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Dieses Thema hat 103 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Peter Offline




Beiträge: 2.886

20.11.2016 16:16
#46 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Zufällig habe ich Fritz Lang - Der Andere in uns auch vor einigen Tagen gesehen. Dieser Film war für mich wegen seines Themas und meinem langjährigen Interesse an Lang natürlich absolutes Pflichtprogramm, auch wenn ich im Vorfeld aus guten Gründen skeptisch war. Letztlich stimme ich Gubanovs Besprechung in großen Teilen zu, nur fühlte ich mich ausgerechnet in der Hauptrolle noch ausdrücklicher ungut bedient, was mindestens so viel mit dem Spiel wie mit der halbgaren Figur zu tun hatte. Meine leichten Probleme mit Heino Ferch haben sich voll bestätigt, denn ich hatte nie den Eindruck, mit dem historischen Lang, den man ja zumindest aus spärlichen Interviews, Schriften und Bildern kennt, auch nur ansatzweise zu tun zu haben. Es ist beine beliebige Heino-Ferch-Figur geworden / geblieben, was ja leider in den meisten (wenn auch nicht allen) Fällen Langeweile bedeutet.
Natürlich kommt eine Produktion nicht zufällig zu einem solchen Thema, die Liebe zur Filmgeschichte und der löblich-feste Wille, die Hintergründe zur Entstehung von Langs erstem Tonfilm „M“ spannend zu präsentieren, ist jederzeit spürbar.
Manches Weitere ist auch wirklich interessant und gut gelungen: neben dem durch aufwendige Ausstattung 'eingefangenen' Zeitkolorit und glaubhafter Vermittlung der Hysterie dieser Ära auch zumindest in Ansätzen der Versuch, die Figur Lang ein wenig mit in die Mörderspirale zu ziehen und aus der reinen Zeitunsrecherche eine echte Krimispannung über die Beziehung zu einem Mörder zu destillieren - und diesem, in Konkurrenz zu Lorres "Beckert" und zu Georges "Totmacher", ein Antlitz und eine menschliche Seite zu geben.
Anderes gelang weniger bis gar nicht: Das größte Manko besteht darin, dass der Film, sobald man denkt, er nähme endlich Fahrt auf, sich wieder mit quatschigen Sex-&-Drugs-Szenen ausbremst oder dies auch später mit anderen unnötigen Einschiebseln tut, welche die Handlung zerfasern und nicht voranbringen.
Die (dramaturgisch freilich willkürlich) eingeflochtenen authentischen Szenen aus "M" verdeutlichen nicht zuletzt, wie weit der echte Fritz Lang den meisten seiner Weggefährten und Nachfolgern (besonders diesem hier ...) filmisch überlegen war. Für die gut gemeinte und holprig geratene Hommage gibt's von mir 3,25 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

27.11.2016 14:50
#47 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Da sind wir uns über den „Fritz Lang“-Film ja recht einig. Ich fand auch, dass Ferch nicht genug an den echten Lang erinnert, kenne aber schlichtweg nicht genug aktuelle Filme, um wie du bereits eine Ferch-Aversion entwickelt zu haben.

Hier wieder zurück zu den Klassikern:




Jim, der Mann mit der Narbe (Der Mann, der seinen Mörder sucht)

Kriminalkomödie, D 1930/31. Regie: Robert Siodmak. Drehbuch: Ludwig Hirschfeld, Kurt Siodmak, Billy Wilder, Robert Siodmak (Vorlage: Ernst Neubach). Mit: Heinz Rühmann (Hans Herfort), Lien Deyers (Kitty), Raimund Janitschek (Einbrecher Otto Kuttlapp), Hans Leibelt (Generaldirektor Adamowski), Hermann Speelmans (Jim), Friedrich Holländer (Vorsitzender des Vereins „Weiße Weste“), Gerhard Bienert (Schupo), Eugen Boral (Mitglied des Gesangsvereins), Otti Dietze (Wirtin im Lokal), Victor Palfi (Freund von Hans) u.a. Uraufführung: 5. Februar 1931. Eine Produktion der Ufa-Filmkunst GmbH.

Zitat von Jim, der Mann mit der Narbe
Hans Herfort will gerade mit seiner Handfeuerwaffe die letzte Konsequenz aus seinem finanziellen Dilemma ziehen, als ein Einbrecher in seine Wohnung einsteigt. Hans, der letztlich zu feige ist, sich selbst zu töten, und der Ganove kommen ins Geschäft: Für 15’000 Reichsmark, die Hans’ Versicherung nach dessen Tod auszahlt, soll der Einbrecher Otto als Auftragsmörder das tun, wovor Hans zurückschreckt. Man wird sich einig, dass Otto binnen der nächsten zwölf Stunden seinen Teil der Abmachung ausführen wird. Zu dumm, dass Hans über seinem letzten Cocktail die reizende Kitty kennenlernt, die ihm plötzlich wieder neuen Lebensmut zuspricht. Derart aufgerappelt, muss Hans nun seinen Mörder finden, bevor dieser ihm das Lebenslicht ausblasen kann. Otto hat den tödlichen Vertrag über Hans’ Ableben indes an den sehr viel gefährlicheren Killer Jim weiterverkauft!


Die Liste der Stabmitglieder dieses Films liest sich wie ein Who Is Who der Kreativen, die nach Hitlers Machtergreifung Deutschland verließen und in Hollywood Karriere machten: Die Siodmak-Brüder Robert und Kurt, Billy Wilder, Friedrich Holländer und Erich Pommer sind die Köpfe, die hinter „Der Mann, der seinen Mörder sucht“ steckten. Ihr avantgardistischer Anlauf an eine Kriminalgroteske geriet jedoch zu anspruchsvoll für ein im komplexeren Tonfilm noch ungeschultes deutsches Publikum:

Zitat von Franz Josef Görtz, Hans Sarkowicz. Heinz Rühmann, 1902-1994: Der Schauspieler und sein Jahrhundert. München: C.H. Beck, 2001. S. 114f
An die Dreharbeiten erinnerte sich Rühmann gern. „Wir amüsierten uns derart über unsere eigenen Gags, dass wir vor Lachen oft die Aufnahme abbrechen mussten. Als der Film in die Kinos kam, lachte kein Mensch mehr. Diese Komik à la ‚Ladykillers‘ war dem Publikum noch fremd, wir waren dreißig Jahre zu früh.“ [... Erich Pommer] war offenbar mit dem Film nicht zufrieden. Denn noch im selben Jahr ließ er eine um vierzig Minuten gekürzte Fassung herstellen und unter dem Titel Jim, der Mann mit der Narbe neu in die Kinos bringen. Nur diese Version hat sich erhalten. Heute zählt diese schwarze Komödie, gerade wegen ihres experimentellen Charakters, zu den Höhepunkten des Weimarer Kinos.


Wenngleich der Verlust der Langfassung aus filmhistorischen Gründen zu bedauern ist, kann man Pommer für seine intuitive nachträgliche Kürzung des Films nur gratulieren. Nicht nur blieb „Der Mann, der seinen Mörder sucht“ auf diese Weise als „Jim, der Mann mit der Narbe“ der Nachwelt erhalten; auch ist ganz stark davon auszugehen, dass die lockere, eher frotzelnde Geschichte mit 50 Minuten Laufzeit besser bedient ist als mit über 90. Zwar wirken einige Anschlussschnitte holprig, doch das Tempo, das auf diese Weise in den Film gebracht wurde, unterstützt dessen unkonventionelle Machart. Zudem steht zu befürchten, dass die Langfassung kaum mehr Inhalt erzählt hätte, sondern einfach nur mehr musicalartige Szenen beinhaltete, die in der vorliegenden Version dankenswerterweise nur in verträglichem Umfang vorkommen.

