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Dieses Thema hat 103 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Matze K. Offline



Beiträge: 1.060

08.10.2017 16:08
#76 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Die Version von 1960 ist aber noch nicht veröffentlicht worden, oder?

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Immer wenn du lügst, muss Jesus Blut weinen.
(Todd Flanders)

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

01.01.2018 14:40
#77 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Nein, ist sie nicht – zumindest bisher. Wäre aber interessant, wenn sie veröffentlicht würde. Der 1938er-Kinofilm, der von @Georg besprochen wurde, liegt mir auch vor. Ich werde mich ihm bei nächster Gelegenheit auch ausführlicher widmen. Hier zunächst eines der raren Beispiele der wirklich guten Vor-45er-Krimis, die im Handel auf DVD bezogen werden können. „Kriminalkommissar Eyck“ erschien im Februar 2017 in der Reihe „Brüche und Kontinuitäten“ in bestechender Bildqualität von Icestorm.




Kriminalkommissar Eyck

Kriminalfilm, D 1939/40. Regie: Milo Harbich. Drehbuch: Christian Hallig, Walter Maisch. Mit: Anneliese Uhlig (Barbara Sydow), Paul Klinger (Kriminalkommissar Günter Eyck), Herbert Wilk (Kriminalkommissar Hans Brandner), Hans-Joachim Büttner (Kriminalschriftsteller Gorgas), Alexander Engel (Verleger van Fliet), Herbert Hübner (Kriminaldirektor Hauber), Lina Carstens (Frau Filter), Walter Lieck (Jonny, Ganove), Just Scheu (Gren, Ganove), Änne Bruck (Inge Brandner) u.a. Uraufführung: 2. Februar 1940. Eine Produktion der Ufa-Filmkunst GmbH.

Zitat von Kriminalkommissar Eyck
Im Skiurlaub lernt Günter Eyck die Sängerin Barbara Sydow kennen und lieben. Ein Raubüberfall mit Todesfolge, bei dem eine Bande von Juwelendieben einen Hotelgast tötet, unterbricht die traumhafte Auszeit jäh, denn Eyck ist Kriminalkommissar und wird sofort mit der Untersuchung des Falles beauftragt. Er bringt heraus, dass der ebenfalls im Hotel anwesende Kriminalschriftsteller Sascha Gorgas in die Machenschaften der Diebesbande involviert ist. Und schlimmer noch: Zurück in Berlin enthüllt ein folgenschweres Täuschungsmanöver, aufgrund dessen Eyck vom Dienst suspendiert wird, dass auch Barbara Sydow kein Unschuldslamm ist ...


Schon der Titel verrät es: In „Kriminalkommissar Eyck“ geht es darum, die Kriminalpolizei des Jahres 1940 gut aussehen zu lassen. Paul Klinger stellt seinen Ermittler als durch und durch integre Persönlichkeit dar, einen pflichtbewussten Beamten, der immer auf dem Sprung ist und Hilfe spontan anbietet, wo sie benötigt wird, der gleichzeitig ein gewitzter Beobachter und ein schwiegermuttertauglicher Strahlemann ist. Ihm zur Seite steht in auch privat freundschaftlicher Beziehung ein zweiter Kriminalkommissar, der in etwas schnodderig-berlinerischer Art von Herbert Wilk verkörpert wird und der Eyck unter die Arme greift, wenn dessen Urteilsvermögen kurz aus amourösen Gründen umnebelt ist. So sind es am Ende die Kommissare Eyck und Brandner, die in der Schlusssequenz zu triumphaler Musikuntermalung die Treppen des Polizeihauptquartiers herunterschreiten – der Dienst bietet dem Ermittler Lebenszweck und Ablenkung von dem bitteren Ende der Liebesgeschichte.

Zitat von Joachim Linder. Polizei und Strafverfolgung in deutschen Kriminalromanen der dreißiger und vierziger Jahre. In: Michael Walter et al. Alltagsvorstellungen von Kriminalität. Münster: Lit-Verlag, 2004. S. 88f
Trotz ihrer Vorbehalte gegen die fiktional-unterhaltende Darstellung von Kriminalität und ihrer „Bekämpfung“ erhofften sich die nationalsozialistischen Literaturpolitiker bei richtiger Lenkung positive Wirkungen für den – in ihren Augen angeschlagenen – Ruf der Strafverfolgungsinstanzen. [...] Der nationalsozialistische Staat, der sich als Ordnung verstand, die sich in allen Lebensbereichen durchsetzen und abbilden sollte, hatte an allen Formen der öffentlichkeitswirksamen Inszenierung dieser Ordnung ein großes Interesse. Verbrechen galt (und gilt) als die auffälligste und gefährlichste Form des ordnungsstörenden Verhaltens, seine Bekämpfung wurde als zentrale Aufgabe des Staates bezeichnet, so dass mit der Kriminalisierung von „Volks- und Rasseschädlingen“ aller Couleur Gegnerverfolung und rassistische Ausgrenzung bzw. Ausmerzung gleichermaßen zu polizeilichen Aufgaben gemacht werden konnten.


Der Polizei gegenüber steht dementsprechend die künstlerische Zunft, die der Film mit Fremde und einem Hang zur Kriminalität assoziiert. Ein Blick in das Gästebuch des Hotels genügt, um herauszufinden, dass der Hauptverdächtige in Kiew und seine Komplizin in Porto Alegre geboren sind – in Zeiten völkischer Ideologie hochverdächtig, aber nicht zuletzt auch eine Anspielung auf die brasilianische Herkunft des Regisseurs Milo Harbich. Während von Anfang an klar ist, dass der pfauische Kriminalautor (überzeugend schurkisch: Hans-Joachim Büttner mit akuratem Spitzbart) zur düsteren Seite der Handlungsträger zählt, wird die Sängerin Barbara Sydow zunächst als unschuldige Romanze eingeführt, die sich erst später als in die Verbrechen der Gangsterorganisation verwickelt herausstellt. Dies erlaubt Anneliese Uhlig eine facettenreiche Darstellung einer zerrissenen Frau, die sich von den kriminellen Vorgängen zu distanzieren versucht, daran aber immer wieder scheitert. Aufgrund ihres betörenden Aussehens eignet sie sich für die Verbrecher als Femme fatale, die den Kriminaler locken soll, agiert im Gegensatz zu ihren amerikanischen Vorbildern aber fremdgesteuert, nicht aus eigenem bösem Willen heraus.

