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Dieses Thema hat 82 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

31.12.2011 16:15
#31 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Die zweite Seite der Medaille bezeichnet aber eben auch einen zweiten, völlig anderen inhaltlichen Aspekt. Positive Außenwerbung für Schutz vor dem Klassenfeind mochte drin sein, aber die immense innere Überwachungsstruktur bleibt auch in diesem Film unerwähnt, abgesehen davon, dass auch "Schwarzer Samt" schildert, dass alle Vorgänge weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit geschehen. Wie sehr das Gezeigte im Endeffekt überhaupt mit den realen Tätigkeitsfeldern und -arten der Stasi übereinstimmt, sei sowieso dahingestellt.

Gubanov ( gelöscht )
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01.01.2012 12:56
#32 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten



Die Beteiligten

Kriminalfilm, DDR 1988/89. Regie: Horst E. Brandt. Drehbuch: Gerhard Bengsch. Mit: Manfred Gorr (Hans Gregor), Gunter Schoß (Erwin Müller), Jürgen Zartmann (Willi Stegmeier), Karin Ugowski (Eva Sorge), Christoph Engel (Ewald Sorge), Karin Gregorek (Anna Sell), Katrin Knappe (Helga Jordan), Renate Heymer (Betty Stegmeier), Peter Kube (Staatsanwalt Matthes), Wolfgang Greese (Richard Sell) u.a. Uraufführung: 15. Juni 1989. Eine Produktion des DEFA Studio für Spielfilme.

Zitat von Die Beteiligten
Die Ratsangestellte Christa Gellert wird tot aus der Elbe gezogen. Zwei Kollegen sagen aus, sie haben sie hineinfallen gesehen. Nichts spricht für Vorsatz, bis das Gerede laut wird, Christa sei von ihrem Chef schwanger gewesen. Dies hat die Exhumierung und viele unangenehme Fragen zur Folge. Christa wird nicht die letzte Leiche sein …


„Die Beteiligten“ wird zumeist dafür gelobt, dass sich der Film deutlich gegen den Mief und fragwürdigen Zusammenhalt politischer, eigentlich nicht anzweifelbarer Schichten wendet. Es erscheint logisch, dass ein solches Projekt, wie es ursprünglich zunächst in den 1960er Jahren vorgesehen und sogar mit ersten Probeaufnahmen begonnen wurde, nicht realisiert werden konnte, sondern in die letzten Züge des diktatorischen, aber 1988 nun mehr aufgeweichten Staates verschoben werden musste. Dass, wie im Film gesagt wird, jemand, der auf einem Podest steht, gleichsam unter dem Gesetz steht, war lange Jahre nicht selbstverständlich.

Eine persönliche Beobachtung liegt mir allerdings näher als die allgemeine politische Sichtweise, die sich beim Betrachten des Films ganz automatisch erschließt. Offen und untabuisiert wird nämlich der Schwangerschaftsabbruch thematisiert. Dieser Umstand machte es nötig, die Geschichte um „Die Beteiligten“ in ihrer ursprünglich angedachten Zeit im Jahr 1964 spielen zu lassen. Im Gegensatz zur Bundesrepublik, wo reaktionäre kirchliche Kreise und – zu großen Teilen männliche – Bedenkenträger der Frau das Recht zur eigenen, freien Entscheidung bis in die 1990er Jahre hinein nicht überlassen wollten, nahm die DDR eine fortschrittliche und vorausdenkende Position ein. Der geringe religiöse Einfluss ermöglichte es schon ab 1972 jeder Schwangeren, sich bis zur zwölften Woche selbst zum Abbruch der Schwangerschaft zu entschließen. In der Geschichte der Volkskammer der DDR war dies übrigens der einzige Gesetzesbeschluss, der nicht einstimmig, sondern bei 14 Gegenstimmen von – wer hätte es gedacht? – CDU-Abgeordneten und 8 Enthaltungen verabschiedet wurde. Das Gesetz befindet im Wortlaut: „Die Gleichberechtigung der Frau in Ausbildung und Beruf, Ehe und Familie erfordert, dass die Frau über die Schwangerschaft und deren Austragung selbst entscheiden kann. Die Verwirklichung dieses Rechts ist untrennbar mit der wachsenden Verantwortung des sozialistischen Staates und aller seiner Bürger für die Verbesserung des Gesundheitsschutzes der Frau, für die Förderung der Familie und die Liebe zum Kind verbunden.“ Eine Zeitzeugin berichtet weiterhin:

Zitat von Deutsches Rundfunkarchiv: Es war eine einsame Entscheidung …, 2006, Seite 3
„Wir wussten auch, dass die Regelung unkompliziert in Anspruch genommen werden konnte. Die jeweilige Entscheidung wurde vom Arzt ohne Diskussion akzeptiert, natürlich fand eine Aufklärung über die möglichen gesundheitlichen Risiken statt. Aber ansonsten blieb die eigene Entscheidung völlig unbeeinflusst.“


Die mit einem Mehr an Selbstbestimmung verbundene Entchristlichung der DDR machte sich auch im alltäglichen Leben sowie in Statistiken bemerkbar. So gewann gegenüber Konfirmation oder Firmung als Markierung des Eintretens ins Erwachsenenalter die komplett von religiösen Befindlichkeiten losgelöste Jugendweihe, die übrigens bereits Mitte des 19. Jahrhunderts Bestand hatte, an immenser Bedeutung. Neubaugebiete erhielten keine eigenen Kirchen, sondern Einrichtungen zur Kinderbetreuung. 1990 waren zudem nur mehr 25 Prozent der DDR-Bürger christlich und die Zahl sank noch einmal merklich, als nach der politischen Wende plötzlich eine verpflichtende Kirchensteuer fällig wurde. In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, dass sich „Die Beteiligten“ eine versteckte Spitze, die aber wohl die ideologischste des gesamten Films ist, gegen ein gläubiges Ehepaar erlaubte und diese als intolerant, autoritär und wirr porträtierte. Da es einerseits für die Handlung nötig ist und sich andererseits sicher einige solcher Beispiele auch in der Realität finden lassen, stört das Durchschimmern aber keineswegs.

