Von meinem heurigen Frankreichurlaub habe ich mir einen Stapel Maigret-Romane mitgenommen und zuerst Le fou de Bergerac gelesen (vermutlicher dt. Titel: Der Verrückte von Bergerac?).
Kurz zum Inhalt: Maigret fährt mit dem Nachzug, um seinen Freund Leduc auf dem Land zu besuchen. In seinem Schlafabteil liegt jedoch ein seltsamer Mann, der komische Geräusche von sich gibt, dessen Identität oder Gesicht man jedoch nicht kennt. Besagter Mann springt plötzlich aus dem Zug und Maigret verfolgt ihn - wohl aus Berufsroutine. Dabei wird er angeschossen. Er erwacht im Krankenhaus von Bergerac, wo man ihn für den gefährlichen Irren hält, der in den letzten Monaten mehrere Frauen überfallen und sogar zwei getötet hat. Nach der Feststellung seiner Identität beginnt der Pariser Kommissar im beschaulichen Landdörfchen vom Krankenbett aus zu ermitteln ...
Nach der Lektüre habe ich mir das Vergnügen bereitet, zwei Verfilmungen dieses Stoffs anzusehen.
Begonnen habe ich mit
Maigret und der Verrückte, der 39. Folge der BBC-Serie aus den 1960ern mit Rupert Davies, Drehbuch: Roger East, Regie: Andrew Ostborn Auch wenn Georges Simenon immer betonte, Rupert Davies sei der ideale Maigret, mit der Verfilmung seines Buches kann er nicht einverstanden gewesen sein. Drehbuchautor Roger East hat viel zu viel verändert, ganze Kapitel weg gestrichen und wichtige Ereignisse ausgelassen. Das Schlimmste ist jedoch, dass er die Dramaturgie gänzlich ändert: Maigret sitzt in einem Sitzabteil, man sieht von Anfang an den Verrückten und er steigt ganz normal aus. Maigret verfolgt ihn nicht, sondern steigt zufällig zu früh und an der selben Haltestelle aus. Dann sieht man - und das ist der größte Fehler - wie der Verrückte erschossen wird. Genau diesen Clou serviert Georges Simenon erst in der Mitte des Romans und Mario Landi benutzt diese Stelle in der unten von mir besprochenen Adaption mit Gino Cervi als tollen Cliffhanger. Roger East nimmt damit dem Film ein wichtiges Spannungsmoment. Weitere Änderungen sind, dass Maigret nie als Verdächtiger geführt wird und sich auch nie im Hotel von dem Attentat erholt. Schauspielerisch ist gegen die Folge nichts zu sagen, aber ich war selten so enttäuscht von einer Romanadaption. Nun müsste man die weiteren Fälle mit Rupert Davies auf die Romantreue prüfen.
Le inchieste del commissario Maigret: Il pazzo di Bergerac, 15. Folge der RAI-Serie aus den 1970ern mit Gino Cervi ("Peppone" aus den "Don Camillo"-Filmen), Regie: Mario Landi, 2 Teile Dass Georges Simenon mit Rupert Davies sehr zufrieden war, ist bekannt. Man liest jedoch auch immer, dass er Gino Cervi als Maigret noch mehr mochte. Ich kann es verstehen. Der wunderbare italienische Schauspieler gibt einen hervorragenden Kommissar ab, dem man den gewieften Ermittler hundertprozentig abnimmt. Mario Landi nimmt sich für seine Inszenierung ganz viel Zeit und liefert einen Film ab, der nahezu 100%ig der Romanvorlage in allen Anlagen entspricht (man könnte wohl im Buch mitlesen). Die Autoren haben einzig noch einige kurze Szenen hinzugefügt, die nicht im Roman standen, wohl damit die Handlung auf zwei Folgen gestreckt werden konnte und der schöne Cliffhanger mit dem erschossenen Verrückten erzeugt werden kann. Die Besetzung der übrigen Rollen ist ebenso vorzüglich. Landi hat da eine erstklassige, romangetreue Adaption abgeliefert. Unverständlich, warum die italienische Reihe (die übrigens trotz der 70er-Jahre in schwarz/weiß gedreht wurde und 19 Fälle umfasst) nie auf Deutsch synchronisiert wurde.
Zitat von Georg im Beitrag #16Maigret und der Verrückte, der 39. Folge der BBC-Serie aus den 1960ern mit Rupert Davies, Drehbuch: Roger East, Regie: Andrew Ostborn
Letztes Jahr hat Concorde ja die ersten beiden Maigrets neu aufgelegt und auch erstmals auf Blu-ray rausgebracht. Hat man den deutschen Ton diesmal in besserer Qualität aufgespielt, oder wieder nur die zu Tode entrauschten Gießkannentassungen genommen?
Zitat von Gubanov im Beitrag #15Auch ich liebäugele inzwischen mit den Maigret-Stoffen. Ins Auge gefallen sind mir zwecks DVD-Angebot die Serien mit Bruno Cremer und Michael Gambon. Wie genau sind diese beiden Umsetzungen einzuschätzen? Halten sie sich eng an die Vorlagen von Georges Simenon?
