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Dieses Thema hat 82 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Billyboy03 Offline




Beiträge: 714

30.12.2011 10:12
#16 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Habe aus aktuellem Anlaß nochmal einen Brief an die Kolleginnen und Kollegen von Icestorm verfasst ...

Zitat
Liebe Ice-Stürmer,

ich möchte mich auf diesem Weg nochmals melden. Als Fan von Kriminalfilmen im Allgemeinen und denen früherer Jahre insbesondere freue ich mich immer wieder über entsprechende DVD-VÖs. Als ehemaliger DDR-Bürger (Jahrgang 1967) finde ich es besonders interessant, die älteren Kino- und TV-Produktionen (gerade im etwas vernachlässigten Krimi-Segment) wiederzusehen. In den letzten Monaten und Jahren ist (auch Dank Icestorm und ARD-Video) Einiges geschehen.

Allerdings ist die Auswahl für Fans teilweise nicht immer nachvollziehbar. Gibt es spezielle Gründe, TV-Klassiker wie die sechs erhaltenen Blaulicht-Folgen nicht in einer Blaulicht-Box zu veröffentlichen? Mit einem kleinen Booklet (recherchiert wurde in den 90er Jahren an der Uni Halle-Wittenberg zu dem Thema ja genug und anschließend in diversen Verlagen ausgewertet) könnte man den (sicher sehr sozialistischen Inhalt) einordnen und aufarbeiten und die Box somit vom Verdacht bloßer Propaganda befreien. Auch andere TV-Klassiker wie die Mehrteiler nach Stoffen von Werner Toelke harren z.B. ihrer Wiederentdeckung.

Es gibt zu diesen Themen diverse Fans, die Wissen zusammentragen und die auch einige Filmfirmen bei der Konzipierung ihrer DVD-Boxen mitberaten haben, um das Produkt letztlich so optimal wie möglich an die Interessen der Zielgruppen anzupassen. Einige sind hier engagiert.

Ich würde mich freuen, von Ihnen mal wieder eine Antwort zu erhalten und wünsche Ihnen einen guten Wechsel ins neue und erfolgreiche Jahr 2012!

BillyBoy03

Georg Offline




Beiträge: 3.263

30.12.2011 11:02
#17 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Zitat von Billyboy03 im Beitrag #16
Gibt es spezielle Gründe, TV-Klassiker wie die sechs erhaltenen Blaulicht-Folgen nicht in einer Blaulicht-Box zu veröffentlichen?

Ein heißer Tipp für die nächste Straßenfeger-Staffel!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

30.12.2011 12:06
#18 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten



Schwarzer Samt

Kriminalfilm, DDR 1963/64. Regie: Heinz Thiel. Drehbuch: Gerhard Bengsch (Buchvorlage „Der scharlachrote Domino“: Fred Unger). Mit: Fred Delmare (Alexander Berg), Günther Simon (Manfred Sibelka), Christa Gottschalk (Helma Sibelka), Christine Laszar (Vera Gorm), Herbert Köfer (Dr. Kosel), Erich Gerberding (Hauptmann Jensen), Christoph Engel (Pitt Steffens), Vera Oelschlegel (Karin Sommer), Rudolf Ulrich (Oberleutnant Wohlfahrt), Trude Bechmann (Frau Igelfink) u.a. Uraufführung: 27. Februar 1964. Eine Produktion des DEFA Studio für Spielfilme.

Zitat von Schwarzer Samt
Herr Berg hatte sich auf seinen verdienten Winterurlaub gefreut, als er auf einen Fall von nationaler Tragweite angesetzt wird. Die Spur führt ihn nach Leipzig, wo er auf den undurchsichtigen Ingenieur Sibelka trifft. Dieser plant offenbar, aus der DDR zu flüchten – doch mit wem und welchen Hintergedanken?