Es bleiben sehr solide schauspielerische Leistungen auf allen Seiten (Erwin Müller, der ältere der Ermittler, erinnerte mich eingangs an Wolf Frees, zeigt dann aber zunehmend offen sein unangenehmes Gesicht), leise, einfühlsame Musikuntermalung und gekonnte Kombinationen von warmen und kalten Farben. Überhaupt bedient „Die Beteiligten“ die optische Schiene ganz besonders: Ob Drehorte in Stendal, an der nahen Elbe und in Berlin oder direkt stylische Vor- und Abspänne – die technische Kunstfertigkeit der DEFA gerade gegenüber dem westdeutschen Kinountergang der 1970er und 1980er Jahre darf als mustergültig hervorgehoben werden. Wiedersehen und Fortsetzung des DDR-Exkurses sind garantiert.

Intensive und zugleich ruhige Studie über Kleinstadtleben und -klüngel.

★★★★Filmwertung: 4 von 5 Punkten
★★★★★ Rote-Socken-Faktor: 0 von 5 Punkten (eigentlich sollte wie bei der Filmwertung die Eins das Minimum sein, doch in puncto Obrigkeitstreue unterbietet „Die Beteiligten“ „Razzia“ noch einmal deutlich; die mehrfach eingestreute Kritik am praktischen Sozialismus macht deutlich, dass das Ende der DDR nicht weit ist)

DDR-Produkt zum Film: Ost-Cola. Tatsächlich konnten auch Genossen Cola trinken. Gefährlich war schließlich nicht der Zuckergehalt, sondern allein die US-Marke mit dem Coca-Vornamen. Die DDR sorgte folglich selbst für den Eigenbedarf und Wikipedia bestätigt, dass es im Arbeiter- und Bauernstaat nicht weniger als 27 verschiedene Hersteller des Getränks gab. Die heute noch bekannteste dürfte Vita-Cola sein. Überblick bei Wikipedia. | Kindheitserinnerung: Karin Gregorek und Wolfgang Greese in der MDR-Jugendserie „Mama ist unmöglich“. Der Comedy-Serie, die von 1997 bis 99 lief, verleihe ich höchstselbst das Prädikat Kultklassiker. Vor allem die erste Staffel mit Franziska Troegner als kriminalromanschreibende Mama darf niemand nicht gesehen haben. In einer Folge geht es sogar annähernd um Edgar Wallace. Einstimmung bei Youtube.

Billyboy03 Offline




Beiträge: 714

01.01.2012 14:31
#33 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Vielen Dank an Gubanov für die gute inhaltliche und künstlerische Einordnung der 6 Filme der DDR-Krimi-Box Nr. 1.

Zum letzten Film ist aus der Sicht eines gelernten DDR-Bürgers (Jahrgang 1967) noch hinzuzufügen, dass die Kritik, die dieser Film offen ausspricht, leider etliche Jahre zu spät kam. Die Umstände hat Gubanov (und ich auch) bereits angedeutet. Der Film ist auf seiner Premiere im Juni 1989 mit Wohlwollen vom Publikum aufgenommen worden. Allerdings hatte man zu dieser Zeit allenthalben das Gefühl, dass dieser Staat auf tönernen Füßen steht und seine Macht nicht mehr komplett und um jeden Preis ausspielen konnte oder wollte. Zur Einnerung: In diesem Sommer begann der Exodus über Ungarn und Prag.

Zitat von Gubanov im Beitrag #32
In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, dass sich „Die Beteiligten“ eine versteckte Spitze, die aber wohl die ideologischste des gesamten Films ist, gegen ein gläubiges Ehepaar erlaubte und diese als intolerant, autoritär und wirr porträtierte. Da es einerseits für die Handlung nötig ist und sich andererseits sicher einige solcher Beispiele auch in der Realität finden lassen, stört das Durchschimmern aber keineswegs.

Diese Vorgehensweise war allerdings üblich in den DDR-Medien, ebenso bei Büchern etc. In der Kritik, oft am Ende auch als Verbrecher entlarvt, wurden dann "kleinbürgerliche oder rückschrittliche" Elemente, selbständige Unternehmer, Handwerker etc. Neu war allerdings, daß m.W. zuvor in keinem einzigen Krimi ein hoher SED-Funktionär als Schuldiger eines Verbrechens überführt wurde! In der Regel durften die Täter nicht einmal einfaches SED-Mitglied sein (auch da gab es mal eine Ausnahme: "Polizeiruf 110"-Folge "Auskünfte in Blindenschrift").

BillyBoy03

Billyboy03 Offline




Beiträge: 714

01.01.2012 14:40
#34 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #31
Die zweite Seite der Medaille bezeichnet aber eben auch einen zweiten, völlig anderen inhaltlichen Aspekt. Positive Außenwerbung für Schutz vor dem Klassenfeind mochte drin sein, aber die immense innere Überwachungsstruktur bleibt auch in diesem Film unerwähnt, abgesehen davon, dass auch "Schwarzer Samt" schildert, dass alle Vorgänge weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit geschehen. Wie sehr das Gezeigte im Endeffekt überhaupt mit den realen Tätigkeitsfeldern und -arten der Stasi übereinstimmt, sei sowieso dahingestellt.

