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Dieses Thema hat 26 Antworten
und wurde 5.503 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
Seiten 1 | 2
Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

07.03.2013 21:25
Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten

Krieg, Kameradschaft, Katastrophen
Der NS- und Post-NS-Film ... neu aufgerollt


Als Propagandamittel, mit dem viele Menschen in den unterschiedlichsten sozialen Gruppen und Berufen erreicht werden konnten, spielte der Film eine wichtige Handlangerrolle im nationalsozialistischen Staat. Werke, deren Ideologien und Zwecke offen erkennbar sind, werden heute als sogenannte Vorbehaltsfilme gekennzeichnet und gelangen aus verständlichen Gründen nach dem Ende der Nazidiktatur nur in gering dosierten Mengen an die Öffentlichkeit. In diesem Thread soll solchen Vorbehaltsfilmen, aber auch anderen Produktionen, die während oder nach der Diktatur der Nazis entstanden und sich mit typischen NS-Themen auseinandersetzen, ein Diskussionsplatz im Forum eröffnet werden. Was sind also eure Einschätzungen zu bestimmten Propaganda- und Aufarbeitungsfilmen? Welche traurigen Schauspielerschicksale gab es während der NS-Zeit zu vermerken?

Einer jener Filme, die in Deutschland nur nach einer film- und geschichtswissenschaftlichen Einführung und mit einer Diskussion über Motive und Intentionen aufgeführt werden dürfen, ist die 1939er Produktion „Flucht ins Dunkel“ des bekannten Regisseurs Arthur Maria Rabenalt. Der Film „Flucht ins Dunkel“ wurde gestern Abend im Berliner Zeughauskino gezeigt. In den kommenden Tagen und Wochen hält die Aufführungsreihe „Unter Vorbehalt“ weitere selten gezeigte NS-Filme für ein kritisches Publikum bereit.



Flucht ins Dunkel

Abenteuerfilm, D 1939. Regie: Arthur Maria Rabenalt. Drehbuch: Philipp Lothar Mayring (Buchvorlage „Gespenst im späten Licht“: Karl Unselt). Mit: Hertha Feiler (Barbara Wrede), Joachim Gottschalk (Chemiker Engelbrecht), Ernst von Klipstein (Chemiker Dr. Paul Gildemeister), Paul Hoffmann (Barbaras Bruder Dr. Wrede), Siegfried Schürenberg (Werkslaborant Dr. Marlow), Walter Werner (Prokurist Hedemeier), Gerhard Dammann (Werkmeister Julius Hückebusch), Gerhard Bienert (Lagerverwalter Müller), Theo Shall (Fabrikbesitzer René Laroche), Ingolf Kuntze (Bank-Abteilungsleiter Dr. Schmidtmann) u.a. Uraufführung: 17. Oktober 1939. Eine Produktion der Terra Filmkunst.

Zitat von Flucht ins Dunkel
Im Ersten Weltkrieg verloren die Deutschen viel: Versailles beschnitt die Volksehre, kriegsgefangene Soldaten wurden zurückgehalten, der Wiederaufbau durch Repressionen, Abwertungen und unlautere ausländische Geschäftemacher erschwert. Unter diesen schwierigen Bedingungen übernimmt der Chemiker Engelbrecht die Firma seines Freundes Gildemeister, der zunächst als verschollen und dann als tot gemeldet wird. Dort wo sein Kumpane vor Kriegsausbruch forschte, setzt er wieder an: Er will eine leichte Aluminiumlegierung entwickeln, die über die Reißfestigkeit von Stahl verfügt.


Link zum Filmprogramm | Artikel zu „Flucht ins Dunkel“ | „Unter Vorbehalt: Flucht ins Dunkel“ (S. 43)

„Flucht ins Dunkel“ zeigt mit starker tendenziöser Färbung die wackeligen Fundamente, auf denen die Weimarer Republik fußte. Ein in Deutschland schlecht aufgenommener Friedensvertrag und wirtschaftliche Rezession wussten von den Nationalsozialisten von Anfang an ausgenutzt und für die eigenen Zwecke missbraucht zu werden, sodass auch die Geschichte der zwei befreundeten Soldaten, die der Krieg auseinanderbringt und der sozialistische Gedanke am Ende wieder zu einem neuen Krieg vereint, symbolträchtig Dolchstoßlegende und Co. befüttert. Dabei hat der Stoff abseits seiner klar erkennbaren Schlagseite einige unterhaltsame Momente zu bieten, zu denen eine allzu offene Persiflierung des Weimarer Establishments, das in teuren, halblegalen Nachtclubs mit losen Sitten und lose bekleideten Tänzerinnen verkehrt, ebenso gehört wie schnippische, auf Sympathie zielende Bemerkungen der Hauptcharaktere, die von Joachim Gottschalk und Ernst von Klipstein mit Verve gespielt werden.

Am Ende handelt es sich aber tatsächlich um nichts weiter als um ein Spiel. Dass nämlich Joachim Gottschalk das Treiben der Nazis ganz und gar nicht unterstützte, hatte für ihn und seine Familie tödliche Folgen. Seine offene Anti-NS-Haltung und die Ehe mit einer Jüdin wurden für die beiden im Jahre 1941 so problematisch – Einzug zum Frontdienst und Abschiebung ins Konzentrationslager standen bevor –, dass sich die Gottschalks gemeinsam mit ihrem Sohn in ihrem Wohnhaus in Berlin-Grunewald das Leben nahmen. Eine Gedenktafel (siehe unten) erinnert heute vor dem Haus an das Schicksal des Darstellers.