Während „Kriminalkommissar Eyck“ als luftiger Gesellschaftskrimi in einem eleganten Skihotel in den Alpen beginnt, ändert sich die Atmosphäre nach der ersten Tat, als sich die Handlung in die Reichshauptstadt verlagert. Hier wird nun zunehmend die Unterwelt in den Fokus genommen, die sich je nach Grad der Professionalität auf anonymen Hotelzimmern oder in urigen Eckkneipen eingerichtet hat. Obwohl mit Walter Maisch ein Mitarbeiter des Reichskriminalpolizeiamts am Drehbuch mitwirkte, wirken einige der Ganoventypen reichlich überzeichnet, was in Anbetracht der deutlich feiner abgestimmten Hauptfiguren jedoch nicht allzu schwer ins Gewicht fällt. Neben Büttner und Uhlig liefern auch Alexander Engel, Karl-Heinz Peters und Änne Bruck passende Charakterporträts ab. Lina Carstens hat einen netten Auftritt als Eycks humorvolle Zimmerwirtin; ihre Szenen, die oft die Ankündigung von Besuch für die Hauptfigur umfassen, fielen jedoch oft nachträglichen Schnitten zum Opfer, um Hitlergrüße zu eliminieren. Einer hat sich allerdings in der fertigen Filmfassung erhalten.

Trotz aller dieser zeittypischen Charakteristika erscheint der Krimi nicht nur dem Filmhistoriker Günter Agde als „unverbindliche Unterhaltung“. Im Booklet zur DVD ordnet er „Eyck“ als „glattes, spannungsreiches, freundliches Kriminalstück [...] mit allen dramaturgischen Zutaten des Genres: Spannung, Geheimnisse, Dunkelheiten“ „abseits sozialer Grundierungen“ ein. Der Saloncharme überwiege, NS-Gegenwart sei nicht besonders präsent, denn: „er setzt auf die freundlich-sympathische Ausstrahlung seiner Titelfigur, den Schauspieler Paul Klinger“. Der wirkt viel zu nett, um in seiner Rolle als bloßes Systemvehikel wahrgenommen zu werden, was sicher auch den Erfolg des Films beim zeitgenössischen Publikum erklärt.

Feuerprobe für einen einzelnen Kommissar, Fingerübung für den gesamten Apparat: „Kriminalkommissar Eyck“ erzählt eine reizvolle Krimigeschichte im typischen Filmstil des Jahres 1940. Harbich darf in seinem Regiedebüt auf ein exzellentes Ensemble zurückgreifen. 4,5 von 5 Punkten.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

01.01.2018 14:51
#78 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Den Kommissar Eyck fand ich vor allem in der Exposition (bis endlich was passiert) etwas langatmig, aber das ist wohl der damaligen Zeit und dem damaligen Erzähltempo geschuldet. Klinger als Ermittler ist jedenfalls sehr sympathisch.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

05.01.2018 17:37
#79 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Ich habe das nicht so empfunden. Dadurch dass der Film nur 77 Minuten läuft, fand ich ihn absolut straff und effektiv erzählt. Aber du hast auf jeden Fall insofern Recht, als am Anfang eher die Romanze als der Krimi im Mittelpunkt steht, was für den weiteren Verlauf des Falles jedoch von essenzieller Bedeutung ist. Die ganze Konstellation mit dem in eine Verbrecherin verliebten Polizisten war doch sehr noiresk. Auch vergleichbare Hollywood-Filme beginnen oft erstmal mit der Liebelei, bevor der Protagonist dann erkennt, worauf er sich eingelassen hat.

Die Urteile bzgl. "Kriminalkommissar Eyck" sind übrigens sowohl bei der zeitgenössischen Kritik als auch bei aktuelleren Vermerken gemischt. Einer überraschend positiven Einschätzung des LdIF steht z.B. ein abfälliger Goebbels-Kommentar gegenüber, wohingegen die Filmwoche ein sehr launiges Loblied auf "Eyck" sang. Für Leute, die sich für deutsche Krimis vor 1945 interessieren, ist die Veröffentlichung des Films jedenfalls Gold wert.

Ray Offline



Beiträge: 1.931

11.01.2018 23:45
#80 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Habe den Film nun auch gesehen und muss sagen, dass ich gerade die Exposition am stärksten fand, da sie die Hoffnung auf einen Krimi im edlen Hotel-Ambiente nährte, die sich letztlich leider nicht erfüllen sollte. Durch den beim nachträglichen Schnitt versehentlich nicht entfernten Hitler-Gruß wird man dann aus der Wohlfühl-Atmospähre auf unschöne Art und Weise in die damlige Realität zurückgeworfen. Schade, dass das Hotel recht schnell verlassen wurde und sich die weitere Handlung an eher unspektakulären Orten abspielt. Ansonsten ein recht kurzweiliger Kriminalfilm mit ein paar bekannten (Wallace-)Gesichtern (insbesondere Alexander Engel).

Besonders gefallen hat mir auch die Darstellung Anneliese Uhligs, die die für damalige Verhältnisse dankbare Rolle gekonnt mit Leben füllt. Sie ist ja erst letztes Jahr in hohem Alter gestorben, kurz bevor ihr zu Ehren eine Hommage im Frankfurter Filmmuseum abgehalten werden sollte.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

25.02.2018 20:55
#81 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten




Parkstraße 13 (Verhör um Mitternacht)

Kriminalfilm, D 1939. Regie: Jürgen von Alten. Drehbuch: Erwin Kreker (Vorlage, 1937: Axel Ivers). Mit: Olga Tschechowa (Evelyne Schratt), Hilde Hildebrandt (Baronin Bornegg), Ivan Petrovich (Frank Molander), Theodor Loos (Dr. Elken), Ernst Dumcke (Kriminalrat Marquardt), Hans Brausewetter (Nordau), Anton Pointner (Radzin), Alexander Engel (Diener Fedor), Kurt Vespermann (Einbrecher Mieke), Gerhard Bienert (Kommissar Warnke) u.a. Uraufführung: 4. Mai 1939. Eine Produktion der Astra-Film GmbH.