Der normale DDR-Dürger hatte i.d.R. keine Ahnung, wie und wo er durch die Stasi überwacht werden konnte. Dass man am Telefon (gerade bei Gesprächen in den Westen) abgehört wurde, war allen klar. Dass u.U. Briefe (in den Westen oder aus dem Westen) geöffnet wurden, ebenso. Der ganze Rest (Tausende an IMs, verdeckte Haussuchungen etc.) war im Prinzip bis 1989 nicht bekannt (es sei denn, man war Opfer dieser Dinge geworden). Allerdings agierte die Stasi auch ganz offen in den Betrieben: Dort gab es regelmäßige Treffen von Verbindungsoffizieren mit Betriebs- und Kaderleitern (Personalchefs), die per Gesetz zur Zusammenarbeit mit den "Sicherheitsorganen" verpflichtet waren und regelmäßig Auskunft gaben zur allegemeinen Stimmung der Belegschaft, aber sicher auch konkret bei bestimmten Verdachstfällen (illegaler Grenzübertritt z.B.) befragt wurden. Dies war den Beschäftigten bekannt, auch, wer diese Gespräche führte etc. Nach 1989 war die Verblüffung eben groß, als man mitbekam, wie groß das dahinter verborgene geheime Netz noch war! So erkläre ich mir das "offensive" Vorgehen des "Aleander Berg" in "Schwarzer Samt".

BillyBoy03

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

08.01.2012 13:19
#35 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

BEWERTET: "Razzia" (DDR 1947)
mit: Paul Bildt, Elly Burgmer, Claus Holm, Friedhelm von Petersson, Agathe Poschmann, Hans Leibelt, Nina Konsta u.a. | Drehbuch: Harald G. Petersson | Regie: Werner Klingler

Kriminalkommissar Naumann hat es nicht leicht. Er soll den Schwarzhandel in seinem Bezirk eindämmen und die Vertriebszentrale ausheben, die er im Nachtclub "Alibaba" vermutet. Bald hat er den Verdacht, dass einer seiner Leute Beziehungen zu den Leuten dort unterhält und diese warnt, wenn eine Kontrolle vorgesehen ist. Als er eine heiße Spur verfolgt, wird er ermordet und man betraut Karl Lorenz, den Verlobten seiner Tochter mit den Aufgaben des Dezernats. Dieser erkennt schon bald, dass Paul Naumann, der Sohn seines getöteten Kollegen, selbst in den illegalen Handel verwickelt ist.


Zitat von P.M. Doko, 2006 (1), 'Berlin 1948-49: Die Luftbrücke', S. 74f
Infolge der Notlage blüht der Schwarzhandel; schätzungsweise fünf bis sieben Prozent der Lebensmittel und etwa zwölf Prozent der Textilien gelangen auf den schwarzen Markt, wo sie oft das 30-fache des amtlich zugelassenen Preises erzielen. Dort, auf den illegalen Märkten, gab es alles, was das Herz begehrte: Butter, Fleisch, Speiseöl, Honig, Kaffee, Kartoffeln, Schuhe, Wäsche. "Ami-Kippen" wie "Chesterfield", "Camel" oder "Lucky Strike" waren die gängige Währung. Es waren harte Zeiten nicht nur für die Berliner Bevölkerung. Auch die Polizei hatte in allen vier Berliner Sektoren jede Menge Arbeit. Denn die Schwarzmärkte waren ein Eldorado für Betrüger, die Kunden Schmieröl statt Honig andrehten, Schnaps mit Wasser streckten, Mehl mit Gipspulver vermischten oder gefälschte Ami-Zigaretten verkauften. Schnell entwickelte sich eine regelrechte Schwarzmarkt-Mafia mit gut organisierten Banden. Allein 1946 hob die Polizei 45 Gangs mit jeweils mehr als 20 Mitgliedern aus.


Claus Holm (geb. 1918) erspielt sich durch sein ernstes, aber auch herzliches Auftreten die Sympathien des Publikums. Geradlinig geht er jedem Hinweis nach und lässt sich weder von seinem Vorgesetzten, noch von der Verbindung zur Schwester eines Verdächtigen bremsen. Der Konflikt, der sich aus der Situation ergibt, wird von ihm ehrenhaft bewältigt und sein gutes Gewissen verhindert, dass er um die Loyalität seiner Verlobten fürchten muss. Diese hat es schon weitaus schwerer. Sie musste den Eltern jahrelang die drei im Krieg verschollenen Brüder ersetzen und trotz eigener Entbehrungen für Normalität und Kontinuität in der Familie sorgen. Ihr einziger Ausweg aus der Tristesse des Heims, in dem nur der Vater Geld nach Hause bringt, ist die Heirat mit dem Kriminalbeamten Karl Lorenz, der sich nicht nur der Billigung durch ihre Eltern erfreuen darf, sondern wirklich ihr Herz gewonnen hat. Die Mutter, von den Tränen um ihre drei Söhne geschwächt und ausgezehrt, wird von den übrigen Familienmitgliedern mit besonderer Rücksichtnahme behandelt und darf deshalb vom Treiben ihres aus der Gefangenschaft heimgekehrten Sohnes nichts erfahren. Der Film macht vergessen, dass es gerade die Frauen waren, die Stärke und Durchhaltewillen beweisen mussten, dass sie es waren, die nach vorne schauten, den Wiederaufbau einleiteten und sich nach Kriegsende allein durchschlagen mussten. Die Tatsache, dass sie nach der Rückkehr ihrer Männer und der Wiederherstellung "geordneter Verhältnisse" in ihre traditionelle Rolle zurückgedrängt wurden, ändert nichts an ihrem Mut und ihren Leistungen, auf die keine moderne Gesellschaft verzichten kann.

