The Adventures of Sherlock Holmes: The Resident Patient (Der Dauerpatient)
Episode 11 der TV-Kriminalserie, GB 1985. Regie: David Carson. Drehbuch: Derek Marlowe (Vorlage, August 1893: Sir Arthur Conan Doyle). Mit: Jeremy Brett, David Burke, Rosalie Williams. In Gastrollen: Nicholas Clay (Dr. Percy Trevelyan), Patrick Newell (Blessington), Tim Barlow (russischer Graf), Brett Forest (Sohn des Grafen), Charles Cork (Cartwright), John Ringham (Inspector Lanner), David Squire (Fenton), Norman Mills (Detective) u.a. Uraufführung (GB): 15. September 1985. Uraufführung (BRD): 2. Dezember 1987. Eine Produktion von Granada Television und Independent Television.
Zitat von The Resident Patient (Der Dauerpatient)Geldmangel sorgt dafür, dass der junge und begabte Dr. Trevelyan in einer schäbigen Hinterhofpraxis verkommt. Seiner Retter begegnet ihm in Gestalt des Investors Blessington, der ihn mit vornehmen Räumen in der Brook Street ausstattet und dafür dauerhafte Behandlung und drei Viertel der Praxiseinnahmen erhält. Eines Tages wird Blessington durch eine Zeitungsmeldung und zwei Patienten, die sein Schlafzimmer durchsuchen, in derartige Angst versetzt, dass Dr. Trevelyan sich hilfesuchend an Sherlock Holmes wendet ...
Ohne Zweifel schimmern zwischen den Zeilen Dr. Trevelyans, dessen bittere Erfahrungen bezüglich vielversprechender Nachwuchsärzte, denen fehlende finanzielle Mittel die Karriereaussichten verbauen, von Dr. Watson empathisch bestätigt werden, Arthur Conan Doyles eigene berufliche Anfänge durch. Als Doyle sich 1882 in Southsea als Augenarzt niederließ, ließ sein anfänglicher Patientenkreis ebenfalls sehr zu wünschen übrig, sodass ihn neben seiner literarischen Experimentierfreude auch die erhofften zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten zum Verfassen der Sherlock-Holmes-Geschichten verleiteten. Im Vergleich zu Trevelyan schoss Doyle dadurch jedoch nicht so rapide empor, brachte ihm die Veröffentlichung von „A Study in Scarlet“ doch nicht mehr als 25 Pfund ein. Beharrlichkeit sollte sich in seinem Fall jedoch üppig auszahlen.
Abgesehen von den biografischen Qualitäten von „The Resident Patient“ besticht die Episode vor allem mit ihrem unheimlichen Flair, das schon vor den Titeltafeln in einer stimmigen Alptraumsequenz etabliert wird. Patrick Newell, dessen Mr. Blessington stets verschlagen, aber auch gehetzt wirkt, verdeutlicht jene Atmosphäre der Unsicherheit und Angreifbarkeit, die dem Kriminalfall eine martialische Note verleiht. Einerseits baut sich die Spannung der Folge aus psychologischen Motiven statt aus Actionelementen auf, andererseits erweist sich die Inszenierung der Schlüsselszenen wie dem Besuch des russischen Grafen im Ordinationszimmer Dr. Trevelyans oder dem „Prozess“ gegen Blessington mitsamt Vollstreckung des Urteils als wenig zimperlich. Der Spagat zwischen kurzweiliger Fernsehunterhaltung und substanziellen Deduktionen glückt, wie man auch an der Szene sehen kann, in der Holmes den Tatort untersucht und den Hergang der Tat mithilfe von Ascheresten rekonstruieren kann (nicht ohne seine bekannte Monografie „Upon the Distinction Between the Ashes of the Various Tobaccos“ zu erwähnen).
Gesonderte Erwähnung verdienen die Schlussminuten. Nicht nur ist die Erklärung für die Vorkommnisse in der Brook Street ausgesprochen effektiv, auch muss den Serienverantwortlichen hoch angerechnet werden, dass sie das umstrittene originale Ende der Erzählung verwandten, in dem die Verbrecher der Hand des Gesetzes entkommen, jedoch von einer Art göttlichen Gerechtigkeit nachträglich bestraft werden. Dieser für moderne Sehgewohnheiten ungewöhnliche, zumal nur aus dem Off geschilderte Ausgang verdeutlicht in einmaliger Weise den Unterschied zwischen den Anforderungen, die die damalige und die heutige Ära an ihre Detektivfiguren stellen: Sherlock Holmes sah sich, sofern nicht weiterer Schaden von ihnen zu befürchten war, nicht als verantwortlich dafür, die Hintermänner eines Verbrechens dingfest zu machen, sondern lediglich der Wahrheit auf den Grund zu kommen, was ihm trotz der Flucht der Ganoven tadellos gelingt, aus unserer Perspektive jedoch unvollkommen erscheinen mag. Dass Derek Marlowes Drehbuch alle Angstmomente und Unwägbarkeiten mit kundigen Prisen Humor auffängt, macht die Folge umso liebenswerter, gerade wenn man die vorbildliche Einbindung der Mrs.-Hudson-Rolle und die amüsante Schlussszene bedenkt.
Gubanov
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29.05.2016 21:15
#17 RE: The game is afoot: Jeremy Brett als Sherlock Holmes
The Adventures of Sherlock Holmes: The Red Headed League (Die Liga der rothaarigen Männer)
Episode 12 der TV-Kriminalserie, GB 1985. Regie: John Bruce. Drehbuch: John Hawkesworth (Vorlage, August 1891: Sir Arthur Conan Doyle). Mit: Jeremy Brett, David Burke. In Gastrollen: Eric Porter (Professor Moriarty), Roger Hammond (Jabez Wilson), Tim McInnerny (John Clay), Richard Wilson (Duncan Ross), Bruce Dukov (Sarasate), John Woodnutt (Mr. Merryweather), John Labanowski (Athelney Jones), Reg Stewart (Pförtner) u.a. Uraufführung (GB): 22. September 1985. Uraufführung (BRD): 9. Dezember 1987. Eine Produktion von Granada Television und Independent Television.
Zitat von The Red Headed League (Die Liga der rothaarigen Männer)Alles, was mit dem Buchstaben A beginnt, kennt Jabez Wilson nun in- und auswendig. Der Pfandleiher aus der City hat durch die Aufmerksamkeit seines Mitarbeiters einen Posten bei einer Vereinigung ergattert, die ihm als rothaarigem Mann ein fürstliches Gehalt ausbezahlt, wenn er jeden Tag eine Passage aus der Encyclopedia Britannica abschreibt. Nach acht Wochen ist das kuriose Märchen beendet und die Spuren der „Liga der rothaarigen Männer“ verlaufen ins Nichts. Steckt hinter der scheinbar harmlosen Geschichte ein Verbrechen?