Zitat von Parkstraße 13
Auf ihrer Feier in der mondänen Parkstraßenvilla bewundern alle männlichen Gäste die schöne Hausherrin Evelyne Schratt. Insbesondere zwischen den Herren Molander und Radzin herrscht eine erbitterte Rivalenschaft: Während Molander ernste Absichten verfolgt, will Radzin von Evelynes Vermögen profitieren, denn er kennt ein pikantes Geheimnis aus ihrer Vergangenheit. Auch in anderer Hinsicht ist er sehr streitbar, sodass viele Personen unter Verdacht geraten, als Radzin ermordet wird. Der ebenfalls anwesende Kriminalrat Marquardt übernimmt die Ermittlungen. Er hat es zugleich mit Juwelendiebstahl, Erpressung und Morden in der Vergangenheit zu tun ...


Als ein frühes Beispiel multimedialer Vermarktungsstrategien gewann das Kriminalstück des 1902 in Danzig geborenen Autors Axel Ivers rasch an Popularität: 1937 wurde es erstmals unter anderem an Wiesbadener und Stuttgarter Bühnen aufgeführt; noch im selben Jahr entstand beim Reichssender Frankfurt eine Hörspielfassung. 1939 adaptierte die Berliner Astra-Film den Stoff schließlich auch fürs Kino; nach dem Krieg war es dann in den zwei geteilten deutschen Staaten in jeweils einer Fernsehfassung zu sehen. Ein Grund für die weitreichende Popularität von „Parkstraße 13“ ist die Vertrautheit, die die Geschichte ausstrahlt: Ivers bevölkerte sie mit allen Figuren, Gemütsregungen und Verbrechensmustern, die man in einem typischen Krimi alter Schule erwarten würde. Serviert wird die gediegene Mischung im Kontext einer eleganten Abendgesellschaft, wo sich das Geschehen inmitten gut situierter und gekleideter Vertreter der oberen Berliner Zehntausend abspielt.

Der Film wurde insofern wenig angepasst, als er den titelgebenden Handlungsort und die überschaubare Zeitspanne – alle Taten und Ermittlungen finden im Laufe eines Abends und einer Nacht statt – beibehält. Außenaufnahmen gibt es fast nur als Exposition zu Beginn, bevor das Anwesen Schratt mit seiner verhängnisvollen Adresse ganz in den Mittelpunkt rückt. Die Feierlaune dämpft die bedrohliche Stimmung zwischen den einander nicht selten feindselig gesinnten Gästen sowie die düstere Ausstrahlung des Hauses, dessen Flure voller exotischer Kriegs- und Mordwaffen hängen. Der für seine effektive Schauerarchitektur bekannte Filmausstatter Gabriel Pellon war für „Parkstraße 13“ genau der richtige Mann, setzte seine oft plakativen Kulissen hier aber geschmackvoll zurückhaltend ein. Häufige Raumwechsel entflechten den Film zudem ein Stückweit von seiner Theatervorlage und machen ihn – gemeinsam mit einer kurzen Laufzeit von nicht mehr als 75 Minuten – zu einem ansprechenden Ratevergnügen.

Von Agatha Christie übernahm Ivers den Umstand, dass fast jeder einen Grund hatte, das Mordopfer zum Teufel zu wünschen, und es damit eine reichliche Personen- bzw. Verdächtigenzahl gibt. Diese Riege der Radzin-Feinde führt Olga Tschechowa mit damenhafter Ausstrahlung an; nachdenklich und zerbrechlich tritt sie als (zu) viel umworbene Frau mit belastender Vergangenheit auf. Ihrem ehrenhaften Galan lässt Ivan Petrovich eine geschmeidige Verkörperung angedeihen. Auch Theodor Loos und Ernst Dumcke überzeugen in wohlwollenden Rollen, während vor allem Anton Pointner und Alexander Engel die verschlagenen Fieslinge darstellen. Bei beiden Figuren handelt es sich – der erforderlichen Abneigung wegen sicher nicht zufällig – um russische Exilanten (wobei der Film auch einige „einheimische“ Charaktere, so etwa die von Hans Brausewetter und Kurt Vespermann, recht aufdringlich erscheinen lässt). In einer herrlichen, wie für sie geschriebenen Rolle brilliert zudem Hilde Hildebrandt als bestohlene Baronin, die sich auf die Wirkung großer Gesten versteht und die typische Stutenbissigkeit jener Art dauererregter Personen mitbringt.

Am Ende wird versucht, die Täterspannung bis kurz vor der Abblende zu halten, wobei die Frage nach dem Whodunit aufgrund der recht eindeutigen Inszenierung schon ein paar Minuten zuvor klar wird. Während die vorangehenden Untersuchungen sich flüssig gestalten, holpert der Film am Anfang ein wenig und verliert damit an Zugkraft, was vielleicht auch der Dialoglastigkeit bei gleichzeitig fehlender Ablenkung durch Musik oder außerhäusige Szenen zuzuschreiben ist. Dennoch überwiegen klar die Pluspunkte; man bekommt es mit einem Bilderbuchkrimi in wertiger Umsetzung zu tun.

Die Geheimnisse von „Parkstraße 13“ verdienen es, wieder einmal ans Tages- oder zumindest schummrige Abendlicht geholt zu werden. Im Film von Jürgen von Alten wird ein effektiver Krimi, der über konventionellen Aufbau und überraschende Auflösung verfügt, mit Hahnenkämpfen zwischen den Herren und der Verantwortungslast einer schönen Frau kombiniert und von stilvollen Schauspielerleistungen alter Schule vorteilhaft getragen. Kleine Längen sind dennoch inbegriffen. 4 von 5 Punkten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

07.03.2018 20:10
#82 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten




BEWERTET: "Parkstraße 13" (Deutschland 1939)
mit: Olga Tschechowa, Ernst Dumcke, Ivan Petrovich, Theodor Loos, Hilde Hildebrandt, Hans Brausewetter, Anton Pointner, Kurt Vespermann, Gerhard Bienert, Alexander Engel, Rudolf Klein-Rogge, Hellmuth Krüger u.a. | Drehbuch: Erwin Kreker nach dem gleichnamigen Theaterstück von Axel Ivers | Regie: Jürgen von Alten

Evelyne Schratt gibt in ihrem Haus in der Parkstraße 13 eine kleine Gesellschaft und wird dabei von mehreren Männern umworben. Die vermögende Frau ist zweifache Witwe und beide Ehemänner starben an einer Vergiftung. Kurz nachdem sich der Kleinganove Mieke Zutritt zu dem Haus verschafft hat, geschieht ein Mord: Radzin, der Evelyne zur Heirat drängen wollte, wird erstochen aufgefunden. Kriminalrat Marquardt, der zu den Gästen zählt, nimmt die Ermittlungen auf....