Während Linn Deyers den Rollennamen behielt, den ihr Fritz Lang in „Spione“ auf den Leib schrieb, und als lebensfrohes und energisch-modernes Mädchen einem gewissen Hang zur Laszivität fröhnt, ist Heinz Rühmanns zurückgenommene Leistung der Höhepunkt des Films, der als Persiflage auf Weltwirtschaftskrise und unkontrolliertes Schuldenwachstum selbst aus einem Mord eine gut bezahlte Auftragsarbeit zaubert, ihn in Verträgen festschreibt und die großen Versicherungskonzerne zu Überwachern einer ordnungsgemäßen Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen macht. Rühmann spielt einen frühen Yuppie, der das Leben in allzu vollen Zügen genossen hat und nun vor den Scherben seines Daseins steht, mit einer solch stoischen Ruhe, dass es eine schiere Freude ist. Seinem Wunsch, ermordet zu werden, wohnt nichts Emotionales inne; es ist eine reine Kostenentscheidung, die ihn wenigstens in der (scheinbar) ultimativen Entscheidung zum verantwortungsvollen Finanzier macht, bevor dann am Ende doch wieder die Liebe Überhand über die Vernunft gewinnt, der Lebenswille zurückkehrt und der Mörder gestoppt werden muss. Als dieser bietet Hermann Speelmans alle Klischees eines tumb-brutalen Galgenvogels auf und kombiniert sie mit roher Komik, die vor allem in seiner ersten Szene in der Gefängniszelle aufgrund ihrer Skurrilität überzeugt.

Hyperprominentes Fragmentkino mit dem Charme der Unvollkommenheit und einer unerwartet schnippischen Reaktion auf den schwarzen Freitag. Vielleicht tatsächlich zu visionär fürs damalige Publikum, aber daher noch heute sehr leicht konsumierbar – vor allem aufgrund Rühmanns großartiger „Trockenheit, die das Lächerliche der Melancholie, das Unreif-Knabenhafte des Weltschmerzes ganz rein hervortreten lässt“ (Karl Prümm). 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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03.12.2016 20:45
#48 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten




Nacht der Verwandlung (Demaskierung)

Kriminaldrama, D 1935. Regie: Hans Deppe. Drehbuch: Hans Rameau. Mit: Gustav Fröhlich (Frank Cornelius), Heinrich George (Boris Pettkoff), Rose Stradner (Maria, seine Frau), Ellen Frank (Fräulein Neville), Otto Graf (René Duval), Max Gülstorff (Philippe de Brissac, Senator), Gertrud Wolle (Amélie, seine Frau), Franz W. Schröder-Schrom (Professor Janta), Harry Hardt (Kommissar Nicole), Hans von Zedlitz (Direktor Berthier) u.a. Uraufführung: 31. Mai 1935. Eine Produktion der Itala-Film GmbH.

Zitat von Nacht der Verwandlung
Auf einem Maskenball soll sich der vereinsamte Höhenflugpionier Frank Cornelius nach seinem waghalsigen Ausflug in die Stratosphäre wieder unter Menschen mischen. Er begibt sich anonym auf die Fete, auf der er seiner alten Freundin Maria begegnet, die mittlerweile mit dem unangenehmen Geschäftsmann Boris Pettkoff verheiratet ist. Der eifersüchtige Pettkoff vermutet, dass hinter der galanten Bekanntschaft von früher ein Halunke steckt, und zeigt Cornelius bei der Polizei an. Da dieser sich nicht ausweisen kann, wird er abgeführt. Zu allem Überfluss hat Cornelius auch Marias Schmuck in der Rocktasche ...


Wie eine waschechte Wochenschau wirkt die Kollage der Flugbilder und Zeitungsschlagzeilen, die die Begeisterung und das Mitfiebern der Massen mit dem Technikpionier Frank Cornelius verdeutlicht. Hans Deppe setzt damit nicht nur ein inszenatorisches Ausrufezeichen zu Beginn seiner sonst eher dem häuslichen Drama verschriebenen Romanze; zugleich begründet das ungewöhnliche Erlebnis des Fliegers auch dessen kurioses Verhalten im weiteren Verlauf des Films. Die doppelte Anonymität des unerkannten „Prominenten“ in einem Ballsaal voller maskierter Gäste findet in dem exzentrischen Exposé eine erstaunlich glaubwüridge Rechtfertigung und sogar eine metaphorische Tiefe, auf die auch der Kritiker der Zeitschrift „Der Film“ im Juni des Premierenjahres abhob:

Zitat von Manfred Hobsch. Film im „Dritten Reich“. Alle deutschen Spielfilme von 1933 bis 1945. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2010. Band 4, S. 267
Aufgebaut auf einen Maskenscherz und durch alle Stationen von Irrtum und Verwechslung führend, zeigt diese Nacht der Verwandlung alle Gegensätze von Sein und Schein auf. Es findet eine Demaskierung im doppelten Sinn statt, dass nämlich die Menschen der Faschingsnacht in Nizza nicht nur ihre Seidenmasken von den Gesichtern nehmen, sondern auch ihre Charaktere enthüllen. Geneigt, in dieser Symbolik den tieferen Sinn des Films zu erblicken, nimmt der Betrachter keinen sonderlichen Anstoß mehr an der Krassheit der Gegensätze; den der Autor Hans Ramenau (sic!) hat seine Figuren in Schwarzweißmanier gezeichnet; Petkoff musste ein abgrundschlechter und der Stratosphärenflieger Cornelius ein ganzer Kerl sein, Rose-Maria, das blond-unschuldige Opfer zwischen Geldhyänen, Brissac bis zur Komik ein Ehe-Hampelmann, es gab keine Zwischentöne, an denen die Welt doch so reich ist.


Tatsächlich spannt sich zwischen Gustav Fröhlich, dem patenten jungen Abenteurer, und Heinrich George, dem ruppigen, drängenden, hinterlistigen und körperlich abstoßenden, der hübschen Maria aufgezwungenen Gatten, ein Antagonistenverhältnis auf, wie es dem Publikum eingeprägter nicht sein könnte. Der Faschingsball bietet die passende Gelegenheit für den Ausbruch aus den einengenden Konventionen der Ehe, erhält aber tunlichst keine anrüchigen Konnotationen, da dem Sympatikus Fröhlich trotz Rückbezügen auf eine frühere enge Freundschaft mit Maria natürlich nicht die gleichen eigennützigen Motive unterstellt werden wie dem feisten George. Als Spielball zwischen den beiden Herren gibt Rose Stradner einen überzeugenden Auftritt als damsel in distress. Die Schauspielerin, die neben Hans Albers und Albert Bassermann in „Ein gewisser Herr Gran“ debütiert hatte, wurde zwei Jahre nach „Nacht der Verwandlung“ von MGM in Hollywood verpflichtet, drehte dort (u.a. neben Edward G. Robinson) aber nur drei Filme, bevor sie ihre Karriere zugunsten einer ähnlich unglücklichen Ehe wie der hier gezeigten mit Regisseur Joseph L. Mankiewicz beendete. Rose Stradner starb 1958 im Alter von 45 Jahren an einer Überdosis Schlaftabletten, nachdem sie mehrfach ihren Suizid angekündigt hatte.

Der Krimi-Anteil an „Nacht der Verwandlung“ ist nicht so groß, wie der Alternativtitel „Demaskierung“ vermuten lassen könnte. Der Rezensent trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er lediglich von einem „kriminalistischen Zwischenspiel“ schreibt: Von Anfang an ist dem Zuschauer klar, dass Frank Cornelius kein Verbrechen begeht. Die Frage, ob Boris Pettkoff oder sein nicht weniger in Maria verliebter Handlanger René Duval (Otto Graf als äußerst geschmeidiger Galgenvogel) noch für eine Eskalation der verfahrenen Situation sorgen werden, hält das Interesse indes recht effektiv aufrecht. Im Handumdrehen hat man dann einen Film gesehen, der wenig Substanzielles, dafür aber einige entspannende Minuten für Herz und Seele bietet und der sich am ehesten für eine sonntagnachmittägliche Sichtung um Silvester oder die fünfte Jahreszeit herum anbietet.