„Developed for television by John Hawkesworth“ kann man im Vorspann jeder Episode lesen. Hawkesworth, den Michael Cox als „einen der großen alten Männer des englischen Fernsehens“ bezeichnete, oblag die Auswahl der Geschichten und Drehbuchautoren sowie die Kontrolle und gegebenenfalls die Nachbearbeitung der eingereichten Scripts, sodass man ihn getrost als einen der wichtigsten Erfolgsgaranten der ersten Staffeln bezeichnen kann, wenngleich Cox eingesteht, dass für die Drehbücher im Vergleich zu anderen Kostenfaktoren die geringsten Ausgaben getätigt wurden. Um beim großen Abschluss der „Adventures“ mit der Doppelfolge „Red Headed League“ / „Final Problem“ auf sicheren Füßen zu stehen, verfasste Hawkesworth die entsprechenden Adaptionen selbst, wobei er in „The Red Headed League“ zwei bedauernswerte Fehler beging. Zunächst betrifft dies die von den Vorlagen abweichende Einbindung Professor Moriartys in den Raub. Es ist zwar verständlich, dass man Eric Porters Rolle etwas ausgiebiger einführen wollte als im Kanon, wo Moriarty in „The Final Problem“ wie ein Kaninchen aus dem Zauberhut auftaucht; allerdings eignet sich gerade der eher von einem humorvollen Geist zeugende Plan mit der Liga der Rothaarigen nicht besonders gut für einen gefühlsbefreiten Strategen wie den Professor.
Der zweite Abstrich muss gleich am Anfang gemacht werden: Schon in der ersten Szene verrät Hawkesworth, dass wir ein genaues Auge auf die City and Suburban Bank werfen müssen. Der Zweck des Ablenkungsmanövers Rothaar-Liga ist somit schon offensichtlich, bevor Jabez Wilson auch nur mit der Schilderung seiner eigentümlichen Geschichte beginnt. Auf diese Weise eliminiert der verräterische Auftakt fast jeden Rätselfaktor, zumal auch mit den weiteren Hinweisen nicht besonders vertraulich umgegangen wird. Immerhin hätte eine andere Art, „The Red Headed League“ aufzuziehen, kaum eine so flüssige Einbindung der Moriarty-Szenen erlaubt. Die Einbindung der Lagebeziehung zwischen Wilsons Geschäft und der Bank sowie die charakteristischen Geschäfts- und Lagerhäuser, die in den Rückblenden zu sehen sind, verleihen der Episode außerdem ein sehr glaubwürdiges London-Flair; die Ausstattung leistete mit der Montage der St. Paul’s Cathedral ebenso saubere Arbeit wie mit der aufwendigen Szene, in der eine immense Zahl rothaariger Bewerber vor dem Büro von Duncan Ross auf den glücklichen Posten bei der titelgebenden Liga wartet.
Roger Hammonds skurriles Auftreten kann trotz zweifelhafter Haar-„Pracht“ als Glücksgriff bezeichnet werden, schafft Hammond doch einen glaubwürdigen Spagat zwischen den amüsanten Seiten der Rolle und der unverbesserlichen Knauserigkeit des Mr. Wilson, die ihn zu einem perfekten Opfer für die Masterminds hinter dem Verbrechen macht. So geht trotz der Moriarty-Freiheiten der blitzende Charme der sehr frühen Doyle-Story nicht verloren, wobei die Bewahrung von Holmes’ musikalischen Vorlieben einen enormen Gewinn für das Porträt des Detektivs als zufriedenem Privatmenschen darstellt und er sich, angespornt durch seine gute Laune, selbst in der Szene im Tresorraum der Bank zu einigen feinen ironischen Spitzen hinreißen lässt.
Gubanov
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31.05.2016 22:20
#18 RE: The game is afoot: Jeremy Brett als Sherlock Holmes
The Adventures of Sherlock Holmes: The Final Problem (Sein letzter Fall)
Episode 13 der TV-Kriminalserie, GB 1985. Regie: Alan Grint. Drehbuch: John Hawkesworth (Vorlage, Dezember 1893: Sir Arthur Conan Doyle). Mit: Jeremy Brett, David Burke, Rosalie Williams. In Gastrollen: Eric Porter (Professor Moriarty), Olivier Pierre (Direktor des Louvre), Claude le Saché (Innenminister), Michael Goldie (Künstler), Robert Henderson (amerikanischer Millionär), Paul Sirr (junger Kunstexperte), Jim Dunk (Gepäckträger), Paul Humpoletz (Herr Steiner) u.a. Uraufführung (GB): 29. September 1985. Uraufführung (BRD): 6. Dezember 1987. Eine Produktion von Granada Television und Independent Television.
Zitat von The Final Problem (Sein letzter Fall)Nicht genug, dass Sherlock Holmes die Pläne von Professor Moriarty im Fall des Goldraubs durchkreuzte; nun vereitelt er auch das Vorhaben des kriminellen Genies, Kopien der aus dem Louvre gestohlenen Mona Lisa als Originale zu verkaufen. Für Moriarty ist das Maß damit voll: Er kündigt Holmes einen tödlichen Zweikampf an. Um Zeit zu gewinnen, fliehen der Detektiv und sein Assistent in die Schweiz, während Mycroft Moriartys Bande unschädlich macht. An den Klippen des Reichenbachfalls kommt es zu einer letzten Begegnung der Erzfeinde ...
Auch wenn sie so nicht im Strand Magazine standen, ergänzen John Hawkesworths Ausschmückungen bezüglich des Diebstahls in Paris und der Anschläge, die Moriarty auf Holmes verüben lässt, die recht substanzlose Originalgeschichte vortrefflich und bauen sie zu einem mit den anderen Episoden vergleichbaren Fall aus, wobei der Fahrt in die Schweiz und dem dramatischen Finale dennoch genug Platz eingeräumt bleibt. Schließlich ist das Ringen um Leben und Tod am Rand der Reichenbachfälle nahe Meiringen im Schweizer Kanton Bern das, was sich das Publikum von „The Final Problem“ erwartet. Granada enttäuscht auch hier nicht – die Aufnahmen am Originalschauplatz gelangen Alan Grint hervorragend; die Alpenidylle und das nahende Unheil gehen eine einmalige Symbiose ein.
Eric Porter bemüht sich, seinem Moriarty ein verschlagenes und hasserfülltes Auftreten zu verleihen. Geübt in Schurkenrollen, gelingt ihm dieses Unterfangen gut, jedoch geht seine Bedrohlichkeit nicht über die anderer starker Vebrecherrollen aus der ersten Staffel hinaus (man vergleiche z.B. mit Jeremy Kemp oder Joss Ackland). Vielleicht liegt das daran, dass man von seiner machtvollen Untergrundorganisation und seinem Talent als deren Vorstand kaum etwas zu sehen bekommt, da man nur per Telegramm davon erfährt, dass Mycroft das Syndikat zerschlagen hat. Dennoch war es die richtige Entscheidung, sich auf das Wesentliche, das Duell der beiden Hauptgegner, zu konzentrieren, wobei Jeremy Brett in der einzigen Unterredung zwischen Holmes und Moriarty eine süffisante Geringschätzung seines Gegenübers durchblicken lässt.
Das Handgemenge und der Sturz in den schäumenden Abgrund, für den sich zwei Stuntmänner wagemutig nur mit dünnen Stahlseilen gesichert in die Tiefe warfen, werden vorbildlicherweise explizit als Vermutung Dr. Watsons ausgewiesen, sodass man der zentralen Szene keinen Vorwurf machen kann, eine fehlleitende Rückblende zu zeigen. Elegant wechselt die Erzählstimme inmitten des Abschiedsbriefs, um dann an Watson für die Schlussworte in der Baker Street zu übergeben. Die als Klammer aus dem ersten und letzten Satz der Doyle’schen Erzählung gestalteten „last words in which I shall ever recall [...] my friend Sherlock Holmes“ spricht David Burke sichtlich bewegt direkt in die Kamera. Auch wenn die Serie im Folgejahr fortgeführt wurde, so stellt „The Final Problem“ doch den endgültigen Abschied für Burke dar, der wegen eines Engagements in der Royal Shakespeare Company ab der nächsten Staffel durch den von ihm persönlich empfohlenen Edward Hardwicke ausgetauscht wurde. Für die Freunde einer etwas leichtherzigeren Watson-Darstellung der wohl größte Verlust, der im Brett-Universum mit dem „letzten Problem“ verbunden ist ...
