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Dieses Thema hat 17 Antworten
und wurde 5.488 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
Seiten 1 | 2
Prisma Offline




Beiträge: 7.591

23.04.2013 01:30
Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten



DIE WAHRHEIT ÜBER ROSEMARIE (1959)

Belinda Lee als Rosemarie Nitribitt
mit Hans Nielsen, Paul Dahlke, Karl Lieffen, Jan Hendriks, Karl Schönböck, Claus Wilcke
und Walter Rilla, Edith Schultze-Westrum, Lina Carstens, Wolfgang Büttner, Georg Lehn
ein Film von Rudolf Jugert






»Ich werde mein Verhalten im Verkehr in Zukunft den Vorschriften besser anpassen!«


Frankfurt am Main in den Fünfzigerjahren. Der rätselhafte Mord an der Edelhure Rosemarie Nitribitt (Belinda Lee) sorgt für Schlagzeilen und Spekulationen. Die einschlägig bekannte Frau wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden, erwürgt von einem Unbekannten. Zu ihrer Stammkundschaft zählten viele wohlhabende Männer aus Politik und Wirtschaft, der Kreis der potentiellen Verdächtigen erscheint endlos zu sein. Rosemarie arbeitete sich von ganz unten empor und verdiente sich ein kleines Vermögen, doch sie litt unter Isolation und Einsamkeit. Ihre ehemalige Wirtin Frau Huber (Lina Carstens), ihre Masseurin Frau Kroll (Edith Schultze-Werstrum) und ihr hilfsbereiter Bekannter Heinz Pohlmann (Jan Hendriks) zählen zu den wenigen Vertrauten, die übrig geblieben sind, doch auch bei ihnen lässt sich im Nachhinein ein Mord-Motiv ausfindig machen. In der Nacht zum 01. November 1957 stirbt Rosemarie Nitribitt durch die Hand eines Unbekannten...

Diese, in der Reihe "Filmjuwelen" veröffentlichte Produktion von Rudolf Jugert, möchte schon anhand des sehr eindeutig klingenden Titels für Aufsehen, beziehungsweise für Aufklärung sorgen. Wer sich bahnbrechende, neue Erkenntnisse erhofft, ist hier allerdings vollkommen an der falschen Adresse, denn die Geschichte gibt sich von vorne bis hinten äußerst spekulativ, verliert sich in vagen Andeutungen und jongliert ausgiebig mit diversen Mutmaßungen, die seinerzeit in der gleichen hemmungslosen Form in der einschlägigen Klatsch-Presse offeriert wurden. Als Unterhaltungsfilm funktioniert "Die Wahrheit über Rosemarie" jedoch einwandfrei. Die Regie inszenierte nicht uninteressant und bediente sich eines einfachen Konzeptes, nämlich den kompletten Film um Rosemarie Nitribitt, beziehungsweise um die Engländerin Belinda Lee zu konstruieren. Etappenweise bekommt der Zuschauer Studien, Hintergründe und Veranschaulichungen geboten, und die in Rückblenden angelegte Geschichte wirkt als Kriminalfilm eher ungelenk, insgesamt gesehen jedoch zufriedenstellender und nüchternder als die ein Jahr zuvor erschienene, eher satirisch angehauchte Konkurrenz "Das Mädchen Rosemarie" mit Nadja Tiller in der Titelrolle. Die Episoden von Rosemaries Werdegang werden kurz und prägnant zusammengefasst, so dass man sich auch ohne besonderes Hintergrundwissen relativ gut orientiert fühlen kann, bis sich das Hauptaugenmerk auf die beteiligten Personen aus dem Bekannten- und Kundenkreis der Titelfigur verlagert. Hierbei sieht man gerne gesehene und bekannte Darsteller, die meistens nur in kurzen Auftritten agieren, und sich daher kaum oder überhaupt nicht gegen die unerbittlich sicher und authentisch wirkende weibliche Hauptrolle behaupten können.





Wo ich bei Nadja Tiller immer ein Image-Problem bezüglich der Verkörperung der Edelhure gesehen habe, zeigt Belinda Lee mithilfe ganz einfacher Register eine überzeugende Durchschlagskraft. Lee, die 1961 schrecklich jung im Alter von nur fünfundzwanzig Jahren bei einem Autounfall ums Leben kam, präsentiert hier ein Konglomerat aus allen erdenklichen weiblichen Attributen, und hat mich bei ihrer Darstellung restlos überzeugt, oder noch besser gesagt, fasziniert. Für damalige Verhältnisse spielte sie das, wofür man vermutlich nur sehr eingeschränkt eine andere Darstellerin gefunden hätte. Sie spielt mir einer offensiven Weiblichkeit, ihre Darbietung wirkt spontan und authentisch, und man kann schon sagen, dass sie dem Mythos Nitribitt ein bemerkenswertes Gesicht gegeben hat. Und apropos Gesicht, bei Belinda Lee handelt es sich um eine Schauspielerin, bei der man in unterschiedlichsten Einstellungen und Filmen, zahlreiche Facetten und Gemeinsamkeiten mit anderen bekannten Darstellerinnen zu sehen glaubt, eine überaus faszinierende Frau. Was den Zauber wieder ein wenig stört, ist dass man sie nachsynchronisieren musste, was hier leider nicht immer günstig gelöst wurde, wobei die gewählte Stimme in Verbindung mit den Dialogen eigentlich sehr nachhaltig wirkt. Die Darstellung der Rosemarie verläuft ausschließlich durch das leichtfüßige Schauspiel von Belinda Lee sehr überzeugend, denn ein offensichtlich schwaches Drehbuch führt innere Kämpfe mit allen Beteiligten durch. Der Eindruck von Tiefe des Charakters entsteht somit durch die schauspielerische Kompetenz und nicht durch raffinierte Kniffe, was besonders zum Ende hin mehr als deutlich wird. Zu viel Naivität und unangenehme, unfreiwillige Komik drohen die Titelfigur immer wieder zu vereinnahmen, doch Belinda Lee macht ihre Sache sehr ordentlich und wehrt sich erfolgreich mit allen klassischen Mitteln. Diese Schauspielerin, die bislang überhaupt nicht auf meinem Radar war, hat spätestens jetzt einen neuen Bewunderer gefunden!

Unter den weiteren Schauspielern findet man nur noch Nebenrollen, bei denen man sich damit begnügte, sie dem Zuschauer als Verdächtige zum Fraß vorzuwerfen, darüber hinaus bekommt man eher schwache Charakterstudien geboten, die wenig ausgefeilte Persönlichkeiten kommen und gehen lassen. Hans Nielsen, Paul Dahlke, Jan Hendriks oder Karl Schönböck wurden als Qualitätsgaranten nahezu vertan, und ihre Spur verliert sich in diffus gezeichneten Herrschaften, die unmittelbar mit Rosemarie zu tun hatten. Einen besonders schwerwiegenden Fall von überdurchschnittlicher Naivität musste beispielsweise Claus Wilcke zum Besten geben, der hier als Projektionsfläche für althergebrachte Moralvorstellungen und bürgerliches Gedankengut zu dienen hatte. Auch Wolfgang Büttner schließt sich dabei an, und sein mutmaßlich tiefsinniges Gespräch mit der Prostituierten hinterlässt einen dumpfen Beigeschmack, da es sich nur um eine weitere der unzähligen moralischen Predigten handelt, die seinerzeit in beinahe jedem Film Verwendung fanden. In einer vergleichsweise großen Rolle sieht man noch den im Vorspann unerwähnten Walter Rilla als russischen Verehrer Rosemaries, der wie üblich mit Eleganz und Charme auftrumpft. Karl Lieffen als kleiner, schmieriger Zuhälter gefällt genau so gut wie die gute Seele der Szenerie, Lina Carstens. Die größte Überraschung stellt jedoch Edith Schultze-Westrum dar, die aus ihrer kleinen Rolle eine beeindruckende Glanzvorstellung zaubern konnte. Im Endeffekt gibt es kein Problem der Rollenverteilung. Dass die Auftritte der Gäste der übermächtigen Präsenz der Titelfigur untergeordnet wurden, ist logisch und daher vollkommen legitim. Dass man es aber bei fast allen Beteiligten mit, vom Drehbuch ignorierten Personen zu tun hat, ist erstaunlich, da man die lange Liste des Dunstkreises um Rosemarie Nitribitt angesichts des Faktors Spannung und "Wahrheit" als Nebensächlichkeit aufgetischt bekommt. Schade, denn so bleibt lediglich der Eindruck von waghalsigen Spekulationen zurück!