„Mein Name ist Berg, Alexander Berg. Ich bin Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit“, stellt sich der kleine, rundliche Fred Delmare vor. Zu einem Schmunzeln regt diese Bemerkung einerseits an, weil heute jeder ehedem vom MfS, hochdeutsch „Stasi“, Beschäftigte ein solches Arbeitsverhältnis unter allen Umständen abstreiten würde, andererseits aber auch, weil das Ziel der Stasi zu Zeiten der DDR natürlich darin lag, selbst unentdeckt zu bleiben. Derlei Vorstellungen dürften sich folglich arg in Grenzen gehalten haben, ja im Prinzip fürs Kino erfunden worden sein, doch das Erbe der Stasi beschäftigt viele Betroffene und Nichtbetroffene noch heute. Einem Artikel der Sächsischen Zeitung vom 28. Dezember sind die Ausmaße der brüderlich-sozialistischen Untergrundtätigkeit sowie die Unsicherheit über den Umgang mit ihnen nach der Wiedervereinigung zu entnehmen:

Zitat von Jutta Schütz: Geheimes und Banales aus Mielkes Akten, Sächsische Zeitung am 28. Dezember 2011, Seite 2
[M]enschenrechtswidrig hatte das Ministerium für Staatssicherheit Informationen über rund sechs Millionen Menschen zusammengespitzelt, im Osten und zum Teil auch im Westen Deutschlands. […] „Opferakten sind ein Stück geklautes Leben“, sagte die frühere Oppositionelle Ingrid Köppe von den Grünen, als im Herbst 1991 das [Stasi-Unterlagen-]Gesetz im Bundestag beraten wurde. Rainer Eppelmann würdigte die 40 Paragrafen als „Gesetz zum Schutz ausgeschnüffelten Lebens“.


Dieser Stasi-Apparat agiert also als Ermittlerinstanz in „Schwarzer Samt“, was die Position des von Thorsten passend als „echtes Stück Kalter Krieg“ bezeichneten Films als Antithese zur westdeutschen „Fünften Kolonne“ eindeutig manifestiert. Abgesehen von den sehr unterschiedlichen Sichtweisen und Rechtsauffassungen der in den Schwesterstaaten gedrehten Produktionen dürfte gelten: Wem „Die fünfte Kolonne“ gefällt, der mag auch „Schwarzer Samt“. Die Kniffe sind ähnlich: getarnte Identitäten, Reisen – womöglich über die Barriere des Eisernen Vorhangs –, Sabotage, Spitzelei, Decknamen, codierte Nachrichten, verdächtige Pensionszimmer mit Versteckmöglichkeiten für brisante Dokumente, Agentenfotoapparate im Miniformat, falsche Kennzeichen, Züge und nächtliche Ingenieurbüros. Der Anfang der Ermittlungen läuft etwas schleppend an, wenngleich es erfreulich ist, nicht nur die Stadt Berlin mit ihren Eigenheiten zu sehen zu bekommen, sondern auch Leipzig inklusive Völkerschlachtdenkmal und Messe. Je weiter sich „Schwarzer Samt“ jedoch seinem Ende nähert, desto größer werden Spannung und Actionanteil, was in einem fulminanten Finale mit einer gelungenen Auflösung kulminiert.

Fred Delmare zeigt indirekt auf, wie sehr sich Protagonistenfiguren auch abseits ihrer politischen Ansichten verändert haben. Heute würde das Publikum sich wohl trotz überzeugender Darstellung an blanken Äußerlichkeiten wie Statur und Auftreten des gebürtigen Thüringers und unter Karl Georg Saebisch gelernten Mimen mit seinem für Schauspielerverhältnisse markanten Akzent stören. Günther Simon, der aus „Treffpunkt Aimée“ als freundlicher Kommissar in Erinnerung bleibt, darf hier zudem eine völlig andere Seite seines Könnens ausspielen und überzeugt als gerissener DDR-Flüchtling in spe. Vielleicht wollte man sichergehen, einen „gefestigten“ Schauspieler zu wählen, der sich über die Hintergründe und Ideen der Figur nicht allzu viele Gedanken machte: Nachdem Simon 1954/55 im zweiteiligen DEFA-Epos „Ernst Thälmann“ die Titelrolle des Kommunistenführers übernommen hatte, trat er selbst der SED bei und wurde später auch Mitglied der Parteileitung des DEFA-Studios.

Schmissiger Agententhriller mit leichten Startschwierigkeiten, aber äußerst lohnendem Ende. Dazwischen fallen außerdem die erstklassige Sixties-Musik von Helmut Nier sowie eine klassisch-elegante Schwarzweißfotografie auf.