Arthur Maria Rabenalt kleidete „Flucht ins Dunkel“ in spannende Bilder – gerade dass die Dramaturgie einfach und leicht zu durchschauen ist, bedingt auch, dass man sie als wirksam und treibend wahrnimmt, was von der eindringlichen Musik Hans-Martin Majewskis unterstrichen wird. Majewski ist nicht der einzige Name, der dem Zuschauer im Vorspann bekannt vorkommt. Auch Kulissenbauer Willi A. Herrmann sollte noch einmal beim Edgar-Wallace-Krimi „Der Rächer“ anno 1960 zum Zuge kommen – und dass Siegfried Schürenberg in einer nicht unwesentlichen, sehr dankbaren und sogar vom heutigen Standpunkt aus vertretbaren und freundlichen Rolle zu sehen ist, dürfte für die hiesige Forumsgemeinde ein besonderes Schmankerl an dieser Produktion darstellen. Schürenberg tritt hier noch recht jung, schlank und dynamisch auf – Spuren, die er im Nachkriegskino hinterlassen hat, belegen, wie sehr die NS-Zeit und der zweite, der angeblich doch so heilsbringende Krieg gerade auch physisch an ihm genagt haben müssen.

In Andreas Neumanns Schürenberg-Biografie erhält „Flucht im Dunkel“ beiläufige Nennung unter der Kennzeichnung „Dutzendware“, was den Film trefflich auf den Punkt bringt. Während es ihm zwar gelingt, eine Spannung und auch durch seine Verwurzelung in den realen Auswüchsen des Dritten Reichs begründete Dramatik zu vermitteln, so bleibt er doch ein einfach durchschaubares Konglomerat aus Abenteuerlust und altmodischer Romanze. Um wirklich „gefährlich“ zu sein, fehlt es ihm an Doppelbödigkeit und Durchtriebenheit.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

17.03.2013 14:59
#2 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten

BEWERTET: "Flucht ins Dunkel" (Deutschland 1939)
mit: Ernst von Klipstein, Joachim Gottschalk, Hertha Feiler, Paul Hoffmann, Siegfried von Schürenberg, Annemarie Sauerwein, Theo Shall, Gerhard Bienert, Fritz Böttger, Hilla Hofer u.a. | Drehbuch: Philipp Lothar Mayring nach dem Roman "Gespenst im späten Licht" von Karl Unselt | Regie: Arthur Maria Rabenalt

Dr. Paul Gildemeister und sein Arbeitskollege Engelbrecht treffen sich im Jahr 1914 an der französischen Kriegsfront. Beide waren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs für die Firma Laroche tätig. Während Dr. Gildemeister von dem Gedanken besessen ist, seine Forschungsergebnisse aus seinem alten Labor in Senlis zurückzuholen und deshalb fahnenflüchtig wird, kehrt Engelbrecht nach dem Krieg nach Deutschland zurück und meldet sich bei Barbara Wrede, der ehemaligen Freundin von Dr. Gildemeister. Sie und ihr Bruder leiten das Werk mehr schlecht als recht und erwägen den Gedanken, die Firma ans Ausland zu verkaufen. Engelbrecht will dies unter allen Umständen verhindern, da er ebenso wie sein Freund Dr. Gildemeister - der inzwischen in einem französischen Kriegsgefangenenlager lebt - von der Idee überzeugt ist, eine Aluminiumlegierung produzieren zu können, die reißfest wie Stahl, aber weitaus günstiger in der Herstellung ist. Er fälscht eine Bankvollmacht, um die Wertpapiere von Dr. Gildemeister zu beleihen und arbeitet verbissen an der Erfindung, die für ihn und das Werk lebenswichtig ist.....

Zitat von Die Chronik des Films, Chronik-Verlag, 1996, S. 104
Seit Hitlers Ernennung zum Regierungschef am 30. Januar 1933 werden Staat und Gesellschaft "gleichgeschaltet". Der Film genießt besondere Förderung. Zunächst bemüht sich Propagandaminister Joseph Goebbels um den Anschein von Liberalität: Vor Filmschaffenden vertritt er eine an "bestimmte" Normen gebundene "Freiheit der Kunst". [...] Zugleich werden aber politisch oder "rassisch" unerwünschte Personen aus der Filmindustrie vertrieben.


Obwohl als Propagandafilm für das Dritte Reich produziert, erscheint der Film weitaus gemäßigter als man es aufgrund der einleitenden Worte im Zeughaus-Kino erwartet hat. Ein politisch und geschichtlich versiertes Publikum des 21. Jahrhunderts sollte in der Lage sein, auch so eine Produktion sehen zu können, zumal der jeweilige Kontext eines Films viel über Entstehung und Zweck aussagt. Man darf zeitgeschichtliche Dokumente nicht ignorieren, sondern sie als Ergänzung und zum besseren Verständnis für die Aufarbeitung einer Epoche sehen, die von Menschenhand geschaffen und von Menschenhand zerstört worden ist. Die tendenziöse Art, eine Handlung aufzuarbeiten, die listige Botschaft, die mal mehr, mal weniger unterschwellig vermittelt wird, sagt viel über das Gedankengut und die Ziele der Machthabenden aus und kann vom heutigen Publikum als Anreiz zur Diskussion über den Einfluss der Medien genutzt werden. Deshalb ist es gut, wenn der "Giftschrank" geöffnet wird und der Allgemeinheit gezeigt wird, wie und warum Kinogänger manipuliert wurden.