Für damalige Verhältnisse ist "Die Wahrheit über Rosemarie" recht gewagt ausgefallen. Man bekommt zwar nur andeutungsweise Haut und nackte Tatsachen zu sehen, doch der schlüpfrige Charakter ergibt sich schließlich aus Wort und Tat. Die Geschichte an sich wirkt wenig dicht, und wurde lediglich aus ohnehin bekannten Tatsachen und diversen neuen Mutmaßungen zusammengebastelt. Neben dem übermächtigen Aufbau der Titelfigur bleibt für alles Andere nur wenig Luft, einseitige Abhandlungstaktiken wirken gewöhnlich und keineswegs bahnbrechend, die Regie entlarvt sich daher in vielen Fällen als eher durchschnittlich und gängige Klischees werden bereitwillig kolportiert. Zum Finale hin zeigt der Film glücklicherweise wieder seine Stärken und nutzt das vorher viel zu ausgiebig verschwendete Potential. In einer Traumsequenz erscheinen Rosemarie nochmals alle Mordverdächtigen, die zu ihr mit verzerrter Stimme sprechen und die sie bedrohen, ihre Angst und ihre Verzweiflung wird durch schräge Kamera-Perspektiven sehr gut zum Ausdruck gebracht, ihrem Mörder öffnet sie erleichtert die Türe. Dennoch wird das Tatmotiv nicht stichhaltig herausgearbeitet, denn das Prinzip, es könne jeder gewesen sein, mag zwar richtig sein, stellt bei dem vielversprechenden Titel der Produktion allerdings nicht zufrieden. Wenigstens bleibt der Aufbau immer klar und nachvollziehbar, und es kommt zu keinen verworrenen Passagen. Im Endeffekt schwächelt der Film an fehlender Brisanz, auch das Skandalöse wurde zu brav dargestellt und das Ende kommt schlussendlich viel zu abrupt, so dass der Zuschauer genau so ratlos zurückbleibt, wie er möglicherweise in diesen Film der angeblichen Enthüllungen hinein gegangen ist. Musikalisch bekommt man klassische Themen geboten, die dem Zeitgeist entsprechen, einige Sequenzen kennt man sogar aus "Der Frosch mit der Maske". Insgesamt hat mich dieser Film sehr gut unterhalten, so dass ich ihn gerne als sehenswert einschätzen möchte. Seine Defizite schiebe ich dem schwierigen Thema zu, und der Tatsache, dass es damals wie heute ja eigentlich keine neuen Erkenntnisse im Mordfall Rosemarie Nitribitt gibt und gegeben hat. Vor allem aber verneige ich mich vor der bestechenden Form von Belinda Lee, die hier schließlich die Hauptsache für einen funktionierenden Film darstellt.

eastmancolor Offline



Beiträge: 2.622

23.04.2013 08:57
#2 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten

Sehr schöner, ausführlicher Review. Ich werde mir die DVD besorgen. Zugegeben: Ich hatte bis zur Ankündigung von Fernsehjuwelen noch nie etwas von DIE WAHRHEIT ÜBER ROSEMARIE gehört.

PS: Mein Tipp für dich: "Ich habe sie gut gekannt".

Georg Offline




Beiträge: 3.263

23.04.2013 09:16
#3 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten

Es gibt übrigens einen sehr spannenden Kriminalroman, der sich an den Ereignissen orientiert: "Die Akte Rosenherz" von Jan Seghers. Dessen Kriminalromane um den Frankfurter Kommissar Marthaler stellen in meinen Augen sogar Henning Mankells Wallander in den Schatten.

Prisma Offline




Beiträge: 7.591

23.04.2013 12:33
#4 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten

Zitat von eastmancolor im Beitrag #2
Ich hatte bis zur Ankündigung von Fernsehjuwelen noch nie etwas von DIE WAHRHEIT ÜBER ROSEMARIE gehört.

Das ging mir ganz genau so, aber nicht nur die Besetzung, sondern die Thematik an sich hat mich blind überzeugt. Weitere Rosemarie-Verfilmungen werde ich bald auch noch hier besprechen. Vielen Dank aber für die nette Rückmeldung!
Zitat von eastmancolor im Beitrag #2
PS: Mein Tipp für dich: "Ich habe sie gut gekannt".

Das brauchst Du mir nicht zweimal zu sagen ... Längst vorbestellt! Ich muss sagen, dass ich schon ungeduldig warte; ich setze viele Hoffnungen in diesen interessant klingenden Film!

Giacco Offline



Beiträge: 2.520

23.04.2013 13:24
#5 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten

Vielen Dank für die Rezension, @Prisma! Werde mir den Film auch zulegen. Leider scheint es sich hier um die von der FSK zensierte deutsche Kinofassung zu handeln. Dazu ein Zitat des Produzenten Dieter Fritko von 1959:

Zitat von Dieter Fritko
"Die in der Bundesrepublik verbotene Originalfassung des Films wurde für Österreich von Vertretern der dortigen Regierung und der Kirche ohne Schnitte freigegeben. In Österreichs größtem Kino, dem 'Apollo' in Wien, begeisterte er die Wiener in einer Art, die von keinem vorher erwartet worden ist."


Belinda Lee ist in der Tat eine faszinierende Schauspielerin. Ich kannte sie schon aus einigen italienischen Filmen. Nach "Rosemarie" wirkte sie noch in einer weiteren deutschen Produktion mit: "Der Satan lockt mit Liebe". Diesen Film habe ich aber leider noch nicht gesehen.

Prisma Offline




Beiträge: 7.591

28.04.2013 13:50
#6 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten



DAS MÄDCHEN ROSEMARIE (1996) [TV]

Nina Hoss als Rosemarie Nitribitt
mit Heiner Lauterbach, Matthieu Carrière, Hannelore Elsner, Horst Krause, Til Schweiger, Ivan Desny und Katja Flint
ein Film von Bernd Eichinger






»Und dabei denkt die ganze Welt, die Deutschen würden nur arbeiten!«


Die junge Rosemarie Nitribitt (Nina Hoss) will im Frankfurt der Fünfziger Jahre von ganz unten nach oben. Sie ist in Heimen und Pflegefamilien aufgewachsen, hat aber das klare Ziel vor Augen, zur besseren Gesellschaft zählen zu wollen, und dafür ist ihr jedes Mittel recht. Als sie als Animierdame in einem Club arbeitet kommt ihre große Chance. Die Gäste, die dort im Begriff sind eine Orgie zu feiern, zählen zu den oberen Zehntausend, und durch eine List lernt Rosemarie den Industriellen Konrad Hartog (Heiner Lauterbach) kennen, mit dem sie eine Affäre beginnt. Durch ihn gelangt sie schnell in die exklusiven Kreise der Gesellschaft. Doch Rosemarie will bedeutend mehr. Um ihren Stand zu legitimieren soll Konrad sie heiraten, doch dieser ist bereits mit der eleganten Christine Bergmann (Katja Flint) verlobt. Als sie den französischen Geschäftsmann Fribert (Matthieu Carrière) kennen lernt, der ihr eine Wohnung einrichtet, und sie auf die Geschäftsfreunde von Hartog ansetzt, macht sie sich einen Namen als Edelprostituierte, doch gerät schon bald in ein gefährliches Spiel um Erpressung, Macht und Geld, dem Rosemarie letztlich nicht gewachsen ist...