Gubanov
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20.06.2016 21:00
#19 RE: The game is afoot: Jeremy Brett als Sherlock Holmes
Staffel 3: The Return of Sherlock Holmes (Teil 1, 1986)
Nach dem soliden, wenngleich nicht überragenden Erfolg der ersten 13 Episoden verlängerten Granada und ITV die Brett-Holmes-Serie, sodass der Meisterdetektiv wieder aus seinem nassen Grab in den Schweizer Alpen auferstehen durfte. Die erste Hälfte der folgerichtig nunmehr „Return of Sherlock Holmes“ betitelten Fälle setzte sich tatsächlich zu großen Teilen aus der gleichnamigen Kurzgeschichtensammlung zusammen und umfasst damit einige Highlights unter den Holmes-Ermittlungen, die zu den allergrößten Teilen erneut eine würdevolle Umsetzung erfuhren.
Obwohl man bei genauem Hinsehen bereits leichte unvorteilhafte Alterungserscheinungen an Jeremy Brett feststellen kann, der zum Drehzeitpunkt den Tod seiner Frau Joan zu verkraften hatte, gibt es keinen nennenswerten Qualitätsabfall gegenüber den „Adventures“. Damit stellt „Return I“ die letzte Staffel dar, die im Sinne der ursprünglichen Serienprämisse als rundweg gelungen zu bezeichnen ist. Alle danach entstandenen Folgen leiden bereits an den im Dezember 1986 offenbar gewordenen psychischen Problemen Bretts, bei dem eine manisch-depressive Störung diagnostiziert wurde, sowie im späteren Serienverlauf auch an nachlassender Genauigkeit in Bezug auf die Vorlagen.
Episoden der dritten Staffel:
14. (09.07.1986) The Empty House (Das leere Haus, Howard Baker)
The Return of Sherlock Holmes: The Empty House (Das leere Haus)
Episode 14 der TV-Kriminalserie, GB 1986. Regie: Howard Baker. Drehbuch: John Hawkesworth (Vorlage, September 1903: Sir Arthur Conan Doyle). Mit: Jeremy Brett, Edward Hardwicke, Rosalie Williams, Colin Jeavons. In Gastrollen: Patrick Allen (Colonel Sebastian Moran), James Bree (Untersuchungsrichter), Richard Bebb (Sir John Hardy), Robert Addie (Mr. Murray), Naomi Buch (Gräfin von Maynooth), Paul Lacoux (der Ehrenwerte Ronald Adair), Elizabeth Ritson (Ivy), Roger Rowland (Butler) u.a. Uraufführung (GB): 9. Juli 1986. Uraufführung (BRD): 11. Januar 1988. Eine Produktion von Granada Television und Independent Television.
Zitat von The Empty House (Das leere Haus)Drei Jahre sind seit Sherlock Holmes’ angeblichem Tod vergangen, als er sich seinem Freund wieder zu erkennen gibt. Ein Aufsehen erregender Fall bringt ihn nach London zurück: Ein junger Aristokrat wurde in seinem verschlossenen Arbeitszimmer erschossen. Holmes schlussfolgert, dass der Mörder des Mannes, dessen Tod Dr. Watson in der Funktion eines Polizeiarztes untersuchte, identisch mit jenem letzten Moriarty-Gefolgsmann ist, der es auf den Detektiv persönlich abgesehen hat ...
Als Doyle seine Schöpfung im übertragenen Sinn die Meiringer Alpenklippen hinabstieß, hatte er die Rechnung ohne die Vehemenz des heimischen Publikums gemacht. Beschwerdebriefe und Drohungen, aber auch verlockende finanzielle Angebote sorgten für eine Wiederkehr der Ikone, mit der sich Doyle – mit Ausnahme des als Intermezzo verfassten „Hound of the Baskervilles“ – immerhin zehn Jahre Zeit ließ. Eine ähnliche Zeitspanne scheint auch in der Serie verstrichen zu sein, denn Watson in der Gestalt Edward Hardwickes macht einen deutlich gesetzteren Eindruck als die joviale Interpretation, die zum Markenzeichen von David Burke geworden war. Michael Cox erklärt den deutlichen Unterschied in der Typologie der beiden Serien-Watsons mit dem Älterungs- und Reifungsprozess, den der um seinen besten Freund betrogene Arzt nach dem „Final Problem“ durchzumachen hatte.
So weit zu gehen, zu behaupten, die beiden Watsons würden eine gerade Linie innerhalb der Reihe wahren, wäre nichts anderes als die Klitterung einer zwangsläufig unvorteilhaften Umbesetzung einer Hauptrolle. Dennoch muss man einräumen, dass Hardwicke keinesfalls eine schlechtere Besetzung für den Kompagnon des Detektivs darstellt, gerade weil sich die neu gefundene Ernsthaftigkeit dem düsteren, aber auch feierlichen Flair dieser Episode sehr zugute kommt und später einen Gegenpol zu Bretts immer exzentrischeren Auftritten bilden wird. Für „The Empty House“ kann nur festgestellt werden, dass die Interaktion der Regulars auf einem neuen Hoch angelangt ist und sich im Spiel sowohl von Hardwicke als auch von Williams eine herzensechte Anteilnahme an Holmes’ Verbleib bemerkbar macht.
Diese liebenswerte Komponente in Zusammenhang mit dem ausgezeichneten Aufgreifen der Meiringen-Nachwehen, die aus 1984 gedrehtem Originalmaterial (noch mit Burke) und teilweise in Wales nachgefilmten Szenen zusammengesetzt wurden, machen „The Empty House“ zu einem essenziellen Einstieg in die neue Staffel. John Hawkesworth schafft es trotz ausführlicher Schilderungen Holmes betreffend, den Mordfall Adair und die Gefährlichkeit des Täters mit seiner einzigartigen Gehstock-Luftgewehr-Kombination nicht aus dem Auge zu verlieren. Vor allem die Szenen im titelgebenden leeren Haus gegenüber der Baker Street 221B gestalten sich hochspannend, wobei man nicht auf das liebenswerte Detail verzichtete, Mrs. Hudson einen wesentlichen Anteil am Gelingen des Planes zuzusprechen.
Gubanov
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23.06.2016 21:15
#21 RE: The game is afoot: Jeremy Brett als Sherlock Holmes
The Return of Sherlock Holmes: The Abbey Grange (Abbey Grange)
Episode 15 der TV-Kriminalserie, GB 1986. Regie: Peter Hammond. Drehbuch: T.R. Bowen (Vorlage, September 1904: Sir Arthur Conan Doyle). Mit: Jeremy Brett, Edward Hardwicke. In Gastrollen: Paul Williamson (Inspector Hopkins), Conrad Phillips (Sir Eustace Brackenstall), Anne Louise Lambert (Lady Mary Brackenstall), Zulema Dene (Theresa Wright), Oliver Tobias (Captain Croker), Nicolas Chagrin (Mr. Viviani) u.a. Uraufführung (GB): 16. Juli 1986. Uraufführung (BRD): 8. Februar 1988. Eine Produktion von Granada Television und Independent Television.