In der Hauptsache ein Liebesdrama, setzt „Nacht der Verwandlung“ vor allem auf die erprobte Figurenkonstellation des unheilvollen Beziehungsdreiecks. Am interessantesten ausgearbeitet ist der Charakter des Flugrekordhalters Cornelius, dessen Tatendrang und Rekordstreben ihn zu einer perfekten Identifikationsfigur seiner Zeit machen, der aber auch nicht ganz ohne Selbstzweifel und Bescheidenheit ist. Manch andere Rolle kommt weniger rund daher, sodass oft die Konventionen des Genres und die Schauwerte des Tanzvergnügens die erste Geige übernehmen. 3 von 5 Punkten.

[ Der Film ist über den Videokanal Heimatfilme in voller Länge kostenfrei online abrufbar. ]

Gubanov ( gelöscht )
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14.01.2017 15:40
#49 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten




Ein gewisser Herr Gran

Spionagekrimi, D 1933. Regie: Gerhard Lamprecht. Drehbuch: Philipp Lothar Mayring, Fritz Zeckendorf. Mit: Hans Albers (Herr Gran), Albert Bassermann (Kunsthändler Tschernikoff), Rose Stradner (Bianca Tschernikoff), Karin Hardt (Viola Dolleen), Olga Tschechowa (Frau Mervin, Spionin), Hermann Speelmans (Nica), Walter Rilla (Maler Pietro Broccardo), Hubert von Meyerinck (Hauptmann Gordon), Hans Adalbert Schlettow (Beppo), Hans Deppe (Rossi) u.a. Uraufführung: 15. August 1933. Eine Produktion der Ufa-Filmkunst GmbH.

Zitat von Ein gewisser Herr Gran
Mitglieder eines feindlichen Geheimdienstes ermorden einen italienischen Ingenieur, der ein Gerät zur Flugzeugabwehr erfunden hat, stehlen die Konstruktionspläne aus dem Wagen des Toten und bringen sie nach Venedig. Dort hat sich bereits ein gewisser Herr Gran in das Hotel Danieli eingemietet, in dem auch der schmierige Hauptmann Gordon, der ebenfalls hinter den Plänen her ist, wohnt. Gran schickt Gordon unter falschen Vorwänden auf eine Seereise und gibt sich gegenüber den Dieben selbst als Gordon aus. Damit ist der Fall jedoch nicht gelöst: Die Frage, wo genau Gran nach den Papieren suchen muss, stellt sich als verzwickt heraus und erfordert ein Katz-und-Maus-Spiel mit dem Kunsthändler Tschernikoff und der Spionin Frau Mervin ...


Im Stile großer Ufa-Stummfilm-Abenteuerkrimis siedelt Gerhard Lamprecht sein namhaft besetztes Spionagemärchen als wenig anspruchsvollen, aber actionlastigen Sensationsfilm vor exotischer Kulisse an. Stars, Süden und Spektakel – „Ein gewisser Herr Gran“ zeigt gleich in der ersten Szene das Attentat auf den Wissenschaftler mitsamt aufwühlendem Klippensturz seines Autos, bevor er rasch zu touristisch geprägten Venedig-Aufnahmen überwechselt und der Handlung, die Agenten- und Liebesdramatik unter einen Hut zu bringen versucht, einen seichteren Anstrich verleiht. Inmitten dieses Schwalls an Eindrücken steht Hans Albers als selbstsicherer, wortgewandter Undercover-Spion, der die Bewunderung des unbedarften Publikums ganz auf seiner Seite wissen durfte. Kriminalistisches Geschick, Sportsgeist und ein Schlag bei den unterschiedlichen Damen des Films machen ihn zum Idealtypus des heldenhaften Ermittlers, der ganz nebenbei seinem Land einen (sichtlich macguffin-esken) militärischen Dienst erweist, indem er sich des Verbleibs der verschwundenen Papiere annimmt.

Der Stoff ist für eine internationale Großproduktion wie gemacht, sodass es nicht verwundert, dass zugleich auch eine französische Fassung als „Un certain monsieur Grant“ gedreht wurde, in der Hans Albers durch Jean Murat ersetzt wurde. Nur Olga Tschechowa als hart bandagierte Spionin und der junge Walter Rilla als verdächtiger Maler treten in beiden Versionen auf. Auch den von Schauspielerurgestein Albert Bassermann gespielten Hauptschurken besetzte man für die französische Fassung um, was Lobhudeleien, die man über seine Darstellung lesen kann, als lediglich aus Prinzipgründen verteilte Lorbeeren enttarnt, die einem Akteur seiner Reputation gern in jeder Rolle nachgesagt werden, gleich wie lapidar sie eigentlich ist. Als Schurke Tschernikoff steht Bassermann jedenfalls deutlich im Schatten der Tschechowa und bietet für Albers kaum je ein adäquates Gegengewicht. So bleibt ein Duell der Giganten weitgehend aus, auch weil „Ein gewisser Herr Gran“ für sein Sujet nach gelungenem Auftakt eigentlich viel zu harmlos und gemächlich daherkommt.

Kurios ist immerhin anzusehen, dass die DVD zum Film von Black Hill einen Originaltrailer enthält, in dem sich Albers und Bassermann gemeinsam Ausschnitte des Films in einem kleinen Vorführsaal anschauen, um festzustellen, dass das gesamte Werk erst demnächst im Kino gezeigt wird. Sicher handelt es sich dabei um einen Film, der auf der großen Leinwand um einiges mehr beeindruckt; nichtsdestoweniger dürfte ihm ein großes Stück seiner Faszinationskraft in den vergangenen mehr als 80 Jahren verloren gegangen sein.

Die prominente Besetzung und überaus ansprechende Ausstattung übertünchen nicht, dass es sich hierbei um ein eher künstlich konstruiertes Fantasiegeflecht aus naiven Träumen von den Abenteuern der Spione in der großen Welt handelt. So bleibt die Handlung nicht durchweg interessant, obgleich sich Gerhard Lamprecht bemüht, Abwechslung um jeden Preis zu bieten. 3 von 5 Punkten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

15.01.2017 14:56
#50 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Auf besonderen Wunsch und weil es hier so gut passt, ein Grabbericht zur weiblichen Signalrolle des Films:



Die Schauspielerin Olga Tschechowa (1897-1980) wuchs als Olga von Knipper in einer großbürgerlichen Familie auf. Sie wohnte u.a. in Georgien, Moskau und St. Petersburg und kam früh mit berühmten Persönlichkeiten wie Tolstoi, Rachmaninow und Anna Pawlowa in Kontakt. Bereits Anfang der Zwanziger Jahre kam sie nach Berlin, wo sie bald beim Stummfilm unterkam. Sie arbeitete mit den profiliertesten Filmkünstlern ihrer Zeit und wurde Ende der Zwanziger Jahre auch international bekannt. Die vielseitig begabte Frau - sie war außer Schauspielerin auch Bildhauerin, Regisseurin und Produzentin - spielte oft die lebenserfahrene Ratgeberin und agierte neben jüngeren Kollegen wie Paul Klinger, Carl Raddatz, Curd Jürgens und Viktor Staal. Ihr Bühnentalent gab sie an Tochter Ada und Enkelin Vera weiter.

Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem Neuen Friedhof in Gräfelfing bei München neben ihrer Tochter Ada, die bereits vierzehn Jahre vor der Mutter verstorben war. Efeu wuchert um die Platte mit ihren Lebensdaten und es war mehr dem Zufall als gezielter Suche geschuldet, dass wir an ihrem Grab vorbeikamen. Das anvisierte Ziel war Horst Tappert gewesen, der ebenfalls in Gräfelfing begraben wurde.

Der Filmhistoriker Frank-Burkhard Habel schreibt in seiner Hommage in seinem Buch "Verrückt vor Begehren - Die Filmdiven der Stummfilmzeit" Folgendes:

Zitat von Frank-Burkhard Habel. Verrückt vor Begehren: Die Filmdiven der Stummfilmzeit. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 1999. S. 118
Die gefeierte Filmschauspielerin ist besonders aus über sechzig deutschen Unterhaltungsfilmen der Dreißiger und Vierziger Jahre mit ihren Diven-Rollen nicht wegzudenken, wenn sie auch nur die unerfüllte Versuchung verkörperte, die Diva im Abseits, die ihre Wirkungen nicht entfalten durfte.

Gubanov ( gelöscht )
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15.01.2017 19:45
#51 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Danke für die Schilderung! Das Zitat trifft haargenau auch auf „Ein gewisser Herr Gran“ zu, wo Tschechowa, die viel zu schillernd ist, um als Liebchen abgetan zu werden, zumindest unter romantischen Gesichtspunkten nur die zweite bzw. dritte Geige hinter Karin Hardt (und Rose Stradner) spielt. Diese Hierarchie der Frauenrollen ist ein typisches Instrument des NS-Kinos, das man ja auch bei anderen unkonventionellen Diven wie z.B. Sybille Schmitz beobachten kann. Interessant ist, dass sie im „Gran“-Film erneut als Spionin mit Beziehungen zur russischen Feindesseite auftritt – eine fast identische Rolle hatte sie nur ein Jahr zuvor schon in „Spione im Savoy-Hotel“ ausgefüllt. Ob die Produzenten da ihre Herkunft im Hinterkopf hatten?

Über die bereits hier zur Sprache gekommenen „Rote Orchideen“ und „Gewitterflug zu Claudia“ hinaus hatte Tschechowa eigentlich nur noch zwei Auftritte in Kriminalfilmen zu verbuchen: in „Mary“ – der deutschen Fassung des Hitchcock-Films „Mord! Sir John greift ein“ – von 1931 (mit Alfred Abel, Paul Graetz, Lotte Stein) und „Parkstraße 13“ von 1939 (mit Hilde Hildebrand, Iván Petrovich, Hans Brausewetter).

Gubanov ( gelöscht )
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21.01.2017 21:15
#52 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten




Ein Mann auf Abwegen

Abenteuerkomödie, D 1939/40. Regie: Herbert Selpin. Drehbuch: Harald G. Petersson, Walter Zerlett-Olfenius (Romanvorlage, „Percy auf Abwegen“: Hans Thomas). Mit: Hans Albers (Percival Patterson), Charlotte Thiele (Ingrid Patterson), Hilde Weissner (Lisaweta Iwanowna), Werner Fuetterer (Nils Nilsen, Journalist), Peter Voss (Percivals Freund Sully), Hilde Sessak (Marcella Duvallo), Kurt den Douven (Marcellas Freund Janno), Gustav Waldau (Raymondo Duvallo), Herbert Hübner (Herr Meyers), Werner Scharf (Herr Strakosch) u.a. Uraufführung: 4. März 1940. Eine Produktion der Euphono-Film GmbH und der Tobis-Filmkunst GmbH.

Zitat von Ein Mann auf Abwegen
Percival Patterson, der Direktor eines Stockholmer Großunternehmens, legt auf einmal ein sonderbares Verhalten an den Tag. Als er kurz darauf spurlos verschwindet, gerät sein familiäres und berufliches Umfeld nicht nur seinetwegen in Sorge, sondern auch der Konzern in eine Schieflage, die einen der Aktionäre zum sofortigen Ausstieg veranlasst. Patterson reist derweil inkognito durch Europa und trifft auf seinen Reisen auf einen Juwelendieb und einen Betrüger, der seiner reizenden Arbeitgeberin, der Sängerin Lisaweta, beträchtliche Summen unterschlägt. Bevor Percy die wahren Gründe seines Untertauchens offenlegt, bändelt er mit der eigensinnigen Lisaweta an ...


Obschon in der Ausführung mehr Komödie als Krimi, steht hinter der zentralen Konstruktion des Verschwindens von Percy Patterson doch ein klassisches Rätselmotiv, dessen Enthüllung erst in den letzten Filmminuten durch den Protagonisten selbst vorgenommen wird. Dieser, ein Mitglied der schwedischen High Society, wird als übersättigter, seiner Privilegien müder Sonderling gezeichnet – nicht jedoch ohne bald schon anzudeuten, dass sein Verhalten nur Maskerade für eine andere, tieferliegende Absicht ist. Weil man die jedoch lange Zeit nicht genau verorten kann, bleibt dem mit Frische und wunderbar schlagfertigen Dialogen ausgestatteten Hans Albers der Aussteiger-Charme erhalten, der sich durch eine Rebellion gegen das Einerlei des Alltags auszeichnet und im Zeitkontext der immer stärker antizipierten Kulturautarkie und der ersten Kriegsmonate fast schon wehmütig erscheint. Auf seinen Abwegen wird Patterson zum Weltenbummler, der verschiedene Kulturen und soziale Schichten überbrückt und schonungslos auch die Vorurteile gegenüber gewissen Statusklischees aufdeckt (z.B. im Umgang mit dem gegenüber seinem Alias unverschämten Polizisten, der ihm plötzlich liebedienert, als er die wahre Identität von P.P. erfährt, oder beim Tragen der pompösen Chauffeursuniform, die ihn in den Augen des Hoteliers kurzerhand zum Abgeordneten des Völkerbunds befördert).

Produktionshistorisch ist „Ein Mann auf Abwegen“ vor allem deshalb von Belang, weil es sich um eine der neun Kollaborationen des tragischen Duos aus Regisseur Selpin und Drehbuchautor Zerlett-Olfenius handelt, dessen letztes Projekt „Titanic“ schicksalsschwere Folgen für beide Beteiligte haben sollte. Selpin füllte mit actionlastigen Populärfilmen wie diesem, „Sergeant Berry“ oder „Wasser für Canitoga“ jene Lücke, die nach dem Verzicht auf us-amerikanische Filmimporte, welche das Abenteuerfach mit größerer Versiertheit als heimische Produktionen bedienten, entstanden war. So macht sich im Mittelteil der „Abwege“ durchaus bemerkbar, dass die Produktion stellenweise zu stark ins Humorvoll-Parodistische abgleitet, was vor allem in der unnötig langen und profanen Kneipenszene mit Marcella Duvallo und beim Kennenlernen der beiden Hauptfiguren Percy und Lisaweta bei einem missglückten Schwimmausflug, als ihnen plötzlich beiden die Kleider fehlen, mit voller Breitseite durchschlägt.

Die Chemie zwischen Albers und Weissner muss allerdings als fantastisch bezeichnet werden. Weissner besitzt als Persönlichkeit ein ausreichendes Selbstbewusstsein, um den forschen Blondschopf immer wieder elegant, aber doch bestimmt in die Schranken zu weisen. Ihre Beziehung ist nicht nur von Percys ständigem Identitätenwechsel geprägt, sondern auch vom immerwährenden Neuaushandeln der Machtverhältnisse. Weissner behauptet sich erfolgreich gegen Albers, während das jüngere Paar, das sich aus dessen Filmtochter Charlotte Thiele und dem besserwisserischen Reporter (Werner Fuetterer) zusammensetzt, eher konventioneller Natur ist. Gleiches muss letztlich auch von Zerlett-Olfenius’ ambitioniertem, aber in seiner Essenz doch eher harmlosen Drehbuch behauptet werden, das mit etwas mehr geheimnisvoller und etwas weniger erheiternder Unterhaltungswürze stimmiger ausgefallen wäre und den kleinen Gaunereien am Rande der Handlung sowie dem Twist des gutmütigen P.P. mehr Raum gewährt hätte.

