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Dieses Thema hat 17 Antworten
und wurde 5.483 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
Seiten 1 | 2
Fräulein Janine Offline




Beiträge: 130

10.01.2017 22:17
#16 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten

Die Inkarnationen der Rosemarie

In diesem Jahr jährt sich der Todestag, Deutschlands bekanntester Prostituierter zum 60. Mal. Als am 1. November 1957 in Frankfurt die Leiche der Rosemarie Nitribitt in ihrem luxuriösen Appartement aufgefunden wurde, hatte das Deutschland der Wirtschaftswunderjahre einen handfesten nationalen Skandal. Fasziniert von dieser Mordtat, waren die Zeitungen voll von Berichten und Tätersuche, und bereits ein Jahr später 1958 folgte der erste Kinofilm, “Das Mädchen Rosemarie“ mit Nadja Tiller in der Hauptrolle, nach dem Buch von Erich Kuby. 1959 folgte dann der zweite Spielfilm unter der Regie von Rudolf Jugert mit Belinda Lee unter dem Titel „Die Wahrheit über Rosemarie“. Die Filme hatten unterschiedliche Ansprüche, boten unterschiedliche Versionen der Rosemarie und ihrer Geschichte an aber bedienten letztendlich die Sensationslust und den Voyeurismus der bundesdeutschen Kinobesucher.

Das „Mannequin“ Rebecca

Rosemarie Nitribitt, die als Mannequin Rebecca weit über die Grenzen Frankfurts hinaus bekannt war, hatte einen illustren Kundenkreis, den sie teils durch Anzeigen, teils durch direktes Ankobern aus ihrem 190 Mercedes SL heraus, in dem sie fast täglich mit ihrem Pudel Joe durch die Stadt fuhr, akquirierte. Sie hatte Kunden aus allen Gesellschaftsschichten, auch aus hohen und höchsten Kreisen. In ihrem Notizbuch fanden sich die Namen von Harald Quand ebenso wie der von Gunther Sachs. Sie hatte wahrscheinlich auch Kontakt zu Natoffizieren. Dennoch war sie alles andere als eine große (Lebe)- Dame. Sie hatte sich wohl Manieren angeeignet, wirkte aber gewöhnlich und bisweilen ordinär, sie ging gern in Kneipen. Sie galt als geizig und launenhaft. Sie verfügte jedoch über außergewöhnlichen Ehrgeiz und die Fähigkeit zu kluger Inszenierung. Zum Zeitpunkt ihres Todes, wird sie über 80.000 DM auf ihrem Sparbuch haben. Sie ist eine wohlhabende Frau, doch ihr Tod bleibt unbetrauert.

Rosemarie wurde als uneheliches Kind geboren, lebte in Heimen und kam schließlich zu einer Pflegefamilie. 1944 geschieht die Katastrophe. Rosemarie wird 11 jährig in einem Wäldchen vergewaltigt. Das Thema wurde tabuisiert, dem Kind Rosemarie wurde eine Mitschuld zugeschrieben. Danach gerät ihr Leben aus den Fugen, sie lässt sich, grade erst 12 jährig mit französischen Besatzungssoldaten ein, hat eine fast tödliche Abtreibung und gilt fortan als gefallenes Mädchen. Es folgen diverse Aufenthalte in Erziehungsheimen aus denen sie auszubrechen sucht, im Gefängnis (wegen Landstreicherei), und dem Arbeitshaus in dem Erziehung durch Arbeit gegen gewerbliche Unzucht wirken soll. Entlassen geht sie nach Frankfurt und arbeitet fortan erfolgreich im horizontalen Gewerbe. Rosemarie arbeitete allein, sie ist Konkurrenz für die Straßenmädchen und erhält kurz vor ihrem Tod Besuch von einem Halbweltboss, der sie ängstigt. Auch ist bekannt, dass sie kurz vor ihrem Tod bei der Suche nach Kundschaft einen Beamten der Mordkommission ansprach.

Sie war wahrscheinlich drei Tage vor ihrem Fund von hinten erdrosselt worden. In ihrer Wohnung konnten die Beamten 1000 DM in bar, Schmuck, Fotos, Filmrollen Tonbänder und Notizbücher sicherstellen. Andere Beweismittel wie ein Foto von Harald Krupp von Bohlen und Halbach, eine Tonbandaufnahme von ihm und diverse seiner Billets d'amour wurden als Beweismittel jedoch unterschlagen und sind nicht asserviert, denn für Prominente gibt es eine Schonbehandlung. Rosemarie wünschte sich eine dauerhafte Verbindung zu einem Mann der besseren Gesellschaft. Harald von Bohlen und Halbach war ihr offenbar sehr zugetan, was eifrig vertuscht wurde.

Die Rekonstruktion ihres letzten Lebenstages ergab folgendes: Um neun Uhr kommt ihre Zugehfrau, die Rosemarie weckt und von der angefaucht und weggeschickt wird. Hans Polmann, ein homosexueller Handelsvertreter und verschuldeten Hochstabler, der als Rosemaries Handlanger und Faktotum in Erscheinung trat, ruft sie an. Er soll zu ihr kommen und erscheint um 13.00 Uhr. Rosemarie ist noch im Schlafanzug, die Zugehfrau kommt wieder, Pohlmann kocht für Rosemarie Reisbrei, ihre letzte Malzeit. Um 15.00 Uhr kommt ein Freier, dem gegenüber Rosemarie äußert, dass sie Angst hat. Um 16.45 soll sie beim Metzger gewesen sein. Um 17.00 Uhr will sie eine Nachbarin gesehen haben. Alles weitere liegt im Dunkeln. Die Polizei, die nach etlichen Ermittlungspannen unbedingt an einen Raubmord glauben will, verhaftet Hans Pohlmann. Nach dem Mord an der Nitribitt kann Pohlmann plötzlich seine Schulden bezahlen, er hat kein Alibi und hat falsche Angaben zu der am Tattag getragenen Kleidung gemacht. Er wird jedoch aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Ihr Tod wurde nie aufgeklärt.