★★★★Filmwertung: 4 von 5 Punkten
★★★★Rote-Socken-Faktor: 4 von 5 Punkten (Relikt der schwersten Krise deutsch-deutscher Beziehungen mit Sabotage und Republikflucht als am liebsten angeprangerte Verbrechen)

DDR-Produkt zum Film: Leipziger Messe. Die Messe mit dem charakteristischen Doppel-M veranstaltete zu DDR-Zeiten im Frühjahr und Herbst universelle Messen, die später durch themengebundene Veranstaltungen – besonders erwähnt sei die Leipziger Buchmesse – ersetzt wurden. Historie der Leipziger Messe auf der Betreiberwebsite. | Kindheitserinnerung: Fred Delmare als einer der sieben Zwerge im DEFA-Märchenfilm „Schneewittchen“ mit Doris Weikow von 1961. Bildergalerie bei Ost-Film.

Billyboy03 Offline




Beiträge: 714

30.12.2011 15:21
#19 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Zitat von Georg im Beitrag #17
Ein heißer Tipp für die nächste Straßenfeger-Staffel!

@Georg, weißt du da mehr?

BillyBoy03

Georg Offline




Beiträge: 3.263

30.12.2011 15:23
#20 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Noch nicht. Könnte ich mir aber durchaus vorstellen. Werde es der Redaktion für die fünfte Staffel der Straßenfeger-Boxen auf alle Fälle 'mal vorschlagen. Hat schon mehrfach in der Vergangenheit funktioniert. ;-)

Billyboy03 Offline




Beiträge: 714

30.12.2011 15:27
#21 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

@Georg: Das wäre ja super!

Mich würde mal interessieren, wie die Arbeitsteilung bei den Straßenfegern funktioniert. Wer hat denn Einfluss auf die Ost-Filme, wie grenzet man sich zum DDR-TV-Archiv von Icestorm (mit der in meinen Augen - was Krimis betrifft - grottigen Auswahl) ab? Und woran liegt es, dass die echten Ost-Krimi-Straßenfeger (nach dem "Unsichtbaren Visier" natürlich) so gar nicht beachtet werden? Und da fallen mir bestimmt noch viele weitere Fragen ein ... ;-)

BillyBoy03

Georg Offline




Beiträge: 3.263

30.12.2011 17:11
#22 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Nach welchen Prinzipien da genau vorgegangen wird, weiß ich leider auch nicht. Liegt wohl auch daran, wozu verfügbares Material da ist und wie die Rechte liegen. Beim Kriminalmuseum hat's z.B. zwei Anläufe gebraucht, bis es in der Edition erscheinen konnte, da rechtlich nicht alles rechtzeitig zu klären war (wäre sonst schon früher erschienen).

Natürlich fehlen da auch noch so Straßenfeger wie "Die Spur führt in den 7. Himmel" mit Jürgen Frohriep usw. Die machen sich 'ne Liste und schauen, was zu machen ist. Ein paar Filme mussten so auch leider schon wieder zurückgezogen werden (stattdessen hat man dann z.B. ungeschickterweise auf eine Box den Kinofilm "Banktresor 713" gepackt.) Den ersten Krimistraßenfeger "Gesucht wird Mörder X" (1959) habe ich z.B. alle Jahre immer wieder angeregt, bis er jetzt endlich erscheinen konnte.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

30.12.2011 17:25
#23 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten



Leichensache Zernik

Kriminalfilm, DDR 1971/72. Regie: Helmut Nitzschke. Drehbuch: Helmut Nitzschke, Gerhard Klein, Joachim Plötner, Wolfgang Kohlhaase. Mit: Alexander Lang (Kriminalanwärter Horst Kramm), Gert Gütschow (Erwin Retzmann), Norbert Christian (Oberrat Kleinert), Kurt Böwe (Kriminalrat Stügner), Hans Hardt-Hardtloff (Josef Probst), Annemone Haase (Katharina Zernik), Lissy Tempelhof (Ingrid Walter), Käthe Reichel (Lucie „Goldlucie“ Matewsky), Ute Boeden (Trude Heinrich), Agnes Kraus (Emma Böhnke) u.a. Uraufführung: 10. März 1972. Eine Produktion des DEFA Studio für Spielfilme.