Diese neue Adaption von "Das Mädchen Rosemarie" war 1996 der Auftakt in der Reihe »German Classics«, die die Produktionsfirma Neue Constantin damals für Sat.1 produzierte. Des Weiteren entstanden Remakes der Klassiker "Die Halbstarken", "Es geschah am hellichten Tag" und "Charley's Tante". Für das sogenannte Prestige-Projekt stand seinerzeit ein unglaubliches Produktionsbudget von satten 15 Millionen D-Mark zur Verfügung, und auch der Einstiegsfilm wurde dem Vernehmen nach zu einer bis dato teuersten TV-Produktionen überhaupt. Ich erinnere mich noch an groß und offensiv angelegte Werbe-Kampagnen des Senders, was sich zumindest für "Das Mädchen Rosemarie" auch rechnete, denn der Film brachte es bei seiner Premiere auf beachtliche 8,5 Millionen Zuschauer. Bei den folgenden Beiträgen halbierten, beziehungsweise drittelten sich die Zuschauerzahlen. Bernd Eichinger, der damalige Chef der Neue Constantin produzierte die Reihe nicht nur, er führte auch erstmals selbst Regie bei der Geschichte um die Frankfurter Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt, war außerdem verantwortlich für das Drehbuch, und brachte es auf ein bemerkenswertes Ergebnis. Egal was man im Endeffekt von derartigen Neuverfilmungen halten mag, hier bekommt man es jedenfalls mit einem Film zu tun, dessen Ausstattung für TV-Verhältnisse nahezu beispiellos ist. Die weitgehend fiktive Handlung mit überaus spekulativem Inhalt ist und bleibt wohl umstritten, aber für mich persönlich handelt es sich um einen Film, den ich seit 1996 kontinuierlich und mitunter am häufigsten angeschaut habe, da er in vielerlei Hinsicht interessant ist, und seit der Erst-Ansicht eine unglaubliche Faszination aufrecht erhalten konnte. Es ist noch zu erwähnen, dass die Produktion damals mit mehreren angesehenen Auszeichnungen bedacht wurde, darunter auch "Die goldene Kamera" für Nina Hoss als beste Nachwuchsdarstellerin.





Hinsichtlich der beteiligten Darsteller versammelte sich in dieser Produktion wirklich die Crème de la Crème der deutschen TV-Landschaft, außerdem werden hier buchstäblich Nina Hoss-Fans geboren. Bernd Eichinger erwähnte in einem Interview, dass für die Auswahl der Titelrolle nur eine Probeaufnahme stattgefunden habe, beziehungsweise nötig war, um Nina Hoss die Titelrolle anzuvertrauen. Es ist fast nicht mehr anders zu sagen, aber nach diesem Film bleibt die Verkörperung der Rosemarie Nitribitt durch Nina Hoss dem Empfinden nach ohne wirkliche Alternative. Anfangs wird sie etappenweise in jungen Jahren gezeigt, um dem Zuschauer zu verdeutlichen, wo Rosemarie tatsächlich herkommt. Dabei wird das Motiv der schweren Kindheit allerdings nicht weiter ausgeschlachtet, sondern zeigt nur den Werdegang eines jungen, resoluten Mädchens, welches mit allen Mitteln versucht weiterzukommen. Der Zweck heiligt daher alle Mittel und es kommt zu sehr eindeutigen Veranschaulichungen, die Zeit bezogen in den Vorgänger-Versionen nicht im Entferntesten möglich waren. Die 1975 geborene Schauspielerin geht vollkommen in ihrer Rolle auf und hinsichtlich ihrer Leistung darf nach Superlativen gesucht werden. Rosemarie erklärt allen Männern mit ihrer offensiven Weiblichkeit den Krieg, und es kommt reihenweise zu Kapitulationen, sogar bevor er überhaupt begonnen hat. Dabei erfindet Nina Hoss ihre eigentlich nur angelehnte, aber frischer wirkende Rolle pausenlos neu, und sie zieht die Sympathien des Zuschauers spielend auf sich. Vielleicht ist hier vieles in Wort und Tat zu zeitgemäß ausgefallen, und beißt sich hin und wieder mit der 50er Jahre Ausstattung, dafür ist der Unterhaltungswert im Vergleich zur älteren Konkurrenz allerdings noch deutlicher garantiert. Nina Hoss schildert mit Leichtfertig- und Leichtigkeit eine Metamorphose, die die Stationen ordinär, frivol, glasklar kalkulierend, elegant und damenhaft ausgezeichnet darstellt und hervorragend ineinander übergehen lässt. Temperament, Hochmut, Emotionalität und Körpersprache machen sie beinahe greifbar und man bekommt es daher weniger mit einem Mythos zu tun. Nina Hoss zählt ohne jeden Zweifel zu den besten Schauspielerinnen, die sich hierzulande finden lassen!

Die weiteren Rollen sind bis ins Detail hochkarätig besetzt worden, und ich nehme an, dass die Schauspielgarde damals einen großen Teil des Produktionsbudgets verschlungen hat. Heiner Lauterbach als reicher Geschäftsmann und Objekt der Begierde macht einen hervorragenden Eindruck, wird aber hin und wieder auch zur Projektionsfläche für leichtere Sentimentalitäten. Das allgegenwärtige Motiv Liebe wird glücklicherweise nicht zum Diktat, sondern wirkt nach Beendigung des Films eher diffus, weil nicht deutlich wird, ob es überhaupt jemals existiert hat. Jeder darf also selbst entscheiden, ich persönlich bleibe eindeutig beim Kalkül einer Frau, die wohl unbändig resolut gewesen sein muss. In dieser Hinsicht stellt sich die anfangs für beide Seiten profitable Verbindung zwischen Rosemarie und dem französischen Geschäftsmann Alfons Fribert, in den Matthieu Carrière alle Finessen hineinschleuste die er zur Verfügung hatte, als überaus fatal heraus. Beidseitiges Unterschätzen, rücksichtsloses Ausnutzen und gegenseitiges Betrügen sind die sich langsam aufbäumenden Indikatoren dafür, dass man unausweichlich auf eine Katastrophe zusteuert. Fribert macht eine Dame aus Rosemarie, zumindest aus ihrer Hülle, er richtet ihr ein nobles Appartement ein, staffiert sie aus, macht sie mit der Haute Couture sowie der Etikette vertraut und führt sie aus, damit sie die potentielle Kundschaft sondieren kann. Bei den Schäferstündchen soll sie schließlich ein Tonband mitlaufen lassen, das Fribert beim Durchsetzen seiner Interessen behilflich sein soll. Hannelore Elsner als Hartogs burschikos und überaus hochnäsig wirkende Schwester Marga zieht ebenfalls sämtliche Register und verteilt giftige, verbale Peitschenhiebe und Horst Krause übertrifft alles was man bislang gesehen hat als großkotziger Milliardär Bruster. Auch Katja Flint überzeugt restlos als die Verlobte von Hartog, sie darf ohne versnobtes und majestätisches Gehabe auskommen, was der Geschichte erstaunlich zu Gute kommt, da man auf allen Seiten mehrere Sympathieträger finden kann. Nur Til Schweiger hat erhebliche Probleme sich gegen diese starken Leistungen durchzusetzen, so dass seine darstellerischen Schwächen mehr als offensichtlich werden, aber er hatte ja auch einen einfacheren Charakter zu spielen. Insgesamt gesehen sieht man aber einen traumhaften Schauspieler-Film!