„Das Mädchen Rosemarie“, ein erregender Film?

Erich Kuby selber sagte über den Film, dass er nicht über das Mädchen, sondern über die soziale Situation, in der sie reich geworden ist, erzählen wollte und so versteht sich der Film als Satire auf das Wirtschaftswunderland. Der Film war mit Gerd Fröbe, Karl Raddaz, Hanne Wieder, Mario Adorf, Karin Baal, Horst Frank, Werner Peters, Hubert v. Meyerinck und Helen Vita hervorragend besetzt. In der Titelrolle war die ehemalige Miss Austria Nadja Tiller zu sehen. Es ist augenscheinlich, dass es den Filmemachern nicht um biographische Genauigkeit geht. Die Hauptrolle hat nicht Rosemarie, sondern das Nachkriegsdeutschland, das mittels Trümmerfeldern und Hochfinanz, Elendsbehausungen und Grand Hotels, Bigotterie und Amoralität präsentiert wird.

Rosemarie, die zu Anfang des Films mit 2 Männern (unter anderem Mario Adorf) in einem Kellerloch haust und als Straßensängerin tätig ist, beginnt auf eigen Faust zu arbeiten. Sie versucht sich einen der Wirtschaftsbosse zu angeln, die in Frankfurt auf einem Kongress zusammenkommen. Sie schaffte es einen Unternehmer namens Hartog (Carl Raddatz) für sich zu gewinnen. Er richtet ihr eine kleine Wohnung ein, doch es kommt zum Bruch, denn Rosemarie will mehr, als ihr in ihrer Position zusteht. Sie bekommt den Mercedes 190 SL und eine Abfuhr. In dieser Situation tritt der französischer Werksspion Fribert (Peter van Eyck) an sie heran, der ihr „internationalen Lack“ verpasst und Methode in ihren Beruf bringt. Sie zieht in ein mondänes Appartement und erweitert ihren Kundenkreis (u.a. Gerd Fröbe, Werner Peters), dem sie systematische Geheimnisse entlockt, die sie auf Band aufnimmt. Bald ist klar, welches Spiel Rosemarie spielt, sie selber lässt keinen Zweifel daran aufkommen. Sie zeigt den Wirtschaftsbossen, dass sie sie in der Hand hat und hintergeht auch Fribert, in dem sie auf eigene Rechnung arbeitet. Sie beginnt zu ahnen, dass sie zu weit gegangen ist, und bekommt es nun doch mit der Angst zu tun. Einzig ein junger Mann (Horst Frank), der religiöse Schriften verkauft und sie auf den rechten Weg führen will steht noch zu ihr, als ihre Feinde sie wie eine Horde Hyänen umzingeln. Sie wird von einem gesichtslosen Mörder getötet. Mit diesem Akt wird die „Ordnung“ wiederhergestellt.

Flankiert wird die Handlung von den Moritatensängern, zu denen auch Rosemarie selbst am Anfang noch gehörte und die in der Manier eines Wolfgang Neuss, das Wirtschaftswunder und seine Auswüchse, sarkastisch besingen. So zum Beispiel mit dem Wohlstandslied: „wir ham jetzt nen Picasso an der Wand, mein Kampf ham wir leider verbrannt. / Und rechts noch ´nen Nerz, und links noch ´nen Herz und die Freiheitsglocke im Herz....“ Das schafft immer wieder eine theatralische Distanz und gibt eine Sichtweise auf das Geschehen vor.

Die Doppelmoral der Bundesrepublik wird anschaulich und humorvoll dargestellt. So durch den empörten Hotelportier (Hubert v. Meyerinck), der wilde Prostitution in seiner Lobby nicht duldet, aber selber die männlichen Gäste mit leichten Mädchen versorgt, als auch durch die uniformiert erscheinenden Wirtschaftsbosse, die nicht müde werden sich in Rosemaries Bett über die Verständnislosigkeit ihrer Frauen zu beschweren.

Natürlich arbeitet der Film auch mit Elementen des Voyeurismus. Da er aber als Satire daherkommt, erlaubt das dem Zuseher, sich nicht als Voyeur zu empfinden, sondern das Ganze von einer überlegenen Warte heraus zu betrachten. Quasi aus einer abgeklärten, akademischen Position heraus. Das hat aber zur Folge, dass ein echtes Verständnis für die Person der Rosemarie Nitribitt, ihre Situation, ihre Biographie, gar nicht erst aufkommt was offensichtlich auch nicht Ziel des Films sein soll. Dazu trägt Nadja Tillers seltsam kühle und unbeteiligt wirkende Spielweise bei. Angetan mit einer eigenartigen Perücke, wirkt sie sonderbar künstlich und leblos.

Die Rosemarie des Films ist ein Produkt dieser Zeit, das austauschbar ist. Dies wird auch dadurch verdeutlicht, das eine andere junge Frau (Karin Baal) tatsächlich ihre Rolle bei den Moritatensängern einnimmt, und buchstäblich ihre Wege nachgeht. Dennoch hat die Rolle Nadja Tiller berühmt und zum Sinnbild des lasziven unterkühlten Sexsymbols gemacht.

Der Film bietet einen fiktive Erklärung für das Phänomen Rosemarie und ihr Ende an. Was er nicht tut, ist sich an Fakten und Tatsachen zu halten. Das Mädchen Rosemarie bleibt eine Romanfigur.

