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Dieses Thema hat 103 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

05.03.2016 21:00
#31 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



Die unheimliche Wandlung des Alex Roscher (Der Spiegel der Helena)

Kriminalfilm, D 1942/43. Regie: Paul May. Drehbuch: Ernst von Salomon (Buchvorlage: Curt Corrinth). Mit: Rudolf Prack (Zollbeamter Alex Roscher), Annelies Reinhold (Margot Marsan), Oskar Sima (Wettrich, Besitzer des „Casino“), Ernst Fritz Fürbringer (Dr. Eveillard), Viktoria von Ballasko (Grete Steinbauer), Ernst Sattler (Oberzollinspektor a.D. Roscher), Walther Jung (Oberregierungsrat Bratt), Albert Janscheck (Zollbeamter Karl Zumbusch), Viktor Afritsch (Johnny, Oberkellner), Lisa Siebel (Linn) u.a. Uraufführung: 9. Dezember 1943. Eine Produktion der Bavaria Filmkunst GmbH.

Zitat von Die unheimliche Wandlung des Alex Roscher
Alex Roscher arbeitet als deutscher Zollbeamter irgendwo an der Grenze im Alpenraum. Sein Abschnitt wird in besondere Alarmbereitschaft versetzt, als die Nachricht eintrifft, ein Dieb plane, den wertvollen „Spiegel der Helena“, ein antikes Fundstück Schliemanns, das aus einem Museum in Bremen geraubt wurde, ausgerechnet über einen der hiesigen Bergpässe ins Ausland zu bringen. Tatsächlich ist Roscher nah dran, den Dieb zu stellen, wird aber verletzt und muss die Hintermänner mit dem Kunstwerk entkommen lassen. Infolgedessen versuchen die Verbrecher, Roscher zu ihrem Komplizen zu machen, um bei einem zweiten Schmuggelversuch mehr Glück zu haben. Und Roscher scheint wirklich für Wein, Weib und Kartenspiel empfänglich zu sein. Eine gefährliche Abwärtsspirale setzt sich in Gang ...


Vorspann und Auftaktszene entführen den Zuschauer in die Welt malerischer Alpenpanoramen zu einer Zeit, bevor sie vom Massentourismus überflutet wurden. Paul May, gebürtiger Münchner und Sohn des Geiselgasteig-Studio-Gründers Peter Ostermayr, inszenierte mit Hang zum Lokalkolorit eine Produktion, die der Film-Dienst als „ein heimatfilmartiges Kriminalabenteuer für bescheidene Ansprüche“ (Quelle) bezeichnet. Völlig im Unrecht befindet sich dieses Urteil nicht, bietet die Vermischung von (eher harmlosem) Krimi mit heimatfilmtypischen Elementen wie Berg- und Skiaufnahmen oder dem Mann zwischen zwei Frauen doch ein eher gemütliches als wirklich aufregendes Sonntagnachmittag-Vergnügen, allerdings mit feiner Figurengestaltung und lobenswerter Besetzung.

Voll zugeschnitten ist der Film auf Rudolf Prack, der in der Titelrolle – nicht ohne Pathos – einen auf die schiefe Bahn geratenen Zollbeamten verkörpert. Es gibt keine Möglichkeit, diese Geschichte, die ihre Spannung aus der Rebellion gegen das „kleine Leben“ als Beamter bezieht, ohne einen gewissen Hang zur Staatstreue und gutbürgerlichen Anständigkeit zu erzählen. Doch May verhindert galant, dass das Geschehen ins Lehrbuchhafte abdriftet. Das liegt an der Zweideutigkeit des Geschehens und an Pracks sympathischem Auftreten, wohingegen so manche pflichttreuere Figur weniger nahbar erscheint (ein Raunen ging durch den Kinosaal, als Roscher-Senior seinem Sohn doch tatsächlich ans Herz legte, sich zu erschießen, damit es nicht zu einer Anzeige wegen einer Dienstverfehlung käme). Andererseits zeigt der Film auch eine Schar charismatischer, finanziell motivierter und moralisch verkommener – natürlich ausländischer – Ganoven, die von Oskar Sima und Ernst-Fritz Fürbringer publikumswirksam angeführt werden.

Zwischen den Grenzposten, dem als Zahnarztpraxis getarnten Hauptquartier und einem verlockend sündigen Nachtlokal erweist sich „Die unheimliche Wandlung des Alex Roscher“ als recht edles Exemplar seiner Gattung. Annelies Reinhold, die als zu Roscher überlaufendes Ganovenliebchen eine überraschend mondäne, den noiresken Typus einer Femme fatale vorwegnehmende Darstellung liefert, verleiht dem Film Klasse und Gefahr zugleich. Zudem sind gerade ihre Figur und die schwierige Stellung, die sie im Liebesdreieck zusammen mit Roscher und seiner bescheidenen Grete einnimmt, wichtige Stellschrauben, die dem Finale erst seine echte Dramatik verleihen.

Charmante bayerisch-österreichische Rebellion, in der Überfluss und Laster gegen kleinbürgerliches Pflichtbewusstsein ausgespielt werden. Jedoch gebärdet sich Mays Film weniger aufrührerisch, als man vermuten möchte: Krimi, Romantik und die überraschende Auflösung rücken alle eventuellen Verschiebungen wieder gerade – mehr als einen Sturm im Wasserglas durfte und wollte man sich 1943 nicht erlauben. 4 von 5 Punkten, besonders aufgrund der guten schauspielerischen Leistungen von Prack, Reinhold, Sima und Fürbringer.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

08.04.2016 22:30
#32 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

brutus' interessante Sichtungskommentare zu alten deutschen Krimis sind natürlich für dieses Thema von besonderem Interesse. Ich erlaube mir, die entsprechenden Stellen zu zitieren, die mich gespannt auf die Filme machen, die ich noch nicht kenne:

Zitat von brutus im Beitrag RE: Welche Film-DVD liegt gerade bei euch im Player?
Alarm (D 1941)

Paul Klinger als Pilot, der in den Verdacht gerät, seine Freundin Helene (Hilde Sessak) getötet zu haben. Schöner Vorkriegs-Whodunit (wobei der Krieg schon im Gange war). Mit Fritz Rasp, Rudolf Platte, Alexander Engel und Rudolf Schündler.

Großalarm (D 1938)

Schon wieder Paul Klinger, der diesmal als Zeitungsfahrer einer Autoschieberbande in die Hände fällt, weil er einem der Diebe hilft, einen liegengebliebenen Wagen wieder flott zu machen, den jener gerade gestohlen hatte. Da er bei dieser Pannenhilfe beobachtet wurde, ist auch bald die Polizei hinter ihm her. Nur seine radelnden Freunde von der Zeitung (u.a. Rudolf Platte und Erik Ode) versuchen ihm zu helfen.
Zitat von brutus im Beitrag RE: Welche Film-DVD liegt gerade bei euch im Player?
Ruf an das Gewissen (D 1944)
Mit Karl Ludwig Diehl, Werner Hinz, Gustav Dießl, Käthe Haack, Anneliese Uhlig, Andrews Engelmann, Harald Paulsen u.a.

10 Jahre nach dem Mord an einer Sängerin bemüht sich die Tochter der wegen dieser Tat Verurteilten, nach deren Entlassung, um eine Neuauflage der Ermittlungen in diesem Fall, da sie ihre Mutter nach wie vor für unschuldig hält. Unterstützung erhält sie von einem Autoren, welcher den damaligen Kriminalfall mehr oder weniger original zu einem Hörspiel verarbeitet, unter wohlwollender Duldung des damaligen Hauptermittlers, der selbst immer noch Zweifel an der Schuld der Verurteilten hegt. Die Ausstrahlung des ersten Teiles dieses Hörspiels scheint eine Menge schlafende Hunde zu wecken. Interessiert nimmt der Kriminalrat die Bemühungen einiger damals zur Tatzeit anwesender Personen, Gäste einer Abendgesellschaft, zur Kenntnis, die Ausstrahlung des finalen Teils des Hörspieles möglichst zu verhindern. Aber erst nachdem es ihm mit Hilfe eines Kniffs gelingt, eines der Alibis des Mordabends zu widerlegen, kann er den Fall lösen.

Bei diesem Krimi handelt es sich um einen Überläufer, der erst Jahre nach seiner Fertigstellung aufgeführt werden konnte. Nicht unspannend, obwohl die Auflösung ein wenig vorhersehbar ist, 3,5 von 5 Punkten (die erbarmungswürdige Qualität meiner Aufnahme geht in diese Bewertung nicht ein).

Der Fall Deruga (D 1938)
Mit Willy Birgel, Geraldine Katt, Käthe Haack, Georg Alexander, Hans Leibelt, Fritz Odemar, Beppo Brem u.a.

Die Frau des bekannten Arztes Dr. Deruga wird von einer Freundin tot aufgefunden. Da diese einen Abschiedsbrief der Toten an sich nimmt und der Polizei unterschlägt, fällt ein böser Verdacht auf den Ehemann, zumal die Tote erst kurz vorher ihr Testament noch zu Gunsten ihres Gatten geändert hat, obwohl die beiden inzwischen geschieden sind. Prompt veranlaßt der Anwalt der restlichen Erben eine Obduktion der Leiche, bei der tatsächlich das Pfeilgift Curare nachgewiesen werden kann. So kommt es zu einem Prozess.

Ordentlicher Gerichtsfilm, 3,5 von 5 Punkten.
Zitat von brutus im Beitrag RE: Welche Film-DVD liegt gerade bei euch im Player?
Der große Fall (D 1944)
Mit Gustav Fröhlich, Georg Thomalla, Lotte Koch, Hilde Sessak, Ernst Fritz Fürbringer, Hubert von Meyerinck, Karl Heinz Peters, Fritz Odemar u.a.

Die von zwei Freunden betriebene Detektei Cerberus wird beauftragt den Transport wertvoller Juwelen zu sichern, die ein Kurier von Deutschland in die USA transportieren muß. So begeben sich beide inkognito an Bord eines Flugzeuges, einer als Steward, der andere als Dame von Welt. Natürlich sind auch mehrere Gauner an Bord und mehrmals wechseln die Steine ihren Besitzer, einige Personen springen vor der Landung mit dem Fallschirm ab, aber am Ende sind alle Dinge an ihrem Platz.