Olga Tschechowa, deren Stärke Frauen zwischen Selbstbewusstsein und Raffinesse waren, beendete just in dem Jahr, als "Parkstraße 13" in die Lichtspielhäuser kam, ihre zweite Ehe - ebenso wie die Filmfigur war sie gefragter als je zuvor und erhielt zahlreiche Hauptrollen. Das "halbe Dutzend gutgewachsener Männer", das sich um die begehrte Frau schart, führt nur zum Teil lautere Motive für ihr Interesse an. Wie in einem Bienenstock summt und brummt die Gerüchteküche und die festlich ausstaffierten Herren rechnen sich ihre Chancen auf die Gunst der Dame des Hauses aus. Evelyne Schratt reagiert indigniert auf das Werben der selbstgefälligen Galane. Durch die Komplimente und die Aufwartung der Herren in die Enge getrieben und mit einer Sorge aus der Vergangenheit belastet, hadert Evelyne mit dem Abend und wirkt dadurch fahrig und unwirsch. Weitaus weniger zurückhaltend gebärdet sich Hilde Hildebrandt als mit glitzerndem Putz behängte Baronin und nutzt die Abwesenheit von Evelynes Charme für eine eigene Flirtoffensive. Obwohl pausenlos gesprochen wird und sich die Hektik sowohl im Domestiken-Bereich als auch im Tanzsaal ausbreitet, inszeniert Jürgen von Alten über weite Strecken gepflegte Langeweile. Daran kann selbst der Mord, der recht unspektakulär in Szene gesetzt wird, nichts ändern. Wo die zum Warten verpflichtete Gesellschaft mit Scherzen aus Großvaters Zeiten unterhalten wird, sieht der Zuschauer einen Silberstreif am Horizont in Gestalt des ansprechend agierenden Kriminalrates Marquardt. Ihm gelingt es ebenso wie dem Arzt Dr. Elken Akzente zu setzen und sich von seinen steifen Geschlechtsgenossen abzuheben. Humoristische Zwischentöne liefert auch der Dieb Mieke, der sich mit Grips und Pragmatismus durchschlägt. Richtige, gruselige Spannung kommt erst in der 72. Minute auf, als das Licht ausgeht und ein weiterer Mordanschlag verübt wird. Das herrschaftliche Ambiente der Villa wandelt sich blitzschnell zu einer Stätte der hinterhältigen Bedrohung und des Schreckens. Die Lösung ergibt sich aus dem spontanen Impuls der finalen Tat und überzeugt in ihrer Klarheit und Schlüssigkeit. Dennoch wünscht man sich, Jürgen von Alten hätte schon früher einen Gongschlag von dieser Güte eingesetzt, um die getragene Atmosphäre durch handfeste Krimispannung aufzubrechen und dem theaterhaften Element der Vorlage kraftvoll entgegenzuwirken.

Eine schöne Frau unter dem Verdacht des zweifachen Giftmordes, eine Reihe von egozentrischen Verehrern und ein Einbrecher, der es auf den Schmuck einer Baronin abgesehen hat - die Voraussetzungen für ein distinguiertes Rätselvergnügen sind gegeben, werden jedoch von der Schwatzhaftigkeit des Drehbuchs und der braven Regie verschenkt. Dramaturgische Griffe wie die russische Herkunft des Hausdieners und die Anwesenheit einer Rivalin werden nicht gebührend ausgenutzt, deshalb nur knapp 3 von 5 Punkten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

09.03.2018 16:05
#83 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



Eine Anekdote symbolisiert am besten, warum uns die temperamentvolle Hilde Hildebrandt (10. September 1897 - 27. Mai 1976) in Erinnerung geblieben ist. Der Filmhistoriker Frank-Burkhard Habel erzählt sie in seinem Buch "Verrückt vor Begehren - Die Filmdiven aus der Stummfilmzeit", welches im Jahr 1999 im Berliner Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Er berichtet, dass der Schauspieler Lutz Moik in "Die Schuld des Dr. Homma" mit der Hildebrandt drehen sollte. Er hatte sie schon seit langem verehrt und war dementsprechend aufgeregt, als Regisseur Paul Verhoeven die beiden miteinander bekannt machte. "Sie sehen immer noch sehr gut aus!" Was als Kompliment für die Diva gedacht war, resultierte in einer Ohrfeige für den jungen Schauspieler: "Unverschämter Lümmel!" rief die Hildebrandt und schon hatte Moik alle fünf Finger des Stars im Gesicht....

Wie sehr die Diva posthum noch Wert auf Manieren und Etikette legt, zeigt sich daran, dass immer ein Strauß frischer weißer Rosen auf ihrem Grab stehen muss. Wer wohl den Dauerauftrag dazu gegeben hat? Jedenfalls liegt ihre letzte Ruhestätte auf dem Berliner Waldfriedhof Heerstraße exponiert in der prallen Sonne, was das Fotografieren ebenso zur Herausforderung werden lässt wie eine Annäherung an die Diva höchstpersönlich. Der rote Marmorstein wird zudem halb von einem Gebüsch und Efeu verdeckt und die Schrift darauf ist schwer lesbar. Frau Hildebrandt macht es den Paparazzi an ihrem Grab nicht gerade leicht. Wer hat nicht noch ihre Worte aus "Der Kommissar: Der Moormörder" (1970) im Ohr: "Nein, bring mich nicht um, lass mich leben!", die von Seiten Fritz Weppers und Louise Martinis ein Augenrollen hervorriefen. Die gebürtige Hannoveranerin eroberte mit rotblonder Mähne und blitzenden Augen das Berliner Kabarett und blühte im Tonfilm erst richtig auf. In den Dreißiger und Vierziger Jahren trat sie in Dutzenden von Filmen auf. Als die Nazis an die Macht kamen, waren laszive femme fatales nicht mehr gefragt. Sie spielte Komödien und wurde nach kritischen Bemerkungen in Richtung der politischen Führung von der Gestapo verhört und zur Wehrmachtsbetreuung abkommandiert.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

10.05.2018 17:40
#84 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



Kennwort Machin

Kriminalfilm, D 1939. Regie: Erich Waschneck. Drehbuch: Werner P. Zibaso, C.V. Rock (Romanvorlage „Herr Borb besitzt unser Vertrauen“: C.V. Rock). Mit: Paul Dahlke (Jürgen Borb / Herman / Machin), Viktoria von Ballasko (Marie-Henriette „Mette“ Borb), Albert Hehn (Kriminalkommissar Hans Forst), Hilde Weissner (Norah Hackett), Harald Paulsen (Ramon Tomasa), Will Dohm (Direktor Gnerlich), Ernst Dumcke (Direktor Traut), Ellen Bang (Lieschen), Hans Meyer-Hanno (Humbold), Klaus Pohl (Schreibstengel) u.a. Uraufführung: 30. Oktober 1939. Eine Produktion Ufa-Filmkunst GmbH und der Fanal-Filmproduktion GmbH.