Kurzweil und inspirierte Dialoge lassen den Zuschauer mit dem flüchtigen Konzernchef mitfiebern, dessen Verhalten zunächst unerklärlich erscheint, aber in viele spannende und amüsante Situationen mündet. Obwohl sich der in der zweiten Hälfte stark in den Vordergrund gedrängten Bekanntschaft von Percy Patterson und Lisaweta Iwanowna eine gewisse Romanzenseligkeit nicht absprechen lässt, die Selpins Film von den Anforderungen eines stringenten Abenteuer- oder gar Kriminalfilms zunehmend abdriften lässt, erfreuen Albers und Weissner mit charmanten, wenn auch nicht immer ernstzunehmenden Momenten. 3,5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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22.01.2017 14:20
#53 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



Ufa-Stars in Ohlsdorf: Hilde Weissner

Einige Hauptdarstellerinnen des damaligen deutschen Kinos waren burschikose Kumpeltypen, mit denen die abenteuerlustigen männlichen Figuren sprichwörtliche Pferde stehlen oder amouröse Duelle ausfechten konnten. Andere, und zu dieser Kategorie zählt Hilde Weissner, bedienten das gehobenere, elegantere Fach und während auch sie durchaus Lebensmut und starken Willen zeigen durften, waren ihre Auftritte feinsinniger und weniger volkstümlich. Das Divenklischee sollte man der 1909 im pommerschen Stettin geborenen Schauspielerin jedoch nicht anheften, wie nicht zuletzt ihre beschwingte Rolle in „Ein Mann auf Abwegen“ beweist. Weissner, die mit dem etwas unvorteilhaften Namen Hildegard Weißbrodt auf die Welt kam, hatte einen Beamten zum Vater und eine Sängerin zur Mutter. Nach dem Tod des Vaters begann für sie die künstlerische Karriere – nach Schauspielunterricht bei Herbert Hübner spielte sie zunächst am Schiller-Theater in Altona und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.

Der Film entdeckte sie 1933 und setzte sie gleich in größeren Rollen ein. Vom Spiegel rückblickend mehrfach als „Salondame des deutschen Vorkriegsfilms“ bezeichnet, hatte Weissner das Glück, ihr Können in zumeist eher unverfänglichen Stoffen präsentieren zu dürfen (Ausnahme: „Die Rothschilds“ von 1940). Auch zum Krimi zog es sie: 1937 bediente sie das Schurkenfach in „Der Mann, der Sherlock Holmes war“; weiterhin war sie u.a. in „Der Mann mit der Pranke“ (1935), „Geheimzeichen LB 17“ (1938) und „Kennwort Machin“ (1939) zu sehen. In ihren späteren Jahren war sie sich außerdem nicht zu schade, in Serien wie „Pater Brown“, „Der Kommissar“ oder „Derrick“ Gastspiele zu geben. Ihre Kontinuität zahlte sich aus: 1986 erhielt sie das Filmband in Gold für ihre langjährigen Verdienste um den deutschen Film.

Obwohl Hilde Weissner aufgrund einer Lehrtätigkeit am Mozarteum in Salzburg in späteren Jahren in Österreich lebte, wurde sie nach ihrem Tod im Jahr 1987 auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf beigesetzt, wo sie ihre letzte Ruhe neben ihrer Mutter fand. Das Grab wird von Rosen bestanden und der helle Stein weist Besuchern den Weg, die Hilde persönlich kannten oder sie als filmische grande dame in Erinnerung behalten.

Gubanov ( gelöscht )
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28.01.2017 21:00
#54 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



Morgen werde ich verhaftet

Kriminalfilm, D 1939. Regie: Karl Heinz Stroux. Drehbuch: E. Hollitzer (Romanvorlage: Arno Alexander). Mit: Ferdinand Marian (Friedrich Burger / Juan Perez), Käthe Dorsch (Maria Burger), Gisela Uhlen (Eva Burger, deren Tochter), Paul Klinger (Dr. Walter Felden), Will Dohm (Professor Hugo Möbius), Paul Dahlke (Kriminalkommissar Brinkmann), Kurt Vespermann (Jack I. Brown, Manager), Karl Hellmer (Erich Krengel), Ingolf Kuntze (Direktor Bendorf), Lissy Arna (Giannina Belloni, Sängerin) u.a. Uraufführung: 7. Juni 1939. Eine Produktion der Euphono-Film GmbH und der Tobis-Filmkunst GmbH.

Zitat von Morgen werde ich verhaftet
Die Sängerin Giannina Belloni überredet den Geiger und Komponisten Friedrich Burger zu einem letzten abendlichen tête-à-tête, das ausgerechnet vor Burgers Wohnung stattfinden soll. Dessen Frau Maria erfährt davon und betritt schockiert den Garten, woraufhin Schüsse fallen und die Belloni tot zusammenbricht. Die Eheleute verdächtigen sich nun gegenseitig des Mordes und Friedrich sucht das Weite, um den Verdacht von seiner Frau abzulenken. Erst zehn Jahre später traut er sich in der Maske des mexikanischen Sängers Juan Perez nach Berlin zurück – just zu einem Zeitpunkt, als Kommissar Brinkmann den Fall wieder aufrollt, weil der Schmuck der Belloni wieder aufgetaucht ist. Erneut kreisen alle Verdächtigungen um die Burgers ...


Hinter dem spannenden Titel verbirgt sich eine Kreuzung aus Künstler- und Familiendrama, die auf Ereignisstrukturen des Kriminalfilms aufbaut, wie sie klassischer und prägnanter nicht sein könnten. Eine Affäre, ein nächtlicher Mord aus Eifersucht und eine durch die Tat auseinandergerissene Familie bilden die Grundlage für diesen Film, dessen Hauptteil in einem zeitlichen Abstand von zehn Jahren zur eigentlichen Tat spielt, innerhalb derer die Charaktere unterschiedlich viel Distanz zu den damaligen Vorfällen aufgebaut haben. Der kleine Ganove, der den Schmuck der Belloni im Leihhaus versetzt, ist nur der Auftakt zu einer Reihe interessanter neuer Ermittlungen, die einmal mehr Paul Dahlke in sympathischer Beamtenmanier leitet. Er begegnet dabei verschiedenen Interpretationen der Nacht des Mordes, aber bei keinem der Verdächtigen oder anderen Personen in deren Umfeld bloßer Gleichgültigkeit. Während sich Ferdinand Marian in seiner sofort durchschaubaren, aber dadurch umso nachfühlbareren Doppelrolle darum bemüht, nach einem folgenschweren Fehler die schützende Hand über Frau und Tochter zu halten und keinen falschen Schritt zu setzen, porträtiert Käthe Dorsch die Ehefrau als unsichere, impulsive und hilflose Gestalt, der man einen Affektmord durchaus zutrauen würde.

Darauf, dass die Charakterzeichnungen so präzise zu möglichen Motiven passen, legte wohl nicht zuletzt der Regisseur Karl Heinz Stroux besonderen Wert, der seine jahrzehntelange Karriere hauptsächlich am Theater bestritt und mit „Morgen werde ich verhaftet“ das Debüt zu seiner nur drei Filme umfassenden Kino-Karriere vorlegte. In den ersten Filmminuten, die im Jahr 1929 spielen, muss man sich zunächst an den manchmal etwas ungewöhnlichen Inszenierungsstil Stroux’ gewöhnen, kann dafür aber den übrigen Film dann sorgenfrei genießen, da der Theatermann seinen Akteuren zwar gern die große Geste abverlangte, aber stets stilvoll und wertig arbeitete. Vielleicht liegt die kurzzeitige Verwirrung auch darin begründet, dass der Vorspann mit seinen dreidimensionalen, beleuchteten Blockbuchstaben eher an den amerikanischen Film Noir erinnert und ein weniger subtiles, schöngeistiges Kriminalstück erwarten lässt.