Ein weiterer Überläufer, der erst 1949 komplett fertiggestellt und uraufgeführt wurde. Bei der Gestaltung des Flugzeuginneren muss der Autor noch die alten Zeppeline vor Augen gehabt haben, in der 6-motorigen Maschine haben alle Passagiere durchaus geräumige Einzelkabinen, alle haben freien Zugang zum Frachtraum und es gibt einen Salon mit Bar und einer Kapelle, die zur Unterhaltung der Gäste aufspielt. Dagegen ist ein A380 eine Sardinenbüchse. Das ganze ist eher eine bewusst heitere Krimikomödie, die Realität der späten Kriegsjahre war schon schaurig genug. Das spielfreudige Ensemble, in dem eine ganze Reihe späterer Wallace-Darsteller mitmischen, weiß aber zu überzeugen, 3,5 von 5 Punkten.

Der geheimnisvolle Mr. X (D 1936)
Mit Mady Rahl, Ralph Arthur Roberts, Annemarie Steinsieck, Herti Kirchner, Curt Ackermann, Eugen Rex u.a.

Der titelgebende Mr. X droht in mehreren Briefe Diebstähle im Hause Wilford an. Der krimiaffine Hausherr, Lord Wilford nimmt die Herausforderung und engagiert einen Detektiv, doch seine Sekretärin (Rahl) hält diese Einladung zurück und überredet stattdessen ihren Verlobten in die Rolle des Detektives zu schlüpfen. Der legt auch ganz großspurig los, stammen doch auch die Briefe des Mr. X in Wirklichkeit von ihr, doch als dann tatsächlich wertvolle Stücke aus der Sammlung des Lords verschwinden ist guter Rat teuer.

Weitere harmlose Krimikomödie, die bis zum Happy End so vor dich hinplätschert. Außr Rady Mehl war mir kein weitere der Darsteller bekannt, ernsthaft in mein Gedächtnis reingedrängt hat sich aber auch keiner, 2 von 5 Punkten.

Der stumme Gast (D 1944)
Mit Gisela Uhlen, Rene Deltgen, Rudolf Fernau, Carsta Löck, Willi Rose, Josef Sieber, Ethel Reschke, Walter Jansen u.a.

Das Ehepaar Mathias und Lisa Radschek betreibt in einem kleinen Ort ein Gasthaus. Das der Ertrag überschaubar ist, beteiligt Mathias sich noch ein wenig als Fellschmuggler. Trotzdem ist man immer knapp bei Kasse und so muss auch der Weinhändler Kampmann, der eines Tages mal wieder reinschaut, ein wenig vertröstet werden. Dieser ist aber weniger am Geld als vielmehr an der Wirtin interessiert. Des Abends lässt sich Mathias auf ein Spiel ein, in der Hoffnung seine Schulden bei Kampmann mit einem Schlag los zu werden, er setzt das Wirtshaus, aber er verliert. Seine Frau bedrängt Kampmann später im Weinkeller, den Schuldschein wieder rauszugeben. Sie bekommt ihn auch, flüchtet dann aber ob seiner Nachstellungen wieder nach oben. Auch Mathias begibt sich in den Keller. Am anderen Morgen reist Kampmann in der Früh wortlos ab. Einige Wochen später taucht eine Frau im Gasthaus auf, die Verlobte Kampmanns. Sie ist auf der Suche nach ihm, der ortsansässige Gendarm ist ich bei der Recherche behilflich, aber nach der Abreise aus dem Ort hat niemand mehr Kampmann zu Gesicht bekommen. Bei einigen Zeugenbefragungen kommt zutage, das Mathias Radscheck in der besagten Nacht in seinem Garten gegraben hat. Ein furchtbarer Verdacht taucht auf. Der Richter lässt anordnen, im Garten des Gasthauses zu graben, das geschieht auch, aber es kommt keine Leiche zu Tage, sondern nur ein Sack mit Fellen, die Schmuggelware. Trotzdem ist das Verhältnis zwischen den Eheleuten weiterhin sehr angespannt, schliesslich verlässt sie ihn. Wochen später will Mathias seinen alten Plan realisieren, das Dachgeschoss auszubauen um weitere Gästezimmer zu erhalten. Dazu möchte sich ein Statiker das Fundament anschauen, eines Morgens begibt dieser sich, während Mathias unterwegs ist, mit einigen Gehilfen in den Keller.

Dieser Kriminalfilm basiert sehr entfernt auf der Fontane-Novelle 'Unterm Birnbaum' und entging dem Überläufer-Schicksal nur ganz knapp, die Uraufführung war im März 1945. Die Geschichte durchlebt mehrere interessante Wendungen und hat auch ein überraschendes Ende. Viele der Darsteller konnten nach dem Kriege ihre Karrieren erfolgreich fortsetzen. Harald Brauns Regieassistent war ein gewisser Alfred Vohrer, 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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09.04.2016 21:05
#33 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten




Peter Voss, der Millionendieb

Abenteuerkomödie, D 1943-46. Regie: Karl Anton. Drehbuch: Felix von Eckardt, Karl Anton (Buchvorlage: Ewald Gerhard Seeliger). Mit: Viktor de Kowa (Peter Voss), Karl Schönböck (Bobby Dodd), Else von Möllendorff (Polly Petterson), Hans Leibelt (Bankier van Gelder), Kurt Seifert (Vater Petterson), Fritz Kampers (Fritz Mohr), Werner Stock (Dodds Sekretär), Georg Thomalla (Max Egon Flipp), Gustav Bertram (Sam Parker), Erwin Biegel (blinder Passagier) u.a. Uraufführung: 27. September 1946. Eine Produktion der Tobis-Filmkunst GmbH.

Zitat von Peter Voss, der Millionendieb
Das kommt vom Spekulieren: Als die Millionenerbin Polly Petterson anlässlich ihrer Mündigkeit ihr Guthaben in bar ausbezahlt bekommen möchte, bringt sie die van-Gelder-Bank damit in arge Schwierigkeiten. Deren Direktor hatte die Kundeneinlagen in Kupferaktien angelegt, die momentan wertlos sind. Eine Million kann er nicht aufbringen, ohne Bankrott anzumelden. Da kommt sein Prokurist Peter Voss auf den rettenden Einfall, das nicht vorhandene Geld zu stehlen, um die Lage so aussehen zu lassen, als habe van Gelder ursprünglich genug Rücklagen gehabt. Auf der Flucht vor dem Privatdetektiv Bobby Todd muss Voss nun die Welt umqueren – mit einer imaginären Million im Gepäck ...

Zitat von Klaus Kreimeier. Die UFA-Story: Geschichte eines Filmkonzerns. Frankfurt / Main: Fischer-Verlag, 2002. S. 414
Bis in die letzten Kriegstage setzten die deutschen Filmkonzerne die Herstellung lebensfroher und ferienseliger Filme fort. Allerdings gelangten nur noch wenige dieser Produktionen zur Uraufführung. So überwiegen in der Ufa-Produktion von 1944/45 solche Filme, die vor dem Zusammenbruch des NS-Regimes nicht mehr vollendet wurden, sowie die sogenannten „Überläufer“, die, obschon noch von der NS-Filmprüfstelle zensiert, erst nach dem Krieg in die Kinos kamen.


Die 1942 organisatorisch in den Ufa-Konzern eingegliederte Tobis hatte ebenso wie ihre namhafte Schwester in den späten Kriegsjahren ob der sich zunehmend auf Berlin konzentrierenden Kriegsgeschehnisse Mühe, die angestrebten Filmprojekte, auch wenn es sich um reine Studioproduktionen handelte, in einem üblichen Zeitfenster umzusetzen. Obwohl die Dreharbeiten zu „Peter Voss, der Millionendieb“, der nunmehr dritten Verfilmung des bekannten Unterhaltungsromans, bereits am 27. September 1943 anliefen, befand sich das Projekt bei Kriegsende noch immer in der Musiksynchronisation, die im Folgenden von der DEFA beendet wurde, sodass der Film, der eigentlich ein Werk und damit auch ein Zeitzeugnis der Funktionsmechanismen nationalsozialistischer Ablenkungspolitik ist, erst auf den Tag genau drei Jahre nach Drehbeginn seine Premiere im auch zu Friedenszeiten noch als Frontstadt fungierenden Berlin feiern konnte. Verwunderlich ist allerdings nur auf den ersten Blick, dass sich die vom entgegengesetzten Geist getriebene DEFA jenes Films annahm, mit dem gemäß ursprünglicher Planungen Bombenhagel und Lebensgefahr mit kitschiger Exotik und aufgesetzter Albernheit übertüncht werden sollten. Tatsächlich musste dem unter sozialistischer Ägide operierenden neuen Filmkonzern die seichte Kapitalismuskritik nur gelegen kommen. Sie macht sich vor allem an der Inkompetenz der als Parodien gezeichneten Bankmitarbeiter und sowie an der Schlussszene fest, in der das bitter wiedererlangte Geld in Scheckform einmal reihum durch die feiernde Runde gereicht wird, bis es wieder bei seinem ursprünglichen Besitzer angekommen ist und die ohnehin komödiantisch verbrämte Jagd nach den Mammon vollends ad absurdum führt.

Bevor der Sieg über die Existenzangst des Bankiers und die Selbstgefälligkeit seines Detektivs zelebriert werden kann, strapaziert das nach dem immer gleichen Muster von Verschwinden und Aufspüren abgewickelte Katz- und Mausspiel zwischen den Protagonisten Peter Voss und Bobby Dodd die Geduld des Zuschauers. Die Idee des illusionären Raubs als Auslöser einer lockeren Kriminalhandlung mag im ersten Moment sehr überzeugend wirken; allein die Umsetzung der sich anschließenden und praktisch von Anfang bis Ende dauernden Verfolgungsjagd variiert zwischen den einzelnen Szenen nur mit den Mitteln des Schmierentheaters: Aus früheren, unter weniger angestrengten Produktionsbedingungen entstandenen Filmen werden Außenaufnahmen internationaler Schauplätze von Lissabon über Rio und Texas bis Hawaii zusammengeschnitten, während die Darsteller in leidlich glaubhaften Sets mit angeklebten Bärten von wechselnder Form einander zu täuschen versuchen. Nur allzu oft überschreitet das Drehbuch, das der Regisseur Karl Anton in Zusammenarbeit mit seinem Spezi Felix von Eckardt – beide hauptsächlich mit Komödienvorprägung – schrieb, die Grenze zum peinlichen Klamauk und lässt die Regie die Witze im typisch polternden Kommisston der Vierzigerjahre vortragen.