Es sind eigentlich zu viele der Lobeshymnen für eine TV-Produktion, die obendrein noch ein Remake eines altbekannten Klassikers darstellt. Die Schwierigkeit in solchen Fällen besteht immer bei der authentischen Umsetzung, aber vor allem spielt der Zeitaspekt eine entscheidende Rolle. So wurde dem Film oftmals vorgeworfen, dass er in vielen Etappen der langen Spieldauer einfach zu neu wirkt, und die Umstände der 50er Jahre lediglich durch die opulente Austattung widerspiegelt. Für meinen Geschmack bewies die Regie jedoch ein gutes Gespür in der Kopplung dieser Komponenten und wird daher jeder Seite gerecht. Die gesellschaftskritischen Aspekte der Ur-Version fehlen weitgehend, und es schimmert hin und wieder eine gewisse Portion Oberflächlichkeit und Naivität durch, auch an neuen Erkenntnissen oder gar Aufklärungen ist dieser Film nicht im Geringsten interessiert, er möchte lediglich unterhalten und vielleicht etwas neuen Stoff zum Herumspekulieren liefern. Auf mich wirkt diese moderne Mischung allerdings seit jeher wesentlich interessanter als Rolf Thieles Adaption, wobei dieser Vergleich beiden Rosemarie-Interpretationen sicherlich auch nicht gerecht wird. Was für mich persönlich bei "Das Mädchen Rosemarie" aber so überraschend war ist, dass mich das Remake sofort überzeugen konnte, da ich derartigen Neuauflagen in der Regel immer sehr skeptisch gegenüber stehe. Die folgenden Filme der »German Classics«-Reihe ließen mich trotz aufwendiger Inszenierungen und guter Darsteller insgesamt sogar unberührt. Bernd Eichingers Interpretation des Stoffes ignoriert den kriminalistischen Aspekt vollkommen, und er konzentrierte sich beinahe ausschließlich auf Charakter-Studien. Die Musik von Norbert J. Schneider kann man für TV-Niveau wirklich als ausgezeichnet beschreiben, nicht zuletzt wegen der vielen Verdi-Stücke, die Schauplätze sind authentisch, und die Bildgestaltung ist hervorragend und fesselt in satten Farben, was besonders in den vielen Szenen mit Rosemaries signalrotem Mercedes-Benz 190 SL Cabriolet zum Hochgenuss wird. Die Regie präsentiert den Aufstieg einer Hure, den man auch problemlos in jede andere Dekade hätte hineinpacken können, außerdem hätte diese TV-Produktion sicherlich Potential fürs Kino gehabt. Im Endeffekt aber muss man den Hut vor der Hauptdarstellerin Nina Hoss ziehen, die hier Außergewöhnliches leistet. Neben ihr sieht sogar manchmal der deutsche Schauspiel-Hochadel ziemlich klein aus, der sich aber - und das ist das Beste - ebenfalls mit hochklassigen Darstellungen präsentiert. Nadja Tiller war definitiv vorgestern, und andererseits gab es Rosemarie Nitribitt definitiv auch nicht 1996! Also lautet mein Fazit eigentlich nur wie folgt, dass man diesen Film alleine schon wegen Nina Hoss gesehen haben sollte!

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

01.05.2013 15:30
#7 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten

BEWERTET: "Das Mädchen Rosemarie" (Deutschland 1958)
mit: Nadja Tiller, Peter van Eyck, Gert Fröbe, Carl Raddatz, Hanne Wieder, Werner Peters, Ruth Hausmeister, Hubert von Meyerinck, Tilo von Berlepsch, Karin Baal, Mario Adorf, Horst Frank, Helen Vita u.a. | Drehbuch: Erich Kuby und Rolf Thiele nach einer Idee von Erich Kuby | Regie: Rolf Thiele



Rosemarie Nitribitt lebt in einer Kellerwohnung. Tagsüber tingelt sie mit zwei Straßenmusikanten durch die Frankfurter Stadtviertel, abends wartet sie vor dem noblen Palace-Hotel auf potenzielle Interessenten. Die Herren der Industrie sind einem schnellen Abenteuer nicht abgeneigt und vertrauen Rosemarie einiges an, was für die Konkurrenz von Nutzen sein könnte. So wird der Franzose Fribert auf die Edelhure aufmerksam und setzt sie gezielt auf die wichtigsten Firmenchefs an, um sie anschließend erpressen zu können. Rosemarie traut ihrem Mäzen jedoch nicht und sucht nach einem Weg, sich abzusichern. Sie fürchtet um ihr Leben ...


Zitat von Norbert F. Plötzl: SPIEGEL Special Die 50er Jahre, 2006, S. 166f
Der Mordfall Nitribitt wurde zum ersten Sittenskandal der prüden Adenauer-Ära. Die Ermittler schonten prominente Kunden der Edelhure, der Krupp-Konzern versuchte einen Zeugen zum Schweigen zu bringen.

Rosalie Marie Auguste Nitribitt, geboren 1933 in Düsseldorf, Mutter Putzfrau, Vater unbekannt, mit 11 vergewaltigt und mit 14 auf dem Straßenstrich, hatte sich auf ihre Weise im Wirtschaftswunderland nach oben gearbeitet. Zu ihrem Klienten- und Bekanntenkreis zählten, wie die Polizei schnell herausfand, einige Herren aus den feinsten Kreisen der westdeutschen Gesellschaft: der Unternehmer Harald Quandt etwa, die Industriellensöhne Ernst Wilhelm und Gunter Sachs oder Krupp-Spross Harald von Bohlen und Halbach. Auch ein Fürst und ein Bonner Minister sollen zum Kundenstamm der Edelnutte gehört haben. Die Prominenz der Tatverdächtigen und Zeugen hinderte die Ermittler offenbar daran, den delikaten Fall auf professionelle Weise aufzuklären. Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft gewährten den Trägern großer Namen bei Vernehmungen eine Vorzugsbehandlung: Alibis wurden, wenn überhaupt, nur schlampig überprüft, Spuren unterdrückt oder aus Dusseligkeit vernichtet.


Soweit die nüchternen Fakten zu dem Mordfall Nitribitt. Bereits ein Jahr nach dem Tod der jungen Frau wurden ihre letzten Lebensjahre für das Kino verfilmt. Nadja Tiller erhielt die Hauptrolle und berühmte Kollegen wie van Eyck, Peters und Fröbe bildeten das Spalier aus finanzkräftigen Freiern, die leutselig Vertrauen zu der Kokotte fassten, sich in der Öffentlichkeit jedoch nicht mit ihr sehen lassen wollten.

Mit selbstzufriedenen Hamsterbacken treten die Männer nach der Besprechung beim Hotelportier an und treffen Arrangements für den Abend. Jeder ist irgendwie vom Geld der Wirtschaftskapitäne abhängig; der Portier sieht sich als Komplize seiner vergnügungssüchtigen Gäste und zeigt sich im Umgang mit ihnen ehrerbietig-devot. Die Damen von der Straße machen ihm in seinem Geschäft Konkurrenz; die Ironie will es, dass auch er sich in gewisser Weise prostituiert, was durch Hubert von Meyerinck noch einmal in unnachahmlicher Weise betont wird. Peter van Eyck, der als gerissener Franzose der Drahtzieher hinter dem großen Lauschangriff ist, bleibt hinter seinen Erwartungen zurück. Er kann es besser, wie wir spätestens seit seiner Rolle als verbrecherischer Ehemann Ruth Leuweriks in "Ein Alibi zerbricht" wissen. Gert Fröbe kostet die Lebhaftigkeit seiner Figur in vollen Zügen aus, der plantscht (mit Rettungsgurt!) im Pool, tanzt, schäkert und gibt sich volkstümlich. Weitaus gemäßigter gibt sich Carl Raddatz als Konrad Hartog; das preußisch-aristokratische Element spricht aus jeder seiner Gesten und kontrastiert mit dem bodenständigen Sinn für Realität, den Hanne Wieder souverän verkörpert.

Karin Baal tritt im wahrsten Sinn des Wortes in Nadja Tillers Fußstapfen. Das Mädchen aus einfachen Verhältnissen illustriert den Werdegang ihres Vorbildes, zu dem sich am Ende des Films der Kreis schließt. Während es Rosemarie scheinbar mühelos und schnell schafft, die Gunst der Reichen und Mächtigen zu erringen, sehen wir die trivialen Stadien, die ihre Nachfolgerin durchläuft. Mario Adorf und Horst Frank, deren Namen als Bonus nach dem übrigen Cast genannt werden, agieren als verlässliche Freunde der beiden Mädchen, grundverschieden im Charakter, aber harmlos in ihren Absichten. Während sich Adorf als Komödiant in den Vordergrund spielen darf, prägt Frank einen verschrobenen Charakter ("Der Wächter - Die Stimme der frommen Vernunft"). Er ist einer der wenigen, die Kritik am Leben der weiblichen Hauptfigur anbringen und wirkt in dem oberflächlichen Treiben wie ein Fremdkörper.