Die Grundprinzipien, auf denen die Geschichte aufbaut, sind Freundschaft, Fleiß, Einsatz und Loyalität - Eigenschaften, die nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben. Während Dr. Gildemeister allein durch sein Aussehen ein wenig verschroben wirkt und wie ein Stehaufmännchen alle Widrigkeiten meistert, sympathisiert man vor allem mit dem Laboranten Engelbrecht, dem es gelingt, den Betrieb wieder hochzubringen. Er verschafft sich Respekt ohne Repression, fördert Mitarbeit auf Augenhöhe und bringt sich selbst hundertprozentig ein, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Es geht ihm darum, ein Projekt zu verwirklichen und er tritt bescheiden in den Hintergrund, als das Ziel erreicht ist. Solche Mitarbeiter werden in der heutigen Zeit händeringend gesucht und man wünschte sich, Engelbrecht würde länger von den Früchten seiner Arbeit profitieren können, doch unvermeidlich muss er wegen "höherer Ideale" zurückstecken. In diese Kategorie fällt auch die Rolle, die Hertha Feiler verkörpert: Die treue Frau, die unbeirrt an die Rückkehr ihrer ersten Liebe glaubt und für die bange Wartezeit am Ende belohnt wird. Der Hinweis an das weibliche Publikum ist klar: Echte Liebe wird durch einen Lern-und Anpassungsprozess vertieft und überdauert auch eine lange Trennungsphase (durch Krieg, Gefangenschaft). Besonders hartnäckig wird diese Botschaft von "Die große Liebe" (1942, mit Zarah Leander) vermittelt. Hinzu kommt noch der Kontrast zwischen den "leichten Mädchen" im Nacht-Club, die ungesichterte Verhältnisse mit unverbindlichen Männern haben, während die solide Barbara von seriösen, wohlmeinenden Männern (Engelbrecht, Dr. Marlow) umgeben ist. Siegfried Schürenberg kann in seiner ansprechenden Darstellung zeigen, dass ihm nicht nur das Komödienfach liegt, sondern er sich auch für leisere Töne hervorragend eignet. Seine Rolle ist sehr freundlich angelegt und ergänzt das Trio im Wrede-Labor auf angenehme Weise.

Zum Tod von Joachim Gottschalk vermerkt Joseph Goebbels am 7. November 1941 lapidar:

Zitat von Joseph Goebbels Tagebücher Band 4: 1940-1942, Herausgegeben von Ralf Georg Reuth, Verlag Piper, München 1999, Seite 1699
Am Abend kommt noch die etwas peinliche Nachricht, dass der Schauspieler Gottschalk, der mit einer Jüdin verheiratet war, mit Frau und Kind Selbstmord begangen hat. Er hat offenbar keinen Ausweg mehr aus dem Konflikt zwischen Staat und Familie finden können. Ich sorge gleich dafür, dass dieser menschlich bedauerliche, sachlich fast unabwendbare Fall nicht zu einer alarmierenden Gerüchtebildung benutzt wird. Wir leben in einer sehr harten Zeit, und das Schicksal nimmt den Einzelmenschen manchmal erbarmungslos vor. Es ist gut, wenn man in einer solchen Zeit ein festes Fundament besitzt und auf diesem festen Fundament ebenso fest verankert steht, damit die Stürme der Zeit einen nicht umwerfen können.

Barnaby Offline




Beiträge: 323

25.03.2013 23:34
#3 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten

Zu „Flucht ins Dunkel“ noch einige Nachbemerkungen:

Nach Meinung der Zuschauer bei der anschließenden Diskussion ist der Film – trotz nicht schlechter Dramaturgie und guter Schauspieler – eher Durchschnittsware und aufgrund seiner holzschnittartig gezeichneten Charaktere etwas spröde geraten. Aufgefallen ist, dass hier nicht gegen Frankreich gehetzt wurde, sondern sogar die Freundschaft unter zwei Kameraden (deutsch und französisch) in einer Szene besonders hervorgehoben wurde. In der ursprünglichen Fassung soll dieser Aspekt sogar noch stärker betont worden sein, doch die NS-Zensur verlangte hier eine Kürzung. Zu betonen sind auch die Tanzszenen in einem Nachtlokal, die ungewöhnlich aufwendig und phantasievoll gedreht wurden. Siegfried Schürenberg erfreute natürlich den Wallace-Fan, seine Mimik und Sprache waren auch in diesem Film von 1939 unverkennbar und haben sich 25 Jahre später nicht verändert. Trotz des propagandistischen Hintergrundes fand ich den Film nicht unerträglich, denn die wenigen Stellen waren eingrenzbar (insbesondere die Schlusssequenz).

Ich schließe mich der Meinung von Percy Lister an, dass es erlaubt sein sollte, solche Filme einem interessierten Publikum zu zeigen. Es muss möglich sein, sich mit der Filmgeschichte des eigenen Landes beschäftigen und auseinandersetzen zu können. Aus weggeschlossenen Filmen kann keine Meinungsbildung erfolgen und Manipulation durch Medien findet auch heute und in jedem Land statt.

Zum traurigen Ende von Joachim Gottschalk kann ich noch eine Information aus einem Interview mit der Schauspielerin Elsi Scherer, der früheren Ehefrau von René Deltgen, weitergeben. Diese spielte übrigens auch in einem Rabenalt-Film mit („Fronttheater“ von 1942). Deltgen war mit Joachim Gottschalk befreundet gewesen und hatte ihn mit seiner Familie tot zuhause aufgefunden, nachdem dieser nicht zu Theaterproben erschienen war. Alle Bühnenintendanten in Deutschland mussten darauf einen Brief von Joseph Goebbels verlesen, dass eine Teilnahme an der Trauerfeier nicht erwünscht war. Die Reaktion war allerdings, dass ALLE Schauspieler in Berlin sich auf dem Friedhof versammelten, um ihm die letzte Ehre zu erweisen; die Gestapo konnte dies aufgrund der Masse der Teilnehmer nicht verhindern. Es ist erfreulich zu hören, dass es in der NS-Zeit offensichtlich nicht nur Konformismus gab, sondern auch in so einer tragischen Situation Anstand bewiesen wurde. Bei dieser Gelegenheit fällt auf, dass ja auch die uns wohlbekannten Darsteller aus den Wallace-Filmen – jedenfalls die Älteren – auf die eine oder andere Weise in der Propagandamaschinerie des NS-Staates mitgewirkt haben bzw. mitwirken mussten, wenn sie ihren Beruf nicht aufgeben wollten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