Unter der Devise „Aufheiterung um jeden Preis“ leiden auch die darstellerischen Leistungen, aus deren Vielzahl lediglich Karl Schönböck und Hans Leibelt mit einer subtilen Qualität hervorstechen, während gerade die romantischen Hauptdarsteller de Kowa und von Möllendorf die Abwegigkeit der Filmhandlung nicht zu erkennen scheinen. Da „Peter Voss, der Millionendieb“ so große Stücke auf Kostümierungen setzt, kommt erschwerend hinzu, dass sich de Kowas und Schönböcks Stimmen in einem Maße ähneln, welches das mühelose Verfolgen der einzelnen Täuschungsmanöver nicht immer gewährleistet.

Das oberflächliche Vergnügen einer nur vage als Kriminalkomödie verkleideten Weltreise hat sich schneller abgenutzt, als der Film mit einer Lösung aufwartet. Als Gute-Laune-Unterhaltung mit Abstrichen geeignet, präsentiert sich „Peter Voss, der Millionendieb“ in anderen Belangen bieder und veraltet. 2 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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01.05.2016 21:00
#34 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



Heiratsschwindler

Kriminaldrama, D 1937. Regie: Herbert Selpin. Drehbuch: Fritz Wendhausen (Buchvorlage „Die rote Mütze“: Dr. Gertrud von Brockdorff). Mit: Harald Paulsen (Paul Gerber alias Albert Häselich), Eduard von Winterstein (Franz Buschko), Elisabeth Flickenschildt (Anne Buschko), Viktoria von Ballasko (Marianne), Kurt Waitzmann (Mathias Schröder), Hilde Körber (Melitta Doleschal), Fita Benkhoff (Lisbeth Lindemann), Heinrich Kalnberg (Pflegevater Zierlein), Friedrich Ettel (Bahnhofsvorsteher), Gerhard Bienert (Bahnassistent Obermeier) u.a. Uraufführung: 15. Februar 1938. Eine Produktion der ABC-Film GmbH.

Zitat von Heiratsschwindler
Warum müssen ihm die Frauen es auch immer so leicht machen? Paul Gerber verdient sich sein Brot auf anrüchige Weise – als Heiratsschwindler unter dem Decknamen Albert Häselich. Für seinen neuesten Coup bändelt er im Dörfchen Klein-Wustrow in der mecklenburgischen Provinz zeitgleich mit der schüchternen Kellnerin des Bahnhofslokals und der resoluten Wirtin einer anderen Gaststätte an. Als guter Geschäftsmann lässt sich Häselich auch die Gelegenheit zu einer Erpressung nicht entgehen. Er hat jedoch nicht damit gerechnet, dass ihm eines seiner ehemaligen Opfer auf die Schliche kommt und die Polizei alarmiert ...


Der durch seinen tragischen Tod berühmt gewordene Herbert Selpin stellte in „Heiratsschwindler“, der Verfilmung des Romans „Die rote Mütze“ aus der Berliner Illustrierten, mehr als die von ihm gewohnten Action- und Abenteuerfertigkeiten unter Beweis. Heiratsschwindel muss im Film sensibel angepackt werden, weil es sich einerseits um ein hinterhältiges Spiel um Vertrauen, Zuneigung und Geld handelt, das den betreffenden Film ins Melodramatische abgleiten lassen kann, andererseits die Praktiken der listigen Galane und die Gutgläubigkeit ihrer naiven Opfer ein heutiges Publikum umgekehrt leicht zu unangebrachter Erheiterung verführen. Selpins dezente, aber auch handfeste Regie bewahrt den Film vor beiden Extremen; manches Mal blitzen amüsante Überzeichnungen durch, ohne albern zu wirken; je weiter sich die klug um einen engen Personenkreis konstruierte Handlung entwickelt, desto mehr Spannungspotenzial offenbart die Produktion.

Durch die interessante Schauplatzwahl (gedreht wurde in Lassan gegenüber der Insel Usedom; ob dort auch die Bahnhofsszenen entstanden, ist trotz des bis 1945 bestehenden Kleinbahnanschlusses eher fraglich) wird eine spezielle Gruppe – provinzielle Frauen im mittleren Alter – in den Fokus genommen, wobei Hilde Körber, Fita Benkhoff und Elisabeth Flickenschildt drei sehr unterschiedliche Typen spielen und somit die Wandlungsfähigkeit und Menschenkenntnis des Betrügers Häselich unterstreichen. Körber gefällt in einer bescheidenen, schüchternen Rolle als Kellnerin, die dem Heiratsschwindler nach nur acht Tagen Bekanntschaft ihr Sparkassenbuch anvertraut; Fita Benkhoff muss als großspurige Wirtin mit teuren Umbauplänen für ihr Lokal geködert werden, während der Flickenschildt als früherem Opfer, das mittlerweile als verstoßene Frau in Berlin lebt und in der alten Heimat als tot gilt, der Genuss der Rache gegönnt wird. Ihr Leid vergrößert sich dadurch, dass sie ihre Tochter nicht aufwachsen sah und ihr auch bei ihrem Besuch in Klein-Wustrow nur eine kurze, intensiv gespielte Szene mit Viktoria von Ballasko zugestanden wird. Da sie einst bereit war, für den Filou Mann und Kind zu verlassen, ist sie gezwungen, sich am Ende in Demut zu üben und der Verlobung ihrer Tochter fernzubleiben – mit ihrem bitteren Eingeständnis „Mein Kind kennt mich nicht mehr“ endet der Film, obgleich sich so viele Happy-Ends angekündigt hatten.

Harald Paulsens schmierige Betrügerfigur, die trotz ihrer schmutzigen Arbeit nicht ganz und gar verabscheuungswürdig gezeigt wird, steht im starken Kontrast zu den aufrechten Bahnbeamten, denen selbst kleinste Flecken auf ihren Uniformen schlaflose Nächte bereiten (als solider Liebhaber ein junger Kurt Waitzmann). Die Kritik des Katholischen Filmdienstes versucht, dem durch und durch unpolitischen „Heiratsschwindler“ deshalb die obligate braune Schattierung anzudichten:

Zitat von Katholische Filmkommission: Filmdienst
Wie später beim Autofallensteller im Film „Im Namen des Volkes“ (1939) ein kriminologisches Aufklärungsstück über einen bestimmten Tätertyp, der im Sinne der NS-Filmpolitik als Volksschädling darzustellen war. Der hölzern inszenierte Film erhielt prompt das Prädikat „künstlerisch wertvoll“.


Hier wird die prinzipielle Verdammung des deutschen Dreißigerjahrekrimis auf dem Rücken eines darstellerisch gelungenen und atmosphärisch dichten, inhaltlich soliden und einigermaßen zeitlosen Populärstoffs betrieben, der von einem Träger fragwürdiger Ideologien weiter nicht entfernt sein könnte.

Der keinesfalls als Komödie intendierte „Heiratsschwindler“ bleibt hartnäckig und spannend bis zum Schluss. Dorfleben und Eisenbahnermilieu bieten einen Hintergrund, vor dem sich der berlinerische Charme des Betrügers effektiv entfalten kann. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kriminalfilmen der damaligen Zeit erlaubt Selpins „Heiratsschwindler“ aber vor allem den Schauspielerinnen differenzierte und sehenswerte Auftritte in der ersten Reihe. Starke 4,5 von 5 Punkten.

blofeld Offline




Beiträge: 407

12.05.2016 21:20
#35 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Gedreht wurde "Der Täter ist unter uns" in den Prager Filmstudios.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

13.05.2016 11:30
#36 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Die Prager Barrandov-Studios wurden für die Ufa und ihre untergeordneten Produktionsfirmen in den Jahren des Krieges zu einem willkommenen Ausweichquartier, sodass dort viele deutsche Filme entstanden – „Der Täter ist unter uns“ ist nur eines von vielen Beispielen. Die Annektion der Tschechei im März 1939 hatte auch eine deutsche Übernahme der Barrandov-Studios zur Folge, die unter der Regie der Ufa deutlich ausgebaut wurden. In Prag ließ sich in den Folgejahren logischerweise leichter drehen als z.B. in Berlin oder Potsdam, wo der Krieg durch Luftschutzalarm und Bombardierung Dreharbeiten zunehmend erschwerte. Aber auch zuvor hatte sich die Ufa schon gern in Prag eingemietet, z.B. um Filme mit Lida Baarova zu drehen.

Horst Claus schrieb in „Zwischen Barrandov und Babelsberg: Deutsch-tschechische Filmbeziehungen im 20. Jahrhundert“ das Essay „Billigkeit und Qualität: Die Geschäftsbeziehungen der Ufa zur Tschechoslowakei 1927-1942)“.

Weitere deutsche Filme aus Barrandov waren u.a. der Heinz-Rühmann-Klassiker „Kleider machen Leute“ (1940), die Herbert-Selpin-Hans-Albers-Kollaboration „Carl Peters“ (1941) und das Drama „Anuschka“ (1942) mit Hilde Krahl und Siegfried Breuer.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

16.05.2016 13:45
#37 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



In letzter Minute

Kriminalkomödie, D 1939. Regie: Fritz Kirchhoff. Drehbuch: Erwin Biswanger. Mit: Walter Steinbeck (Guido Temme), Elga Brink (Lydia, seine Frau), Erich Ponto (Alexander Piepenbrink), Annemarie Holtz (Amalie, seine Frau), Ingeborg von Kusserow (Maria, deren Tochter), Ewald Wenck (Emil Lieblich), Ilse Fürstenberg (Minna, seine Frau), Else von Möllendorf (Else, deren Tochter), Hans Richter (Peter Pelle), Günther Lüders (Karl Plischke) u.a. Uraufführung: 8. September 1939. Eine Produktion der Tobis-Filmkunst GmbH.

Zitat von In letzter Minute
Ein Zug fährt über die Grenze. Aus Angst vor Zollkontrollen versteckt das Diebespaar Temme seine Beute hinter einem der Bilder im Abteil. Weil der Waggon heißgelaufen ist, wird er geräumt und später sogar außer Dienst gestellt. Er landet als Geschenk für außergewöhnliche Verdienste im Schrebergarten des pensionierten Bahnbeamten Piepenbrink. Aus Zufall entdeckt seine Frau das unerwartete Vermögen beim Staubwischen in seinem Versteck – doch da sind die Ganoven ihren abhanden gekommenen Geldscheinen bereits auf der Spur. Unter einem Vorwand erschleichen sie sich Zutritt zu dem zum Speisezimmer umgebauten Abteil ...