Zitat von The Abbey Grange (Abbey Grange)Inspector Hopkins telegrafiert um Hilfe; Holmes und Watson eilen unverzüglich herbei: Auf Abbey Grange ist ein Mord geschehen – der Letzte in der Adelslinie der Brackenstalls liegt erschlagen in seinem Speisezimmer. Seine Gattin muss von ihrer Ehe mit einem Trinker berichten, wobei Sir Eustace nicht nur schlechte Eigenschaften gehabt zu haben scheint. Bei der Untersuchung des Grundstücks entdecken Holmes und Watson jedoch, dass ihnen die Lady mehrere Lügen aufgebunden hat. Die Einbrecher, die den Mord begangen haben sollen, gab es vielleicht gar nicht ...
Was laut Kanon an einem klirrend kalten Wintermorgen beginnt, musste aus produktionszeitlichen Gründen für die TV-Adaption um einige Monate verschoben werden, wodurch Granada den Zuschauer um den Anblick der Abbey Grange in Nebel, Schnee und Eis, aber auch um die Deduktion betreffend eines Lochs im zugefrorenen Schlossteich brachte. Man zeigte sich erfinderisch und schuf mit einem befestigten Holzscheit einen adäquaten Ersatz, an dem Holmes seine deduktiven Künste, die in „Abbey Grange“ besonders eindrucksvoll zur Geltung kommen, demonstrieren darf. Jeremy Brett beweist Agilität, indem er den Kaminsims erklimmt, was von Peter Hammond durch den Einsatz einer Verzerrungslinse geradezu akrobatisch-bedrohlich in Szene gesetzt wird. Hammonds exzentrische Regieführung, welche die verantwortlichen Kameramänner immer wieder zu fragwürdigen Aufnahmen durch Gläser, in Spiegeln, mit Lichtreflexen und aus teilweise abstrusen Einstellungen (hier z.B. aus Sichtweise der Leiche) anhielt, kann teilweise reizvoll wirken; man wünscht sich an seiner Stelle dennoch oft einen soliden und weniger kapriziösen Handwerker wie Paul Annett oder Alan Grint zurück, der mehr Wert auf die Geltendmachung der Story als auf optische Ablenkmanöver legt.
Glücklicherweise stimmen bei „The Abbey Grange“ im Gegensatz zu einigen Hammond-Spätarbeiten noch die übrigen Produktionsfaktoren: Diese Episode lebt vor allem von ihrer punktgenauen Besetzung, in der das in das Verbrechen verwickelte Quartett eine herausragende Sonderstellung einnimmt: Anne Louise Lambert als gequälte Ehefrau und Zulema Dene als ihre vertrauenswürdige Zofe legen geheimnisvolle Finten in verschiedene Richtungen, während der trunksüchtige Sir Eustace (Conrad Phillips) stark an Harry Cording aus den Holmes-Filmen mit Basil Rathbone erinnert. Erst in der zweiten Hälfte tritt Oliver Tobias auf, dessen Geständnis leider etwas zu lang geraten ist und von seiner für viktorianische Zeiten erstaunlich unsauberen Aussprache erschwert wird.
Die eigentlichen Höhepunkte der Folge ereignen sich, bevor Holmes seine Vermutungen von Captain Croker auf dem Silbertablett bestätigt bekommt: Es ist „The Abbey Grange“, in der der Detektiv seinen Freund mit dem berühmten, leicht von Shakespeare abgewandelten Ausspruch „the game is afoot“ aus dem Bett scheucht (Holmes’ Variante dürfte mittlerweile größere Bekanntheit erlangt haben als die Textzeile aus „King Henry V“). Dann die Fahrt aufs Land, wo man, ohne es den Zuschauer merken zu lassen, drei Anwesen zum titelgebenden Sitz der Brackenstalls verschmolz. Besonderer Reiz ergibt sich in „The Abbey Grange“ jedoch aus den grausigen Details, die die Gefährlichkeit des Schlossherrn hier mehr, dort weniger dezent untermauern und deren auffälligste Konsequenz direkt in Lady Brackenstalls Gesicht geschrieben steht.
The Return of Sherlock Holmes: The Musgrave Ritual (Das Ritual der Familie Musgrave)
Episode 16 der TV-Kriminalserie, GB 1986. Regie: David Carson. Drehbuch: Jeremy Paul (Vorlage, Mai 1893: Sir Arthur Conan Doyle). Mit: Jeremy Brett, Edward Hardwicke. In Gastrollen: James Hazeldine (Richard Brunton), Michael Culver (Sir Reginald Musgrave), Johanna Kirby (Rachel Howells), Teresa Banham (Janet Tregallis), Ian Marter (Inspector Fereday), Patrick Blackwell (Tregallis), Wayne Michaels (Reiter) u.a. Uraufführung (GB): 23. Juli 1986. Uraufführung (BRD): 1. Februar 1988. Eine Produktion von Granada Television und Independent Television.
Zitat von The Musgrave Ritual (Das Ritual der Familie Musgrave)Für den Katechismus der Musgraves riskiert der hochintelligente Butler von Hurlstone, Richard Brunton, sogar seine Stellung. Des Nachts vertieft er sich in das Dokument, das in der Familie seines Dienstherrn von Generation zu Generation weitergegeben wird. Am nächsten Tag ist er verschwunden. Kann Musgraves Jugendfreund Sherlock Holmes die verschlüsselten Botschaften des Rituals entziffern und damit Bruntons Spur verfolgen? Welches Schicksal hat den Diener ereilt und warum verhält sich das Dienstmädchen Rachel so merkwürdig?
Verdienterweise findet sich „The Musgrave Ritual“ im Korpus von Doyles Lieblingserzählungen wieder. Die Geschichte verfügt über alles, was sich die Leser damals und heute von einem guten Krimi erwarte(te)n: Einblicke ins Privatleben und die nicht niedergeschriebenen Fälle von Sherlock Holmes, ein Ausflug aufs Land, eine verschwundene Person, eine Schatzsuche, Liebe und Betrug, Mord und eine verblüffend logische Auflösung. Der einzige Haken der Vorlage bestand darin, dass Holmes in diesem Fall allein ermittelt – er ist als Rückblende auf die Zeit vor seiner Bekanntschaft mit Watson angelegt. War man schon so weit gegangen, Holmes und Watson dauerhaft gemeinsam in der Baker Street wohnen und den Doktor nicht heiraten oder gar eine eigene Bleibe suchen zu lassen, so war es nur folgerichtig, die Geschichte zeitlich so zu verschieben, dass die beiden Ermittler gemeinsam gen Hurlstone reisen. Jeremy Paul, der der Serie von der ersten bis zur letzten Staffel als Drehbuchautor erhalten blieb, baute die nötigen Änderungen mit Feingefühl ein, sodass sie das Konstrukt nicht beschädigen, sondern es sogar noch verbessern – er gewann einen Edgar Award für seine Arbeit an „The Musgrave Ritual“.
Zurecht bezeichnet Michael Cox das Anwesen Baddesley Clinton als das vielleicht schönste der Serie. Die malerischen Szenen im Park und am Wassergraben kommen der abenteuerlichen Suche nach dem Geheimnis des Rituals enorm zugute – die herbstbunte Landschaft, die stattlichen Bäume und die optisch ansprechenden Regieeinfälle, z.B. mit dem Ruderboot oder der Parkbank, auf der Holmes das Problem überdenkt, während Watson und Musgrave von der Jagd zurückkommen, verleihen der Folge eine edle Ausstrahlung. Doch auch die Besetzung kann sich sehen lassen: Mit gebührendem Understatement zeichnet Richard Hazeldine das Bild des Dieners, der klüger als sein Herr ist, obwohl Michael Culvers Sir Reginald kaum (wie etwa der König von Böhmen) in die Kategorie plumper Schnösel einzuordnen ist.