Die Wahrheit über Rosemarie

Anders der 1959 entstandene Film „Die Wahrheit über Rosemarie“. Hier wird versucht, die Frau und die Geschichte hinter dem Mord begreiflich zu machen, was freilich nur in Ansätzen durch die bürgerliche Brille geschieht. Dennoch bietet der Film interessante Einblicke in die Denkensart der 50er Jahre. Wenn Rosemarie z.B. dem Leiter des Arbeitshauses von ihrem Missbrauch berichten will, dieser sie abwürgt und seine Kollegin ihm mit dem Rat zu Hilfe kommt, Rosemarie möge sich doch schnell einen netten Mann suchen, dann ist das ein beklemmender Beleg für die Sprach- und Hilflosigkeit dieser Generation und für die Einsamkeit der Opfer von sexueller Gewalt. Das Thema wird noch einmal angeschnitten. Rosemarie hat einen festen Verehrer, einen reichen Geschäftsmann namens Woltikow (Walter Rilla), der es offensichtlich ernst mit ihr meint, den sie aber verliert, weil sie so ist wie sie ist. Sie verteidigt sich mit den Worten: “Was weißt du, wenn du wüsstest, was unsereinem schon als Kind geboten wird.“ Interessant ist auch der Code für Homosexualität. Jan Hendricks, der so heterosexuell rüberkommt wie irgend möglich, verkörpert den homosexuellen Pohlmann. Das wird durch ein kleines Wortgeplänkel dechiffriert. Rosemarie bietet Pohlmann an, für sie zu arbeiten. Er antwortet darauf, er könne kochen und sie entgegnet; bestimmt vor allem süße Sachen.

Rosemarie ist eine junge Frau mit traumatischer Vergangenheit, die sich nach Partnerschaft sehnt, aber weder den Männern noch sich selber traut, die zickig, bösartig, schmeichelnd, kokett, kleinlich, verzweifelt, übermütig, egoistisch, hinreißend und verführerisch ist. Belinda Lee vermag, die vielschichtigkeit dieser zerrissenen Frau glaubwürdig darzustellen. Auf Portraitgenauigkeit wurde kein Wert gelegt. Belinda Lee darf aussehen wie sie selbst, was dem Film gut tut, denn sie weitaus attraktiver als die echte Rosemarie es war. Das Augenmerk liegt in der Darstellung von Rosemaries Charakter.

Als Sinnbild für ihre Arbeit, sieht man sie ein ums andere Mal ihre Strapse lösen. Nur das. Kein Gesicht, kein Kunde, nur diese Handlung. Die erotische Konnotationen die Nahtstrümpfe hervorbrachten, wirken auch heute noch, soll es doch gerüchteweise immer noch Männer mit einer Obsession für Nylons geben. An anderer Stelle zeigt sich Belinda Lee noch freizügiger, freizügiger auch als Nadja Tiller. Der Zuseher darf Einblick nehmen in das Leben einer Hure und ihren Körper und sich entscheiden, wie weit er selber „im Sumpf untergeordneter Triebe watet“.

Als Gegengewicht zur voyeuristische Kameraführung und gleichsam als Buße wird der Zuseher ein ums andere Mal mit den gängigen rigiden Moralvorstellungen traktiert, die von den Amts- und Respektspersonen im Film geäußert werden. Wie zum Beispiel dem Ermittlungsbeamten, der zu dem Urteil kommt: „Totschlagen sollte man diese Giftluder“, oder einem Beamten des Sittendezernats, der Rosemarie droht, ihren Status von Mannequin in Prostituierte zu ändern wenn sie fortführe, vom Auto aus anzuschaffen. Dem immerhin darf sie frech entgegnen: „Ich werde mein Verhalten im Verkehr in Zukunft den Vorschriften besser anpassen“. Doch dieser kleine Sieg der Rosemarie, darf nicht über ihre soziale Ächtung hinwegtäuschen, wenn sogar eine pubertierende Bande pickliger Halbstarker sich ungestraft an ihrem Wagen, und beinahe noch an ihr selber vergreifen dürfen.

Die Vielzahl ihrer Freier wird durch drei unterschiedliche Typen charakterisiert. Zum Einen, stellvertretend für Rosemaries Kundschaft aus Wirtschaftskreisen, Hans Nielsen (eine der schönsten Stimmen im deutschen Kino) der herrlich jovial, keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, das Rosemarie nichts weiter als eine Dienstleisterin ist und das nie vergessen darf, zum Anderem der unnachahmliche Karl Schönböck, der als Grandseigneur mit Wiener Schmäh seine Paraderolle als blasierter, etwas aus der Zeit gefallener Lebemann, erneut mit Bravour darbietet, und schließlich Paul Dahlke, der als kleiner Mann nicht nur den, in erdrückend engen Verhältnissen lebenden, verklemmten Spießer, sondern auch den verkappten Frauenhasser- und Schläger glaubhaft darstellt.

Neben diesen Prototypen des Freiers gehören zwei weitere Männer zu Rosies Dunstkreis, der Zuhälter Richard, solide dargestellt von Karl Lieffen, und ihr Handlanger Pohlmann, der für sie zwar allerhand Verrichtungen vornimmt aber mehr ein Nutznießer denn ein Freund ist und der sie letztendlich ständig anpumpen will.

Den bürgerlichen Gegenentwurf zur Dirne, ihrem lasterhaften Leben und ihrer amoralischen Kundschaft bilden in unerträglicher Selbstgefälligkeit Vater und Sohn Guttberg. Vater Guttberg (Wolfgang Büttner) seines Zeichens, Kriminalpsychologe und Jugendberater gibt die empörte Stimme der Moral, wenn er sich dazu versteigt Rosemarie die Mitschuld an ihrem Tod zu geben (wie in der Realität geschehen, bei ihrer Vergewaltigung), da sie den Weg ging, der von ihm als „trostlos und typisch in seiner Verderbtheit“ beschrieben wird. Guttberg, sieht Rosemarie als eine Haltlose die „im Dreck wühlt“, eine gescheiterte , verdorbene die „vereinsamt und ausgestoßen von dem was sauber, stark und hilfreich ist“ sei. Da sie nicht die sittlichen Gesetzte menschlicher Gemeinschaft, noch die Ehre und den Frieden der Familie achtet, muss sie zugrunde gehen.