Stroux’ Partner, der Drehbuchautor E. Hollitzer (vielleicht ein Pseudonym?), tauchte sogar nur in diesem einen Film auf, sodass man getrost von einer ungewöhnlichen und ungeübten, aber dennoch überaus gelungenen Kooperation hinter den Kulissen sprechen kann. So frisch Regisseur und Autor auch waren – als umgekehrt so etabliert muss man die Besetzung bezeichnen. Eine Generation unter Marian und Dorsch, denen man gerade unter Stroux ihre Theatererfahrung anmerkt, sind die beliebten Jungdarsteller Gisela Uhlen und Paul Klinger zu sehen. Uhlen hatte sich 1936 in der Titelrolle der Romanze „Annemarie – Die Geschichte einer jungen Liebe“ einen Namen gemacht; Klinger hatte allein in den beiden Jahren, die der Premiere von „Morgen werde ich verhaftet“ vorausgingen, in zwölf verschiedenen Filmprojekten mitgewirkt. Als junges Paar werden beide nicht nur von den aus dem ungeklärten Mordfall resultierenden Spannungen im Hause Burger, sondern auch von den unterschiedlichen Temperamenten ihrer Rollen auf die Probe gestellt: Eva möchte als Musikerin eine Anstellung auf einer Konzerttournee bekommen und Walter, ein solider Anwalt, zögert, ihr diesen Freiraum einzuräumen, unterstützt sie aber tatkräftig auf der Suche nach ihrem Vater, dem vermeintlichen Mörder.

Als mustergültiger Kriminalfilm stellt „Morgen werde ich verhaftet“ das Schaulaufen der Verdächtigen deutlich in den Mittelpunkt und weicht nur kurzzeitig mit ein wenig zu langen Musikszenen und dem von Kurt Vespermann als überarbeitetem Manager bestrittenen Humor vom stringenten roten Faden der Handlung ab. Gerade das musikalische Element erweist sich aber immer wieder als zentral für den Fall und bildet zudem einen stimmigen Hintergrund für die anrührende Schlussszene, in der Franz Doelles Schlager „Es müsste Frühling sein“ in voller orchestraler Wucht zum Einsatz kommt. Zusammen mit der gelungenen Auflösung aller aufgeworfenen Schwierigkeiten entlässt die Produktion – und gerade darin besteht nicht selten Magie so alter Filme – den Zuschauer mit einem wohligen Gefühl der Beruhigung, das in Anbetracht der Umstände der Herstellungszeit und der filmischen Monstrosität, die dem Hauptdarsteller im Jahr darauf aufgebürdet wurde, einen bitteren Beigeschmack erhält.

Gut konstruierter Krimi im Musikermilieu mit einer zwar kleinen, aber dafür überaus erlesenen Verdächtigenschar mit zahlreichen bekannten Namen des deutschen Vor- und Nachkriegskinos. „Morgen werde ich verhaftet“ stehen mindestens 4,5 von 5 Punkten und eine baldige Wiederentdeckung zu!

PS: Die EVA-Lichtspiele zeigten diesen Film anlässlich des zehnten Todestags von Gisela Uhlen, die am 16. Januar 2007 starb. Als Gast wohnte der Aufführung ihre Tochter Barbara Bertram bei, die kurzweilig über ihre immer agile Mutter erzählte. Uhlen, die der Wallace-Fan als harte Frau in ihren Vierzigern kennt, war zum Drehzeitpunkt von „Morgen werde ich verhaftet“ noch nicht einmal 20 Jahre alt.

Mark Paxton Offline




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12.03.2017 20:33
#55 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Hier hat sich ja ganz schön was an Filmen angesammelt. Wenn ich so rüberfliege, dann scheint vieles aber doch auch eher komödiantisch oder dramenhaft zu sein? Welchen der vielen Filme sind denn als "echte" Kriminalfilme mit Whodunit zu empfehlen?

Gubanov ( gelöscht )
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24.03.2017 14:10
#56 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Mangels Möglichkeiten, einige der reinrassigeren Kriminalfilme aus dieser Zeit zu Gesicht zu bekommen, habe ich bei meinen hiesigen Schilderungen auch Filme erwähnt, die über die Begriffsgrenzen des Krimis in einzelnen Aspekten hinausgehen. Wenn du dir die einzelnen Besprechungen genau anschaust, wirst du bemerken, dass ich versucht habe, dies mittels der Genre-Angaben kenntlich zu machen. Wenn du klassische Krimis sehen willst, liegst du mit allen Filmen, die ich in den Credits als "Kriminalfilm" bezeichnet habe, per se schonmal nicht schlecht. Auch hinter der Bezeichnung "Kriminaldrama" verbirgt sich in den meisten Fällen ein Kriminalfall im besten Sinne.

Als besonders typisch und sehenswert, wenn man nicht zu sehr in Richtung Lustspiel oder Tragödie abgleiten möchte, würde ich z.B. "M - Eine Stadt sucht einen Mörder", "Der Täter ist unter uns", "Der stumme Gast", "Jenny und der Herr im Frack", "Großalarm", "War es der im dritten Stock?", "Premiere", "Die unheimliche Wandlung des Alex Roscher", "Gewitterflug zu Claudia", "Ein seltsamer Gast" und "Morgen werde ich verhaftet" empfehlen.

Mark Paxton Offline




Beiträge: 347

24.03.2017 16:38
#57 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten

Das sind ja schon mal ´ne ganze Menge an Titeln. Danke vielmals, werde versuchen, mir das eine oder andere anzuschauen und vielleicht darüber zu berichten.

Gubanov ( gelöscht )
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24.03.2017 21:00
#58 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



Der grüne Kaiser

Kriminaldrama, D 1938/39. Regie: Paul Mundorf. Drehbuch: Géza von Cziffra, Frank Thieß (Romanvorlage: Hans Medin). Mit: Gustav Diessl (Henry Miller / Hendrik Mylius), René Deltgen (Jan Karsten), Carola Höhn (Joana Martinez), Ellen Bang (Eve Latour), Hilde Hildebrand (Nora), Paul Westermeier (Hoyens), Alexander Engel (Sekretär Favard), Albert Hörrmann (Marcel Carraux), Hans Leibelt (Bankier Picard), Aribert Wäscher (Bankier Vandermer) u.a. Uraufführung: 13. Februar 1939. Eine Produktion der Ufa-Filmkunst GmbH.

Zitat von Der grüne Kaiser
Henry Miller ist gewöhnt, zu bekommen, was er begehrt. Als er bemerkt, dass die hübsche Joana Martinez, auf die er ein Auge geworfen hat, bereits verlobt ist, heckt er einen intriganten Plan aus, um ihren Freund Jan Karsten aus dem Weg zu räumen. Er lässt ihm eine Empfehlung zukommen, die ihn angeblich beruflich weiterbringen soll; doch die neue Anstellung beim geheimnisumwitterten Millionär Hendrik Mylius, den die Klatschpresse den „grünen Kaiser“ nennt, wird sich für Jan als schreckliche Falle entpuppen. Weder er noch Joana ahnen, dass Miller und Mylius ein und dieselbe Person sind ...