Eine ungewöhnliche Neuerung stellen Holmes’ exzentrische Launen dar, die Jeremy Brett genüsslich ausweidet. So bleibt seine Einstellung gegenüber Sir Reginald Musgrave unklar; seine Unkonventionalität macht sich in der Dinner-Szene, in der er eine Strickdecke über dem Abendanzug trägt, um sich in den kühlen alten Gemäuern warmzuhalten, und in dem Moment bemerkbar, als er über Bruntons standesungemäßes Verhalten, seinen Arbeitgeber zu korrigieren, in einen seinerseits höchst unangebrachten Lachkrampf verfällt. Die Kokainspritze hat er ebenso wie seine Kiste alter Fälle nach Hurlstone mitgebracht – beides findet jedoch nur am Rande Erwähnung.
Gubanov
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27.06.2016 22:00
#24 RE: The game is afoot: Jeremy Brett als Sherlock Holmes
The Return of Sherlock Holmes: The Second Stain (Der zweite Fleck)
Episode 17 der TV-Kriminalserie, GB 1986. Regie: John Bruce. Drehbuch: John Hawkesworth (Vorlage, Dezember 1904: Sir Arthur Conan Doyle). Mit: Jeremy Brett, Edward Hardwicke, Rosalie Williams, Colin Jeavons. In Gastrollen: Harry Andrews (Lord Bellinger), Patricia Hodge (Lady Hilda Trelawney Hope), Stuart Wilson (der Ehrenwerte Trelawney Hope), Sean Scanlan (Constable MacPherson), Yves Beneyton (Eduardo Lucas), Yvonne Orengo (Madame Henri Fournaye), Alan Bennion (Bates) u.a. Uraufführung (GB): 30. Juli 1986. Uraufführung (BRD): 18. Januar 1988. Eine Produktion von Granada Television und Independent Television.
Zitat von The Second Stain (Der zweite Fleck)Seine Dienste bietet Sherlock Holmes nur im Tausch gegen absolutes Vertrauen an: Erst nachdem der Premierminister und der vielversprechende Nachwuchspolitiker Trelawney Hope den Meisterdetektiv in den Inhalt jenes kompromittierenden Briefs eingeweiht haben, der aus Hopes Haus in Westminster gestohlen wurde, akzeptiert Holmes den Fall. Er kann auf Anhieb die Namen dreier Männer nennen, die für den Raub eines so wichtigen Papiers in Frage kommen. Ausgerechnet einer dieser Herren ist am Vorabend ermordet worden!
Werden in „The Musgrave Ritual“ mehrere Fälle erwähnt, die es leider nie aufs Papier des Strand Magazine und folglich auch in keine filmische Umsetzung geschafft haben, so drohte „The Second Stain“ zunächst das gleiche Schicksal. Ursprünglich nicht mehr als eine bloße Nebenbemerkung in „The Naval Treaty“ (1893), griff Doyle den vielversprechenden Titel erst 1904 – nach Holmes’ Hiatus – für eine ausführliche Schilderung auf. Passenderweise wurde sie auch in der Brett-Serie aufgespart, bis das „Final Problem“-„Empty House“-Abenteuer überstanden war.
John Hawkesworths Adaption und die Regie – letztmalig durch John Bruce – misst den repräsentativen Aspekten des Krimis große Bedeutung zu. Die echten London-Aufnahmen kommen „The Second Stain“ besonders zugute; perfekt verkleidete Straßenzüge und ein schier unendliches Aufgebot von Kutschen und Statisten macht die Folge zu einem besonders opulenten Fernsehvergnügen, was sich auch in den Innenaufnahmen der eleganten Hope’schen Stadtwohnung fortsetzt.
Leider verweilt die Folge zu Beginn zu lang und schwerfällig in der Baker Street, bevor die Ereignisse wirklich an Fahrt aufnehmen. Im Gegensatz zu den meisten Fällen, in denen die Autoren die Streckung der Sherlock-Holmes-Kurzgeschichten auf 50 Minuten Fernsehspielzeit ideenreich meistern, verliert „The Second Stain“ stellenweise stark an Antrieb, was auch durch geschickte Montagen wie die Untersuchung des Mordzimmers in der Odolphin Street nicht kaschiert werden kann. Zugleich scheinen die vom Raub des politisch sensiblen Dokuments betroffenen Ehrenmänner – verglichen mit Percy Phelps und Lord Holdhurst – nicht gerade in Panik versetzt zu sein, sodass weder die Gefahr eines drohenden Krieges noch der emotionale Zwiespalt von Lady Hilda dringlich nachvollziehbar wird (obgleich Patricia Hodge sich größte Mühe gibt und Harry Andrews und Stuart Wilson mühelos an die Wand spielt).
Gubanov
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29.06.2016 16:30
#25 RE: The game is afoot: Jeremy Brett als Sherlock Holmes
The Return of Sherlock Holmes: The Man with the Twisted Lip (Der Mann mit dem entstellten Mund)
Episode 18 der TV-Kriminalserie, GB 1986. Regie: Patrick Lau. Drehbuch: Alan Plater (Vorlage, Dezember 1891: Sir Arthur Conan Doyle). Mit: Jeremy Brett, Edward Hardwicke, Rosalie Williams. In Gastrollen: Clive Francis (Neville St. Clair), Eleanor David (Mrs. St. Clair), Denis Lill (Inspector Bradstreet), Patricia Garwood (Mrs. Whitney), Terence Longdon (Isa Whitney), Albert Moses (Laskar), Dudley James (Constable) u.a. Uraufführung (GB): 6. August 1986. Uraufführung (BRD): 17. Februar 1988. Eine Produktion von Granada Television und Independent Television.
Zitat von The Man with the Twisted Lip (Der Mann mit dem entstellen Mund)Welch ein Schock für Mrs. St. Clair: Als sie sich aus reinem Zufall in eine zwielichtige Straße im Londoner East End verirrt, sieht sie ihren Mann, einen respektablen City-Reporter, am Fenster einer Opiumspelunke! Sie ruft sofort die Polizei, doch bei der Durchsuchung findet sich keine Spur von Neville St. Clair. Kurz darauf fischt man seinen Mantel aus der hinter dem Haus gelegenen Themse. Alles deutet darauf hin, dass der Bettler Boone den Journalisten getötet hat. Doch woher kommt dann der Brief, den Mrs. St. Clair vier Tage später von ihrem Mann erhält?
In den meisten Fällen sonnt sich die „Sherlock Holmes“-Reihe im Glanz der begüterten viktorianischen Oberschicht, obgleich Watson mehrfach erwähnt, dass Holmes seine Fälle nicht nach dem Einkommen seiner Klienten, sondern ausschließlich nach ihren kriminalistischen Meriten auswählte. „The Man with the Twisted Lip“ bildet zumindest teilweise eine Ausnahme, entführt die Folge den Zuschauer doch in ein glaubwürdig gezeichnetes Elendsquartier, das von Patrick Lau in unverhohlenen, angemessen abstoßenden Bildern skizziert wird und dabei doch nicht den Spaß an der Gedankenübung um den möglichen Tod von Neville St. Clair raubt. Im Gegenteil: Der besonders raffinierte Fall kommt hervorragend zur Geltung, was vor allem auch der treibenden Kraft zu verdanken ist, die von der Gattin des Opfers ausgeht, welche von Eleanor David mit selbstbewusstem Nachdruck verkörpert wird. Zugleich gelang der Maske das Kunststück, die Identität des titelgebenden entstellten Mannes so gut zu verschleiern, dass tatsächlich erst in einer komödiantisch beflügelten Enthüllungssequenz ersichtlich wird, wer sich hinter der Maske verbirgt, während Bretts Verkleidungen trotz großer handwerklicher Mühen oft in Sekundenschnelle zu durchschauen sind.