Insgesamt ist zu sagen, dass dem Film trotz des Staraufgebots der nötige Biss fehlt. Die Handlung wirkt handzahm. Immer, wenn man glaubt, der Film müsse nun richtig durchstarten, gibt es eine Zerstreuung in Form von Musik. Die Befindlichkeiten von Herrn Hartog werden genauer erläutert als jene seiner auffallenden Freundin. Im Fall der Industriespionage fehlt es an Aggressivität, im Grunde sind alle Männer nur schale Abziehbilder ihres Firmen-Images. Nadja Tiller gibt ihrer Figur ein Gesicht und einen Körper, doch man wird nicht warm mit ihr. Besonders deutlich wird dies, als sie am Abend ihres Todes noch einmal die Rialto-Bar besucht und im trunkenen Schwindel ihr Ende fürchtet. Rolf Thiele hat seinen Film mit Opulenz überladen; es gibt keine Minute Zeit für Reflexion oder Vertiefung einer Situation. Amüsante Akzente setzt der Regisseur durch Details, z.B. die Verwendung des jeweils gleichen gestreiften Schlafanzugs für die Besucher in Rosemaries Schlafzimmer, das sie wie Sträflinge aussehen lässt oder Rolf Kästels gekonnte Kameraführung.

Gert-Fröbe-Biograf Michael Strauven spricht hingegen lobende Worte über die Luggi-Waldleitner-Produktion:

Zitat von Michael Strauven: Jedermanns Lieblingsschurke: Gert Fröbe, Rotbuch Verlag, Berlin 2012, S. 224
Satirisch überhöhtes Sittendrama aus dem Wirtschaftswunderland. Einer der erfolgreichsten Filme der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren, schon deshalb ein Muss! Aus Filmkritik: "Sorgfältig inszeniert, von satirischen Songs über Wirtschaftswunder und Remilitarisierung begleitet, glossiert der Film in einer Mischung aus Persiflage, Kabarett und Moritat die Doppelmoral der bundesdeutschen Gesellschaft der Wiederaufbauzeit, ohne freilich zu den tieferen Wurzeln der attackierten Mißstände vorzudringen." Nadja Tiller ist perfekt, Gert Fröbe ist sehr gut. - Sehenswert!


Meine Wertung nach der Erstsichtung: 3 von 5 Punkten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

06.05.2013 15:02
#8 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten

BEWERTET: "Die Wahrheit über Rosemarie" (Deutschland 1959)
mit: Belinda Lee, Walter Rilla, Karl Lieffen, Jan Hendriks, Claus Wilcke, Wolfgang Büttner, Paul Dahlke, Edith Schultze-Westrum, Hans Nielsen, Karl Schönböck, Lina Carstens, Paula Braend, Georg Lehn, Hans Elwenspoek u.a. | Drehbuch: J. Joachim Bartsch | Regie: Rudolf Jugert


Zitat von Norbert F. Plötzl: SPIEGEL Special Die 50er Jahre, 2006, S. 166f
Die erste Radiomeldung sprach schamhaft von einem "Mannequin", das am 1. November 1957 in seinem Apartment tot aufgefunden worden sei - unter dieser Berufsangabe stand die Verblichene auch im Telefonbuch. Später umschrieben die Medien die vormalige Tätigkeit der Ermordeten verdruckst mit dem Kunstwort "Lebedame". [...] Eifersucht oder Erpressung, so wurde öffentlich spekuliert, hätten Auslöser des Dramas gewesen sein können. Die Kripo hatte sich jedoch frühzeitig auf Raub als Mordmotiv festgelegt - und das kam bei den reichen Galanen ja nicht in Betracht. Die Ermittler fixierten sich auf den Handelsvertreter Heinz Pohlmann, einen verschuldeten Hochstapler, der im Schwulenmilieu verkehrte und kurz nach dem Mord Schulden in Höhe von 18 000 Mark tilgte.


Der Kriminalfall Nitribitt sorgt nicht nur für Spekulationen in der Tagespresse, sondern beschäftigt neben der Polizei auch den Kriminalpsychologen Guttberg, der die Tote persönlich kannte und nun über das Leben der Frau resümiert. Sein Sohn Fred hatte ebenfalls die Bekanntschaft von Rosemarie gemacht, sich ihr jedoch brüsk entzogen. Die wichtigsten Stationen ihrer Zeit in Frankfurt am Main werden rekapituliert, Beziehungen erläutert und gleichzeitig hinterfragt und in Rückblenden der Wert dieser Freundschaften auf den Prüfstein gestellt.



Rasant eröffnet der Film die Rückschau auf das turbulente Leben der Edelhure, die mehrmals von der Sittenpolizei vorgeladen wird, sich aber immer wieder geschickt herausredet. Ihr Vorgehen ist methodisch; sie betreibt ihr Gewerbe als erfolgreiche Selfmade-Geschäftsfrau, bringt ihre Ersparnisse auf die Bank, investiert in eine schicke Wohnung, einen repräsentablen Wagen und edle Garderobe. Nur die Sorglosigkeit im Umgang mit Männern, denen sie ihr Vertrauen schenkt und sich engere Beziehungen erhofft, stehen im Gegensatz zu ihrem kalkulierten Aufstieg. Dadurch ist von Beginn an eine latente Gefahr für die junge Frau vorhanden. Geschickt vermag es der Film, kleine Meilensteine der Bedrohung aufzuzeigen; es kommt zu Rückschlägen, Enttäuschungen und risikoreichen Situationen, aus denen Rosemarie jedoch immer wieder mit List und Mut hervorgeht. Ihre Suche nach einer verlässlichen Person, einem Vertrauten, wird anhand mehrerer Charaktere gezeigt, die aus unterschiedlichen Motiven Kontakte zu ihr pflegen.

Mit der Verpflichtung der englischen Schauspielerin Belinda Lee (1935-1961) bewies die "Rapid-Film" Gespür für eine getreue Umsetzung der Handlung. Es ist schwer, sich eine deutsche Darstellerin für die Rolle der Rosemarie vorzustellen. Zu konservativ ist das Image, das der deutsche Film für seine weiblichen Stars in den Fünfziger Jahren bereithielt. Selbst die damenhafte Nadja Tiller schaffte es nicht, alle Facetten der Edelhure einzufangen; man nahm ihr den Aufstieg aus der Gosse nicht ab. Am ehesten könnte man sich noch Kollegin Hildegard Knef in der Hauptrolle vorstellen.

Lee zeigt die Wandlungsfähigkeit der Rolle mit einer Leinwandpräsenz, die es ihr ermöglicht, selbst bewährte Routiniers wie Rilla oder Nielsen zu Nebendarstellern zu degradieren. Ihre sinnliche Ausstrahlung; die exotische Note ihres Gesichts, das an Marisa Mell erinnert und ebenso hart und entschlossen wie süffisant und fröhlich wirken kann, sorgt dafür, dass man sie in privater Urlaubsstimmung mit Zöpfen gleich überzeugend findet wie im Abendkleid hinter dem Steuer ihres Mercedes Cabriolets. Sie biedert nicht um die Gunst des Publikums, sondern geht ihren eigenen Weg; mal ist sie kratzbürstig und ungerecht, dann wieder sucht sie nach Nähe und Zuwendung. Im Zusammenspiel mit ihren Kollegen gelingt es ihr, jede Person individuell zu behandeln. So bleiben die einzelnen Paarungen nachhaltig im Gedächtnis und unterstreichen die Möglichkeiten, die Rosemarie für sich gesucht hatte.