Zitat von Kennwort Machin
Von seinen Kollegen bei der Dadag-Versicherung wird der ruppig-menschenscheue und stets hochkorrekte Herr Borb milde belächelt. Niemand ahnt, dass sich hinter dem spießigen Sonderling ein gewieftes kriminelles Talent verbirgt, bis eines Tages von Herrn Borb jede Spur fehlt. Mit ihm verschwinden 1,2 Millionen Mark und der Mann, der ihm einen falschen Pass ausstellte – Letzteren findet die Polizei bald verscharrt in einem Kellerversteck. Herr Borbs Spur hingegen ist nicht so leicht zu verfolgen: Unter verschiedenen Identitäten flieht er zunächst nach Southampton und New York, später nach Südamerika. Auf seinen krummen Wegen begegnet er der noch ausgefuchsteren Hochstaplerin Norah Hackett ...


Ungewöhnlich offen platziert „Kennwort Machin“ die schurkischen Machenschaften des unauffälligen Herrn Borb in das Hamburg der NS-Zeit nur wenige Jahre vor dem eigentlichen Herstellungszeitpunkt – nicht ohne jedoch schon im Vorspann sinngemäß darauf hinzuweisen, dass polizeiliche Umstrukturierungen ein solches Verbrechen anno 1939 bereits unmöglich gemacht hätten. Der totalitäre Staat rechtfertigt den Ausbau von polizeilicher Überwachung und staatlichen Eingriffen in einer Texttafel damit, dass potenziellen Verbrechensopfern mit groß angelegter Vorbeugung eher geholfen sei als mit einer nachträglichen Bestrafung des Delinquenten.

Der auf dem Roman von C.V. Rock basierende Kriminalfilm weicht dem altbekannten Tätersuche-Prinzip offensiv aus und lässt das Publikum von Anfang an am Doppelleben des gewieften Schwindlers teilhaben, sodass Paul Dahlke eine große Bühne für seinen belfernd-unleidlichen Herrn Borb sowie später seine leutselig-amüsante Maskerade Machin erhält. Die beiden Identitäten so entgegengesetzt zu gestalten, ist freilich ein alter Theatertrick, erweist sich für den recht konstruierten Handlungsablauf aber als unabdingbar, weil die Hauptfigur eine dezidierte Wandlung unterläuft: Während der Verbrecher Herr Borb dem Publikum zunächst zeitschuldig als degenerierter Ideologe vorgeführt wird, der sich durch seinen fehlenden Gemeinschaftssinn selbst in Misskredit bringt, werden die Zuschauer später dazu angehalten, mit seinem alter ego Machin zu sympathisieren, als dieser in den Schraubstockgriff der hinterlistigen Norah Hackett gerät. Leider verblassen die meisten anderen Rollen neben Dahlke; gerade Hilde Weissner als Ganovin und Harald Paulsen als ihr Kumpane wirken scherenschnittartig. Ungünstig ist auch die Besetzung des Kommissars mit Albert Hehn, der aufgrund seiner markanten Physiognomie auf Zelluloid stets einen etwas unsympathischen Eindruck hinterließ und in seiner Rolle im Dahlke-Krimi „Der Täter ist unter uns“ deutlich mehr überzeugte. Lediglich Viktoria von Ballasko kann es mit ihrem Filmbruder Dahlke aufnehmen; ihr gelingt es, einer etwas altmodischen Romanzenrolle besonderen Esprit zu verleihen.

„Kennwort Machin“ ist ein Krimi, der stets nah am Wasser spielt, wobei die Hamburger Elbe etwa zur Hälfte der Spielzeit durch den Atlantik und ausgedehnte Schiffsszenen ersetzt wird. Auf der Fluchtreise kommt es zu einigen Längen, die die erste Hälfte noch nicht aufwies; zugleich fing Kameramann Werner Krien aber auch einige sehr stimmungsvolle Einstellungen auf hoher See ein. Etwas mehr Fokus hätte man sich dagegen zuvor auf die düsteren Vorgänge in Borbs angemietetem Keller in einer Hafengasse gewünscht – wofür man gut Zeit gefunden hätte, wenn man bereit gewesen wäre, die ausführliche Balz, die Kommissar Forst um Mette Borb veranstaltet, einzukürzen.

Die Presse empfing „Kennwort Machin“ seinerzeit mit sehr positiven Einschätzungen, nannte den Film „abwechslungsreich inszeniert“ (Filmwelt) und „sauber gemacht“ (Der deutsche Film). Selbst Nachkriegskritiker fanden lobende Worte („spannende Kriminalaffäre“, Lexikon des internationalen Films; „Gaunerkomödie par excellence“, Geliebter Kintopp). Gar so enthusiastisch muss man über den manchmal etwas ungeschickten Film mit seinem überstürzten Ende nicht wirklich sein; für Paul-Dahlke-Freunde und Kenner der Materie ist er aber durchaus eine Sichtung wert.

Interessante, aber manchmal zu überspitzte Verbrecherstudie, die für einen realistischen Krimi eine Spur zu kompliziert ausfällt. Die Besetzung der Hauptrolle durch Dahlke gereicht „Kennwort Machin“ zu einem großen Vorteil und auch das maritime Flair weiß zu gefallen. Unterm Strich 3,5 von 5 Punkten.