Zitat von Leichensache Zernik
Berlin, 1948. Eigentlich wollte sie nach Bernau fahren. Doch die Frau steigt schon in Buch aus und wird ein paar Tage später tot in einem nahen Waldstück gefunden. Sie war weder das erste noch das letzte Opfer des Mannes, der mit ihr ging und später ihre Wohnung ausräumte …


Wenn sogar das Katholische Institut für Medieninformation über diesen DEFA-Kriminalfilm als „künstlerisch gute[n] Kriminalfilm mit überzeugender Darstellung des Zeitmilieus“ schreibt, dann scheint etwas Besonderes an ihm zu sein. Allein passend ausgewählte Schauspieler wie Gert Gütschow als zunächst vertrauenerweckender Begleiter, doch schließlich bitterböser Frauenkiller oder Alexander Lang, der Ahnungslosigkeit und Bauernschläue teils hochamüsant zusammenbringt, genügen noch nicht, um dem Film ein solches Alleinstellungsmerkmal zu bestätigen.

Doch schon beim ersten Mord zeigen sich auch Genauigkeit und Intensität der ausgesprochen dokumentarisch ausgefallenen und mit Archivmaterial des Jahres 48 angereicherten Schilderungen. Langsam wird die Spannung aufgebaut, steigert sich dann urplötzlich, als der falsche Bahnbeamte seinen Rucksack fallen lässt, und spitzt sich auf den Moment der Tötung zu, der absolut stumm erfolgt. Erst im Anschluss setzt eine verhaltene Musik ein, die ihrerseits wiederum nach und nach anschwillt und schließlich in lauten Misstönen die geistige Verfassung des Täters charakterisiert. Natürlich muss nicht weiter betont werden, dass der Verbrecher und sein (weitgehend ahnungsloser) Komplize aus dem Westteil der Stadt kommen, wo selbst in den Polizeidienststellen noch belastetes Gedankengut und bauliche Kriegsschäden vorherrschen.

Die Ermittlungen, die die Polizisten aus dem sowjetischen Sektor all diesen widrigen Einflüssen zum Trotz über die ganze Stadt hinweg einziehen, werden als von den politischen Wirren der Viersektorenzeit ebenso sehr wie von Mord betroffen geschildert, was mit dem mehrfachen Wechsel der polizeilichen Besetzung – mit Ausnahme des erfahrenen Kriminalrats Stügner (Kurt Böwe) und seines aus einer breiten Palette von Augenzwinkern bis Trauer schöpfenden Jung-Assistenten Kramm (der erwähnte Alexander Lang) – einhergeht.

Über weite Strecken bekommt man das Gefühl, es mit einer „Stahlnetz“-Folge zu tun zu haben, weil nicht nur lokale Besonderheiten genau herausgearbeitet und in nachträglich vorgenommenen Einblendungen schriftlich festgehalten werden, sondern gleichsam wichtige Elemente der klassischen Serie enthalten sind: Dienstabläufe und -vorschriften, das Durchkämmen von Wald und Flur, die Distanzierung von einem klassischen Whodunit-Schema zugunsten eines suspense-lastigen Rennens zwischen Polizei und Mörder, das der Gejagte mehrfach gewinnen darf, bevor er schließlich gefasst wird. Der letzte Aspekt stellt meinen einzigen Kritikpunkt an der „Leichensache Zernik“ dar: Die Ereignisse laufen teilweise mit einer solchen Spannung ab, dass die 96 Minuten Laufzeit fast schon ein wenig zu viel des Guten sind und der Mörder für meinen Geschmack auch einen oder zwei Versuche eher hätte gefangen werden dürfen.

Authentisch, abenteuerlich, anti-amerikanisch. Das mühevolle Aufsammeln der über ganz Berlin verteilten Spuren und losen Fäden lässt den Wettlauf gegen die Zeit besonders packend ausfallen.