Apropos Brett: „The Man with the Twisted Lip“ bietet eine ausgesprochen gute Gelegenheit, das wohlige Porträt der Freundschaft zwischen Holmes und Watson, die Brett und Hardwicke nach dem Fortgang von Burke neu definierten mussten, zu beobachten. Watsons neckische Kommentare über das Fortbleiben seines Freunds und Holmes’ ernsthaftes Interesse an der Meinung seines Biografen zeugen von einem gelungenen Zusammenspiel der neuen Paarung, von dem jede Episode – auch schwächere als die vorliegende – profitiert. Zu allem Überfluss entwickelt Mrs. Hudson richtiggehend mütterliche Gefühle.
Man mag einschränken, dass sich „The Man with the Twisted Lip“ auf einige Zufälle und Ungereimtheiten verlässt – die Aufmerksamkeit wird von diesen jedoch galant abgelenkt. Alan Plater hielt sich dabei dennoch eng an die Vorlage, wobei Watsons Ehefrau und mit ihr sein falsch genannter Vorname für die Verfilmung eliminiert wurden. Opfer einer Rationalisierung wurde auch Inspector Barton, der das Obergeschoss der Opiumhöhle durchsucht, während Inspector Bradstreet in der Vorlage erst gen Ende auftaucht. Dennis Lills gewieftes Porträt des Bradstreet erlaubt der Rolle einen größeren Spielraum und sogar wiederholtes Auftauchen in den Episoden „The Bruce Partington Plans“ (anstellte von Lestrade) und „The Mazarin Stone“ (anstelle von Youghal).
Gubanov
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05.07.2016 23:50
#26 RE: The game is afoot: Jeremy Brett als Sherlock Holmes
The Return of Sherlock Holmes: The Priory School (Die Internatsschule)
Episode 19 der TV-Kriminalserie, GB 1986. Regie: John Madden. Drehbuch: T.R. Bowen (Vorlage, Februar 1904: Sir Arthur Conan Doyle). Mit: Jeremy Brett, Edward Hardwicke, Rosalie Williams. In Gastrollen: Alan Howard (Herzog von Holdernesse), Christopher Benjamin (Dr. Huxtable), Nicholas Gecks (James Wilder), Nissar Modi (Lord Arthur Saltire), Michael Bertenshaw (Aveling), Jack Carr (Reuben Hayes), Brenda Elder (Mrs. Hayes), William Abney (Rivers) u.a. Uraufführung (GB): 13. August 1986. Uraufführung (BRD): 20. Januar 1988. Eine Produktion von Granada Television und Independent Television.
Zitat von The Priory School (Die Internatsschule)Aufregung in Dr. Huxtables renommierter Internatsschule: Der junge Lord Arthur Saltire, der einzige Sohn des Herzogs von Holdernesse, ist verschwunden. Ebenfalls nicht mehr aufzufinden ist ein Deutschlehrer, dessen Fahrrad bei einer Suche unweit der Schule wieder auftaucht. Holmes und Watson – von der Aussicht auf ein stattliches Honorar gelockt – durchkämmen die Wiesen und Felder rund um Holdernesse Hall. Als sie auf die Leiche des Lehrers stoßen, scheint es, als hätten sie zu spät eingegriffen ...
Eine Kindesentführung macht freilich besonders betroffen – dennoch spiegelt „The Priory School“ unfreiwillig die gesellschaftliche Rangfolge seiner Entstehungs- und Handlungszeit wider, zu der die Dringlichkeit eines Vergehens vor allem am sozialen Status des Betroffenen festgemacht wurde. Verschwinden hier zugleich der Sohn eines Herzogs und ein Schullehrer, so wird sich folgerichtig im Wesentlichen auf das Schicksal des Blaublüters konzentriert, während die sogar Entdeckung der Leiche Herrn Heideckers ebenso wie die Tortur der Herbergswirtin Mrs. Hayes nur unwesentliche Randerscheinungen bleiben. Im Mittelpunkt steht vielmehr der Herzog von Holdernesse, den Alan Howard zwar willensstark interpretiert, ihn aber weitgehend seines exzentrischen und aristokratischen Auftretens beraubt, weshalb das Getue der Lehrerschaft und seiner Angestellten ein wenig übertrieben erscheint.
Die in vielen anderen Episoden der Reihe so gelungenen Naturaufnahmen bleiben in „The Priory School“ eher trist, obwohl man einige passende und durchaus ehrwürdige Drehorte aufspürte. Während man die Landpartie von Holmes und Watson in aller Ausgiebigkeit betrachten darf (zu ausgiebig, möchte man stellenweise meinen), kommt ein weiterer Schauplatz – die unterirdische Kathedrale, in die T.R. Bowen das Finale verlegte, – kaum zur Geltung, weil er dem Zuschauer weder inhaltlich noch mit angemessener filmischer Überleitung vorgestellt wird. Das Finale wirkt damit ebenso wie die Schulmontage zu Beginn eher holprig geschnitten und krankt zudem an der Frage, warum man – trotz südländischer Filmmutter – den jungen Lord Saltire mit einem offenkundig indischstämmigen Kinderdarsteller besetzte.
Einige der Schwächen von „The Priory School“, zu denen, wie Cox eingesteht, auch die nebensächliche Enttarnung des zentralen Täuschungsmanövers gehört, werden von Patrick Gowers’ getragener Choral-Musik wettgemacht. Das „Libera Me“ ist die vielleicht spannendste Variation der markanten Titelmusik und wurde von den Chorknaben der Westminster Abbey eingesungen. Man hätte sich für dieses starke Musikstück, mit dem die Episode wirkungsvoll ausklingt, ein gelungeneres Umfeld als diese eher unvorteilhafte Adaption gewünscht.
Gubanov
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09.07.2016 21:05
#27 RE: The game is afoot: Jeremy Brett als Sherlock Holmes
The Return of Sherlock Holmes: The Six Napoleons (Sechsmal Napoleon)
Episode 20 der TV-Kriminalserie, GB 1986. Regie: David Carson. Drehbuch: John Kane (Vorlage, Mai 1904: Sir Arthur Conan Doyle). Mit: Jeremy Brett, Edward Hardwicke, Colin Jeavons. In Gastrollen: Eric Sykes (Horace Harker), Gerald Campion (Morse Hudson), Vincenzo Nicoli (Pietro), Steve Plytas (Venucci sen.), Vernon Dobtcheff (Mendelstam), Marina Sirtis (Lucrezia), Emil Wolk (Beppo), Nadio Fortune (Beppos Cousin) u.a. Uraufführung (GB): 20. August 1986. Uraufführung (BRD): 24. Februar 1988. Eine Produktion von Granada Television und Independent Television.