Sein Sohn (Claus Wilcke), vom Vater schon früh gegen das Gift der Verderbtheit geimpft, wird zu Rosemaries Objekt der Begierde und setzt sich mannhaft gegen die ihm widerliche Hure zur Wehr, um züchtig in die aseptischen Arme seiner blitzsauberen Verlobten zu sinken.

Bei nüchternem Licht betrachtet, schneiden die Männer in diesem Film charakterlich weit schlechter ab als die Frauen. Rosemarie hält und erwartet von ihnen nicht viel, doch auch ihr Verhältnis zu Frauen ist ambivalent. Frauenrollen gibt es wenige. Die beiden wichtigsten Figuren sind Rosemaries ehemalige Vermieterin Frau Huber, gespielt von Lina Carsten, die die Rolle der zwar etwas brummigen, doch herzensguten (Groß)mütterlichen Bezugsperson auch in vielen anderen Filmen, sei es als Pater Browns Haushälterin, oder als Großmutter des Bastian, glaubhaft und herzerwärmend mit Leben gefüllt hat und Rosemaries Zugehfrau Frau Kroll. Die Darstellung der Frau Kroll gehört zu den Glanzpunkten des Films. Edith Schultze- Westrum zeigt das Bild einer desillusionierten, vom Leben betrogene Frau auf höchst eindringliche Weise. Die Charakterdarstellerin Schultze- Westrum bietet für mich, die beste darstellerische Leistung des Films.

Für Rosemaries Ermordung bietet der Film keine tatsächliche Erklärung an, er folgt der Einschätzung Guttbergs von Rosemaries Mitschuld und zeigt auf, wie sie sich alle Menschen zu Feinden macht. Wie kaum anders zu erwarten, darf Guttberg kurz vor Rosemaries Ermordung noch einmal predigen, und zwar Rosemarie selber, der er zufällig begegnet. Er sagt ihr auf den Kopf zu, dass sie am Ende sei, denn, „Ihr seid schnell am Ende“. Er bietet ihr keine Hilfe aber reichlich Vorwürfe an, denn sie sei immer egoistisch gewesen und habe nie Gutes getan. Keiner liebe sie, weil sie niemand liebe. Die religiös verbrämte Aufforderung des allwissenden Guttberg: „Gehe hin und liebe, denn helfen wird dir keines Menschen Hand“, enttarnt den Missionar von eigenen Gnaden, der auch nach Rosemaries Tod kein Wort des Bedauerns für sie finden wird, als zutiefst unchristlichen Menschen. Ob zeitgenössische Filmbesucher das ebenso empfunden haben mögen bleibt ungewiss.

An ihrem letzten Tag wird Rosemarie von diffusen Ängsten verfolgt. Die etwas sonderbare schräge Kameraführung am Schluss, soll wohl Rosemaries emotionale Schieflage illustrieren. Rosemarie erträgt ihre Einsamkeit nicht mehr. Sie wird einsam sterben, umgebracht von einem, der sie kannte. Keiner wird sie verteidigen, noch nicht mal ihr Hund. Was die vordergründige Absicht des Films betrifft, die Wahrheit über den Fall Nitribitt aufzuzeigen, so macht er, zumindest in Ansätzen Rosemaries Lebensweg begreifbar. Er stellt reale Personen aus ihrem Umfeld vor, versucht Widersprüchliches zu erklären (wenn auch romanhaft), so zum Beispiel warum Rosemarie unter dem Pseudonym Rebecca in Erscheinung trat, enthüllt (freilich ohne Namensnennung) ihre enge Verbindung zu einem Multimillionär, dem unter anderem Kohlengruben gehören und rekonstruiert sorgfältig ihren letzten Tag. Teilweise schimmert sogar Verständnis für die Person Rosemarie durch, aber dann scheint es, als hätten die Filmemacher Angst vor der eigenen Courage bekommen, denn die Aburteilung des liederlichen Charakters der Prostituierten bleibt der Haupttenor im Film. Zuviel Verständnis wäre wohl nicht opportun gewesen. So bleibt „Die Wahrheit über Rosemarie“ die moralinsaure Wahrheit einer verunsicherten Nation die nach dem Nationalsozialismus und dem verlorenen Krieg starre Regelgerüste und fest begrenzte Handlungsspielräume für ihr moralisches Handeln zu benötigen glaubte. Dennoch ein sehenswerter Film.



Mein Fazit:
Das Mädchen Rosemarie: 3 von 5 Punkten
Die Wahrheit über Rosemarie: 4 von 5 Punkten

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

25.11.2018 13:55
#17 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten



BEWERTET: "Rosemaries Tochter" (Deutschland 1976)
mit: Lillian Müller, Horst Frank, Tamara Lund, Jo Herbst, Werner Pochath, Bela Erny, Hanne Wieder, Karl Schönböck, Tilo von Berlepsch, Herbert Fux, Silvia Simon, Ernst Lothar, Walter Ullrich u.a. | Drehbuch: Ted Rose, Friedhelm Lehmann, Helmuth Ruge und Joe Berger | Regie: Rolf Thiele

Die Frankfurter Prostituierte Rosemarie Nitribitt hinterließ eine Tochter, die in der Schweiz aufwuchs und für deren Unterhalt ein unbekannter Gönner sorgte. Als die Zahlungen nach zwanzig Jahren plötzlich ausbleiben, reist Annemarie in die Bundesrepublik, um im Umfeld ihrer ermordeten Mutter nach Spuren zu suchen. Mit der Devise, sich an allen, die für den Tod der Nitribitt verantwortlich sind, zu rächen und selbst finanziell unabhängig zu werden, sucht Annemarie den Kontakt zu ehemaligen Bekannten ihrer Mutter, wobei sie vorgibt, Journalistin zu sein. Sie sticht dabei in mehrere Wespennester und sorgt für helle Aufregung bei den Beteiligten....