Walter Rilla als russischer Krösus gibt sich großherzig und milde, zeigt dann jedoch die unerbittliche Härte eines Mannes, dem nicht mehr viel Zeit bleibt und der seine Wünsche über die aller anderen stellt. Hans Nielsen, jovial und fröhlich, sucht die Entspannung in unverbindlichem Rahmen - Seelenmüll stapelt sich bereits zuhause, weshalb er für Rosemaries Probleme kein Ohr hat. Jan Hendriks als Heinz Pohlmann tritt selbstsicher und hilfsbereit auf, erwartet sich aber eine finanzielle Vergütung seiner Dienste. Besonders in den Polizeiverhören zum Auftakt des Films kann er punkten. Die Frauenrollen sind mit Lina Carstens und Edith Schultze-Westrum konträr zur blühenden Belinda Lee besetzt. Während Erstgenannte im Stile einer Frau Smith aus den Pater-Brown-Filmen agiert, mutet Schultze-Westrum introvertiert und sogar unheimlich an. Ebenso wie Rosemarie scheint sie ein emotionales Defizit in ihrem Leben zu haben, das sie allerdings aufgrund geringerer finanzieller Mittel und fortgeschrittenen Alters erheblich mehr belastet als die junge Frau.



In ihrer Scheinheiligkeit unerträglich sind Wolfgang Büttners moralische Belehrungen der jungen Frau. Die Dirne ist wieder einmal die Wurzel allen Übels, die vielen willigen Freier gehen straffrei aus und dürfen allenfalls als arme Opfer der Verlockungen des Weibes gesehen werden. Die Liebe als Allheilmittel zu sehen, ist mehr als naiv und lässt der Frau nur zwei Wege offen: entweder als "Heilige" in Heim und Ehe oder als "Hure" in selbständiger, aber sündiger Freiheit.

Ein eindrucksvolles Porträt der Rosemarie Nitribitt, deren Notizbuch mit den Adressen ihrer Bekanntschaften im Jahr 2027 zur Veröffentlichung freigegeben werden darf. Laut Urheberrecht gelten die Aufzeichnungen der Verfasserin siebzig Jahre nach ihrem Tod als gemeinfrei und dürfen dann ohne Genehmigung nachgedruckt werden. Vermutlich wird ein Magazin wie "Der Spiegel" oder "Stern" das Thema dann noch einmal aufrollen. Wollen wir hoffen, dass es dann nähere Erkenntnisse zum Tod der Frau gibt, auf deren Grabstein auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof folgende Worte stehen: "Nichts Besseres darin ist, denn fröhlich sein im Leben."

Belinda Lee starb im Frühjahr 1961 bei einem Autounfall in der Nähe der kalifornischen Stadt San Bernardino. Der Fahrer war mit 160 km/h unterwegs, als ein Reifen platzte. Die Schauspielerin wurde aus dem Wagen geschleudert und erlag zwanzig Minuten später ihren schweren Kopfverletzungen. Sie wurde eingeäschert und ihre Urne sechs Monate später in Rom beigesetzt.

Meine Wertung nach der Erstsichtung: 5 von 5 Punkten.

Marmstorfer Offline




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06.05.2013 23:33
#9 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten

@Prisma, deine euphorische Besprechung der 1996er Verfilmung lässt einem ja das Wasser im Mund zusammenlaufen - jetzt ärgere ich mich noch mehr, dass ich den Film nicht aufgezeichnet habe, als er vor einigen Monaten im Bayerischen Rundfunk zu sehen war - zumal ich Nina Hoss ebenfalls für eine brillante Schauspielerin halte. Ich erinnere mich auch noch an die umfangreiche Werbekampagne für die "German Classics"; generell ist Sat.1 damals ein großes Wagnis eingegangen, wie auch ein knappes Jahr später mit Wedels "Der König von St. Pauli". Derartige Leuchtturmprojekte im Bereich "Deutsche Fiktion" sind bei den Privatsendern heute so gut wie gar nicht mehr zu finden.

Prisma Offline




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10.05.2013 10:16
#10 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten

@Marmstorfer, da kann ich Deinen Ärger gut verstehen. Aber die 1996er Version wird bestimmt immer mal wieder ausgestrahlt. Bei dem Film von Bernd Eichinger handelt es sich zwar eher um seine persönliche Interpretation des Stoffes, der hinsichtlich des tatsächlichen Falles Rosemarie Nitribitt in vielen Teilen sicherlich nicht den Tatsachen entspricht, aber das war auch eher nicht seine Absicht. Er konzentriert sich auf eine solide Charakterzeichnung seiner Titelfigur und Nina Hoss macht einen wirklichen Zauber daraus! Ihre Leistung ist einfach atemberaubend. Ich habe mir kürzlich die DVD bestellt, weil ich meine verwaschene TV-Aufnahme von Sat.1 nicht mehr ertragen konnte, und habe durch die bessere Qualität wieder viele, neue Details entdecken können. Angesichts dieses bemerkenswerten Ergebnisses ist meine Euphorie tatsächlich seit über 15 Jahren ungebremst!

Prisma Offline




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12.05.2013 20:14
#11 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten



»NICHTS BESSERES DARIN IST DENN FRÖHLICH SEIN IM LEBEN«





Das Kino-Spektakel im Kölner Filmhauskino vom 09.05.2013 ließ mir vor der Spätvorstellung noch genügend Zeit für einen eher ungewöhnlichen Besuch auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof. Meine Aversion, alles bis ins Detail durchzuplanen erwies sich auch heute wieder als kleiner Bumerang, aber nur so bleibt es für mich spannend. Zunächst finde ich das Aufladekabel meiner Pocketcam nicht und muss auf schlechtere Alternativen zurückgreifen. Die Autobahnen sind angenehm leer, doch die A1 gleicht wie eh und je einer Ruine, auf der halben Strecke kam mir der Gedanke, dass ich den Blumengruß zu Hause habe liegen lassen, aber an Feiertagen würden die Blumenläden doch sicherlich auch auf haben, oder? Das Navi spinnt ebenfalls wie so häufig und ich fahre gefühlsmäßig im Kreis. Ich muss an meine miserable Orientierung denken und versichere mir glaubhaft, dass es beim nächsten mal anders laufen werde. Am Friedhof angekommen sehe ich zu meiner Erleichterung einen Blumenladen neben dem anderen, doch zu meinem Entsetzten auch, dass kein einziger von ihnen geöffnet hat. Ernüchtert suche ich auf dem Plan das Grabfeld 95b und denke bei mir, dass es sich bis zum Auffinden bei meinem Glück nur wenige Stunden handeln dürfte. Der Nachmittag hielt schönstes Kaiserwetter bereit, und der Friedhof, der ohne Gräber ein wunderschöner Park wäre, wirkt sehr imposant. Nach guten fünf Minuten, in denen ich mir im Vorübergehen viele Gräber angeschaut hatte, sage ich laut zu mir: »Da ist sie!«

Rosemarie Nitribitt, seit nunmehr über 55 Jahren tot, fand ihre letzte Ruhe an einer gut zugänglichen Stelle und das Grab liegt im Schatten eines großen Baumes mit Zwillingsstamm. Mein erster Gedanke geht sofort in Richtung ihres Grabsteines, der mich in eigenartiger Weise fasziniert. Die Inschrift »Nichts besseres darin ist denn fröhlich zu leben« wirkt so versöhnlich und zuversichtlich, denke ich bei mir, und hat überhaupt nichts wertendes, geschweige denn tadelndes an sich. Für ihr Alter ist die Grabstätte in einem soliden Zustand, eine einzelne Rose, die erst kürzlich gebracht werden sein muss, ragt als Zeichen des immer noch aktuellen Andenkens hervor, es brennt sogar eine Kerze. Außerdem stehen Gießkanne und Hacke bereit, so dass man davon ausgehen kann, dass man sich um die Ruhestätte kümmert. Meine Gedanken kreisen immer noch um den Grabstein, der für damalige Verhältnisse, und auch vergleichsweise mit heutigen Standards so modern, und alles andere als gewöhnlich wirkt. Auch die lebendig wirkende Schriftart untermauert diesen Eindruck nachhaltig. Ich ärgere mich, dass ich mit leeren Händen dastehe und muss plötzlich schmunzeln weil ich mir denke, dass so etwas bei Fräulein Nitribitt wohl noch nie vorgekommen ist. Die erste Blumenwahl war ursprünglich die gelbe Narzisse, die mir aufgrund ihrer Bedeutung am passendsten erschien. Unter anderem symbolisiert sie Eigenliebe oder die Unfähigkeit andere zu lieben, Neid, den Schlaf und den Tod. Aber die Saison ist leider schon vorüber, so fiel die Auswahl auf den bunt-verspielt aussehenden, und süß duftenden Goldlack, der »Fidelité au malheur« (Treue im Unglück) ausdrücken möchte. Aber dieser Blumengruß lag zu Hause ja wirklich gut.