20.05.2013 15:22
#4 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten



BEWERTET: "Kriegsgericht" (Deutschland 1959)
mit: Karlheinz Böhm, Christian Wolff, Klaus Kammer, Hans Nielsen, Werner Peters, Charles Regnier, Sabina Sesselmann, Herbert Tiede, Carl Wery, Martin Benrath, Edith Hancke, Berta Drews, Robert Meyn, Carola von Keyser, Reinhard Kolldehoff u.a. | Drehbuch: Will Berthold, Heinz Oskar Wuttig nach dem Revue-Bericht "Kreuzer Pommern" von Will Berthold | Regie: Kurt Meisel

1942: Der Kreuzer "Pommern" wird während einer Seeschlacht von den Engländern versenkt. 1400 Mann zieht es in die tödliche Tiefe. Stunden später nimmt ein deutsches U-Boot drei Überlebende an Bord. Daheim werden die "Helden" dekoriert und gefeiert, doch Gerichtsoffizier Brenner ist misstrauisch. Akribisch sammelt er Beweise und lässt Oberleutnant Düren, Fähnrich Stahmer und Maat Hinze verhaften. Das Meer hat sie freigegeben, doch das eiserne Gesetz des Krieges bestraft ihre "Fahnenflucht" unerbittlich mit dem Tod.

Der Antikriegsfilm wurde am 16. April 1959 uraufgeführt und bestätigt im Großen und Ganzen die Theorie von Helmut Korte und Werner Faulstich:

Zitat von Fischer Filmgeschichte, Band 3: 1945-1960, S. 26
Der deutsche Soldat ist tapfer, gehorsam, ritterlich und im Kern völlig unpolitisch - eben ein ausgezeichneter Kämpfer, der eigentlich immer "dagegen" war. Schuld an Krieg, den Kriegsverbrechen und der Niederlage war die politische Führung, die SS oder politisch fanatisierte und unfähige Offiziere.


Der Film zeigt keine Kampfhandlungen, sondern das juristische Nachspiel einer Entscheidung, die drei Männer in Ausübung ihrer Funktion an Bord eines deutschen Schlachtschiffs getroffen haben und die ihnen zunächst die Rettung, dann jedoch eine Gerichtsvorladung bringt. Werner Peters ist der Ankläger und präsentiert sich im Vergleich mit seinem Kollegen vom Volksgerichtshof, Roland Freisler (1942-1945), weitaus listiger, da er anfangs wie eine Katze um den Festtagstisch, an dem die Rückkehr der drei Soldaten gefeiert wird, herumschleicht und so ganz nebenbei Informationen über die glückliche Rettung der Männer aufnimmt.


Zitat von Die Weiße Rose, Rowohlt-Verlag 1992, S. 111
Von eisiger Intelligenz, souveräner Kenntnis des Strafgesetzbuchs, zupackender Redegewalt und weltanschaulichem Fanatismus, dämonisierte er den Gerichtssaal.


Diese Worte von Harald Steffahn über Freisler treffen auch auf den untersetzten Kriegsgerichtsrat Brenner zu, der beweisen will, dass die drei Soldaten das Schiff vorzeitig verlassen haben. Pedantisch geht er jedem Hinweis nach und verleiht dem Denunziantentum eine hässliche Maske. Charles Regnier steht der Verhandlung als Vorsitzender vor und zeigt in der Pause im Gespräch mit dem wohlmeinenden Kapitän Paulsen (Herbert Tiede) durchaus persönliche Zweifel, die er sich als Profi vor Gericht jedoch nicht erlaubt. Er sieht sich den Umständen verpflichtet und beruft sich auf den Ehrenkodex. So präsentiert der Film ein Spektrum an Ansichten und Meinungen und wirft Fragen über Sinn und Unsinn des Prozesses auf.

Die drei Angeklagten unterscheiden sich nicht nur im Dienstrang, sondern auch in Charakter und Herkunft. Der Älteste, Oberleutnant Düren (Karlheinz Böhm), kommt aus einer Offiziersfamilie aus Kiel, ist gebildet und mit der schönen Antje verheiratet, die ihm sehr zugetan ist, dem Regime jedoch weitgehend unkritisch gegenübersteht. Sabina Sesselmann zeigt hier wieder einmal eine anhängliche Ehefrau, die ihren Mann mit seinem Beruf teilen muss. Fähnrich Stahmer (Christian Wolff) hat sich gegen den Willen seines Vaters zum Waffendienst gemeldet; wir erfahren nicht, ob es aus Trotz oder Idealismus geschah. Sein Vater (Carl Wery) ist Arzt und ein überzeugter Kriegsgegner. Der Berliner Maat Hinze (Klaus Kammer) kommt aus einfachen Verhältnissen und würde lieber in seinen Zivilberuf zurückkehren, der ihm in der Zentralmarkthalle seiner Heimatstadt viele Freunde eingebracht hat. Rechtsanwalt Dr. Wilhelmi wird von Hans Nielsen dargestellt, der sich zunächst als Nachbar des Ehepaars Düren präsentiert und dabei ein wenig zerstreut wirkt. Selbst ehemaliger Marineoffizier, steht er dem Krieg ablehnend gegenüber. Er ist sofort zur Stelle, als sein Rat und seine Hilfe gebraucht werden und legt sein ganzes Herzblut in die Verteidigung der jungen Männer. Mit Leidenschaft und Überzeugung stellt er sich vor die Angeklagten. Sein Plädoyer ist eine Verurteilung des Krieges, der sinnlose Opfer fordert und sich selbst ad absurdum führt, indem einerseits Tapferkeit propagiert wird und andererseits Selbsterhaltungstrieb und eigenes Ermessen als Verstoß gegen Vorschriften geahndet werden. Im Grunde, so zeigt es der Prozess, geht es nicht um den Erhalt der Streitkräfte, sondern die Zementierung der Machtverhältnisse. Bedingungsloser Gehorsam bis zur Selbstaufgabe ist primäres Ziel der NS-Doktrin, was nicht nur für den Feind, sondern auch die eigenen Bürger lebensgefährlich ist.