Diskussionswürdige, kritische Thesen werden im Plauderton serviert, ohne dem Zuschauer Zeit zum Reflektieren zu lassen. Während Bild und Ton selten konform ablaufen, treibt Thiele seinen Film mit einer Vehemenz voran, in der ungetrübtes Selbstbewusstsein seinen Ausdruck findet. Dem Regisseur des Kinoklassikers "Das Mädchen Rosemarie" scheint es weniger darum zu gehen, Wahrheiten aufzudecken oder ein Komplott zu entwerfen, als sich in der Allmacht zu sonnen, die er als "Experte" über den Stoff erlangt zu haben scheint. Seine Auslegung der Geschichte ist geradezu verwegen und könnte als Parodie durchgehen, wenn Thiele sie nicht so ernst nehmen würde. Alles, was kommentiert, angeprangert und analysiert wird, ist bitterernst und soll intellektuell wirken, während parallel Müllers Venusfigur zu sehen ist. Laufend bemüht Thiele die Urmutter der blonden Annemarie, das stadtbekannte Mädchen Rosemarie von Anno dazumal, wobei Nadja Tiller wie ein Gespenst in Sepia aus der Vergangenheit auf den Zuschauer blickt und er sich unwillkürlich fragt, ob Thiele nicht genügend neues Material hatte, um die 92 Minuten Filmlänge auszufüllen. Nicht erst als leuchtend rote Hakenkreuzflaggen im Bild erscheinen oder Werner Pochath den 'deutschen Herbst' antizipiert, zieht man verwundert die Augenbrauen hoch. Das Staunen über die Melange aus Satire, Drama, Komödie und Erotikfilm setzt bereits ein, als Lillian Müller auf Tamara Lund und Jo Herbst trifft, die den Tanz ums goldene Kalb traumtänzerisch wiederholen und alle Hoffnung des Zusehers auf eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Kriminalfall 68331/57 begraben. Die Beweggründe der weiblichen Hauptfigur scheinen nicht einmal ihr selbst bekannt zu sein, bleiben ihre Aktionen doch vage und dienen meist nur dem Zweck der Selbstinszenierung. Die Propagierung der totalen Amnesie als Heilsbringer ist der Gegenentwurf zu Annemaries Wunsch, die Leute zum Sprechen zu bewegen. Verweist Thiele am Anfang des Films noch laufend auf seinen eigenen Klassiker, so scheint auch er sich am Ende für den Nebel des Vergessens entschieden zu haben, mit dem er sein geschmacksverirrtes Werk einsprüht - doch das Publikum vergisst nicht.

Charly Steinberger erweist sich einmal mehr als Meister seines Fachs und taucht Müller in schmeichelnde Perspektiven, die reizvolle Kontraste ergeben und die Darstellerin zum visuellen Kunstwerk stilisieren. Weiches Licht, satte Farben und fließende Übergänge zwischen nüchterner Realität und versponnener Traumwelt charakterisieren bereits den Vorgänger "Frauenstation". Die Kamera nutzt alle Möglichkeiten, den Film dort aufzuwerten, wo das Drehbuch versagt. Bleiben die Dialoge auch flach, die Kommentare exaltiert und die Handlungen abstrus, so kann man wenigstens nicht leugnen, dass alles sehr kreativ ausgeleuchtet und fotografiert wurde. Während Horst Frank, Hanne Wieder und Herbert Fux des öfteren unvorteilhaft ins Bild gerückt werden, touchiert die Kameralinse Lillian Müller mit Samthandschuhen und rückt ihre diversen Schokoladenseiten stets passgenau in den Mittelpunkt. Die Betonung liegt auf ihrem unschuldigen Charme, der von ihrer feindlichen Umgebung bedroht wird und dessen gleich mehrere Personen habhaft werden wollen. Der Pöbel wird dabei in Verzerrung und Nahaufnahme gezeigt, in Zeitlupe bewegt er sich zu absurden Moritaten und zeigt sich in all seiner Erbärmlichkeit. Immer wieder fischt die Kamera das blonde Mädchen aus der Menge heraus, isoliert es und lenkt das Interesse des Publikums auf seine Ausstrahlung. Lillian Müller stellt in gewisser Hinsicht den einzigen Lichtblick der Produktion dar, weil sie ebenso wie ihre Figur das Metier als Anfängerin ausübt und sich deshalb nicht jene Vorwürfe gefallen lassen muss, die man etwa einem Schauspieler wie Horst Frank machen muss. Sein affektiertes Auftreten im Käfig voller Narren, abwechselnd bewaffnet mit Banane, Beil oder Bacardi, stellt einen Tiefpunkt in seiner Karriere dar. Man fragt sich ohnehin, welche Beweggründe dazu führten, dass Rolf Thiele stets prominente Namen um sich scharen konnte, selbst bei Produktionen auf niedrigstem Niveau. Mag sein, dass Thiele ursprünglich mit der Absicht angetreten war, den Fall Nitribitt neu zu beleuchten, das Ergebnis ist jedoch weder eine kontroverse Spurensuche, noch ein leidlich spannender Kriminalfilm oder ein intelligentes Drama, sondern eine sinnbefreite Groteske.

Abschließend noch ein Auszug aus der Kritik von Paula Linhart im "Filmdienst" unter dem Eintrag Nr. 20 059 des Jahrgangsbandes von 1976:

"Das von Rolf Thiele 1958 in Gang gesetzte bundesdeutsche Affärenkarussell ("Das Mädchen Rosemarie"), das seine zeitsatirischen Glossen nicht ohne keß-unterhaltsamen Dreh über die Runden brachte, wird "zeitgemäß" wieder angekurbelt, verfehlt aber den satirisch-parodistischen Anschluß. Idee und hinterhältige Pointen ohne Geist und listig versteckten Witz verdummen zu vordergründigen Gags. Wo sich der Kommentar augenzwinkernd mit Anspielungen begnügt, wird die Bilderstory plump anzüglich und mit einer Einstellung unverblümt ins Pornofach verlegt. In dieser parodistischen und kabarettistischen Substanzleere bekommt der üppige Ausstattungschic und -flitter nur Alibifunktion, so attraktiv und effektvoll er auch ins Bild gebracht wird."