Viele Elemente, die Deltgens großen Krimierfolg „Dr. Crippen an Bord“ auszeichnen, finden sich auch schon in dem dreieinhalb Jahre zuvor realisierten „grünen Kaiser“, der in typischer Boulevardmanier hindernisreiches Liebesdrama und aufsehenerregenden Gerichtskrimi miteinander kombiniert. Da das sich nach einem Roman abwickelnde Spiel mit falschen Morden und Identitäten recht kompliziert gestrickt ist, erfordert es eine lange Vorbereitungs- und Einführungszeit, um den Zuschauer mit allen Charakteren vertraut zu machen und die treibende Dreiecksgeschichte zwischen Höhn, Diessl und Deltgen zu etablieren. Regisseur Paul Mundorf, der sonst nur für das Theater inszenierte, gelang es nicht, diese erste halbe Stunde frei von unnötigem Kitsch zu halten, der die Handlung – etwa in Form eines südamerikanischen Volksmusikabends – unnötig aufhält.

Dennoch überzeugt der darauffolgende Kriminalfall, der die übereifrig agierende Höhn ein wenig aus dem Blickfeld geraten lässt und stärkeren Fokus auf die Zwistigkeit zwischen Diessl und Deltgen sowie auf die Bankgeschäfte des undurchsichtigen „grünen Kaisers“ legt. Hierbei fällt auf, wie wichtig der Ufa die Wiederholung einzelner Besetzungsmuster war, um ihren Produktionen Wiedererkennungswert zu verleihen und den Identifikationswert mit den Akteuren zu erhöhen:

Zitat von Michael Wenk. Ein Kerl zum Pferdestehlen: Der Schauspieler René Deltgen in Film & Fernsehen. In: René Deltgen: Eine Schauspielerkarriere. Luxemburg: CNA, 2002. S. 76
Die Gegenüberstellung der darstellerischen Leistungen Gustav Diessls und René Deltgens ist insofern interessant, als sich beide Schauspieler 1937-39 insgesamt dreimal als Filmrivalen gegenüberstehen. Während Diessl in Starke Herzen einen couragierten Rittmeister und Kontrarevolutionär spielt, dem sich Deltgen als kommunistischer Aufständischer im Ungarn des Jahres 1919 anschließt, ist das spätere Kräfteverhältnis zwischen beiden Darstellern genau umgekehrt. Sowohl in Kautschuk als auch in Der grüne Kaiser ist es der vitale, lebendige Deltgen, der über seinen kühl, abgefeimt und zynisch agierenden Filmpartner Diessl triumphiert.


Dafür dass „Der grüne Kaiser“ im Ausland angesiedelt ist und vor Gericht die Grundfesten des Strafrechts debattiert werden (kann und darf man jemanden eines Verbrechens zweimal verurteilen bzw. ist eine verfrühte, fälschliche Verurteilung ein Freibrief dafür, das zur Last gelegte Verbrechen nach der Verbüßung dann tatsächlich auszuüben?), erweist sich die Produktion als erstaunlich unpolitisch und auch verhältnismäßig wenig um exotische Schauwerte bemüht. Man kann insofern von einem mit zunehmender Laufzeit immer traditionelleren Kriminalfilm sprechen, dessen starke (Anti-)Sympathisanten seine Rastlosigkeit, Zeit- und Schauplatzwechsel verzeihen lassen. Die Frage nach der Rücksichtnahme der Gerichte ersetzt die Whodunit-Spannung, die bei Diessls offenkundiger Schurkenhaftigkeit nicht aufkommt, mehr als adäquat.

In kleineren Rollen sind typische Gesichter jener Zeit zu sehen, die stellenweise einen komischen Anstrich verpasst bekommen haben (Hilde Hildebrand als blasierte Dame der Gesellschaft, Aribert Wäscher als um seine Anlagen besorgter Bankier), stellenweise mit ernstem Pathos auftreten (Siegfried Schürenberg als Strafverteidiger).

Interessante Variation des Verbrechens aus Liebe, bei dem der Abenteurer Deltgen zum Opfer des Intriganten Diessl wird. Stellenweise wirkt die Handlung übermäßig verschachtelt, der Anfang hätte gestrafft werden können. Die ansprechende und bis in kleine Rollen hochwertige Besetzung verdient gute 3,5 von 5 Punkten.

PS: Ein Kuriosum stellt das hier verlinkte Filmplakat dar, auf dem Handlung, Romanvorlage und Drehbuchautoren korrekt angegeben sind, dagegen aber von Viktor Staal in der Hauptrolle und Herbert Maisch als Regisseur die Rede ist. Handelte es sich hierbei womöglich um zunächst angedachte Personalien, die bei der Realisierung aus produktionsorganisatorischen Gründen ersetzt wurden?

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

25.03.2017 15:10
#59 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten



BEWERTET: "Der grüne Kaiser" (Deutschland 1938/39)
mit: Gustav Diessl, René Deltgen, Carola Höhn, Paul Westermeier, Hans Leibelt, Ellen Bang, Alexander Engel, Aribert Wäscher, Albert Hoerrmann, Hans Halden, Hilde Hildebrand, Siegfried Schürenberg, Franz Schafheitlin u.a. | Drehbuch: Géza von Cziffra, Frank Thieß nach der Vorlage von Hans Medin | Regie: Paul Mundorf

Henry Miller kehrt nach Jahren der Abwesenheit von Europa nach Brasilien zurück. Er besitzt dort eine Hazienda, auf der er Joana Martinez, die Nichte seines Verwalters antrifft. Der reservierte Mann findet Gefallen an der jungen Frau und sinnt auf einen finsteren Plan, als er hört, dass diese bereits mit dem Piloten Jan Karsten verlobt ist. Mit einem fingierten Empfehlungsschreiben an den Bankier Hendrik Mylius schickt er Karsten nach Paris, während er seine Gläubiger abschütteln will. Noch ahnt Karsten nicht, dass er bald in eine hinterlistige Mordintrige verwickelt werden wird....

Nicht nur der Ansager bei den "Eva"-Lichtspielen in Berlin zögerte, bevor er den angekündigten Film als "Krimi" bezeichnete, auch der Zuschauer selbst denkt zunächst an einen Abenteuerfilm, als er sich in der exotischen Umgebung wiederfindet. Der feudale Besitz des geheimnisvollen Mr. Miller wartet mit einer lebensfrohen jungen Frau, ihrem gemütlichen Onkel und La Habanera intonierendem Hauspersonal auf. Der schneidige Flieger, dem kein Sturm zu unbändig und keine Wellen zu hoch sind, ist der strahlende Held, der Joanas Herz schon lange erobert hat, bevor der weltmännische Gutsherr die Szene betritt. Doch bald wendet sich das Blatt und aus dem leichtfüßigen Liebeständeln wird bitterer Ernst, als der eine Mann verschwindet und der andere des Mordes angeklagt wird. Die Handlung verlagert sich in die Welt der Hochfinanz, wo die Doppelidentität des Hauptdarstellers gelüftet wird und sich sein Rivale in den von ihm ausgelegten Fallstricken verfängt. Nun gewinnen auch die Charakterzeichnungen an Schärfe, werden sie doch aus der Unbefangenheit des Lichts in die Vieldeutigkeit der Schatten gerissen. Deltgen und Diessl erweisen sich als Antipoden, wobei beide das Rüstzeug zum Bösewicht mitbringen und die Karten jederzeit neu gemischt werden können. Dieser Aspekt macht die Paarung psychologisch reizvoll und gibt auch der Dame in ihrer Mitte eine tiefere Bedeutung.