Ein spannendes, zeitkritisches Gerichtsdrama, das nichts von seiner Aktualität verloren hat und dessen Ensemble für Qualität bürgt.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

13.10.2013 14:28
#5 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten



Seitdem Gubanov und ich zusammen mit Barnaby im März 2013 im Berliner Zeughauskino eine Aufführung des Films "Flucht ins Dunkel" (1939) mit Joachim Gottschalk in der Hauptrolle gesehen hatten, spukte uns der Gedanke im Kopf herum, einmal sein Grab zu besuchen. Dieses befindet sich auf dem südlich des Teltowkanals gelegenen Südwestkirchhof von Stahnsdorf. Die im Jahr 1909 vom Garteningenieur Louis Meyer errichtete Anlage bot eine Lösung für das damalige Problem der Knappheit an Friedhofsflächen auf den Berliner Gemeindefriedhöfen. Durch die großzügige Vergabe der Grabfelder an Angehörige verschiedener Konfessionen, durften auf dem Südwestkirchhof der Evangelischen Gemeinde auch Atheisten, Agnostiker und Bürger jüdischen Glaubens bestattet werden. Wohl aus diesem Grund kam es dazu, dass der Schauspieler Joachim Gottschalk und seine jüdische Frau Meta Wolff dort zusammen mit ihrem Sohn Michael beigesetzt wurden. Die Grabstelle befindet sich im Block Charlottenburg inmitten einer grünen Oase aus hohen Bäumen und moosigen Wegen. Beim Anblick des wuchtigen Granitsteins, der trocken die nüchternen Fakten des Todes dreier Menschen wiedergibt, fragt man sich unwillkürlich, ob es sich dabei um den Originalstein aus dem Jahr 1941 oder einen später angebrachten Gedenkstein handelt. Das mehrere Meter große Feld ist über und über mit bodendeckendem Grün bewachsen, aus dem links der im Jahr 1999 angebrachte Hinweis auf die Ehrengrabstätte der Stadt Berlin heraussticht. Gubanov und ich hatten zwei Blumensträuße und eine weiße Kerze besorgt, die wir vorsichtig in die Freiflächen zwischen dem Laub setzten. Der 1904 im sorbisch-brandenburgischen Calau geborene Sohn eines Arztes war ein Mann des Theaters, der sieben Filme drehte, vier davon mit Brigitte Horney, die ihn sehr schätzte und auch an seiner Beerdigung teilnahm.

Zitat von Peter Hahn: Berliner Friedhöfe in Stahnsdorf, Oase Verlag 2010, S. 101-103
"Für mich war es eine so glückliche Zeit. Er konnte so wunderbar albern sein. Wir dachten, kommt Zeit, kommt Rat, kommt Sommer, kommt Spinat. In ein paar Jahren ist der Hitler weg."


Joachim Gottschalk, dessen Frau seit der Machtergreifung Berufsverbot hatte, sollte zusammen mit dem gemeinsamen Sohn deportiert werden, er selbst an die Front geschickt werden. In dieser ausweglosen Situation entschied sich die Familie dem Grauen zuvorzukommen und aus dem Leben zu scheiden.

Heute weist eine Plakette auf den "bedeutenden Schauspieler, der der Verfolgung durch das NS-Regime mit seiner Frau und seinem Sohn durch den Freitod entging" hin und die Stelle ist Station einer geführten Friedhofstour zu Gräbern prominenter Persönlichkeiten. Gubanov und ich gingen mit dem Wunsch fort, weitere Filme mit Gottschalk kennenzulernen, dessen "ruhige Erscheinung und unterkühlte Darstellung" nicht nur den Regisseur seines Debütfilms, Wolfgang Liebeneiner, faszinierten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

19.10.2014 14:35
#6 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #1
Welche ähnlichen Schauspielerschicksale gibt es zu vermerken?

Eine tragische Rolle in der NS-Filmwelt spielte die Schauspielerin Renate Müller, auf deren Karriere der Film "Liebling der Götter" basiert:



BEWERTET: "Liebling der Götter" (Deutschland 1960)
mit: Ruth Leuwerik, Peter van Eyck, Harry Meyen, Hannelore Schroth, Robert Graf, Leonard Steckel, Willy Fritsch, Friedrich Domin, Werner Fuetterer, Lia Eibenschütz, Tilly Lauenstein, Elsa Wagner, Hans W. Hamacher, Bruno W. Pantel, Willy Krause u.a. | Drehbuch: Georg Hurdalek | Regie: Gottfried Reinhardt

Zitat von Chronik des Films
Renate Müller (geb. 26.4.1907 München, gest. 7.10.1937 Berlin) erwarb sich mit ihrer sympathischen, natürlichen Darstellung in Produktionen wie Die Privatsekretärin den Ruf, das ideale 'Mädel aus dem Volke' zu sein. Ihre Mitwirkung an dem Propagandafilm Togger wurde staatlich erzwungen. Nach einem Sturz vom Balkon ihres Hauses wird Renate Müller in ein Krankenhaus eingeliefert, wo sie zunächst erfolgreich operiert wird; dennoch verstirbt sie wenig später im Krankenhaus.