Im Gegensatz zu anderen Kriminalkomödien der Zeit, in denen sich der Witz vor allem aus überzeichneten Charakteren ergibt, setzt „In letzter Minute“ auf Wortwitz und Situationskomik, während die Figuren von den verzweifelten Halunken bis zu den kleingeistigen Schrebergärtnern mit gutem Augenmaß und Realitätssinn getroffen wurden. Es sind dabei vor allem die Unterschiede zwischen den achtlos eine große Summe aufs Spiel setztenden Temmes und der gutbürgerlichen, traditionalistischen Familie Piepenbrink, die den Reiz der Handlung ausmachen, welche, wie es für Kriminalkomödien üblich ist, zwischendrin an zwingendem Momentum verliert und sich eher aus dem Engagement der Darsteller speist. Aus deren Reihen tut sich Erich Ponto als rechtschaffener Ex-Eisenbahner und Familienvater lobenswert hervor, weil er – der gebürtige Lübecker – seiner Beinahe-Heimat Hamburg ein wehmütiges Denkmal setzt.

Ähnlich wie im Bryan-Edgar-Wallace-Krimi „Das 7. Opfer“ erklärt sich der Filmtitel „In letzter Minute“ erst durch einen nicht ganz ernstgemeinten Ausspruch in der letzten Minute. Als Werbeinstrument vermittelt der Titel allerdings einen etwas zu ernsten, spannungsgeladenen Eindruck für das letztlich recht gemütliche Filmvergnügen, das vom heutigen Standpunkt vor allem von der Nostalgie lebt, die Szenen wie das ausführlich gefilmte Steherrennen oder der schiere Umstand, dass ein Eisenbahnabteil mit einer gerahmen Zeichnung des Jungfernstiegs dekoriert ist, erwecken.

Bei aller guten Laune und Heile-Welt-Romantik, die der Film verbreitet, wirft der zeitgeschichtliche Kontext dunkle Schatten auf „In letzter Minute“: Genau eine Woche ist seit dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 vergangen, als die Produktion in die Kinos kommt. Sie feiert damit einer der ersten Kinostarts während des Kriegs und ruft in Gestalt der mit dem überraschenden Reichtum verantwortungslos und verschwenderisch umgehenden Mutter passenderweise zu Ehrlichkeit und Sparsamkeit auf. Auch dass die verbrecherischen Temmes als Globetrotter gezeigt werden, die ihre Beute außerhalb des Reichs horten und nach Wiederbeschaffung der verlorenen Moneten westwärts nach Amsterdam zu fliehen gedenken, passt zur hitlerdeutschen Dialektik vom sündigen Ausland.

Diese amüsante und nicht übertrieben alberne, dafür aber auch nicht über die Maßen spannende Komödie nutzt die reizvolle Ausgangslage vom schicksalhaft verlorenen Geld bis zur „letzten Minute“ aus, gestaltet sich dabei jedoch nicht immer so stringent, wie man sich gewünscht hätte. Die mit Fingerspitzengefühl umgesetzten Verkörperungen der hochtrabenden Gangster und der „Familie des kleinen Mannes“ entschädigen für stellenweise Längen, wenn Sport- und Liebesszenen der eigentlichen Handlung zu stark dazwischenfunken. 3 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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17.07.2016 13:45
#38 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



Gewitterflug zu Claudia

Kriminalfilm, D 1937. Regie: Erich Waschneck. Drehbuch: Karl Unselt, Christian Hallig (Buchvorlage: Karl Unselt). Mit: Willy Fritsch (Flugkapitän Droste), Jutta Freybe (Claudia Imhoff), Karl Schönböck (Flugkapitän William Crossley), Olga Tschechowa (Frau Mainburg), Maria Koppenhöfer (Frau Imhoff), Hans Leibelt (Inspektor Bäuerle), Edwin Jürgensen (Sekretär Quist), Gerhard Bienert (Bordmechaniker Hüber), Rudolf Schündler (Bordfunker Klömkes), Heinrich Marlow (Sir Reginald Crossley) u.a. Uraufführung: 25. November 1937. Eine Produktion der Ufa-Filmkunst GmbH.

Zitat von Gewitterflug zu Claudia
Ein Unbekannter hat dem Piloten Droste Devisen ins Fluggepäck geschmuggelt und ihn bei der Polizei angezeigt. Offenbar war dies ein Ablenkungsmanöver, um ihn an seinem Flug nach London zu hindern, wo er den schwerkranken Sir Reginald, den Vater seines englischen Kollegen William Crossley, besuchen wollte. Als es ihm doch gelingt, stellt sich heraus, dass Sir Reginald eine ihm unbekannte Tochter hat, die mit Drostes Freundin Claudia Imhoff identisch zu sein scheint. Sie wurde unmittelbar nach ihrer Geburt nach Deutschland zu einer Ziehmutter gegeben, als ihre leibliche Mutter, die Freundin von Sir Reginalds erstem Sohn Percy, unter dem Verdacht der Spionage stand ...


In Erich Waschnecks Œuvre ist „Gewitterflug zu Claudia“ nur einer von zahlreichen Unterhaltungsfilmen der eher leichten Sorte, doch der gebürtige Sachse, der in den 1920er Jahren zu einer festen Größe im deutschen Film wurde, zeichnete sich andererseits nach 1933 auch durch eine konsequente Regimetreue aus, die ihn unter Propagandaminister Goebbels nicht nur weiterhin erfolgreich an den reichsdeutschen Film band, sondern sogar in der Verpflichtung für den antisemitischen Pseudo-Historienfilm „Die Rothschilds“ (1940) gipfelte. Schon früher hatte man seine Bedeutung für die NS-Filmbranche erkannt:

Zitat von Klaus Kreimeier. Die UFA-Story: Geschichte eines Filmkonzerns. Frankfurt / Main: Fischer-Verlag, 2002. S. 263
Abgeschnitten von Impulsen aus dem Ausland und daran gehindert, ihre Produkte dem internationalen Wettbewerb auszusetzen, begann die deutsche Filmindustrie notgedrungen, sich in einer für das Medium zerstörerischen wirtschaftlichen, geistigen und ästhetischen Monokultur zu verschanzen. Die kulturelle Isolation bewirkte einen Qualitätsverfall, auf den besonders die Produktionsgruppen der Ufa, die ja einmal Maßstäbe gesetzt hatten, empfindlich reagierten. In einem Bericht an den Vorstand beklagte die Produktionsabteilung Mitte 1934 den durch die Entlassungswelle und die Abriegelung gegenüber dem Ausland entstandenen chronischen Mangel an fähigen Fachkräften: „Es fehlen die Autoren und Regisseure. Der Nachwuchs war in der Kürze der Zeit nicht heranzubilden, um brauchbare Drehbücher zu schreiben; es werden wahrscheinlich Jahre darüber vergehen. Begabte Regisseure sind auch nicht hervorgetreten.“ Für die deutsche Jahresproduktion von etwa 120 Filmen seien nur neun begabte Regisseure vorhanden: Willi Forst, Karl Hartl, Gustav Ucicky, Reinhold Schünzel, Luis Trenker, Gerhard Lamprecht, Carl Froelich, Artur Robison und Erich Waschneck. „Jeder dieser Regisseure kann bei gewissenhafter Arbeit nur zwei Filme pro Jahr herstellen; Trenker stellt in der Regel nur einen Film her.“ Somit könnten allenfalls 20 bis 25 gute Filme produziert werden. „Alles übrige ist Durchschnitt, meistens darunter.“


Wie angesprochen, gestaltet sich „Gewitterflug zu Claudia“ sehr vergnüglich, kann aber seine Herkunft als Illustriertenroman nicht verleugnen. Dazu gehört auch die eher plump englandkritische Haltung des Films, in dem nicht nur pflichtschuldig das Hakenkreuz an Drostes Passagiermaschine ins rechte Licht gerückt wird, sondern ein geldgieriger und durchtriebener Engländer sich als Hintermann und Mörder herausstellt, während die Deutsche Maria Mainburg seit 1914 von einem grundlosen Haftbefehl wegen Spionage und dem Dünkel einer englischen Adelsfamilie um ihr Ansehen und den Kontakt zu ihrem Kind gebracht worden ist. Von diesen Seitenhieben abgesehen, entwickelt sich eine Handlung, die so auch aus der Feder von Edgar Wallace stammen könnte, wenn nach einer adoptierten Erbin gesucht und vergangenes Unrecht hinterfragt wird. Um das Bündel der Sensationen zu komplettieren, lockt der Film mit spektakulären Flugaufnahmen und Stunts, die von einer Traumsequenz aus dem Ersten Weltkrieg bis zu dem titelgebenden, radargesteuerten Blindflug durch dichte Wolken reichen. Diese „Spezialflugaufnahmen“ von Heinz von Jaworsky drücken Einsatz und Wagemut aus und stellen damit nicht nur einen Reiz für Technikbegeisterte, sondern auch eine unterschwellige Charakterbotschaft im Stil der Zeit dar.

Das romantische Paar ist mit Willy Fritsch und Jutta Freybe, dem Stil der Produktion angemessen, bilderbuchartig besetzt. Interessanter fällt ein Blick auf die Nebendarsteller aus: Hier reicht die Palette von Hans Leibelts gutmütigem Inspektor über Karl Schönböcks differenziertes Porträt des Piloten Crossley, der zunächst ein Freund, dann ein Gegner des Protagonisten ist und schließlich einsehen muss, dass er falsch gehandelt hat, bis hin zu Maria Koppenhöfer, deren misstrauisch-feindselige Mutterrolle rasch Böses vermuten lässt. Im Cockpit der nach Inflationskanzler Wilhelm Cuno benannten Passagiermaschine liefern sich zudem der handfeste Gerhard Bienert und der schusselige Rudolf Schündler amüsante Wortduelle.