Paul Naumann verkörpert die junge Generation, die voller Elan nach dem Krieg neu beginnen möchte und sich mit dem Problem konfrontiert sieht, dass es im Zivilleben nichts mehr für sie zu tun gibt. Die Schlussfolgerung, dass viele aus ihren Reihen so in die Hände krimineller Vereinigungen getrieben wurden, stellt bereits Fritz Lang in "Das Testament des Dr. Mabuse" von 1932. Bei Paul kommt noch eine gehörige Portion Naivität hinzu, was ihn ein willkommenes Opfer skrupelloser Schieber werden lässt. Die dichte Atmosphäre erhält 91 Minuten Zeit, sich zu entfalten. Dem Zuseher wird zugestanden, eine gewisse Spanne zu brauchen, sich in die längst vergangenen Tage einzufühlen und das Lebensgefühl jener Zeit nachzuempfinden. Die düsteren Szenen in ausgebombten Gebäuden; auf Schrottplätzen, die ausgemusterte Panzer beherbergen und in den Gassen, die den Weg in die Finsternis weisen. Der Anhalter Bahnhof, ein besonderer Favorit von mir, bekommt leider nur eine kurze Szene, die zudem ganz in den Rauch der ankommenden Züge gehüllt ist. Die Stimmung erinnert an den Klassiker "Der dritte Mann", entbehrt aber die Ironie und Leichtigkeit, mit der in Wien solche Geschichten inszeniert wurden. Deshalb ist "Razzia" ein authentisches Stück Zeitgeschichte und unterhält nebenbei durch eine Kriminalhandlung, die aus dem Leben gegriffen ist, ohne dabei den gewünschten Abstand mittels glamouröser Schauplätze (das "Alibaba" mit der aufgerüschten Sängerin) missen zu lassen. Erleichtert seufzt der Zuseher am Ende auf und hofft, dass nun alles ins Lot kommt. Die Botschaft ist klar: Nähre dich redlich und du wirst dein Glück machen.

Spannende Kriminalgeschichte aus den Nachkriegsjahren, die mit engagierten Darstellern und einer für die Nachwelt wichtigen Geschichtslektion aufwartet.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

14.01.2012 11:31
#36 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Klassenkameraden
DDR 1984, Regie und Buch: Rainer Bär
Mit Alfred Müller, Lothar Schellhorn, Gert Gütschow, Günter Rüger, Horst Kotterba, Otto Mellies, Annekathrin Bürger, Marijam Agischewa, Wolfgang Lohse, Hartmut Schreier

Kriminalpolizei-Hauptmann Hannes Bergemann, den ein Fall in jene Stadt führt, in der er seine Jugend verbracht hat, hofft, seine damaligen Freunde Fred, Helmuth und Richard wiederzusehen. Kaum ist Bergemann angekommen, wird ein Mord begangen. Bergemann wird mit den Ermittlungen betraut. Er muss feststellen, dass seine Jugendfreunde in diesen Fall verstrickt sind. (Movieplot.de)

Was wie ein 08/15-Krimi laut der Beschreibung klingt, ist ein wunderbar gemachter Kriminalfilm, der die meisten staubigen DDR-TV-Krimis in den Schatten stellt und deshalb vermutlich auch nicht wie geplant als Polizeiruf 110 gesendet wurde. (Ein "Schicksal", das ja auch Bärs Gelb ist nicht nur die Farbe der Sonne ereilte).

Selten habe ich eine derart vorzügliche Kamera- und Lichtarbeit gesehen, selten eine so detailverliebte Inszenierung. Rainer Bär, der ja auch mit Der Tod des Pelikans einen kunstvollen Thriller geschaffen hat, versteht seinen Film wohl als Hommage an Alfred Hitchcock (nicht umsonst sieht man in einer Szene im Schaufensterladen eines Geschäfts ein Bild des Altmeisters). In der Tat könnte die Story auch dem britischen Kultregisseur gefallen haben, die Ausleuchtung der vielen Nachtszenen ist formidabel, die Kamerafahrten mit dem Kamerakran und die ungewohnten Perspektiven bestens durchdacht. Die 40er-Jahre-Musik will so gar nicht zu den Szenen passen, macht aber aus der Produktion einen liebenswerten, originellen Kriminalfilm.

Rainer Bär war ein vorzüglicher Regisseur, gerne erinnere ich mich auch an seinen medienkritischen Thriller "Das 11. Gebot" (1998), bei dem Vadim Glownas Sohn in Budapest spurlos verschwindet.

P.S. "Klassenkameraden" wird immer mal wieder von den Dritten ausgestrahlt, zuletzt vor ca. einem Monat auf HR.

Cora Ann Milton Offline



Beiträge: 5.110

14.01.2012 11:56
#37 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Die Musik von Glenn Miller, die des Öfteren eingespielt wird, soll wohl an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern, als die Protagonisten noch Freunde waren - eine Reminiszenz an eine verloren gegangene Zeit. Das Zithermotiv erinnert sicher nicht von ungefähr an Anton Karras' unsterbliches Harry-Lime-Thema aus Carol Reeds Klassiker "Der dritte Mann".