Prisma Offline




Beiträge: 7.591

25.11.2018 14:55
#18 RE: Unsterblich im Film: Rosemarie Nitribitt Zitat · Antworten


ROSEMARIES TOCHTER


● ROSEMARIES TOCHTER (D|1976)
mit Lillian Müller, Horst Frank, Béla Ernyey, Werner Pochath, Hanne Wieder, Tamara Lund, Herbert Fux, Jo Herbst, Silvia Simon, Karl Schönböck,
Tilo von Berlepsch, Walter Ullrich, Paul Friedrichs, Werner Abrolat, Hertha von Walther, Georg-Simon Schiller, Kristina van Eyck und Hans Clarin
eine Luggi Waldleitner Produktion der Roxy-Divina Film | GGB 4. KG | im Constantin Filmverleih
ein Film von Rolf Thiele




»Aber sie weiß nicht, dass man auch ohne Defloration seine Unschuld verlieren kann!«


Der Mord an der bekannten Frankfurter Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt hielt die Bundesrepublik seinerzeit in Atem, doch das Verbrechen konnte nie aufgeklärt werden. Obwohl mittlerweile beinahe zwanzig Jahre vergangen sind, kommt die unliebsame Angelegenheit für die damaligen Beteiligten wieder aufs Tableau, denn Annemarie Meier-Wippertal (Lillian Müller), die Tochter der Ermordeten, sorgt für Unruhe, da sie den Mord an ihrer Mutter aufklären will. Bislang wurde sie in einem Schweizer Internat unter Verschluss gehalten, die Ausbildung von einem Unbekannten finanziert, doch die Zahlungen werden plötzlich eingestellt. Annemarie, die Journalistik studiert hat und diese Voraussetzungen gewinnbringend einsetzen will, reist nach Deutschland, um auf eigene Faust zu recherchieren. Sie hofft, die Schuldigen aufzuspüren und sinnt nach Rache. Doch noch ahnt sie nicht, in welches Wespennest sie gestochen hat...

»Es wird schon irgendwo einen Platz geben, wo man den Namen Nitribitt nicht kennt...« Diese Aussage aus Rolf Thieles Spätwerk mag wohl eher umfassend als auf den Orbit des Regisseurs zutreffen, da der Name der wohl bekanntesten deutschen Prostituierten seine Karriere durch seinen großen Spielfilm-Erfolg mit "Das Mädchen Rosemarie" bis zum Schluss geprägt, wenn nicht sogar dominiert hat. Bei "Rosemaries Tochter" handelt es sich um den letzten Kinofilm von Regisseur Rolf Thiele, wobei der etwa ein Jahr zuvor gedrehte "Frauenstation" erst anschließend und ebenso erfolglos in die bundesdeutschen Kinos gebracht wurde. Die Flops hatten damit allerdings noch kein Ende, denn er fungierte 1978 noch als Produzent für das Millionengrab "Schöner Gigolo, armer Gigolo". Thiele kann auf eine lange, ergiebige und ohne jeden Zweifel erfüllte Karriere zurückblicken, denn er war einer der Regisseure, dem der geduldige deutsche Film dem Empfinden nach zahlreiche Privilegien einräumte, denn nur so lassen sich manche Verpflichtungen und vor allem Ergebnisse retrospektiv erklären. Seine Arbeiten schienen insbesondere ab Ende der 60er Jahre immer uniformer zu werden und es fand leider kein zeitlicher Transfer in die 70er Jahre statt, wie man anhand dieser Geschichte rund um die vermeintliche Nachkommenschaft der Frankfurter Edelhure Rosemarie Nitribitt beobachten kann. Eine Dekade zuvor vermittelten Rolf Thieles Filme zumindest noch den Eindruck von unkonventioneller Unterhaltung, doch leider ist es viel zu offensichtlich, dass der Regisseur sein eigenes Rad nie mehr neu erfinden konnte. Was der Zuschauer hier geboten bekommt, ist nur schwer zu begreifen, zumal das Ausgangsmaterial eine Bombe hätte sein können, denn so könnte der potentielle Stoff aus dem Erfolge gemacht werden aussehen; ob auf rein spekulativer Basis oder als ernsthafte Abhandlung.

Was aber ist aus dieser Geschichte geworden, die bereits im Vorfeld für deutliches Aufsehen und Spannung sorgen möchte? Leider unwesentlich mehr als Nichts. Beim Blick auf das ungelenk und durch und durch diffus wirkende Ergebnis stellt sich zunächst die Frage, wie der Großverleih Constantin dieses Vehikel überhaupt in die Kinos peitschen konnte, denn ein möglicher Erfolg ist bei der Betrachtung bereits im Vorfeld komplett ausgeschlossen. Letztlich ist es sehr schwer in Worte zu fassen, was hier eigentlich passiert ist. "Rosemaries Tochter" präsentiert sich als Musterbeispiel einer hoffnungslosen Entgleisung und dokumentiert eine Art Mut der Verzweiflung, der nahezu beispiellos ist. Rolf Thiele trägt seine Vorstellung von Gesellschaftskritik erneut vor sich her wie eine Monstranz, die aber niemanden mehr zu Kniefällen bewegen kann. Sein Film und er werden schlussendlich Steigbügelhalter von all dem, was er ursprünglich karikieren oder kritisieren möchte. Die Geschichte einer möglichen Nachkommenschaft der Nitribitt ist wie gesagt alles andere als uninteressant, und zunächst werden die großen Erwartungen auch noch nicht zerschlagen, da man Hauptdarstellerin Lillian Müller durchaus zutraut, das Gebilde überzeugend genug auszubuchstabieren. Leider kommt der Angelegenheit aber niemand anderes als Rolf Thiele selbst in die Quere, denn es werden inszenatorische sowie stilistische Obskuritäten geboten, die leider so miserabel und ermüdend ausgefallen sind, dass sie im Umkehrschluss eben nicht fast schon wieder gut sein könnten. Es darf also in aller Deutlichkeit betont werden, dass es nicht nur penetrant und unfreiwillig komisch zugehen wird, sondern man sich nach kürzester Zeit schon so unglaublich peinlich berührt fühlt, dass man es auch lange nach Beendigung des Films nicht fassen will, was man hier zu sehen bekommen hat. Was mag also passiert sein? Dass ein derartiger Stoff vorzugsweise von Rolf Thiele bearbeitet werden sollte, versteht sich noch irgendwie von selbst.