„Gewitterflug zu Claudia“ ist ein kurioses, leicht verworrenes, aber ausgesprochen kurzweiliges Krimiabenteuer über eine verloren gegangene Erbin und Tochter, das eine wallace-artige Geschichte mit zeittypischen Flugaufnahmen kombiniert. Die zweifelhafte Zeichnung der englischen Filmfiguren mag gezielte Propaganda gewesen sein, erinnert mittlerweile aber eher an eine Umkehrung des im britischen Krimi bis heute gern bemühten Klischees des „bösen Deutschen“ und wird ohnehin von solidem bis starkem Spiel der Akteure aufgefangen. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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14.09.2016 11:20
#39 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



Ufa-Stars in Ohlsdorf: Willy Fritsch

Zitat von Klaus Kreimeier. Die UFA-Story: Geschichte eines Filmkonzerns. Frankfurt / Main: Fischer-Verlag, 2002. S. 177
Willy Fritsch, seit Joe Mays Film Der Farmer aus Texas (1925) als liebenswürdig-dreister Draufgänger eine Identifikationsfigur des deutschen Kinos, gehörte als unumstrittener Star zum lebenden Inventar wie auch zur „Fassade“ der Ufa: sein Gesicht auf den Plakaten, in den Schaukästen und über den Portalen der Kinos propagierte, nicht anders als der magische Rhombus mit dem Firmenzeichen, die Einzigartigkeit und Allgegenwart der Ufa-Traumfabrik.


Hauptsächlich für seine Lustspiele und Musikfilme an der Seite von Lilian Harvey oder Käthe von Nagy bekannt, verschlug es Willy Fritsch gelegentlich auch in den Kriminalfilm – ob als fälschlich verdächtigter Lufthansa-Kapitän in „Gewitterflug zu Claudia“ (1937), als gewiefter Anwalt Peter Bille in Gustav Ucickys Urversion des Curt-Goetz-Gerichtsstücks „Hokuspokus“ (1930) oder als verkleideter Gegenspieler zu Rudolf „Mabuse“ Klein-Rogges Meisterschurken Haghi in „Spione“ (1928). Sein Status als Held und Leinwandliebling – seit 1923 fest bei der Ufa angestellt und sogar gegen Abwerbungen aus den USA immun – prädestinierte ihn auch über diese Auftritte hinaus vor allem für charmante, zupackende Hauptrollen, denen man eventuelle Fehltritte schnell verzeiht.

Fritschs Arbeit für die Ufa machte ihn sowohl zum „verlässlichsten Sorgenbrecher des deutschen Kinos“ (Der Spiegel) als auch auch zum „Leibeigenen des Konzerns“ (Kreimeier), dessen Wiedererkennungswert sich die Ufa in Abmachungen sicherte, die man unter heutigem Gesichtspunkt als Knebelverträge bezeichnen würde. Fritschs Loyalität seinem Arbeitgeber gegenüber beschränkte sich jedoch auf ein möglichst nonchalantes Tolerieren der politischen Entwicklung in den 1930er Jahren: Seine Zurückhaltung beim ersten Beschnuppern der neuen NS-Machthaber und der Ufa-Spitzen im Hotel Kaiserhof im März 1933 spiegelt sich auch langfristig in seiner Filmografie wider, die der Unkonventionalität und dem Alltäglichen deutlich größeren Raum gewährt als dem Folgsam-Soldatischen. Ein Starrummel um Personalien wie Fritsch und Harvey entspräche eher den typischen Hollywood-Gebahren als dem NS-deutschen Führerkult, konstatieren Filmforscher rückblickend. Dass eine Instrumentalisierung Fritschs für Propagandazwecke bis auf wenige Ausnahmen ausblieb, war gewiss auch einer der ausschlaggebenden Gründe für die nahtlose Fortsetzung der Karriere des gefragten Mimen in der Bundesrepublik.

Sein Grab im nordwestlichen Parkteil des Ohlsdorfer Friedhofs in Hamburg ziert eine dunkle, mittlerweile moosüberzogene Steinplatte, umstanden von rosafarbenen Begonien und zurückgesetzt in ein Halbrund aus Rhododendronbüschen. Die Stelle wurde bereits zehn Jahre vor seinem Ableben im Jahr 1973 für seine Frau, die Tänzerin Dinah Grace (Heirat 1937, bürgerlicher Name Käthe Gerda Johanna Ilse Schmidt), angelegt, die 1963 im Alter von nur 46 Jahren starb. Ihren Tod nahm Fritsch zum Anlass, sich aus der Welt des Films zu verabschieden – einen letzten Auftritt hatte er 1964 an der Seite seines Sohns Thomas in der passend betitelten Komödie „Das hab’ ich von Papa gelernt“.

Gubanov ( gelöscht )
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17.09.2016 20:55
#40 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten




Was wird hier gespielt?

Kriminalkomödie, D 1940. Regie: Theo Lingen. Drehbuch: Curt J. Braun (Vorlage: Theo Lingen). Mit: Otto Wernicke (Kriminalkommissar), Hannes Stelzer (Dr. Ottendorf), Paul Henckels (Theaterdirektor), Theo Lingen (Theo Lingen), Fita Benkhoff (Marlene Schropp), Richard Häußler (Ferdinand Tonnerer), Gertrud Meyen (Elsie Linhard), Paul Verhoeven (Dr. Hubert Kiesewetter), Paul Kemp (Inspizient Müller), Edith Oss (Friedel Schütz) u.a. Uraufführung: 19. Juli 1940. Eine Produktion der Majestic-Film GmbH und der Tobis-Filmkunst GmbH.

Zitat von Was wird hier gespielt?
Theo Lingen erzählt einen Schwank aus seinen frühen Bühnenjahren, wobei der Zuschauer selbst urteilen möge, wie viel Wahrheit und Flunkerei wohl in der Geschichte stecken: Als unterbezahlter und von Kündigung bedrohter Kleindarsteller stellt Lingen die Premiere eines Kriminalstücks an einem Provinztheater auf den Kopf, indem er sich nicht wie geplant erschießen, sondern spurlos verschwindet und damit einen zuvor mittels anonymem Brief gewarnten Kriminalkommissar hellhörig werden lässt. Dieser verlegt seine Ermittlungen prompt auf die Bühne und kommt Lingens zweifelhaften Geheimnissen auf die Spur: Frauengeschichten, eine Morddrohung gegen den Autoren und eine verschwundene Abendkasse ...


Wenn sich im Stadttheater der Vorhang zum äußerst prosaischen Drama „Doppeltes Spiel“ hebt, erwartet das Publikum durchweg konventionelle und vorhersagbare Darbietungen. Galant spielt die Tobis-Produktion aus der Feder von Theo Lingen, der sich selbst zu einem früheren Zeitpunkt in seiner Karriere spielt, mit der Idee, dass erst das unerwartete Dazwischenfunken der „echten Welt“ die blutarme Theaterschau so wirklich spannend macht, und verwebt damit das Reale und das Imaginäre auf unerwartete Weise. Was Lingen in der Rahmenhandlung im Dramaturgen-Büro als Nachteil seines künftigen Filmstoffs ankündigt – nämlich dass „Was wird hier gespielt?“ mit allen tradierten Vorschriften von Bühne und Film brechen würde –, erweist sich im Laufe der Handlung als großer Aktivposten des Films, der die Handlung überraschend, unverwechselbar und in ihrer Eigenwilligkeit bis heute sehr ansprechend hält. Das Geschehen spielt sich auf der Premiere in einer langen zusammenhängenden Szene ab, in der die kriminalistische Ermittlung vor Publikum auf Bühnenbrettern durchgeführt und damit selbst „theatralisiert“ wird. Lange zweifelt man darüber, ob man einen Krimi oder ein Lustspiel sieht – eine Frage, die vom eigentlichen, sehr geschickten Täuschungsmanöver des Films ablenkt, während „der verschwundene Schauspieler Lingen“ von seinen Kollegen in eine scheinbar aussichtslose Situation manövriert wird.

Basierend auf seinem eigenen Theaterstück und selbst von ihm inszeniert, muss sich Lingen in einem Gespräch zu Beginn fragen lassen, ob eine dreifache Position als Autor, Spielleiter und Darsteller nicht ein wenig zu dick aufgetragen sei. Der Umstand, dass Lingen im Hauptteil verdächtigerweise von der Bildfläche verschwindet und damit Belastungszeugen und andere Verdächtige in den Mittelpunkt rücken, erleichtert seine Aufgabe ein wenig. Die Darstellerriege erweckt mit diebischer Freude die Macken eines eingespielten Theaterensembles von großspuriger Diva (fabelhaft: Fita Benkhoff) über den „Primadonnerich von öligem Pathos“ (Filmwelt) (etwas zurückhaltender, aber nicht weniger wirkungsvoll: Richard Häußler) bis hin zum schusselig-linkischen Direktor (Paul Henckels) zum Leben, wobei auch kleineren Charakteren – der Kleinrollendebütantin, dem Inspizienten, dem Feuerschutzinspektor oder der Telefonistin – genug Aufmerksamkeit zuteil wird, um aus ihnen kleine Kabinettstückchen zu zaubern.

In der Abwesenheit des in seiner nonchalanten Art – trotz stummer Rolle im Stück-im-Film – den Ton angebenden Theo Lingen übernimmt der schon seit „M“ und „Mabuse“ gern als Kommissar verpflichtete Otto Wernicke, der wie kein zweiter noch einem alten Kaiserreichsbeamten gleicht, das Ruder. Als sich am Ende herausstellt, dass sein gutmütiger, aber strenger Befehlston bei Lingen nicht verfängt, fährt die Kamera langsam aus dem Bühnenbild heraus und enthüllt die Ermittlungen im Diebstahls- und Mordfall als Farce. Unterschwellig schwingen in dieser Enthüllung subversive Gedanken mit, wenn einerseits die Vertreter von Recht und Staatlichkeit am Ende die einzigen Gelackmeierten in der gesamten Geschichte bleiben oder andererseits gar ein Verfall künstlerischer Kreativität im reglementierten und von Auswanderung getroffenen NS-Staat suggeriert wird. Durch die charmante und verdeckte Art, diese Botschaften zu vermitteln, schienen sie den Zensurbehörden jedoch gar nicht aufzufallen ...

Ähnlich wie das Publikum im Theatersaal empfindet der Zuschauer am Bildschirm den frischen Wind, den die unerwartete Programmänderung in den Ablauf der Ereignisse bringt, als Bereicherung. Eine Komödie, die nicht auf billige Lacher abzielt, sondern inspirierende Satire- und Persiflageelemente verbaut und mit einer locker-leichten Krimihandlung verknüpft, ist in dieser Ungezwungenheit im deutschen Vorkriegsfilm wohl kein zweites Mal zu finden.