PS: In einer kleinen Rolle als südamerikanischer Polizeikapitän ist der sagenumwobene Kleindarsteller Michael Simo zu sehen, der in „Neues vom Hexer“ als Philip Curtain unter der Maske von Arthur Milton steckte.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

30.06.2018 19:49
#85 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

GEHEIMNIS DES BLAUEN ZIMMERS
Deutschland 1932

Mit Theodor Loos, Else Elster, Hans Adalbert Schlettow, Wolfgang Staudte, Oskar Sima, Paul Henckels

Drehbuch: Arnold Lipptschitz
Kamera: Hugo von Kaweczynski
Schnitt: Paul Ostermayr (später als "Paul May" bekannt)
Regie: Erich Engels

Ein einsames Schloss, es ist Nacht, draußen stürmt und regnet es. Vor dem Kamin hat sich eine kleine Gesellschaft versammelt und im Nu kommt man auf das blaue Zimmer zu sprechen, das seit vielen Jahren niemand mehr betreten hat. Bereits zwei Menschen haben darin auf mysteriöse Art und Weise vor zwanzig Jahren ihr Leben verloren.
Thomas Brandt, von allen Tommy genannt, kommt nun auf die Idee, dem Spuk auf den Grund zu gehen. Er vereinbart mit zwei weiteren anwesenden jungen Männern, dass jeder von ihnen, einer nach dem anderen, eine Nacht im blauen Zimmer verbringt. Tommy fängt an, doch am nächsten Morgen fehlt von ihm jede Spur. In der zweiten Nacht wird der Journalist Frank Färber im blauen Zimmer erschossen. Kriminalkommissar Schuster wird herbei gerufen, um die Sache zu untersuchen.

Dieser Film ist zweifellos ein Highlight des frühen deutschen Tonfilmkrimis. Er beginnt, wie es sich für einen s/w-Krimi gehört: auf einem abgelegenen Schloss bei Unwetter, nachts, in schauriger Atmosphäre. Jemand erzählt von den mysteriösen Vorfällen vor 20 Jahren und alsbald gibt es eine überraschende Wendung nach der nächsten. Die Geschichte ist gut gestrickt, ein wunderbarer Whodunit-Krimi, bei dem der Täter tatsächlich erst in der letzten Minute enttarnt wird, obwohl er zuvor schon durch einen unterirdischen Gang gejagt wird (auch hier wieder der schöne Wallace-Bezug) und es zu einem wilden Schusswechsel kommt. Regisseur Engels setzt auf Spannung, die Besetzung ist gelungen, Regisseur Wolfgang Staudte ist hier in einer interessanten frühen Rolle zu sehen, Paul Henckels spielt den verdächtigen Diener. Den besten Part hat in meinen Augen jedoch Oskar Sima, später oft auf komödiantische Rollen abonniert. Hier spielt er glaubwürdig den Kommissar.

Geheimnis des blauen Zimmers ist in meinen Augen ein Meilenstein des deutschen Whodunit-Krimis in schaurig schöner Gruselschloss-Atmosphäre und mit einem herrlichen "Locked-Room-Mystery".

Billyboy03 Offline




Beiträge: 714

09.07.2018 18:37
#86 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Kennt jemand von euch die Seite filmhauer.net? Dort kann man (meist für ca. 15€) alte deutschsprachige Filme erwerben, die es nicht im Handel gibt. Hat jemand damit Erfahrungen gemacht? Danke fürs Feedback.

BillyBoy03

Jan Offline




Beiträge: 1.753

10.07.2018 00:09
#87 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Zitat von Billyboy03 im Beitrag #86
Kennt jemand von euch die Seite filmhauer.net? Dort kann man (meist für ca. 15€) alte deutschsprachige Filme erwerben, die es nicht im Handel gibt. Hat jemand damit Erfahrungen gemacht? Danke fürs Feedback.

Ich kannte die Seite bis eben nicht, scheint sich im Wesentlichen mit Militaria zu befassen. Ein anderer mag mehr Glück haben, ich jedoch habe auf die Schnelle kein Impressum gefunden, dafür allerlei Verbotsfilme und eine auf mich suspekt wirkende Über-uns-Angabe. Zunächst einmal also ein nicht sonderlich seriöser Auftritt.

Gruß
Jan

Peter Offline




Beiträge: 2.886

10.07.2018 21:10
#88 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Zitat von Jan im Beitrag #87
Zitat von Billyboy03 im Beitrag #86
.... Seite filmhauer.net? ....alte deutschsprachige Filme erwerben, ... Erfahrungen gemacht?......

.... Militaria .... suspekt .... nicht sonderlich seriöser Auftritt.

Ich habe dort im letzten Jahr den spannenden und höchst interessanten Film Nebel (DEFA 1963, Regie: J. Hasler) erstanden, den es in der Tat sonst nirgendwo zu kaufen gibt. Preis, Abwicklung (schneller Download) und Filmqualität (ältere TV-Aufnahme) waren absolut okay. Weiteren Bedarf habe ich nicht. Den ganzen Rest muss jeder für sich entscheiden.....

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

22.07.2018 20:23
#89 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



BEWERTET: "Kongo-Express" (Deutschland 1939)
mit: Marianne Hoppe, René Deltgen, Willy Birgel, Lotte Spira, Max Gülstorff, Hermann Speelmans, Malte Jaeger, Heinz Engelmann | Buch: Ernst von Salomon, Johanna Sibelius, Eduard von Borsody | Regie: Eduard von Borsody

Renate Brinkmann, eine junge Hamburgerin aus gutem Hause, erfährt von ihrem Verlobten, dem französischen Afrikaflieger Gaston Thibault, dass er ihre Verbindung lösen muss, da er seine Stellung verloren habe. Renate beschließt, zu ihm zu fahren und lernt während der Fahrt im Kongo-Express den deutschen Auswanderer Viktor Hartmann kennen. Dieser verliebt sich in Renate, weiß jedoch nicht, dass sie bereits mit seinem Freund Gaston verlobt ist. Zwischen den beiden Männern kommt es zum Streit und Renate weiß nicht mehr, für wen sie sich entscheiden soll. Auf der Rückreise mit dem Kongo-Express kommt es zur Katastrophe....