Der lapidare Stil des Eintrags auf Seite 129 des Nachschlagewerks lässt dennoch erahnen, dass sich eine menschliche Tragödie hinter dem alltäglich klingenden Namen der Darstellerin verbirgt. In der Tat schlüpfte nicht nur sie in Rollen und Kostüme, sondern war auch Anlass für eine Filmproduktion, in der Ruth Leuwerik ihre Person verkörpert.

Berlin, Anfang der Dreißiger Jahre. Die Schauspielerin Renate Müller lernt vor der Premiere ihres Films „Die Privatsekretärin“ den Staatssekretär der preußischen Regierung Dr. Hans Simon kennen und verliebt sich in ihn. Er ist charmant, zuvorkommend und hätte alle Chancen, in der Gesellschaft eine wichtige Rolle zu spielen, wenn er nicht als Jude eine Persona non grata für jene wäre, die bald die Macht an sich reißen werden: die Nationalsozialisten. Renates Freund, der Buchhändler Volker Hellberg, schließt sich schon sehr früh den Männern um Dr. Joseph Goebbels an. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler beginnt Göring mit der „Säuberung“ der Beamtenschaft in Preußen, weshalb auch Dr. Simon sein Amt verliert und sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlen kann. Renate hilft ihm über die Grenze und verspricht, bald nach England nachzukommen. Als die Nazis herausfinden, dass sie ihr beim Film verdientes Vermögen nach und nach in die Schweiz transferiert, um dort mit ihrem Freund ein neues Leben beginnen zu können, wird ihr Reisepass eingezogen und verlangt, dass sie Propagandafilme für das Dritte Reich dreht. Renate ist verzweifelt und verfällt mehr und mehr dem Alkohol....

Die Produktion aus der CCC-Filmkunst-Schmiede von Artur Brauner balanciert fragil zwischen leichtfüßiger Unterhaltung und dem hohen Anspruch, eines der finstersten Kapitel in der deutschen Geschichte anhand des Schicksals einer Schauspielerin aufzuarbeiten. Da der Film ein breites Publikum erreichen soll, setzt man auf Emotionen und die Kraft darstellerischer Kunst. Das Team um Regisseur Gottfried Reinhardt und seine Assistentin Eva-Ruth Ebner vertraut auf die Sprache der Bilder (Kamera: Göran Strindberg) und das aussagestarke Spiel der Hauptdarstellerin. Das Gefühl und die Anteilnahme des Publikums soll durch Fokussierung auf die leidenschaftliche Liebe zwischen Renate und Hans erreicht werden. Peter van Eyck meistert den Part des in herrschaftlicher Umgebung agierenden Mannes routiniert. Sieht es zunächst nach einer mühelosen Aufgabe für ihn aus, so erkennt man doch bald, dass seine Figur im Exil jene Sicherheit verliert, die zu einem Markenzeichen des Darstellers wurde. Es ist ungewohnt, den souveränen Mimen in seiner Selbstverständlichkeit erschüttert zu sehen. Der paradoxe Glaube, den jüdischen Mitbürger, der weitaus loyaler zu seiner Heimat steht als die ‚treudeutsche’ Schauspielerin, entfernen zu müssen, zeigt sich vor allem in den Aussagen des Mannes, der nicht glauben will, dass Davonlaufen eine Lösung ist und alle Bürger die niederträchtige Politik Hitlers gutheißen. Man hört natürlich die Weisheit der zeitgeschichtlichen Distanz heraus, die viele Aussagen naiv und verblendet erscheinen lässt. Die Gegensätze zwischen den beiden Männern um Renate könnten nicht deutlicher aufgezeigt werden.



Harry Meyen hinterlässt einen besonders starken Eindruck, obwohl er nur der zweite Mann hinter van Eyck ist. Die Unruhe hinter der abweisenden Fassade, das gefährliche Flackern in seinen Augen und der Fanatismus, den er mit Mühe zügeln kann, weisen ihn von Beginn an als Verlierer um die Gunst der Heldin aus, obwohl man sich insgeheim wünscht, dass die beiden Suchenden sich gegenseitig stützen. Der Überschwang der Gefühle, der das erste Drittel des Films dominiert, soll die baldige Trennung des Paares Leuwerik-van Eyck besonders schmerzhaft machen, doch seltsamerweise ist es die Entfremdung zwischen Meyen und Leuwerik, die sich wie ein roter Faden durch die Handlung zieht. Die Frau verschreibt sich mit Haut und Haar ihrem Geliebten und setzt dabei nicht nur die eigene Sicherheit, sondern auch ihr unmittelbares Umfeld aufs Spiel. Die Bedingungslosigkeit und der Starrsinn in ihrem Handeln als liebende Frau werden von Leuweriks Überschwang deutlich hervorgehoben und zeigen den Verlust der Ausgeglichenheit auf, jener Basis, auf der ihre Karriere fußt und deren Begleitumstände (Fröhlichkeit, Temperament) sie so anziehend macht. Die subtilen Hinweise auf kommende Gefahren vermittelt das ernste Spiel von Robert Graf, dessen Hakenkreuzanstecker am Revers drohendes Unheil verkörpert oder in den Warnungen von Hannelore Schroth. Zwei kurze Auftritte haben auch Albert Bessler und Benno Hoffmann. Elsa Wagner und Lia Eibenschütz als mütterliche Säulen im Alltag zeigen Mitgefühl und die Machtlosigkeit gegenüber rohem Dumpfsinn. Der Verlust der Kontrolle über ihr Leben ebnet Renate den Weg in den Untergang, wobei sie an ihrer Zerstörung einen wichtigen Anteil hat. Da der Vorhang fällt und einige Fragen offen bleiben bzw. sich neue aufgetan haben, habe ich mir das Buch von Uwe Klöckner-Draga über Renate Müller bestellt und hoffe, hier bald ein paar Ergänzungen vermerken zu können.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