Sowohl die Serie mit Bruno Cremer als auch die mit Michael Gambon sind beide 1990 sehr ambitioniert gestartet, erstere als belgisch-französisch-schweizerische Produktion im Kinoformat (54 Episoden 16:9, je Film ca. 90 Min.), zweitere als britische ITC-Produktion in Anlehnung an die 30 Jahre zuvor gestartete BBC-Produktion (12 Episoden 4:3, je Film ca. 50 Min.). Beide Serien in Farbe, Bildqualität Cremer sehr gut bis gut, Gambon eher nur wie VHS-Video, jedenfalls auf den bisher veröffentlichten DVDs. Beide Serien sind z. Z. nicht mit deutscher Tonspur zu haben.
Die Hauptdarsteller: beide gut bis sehr gut. Cremer hat eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit Rupert Davies, Gambon nicht. Dafür spielt Gambon den Maigret aber ähnlich wie Davies, Cremer hingegen sucht nach einem eigenen Profil.
In beiden Serien springt eine erste Madame Maigret ab, es folgt eine zweite. Das entspricht natürlich nicht den Romanvorlagen.
Als bei Cremer auch die zweite Madame Maigret die Serie verläßt, traut man sich nicht, eine dritte Schauspielerin für den Part einzusetzen. Ab dann telefoniert Maigret nur noch mit seiner Frau, ohne dass der Zuschauer sie sieht. Während der 15-jährigen Produktionszeit verlassen alle Inspektoren ihren "Patron", weil die Schauspieler auch anderen Engagements nachkommen müssen und sich nicht ständig bereithalten können für einen neuen Maigret-Film. In den Romanvorlagen ist Maigret jedoch selten auf sich allein gestellt.
Die Cremer-Reihe ist ausgesprochen detailgetreu. Sie ist wohl, trotz der vorhin erwähnten Abstriche, die Simenon-getreueste Filmumsetzung. Die Atmosphären der Romanvorlagen kommen voll rüber, man kann Simenon beim Zuschauen einatmen. Auch das manchmal langsame Tempo des Handlungsablaufs in den Büchern ist aufs Filmische übertragen. Für Action-Freunde mag das ein Manko sein.
Die britischen Maigret-Serien heben eher ab von den Romanen. Zwar stimmen die Charaktere und die Grundstimmungen mit den Romanen überein, das Tempo ist jedoch deutlich flotter. Man ist bemüht, die ganze Geschichte jeweils auf 50 Minuten zu trimmen. Dabei ist oberstes Gebot: nur keine Langeweile aufkommen lassen, es ist schließlich ein Krimi. Es wird sogar in Kauf genommen, nicht nur die Originalstory zu vereinfachen und durch Krimieffekte zu dramatisieren, die Romanvorlagen werden auch manchmal ganz einfach abgeändert. Eventuell ist im Film sogar - welch eine Überraschung - ein anderer der Mörder als im Buch!
Die Briten gehen innovativer an Krimi-Umsetzungen heran als etwa die Franzosen. Das ist auch der Grund, weshalb die Gambon-Serie teils in Budapest gedreht wurde, weil das Budapest von 1990 angenommenerweise mehr dem Paris von 1960 glich als das Paris von 1990, zumindest in einigen Bezirken. So hat man jedoch etliche gute Außenaufnahmen mit im Film - leider nicht echt.
In der Cremer-Serie gibt es deutlich weniger Außenaufnahmen, wenn es ums Pariser Stadtleben geht. Man bemüht sich aber außerordentlich, mal eine Pariser Straßenecke von 1950 nachzustellen für zumindest ein paar Szenen. Ist zwar auch nicht authentisch, aber wenigstens nicht ungarisch!
Bei den Cremer-Folgen kann es passieren, dass man zwischendurch mal auf die Uhr schaut und verblüfft feststellt: Was, das geht noch eine ganze Stunde so weiter? - Auch bei den Brit-Filmen muß man auf die Uhr schauen, aber erst am Ende des Films: Was, der Film ist schon 'rum?
Zitat von Lord Peter im Beitrag #24Hat man den deutschen Ton diesmal in besserer Qualität aufgespielt, oder wieder nur die zu Tode entrauschten Gießkannentassungen genommen?
In den vergangenen Tagen habe ich die beiden BDs angesehen / -hört. Mir passt der Ton, es sind ja alte Filme. Ich habe zwar "nur" eine Soundbar mit Subwoofer. Wie es mit einer X-fach teureren 5.1 oder so Anlage klingen würde kann ich natürlich nicht sagen.
Wendecover-Vorschlag meinerseits für Pidax für ein eventuell weiteres Volume von Maigret Rupert Davies: Außen teils schwarz-weiß, damit dem Käufer nicht suggeriert wird, dass die Filme in Farbe wären, aber innen voll in Farbe. Nach dem Kauf könnte das Cover dann nicht nur ohne grünes FSK-Logo, sondern das gesamte Titelbild zur Farbe hingewendet werden.
Die Bildvorlage habe ich aus einer HÖRZU zur Sendung "Maigret verliert eine Verehrerin" (ZDF, 25.09.1965, 21.00 Uhr). Es ist ein besonders gelungenes Portrait, wahrscheinlich von einem HÖRZU-Reporter geschossen bei einem Interview-Termin. Ich habe es nie in Groß gedruckt gesehen, das wäre es aber meines Erachtens wert. Am liebsten hätte ich es sogar als Farbposter!