Anfangs als schnell zu begeisternde reizende Badenixe präsentiert, die am späten Abend zu Bett geschickt wird, damit die Herren noch eine Zigarre rauchen können, reift sie durch die Enttäuschungen in ihren persönlichen Beziehungen. Da sie ahnungslos und aus gutem Glauben handelt, bleibt der Weg für eine Rückkehr an die Seite ihrer Jugendliebe offen, während die zwei Männer va banque spielen und letztendlich beide damit scheitern. Die flirrende Hitze des brasilianischen Schauplatzes, an dem die Tage ungezwungen und ohne Hast verlaufen, kontrastiert mit den Termingeschäften der Bankiers und den Verpflichtungen gegenüber ihren Aktionären. Das gesellschaftliche Parkett der europäischen Hauptstädte verlangt nach Etikette und lässt sich ebenso durch Rang, Namen und Auftreten täuschen wie die Bewohner der Hazienda. So reizvoll das Spiel mit der doppelten Identität anfangs für den männlichen Hauptdarsteller sein mag, so gefährlich greift es auch nach seiner Existenz, als er glaubt, durch einen Bluff falsch spielen zu können. Zwei Gerichtsverhandlungen vertiefen den Ernst der Handlung, wobei besonders die Rückblende zum Flug über den englischen Kanal bemerkenswert ist und den Rätselfaktor auskostet. Je mehr René Deltgen in den Mittelpunkt rückt, desto mehr verblasst der maliziöse Charme von Gustav Diessl. In "Das Testament des Dr. Mabuse" (1933) hatte er als Thomas Kent selbst mit einem skrupellosen Verbrecher um seine persönliche Freiheit gerungen wie Deltgen nun als Jan Karsten.

Der unpassende Filmtitel erinnert tatsächlich an einen Abenteuerfilm, doch sobald der Zuschauer die exotische Kulisse hinter sich gelassen hat, entwickelt sich ein spannendes Kriminaldrama mit einem charismatischen René Deltgen, bei dem die Kinobesucher in der Reihe hinter mir im Finale "Ach, wie schön!" seufzten. 4 von 5 Punkten

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

28.05.2017 21:20
#60 RE: Der deutsche Kriminalfilm vor 1945 Zitat · Antworten




Der Flüchtling aus Chicago

Kriminaldrama, D 1933/34. Regie: Johannes Meyer. Drehbuch: Max W. Kimmich, Hermann Oberländer (Romanvorlage: Curt J. Braun). Mit: Gustav Fröhlich (Michael Nissen), Hubert von Meyerinck (Werner Dux), Luise Ullrich (Steffi Dux), Lil Dagover (Evelyne), Ernst Dumcke (Generaldirektor von Oetten), Paul Kemp (Buchhalter Lemke), Otto Wernicke (Werkmeister Wolke), Adele Sandrock (Fräulein von Lind), Will Dohm (Billi Ralph), Armand Zäpfel (Inspektor Smith) u.a. Uraufführung: 31. Januar 1934. Eine Produktion der Atlanta-Film GmbH und der Bavaria Filmkunst GmbH.

Zitat von Der Flüchtling aus Chicago
Hätte er die Nachricht vom Tode seines Vaters einen Tag eher erhalten, hätte Werner Dux vielleicht keinen Mord begangen. Der ewig blanke Glücksspieler, der nach dem Auswandern in einem Gangsterhotel in Chicago versumpfte, schoss einen Falschspieler nieder und steckt nun im Gefängnis. Um das väterliche Erbe, eine große Autofabrik in München, nicht verfallen zu lassen, soll Werners Freund Michael Nissen seinen Platz einnehmen – schließlich kennt ihn in der alten Heimat niemand mehr. Nissen willigt ein und wird dem Werk durch harte Arbeit und unkonventionelle Entscheidungen bald unersetzlich. Seine Stellung ist erst bedroht, als Werner, der einen Gefängnisaufstand zur Flucht nutzen konnte, ihm unerwartet gegenübertritt ...


In einer Zeit, in der sich nach dem ersten Regierungsjahr der Nazis viele kreative Köpfe aus Deutschland verabschieden, thematisierte das Kino die umgekehrte Bewegung sowohl in Propaganda- als auch in Unterhaltungsfilmen. „Der Flüchtling aus Chicago“ gehört dezidiert in die zweite Kategorie, denn Anklänge an das karge, von Arbeitsproblemen bestimmte Auswandererleben in Amerika genügen nicht, um die naive Boulevardstruktur des Films zu übertünchen. Im Kern handelt es sich um ein harmloses Spiel mit falschen Namen und Identitäten, die deren Träger daran hindern, seiner großen Liebe – als deren Bruder er sich ausgeben muss – nachzugehen. Sowohl „volkspädagogische“ als auch kriminalistische Elemente baut Johannes Meyer nur pflichtschuldig in diese Romanze ein, die über weite Strecken denn auch wie ein Liebes- oder Selbstfindungsfilm wirkt, in dem das deutsche Pendant zum American Dream vorgelebt wird.

Gustav Fröhlich darf als Strahlemann den sauberen Teil des ungleichen Freundespaars mit Hubert von Meyerinck geben, wobei der Zweitgenannte seiner Rolle eine dekadente Verschlagenheit verleiht. Demgegenüber erfüllt Fröhlichs Figur alle Anforderungen, die das damalige Kino an die Helden seiner Zeit stellte: Anpackend und praktisch veranlagt, weht mit dem falschen Werner Dux ein Wind der Erneuerung durch die angestaubten Autowerke, wird gleichsam ein menschlicher Appell gegen wirtschaftsstrategische Klüngeleien ausgesprochen. Trotz ihrer bevorzugten Position gerieren sich Fröhlich und auch seine Partnerin Ullrich als Vertreter des kleinen Mannes – letzterer wird dann auch umgehend in Gestalt des dauerplappernden „Propagandachefs“ Paul Kemp zum engen Mitarbeiter der Führungsriege befördert, was dem Film manche überlaute Szene beschert.

Die Vorgänge in der Fabrik fallen nur mäßig interessant aus, sodass man schon bald bedauert, dass der Film ihnen so viel Platz zugesteht. Auch wenn die Konstellation um Dux und Nissen einigermaßen konstruiert wirkt, so geht aus dem Duell der „Freunde“ doch wesentlich mehr Sprengstoff hervor als aus dem Wiederaufbau der in den Zündapp-Werken Nürnberg gedrehten Auto- und Motorradproduktion. Leider versäumt es der Film, entsprechende Akzente zu setzen bzw. bleibt dort, wo sich Streit, Hass und ernsthafte Konflikte anbahnen, zu unkonkret und zahnlos. Die ungeschickte Inszenierung beider Mordszenen steht dafür ebenso Pate wie der ungelenke Umgang mit den Polizeifiguren des Films sowie der Gerichtssequenz gen Ende. Somit wartet „Der Flüchtling aus Chicago“ zwar mit vielen guten Möglichkeiten auf, wirkt aus dem heutigen Blickwinkel aber nur wie eine betont sonntagnachmittagtaugliche Abschwächung seiner selbst.

Mit Luise Ullrich und Lil Dagover bedient der Film auf der weiblichen Seite ähnlich weit auseinanderliegende Charakterprofile wie bei Fröhlich und von Meyerinck bei den Männern. Allerdings erscheinen die Rollen der beiden Starschauspielerinnen einigermaßen unausgereift, wenngleich ihre Anlage als treuherzig-realistische Liebhaberin einer- und als elegische Weltfluchtdiva andererseits durchaus zu überzeugen weiß. Das Gesamtbild des Films bleibt in allen Aspekten reizvoll, aber letztlich dann doch eher unbefriedigend.

Kindlich eindeutige Rollentypen verlangen von ihren Schauspielern Natürlichkeit, die stellenweise an der plumpen Regie und der unrealistischen Handlung scheitert. „Der Flüchtling aus Chicago“ ist ein naiver Frühkrimi, der sich aus der Verantwortung stiehlt, wenn die Dramatik zu groß zu werden droht, und mit späteren, ausgereifteren Exemplaren des Genres folglich nicht zu vergleichen. Aufgrund der namhaften Besetzung mit gutem Willen noch 3 von 5 Punkten.

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