Dennoch bleibt das Gedankenspiel nicht aus, dass man sich einen anderen Regisseur für diese Inszenierung gewünscht hätte, wenngleich der Film unter diesen Umständen wohl nie auf die Leinwand gekommen wäre. Wie dem auch sei, "Rosemaries Tochter" ist Sex-Posse und kabarettistischer bis satirischer Zirkus in einem geworden, in dem die Darsteller ziellos in einer surreal wirkenden Manege umherstolpern und dementsprechend am laufenden Band in das von der Regie selbst gewetzte Messer laufen. Der schwerwiegendste Fauxpas der Produktion ergibt sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass sich Originalität und Eigenständigkeit im Vorfeld kategorisch über den Aufbau auf Ruinen ausschließen, denn der Film versucht in offensichtlicher, aber gleichzeitig aussichtsloser Form an alte Erfolge anzuknüpfen. Man glaubt seinen Augen nicht zu trauen, als Hans Clarin in seiner Erzählfunktion in einer Art Schneideraum über den laufenden Film berichtet und ihn überschwänglich, beinahe lyrisch kommentiert, während gleichzeitig einkopierte Originalszenen aus "Das Mädchen Rosemarie" laufen und man Nadja Tillers Paraderolle nochmals vor Augen geführt bekommt. Diese Schwarzweiß-Sequenzen aus dem angestaubten Klassiker sollen das Bindeglied darstellen, das der Film in dieser Form überhaupt nicht nötig gehabt hätte. Zusätzlich agieren Schauspieler wie Horst Frank, Hanne Wieder, Tilo von Berlepsch und Jo Herbst, die bereits damals mit von der Partie waren, und in origineller Weise bekleiden sie hier ähnliche Rollen wie damals, was eigentlich eine gute Grundvoraussetzung darstellt. Aber leider muss gesagt werden, dass man sich im Allgemeinen in unpräzise ausgeschnittenen Schablonen wiederfindet und das Potential verschenkt wird. Jeder einzelne Darsteller beugt sich dem unsäglichen Konzept der Regie und driftet in Karikaturen ab, deren Funktionen fragwürdig bleiben, obwohl sie auf der Hand liegen.

Wie bereits in "Frauenstation" ging die weibliche Hauptrolle an die Norwegerin Lillian Müller, der man in ihrem offiziellen Leinwand-Debüt zunächst eine hohe Glaubwürdigkeit aus bloßen optischen Gründen bescheinigen möchte. Als unter Verschluss gehaltene Tochter der Rosemarie Nitribitt macht sie auch tatsächlich eine gute Figur, wenn sie nicht pausenlos gegen Windmühlen zu kämpfen hätte. Annemarie ist in einem Schweizer Internat aufgewachsen und erzogen worden, und sie möchte - da ab sofort der monatliche Scheck eines unbekannten Mäzens ausbleibt - nach ihrer verlorenen Vergangenheit suchen und bei dieser Gelegenheit auch den mysteriösen Mordfall Nitribitt aufklären, an dem sich der Polizeiapparat die Zähne ausgebissen hatte, oder möglicherweise einer rätselhaften Amnesie zum Opfer gefallen war; schließlich konnte das Verbrechen nie aufgeklärt werden. Zahlreiche Widerstände durch Zeitzeugen und gleichzeitig sich unmöglich verhaltende Personen suggerieren ein Weiterkommen im Dunkeln, allerdings verliert Rolf Thiele hier in Windeseile den roten Faden und es wird schnell einerlei, wie sich die von Beginn an zum Tode verurteilte Geschichte entwickelt. In diesem Zusammenhang hat es der gepeinigte Zuschauer mit einem Wirrwarr an Informationen und eklatanten Gedankensprüngen zu tun, sodass das Anschauen zur Zerreißprobe ausartet. Annemaries Rendezvous mit der Vergangenheit gestaltet sich als vollkommen uninteressant und die Erwartungshaltung des Zusehers gibt dieser hoffnungslosen Farce den Rest. Die attraktive Blondine wird erwartungsgemäß alles andere als freundlich aufgenommen, da gewisse Personen in dem Irrglauben verharrten, dass Tote nicht mehr zurückkehren werden. Daher soll erneut betont werden, dass die nahezu brillanten Grundvoraussetzungen absolut ungenutzt bleiben und Thiele seine Interpreten zu lächerlichen und extern gelenkten Selbstinszenierungen zwingt.