Deine Meinung zu Rainer Bär kann ich nur unterstreichen. Seinen Film "Gelb ist nicht nur die Farbe der Sonne" (den er übrigens wunderbar mit Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 "Elvira Madigan" unterlegt hat) empfinde ich ebenfalls als sehr gelungen.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

14.01.2012 12:12
#38 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Zitat von Cora Ann Milton im Beitrag #37
Das Zithermotiv erinnert sicher nicht von ungefähr an Anton Karras' unsterbliches Harry-Lime-Thema aus Carol Reeds Klassiker "Der dritte Mann".

In der Tat, daran habe ich auch gedacht. Irgendwie eine Liebeserklärung an die Filme jener Zeit.

"Das elfte Gebot" würde ich gerne wieder mal sehen, leider schon ewig nicht wiederholt worden.

Billyboy03 Offline




Beiträge: 714

16.01.2012 16:30
#39 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Auch ich habe diesen Film und Rainer Bär als herausragend wahrgenommen in den 80er und 90er Jahren. Es hat - wenn ich richtig liege - die DDR vor dem Mauerfall verlassen und in Westdeutschland gearbeitet.

BillyBoy03

Matze K. Offline



Beiträge: 1.060

16.01.2012 21:36
#40 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Ich habe mir auch 'mal die erste Box bestellt - bin gespannt. ;)

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

21.02.2012 16:17
#41 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

BEWERTET: "Leichensache Zernik" (DDR 1972)
mit: Alexander Lang, Gert Gütschow, Norbert Christian, Kurt Böwe, Hans Hardt-Hardtloff, Annemone Haase, Friedel Nowack, Lissy Tempelhof, Käthe Reichel, Ute Boeden, Agnes Kraus, Günter Naumann, Dieter Wien, Jürgen Holtz, Rolf Hoppe, Jörg Gillner, Justus Fritzsche u.a. | Drehbuch: Gerhard Klein, Joachim Plötner, Wolfgang Kohlhaase, Helmut Nitzschke | Regie: Helmut Nitzschke

Berlin, 1948. Der Hunger beherrscht immer noch das Denken der Bevölkerung. Selbst Polizeibeamte gieren nach den Stullen ihrer Kollegen und alleinstehende Frauen fahren über Land, um Sonderrationen zu erhalten oder Habseligkeiten gegen Lebensmittel einzutauschen. So auch Frau Zernik. Die junge Witwe hofft, an Eier und Fleisch zu kommen, ahnt aber nicht, dass sie bald einem kaltblütigen Serienmörder in die Hände fallen wird. Einem Mann, der sie töten, mit Säure zur Unkenntlichkeit entstellen und anschließend ihre Wohnung ausräumen wird. Der junge Kriminalpolizist Horst Kramm, der gerade seinen Dienst angetreten hat, wird zur Mordkommission abberufen, wo er durch ehrliches, mutiges und engagiertes Handeln bald den Respekt seines Vorgesetzten gewinnt und maßgeblich an der Klärung des Falles beteiligt ist. Die Teilung der Stadt in vier Sektoren macht die Arbeit der Polizei jedoch alles andere als einfach. Personenkarteien aus einem der drei Westsektoren dürfen nicht ohne weiteres an den Ostsektor weitergegeben werden, Hilfeansuchen müssen über die Kommandanten geleitet werden und die Bildung eines eigenen Polizeipräsidiums für die von den Briten, Amerikanern und Franzosen beherrschten Stadtteile verzögert die Ermittlungen um weitere Wochen, sodass der Täter insgesamt vier Frauen erwürgen kann, ohne in seinem Tun behindert zu werden. Erst als ein Zeuge den Lastwagen beschreiben kann, mit dem der Raubmörder in der Nähe einer Opferwohnung gesehen wurde, kann die Polizei aktiv werden und ihm eine Falle stellen.



Der Film beginnt mit historischen Aufnahmen von Berlin, das damals wie andere Teile Deutschlands mit der allgemeinen Güterknappheit zu kämpfen hatte. Es fehlte an Rohstoffen, Lebensmitteln und Medikamenten. Die Handlung setzt mit Frau Zerniks Fahrt nach Berlin-Buch ein. Sie benutzt den S-Bahn-Zug nach Bernau (Eröffnung der elektrischen S-Bahn im Jahr 1924), der vollkommen überfüllt ist und vertraut sich einem Schaffner an, der durch seine freundlichen Worte ihr Vertrauen gewonnen hat. In heimtückischer Weise lockt er die Frau auf Abwege, tötet sie und schürt dann bei ihren Nachbarn den Verdacht, sie sei wegen Schwarzhandels inhaftiert worden, damit ihr Verschwinden kein Misstrauen erregt. Wieder bedient er sich einer Uniform, um eventuelle Zweifel an seiner Integrität zu ersticken.

Der Polizeiapparat verfügt über jede Menge Personal, da viele Männer umsatteln mussten, als sie aus dem Krieg zurückkehrten und ein sicheres Beamtendasein mehr Möglichkeiten bietet als ein konjunkturabhängiger Job als Arbeiter - bis zum wirtschaftlichen Aufschwung dauerte es noch ein paar Jahre.

Der tägliche Kleinkrieg in den Büros, das Buhlen um das Wohlwollen der Kollegen aus anderen Sektoren und die widrigen Umstände, die immer wieder den Ermittlungsfluss bremsen, werden in ungeschönter Weise dargestellt. Selbst die Rationierung des Stroms spielt bei den Gesprächen untereinander eine Rolle. Es gab nur zwei Mal täglich für jeweils zwei Stunden Strom, weshalb sich der Beamte Kramm nach der Sperrstunde bei Kerzenschein mit seinen Kollegen unterhalten muss. Sein Vorgesetzter arbeitet gar in einem Büro, dessen Dach nicht dicht ist und hat zum Schutz gegen Regen einen Schirm über seinem Schreibtisch aufgespannt.