★★★★☆ Filmwertung: 4,5 von 5 Punkten
★★★☆Rote-Socken-Faktor: 3,5 von 5 Punkten (alle westlichen Sektoren und besonders die Amerikaner erschweren und behindern die Rechtsfindung, was zu einem weiteren Mord führt, der Mörder kommt zudem aus West-Berlin)

DDR-Produkt zum Film: Berliner S-Bahn. Nach dem Krieg fiel der Reichsbahn der sowjetischen Besatzungszone bzw. der späteren DDR das Betriebsrecht für das gesamte S-Bahnnetz zu. Dies führte dazu, dass nach dem Mauerbau die Akzeptanz für das Verkehrsmittel im Westteil der Stadt immer weiter sank. Politiker forderten die West-Berliner zum S-Bahnboykott auf. Nach dem Streik der Westberliner Beschäftigten 1980 befuhr die Reichsbahn nur mehr einen Bruchteil der S-Bahnstrecken in West-Berlin. Deutsch-deutsche Historie auf S-Bahn-Berlin.de.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

30.12.2011 23:30
#24 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten



Für Mord kein Beweis

Kriminalfilm, DDR 1978. Regie und Drehbuch: Konrad Petzold (Buchvorlage: Rudolf Hans Bartsch). Mit: Winfried Glatzeder (Hauptmann Lohm), Horst Schulze (Zinn), Peter Bause (Leutnant Gallig), Wolfgang Penz (Unterleutnant Rein), Wolf Goette (Lorras), Hans-Joachim Hanisch (Zumseil), Micaëla Kreißler (Steffi Zinn), Birgit Edenharter (Vera Lohm), Marianne Wünscher (Frau Zoll), Agnes Kraus (Frau Lemke) u.a. Uraufführung: 19. April 1979. Eine Produktion des DEFA Studio für Spielfilme.

Zitat von Für Mord kein Beweis
Die Frau des Züchters Zinn verschwindet von einem Tag auf den anderen. Der Mann, der sich quälende Gedanken macht, meldet sie bei der Polizei als vermisst und tatsächlich findet man ihre Leiche bald darauf nackt in einem See bei Berlin. VoPo-Hauptmann Lohm muss sich nun zwischen Unfall, Selbstmord und Mord entscheiden …


Wir wären nicht in einem waschechten Kriminalfilm, wenn nicht Variante Nummer 3, der lang im Voraus geplante und kaltblütig ausgeführte Mord, der Wahrheit am nächsten käme. So viel kann der Zuschauer voraussehen, doch was sich nach und nach vor uns entfaltet, übersteigt die Erwartungen an den anfangs ziemlich herkömmlich und offensichtlich erscheinenden Kriminalfall bei Weitem.

Mir fallen verschiedenste Punkte positiv auf: Für eine durch und durch politisch motivierte Tat bleibt der Gesamteindruck von „Für Mord kein Beweis“ erfreulich unpolitisch, was sicher nicht zuletzt an dem jungen, unkonventionellen Ermittlertrio liegt, das SED-Formalia wie die Anrede „Genossen“ lieber zum Scherz als in sozialistischem Bierernst verwendet. Hierin besteht ein geschickter Schachzug des Autoren und Regisseurs, die als Freund und Helfer bekannte Volkspolizei noch einmal deutlich als frische, sympathische und unbürokratische Instanz zu schildern. Demgegenüber steht der heutige Ruf der DDR als Polizeistaat, was durch die Polizeidichte faktisch untermauert wird. Während 1989 auf 16,7 Millionen Einwohner etwa 120‘000 Polizisten kamen, was einem Polizisten pro 139 Einwohnern entsprach, steht das vereinigte Deutschland aktuell bei einem Verhältnis von 1:372.

Winfried Glatzeder, der wohl am besten für die Vorzeigeliebesgeschichte „Die Legende von Paul und Paula“ mit Angelica Domröse bekannt sein dürfte, verwischt aber alle Bedenken im Fluge, eignet er sich doch bestens als Gegenpart zum altmodisch steifen Horst Schulze, dessen gesetzte Art geschickt zunächst Vertrauen und Respekt suggeriert. Dabei kommt der Beruf, den der gute Herr ausübt, erst im zweiten Teil des Films zu entsprechender Würdigung und erscheint dann umso bezeichnender und klüger gewählt. Den eindringlichsten Part und die beste schauspielerische Leistung möchte ich allerdings Wolf Goette zusprechen, der in drei, vier kurzen Szenen den gesamten Filmeindruck nachhaltig mitbestimmt.

