leiche" stellenweise Probleme, in die Gänge zu kommen und der Verlauf wirkt in vielerlei Hinsicht bemüht, seine Längen mit außergewöhnlich schönen Bildern und Settings zu glätten. Im Vordergrund sollte jedoch der Kriminalfall stehen, der mit seinem guten Aufbau überzeugen kann und auch einige Überraschungen zu bieten hat, wenngleich sich das Gefühl einer diffusen Vorhersehbarkeit einschleicht. Interessant wirken die Charakterzeichnungen, insbesondere die Darstellung der Figur Emily Boynton, die ihren Tod quasi herausfordert, weil sie die Lust, andere zu quälen und zu manipulieren, nicht unterdrücken kann. Vor ihr erstarren sichtbare und unsichtbare Kontrahenten buchstäblich wie das Kaninchen vor der Schlange, was bildsprachlich auch ihre Angriffslust hervorheben soll. Selbst Hercule Poirot straft diese Dame mit stiller Verachtung ab und wundert sich darüber, dass sie ihr Schicksal so offenkundig herausfordert. Die Drehorte in Qumran und die charakteristische Ausstattung sorgen zusätzlich für einen hochwertigen Eindruck, Michael Winner sind zahlreiche hervorragende Einstellungen gelungen, die seinem Film ein ordentliches Profil verleihen. Im Rahmen der Dialoge werden sämtliche Register gezogen, es ist von bitterem Zynismus bis feinem Wortwitz alles vertreten, was das Ohr begehrt, auch musikalisch kann sich die Gesamtkomposition durchaus sehen lassen, wenngleich sie im Bezug auf Stimmungsaufbau häufig konträr wirkt. Alleine die Spannungen und der Hass zwischen den Beteiligten sorgt für eine solide, teilweise nervöse Grundspannung, die im kompletten Verlauf durch turbulente Sequenzen verstärkt wird. Im Endeffekt kann man "Rendezvous mit einer Leiche" keine gravierenden Mängel vorwerfen, denn es handelt sich für den geneigten Zuschauer um ein schönes, konventionelles Kriminalstück, allerdings fällt diese Produktion dem Empfinden nach doch ab, was vermutlich dem Vergleich zu den vorher gegangenen Poirot-Adaptionen geschuldet ist. Alles in allem handelt es sich um eine immer mal wieder gerne gesehene Angelegenheit, die als Bonus ein sehr nachdenkliches Finale bereit hält.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

07.12.2015 22:45
#15 RE: Mord auf Zelluloid: Agatha-Christie-Kinofilme Zitat · Antworten

Zitat von Prisma im Beitrag #14
Peter Ustinov stattet Hercule Poirot erneut mit einer unverkennbaren Note aus, sein Spürsinn lässt alle Verdächtigen erstarren und nervös werden. Immer wieder lockern die Kostproben seines subtilen Humors das Geschehen in angenehmer Art auf, was die Tatsache Mord allerdings zu keinem Zeitpunkt verwässert. Ustinov lässt sein jeweiliges Gegenüber stets genau wissen, woran man gerade ist, allerdings immer mit einer höflichen Nonchalance und spürbaren Distanz. Somit verbittet er es sich quasi selbst, den Fall und dessen Beteiligte öffentlich zu werten, bevor er ihn abgeschlossen hat. Seine sachlichen Ermittlungen wirken abwechslungsreich und tatsächlich unfehlbar, Peter Ustinov ist definitiv der richtige Mann für die Rolle des Hercule Poirot gewesen.

Eine sehr schöne Beschreibung von Ustinov als Poirot, der ich so nur zustimmen kann. Ustinov fand in allen sechs Auftritten eine sehr stimmige Balance zwischen seriöser Verkörperung des einrucksvollen Detektivs und humorvollem Augenzwinkern, das aber niemals zu einer Parodie verkommt. Er ist deshalb auch heute noch sehr gut schaubar und wurde durch Suchet nicht obsolet gemacht.

"Rendezvous mit einer Leiche" steht ganz klar hinter "Nil" und "Sonne" zurück; das ist nach der Qualität der beiden anderen Filme auch nur logisch. Mich erstaunte bei meiner Neusichtung für diesen Thread allerdings, wie stark der Qualitätsabfall im direkten Vergleich zu spüren ist, was vor allem handwerkliche Gründe hat. Die Tempoarmut fiel mir auch als gravierendstes Problem auf, aber auch die Period details wirken nicht mehr so stimmig wie in den anderen Filmen. Man spürt, dass man einen Eighties-Film sieht, was bei den Vorgängern nicht unbedingt der Fall war.

Ich persönlich würde sogar zwei der Ustinov'schen TV-Filme dem "Rendezvous" vorziehen.

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