Der Film entstand zu Beginn des Zweiten Weltkriegs und obwohl die Handlung nach Afrika verlegt wurde, drehte man doch alle Aufnahmen in Deutschland. Ein Zug der Deutschen Reichsbahn wurde als Urwald-Express dekoriert und fuhr auf der Allertalbahn in Niedersachsen. Mit René Deltgen stand erneut ein Mime im Mittelpunkt, den der Film gern als wagemutigen Rebell einsetzte. Ein Darsteller, der unbequem sein konnte, war er doch als Luxemburger jemand, der den Gegenpol zum klassischen deutschen Filmhelden bildete und der sich deshalb Freiheiten herausnehmen konnte, die ihm den Hauch des Verwegenen verliehen. In "Kongo-Express" tritt Deltgen bereits in seinen ersten Szenen als laut, impulsiv und aggressiv gegen sich und seine Umgebung auf. Er spricht mit schriller Stimme, brüllt und bäumt sich gegen alles auf, was ihn begrenzen und auf den Boden zurückholen will. Seine Kränkung verbirgt er, weil er sie als Demütigung empfindet, und sein Heldenstatus hat bereits einen Knick bekommen, bevor er die Szenerie betritt. Sein Gegenspieler Willy Birgel befindet sich im Kreis seiner Freunde und flirtet ungeniert mit Marianne Hoppe, deren Besorgnis über die Zerrüttung ihrer Beziehung zu Deltgen sich in Grenzen hält und deren Lebensgeister fern von der konservativen Hamburger Verwandtschaft richtig aufblühen. Birgel erhält somit einen Sympathie-Bonus vor Deltgen, weil er es schafft, Hoppe aus der Reserve zu locken und ihre Schlagfertigkeit zu testen. Der Entstehungszeit entsprechend wird jenen Charakteren, die mit negativen Charaktereigenschaften ausgestattet sind, eine Nationalität verliehen, der das Dritte Reich feindlich gegenübersteht. Der gescheiterte französische Pilot und der geizige und mitleidlose schottische Arzt stehen für den vorauseilenden Gehorsam der Filmschaffenden vor der Zensur, die den teuren und aufwendig produzierten Film gegebenenfalls verbieten hätte können. Im Sinn der NS-Logik ist das Schicksal der von Deltgen gespielten Figur nach seinem beruflichen und gesellschaftlichen Niedergang besiegelt und trotz des hohen Spannungsfaktors, wer denn nun am Ende bei Renate bleiben wird, suggeriert das Drehbuch von Anfang an unterschwellig, in welche Richtung die Beziehung gehen wird.

Mit großem Aufwand wurde ein landschaftlich überzeugendes Flair geschaffen bzw. eine Kulisse entworfen, die dem entspricht, was sich das Publikum landläufig unter den Weiten Afrikas vorstellt. Renate Brinkmann tritt ihre Reise mit einer guten Portion Naivität und Selbstvertrauen an. Furchtlos begibt sie sich auf den schwarzen Kontinent, ohne sich Pläne zurechtgelegt zu haben. Ihre Begegnung mit Viktor Hartmann sorgt für jene gewollt amüsanten Szenen, in denen sie im leichten Sommerkleid und in Sandalen mitten im afrikanischen Busch steht, weil der Wagen in die Binsen gegangen ist. Marianne Hoppe als aparte, herbe Schönheit zeigt ihre strahlend weißen Zähne oft und gerne und bringt genügend Voraussetzungen mit, um als Zankapfel zwischen den beiden Männern zu dienen. Trotz aller Bedenken, die sie wegen ihrer sich verändernden Gefühle hat, verfällt sie nicht der Verzweiflung, sondern bleibt rational, wie man es sich von einer Frau wie ihr erwartet. Ebenso bewahrt Willy Birgel seine Contenance, während es wiederum an René Deltgen ist, auf die Situation aufbrausend und (selbst-)zerstörerisch zu reagieren. Nachdem der komödiantische leichte Ton über weite Stellen des Films dominiert, was der Produktion eine unschlüssige Note verleiht, weil der Film gleichzeitig auch Abenteuerstreifen und Liebesdrama sein will, kehrt sich die Stimmung im Finale zu einem düsteren Wettlauf gegen den nahenden Tod. In einer spannenden technischen Montage wickelt sich der Kampf zu Luft und auf den Schienen ab und bereitet den Weg zu einem Ende, das nach persönlichem Empfinden zu einem geschmacklosen Abschlussbild überleitet, das erneut die Botschaft des Films unterstreicht, mich den Kinosaal jedoch sehr nachdenklich verlassen ließ. So bleibt unterm Strich eine Produktion, die mit weniger bemühten Humoranteilen und größerer Fokussierung auf den wesentlichen Kern und seine Charaktere ein Film mit Tiefgang werden hätte können. Der Druck, es allen Zuschauern recht machen zu wollen und es sich gleichzeitig nicht mit der NS-Zensurbehörde zu verscherzen, raubte dem Film einen Teil seiner Stringenz, bleibt in den Schlüsselszenen wie dem drohenden Zugunglück jedoch nach wie vor packend. 3,5 von 5 Punkten

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

29.07.2018 14:00
#90 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



Kongo-Express

Abenteuerfilm, D 1939. Regie: Eduard von Borsody. Drehbuch: Ernst von Salomon, Eduard von Borsody (Vorlage: Johanna Sibelius). Mit: Marianne Hoppe (Renate Brinkmann), Willy Birgel (Viktor Hartmann), René Deltgen (Gaston Thibault), Hermann Speelmans (Chagrin), Max Gülstorff (Dr. MacPhearson), Lotte Spira (Schwester Mary), Malte Jäger (Pierre Dufour), Heinz Engelmann (Raoul Burell), Hans Adalbert Schlettow (André), Hans Hermann Schaufuß (Herr Mollison) u.a. Uraufführung: 15. Dezember 1939. Eine Produktion der Ufa-Filmkunst GmbH.

Zitat von Kongo-Express
Liebe macht blind: Ihrem Freund Gaston fährt Renate Brinkmann bis in den Kongo nach. Auf der Eisenbahnfahrt durch Afrika lernt sie den charmanten Verwalter Viktor Hartmann kennen, doch zunächst weist sie dessen Annäherungsversuche Gastons wegen zurück. Als sie diesen wiedersieht – betrunken und verbittert –, wirkt Viktor plötzlich doch wie die attraktivere Wahl. Renate und ihr neuer Geliebter halten ihre Zuneigung geheim. Auf einem Fest kommt die Wahrheit heraus und Gaston wird von rasender Eifersucht ergriffen. Aber er kommt bald in eine Situation, in der er mit Viktor zusammenhalten muss, um Renates Leben zu retten ...