Das unerhörte Aufbäumen eines unterforderten Schauspielers ist die Triebfeder ungewöhnlicher Ereignisse auf der Bühne eines vollbesetzten Schauspielhauses, die pragmatische Polizei- und schöngeistige Theaterarbeit aufeinanderprallen lassen. Der beinah in Echtzeit ablaufende Film sprüht vor unkonventionellen Ideen und interessanten Rollen, die typischen Abziehbildern ihrer Zunft feine persönliche Details hinzufügen. Der Film lebt von seiner durchgehenden Doppeldeutigkeit und den inspirierten Darstellerleistungen. 5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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25.10.2016 20:30
#41 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



Ein seltsamer Gast

Kriminalfilm, D 1936. Regie: Gerhard Lamprecht. Drehbuch: Kurt Heuser. Mit: Alfred Abel (Kunsthändler Bruneaux), Ilse Petri (Yvette Bruneaux), Kurt Fischer-Fehling (Henri de Valencours), Aribert Wäscher (Rompon), Werner Scharf (René Morone), Elisabeth Wendt (Lou Morone), Hermann Speelmans (Hausdiener Gaston), Johanna Blum (Zimmermädchen Jeanette), Fritz Odemar (Onkel Théophile), Rudolf Klein-Rogge (Polizeipräfekt) u.a. Uraufführung: 8. April 1936. Eine Produktion der Euphono-Film GmbH und der Ufa-Filmkunst GmbH.

Zitat von Ein seltsamer Gast
Ihre Mutter, die die Familie einst für den zweifelhaften Herrn Morone verließ, wendet sich mit einer flehenden Bitte nach Geld an Yvette Bruneaux – ausgerechnet an jenem Tag, an dem diese sich mit dem jungen Anwalt Henri de Valencours verlobt. Wenig später verschwindet ein wertvolles Kollier, das Henri seiner Verlobten kurz zuvor geschenkt hatte. René Morone gerät unter Verdacht. Da findet man Yvettes Mutter tot im Zimmer einer billigen Absteige. Zeugen wollen ausgerechnet Yvettes Vater, den ehemaligen Ehemann der Toten, am Tatort gesehen haben. Dieser gesteht, das Kollier aus der Hand der Toten genommen zu haben ...


Mord und Erpressung gehen immer wieder fruchtbare Symbiosen ein. So auch in Gerhard Lamprechts Krimi „Ein seltsamer Gast“, zu dem der Regisseur offenbar eine gewisse Vorliebe hegte: Schon um den Jahreswechsel 1927/28 hatte er sich dieses Stoffs in Stummfilmform angenommen, wobei Titel und Titelfigur dieser Version – Heinrich George als „Der Mann mit dem Laubfrosch“ – eher kryptisch anmuten. In seiner Aktualisierung steht vor allem der Kontrast der Milljöhs im Mittelpunkt, die sich zwischen der eleganten Kunsthandlung des Monsieur Bruneaux und der ausgelassenen Ballstimmung auf der Verlobungsfeier seiner Tochter auf der einen sowie der anrüchigen Einfachheit der Pension, ihrer durchtriebenen Gäste und des frivolen Personals auf der anderen Seite aufspannen. So gelungen erscheint die Stimmung, dass sich selbst der Filmdienst zu einem positiven Urteil über „Ein seltsamer Gast“ durchrang: „Deutscher Kriminalfilm mit französischem Milieuanstrich, der in der Charakterdarstellung und seiner Zwielichtigkeit den zeitgenössischen Durchschnitt des Genres übertraf“, behauptete der zuständige Redaukteur.

Tatsächlich erscheinen die Dekors stimmig und die Verdächtigen vielzählig; ob man ihre charakterliche Ausformung jedoch als vorbildlich bezeichnen möchte, muss wohl im Auge des Betrachters liegen. Zu formelhaft erscheint mancher Zusammenhang, zu zeittypisch die Realisierung sensibler Fragen wie Handlungsort und Täterwahl. Man bekommt es mit einem soliden, stellenweise jedoch zu durchschaubaren Reißbrettkrimi zu tun, der vor allem dann seine Stärken entfaltet, wenn kurz von der eigentlich so wichtigen Tätersuche abgewichen wird. Die dick aufgetragene Ungebundenheit des Hausdieners, die so gar nicht ins nationalsozialistische Korsett von Gehorsam und Pflichtbewusstsein passt, aber auch der liebenswerte Auftritt des leicht vertrottelten Onkel Théophile sind Seitenarme der Handlung, die man eher in Erinnerung behalten wird als Verhöre und Verdachtsmomente. Auch die mit tragischen Augenblicken bedachte Figur des Mordopfers, deren Rolle jedoch aus Zeit- und Konstruktionszwängen lückenhaft bleibt, erweckt menschliches Interesse. Man mag Kreimeiers Einschätzung zustimmen, der Lamprechts zentrale Begabung in den abwegigen kleinen Einsprengseln in seinen Filmen verortet:

Zitat von Klaus Kreimeier. Die UFA-Story: Geschichte eines Filmkonzerns. Frankfurt / Main: Fischer-Verlag, 2002. S. 367
Lamprecht gehörte zu jenen Regisseuren der Ufa, die immer wieder versuchten, die ideologischen Strukturen des NS-Films zu unterlaufen und selbst dort, wo nationalpathetische Idealisierung erwartet wurde (Diesel, mit Willy Birgel, 1942), die vorgegebenen Klischees durch realistische Momente zu brechen.


Ilse Petri und Kurt Fischer-Fehling geben als Liebespaar und Identifikationsfiguren dagegen wenig mehr als eine beflissene Standardvorstellung. Auch Alfred Abel gefällt sich selbst als stiller Geheimnisträger ein wenig zu gut, während Werner Scharf offensichtliches Vergnügen an einer ähnlich scherenschnittartigen Ganovenrolle findet. Sein gelacktes Äußeres und sein Plüschmantel werden recht plump instrumentalisiert, um die erpresserischen und manipulativen Neigungen des René Morone mit im Zeitgeist unerwünschten dandyhaften (= unseriösen) Äußerlichkeiten zu assoziieren. Schließlich wollte der in Gestalt des ehemaligen Erzfeinds Rudolf „Mabuse“ Klein-Rogge auftretende Polizeipräfekt von der deutschen Euphono-Ufa-Gemeinschaftsproduktion offenbar als ein gewisser Seitenhieb gegen die Behörden des Nachbarlands verstanden werden, die, wenn ranghohe Mitglieder die Verdächtigen persönlich kennen, gern hier und da mauscheln, um dem privaten Glück nicht im Wege zu stehen.

Rauschende Tanzabendbilder zur Musik des Komponisten Giuseppe Becce beschließen das nicht unbedingt staffagearme, aber doch recht ausgewogene Kriminalspiel, das in seinem Genre ein eher durchschnittlicher Vertreter ist, aber stellenweise ungewöhnliche, interessante Schlaglichter auf einzelne Randfiguren wirft. Ausgerechnet den Hauptrollen fehlt dagegen die über die bloße Funktion hinausgehende Faszination. 3,5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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30.10.2016 14:10
#42 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten




Verwehte Spuren

Kriminaldrama, D 1938. Regie: Veit Harlan. Drehbuch: Thea von Harbou, Felix Lützkendorf, Veit Harlan (Vorlage: Hans Rothe). Mit: Kristina Söderbaum (Séraphine Lawrence), Frits van Dongen (Bezirksarzt Dr. Morot), Friedrich Kayßler (Polizeipräfekt von Paris), Charlotte Schultz (Madeleine Lawrence), Paul Dahlke (Boulevardschriftsteller Henri Poquet), Jacob Tiedtke (Hotelier Dompierre), Josef Sieber (Hausdiener Maurice), Milena von Eckardt (Maurices Freundin Colette), Clemens Hasse (Hausdiener Gaston), Heinrich Schroth (Graf Duval) u.a. Uraufführung: 26. August 1938. Eine Produktion der Majestic-Film GmbH und der Tobis-Filmkunst GmbH.

Zitat von Verwehte Spuren
Zur Weltausstellung 1867 beherbergt Paris zwei Millionen Gäste. Auch die geborene Pariserin Madeleine Lawrence, die mittlerweile in Kanada lebt, besucht aus diesem Anlass mit ihrer Tochter Séraphine die Stadt. Alle Hotels sind ausgebucht und obwohl es dem hilfsbereiten Arzt Dr. Morot gelingt, Madeleine und Séraphine unterzubringen, müssen sie doch in verschiedenen Unterkünften übernachten. Als Séraphine am Morgen des nächsten Tages ihre Mutter besuchen will, leugnet man in deren Hotel, Madeleine Lawrence je gesehen zu haben. Von der Frau, ihrem Gepäck und sogar ihrer Unterschrift im Fremdenbuch ist keine Spur mehr zu finden. Polizei und Botschaft weigern sich beharrlich, der zunehmend verzweifelten Séraphine zu helfen ...


Wie ein Mensch aufgrund einer scheinbar undurchdringlichen Verschwörung über Nacht vom Erdboden verschwinden kann, erzählt Veit Harlan mit großem Einfühlungsvermögen für die junge, um ihre Mutter betrogene Hauptfigur. Bevor Harlan in Goebbels’ Auftrag Propagandafilme wie „Jud Süß“ und „Kolberg“ drehte, etablierte er sich im unpolitischen Bereich des Melodrams als erstaunlicher filmhandwerklicher Könner. Auch „Verwehte Spuren“ – ein Projekt, das er bereits 1936 angehen wollte – trägt die Handschrift eines Mannes, der um die Wirkung von Bildern weiß und dem es mühelos gelingt, mit dem (Un-)Gerechtigkeitsgefühl des Zuschauers zu spielen. Er wird dabei von Kristina Söderbaum unterstützt, die hier in ihrem dritten Film und ihrer zweiten Hauptrolle eine Achtzehnjährige spielt, die auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle geschickt wird. Von Vergnügen und Bewunderung des Trubels der Weltausstellung über romantische Szenen mit dem Arzt Morot bis hin zu Verzweiflung und blanker Wut über das Komplott, das gegen sie ausgeheckt wird, durchlebt sie als Séraphine Lawrence glaubhaft und willensstark in kurzer zeitlicher Abfolge verklärende Hochgefühle und enttäuschende Selbstzweifel.