07.12.2014 15:00
#7 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten



Titanic

Katastrophenfilm, D 1942/43. Regie: Herbert Selpin, Werner Klingler. Drehbuch: Herbert Selpin, Walter Zerlett-Olfenius. Mit: Ernst Fritz Fürbringer (Sir Bruce Ismay), Hans Nielsen (1. Offizier Petersen), Sybille Schmitz (Sigrid Olinsky), Kirsten Heiberg (Gloria), Karl Schönböck (Lord Astor), Otto Wernicke (Kapitän Smith), Hermann Brix (Geiger Gruber), Monika Burg (Maniküre Hedi), Theodor Loos (Geheimrat Bergmann), Karl Meixner (Lord Astors 1. Sektretär Hopkins) u.a. Uraufführung: 10. November 1943. Eine Produktion der Tobis Filmkunst.

Zitat von Titanic
Die Titanic ist das neue Aushängeschild der White Star Line: groß, luxuriös, schnell und vor allem unsinkbar. Auf ihrer Jungfernfahrt nach New York sollen die Passagiere Zeuge eines Weltrekords werden, der den Engländern das Blaue Band für die zügigste Atlantik-Querung sichert. Auf diese Sensation ist die White Star Line angewiesen, steht es um ihre Aktienkurse doch nicht zum Besten. In aller Rücksichtslosigkeit gegen alle Bedenken ordnet der Präsident der Gesellschaft Maximalgeschwindigkeit an – auch als die Titanic kurz vor ihrer Ankunft in Amerika Treibeisgebiet durchfährt. Ein fataler Zusammenstoß mit Unterwassereis ist die Folge ...


Links zu Filmprogrammen (1) (2) (3) (4) | „Wiederentdeckt: Titanic“ (S. 87)

Als die vielleicht schillerndste unter den zahlreichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts umranken den Untergang des Luxusschiffs Titanic bis heute Legenden und Faszinationen. Sie belegen, wie gern sich Menschen mit Tragödien und mit ihren eigenen Grenzen bei der Bändigung der Natur befassen. Ungewöhnlich allerdings, dass ausgerechnet die Ereignisse um die katastrophale Jungfernfahrt der Titanic mitten im Zweiten Weltkrieg von den Nazis thematisiert wurden – zumal man meinen müsste, dass die im Kriegsverlauf mehr als reichlich vorkommenden Schiffsunfälle und -versenkungen auch auf deutscher Seite das Thema zu einem heißen Eisen für die nach Durchhalteparolen verlangende NS-Filmwirtschaft gemacht hatten. Bei der Betrachtung des Dramas, in dem die eigentlichen Katastrophenszenen nur einen verhältnismäßig kleinen Anteil ausmachen, wird schnell klar, wo der Hase tatsächlich im Pfeffer liegt: Es geht um breite antibritische Propaganda, mit der sich den Inselbewohnern gleichermaßen technische Unfähigkeit und unkameradschaftliche, eigensinnige Verantwortungslosigkeit zuschreiben ließ.



Dem durchaus anglophilen Regisseur Herbert Selpin gelang es immerhin, in Form der eleganten Aufnahmen an Bord des Schiffes – natürlich hauptsächlich im Tanzsaal und den Kabinen der reichen Passagiere – den belehrenden Propagandaduktus mittels prunkvoller Unbeschwertheit aufzulockern. Dem Tiefgang des Films tut das freilich auch keinen größeren Gefallen, doch wie für andere Filme aus jener Zeit ist es auch für „Titanic“ symptomatisch, dass sich die bemerkenswerteren Geschehnisse nicht vor, sondern hinter der Kamera abspielten. So hatte ein Streit zwischen Selpin und seinem Drehbuchautor Walter Zerlett-Olfenius über die Moral an Bord des Drehschiffs Cap Arcona (das seinerseits 1945 von britischen Fliegern versenkt wurde, wobei etwa 4’600 KZ-Häftlinge ums Leben kamen) weitreichende Konsequenzen, die verdeutlichen, wer da wes Geistes Kind war:

Zitat von „Titanic“ im Zeughauskino Berlin, Programm Sep.-Dez. 2014, S. 87
Selpin selbst, obwohl im März 1933 der NSDAP beigetreten, war keineswegs ein in der Wolle gefärbter Nazi. Im Gegenteil: Als er im Lauf der Dreharbeiten, von aufdringlichen Marineoffizieren genervt, die Wehrmacht im Allgemeinen und Hitlers Uniformträger im Besonderen rückhaltlos beschimpfte, wurde ihm seine Aufsässigkeit zum tödlichen Verhängnis. Ausgerechnet sein bester Freund, der Drehbuchautor Walter Zerlett-Olfenius, sorgte dafür, dass Selpins Äußerungen der Reichskulturkammer und Goebbels persönlich zu Ohren kamen. Am 30. Juli 1942 wurde der Regisseur verhaftet, am 1. August fand man ihn erhängt in seiner Zelle im Berliner Gestapogefängnis auf.