Wo heute mit einem Telefonanruf oder ein paar Mausklicks wichtige Informationen eingeholt werden können, musste damals vor allem viel gelaufen, persönlich nachgefragt und Geduld gezeigt werden. Kein Wunder, dass manchem Polizeibeamten der Kragen platzt. Währenddessen bereichert sich der Mörder am Eigentum seiner Opfer. Doch nicht nur er schaut in erster Linie auf das eigene Wohl; eine befragte Zeugin echauffiert sich darüber, dass die Polizei sich nach den letzten Stunden im Leben einer Ermordeten erkundigt, anstatt den Diebstahl ihrer Hühner aufzuklären und gar einige Kriminalisten der sowjetischen Besatzungszone wollen vor allem beweisen, dass sie es besser können als ihre Berufskollegen in den Westsektoren. Deshalb sympathisiert der Zuseher von Anfang an mit dem jungen Kramm, der zunächst tollpatschig in seinen ersten Fall stolpert, bald jedoch durch Hartnäckigkeit und Eigeninitiative aus dem Grau des Büroapparats herausragt.

Der erschreckende Realismus der Darstellung pendelt zwischen einer frühen Ausgabe von "Aktenzeichen XY... ungelöst" und der semidokumentarischen Reihe "Stahlnetz", wobei die Ausflüge in sonnenbeschienene Waldlichtungen für Wohlfühlmomente sorgen. Spannende Aufarbeitung einer Mordserie, bei der der Schwerpunkt in den Hindernissen liegt, die die politische Situation im Berlin der Nachkriegsjahre mit sich brachte.

Cora Ann Milton Offline



Beiträge: 5.110

25.08.2012 14:12
#42 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

“Gelb ist nicht nur die Farbe der Sonne”

Fernsehen der DDR 1979

Regie: Rainer Bär

Darsteller: Horst Drinda (Peter Böhm), Werner Tietze (Kriminalist), Annegret Siegmund (Brigitte Böhm), Michèle Marian (Fräulein Lorenz), Steffi Spira (Oma Böhm) u.a.


“Was weiß ich eigentlich von meinen Kindern ... ihre Interessen, Freuden, Sorgen ...” (Kriminalist)

Ein Offizier der Abteilung K der Deutschen Volkspolizei begibt sich in den Urlaubsort Achendorf an der Ostsee. Er soll herausfinden, ob es sich bei dem seiner Dienststelle anonym zugesandten Tagebuch eines zehnjährigen Mädchens, in dem unter anderem der Absturz eines Wagens von einer Steilküste gezeichnet ist, um wirkliche Ereignisse oder lediglich um ein Produkt lebhafter kindlicher Phantasie handelt. Der Kriminalist geht seiner Ermittlungstätigkeit, deren Ergebnisse er auf einem Diktaphon aufzeichnet, nur widerwillig nach, da er sich eigentlich im Urlaub befindet und beabsichtigt, seiner Frau sowie seinen Kindern an die Ostsee nachzureisen. Der betont nüchtern formulierende und auftretende Kriminalist ist überzeugt, dass sich seine Untersuchung als “Schuß in den Ofen” erweisen wird. Dennoch ist er gefesselt von der Genauigkeit der in dem Tagebuch festgehaltenen Beschreibungen und Zeichnungen ...

Peter Böhm fährt mit seiner Tochter Brigitte in ein ihm von einem Bekannten überlassenes Ferienhaus an der Ostsee. Seine Frau Gisela ist durch einen Forschungsauftrag verhindert, seinen jüngeren Sohn läßt er in der Obhut seiner Mutter. Vater und Tochter sind einander überaus zugetan. Das hübsche, aufgeweckte Mädchen wird von ihm über alle Maßen verwöhnt. Bezeichnenderweise nennt er sie “Prinzessin”. Brigitte führt ein Tagebuch mit Aufzeichnungen und Bildern über ihre Urlaubserlebnisse. Das bis dahin ungetrübte Ferienvergnügen von Vater und Tochter nimmt eine jähe Wendung, als die Beiden am Strand die Bekanntschaft von Fräulein Lorenz, einer jungen und attraktiven Seglerin machen. Peter Böhm beginnt eine Affäre mit Fräulein Lorenz, ohne auch nur im mindesten den emotionalen Aufruhr zu erkennen, den er damit in seiner Tochter Brigitte auslöst. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf ...

“Gelb ist nicht nur die Farbe der Sonne” war ursprünglich als Episode der beliebten Fernsehserie “Polizeiruf 110" konzipiert, wurde aber später als Einzelfilm außerhalb der Reihe ausgestrahlt.

Die Namen einiger der handelnden Personen erfährt der Zuschauer erst spät oder wie im Falle des ermittelnden Kriminalisten überhaupt nicht. Werner Tietze verkörperte zwar zur Entstehungszeit des Films die Rolle des Leutnant Woltersdorf in der Serie “Polizeiruf 110", allerdings fällt dieser Name - wie oft fälschlicherweise angegben wird - in diesem Film nicht. Übrigens hat Woltersdorf - im Gegensatz zu der oft anzutreffenden gegenteiligen Behauptung - sehr wohl einen Vornamen. Sein Kollege Jürgen Hübner spricht ihn in Episode “Bonnys Blues” mit Dieter an.