Auf der anderen Seite steht das allgemein sehr behäbige Tempo des Films, der mit 93 Minuten ein Stück zu lang für das geraten ist, was er erzählt. Bis die alle Sichtweisen verändernde Enthüllung in Form einer Rückblende kommt, vergeht sich die gute Hälfte des Films in wenig fruchtbaren Grundlagenfragen. Spezielle Szenen, die gut und gern hätten gekürzt werden dürfen, sind der im Nachhinein fragwürdige Schwächeanfall von Herrn Zinn, Gespräche mit Frau Lohm oder die Beerdigung. Auch die Bildqualität lässt zum ersten Mal im Rahmen der Edition etwas zu wünschen übrig und verschluckt vor allem in dunklen Szenen einiges von der ursprünglich sicher vorhandenen Stimmung. Dem Progress-Intro zu Beginn des DVD-Tracks sowie dem Letterbox-Format ist ziemlich deutlich zu entnehmen, dass es sich um eine unbearbeitete Übernahme einer Videobildquelle handelt.

Träge, aber unterm Strich dennoch ziemlich lohnenswert. Lokalkolorit kontrastiert mit einem Hauch exzellenter, weil direkt greifbarer Bösartigkeit.

★★★★★ Filmwertung: 3 von 5 Punkten
★☆★★★ Rote-Socken-Faktor: 1,5 von 5 Punkten (durch Aussehen, Habitus, Beruf und soziale Stellung wird der Täter von den übrigen Protagonisten abgegrenzt, dies geschieht jedoch zumeist ohne jede explizite Betonung)

DDR-Produkt zum Film: FKK-Baden. Die Eigenheit des auf andere Weise „freien Urlaubs“ wurde glücklicherweise nicht zum Exportschlager.

Billyboy03 Offline




Beiträge: 714

31.12.2011 11:04
#25 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #24
DDR-Produkt zum Film: FKK-Baden. Die Eigenheit des auf andere Weise „freien Urlaubs“ wurde glücklicherweise nicht zum Exportschlager.

Bislang uneingeschränktes d'accord mit allen Einschätzungen und Wertungen! Das FKK-Baden allerdings als DDR-Erfindung zu kennzeichnen, ist nicht korrekt. Die Freikörperkultur greift auf eine lange Tradition zurück bzw. ist erst erwähnenswert, weil im ausgehenden 18. Jahrhundert das damalig übliche Nacktbaden durch das sittlich "korrektere" Baden in Badeanzügen ersetzt wurde. Um 1900 herum wurde der erste Nachktbadeverein in Essen gegründet. In der DDR setzte sich das Nacktbaden nicht sofort und nicht ohne Konflikte zwischen liberalen Künstlern und der Obrigkeit durch.

Zitat von Wikipedia
Der Beginn des Naturismus in der DDR lag in den frühen 1950er Jahren in Ahrenshoop. In dem Badeort an der Ostsee entstanden Bereiche, in denen Künstler und Intellektuelle erstmals das Nacktbaden einführten. Die Region war ein Badeort der gesellschaftlichen Avantgarde der DDR, ein Urlaubsort für zahlreiche Schriftsteller, Schauspieler und Politiker. Es kam in den folgenden Jahren zu Konflikten zwischen bekleideten und unbekleideten Badegästen, bis die Gemeindeverwaltung Ahrenshoop im Mai 1954 das Nacktbaden verbot. Aus dieser Zeit stammt auch die später bekanntgewordene Anekdote, wonach der Kulturminister Johannes R. Becher eine nacktbadende Frau mit den Worten: „Schämen Sie sich nicht, Sie alte Sau?“ anschrie. Es handelte sich dabei um Anna Seghers, die er nicht erkannt hatte. Als Becher ihr wenige Wochen später den Nationalpreis erster Klasse mit den Worten „Meine liebe Anna“ überreichte, erwiderte Seghers für alle deutlich hörbar: „Für dich immer noch die alte Sau.‘“


Wer mehr über diese Zeit aus erster Hand erfahren will, dem ist das Buch "Das Haus am Hohen Ufer" von George Tenner empfohlen.