Schon am Grab und besonders im Endeffekt wurde mir klar, dass ich eigentlich keinen Bezug zu Rosemarie aufbauen kann, und ich musste an Belinda Lee, Nadja Tiller und Nina Hoss denken, die dazu gehörenden Filme und wer die authentischste Interpretin war. Auch schossen mir die prosaischen Polizeifotos der Ermordeten in den Kopf und die Frage, ob sie eigentlich, aufgrund des nach wie vor ungeklärten Mordfalles, überhaupt ihre Ruhe hat finden können? Währenddessen stand ein wenig Grabpflege auf dem Programm und dabei kam es zu einem seltsamen Empfinden. Ich fühlte mich beobachtet. War es nur eine Einbildung oder war es tatsächlich der Fall? Ich schaute den vorbeigehenden Leuten mutig und demonstrativ ins Gesicht und es stimmte. Vor diesem Grab wird man tatsächlich von den meisten angestarrt, denn die Nitribitt ist nach all den Jahren immer noch ein Begriff. Ein weiteres Rätsel gibt eine zusätzliche Platte mit der Inschrift "Herbert Hoffmann 1921 - 1981" auf, denn auch bei Recherchen lässt sich auf die Schnelle nichts über die Identität dieses Mannes finden. Nachdem die Fotos gemacht waren, ging es mit einem dumpfen Gefühl zurück zum Auto. Gehen, ohne einen letzten Gruß hinterlassen zu haben? Es musste eine Lösung geben. Auf der anderen Seite der Straße versuchte ich mein Glück an einer Tankstelle, fand nicht nur einen Blumenstrauß, sondern wurde bei dieser Gelegenheit auch mit den wohl üblichen Preisen vertraut gemacht. Aber ich konnte wenigstens zurückgehen und ihr eine kleine Ehre erweisen. Auf dem Rückweg schaute ich noch einmal zurück zum Grab und dachte beim Anschauen des Blumenstraußes noch bei mir: »Rosen für Rosemarie... Das klingt eher nach einem waschechten Rolf Thiele-Film!« Aber eben ein solcher am späten Abend, führte mich erst zum "Mädchen Rosemarie".

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

13.10.2013 15:13
#12 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten

Euer Rosemarie-Fieber hat sich als ansteckend erwiesen. Allerdings mit gemischtem Erfolg:



Das Mädchen Rosemarie

Gesellschaftssatire, BRD 1958. Regie: Rolf Thiele. Drehbuch: Erich Kuby, Rolf Thiele, Jo Herbst, Rolf Ulrich. Mit: Nadja Tiller (Rosemarie), Peter van Eyck (Fribert), Carl Raddatz (Hartog), Gert Fröbe (Generaldirektor Bruster), Hanne Wieder (Marga), Mario Adorf (Horst), Jo Herbst (Walter), Werner Peters (Nakonski), Karin Baal (Do), Horst Frank (Student) u.a. Uraufführung: 25. August 1958. Eine Produktion der Roxy-Film München im Neuen Filmverleih München.

Zitat von Das Mädchen Rosemarie
Die junge Rosemarie Nitribitt gilt als schmutziges Spiegelbild des Wirtschaftswunders. Mit den steigenden Konzernumsätzen der arbeit‑, aber keineswegs enthaltsamen Herren steigen auch die Einnahmen der Edelprostituierten in Frankfurt in schwindelerregende Höhen. Und ist der Kapitalismus erst einmal im Bett angekommen, lässt sich gleich noch ein lukratives Geschäft mitnehmen: Ein Geschäftspartner schlägt der Nitribitt geheime Aufnahmen der Freier für Erpressungen vor ...


Nur wenige Filme haben den Ruf des „Mädchens Rosemarie“. Der Streifen, der beim Internationalen Filmfestival von Venedig erstmals vor Publikum gezeigt wurde, sicherte sich schnell einen Platz im Kanon der wichtigen deutschen Produktionen der Nachkriegszeit. Unter anderem gilt er als Durchbruch und gleichsam größte Rolle von Nadja Tiller. Standardwerke wie der Reclam-Filmführer listen „Das Mädchen Rosemarie“ als „durchaus treffende Satire“, heben kabarettistische Einlagen hervor, die die Sentimentalität auf ein Minimum reduzieren. In der Tat merkt man dem Rolf-Thiele-Film nicht an, dass er sich mit einem Mordfall befassen möchte. Sentimentalität um ein Menschenleben? Das wurde und wird von der Kunst offenbar nicht gefordert – schon gar nicht, wenn die Tote dem horizontalen Gewerbe angehörte.

Man sollte sich hüten, den Film mit der Erwartung zu sehen, etwas Ernsthaftes oder Dramatisches zu sehen zu bekommen. Tatsächlich wird hier verballhornt, was nicht niet- und nagelfest ist, und eine tragische Story leichtfüßig und ‑herzig dargestellt. Das wäre an sich kein Problem – indes kann man über das Gezeigte nicht wirklich lachen, weil den satirischen Betrachtungen der Biss fehlt. Man fragt sich, warum die durchaus dramatische Lebensgeschichte der Rosemarie Nitribitt auf ausgerechnet diese verballhornende Weise aufbereitet wurde. Durch einen Mangel an Stoffen zeichnete sich das Kino der Wirtschaftswunderzeit ja nicht gerade aus. Der Grund für das Misslingen könnte im althergebrachten Sprichtwort von den vielen Köchen liegen, wenn man sich allein die Zahl der für das Drehbuch verantwortlichen Autoren betrachtet.

Auch wenn es sich um Nadja Tillers populärste Rolle handelt, so muss man ihre Verpflichtung doch als eine mittelschwere Katastrophe deuten. Das künstlich blondierte Starlet geht in seiner Rolle nicht auf. In diesem Alter war Tiller noch auf die biedere Fräulein-Type festgelegt, sodass sie die Fußstapfen der realen Vorlage kaum ausfüllen konnte. Sie vermittelt einen kindlichen Eindruck, ohne dabei auch nur ansatzweise als Lustobjekt wahrgenommen zu werden. Verruchter Charme? Fehlanzeige – übrigens im gesamten Film, der über „die Nebensache“ kaum ein eindeutiges Wort verliert. Vermutlich vorauseilender Gehorsam aufgrund möglicher Zensurbedenken.

Deutlicher fallen die Spitzen gegen die Konjunktur im Wirtschaftswunderland aus. Dass es anno 1958 allseits bergauf ging (aus Krieg und Ruinen gen Frieden und Wohlstand), ist weithin bekannt und sollte eigentlich kein Grund für Beschwerden gewesen sein. Weshalb also eine Satire überhaupt nötig war, erschließt sich nicht. Gerade auch die bei Reclam hervorgehobenen „aggressiven Songs“ von Adorf und Baal entschleunigen beispielsweise die sowieso schon träge Handlung noch weiter und wirken auf heutige Augen und Ohren beschämend. Einige der Stücke sprühen geradezu vor unfreiwilliger Komik – man denke nur an den Hinterhofsong zu Beginn, in dem Rosemarie sängerisch auf eine geradezu lächerliche Weise beworben wird. Dadurch, dass „Das Mädchen Rosemarie“ nicht so recht weiß, ob es ein hochbrisantes Verbrechen oder eine halbgare Satire erzählen soll, strapaziert Rolf Thiele im Laufe der Spielzeit in immer weiter zunehmendem Maße die Geduld des Zuschauers.