Horst Drinda (1927 - 2005), jahrzehntelang einer der Protagonisten des Deutschen Theaters Berlin und anschließend Ensemblemitglied des DDR-Fernsehens, war einer der profiliertesten Schauspieler der DDR. Der ebenso begnadete wie attraktive Darsteller errang mit der Verkörperung überaus sympathischer Zeitgenossen in Fernsehserien wie “Zur See” und “Unser Mann ist König” eine immense Popularität. Auch in “Gelb ist nicht nur die Farbe der Sonne” entfaltet er seinen beträchtlichen Charme, doch porträtiert er absolut glaubwürdig ebenso Züge von Egoismus, Gedankenlosigkeit und mangelndem emotionalem Einfühlungsvermögen.

Zu den betörend schönen Klängen des zweiten Satzes aus Mozarts 21. Klavierkonzert entfaltet sich langsam aber unaufhaltsam ein verhängnisvolles Drama um die Macht und um die Ohnmacht der Gefühle. Die schwebende, entrückte, an einen Traum gemahnende Musik untermalt Bilder voller Schönheit (Landschaftsaufnahmen, Wellenbäder, ein auf dem Wasser dahingleitendes Segelboot, in den Himmel aufsteigende Seifenblasen) ebenso wie Bilder von Schrecken und Tod (der über der Steilküste zerschellende und dabei explodierende Wagen).

“Gelb ist nicht nur die Farbe der Sonne” ist ein unendlich stiller, aber zugleich sehr intensiver, lange im Zuschauer nachhallender Film.

“Das ganze ist eine Sache der Vorstellungskraft. Phantasie ..."
(Heinz Drache in "Der Hexer")

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

22.11.2012 01:21
#43 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Lange stand die zweite DDR-Krimi-Edition ungesehen im Regal, doch jetzt hat uns die kalte Jahreszeit wieder und gemütlich nostalgische Ausflüge machen umso mehr Spaß. Auf die nächsten sechs Titel:



DDR-Krimis Vol. 2 (Verbrechen + Tatort + Beweise)

  • Sie kannten sich alle (1957/58, Sonja Sutter / Paul R. Henker) [Link]
  • Tatort Berlin (1957, Hartmut Reck / Annegret Golding) [Link]
  • Seilergasse 8 (1959/60, Martin Flörchinger / Manja Behrens) [Link]
  • Tanz am Sonnabend – Mord? (1961, Gerry Wolff / Albert Garbe) [Link]




Sie kannten sich alle (Der ehrliche Name)

Kriminalfilm, DDR 1957/58. Regie: Richard Groschopp. Drehbuch: Lothar Creutz, Carl Andrießen, Richard Groschopp. Mit: Sonja Sutter (Herta Klausner), Paul R. Henker (Klausner), Horst Drinda (Brückner), Harry Hindemith (Böhnke), Erich Franz (Kilian), Wolfgang Stumpf (Schott), Karl Kendzia (Oswald), Horst Kube (Schmieder), Fred Ludwig (Köhler), Dieter Perlwitz (Seiffert) u.a. Uraufführung: 30. April 1958. Eine Produktion des DEFA Studio für Spielfilme.

Zitat von Sie kannten sich alle
Testfahrten für ein neues Automodell der Werke von Isenau. Urplötzlich geraten beide Prototypen bei Höchstgeschwindigkeit ins Schlingern und überschlagen sich. Für einen der Fahrer kommt jede Hilfe zu spät. Er stirbt im brennenden Wagen. Die Ermittler der Staatssicherheit vermuten Sabotage. Doch welcher Mitarbeiter steckt dahinter? Alle sind vertrauenswürdige Leute, die sich schon lange kennen.


Der Arbeiter- und Bauernstaat DDR war und sein Gebiet ist auch heute noch wesentlich dünner besiedelt als die westdeutschen Bundesländer und Stadtstaaten. Während zum Produktionsdatum des Films ungefähr 17 Millionen Menschen in der DDR lebten, standen diesen rund 56 Millionen Menschen in der BRD gegenüber, was Bevölkerungsdichten von 224 Einwohner pro Quadratkilometer im Westen und 157 im Osten ergibt. Eine deutliche Ländlichkeit, die im übrigen vom Süden in Sachsen zum Norden in Mecklenburg-Vorpommern noch zunimmt, kann man der DDR also keineswegs in Abrede stellen – sie bildet einen glaubwürdigen Hintergrund für die kleinstädtische Ausrichtung dieses Films, der sich von der Anonymität der wenigen Großstädte abwendet und stattdessen eine beinah dörfliche Vertrautheit der Menschen untereinander suggeriert. Stammtische und Betriebe, in denen jeder jeden kennt, gehören ebenso zum Inventar des dreiköpfigen Autorenteams wie naturbelassene Schauplätze und Hühnerställe zur Selbstversorgung in den Gärten.

Dennoch fällt es dem Zuschauer zunächst schwer, alle Personen voneinander zu unterscheiden, denn schnell wird man mit allen Verantwortlichen in den Isenauer Autowerken bekannt gemacht. Isenau ist dabei ein fiktiver Ort, der für keine konkrete Stadt Pate steht. Eine solche Verschleierung des Tatortes bei gleichzeitiger Beharrung darauf, dass das, was man zu sehen bekommt, sich auch im echten Leben so zugetragen haben soll, erweist sich als typisch für Kriminalfilme, die unter der Ägide staatlicher Kontrollorgane entstanden und jeden Verdacht von verbrecherischer Durchtriebenheit des eigenen Volkes verwischen sollen. Ein guter DDR-Bürger sollte eben kein Spion, Mörder oder Saboteur sein – deshalb durften Geschichten, die trotzdem derartiges schilderten, eben nur in einer Fantasiewelt rekonstruiert werden, wenn sie schon nicht vor dem Schlund des unverkennbaren Mollochs Berlin angesiedelt waren.