Und inzwischen ist es an vielen Stränden und Badeseen wieder möglich, ohne Hüllen das Wasser und die Luft zu genießen, nachdem viele Westdeutsche sich in den 90er Jahren als Besucher an den Stränden über das nackte Treiben mokierten (was in vielen Fällen als unhöflich von den Einheimischen gewertet wurde, denn als Gast oder Besucher führt man sich so nicht auf, oder? ;-)).

BillyBoy03

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

31.12.2011 11:10
#26 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Du hast sicher Recht, aber ich habe auch nicht geschrieben, dass FKK in der DDR erfunden wurde. Zu "Razzia" habe ich "Bohnenkaffee" angeführt und sicher geht dort ebenso wenig jemand davon aus, dass der in der DDR erfunden wurde.

Billyboy03 Offline




Beiträge: 714

31.12.2011 12:43
#27 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

@Gubanov: Sicher nicht, aber der Hinweis auf FKK erweckt schon sehr den Eindruck, es handle sich um eine reine DDR-Erscheinung. Dem wollte ich eine Entgegnung hinzufügen. Und beim Kaffee ging es ja nicht um den Kaffee als solchen, sondern um dessen chronische Knappheit etc. Das waren sehr interessante, auch für mich teils neue Ausführungen, die ich unter deinem Link gefunden habe.

Im Übrigen wurden in den 80er Jahren aus Gründen der Devisenknappheit auch Importwaren wie Zitronat (unverzichtbar für die Produktion des berühmten "Dresdner Stollen") durch gelierte, unreife Tomaten ersetzt, was laut DDR-Wissenschaftlern keinen geschmacklichen Unterschied erkennbar werden ließ. Tja ...

BillyBoy03

Georg Offline




Beiträge: 3.263

31.12.2011 15:44
#28 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Für Mord kein Beweis
DDR 1978, Regie: Konrad Petzold

Besprechung enthält Spoiler!

Habe heute Nachmittag nach den Besprechungen hier im Forum die DVD aus dem Regal geholt und mich 93 Minuten lang gut unterhalten. Konrad Petzold ist da ein sehr spannender Kriminalfilm gelungen, der im Vergleich zu einigen DDR-TV-Produktionen jener Zeit (speziell Polizeiruf 110 und Der Staatsanwalt hat das Wort) einerseits relativ flott in der Erzählstruktur (ich finde nicht, dass der Film zu behäbig erzählt ist) und andererseits relativ unkonventionell im Bezug auf den Gehorsam gegenüber dem DDR-Regime daher kommt.

Wilfried Glatzeder ist trotz seines relativ jungen Alters bereits Hauptmann? Relativ unwahrscheinlich. Genosse Fuchs vom Polizeiruf 110 war wesentlich älter, als er mit dem "Fall Lisa Murnau" (1971) den ersten Polizeiruf 110 einläutete und war da nur Oberleutnant. Bis 1978 und zu Folge Schuldig musste er warten, damit er Hauptmann wurde. Das zum einen. Zum anderen: ein DDR-Polizist, der im Dienst raucht, Bier und sogar Cognac trinkt? Mich wundert, dass das nicht von den "Genossen des Ministerium für Inneren", denen im Vorspann explizit gedankt wird, beanstandet wurde. Im Fernsehen durften Fuchs, Hübner & Co. nicht einmal den obersten Hemdsknopf aufmachen und wie mehrfach in Dokumentationen berichtet wurde, schon gar nicht rauchen oder in der Dienstzeit trinken.

Zitat von Gubanov im Beitrag #24
Für eine durch und durch politisch motivierte Tat bleibt der Gesamteindruck von „Für Mord kein Beweis“ erfreulich unpolitisch, was sicher nicht zuletzt an dem jungen, unkonventionellen Ermittlertrio liegt ...