Zitat von The Six Napoleons (Sechsmal Napoleon)Aus der kuriosen, wenn auch trivialen Frage, weshalb ein Einbrecher an mehreren Tatorten Napoleonbüsten zerstört und sonst nichts stiehlt, entwickelt sich ein sehr viel bedeutenderes Rätsel, als es im Zusammenhang mit dem Verschwinden einer weiteren Büste im Hause des Journalisten Horace Harker plötzlich zu einem Mord kommt. Was macht die sechs Napoleons, die von Kunsthändler Morse Hudson verkauft wurden, so einzigartig, dass ein Mann dafür sogar über Leichen zu gehen bereit ist?
Logischerweise würde es trotz der Hochwertigkeit der Doyle’schen Vorlage für Granada nicht leicht werden, aus dem Schatten der besonders ikonischen Verfilmung der „Napoleon“-Geschichte mit Basil Rathbone zu treten. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb man sich in der ersten Staffel noch nicht an die beliebte Erzählung gewagt hatte, obwohl dafür die meisten Rosinen aus dem Kanon herausgepickt worden waren. Anstatt sich nun auf die hauptsächlichen Tugenden des raffiniert konstruierten Falls zu besinnen, meinte der für die Serie nur dieses eine Mal verpflichtete Drehbuchautor John Kane, der sich zuvor mit dem Theaterstück „Murder, Dear Watson!“ hervorgetan hatte, einen spektakulären Ersatz für den Hoxton creeper finden zu müssen, den seinerzeit Bertram Millhauser in Anlehnung an Universals Horrorklassiker erdacht hatte. Kane verfiel deshalb auf die Idee, den Plot von seinem italienischen Seitenstrang her aufzuziehen, was eher ablenkend wirkt und die Folge stellenweise stereotyp geprägt wirken lässt. Immerhin boten die mafiaesken Abgründe auch Raum für Action und Tempo, wobei man diese beiden Faktoren auch anhand der Napoleon-Raubzüge an sich hätte betonen können, die in der vorliegenden Adaption verhältnismäßig kurz kommen.
Dort, wo Beppos Raubzug einmal im Detail nachvollzogen wird, brachte Kane einigen kindischen Humor ein, der vom Suspense ablenkt, sodass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, die Folge hätte deutlich düsterer und bedrohlicher ausfallen können. Das trifft auch auf die sehr kuriosen Darstellungen von Horace Harker und Mr. Sandeford zu, die eher in eine Komödie als in eine ernsthafte Krimiserie wie Bretts „Return of Sherlock Holmes“ passen würden.
Dennoch verliert „The Six Napoleons“ nichts von seiner faszinierenden Prämisse und den interessanten Ermittlungen, die die sehr unterschiedliche Prioritätensetzung von Holmes und Lestrade verdeutlichen und zudem vom gegenseitigen Respekt, aber auch einem neckischen Katz-und-Maus-Spiel der beiden Spürnasen geprägt sind. Wie üblich sorgte David Carson für eine ausgezeichnete optische Qualität der ihm anvertrauten Episode; besonders im Leichenschauhaus, in Morris Hudsons Geschäft und im nächtlichen Garten des Josiah Brown gelingen abwechslungsreiche Aufnahmen, die den Zuschauer aufmerksam am Ball bleiben lassen.
Gubanov
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14.07.2016 23:45
#28 RE: The game is afoot: Jeremy Brett als Sherlock Holmes
Staffel 4: The Return of Sherlock Holmes (Teil 2, 1988)
Dass auch ein noch so verantwortungsbewusster Produktionsstab nicht gegen unangenehme Überraschungen gefeit ist, zeigt sich an der zweiten „Return“-Staffel, die in den Händen des gleichen Personenkreises lag wie die dritte Season, aber im Vergleich dazu einen deutlich zwiespältigeren Eindruck hinterlässt. Ursprünglich hatten Michael Cox und June Wyndham Davies sich den Verlauf anders vorgestellt – die Produktion von nur vier Folgen und der Zustand des Hauptdarstellers mussten kurzfristig als gegebene Übel hingenommen werden.
Auffällig ist nicht nur die Häufung dreier sehr ländlicher Folgen zu Beginn der Staffel, sondern auch der Umstand, dass die vierte Staffel düsterer daherkommt und mehr Wert darauf legt, eine eigene Stimmung abseits reiner Buchverfilmungen zu etablieren. Sowohl Ken Hannam als auch Peter Hammond tun sich in dieser Hinsicht – mit unterschiedlichem Erfolg – hervor, wobei der Einfluss, den der mittlerweile sichtlich angefressene und teilweise bereits übermäßig exzentrisch auftretende Jeremy Brett sowie die von Anfang an nicht hauptsächlich auf Originaltreue, sondern auf „Looks“ bedachte Produzentin Davies in Bezug auf einen Imagewandel der Serie ausübten, nicht zu unterschätzen ist. Dass der Name des Serienvaters John Hawkesworth nach dieser Staffel und den beiden Langfilmen „Sign“ und „Hound“ aus dem Vorspann verschwand, ist ein deutliches Signal, dass nicht jeder Beteiligte die Änderungen guthieß.
Episode 22 der TV-Kriminalserie, GB 1988. Regie: Ken Hannam. Drehbuch: Gary Hopkins (Vorlage, Dezember 1910: Sir Arthur Conan Doyle). Mit: Jeremy Brett, Edward Hardwicke. In Gastrollen: Denis Quilley (Dr. Leon Sterndale), Damien Thomas (Mortimer Tregennis), Michael Aitkens (Reverend Roundhay), Freda Dowie (Mrs. Porter), Norman Bowler (Owen Tregennis), Peter Shaw (George Tregennis), Christine Collins (Brenda Tregennis), John Saunders (Dr. Richards) u.a. Uraufführung (GB): 6. April 1988. Eine Produktion von Granada Television und Independent Television.
Zitat von The Devil’s FootEigentlich sollte Holmes in Cornwall Urlaub machen, um seine schwächelnde Gesundheit wieder ins Lot zu bringen. Kaum angekommen, offenbart sich ihm allerdings ein faszinierender Fall: Mortimer Tregennis, der am Vorabend seine Geschwister besuchte, kehrt am Morgen aufs Familienanwesen zurück und findet seine Schwester tot und die Brüder dem Wahnsinn verfallen. Welche unheimliche Kraft hat hier gewirkt? Während Tregennis vom Schatten eines möglichen Eindringlings auf der Auffahrt berichtet, schlussfolgert Holmes, dass das Verbrechen bis ins Herz von Afrika zurückverfolgt werden muss ...
Vermutlich fiel die Stoffauswahl in einen früheren Zeitraum, doch es scheint dem Zuschauer auf traurige Weise angemessen, dass Holmes aufgrund gesundheitlicher Probleme zu einer Landpartie gezwungen wird. Gleichermaßen sieht man Brett die zunehmend geschwächte physische Stabilität an, wobei es sich allerdings nicht um eine Anpassung des Schauspielers an seine Rolle, sondern um die im Film nicht zu vertuschenden Auswirkungen realer Medikamente handelt, die Brett aufgedunsen und unbeweglich wirken lassen. Dass er optisch immer weniger mit dem traditionellen Holmes-Vorbild aus den Paget-Zeichnungen gemein hat, liegt neben diesen Nebenwirkungen auch an einem selbst beigebrachten Kurzhaarschnitt, der in der im Jahr 1897 angesiedelten Episode ähnlich fehl am Platz wirkt, als würde Holmes Jeans und Turnschuhe tragen. Man muss sich daher fragen, ob seine zumindest in den ersten Jahren so vehemente Verteidigung von Originaltreue ihn nicht zu einem freiwilligen Niederlegen der Rolle hätte verleiten müssen. Ablenkung durch Arbeit um jeden Preis scheint der Hauptgrund für den Fortbestand der Granada-Reihe über die erste Hälfte des „Return“ hinweg, spätestens aber bei den darauffolgenden Langfilmen und den „Memoirs“ gewesen zu sein – sozusagen eine televisionäre Therapie für Brett, der die Eigenschaften der Holmes-Rolle immer stärker mit seinen eigenen Persönlichkeitsmerkmalen verwässert.