Die Thematik um den rätselhaften Tod von Rosemarie Nitribitt sowie die eindrucksvolle Besetzungsliste mit Stars des Nachkriegskinos sollten keine falschen Erwartungen in Bezug auf die Qualitäten dieser Produktion wecken. Das Prädikat „Klassiker“ geht manchmal unergründliche Wege und man sollte sich diesbezüglich eine gesunde Skepsis bewahren. 2 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

13.10.2013 15:13
#13 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten



Die Wahrheit über Rosemarie

Kriminaldrama, BRD 1959. Regie: Rudolf Jugert. Drehbuch: Jochen Joachim Bartsch. Mit: Belinda Lee (Rosemarie Nitribitt), Paul Dahlke (Reimer), Jan Hendriks (Salzmann), Hans Nielsen (Bernbeil, Industrieller), Karl Schönböck (von Riedendank), Lina Carstens (Frau Huber), Annette Grau (Gisela), Hanna Micaela (Frau auf der Straße), Walter Rilla (Woltikoff), Claus Wilcke (Fred Guttberg) u.a. Uraufführung: 23. Oktober 1959. Eine Produktion der Rapid-Film München und der Dieter-Fritko-Film München im Union-Filmverleih München.

Zitat von Die Wahrheit über Rosemarie
Der Mord an der Prostituierten Rosemarie Nitribitt erregt die Gemüter im Deutschland der Adenauerzeit. Wie es zu dem aufsehenerregenden Verbrechen kommen konnte, klärt dieser Film, der Rosemaries Leben vom Arbeitshaus über den Straßenstrich bis zum Reichtum schildert. Eines war allen ihren Lebensphasen gemein: Rosemarie Nitribitt war ein einsamer Mensch – Möglichkeiten, echte Freundschaften zu schließen, schlug sie konsequent aus. Das wurde ihr schließlich zum Verhängnis ...


Ganz anders als sein berühmteres Pendant geht „Die Wahrheit über Rosemarie“ die brandheiße Thematik des Mordfalls Nitribitt an. Bereits der Titel lässt vermuten, dass die Macher das, was ein Jahr zuvor vom Team um Rolf Thiele mit „Das Mädchen Rosemarie“ abgeliefert wurde, nicht für der Weisheit letzten Schluss hielten. In der Machart war mit der titelgebenden Wahrheit ein aufrüttelnder Realismus verbunden, der die Kinozuschauer an die Handlung fesseln sollte. Dass es inhaltlich mit der Wahrheit natürlich auch in dieser Adaption nicht allzu weit her sein konnte, liegt in der Prüderie der Adenauer-Ära begründet, in der ein objektiver Blick auf eine soziale Außenseiterin wie Rosemarie Nitribitt ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre. „Die Wahrheit über Rosemarie“ gerät vielmehr zur Zoovorführung eines wilden, exotischen Raubtiers, das sich jeder Normalität entzogen hat und damit in keiner Verbindung zu den Tugenden der noch jungen, unreifen nachkriegsdeutschen Gesellschaft steht.

Deutlich wird die Abgrenzung von Moral und Unmoral auch durch die Besetzung, in der der Part Rosemaries von einer ausländischen Schauspielerin übernommen wurde, während deutsche Schauspieler selbst für fremdsprachige Rollen Einsatz fanden. Belinda Lees herbe, kantige Physiognomie sorgt dafür, dass sie ihre Rolle in einer sehr überzeugenden Weise meisterte. Sowohl das schmuddlige als auch das edle Schein-Leben rekreiert sie perfekt vor der Kamera; immer wieder wird gezeigt, wie das Mädchen mit dem harmlosen Namen Rosemarie die Krallen ausfährt: wenn etwas nicht nach ihrem Wunsch verläuft oder sie sich eines zudringlichen Zuhälters erwehren muss.

Die Geschichte der Rosemarie wird im klaren Kolportage-Stil erzählt, der einfache Botschaften erkennbar zugespitzt an den Zuschauer zu bringen versucht. Gerade das macht den Film so unterhaltsam, verleiht es ihm doch sehr suggestive Qualitäten. Man braucht sich nicht lange zu fragen, welche Bedeutung bestimmte Instrumente wie etwa der Tod der befreundeten Hure oder die Rolle der im Stillen wutgeladenen Haushälterin haben. Sie dienen dem belehrenden Selbstzweck eines solchen Moralfilms, zumal sich Rosemarie jederzeit im Klaren darüber ist, welcher Brisanz sie sich aussetzt.

Besonderes Interesse rufen derweil andere Aspekte hervor. Neben der ausgezeichneten Besetzung der Nebenrollen, in denen so ausgesuchtes Personal wie Hans Nielsen, Jan Hendriks und Walter Rilla zu sehen ist, sorgt vor allem die Konzeption des Films für Aufsehen: Der Film beginnt mit den Morduntersuchungen und endet mit dem Mord – so wie Rosemarie Nitribitt die etablierten Regeln der Gesellschaft auf den Kopf stellte, so verkehrte der Film auch die des Kinos in ihr chronologisches Gegenteil, indem er quasi von hinten nach vorn erzählt. Als spannend erweist sich bei genauem Hinsehen darüber hinaus auch die Rolle des jungen Liebespaares (Annette Grau und Claus Wilcke): Allein dadurch, dass es so herrlich naiv-romantisch anzusehen ist, hätte es sich nach allen Erfahrungen der Kolportage auf dem Silbertablett zum Statuieren eines bösartigen Exempels geeignet. Doch nein – der junge Fred bleibt in der Stunde der Verführung standhaft. Vielleicht auch ein Mosaikstein im Zugrundegehen der Rosemarie Nitribitt?

Mit mehr abschätzigem Schmuddel, aber auch mit Esprit und Konzentration aufs Wesentliche, mehr Sinn für Dramatik und einer passenderen Besetzung hergestellt, sollte der ernsthaft am Ende der noch immer berühmtesten deutschen Edelprostituierten interessierte Zuschauer diesem spannenden und „saftigen“ Problemfilm den Vorzug vor Rolf Thieles „Mädchen Rosemarie“ geben. 4,5 von 5 Punkten.

Prisma Offline




Beiträge: 7.591

14.10.2013 18:01
#14 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten

Schön, dass dir Rudolf Jugerts Film auch gefallen hat; der hätte ohnehin mehr Anklang hier verdient gehabt. Um das Triple voll zu machen, fehlt ja jetzt eigentlich nur noch Bernd Eichingers Adaption von 1996! Seine Version von "Das Mädchen Rosemarie" hat nämlich glücklicherweise nichts mit Rolf Thieles missglücktem Vorläufer gemeinsam. Im Rosemarie-Triple hat er sogar die Nase vorn, wobei man alle drei Filme nicht unbedingt miteinander vergleichen sollte. Ich werde mir jetzt wohl oder übel auch noch mal Thieles Film anschauen müssen, um meine Besprechungen zu komplettieren.

Schönen Dank an @Percy Lister und @Gubanov für die aussagekräftigen Besprechungen!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

14.10.2013 18:06
#15 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten

Zitat von Prisma im Beitrag #14
[...] Bernd Eichingers Adaption von 1996! Seine Version von "Das Mädchen Rosemarie" hat nämlich glücklicherweise nichts mit Rolf Thieles missglücktem Vorläufer gemeinsam. [...]

Danke, @Prisma, gut zu wissen! @Percy Lister und ich standen schon vor einem Sonderangebot der fraglichen DVD, haben uns aber dagegen entschieden, weil wir zu große Gemeinsamkeiten vermuteten.

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