Da der Stoff relativ offen gestaltet ist, handelt es sich nicht um einen Kriminalfilm mit Tätersuche im klassischen Sinne. Es wird von Anfang an recht deutlich gemacht, dass Mutter Lawrence wohl eines natürlichen Todes gestorben und keineswegs ermordet wurde. Einige zeitgenössische Kritiker legten dem Film diese Offenheit als Schwäche aus; doch aufgrund der Tatsache, dass das letzte Puzzlestück erst in der Schlussszene eingesetzt wird, gewährleistet das von der versierten Thea von Harbou verfasste Drehbuch durchgängige Spannung. Die Einführung darüber hinausgehender Möglichkeiten wie die des letztlich nur kurz angedeuteten Raubmordes hätte die Handlung nur unnötig verkompliziert und, sofern die Tat wie impliziert vom Hotelpagen ausgeübt worden wäre, keinen Sinn in Bezug auf die delikate Geheimniskrämerei ergeben, die im Zentrum des Films steht. Von der dramaturgischen Warte kann dem Film also wie auch von der inszenatorischen nicht das Geringste abgesprochen werden.

Wer vermutet, der Pariser Schauplatz und das von der dortigen Kriminalpolizei initiierte Täuschungsmanöver würden den „Verwehten Spuren“ Anlass zu frankophoben Tendenzen bieten, argwöhnt stärker als nötig. Nicht nur tut sich Friedrich Kayßler als verständnisvoller, aber pflichttreuer Polizeipräfekt ausgesprochen positiv hervor, auch kann man produktionshistorisch fast schon von einem kosmopolitischen Film sprechen, der einen schwedischen und einen holländischen Star im Stoff eines emigrierten, in Hitlerdeutschland eigentlich schon seit zwei Jahren verbotenen Schriftstellers vereint. „Verwehte Spuren“ wurde nichtsdestoweniger auch von offizieller Seite gut angenommen (Hitler: „großartig gefallen“, Goebbels: „mit Elan und Schmiss gemacht“, keine Änderungswünsche), schafft aber auch den Spagat, selbst noch dem heutigen Betrachter vorbehaltlos zuzusagen, sofern man sich nicht an einer wohldosierten Portion Rührseligkeit stört.

Was geschah mit Madeleine Lawrence? Ihre Filmtochter Kristina Söderbaum bohrt beharrlich nach, als ihre Mutter spurlos verschwindet. Spannendes Drama, das seine Karten klug ausspielt und mit Tempo und exzellentem Produktionswert beeindruckt. 4,5 von 5 Punkten. Man sollte nur keinen typischen Krimi mit Detektiven und Verdächtigen erwarten!

Gubanov ( gelöscht )
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01.11.2016 22:15
#43 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten




Spione

Spionagekrimi, stumm, D 1927/28. Regie: Fritz Lang. Drehbuch: Fritz Lang, Thea von Harbou (Romanvorlage: Thea von Harbou). Mit: Rudolf Klein-Rogge (Haghi), Gerda Maurus (Sonja), Lien Deyers (Kitty), Louis Ralph (Morrier), Craighall Sherry (Polizeichef Jason), Willy Fritsch (No. 326), Paul Hörbiger (Franz, Chauffeur), Hertha von Walther (Lady Leslane), Lupu Pick (Dr. Matsumoto), Fritz Rasp (Oberst Jellusič) u.a. Uraufführung: 22. März 1928. Eine Produktion der Ufa-Filmkunst GmbH.

Zitat von Spione
Nach außen hin Bankdirektor, in Wahrheit jedoch Spionage- und Erpressergenie: Superverbrecher Haghi steuert von seiner geheimen Kommandozentrale, die an sein Bankhaus angeschlossen ist, internationale Geschicke. Obwohl der Geheimdienst mit No. 326 seinen besten Mann auf den Verbrecher angesetzt hat, spinnt dieser immer weitreichendere Pläne: Seine Assistentin Sonja soll dem osteuropäischen Oberst Jellusič landesverräterische Details entlocken, während die nicht weniger gewiefte Kitty dem japanischen Diplomaten Matsumoto ein über Krieg und Frieden entscheidendes Dokument abluchst. Auch auf No. 326 hat Haghi es abgesehen – in einem Eisenbahnunfall soll der lästige Ermittler sterben!


Die Idee des Meisterverbrechers, der unerkannt eine ganze Schurkenarmee anführt, ist fast so alt wie der Krimi selbst. Fritz Lang baut diese Idee in „Spione“ zu einem veritablen Sensationsfilm aus, der in der Tradition der fünf „Fantomas“-Filme von Louis Feuillade (1913-14) und seines eigenen Opus „Dr. Mabuse, der Spieler“ (1922) steht. Bei letzterem bedient sich Lang auch, was die Besetzung angeht: Erneut ist es Rudolf Klein-Rogge, der unentdeckt von Polizei und Geheimdienst – gern auch in Maske – alle Fäden in der Hand hält. Sein Bankdirektor Haghi ist ein typischer „Napoleon des Verbrechens“: natürlich ein Mann gesetzten Alters, dazu mit ähnlich großen Gaben in Organisationstalent und Intelligenz ausgestattet und von einer beneidenswerten ökonomischen Position. Dass es nicht die Geldnot, sondern die Neigung zu Chaos und Zerstörung ist, die Haghi antreibt, wird in seinem Erpressergespräch mit Lady Leslane ersichtlich: „Ich bin reicher als Ford“, spricht die Zwischentafel an seiner statt zur Frau, die ihm statt der eingeforderten Spitzeldienste Geld anbieten will, „wenn ich auch bedeutend weniger versteuere“. Ein Satz, der den heutigen Zuschauer sowohl an die Aktualität dieser Zeile als auch an den Börsenkrach im Jahr nach „Spione“ denken lässt. Doch da enden die Gemeinsamkeiten mit anderen Filmen des Genres nicht. Was „Spione“ zeigt, erscheint oft wie gut gelernte Stereotype, beinhaltet aber eben auch maßgebliche Weiterentwicklungsansätze in der noch in den Kinderschuhen steckenden Welt der bewegten Bilder.

Zitat von „Spione“ bei Wikipedia.org, Quelle
Lang entwickelte mit Spione das Genre des Spionagethrillers in entscheidendem Maß weiter, Alfred Hitchcock übernahm seine Beiträge für eigene Filme. In Die 39 Stufen hat der Engländer sogar die Idee mit dem dicken Buch, das eine Kugel lebensrettend auffängt, direkt abgekupfert. Der als Erfindung oft Hitchcock zugeschriebene MacGuffin kommt schon hier vor in Form internationaler Verträge, deren Bekanntwerden Kriege auslösen kann. Vorgezeichnet ist auch die Ikonografie des Spionagethrillers, besonders für die Verfilmungen von Ian Flemings James-Bond-Romanen: ein Verbrecher im Rollstuhl, Minikameras, Verkleidungen, Verstecke, eine Schaltzentrale mit modernen Kommunikationsapparaturen, die zum Schluss gestürmt wird, ein Agent mit einer Nummer als Deckname, und Agentinnen, die Verführung als Waffe einsetzen.


Der Film ist episodenartig aufgebaut und beleuchtet dementsprechend einigermaßen willkürlich zahlreiche der Haghi’schen Komplotte. Seine Länge scheint deshalb eher dem Status von Fritz Lang als „Großfilmregisseur“ als echten Notwendigkeiten der Handlung zuzuschreiben zu sein, weshalb man für die 143 Minuten von „Spione“ gehörig Geduld mitbringen muss. Auch wenn der Film für seine auflockernde Action bekannt ist und in dieser Form das 1928 technisch Mögliche auf dem vom Namen Langs zu erwartenden Niveau auskostet, hält sich der inhaltliche Anspruch doch in engen Grenzen.

Neben Klein-Rogge weiß sich Gerda Maurus als verkehrtherum gestrauchelte Helfershelferin zu behaupten. Ihre Sonja Barranikowa bringt nicht nur eine interessante Motivation für ihr Tun ein, die bei Haghi eher vernachlässigt worden zu sein scheint, auch durchbricht sie die in diesem Film sonst klar gezogenen Linien zwischen Gut und Böse, Täter und Opfer. Einen versierten Helden spielt Willy Fritsch, wobei es bezeichnend ist, dass der größte Presseaufmacher über sein Mitwirken darin bestand, dass er, der Frauenschwarm, in den Szenen zu Beginn unrasiert zu sehen ist. In einer kleineren Rolle als verführter Balkanmilitär ist Fritz Rasp zu sehen. Zu sehen – leider nicht zu hören, war es doch bei ihm immer die Stimme, die seine Auftritte in besonderem Maße veredelte.

Ohne Stimmen und mit den ständigen Unterbrechungen durch Zwischentitel und eingeblendete Briefe, Notizen und Zeitungsschlagzeilen geht naturgemäß nicht nur den schauspielerischen Leistungen eine wichtige Dimension ab. Auch das Erzähltempo leidet darunter, was bei einem actionlastigen Sensationsfilm wie „Spione“ besonders kontraproduktiv ist – ein geschäftlicher Misserfolg im bereits tonfilmverwöhnten Amerika des Jahres 1929 zeigt, dass schon das damalige Publikum dem Filmtonerlebnis wo möglich den Vorzug gab. Aus den Beschränkungen seiner Zeit lässt sich dem Ufa-Großprojekt freilich kein Strick drehen, operierte Lang doch handwerklich sauber und stilprägend. 3 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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05.11.2016 12:20
#44 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Nachtrag: Fritz Lang über „Spione“

Man liest in Verbindung mit „Spione“ oft, dass dieser Film ein Schattendasein zwischen seinem bekannteren Vorgänger „Metropolis“ und Nachfolger „Frau im Mond“ fristet. Zwei Erklärungsansätze können hierfür herangezogen werden: Einerseits strafen Filmhistoriker und -wissenschaftler Fritz Lang mit dem Ignorieren von „Spione“ für seinen Rückschritt vom Avantgardefilm „Metropolis“ zum bloßen Sensationsreißer, der vergleichsweise leichte, anspruchslose Kost ist. Zu dieser Entscheidung zwang die Ufa ihren Regisseur, der bei „Metropolis“ das Budget hoffnungslos überstrapaziert hatte – bei einem Film wie dem vorliegenden konnte man sich dagegen sicher sein, ein gutes Geschäft zu machen, standen doch verhältnismäßig einfach zu drehende Szenen einem garantierten Erfolg bei den heimischen Kinogängern gegenüber. Zweitens sprach Fritz Lang kaum über „Spione“, denn es handelte sich wohl eher um eine versöhnende Auftragsarbeit zwischen ihm und der Ufa als um eine wirkliche Herzensangelegenheit. In einem Interview von 1959 unterscheidet er deutlich zwischen den unbeliebteren „Spionen“ und seinem Favoriten „M“:

Zitat von Barry Keith Grant (Hrsg.): „Fritz Lang Interviews“, UP of Mississippi, Jackson 2003, S. 16f
When I make blockbusters [“superproductions”], I am interested in people’s emotions, in the audience’s reactions. That’s what happened in Germany with M. In an adventure film or a crime film like Dr. Mabuse or Spione, there is only pure sensation; the development of character doesn’t exist.