Mit gehörigen Spitzen gegen das hamburgische Großbürgertum mit seinen seltsamen Schrullen und seinen erstickenden Familienhierarchien begründet „Kongo-Express“ das gewagte, wenn auch unüberlegte Abenteuer der jungen Renate Brinkmann, die ohne Planungen und Bedenken – nur mit der Naivität einer hoffnungslos Verliebten – per Schiff und Bahn ihrem Geliebten, einem üblen Hallodri und Trinker, nach Afrika hinterherreist. Der schwarze Kontinent wird ganz im NS-Duktus als großer Spielplatz für Wagemutige und Macher-Typen dargestellt, denn natürlich sind Länderverwaltungen, Eisenbahnen und Arztwesen fest in europäischer Hand.

Zitat von Viktor Hartmann in „Kongo-Express“
„Hier zeigt es sich, ob einer ein Kerl ist. Hier findet man keinen, der einem die Wege ebnet. Hier gibt es keine Beziehungen, keine Sicherheiten, kein Versorgtsein. Hier gibt es nur eins: arbeiten und vorwärtskommen oder zugrunde gehen.“


In diesen Zeilen – so abgedroschen sie klingen mögen – schwingt ein prophetischer Unterton mit, der die weitere Filmentwicklung vorzeichnet und den Unterschied zwischen dem aalglatt-charmanten Viktor Hartmann in Gestalt von Willy Birgel und dem rüpelhaften Franzosen Gaston Thibault (René Deltgen) unterstreicht. Hartmann wird als „guter Deutscher“ in einigen schmonzettigen und nur leidlich amüsanten Szenen der jungen Abenteurerin geradezu aufgedrängt; es zeigen sich klare Untertöne der Produktionszeit, die das Dschungelabenteuer nicht ganz so entspannt wirken lassen wie etwa in „Kautschuk“. Auch als der Film danach in schwül-sommerlicher Gartenfestlaune versinkt, wirkt er von echtem Spannungskino weit entfernt – das zur damaligen Zeit oft verfolgte Experiment, es allen Zuschauern (romanzensüchtigen Frauen ebenso wie beinharten Kerlen und hausbackenen Komikern) gleichzeitig recht machen zu wollen, geht hier deutlich nach hinten los, weil zu verschiedene Genres bedient werden sollen. Der Fokus bleibt letztlich auf der Romanze; das atemberaubende Finale kann die vorangegangenen Minuten nicht im Alleingang herausreißen. Es verwundert deshalb nicht, wenn in der Deltgen-Biografie „Eine Schauspielerkarriere“ im Kapitel zu „Kongo-Express“ vor allem auf den Kontrast zwischen den beiden Liebhabern eingegangen wird:

Zitat von Michael Wenk. Ein Kerl zum Pferdestehlen: Der Schauspieler René Deltgen in Film & Fernsehen. In: René Deltgen: Eine Schauspielerkarriere. Luxemburg: CNA, 2002. S. 75
Birgel, der im Film von der Statur her stets größer wirkt als Deltgen, hat die Gesichtszüge eines Aristokraten. Das Timbre seiner Stimme ist weich, selten spricht er laut, vergreift sich nie im Ton. Sein Aktionsfeld ist der Salon. Er agiert souverän, vor allem im Umgang mit Frauen, und ist kein Mann, der sich erst zu beweisen hat. [...] Seine Ruhe strahlt Vertrauen und Zuverlässigkeit aus. Deltgen hingegen verkörpert durchweg den Typ des Parvenüs. Gemessen am Fach des Liebhabers erscheint er relativ klein gewachsen. Den gesellschaftlichen Status, den Birgel in der jeweiligen Filmhandlung kraft Physiognomie und Herkunft bereits innehat, muss sich Deltgen innerhalb seiner Rollen stets erst erkämpfen. Solche Kämpfe machen hart, misstrauisch, aggressiv. [...] Die Idealbesetzung für Männer, die das Leben gelehrt hat, zuzupacken und ohne Scheu zuzugreifen, wenn sie etwas haben wollen.


Die junge Marianne Hoppe gibt der Dreiecksgeschichte eine unkonventionelle Note, weil ihre Darstellung feine Zwischentöne zwischen typischer Romanzenseligkeit und anpackendem Sturkopfnaturell findet und diese teilweise erstaunlich unprätentiös verpackt. Auch ein noch etwas steifer, aber bereits in seinem unverkennbaren Agieren eingeschliffener Heinz Engelmann bereichert die afrikanische Szenerie als guter und verlässlicher Kumpeltyp, während Lotte Spira und Max Gülstorff als britisches Arzt- und Schwesternduo sowie Hermann Speelmans als Taschendieb kräftig in die Mottenkiste greifen. Den größten Reiz des Films stellt freilich der Umstand dar, dass es Abenteuerspezialist Eduard von Borsody gelang, unter wesentlich widrigeren Umständen als im Vorbildfilm „Kautschuk“ ein authentisches Afrikabild zu zeichnen. Im Gegensatz zum ein Jahr vorher fertiggestellten Film gab es keine Aufnahmen an Originalschauplätzen; stattdessen stellte man Palmen und Buschdörfer am Südrand der Lüneburger Heide auf. Dem fertigen Film merkt man das nicht an – mit Ausnahme einer etwas verkramt wirkenden Dschungelstraße flirrt eine glaubwürdige Hitze über „Kongo-Express“, die geschickt mit dem verschneiten Hamburg kontrastiert wird. Empfehlenswert ist „Kongo-Express“ dennoch hauptsächlich für hartgesottene Deltgen-Fans.

Eine Messerspitze tödliches Drama in einem Meer von Flirtereien und Eifersucht. Die Dreiecksgeschichte zwischen Birgel, Hoppe und Deltgen ist zwar ansprechend besetzt, aber bleibt letztlich hinter ihren Möglichkeiten zurück, weil Eduard von Borsody sie eher als buntes Liebesspektakel als als wirklich engagiertes Krimidrama anpackt. Aufgrund eines intensiven Finales rettet sich „Kongo-Express“ auf 3 von 5 Punkten, die in zwischenzeitlichen überlangen Gartenparty-Szenen schon unerreichbar schienen.

PS: Einen ungeheuer spannenden Artikel über die damaligen Dreharbeiten an der Allertalbahn mit diversen zeitgenössischen Materialien und Vergleichen mit dem heutigen Zustand der (mittlerweile aufgegebenen) Bahnstrecke findet man im Blog „Vergessene Orte“ von Christian Adam.

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