Diesbezüglich hat der Film sicherlich einen Pluspunkt, da ihm das fast zu erwartende und beinah obligatorische Kuschen vor der Obrigkeit und die üblichen Formalitäten abgehen. Die Geschichte mit dem Naziarzt ist übrigens dann doch nicht neu, dieses Motiv wurde vielfach im DDR- und Ostblock-Krimi gewählt, da man ja mit Ausnahme weniger Bürger - wie in diesem Falle faschistisch-nationalsozialistisch vorbelasteten Menschen - einem sozialistischen Staatsbürger keinen Mord zutrauen konnte ("Im Sozialismus gibt es kein Verbrechen!").

Schön sind auch die Aufnahmen Ostberlins aus dem Jahre 1978, Regisseur Petzold beginnt und beendet seinen Film bewusst mit Alltagsausschnitten aus dem Zentrum der DDR. Auch die Musik von K.-E. Sasse, der ja unzählige qualitätsvolle Soundtracks fürs Fernsehen ablieferte, ist stimmig. Wilfried Glatzeder als Ermittler überzeugt dann doch, er hat Gott sei Dank den Taliban-Bart, den er etwa im 1975er Polizeiruf 110 "Ein Fall ohne Zeugen" getragen hat, abgelegt.

Ungewöhnlich für einen DDR-Film auch der katholische Priester (der allerdings fälschlicher Weise statt "Der Herr aber wird Dich auferwecken" "Der Herr aber wird Dich aufnehmen" sagt).

Insgesamt ein recht sehenswerter Krimi (auch wenn ich bereits am Anfang ahnte, wer der Täter ist).

Billyboy03 Offline




Beiträge: 714

31.12.2011 15:59
#29 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Ebenfalls Spoiler zu "Für Mord kein Beweis"!

Ich hatte vor dem Film bereits das Buch gelesen, welches in meiner Erinnerung die entscheidende Wendung zur Entlarvung des Täters etwas später mit sich bringt als der Film. Im Film selber war dann ab ca. Mitte klar, daß der freundliche Herr Zinn etwas zu verbergen hat. Letztlich beginnt das Ganze zunächst konventionel erzählt, dann läuft es auf ein Duell Lohm - Zinn hinaus. Aber das ist unterhaltsam gemacht und spannend auch. Zumal die Stärke der DEFA-Gegenwartsfilme, wenn sie gut gemacht sind, immer darin bestand, das Lebensgefühl und entsprechendes Zeitcolorit gut zu spiegeln, (wenn auch aus Zensurgründen nicht Eins zu Eins).

Die Schlagzeile im "Film-Spiegel", der monatlich erscheinenden Kino-Zeitschrift der DDR, lautete damals "Jetzt hat auch die DEFA ihre Wasserleiche!". Nun denn!

BillyBoy03

Billyboy03 Offline




Beiträge: 714

31.12.2011 16:07
#30 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #18
„Mein Name ist Berg, Alexander Berg. Ich bin Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit“, stellt sich der kleine, rundliche Fred Delmare vor. Zu einem Schmunzeln regt diese Bemerkung einerseits an, weil heute jeder ehedem vom MfS, hochdeutsch „Stasi“, Beschäftigte ein solches Arbeitsverhältnis unter allen Umständen abstreiten würde, andererseits aber auch, weil das Ziel der Stasi zu Zeiten der DDR natürlich darin lag, selbst unentdeckt zu bleiben.

Eine Nachbemerkung sei gestattet: Die Besetzung des Alexander Berg mit Fred Delmare ist in meinen Augen der größte Fehlgriff dieses Filmes. Der Schauspieler Delmare lieferte vor- und nachher den Beweis, dass er in komödiantisch angelegten Rollen zu echter Hochform auflaufen konnte. Als tougher Stasi-Ermittler überzeugt er mich keine Sekunde lang.

Im Übrigen wollte die Stasi mit diesem Film ganz OFFENsichtlich dem breiten DDR-Publikum zeigen, dass es sie gibt und dass sie das Land vor Saboteuren und westlichen Agenten schützt und gleichzeitig ein Auge auf unsichere oder ungefestigte Elemente hat. Dies widerspricht nicht dem eingangs formulierten Ansinnen, möglichst unsichtbar zu bleiben sondern spiegelt die zweite Seite der gleichen Medaille.

BillyBoy03

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