Das Gefühl, zu mehr als dem in „Spione“ Gezeigten fähig zu sein, drückt sich auch in jenem Zitat aus, mit dem die Murnau-Stiftung ihre einstündige Dokumentation zur Filmentstehung überschrieb: Lang soll über sein 1928er-Projekt gesagt haben, es handele sich um „einen kleinen Film mit viel Action“. So klein war der Film am Ende aber doch nicht. Gerade die Produktionsbedingungen hob Lang im Rückblick – trotz der Einschränkung, dass er nicht mehr so verschwenderisch agieren durfte wie ein Jahr zuvor – lobend hervor:

Zitat von Barry Keith Grant (Hrsg.): „Fritz Lang Interviews“, UP of Mississippi, Jackson 2003, S. 103
Later, conditions were not quite so favourable; schedules gradually became tighter, much more so than they had been at U[fa] in Germany. For example, I shot a silent film called Spione (Spies) in about a hundred days, while [in Hollywood] I’ve never had more than forty-two or forty-five days in which to shoot a film.


Sein Widerwille, „Spione“ nicht nicht nur in Bezug auf die Produktionsumstände, sondern auch die eigentliche Filmqualität wertschätzend zu erwähnen, spricht hingegen nicht unbedingt für das fertige Produkt. Filmfreunde werden sich jedoch lieber selbst ein Urteil bilden, denn selbst „ein zu Unrecht vernachlässigter Film im Schatten von Fritz Lang“ (Booklet zur deutschen DVD-Ausgabe, S. 11) ist natürlich in Form exzellenter Heimkinoauswertungen in Deutschland (Universum-Film) und Großbritannien (Eureka’s Masters of Cinema) wiedererlebbar.

Gubanov ( gelöscht )
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20.11.2016 14:15
#45 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



Exkurs: Fritz Lang – Der Andere in uns

Biografisches Drama, BRD 2014-16. Regie: Gordian Maugg. Drehbuch: Gordian Maugg, Alexander Häusser. Mit: Heino Ferch (Fritz Lang), Samuel Finzi (Peter Kürten), Thomas Thieme (Ernst Gennat), Lisa Charlotte Friederich (Lisa Rosenthal / Anna Cohn), Johanna Gastdorf (Thea von Harbou), Maximilian von Pufendorf (junger Fritz Lang), Lena Münchow (junge Thea von Harbou), Rainer Galke (junger Ernst Gennat), Philipp Baltus (Seymour Nebenzal), Jens Kipper (Kriminalassistent Müller) u.a. Uraufführung: 2. April 2016. Eine Produktion der Belle Epoque Films GmbH im W-Filmverleih.

Zitat von Fritz Lang – Der Andere in uns
Wie kann Fritz Lang, der als Regisseur epochaler Stummfilme berühmt geworden ist, den Sprung ins Tonfilmzeitalter schaffen? Ein Zeitungsartikel über den sogenannten „Vampir von Düsseldorf“, der schon acht Frauen und Kinder in der Rheinstadt bestialisch ermordete, fesselt Langs Aufmerksamkeit. Ohne Rücksprache mit der inzwischen von ihm entfremdeten Thea von Harbou reist Lang nach Düsseldorf und mischt sich selbst in die Arbeit der Kriminalpolizei ein, die für diesen Fall den bekannten Kriminaler Ernst Gennat aus Berlin rekrutiert hat. Als der Täter, ein unauffälliger Mann namens Peter Kürten, schließlich gefasst wird, besucht Lang ihn regelmäßig im Gefängnis, um Persönlichkeit und Geisteszustand des Mörders für seinen kommenden Film zu studieren ...


Man sollte sich von Gordian Mauggs „Fritz Lang“ keine hyperkorrekte Aufarbeitung der Personalie Lang erwarten. Auf den kleinen Ausschnitt der Entstehungszeit von „M“ sowie einige ausgewählte Schlenker ins Jahr 1920 und in die Kindheit des Regisseurs beschränkt, verwebt der Film Anekdoten seiner realen Protagonisten mit einer gefälligen Thrillerstory und den für das moderne Kino so typischen, anstrengenden Selbstzweifelszenen. Der Fritz Lang, den Heino Ferch auf die Leinwand bringt, beschäftigt sich mehr mit dem Bekämpfen seiner eigenen Geister als der Planung seines Films, kokst, um die Gegenwart seiner Berufsgenossen auszuhalten, und hat den Weg ins Rotlichtviertel zu einer allabendlichen Routine ausgebaut. Während man also die zeitgeistigen Schauwerte in all ihrer Aufdringlichkeit unter die Nase gerieben bekommt (zwei Sexszenen hat man schon gesehen, da lief der Film gerade einmal zehn Minuten), so überrascht auf der anderen Seite der mühevolle Aufbau einer stellenweise tatsächlich authentischen Atmosphäre des Jahres 1930. Vor allem die gute Arbeit der Ausstatter und Location scouts sowie die gekonnte Einbindung historischen Filmmaterials einschließlich mehrerer Szenen aus „M“, die zur Veranschaulichung der Aufregung über den „Vampir von Düsseldorf“ wiederverwendet werden, stechen positiv hervor. Dennoch gelingt es dem Film nicht, aus der brutalen Mordserie eine wirklich fesselnde Spannung zu gewinnen. Der Suspense bleibt von Anfang bis Ende auf eher lauem Niveau, weil die Ablenkungen in Form von Klatsch und Nachrede zu häufig in den Vordergrund drängen und die Glaubwürdigkeit vieler Kleinrollendarsteller nicht mehr auf dem Niveau alter Kinofilme zu verorten ist.

Lang, hier dankenswerterweise ohne wienerischen Akzent, bleibt zuvorderst Kreativer und Frauenheld; seine Funktion als Konkurrenz zu den behördlichen Ermittlern wird nicht genug ausgekostet, vielleicht auch weil diesen ohnehin zu wenig Platz eingeräumt wird. Das betrifft vor allem auch Ernst Gennat, den legendären Chef der Berliner Kripo, den in Gestalt von Thomas Thieme nur eine einzige Szene, in der er den gefangenen Mörder zuerst zu Kaffee und Sahnetorte einlädt, von charakterbefreiten Standardschnüfflern, die mit Trenchcoat und Zigarre einen kernigen Eindruck hinterlassen wollen, absetzt. Immerhin bildet das Gespann Gennat – Lang auch eine Klammer zur interessanten Episode um den Tod von Langs erster Ehefrau, die aus einer Laune des Regisseurs heraus mit der gleichen Darstellerin besetzt ist wie eines der Mordopfer von Peter Kürten.

Zitat von Jörg Schöning: Kino-Krimi „Fritz Lang“: Augenmensch am Abgrund, Der Spiegel, 11. April 2016, Quelle
Tatsächlich gibt es eine Leerstelle in der Biografie des berühmten Filmemachers. Am 25. September 1920 traf eine Pistolenkugel Langs erste Ehefrau Lisa tödlich. „Brustschuss. Unglücksfall“, heißt es lapidar im Totenschein. Zum Hergang in der gemeinsamen Berliner Wohnung hat Fritz Lang stets geschwiegen. Er hat damit ein Vakuum geschaffen, das der Film klugerweise nur umkreist, ohne es bis zur letzten Konsequenz auszumalen. Vielmehr schöpft er aus der Lücke den Mut zur Fiktion – die er aber, wie Lang seinerzeit „M“, dokumentarisch grundiert. „Mashup“ heißt die Verschmelzung vorgefundener Artefakte mit neu entwickeltem Content. Was im Web und in der Popmusik schon lange üblich ist, kann im Kino immer noch überraschen.


Interessant ist, dass die Zweitbesetzung in diesen Szenen – Max von Pufendorf als ein jüngerer Lang – dem Original optisch näher kommt als Ferch, bei dem außer einer ähnlichen Frisur und einem Monokel wenig äußerliche Übereinstimmung mit dem echten Lang besteht. Dies schmälert jedoch nicht die Leistungen, die Ferch und sein Gegenspieler Samuel Finzi als inhaftierter Serienmörder auf dem Höhepunkt der Filmbiografie abliefern: Im Gefängnis besucht der Regisseur seine düstere Inspiration für Peter Lorres spätere Paraderolle Hans Beckert und in den Dialogen kommen hier erstaunlich menschliche, dort pervertierte Charakterfacetten bei beiden Figuren zum Vorschein. Und trotz aller kleinen Demontageakte, die Maugg gegenüber Lang einbaut, gelingt es seinem Film doch, in der Rückschau nicht als anmaßend wahrgenommen zu werden – einerseits weil „Fritz Lang“ letztlich trotz billiger Schaumomente überwiegend zur stilvollen Seite tendiert, andererseits weil der Film im Vergleich zu den Werken seines Vorbilds natürlich keine ernstzunehmende Bedrohung in erzählerischer oder inszenatorischer Hinsicht darstellt.

Für den an der Entstehung von „M“ interessierten Zuschauer wird „Fritz Lang“ mehr befriedigende Details bieten als für Anhänger des bekannten Regisseurs im Allgemeinen. Die Figur Lang wird instrumentalisiert, um einer eigentlich authentischen Produktion ein modernes Antiheldenkonstrukt überzuzwängen, weshalb Ferch eher wie eine Kunstfigur als wie eine ernsthafte Hommage an Lang erscheint. 3 von 5 Punkten.

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