Die Stars der Ur-Version scheinen nach diesem Fiasko nicht einmal mehr der Rede wert zu sein, sollen aber dennoch mit ihrem Thiele'schen Joch um den Hals beschrieben werden. Horst Franks Schlüsselfunktion verpufft leider im Nirgendwo, oder besser gesagt im Labyrinth jämmerlicher Drehbuchanweisungen. Es ist nahezu irritierend, in welche Rolle sich dieser gerne gesehene und profilierte Darsteller hineinzuversetzen hat. Eine Verknüpfung zur jungen Titelfigur wird zwar mühsam aufgebahrt, was sich aber immer wieder in schlecht durchdachten Szenen verliert, die weder informieren noch amüsieren. Weitere Fälle von schwerwiegender Deplatzierung erfahren Hanne Wieder und insbesondere die finnische Sopranistin und Opernsängerin Tamara Lund, deren künstlerisches Talent wie Perlen vor die Säue geworfen wirkt. In einem Korsett langweilender, kabarettistischer Einlagen, muss sie das tun, was rätselhafterweise von ihr verlangt wird. Aber als Zuschauer muss man das tatsächlich selbst erlebt haben, um es nicht verstehen zu können. Bei Hanne Wieder kann man von nichts anderem als einem klassischen Schwanengesang sprechen, und hin und wieder fängt man sich tatsächlich an zu schämen, über das, was hier geboten wird. Karl Schönböck, Jo Herbst und Tilo von Berlepsch werden verheizt, der gebürtige Ungar Béla Erny ist schnell wieder vergessen, was auch auf die übrige Entourage zutrifft. Der Rest ist sozusagen Schweigen. Alle Hoffnungen liegen somit noch auf Werner Pochath, der vielen Filmen zumindest Charisma einverleiben konnte. Ihn hier als unmotiviert handelnden Terroristen zu erleben, ist zwar weitgehend rollenspezifisch, aber im Rahmen der Veranstaltung mehr bedauerlich als erbaulich. In der Produktion sind übrigens viele weitere bekannte Namen aufzuspüren, die unter Thiele sozusagen kinematographisch diskreditiert werden, sodass alle Augen zurück zur Hauptdarstellerin gehen müssen. Zwangsläufig.

Rolf Thiele entdeckte bei Lillian Müller einen wohl obligatorischen Entkleidungsdrang, den er ganz entsprechend seines durchaus vorhandenen ästhetischen Gespürs zum Einsatz bringt. In diesem Zusammenhang wird es daher nicht zu Strecken mechanisch arrangierter Sex-Szenen kommen. Die Hauptdarstellerin hat einfach oft textilfrei zu sein, woraus sich deutlich ergibt, dass der Regisseur nach Projektionsflächen am suchen war. Der beinahe manische Versuch, die vermeintliche Frivolität durch Entschärfungstaktiken und satirische Elemente umzukehren, ist der wohl älteste Hut im Repertoire des Rolf Thiele, den man finden kann. Sicherlich ist Lillian Müller geschmackvoll arrangiert worden, doch kommt sie nicht über den Status von Staffage hinaus. Ganz im Sinne der Dramaturgie will sich Annemarie Meier-Wippertal eben nicht zu der Prostituierten machen, die ihre Mutter einst gewesen ist, doch der Sinn des Ganzen erschließt sich nicht komplett, selbst wenn die Intention, dass die junge Frau nach dem Mörder ihrer Mutter suchen und Rache an allen Beteiligten üben möchte, eindeutig auf der Hand zu liegen scheint. Annemarie verkauft sich auf eine andere Art und Weise und macht sich daher dennoch zur Dirne, wenngleich Thiele sie mit dem Nimbus einer Heiligen versehen hat. Sich nicht hergeben, wegwerfen und standhaft zu bleiben, wird als Stil der hier Anfang Zwanzigjährigen verkauft, doch als Zuschauer sucht man vergebens nach Berührungspunkten, da das Interesse eines jeden nicht berücksichtigt wird. Hautbeschau gab und gibt es zur genüge und wird hier nur fahrig inszeniert. Racheschwüre und Aufklärung eines im Dunkeln liegenden Verbrechens hat man definitiv effektiver gesehen, da es zu tatsächlichen Ansatzpunkten kam. Was also bleibt dieser Geschichte, die klassisch heruntergewirtschaftet wurde? Nur die Erkenntnis, dass die Regie mit "Rosemaries Tochter" an ihrem absoluten Tiefpunkt angekommen war.

Im Verlauf kommt es zu Fließbändern von Symbolik und Metaphorik; sogar die deutsche Sage wird ungelenk bemüht, ohne jedoch in einen verständlichen Rahmen gebracht zu werden. Bestimmt soll hier Vieles zwischen den Zeilen vermittelt werden, über das nachzudenken interessant wäre, doch leider schwindet das Interesse an der gesamten Konstruktion nach kürzester Zeit. Gestelzte Dialoge und überladen wirkende Szenen lassen es schwer werden, dem Film einen angemessenen Fokus zuzubilligen. Darstellerisch gesehen gibt es trotz Top-Namen fast nur beschämende Performances, und auch die breit angelegte Kritik an der Gesellschaft, politischen Seilschaften und eigentlich an allem anderen auch, wird innerhalb eines Rundumschlags zu einem Wettlauf der Gedankensprünge. Der eigentliche Leitfaden, dass Annemarie den Mörder ihrer Mutter finden möchte, wird irgendwann einfach fallen gelassen und es gibt immer nur ein vages Anknüpfen an diesen heißen Draht, der das Elixier der Produktion hätte sein müssen. Alberne Kapriolen der Charaktere verwässern die nicht stattfindende Recherche und das Personen-Karussell dreht sich in uninteressanter, gar abstruser Art und Weise, bis man schließlich noch ungläubiger Zeuge von Loreleys Klagelied werden muss. Der hier erwähnte "Nebel des Vergessens" wäre wohl Balsam für die geschundene Seele jedes Zuschauers von "Rosemaries Tochter" gewesen, doch auch Derartiges sollte man als interessierter Beobachter des deutschen Films ruhig einmal miterlebt haben. Nicht etwa, um die Intention von alledem und das abrupte Ignorieren der Thematik zu spüren, sondern um begreifen zu können, dass man das Gebotene einfach nicht komplett verstehen kann; schon gar nicht, dass dieses Experiment in dieser unbändigen Silhouette überhaupt existiert. Nach persönlichem Ermessen ist "Rosemaries Tochter" schließlich einer der miserabelsten deutschen Filme gewesen, die bislang gesichtet wurden.

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