Gewisse therapeutische Aspekte für Holmes schwingen auch in „The Devil’s Foot“ mit, treten in Form der Beilegung von Holmes’ Drogensucht in einer beinahe poetischen Strandszene sowie in der einfallsreichen und trotz Achtzigerjahre-Popart ästhetisch und suggestiv anspruchsvollen Halluzinationssequenz allerdings stilsicher in Erscheinung. Die gesamte Folge ist mit ihren aufwendigen Aufnahmen an wind- und wassergeprägten, wuchtigen kornischen Originalschauplätzen sowie einer beständigen Aura der nicht greifbaren Gefahr als vorbildlich einzustufen und wäre einer der unbestrittenen Höhepunkte der Serie, wenn es um den Hauptdarsteller nicht bereits so schlecht bestellt gewesen bzw. die vorliegende Inszenierung in einer der früheren Staffeln aufgetaucht wäre.
Neben einer erneut innovativen Herangehensweise an Gowers’ Titelmusik, die diesmal von hypnotischem Trommeleinsatz begleitet und verzerrt wird, zeichnet sich „The Devil’s Foot“ durch Gastdarstellungen der Spitzenklasse aus, wobei Denis Quilley und Damien Thomas die verschlagene Seite ihrer Figuren zum Tragen bringen, während Michael Aitkens die Liebenswürdigkeit und Freda Dowie die Rechtschaffenheit in Person verkörpern. Die abgeschiedene, stellenweise an die Moore von Baskerville erinnernde Lage der Cottages sorgt dafür, dass die vom Pfarrer vorgeschlagene überirdirsche Erklärung der unheimlichen Vorfälle von Tredannick Wollas fast für bare Münze genommen werden könnte, was der Folge bis zur erhellenden und mit einigen zusätzlichen Clous gespickten Auflösung eine stimmige Gruselkomponente verleiht.
Gubanov
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17.07.2016 16:30
#30 RE: The game is afoot: Jeremy Brett als Sherlock Holmes
Episode 23 der TV-Kriminalserie, GB 1988. Regie: Brian Mills. Drehbuch: John Hawkesworth (Vorlage, Dezember 1892: Sir Arthur Conan Doyle). Mit: Jeremy Brett, Edward Hardwicke, Rosalie Williams. In Gastrollen: Peter Barkworth (Colonel Ross), Barry Lowe (John Straker), Jonathan Coy (Fitzroy Simpson), Malcolm Storry (Inspector Gregory), Manda-Jayne Beard (Edith Baxter), David John (Ned Hunter), Sally Faulkner (Mrs. Straker), Russell Hunter (Silas Brown) u.a. Uraufführung (GB): 13. April 1988. Eine Produktion von Granada Television und Independent Television.
Zitat von Silver BlazeSilver Blaze ist der Favorit im Rennen um den Wessex Plate, sodass Colonel Ross äußerst beunruhigt ist, als das Pferd über Nacht aus seinem Rennstall verschwindet. Am Abend zuvor war ein neugieriger Fremder auf dem Hof gesehen worden – Sabotage liegt nahe. Zu allem Überfluss findet man den Trainer des Pferdes tot in einer nahegelegenen Senke. Sherlock Holmes interessiert sich für die Fragen, wie das Betäubungsmittel in das Essen der Stallburschen gelangte und warum sich der Hund in der Nacht so merkwürdig verhielt ...
„Silver Blaze“ ist die einzige Geschichte der vierten Staffel, die Doyle vor dem Holmes-Hiatus schrieb – oder genauer: die nicht aus der späten Sammlung „His Last Bow“ stammt. Cox führt an, dass Budgetbedenken die frühere Verfilmung verhindert hätten. Nachdem er sich nun von John Hawkesworth, dessen Name ausgerechnet in den Credits seiner Lieblingsgeschichte falsch geschrieben wurde, zu einer Adaption überreden ließ, stellte diese wie befürchtet mir nichts, dir nichts den Finanzplan von „Return II“ auf den Kopf: War ursprünglich beabsichtigt, auch in dieser Staffel dem Publikum sechs Episoden zu servieren, so sorgte die Kostenexplosion aufgrund des historischen Pferderennens am Ende dieser Folge für erzwungene Umplanungen. Die ungalante Notlösung: nur vier Kurzfolgen und anschließend einen „Hound of the Baskervilles“ als Langfolge auf Sparflamme. Einerseits ist es schade, dass nirgendwo Aufschluss darüber gegeben wird, welche Geschichten man gegenüber der ursprünglichen Planung fallen ließ. Andererseits hätte man wissen müssen, dass eine abgespeckte Version des Aushängeschilds einer jeden Holmes-Serie von vielen Zuschauern als Affront bewertet werden würde ...
Die Ironie des Schicksals sorgte dafür, dass das Resultat dieser Umverteilungsaktionen, nämlich das Pferderennen, am Ende nicht so atemberaubend ausfällt, dass es den ganzen Ärger rechtfertigt. Weder ist der Sieg von Silver Blaze für den Kriminalfall wichtig oder überhaupt eine besondere Überraschung, noch gelangen Brian Mills die Szenen auf dem Rennplatz besonders opulent. Der eigentliche Schwerpunkt liegt auf der vorangehenden Suche nach dem Pferd unter dem Zeitdruck, den das Rennen auf die Ermittlungen ausübt. Hier zeigt die Folge ihre offensichtlichsten Stärken: eine ausgewogene Schilderung der Tatumstände durch das Hauspersonal von Colonel Ross, Szenen im Stall und auf den Feldern um King’s Pyland. Die Folge weist zwei Besetzungsclous auf, die in einem Atemzug genannt allerdings etwas komisch klingen: Peter Barkworth, der eine herrlich herablassende Darstellung des Colonel Ross bewerkstelligt, und der ähnlich engagiert in die Kamera bellende Hund, der Doyles berühmten Hinweis auf den „curious incident of the dog in the night-time“ nicht besser verbildlichen könnte.
Der Ästhetik der Folge als ungemein zuträglich erweist sich die ehemals bei Bretts Holmes eher unpassende Landbekleidung mit Deerstalker-Mütze, die die Haare des Hauptdarstellers in einigen sehr gut ausgestalteten Schlüsselszenen verdeckt. Die etwas altmodischere und bodenständigere Optik als im verhältnismäßig avantgardistischen „The Devil’s Foot“ trägt in gleichem Maße dazu bei, dass „Silver Blaze“ häufig tatsächlich den Anschein erweckt, als würde man eine Episode aus einem der früheren Jahrgänge sehen. Dazu passt auch die Schlussszene, die sich zwar etwas mühselig zieht, aber dafür auf jede offene Frage eine wasserdichte Antwort liefert – eine Tugend der inhaltslastigen Frühfolgen, die hier wohl John Hawkesworth zu verdanken ist, während im späteren Verlauf zusehends der Unterhaltungswert über inhaltliche Bedenken gestellt wurde. Das Musterbeispiel für diese Entwicklung wird nicht lang auf sich warten lassen ...