Mit Sonja Sutter und Wolfgang Stumpf stehen zwei Darsteller im Mittelpunkt, die man eigentlich vor allem aus westdeutschen Produktionen kennt. Beide wurden auch westlich der deutsch-deutschen Grenze geboren, wenngleich an sehr unterschiedlichen Orten – Sutter stammt aus Freiburg im Breisgau; bei Stumpf handelt es sich um einen gebürtigen Hamburger. Beide drücken dem Film ihren unverkennbaren Stempel auf, vor allem Sutter schwankt zwischen unbeschwerter Jugend und faustdicker Tragikfigur. Als ihr Vater ist Paul R. Henker zu sehen, dessen Name allein schon ein Fest für jeden Kriminalvorspann ist.

Für den Regisseur Richard Groschopp begann mit „Sie kannten sich alle“ eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den Drehbuchautoren Lothar Creutz und Carl Andrießen, die noch sechs weitere Titel zusammen umsetzten. Darunter befinden sich sowohl mehrere Komödien als auch der ebenfalls auf DVD erschienene Kriminalfilm „Ware für Katalonien“ mit Eva-Maria Hagen. „Sie kannten sich alle“ entstand unter dem Arbeitstitel „Der ehrliche Name“, wobei gerade unter dem Blickwinkel des bereits erwähnten Settings die schlussendlich bevorzugte Benennung treffsicherer erscheint. Auch Groschopps Arbeit kann man nur insofern kritisieren, als seine Spannungstechnik in einzelnen Szenen noch etwas effektiver zur Geltung hätte gebracht werden können: Sowohl der „Unfall“ auf der Rennstrecke als auch die Flutung des Kellers im Finale lassen erahnen, dass man nicht das volle Potenzial dieser Schreckmomente ausgenutzt hat. Ansonsten entstand ein solider Kriminalfilm mit schönem Täterrätsel und mitreißender abschließender Flucht in die Grenzgebiete.

Ein Whodunnit in angenehm heimatlichem Ambiente, wobei die Vertrautheit der Protagonisten untereinander sehr zum Gelingen des Täterrätsels beiträgt. Neben den Hauptdarstellern bleibt auch die verlässliche Lotte Loebinger in Erinnerung, die immer dann trefflich besetzt ist, wenn melancholische alte Frauenzimmer benötigt werden.

★★★★Filmwertung: 4 von 5 Punkten
★★★★★ Rote-Socken-Faktor: 2 von 5 Punkten (Verdächtigung einer Westdeutschen, Täter als Kollektivierungsgegner und Lebemann, aber kein wesentlicher Einfluss auf den Plot)

DDR-Produkt zum Film: der Trabbi. Wenn der Film schon in der Autoproduktion spielt, fällt einem natürlich zuallererst das Mobilitätssymbol der DDR, der Trabant, ein. Die Geschichte der Rennpappe geht auf das Jahr 1954 zurück, produziert wurden 3 Millionen 51.385 Stück bis einschließlich 1991. Bedenkt man den Trabbi-Export in andere Länder des Ostblocks, so erklärt die geringe Zahl im Vergleich zu rund 17 Millionen DDR-Bürgern lange Wartezeiten auf den fahrbaren Untersatz. Die Trabant-Homepage.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

22.11.2012 07:00
#44 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Ein kleiner Tipp für Freunde der TV-Krimiserien aus der DDR: Weltbild gibt momentan eine exklusive Sammleredition mit teilweise bereits veröffentlichten, teilweise aber auch unveröffentlichten Klassikern heraus. Einmal alle vier Wochen erhält man als Abonnent eine Doppel-DVD mit ausgewählten Titeln verschiedener Reihen, z.B. „Gefährliche Fahndung“, „Blaulicht“, „Polizeiruf 110“ oder „Die Spur führt in den 7. Himmel“. Aussagen im DEFA-Sternstunden-Forum zufolge enthält die erste Ausgabe auch einen Meinungsbogen, in dem man als Abonnent über die am meisten gewünschten Titel abstimmen kann.

Die erste Ausgabe mit sieben Folgen „Gefährliche Fahndung“ ist zum Aktionspreis von 2,99 Euro zu haben, für alle kommenden Lieferungen bezahlt man dann 14,99 Euro (die Edition ist portofrei).

Billyboy03 Offline




Beiträge: 714

23.11.2012 11:03
#45 RE: DEFA- und DDR-Kriminalfilme Zitat · Antworten

Schöne Besprechung von "Sie kannten sich alle" - wenngleich der eigentliche Filminhalt ein wenig in den Hintergrund geriet.

Zu Regisseur und Drehbuchautoren bleibt noch anzumerken, dass diese ihre Stoffe vermutlich direkt von der Stasi bekamen und sich mit denen über den Handlungsverlauf etc. absprachen. Es gab dort eine eigene Abteilung, die Themen von staatlicher Sicherheit und Ordnung in Massenmedien wie TV, Kino, Presse und Buch lenkte und so u.a. versuchte, ein positives Bild der Sicherheitsbehörde in der Öffentlichkeit zu erzeugen. Ohne großen Erfolg - wie man weiß.

BillyBoy03

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