Etwas plump verlässt sich „Titanic“ auf das Gegenspiel des raffgierigen, feigen Briten Sir Bruce Ismay und des aufrichtigen, dienstbeflissenen Deutschen Petersen. Ernst Fritz Fürbringer und Hans Nielsen hauchten den Scherenschnittrollen nach allen Regeln der Kunst Leben ein, konnten jedoch letztlich verständlicherweise nicht über die Rahmenvorgaben des Drehbuchs hinausgehen. Neben einer naiven Liebelei und einigen mehr oder minder schrulligen Randfiguren stechen Sybille Schmitz als schicksalsgebeutelte Grande-Dame jenseits starrer Konventionen und Karl Schönböck als Reichtum auf zwei Beinen, der mit niemand anderem als seinem Geld verheiratete Lord Astor, heraus.

Die dem Faszinosum Titanic-Untergang anbeigestellte Tendenzhandlung steht auf wackeligen Füßen und überzeugte auch Goebbels und die Filmprüfstelle kurz vor der Uraufführung nicht mehr, weshalb der Film im Dritten Reich mit Aufführungsverbot belegt und nach dem Krieg erst 1950 – um einen Teil seiner Geschichtsverdrehung gekürzt – in Deutschland gezeigt wurde. Die Szenen des Untergangs kommen gegenüber der aufgetufften Handlung recht kurz, wurden aber eindringlich und mit dem richtigen Gespür für Pathos inszeniert, auch wenn Tricks wie die Verwendung von Modellen und Doppelbelichtungen in der Tricktechnik von 1943 sich freilich bemerkbar machen. Leider ist wohl nicht mehr zu eindeutig klären, welche Szenen in der Verantwortung Selpins und welche in Klinglers lagen.

Percy Lister Offline



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09.12.2014 13:12
#8 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten

Gubanov hat in seinem Bericht schon einige historische Fakten vorweggenommen. Wissenswertes erfährt man auch in folgenden Publikationen: "Titanic - Zwei Gesichter einer Katastrophe" (Hess/Hessel) und "Leinen los! Maritimes Kino in Deutschland und Europa 1912-1957".

Anmerkungen zu "Titanic" (1943)

Ursprünglich war Hans Albers für die Rolle des deutschen Offiziers Petersen vorgesehen, der später von Hans Nielsen gespielt wurde. Zwischen dem 'blonden Hans' und Regisseur Selpin gab es Unstimmigkeiten wegen des Drehbuchs, weshalb Albers Abstand von dem Filmprojekt nahm. Die Dreharbeiten begannen mit Atelieraufnahmen am 12. März 1942 und fanden in Berlin-Johannisthal statt, Außenaufnahmen wurden im Hafen von Gdingen (Gdynia) in der Nähe von Danzig und an Bord des Schiffes "Cap Arcona" gemacht. Auf dem Scharmützelsee bei Bad Saarow ließ man ein Modell sinken, um den Untergang realitätsnah darzustellen. Der Tod des Regisseurs Herbert Selpin verlieh der Produktion einen bitteren Beigeschmack. Nach dem Zerwürfnis zwischen Spielleiter und Drehbuchautor denunzierte Walter Zerlett-Olfenius Selpin wegen abfälliger Bemerkungen über die deutsche Kriegsmarine bei der SS, woraufhin dieser von der Gestapo festgenommen und inhaftiert wurde. Zwei Tage später war er tot. Als offizielle Todesursache wurde "Selbstmord durch Erhängen" angegeben, Freunde Selpins sprachen von Tod durch Erwürgen. Werner Klingler stellte den Film fertig. Der ursprünglich 90 Minuten (2467 Filmmeter) lange Film wurde mehrmals gekürzt und wurde anfangs nur im vom Dritten Reich besetzten Ausland (Uraufführung am 10. November 1943 in Paris) gezeigt. Dem deutschen Publikum wollte man die Untergangsstimmung nach der Verschärfung der Lage an der Front und der Bombardierung deutscher Städte durch die Alliierten nicht mehr zumuten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Film zunächst durch die Militärkommission der Siegermächte verboten und gelangte erst 1950 zur Aufführung.

Percy Lister Offline



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08.03.2015 14:09
#9 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten

Nachdem ich vor einigen Monaten den Film "Liebling der Götter" (1960) mit Ruth Leuwerik gesehen hatte, kaufte ich mir das Buch "Renate Müller - Ihr Leben, ein Drahtseilakt" von Uwe Klöckner-Draga (Verlag Kern, Bayreuth), um mehr über das geheimnisumwobene Schicksal des deutschen Filmstars der Dreißiger Jahre zu erfahren. Letzte Woche nutzte ich meinen Berlin-Aufenthalt, um ihr Grab auf dem Parkfriedhof Lichterfelde zu besuchen. Gubanov und ich verschafften uns zuerst einen Überblick über die Lage und beschlossen dann, die Grabstelle neu zu bepflanzen, nachdem wir ein verdörrtes Heidekraut entfernt hatten. Ich reinigte die Grabinschrift vom grünen Moos, das sich zwischen einigen Buchstaben eingenistet hatte und Gubanov pflanzte die Primeln, die der dunklen Stelle mitten im Wald einen hellen Frühlingsschein verliehen. Dann zündeten wir unsere mitgebrachte Kerze an und betrachteten zufrieden unser Werk, als sich die Sonne ihren Weg durch die Zweige bahnte. Die Schauspielerin hat ihre letzte Ruhe in einem Familiengrab gefunden, das erstaunlich gut erhalten ist. Die letzte Beisetzung darin erfolgte 1986, als ihre Schwester Gabriele starb.



Renate Müller (1906-1937) war ein gefeierter UFA-Star und wirkte in sechsundzwanzig Filmen mit. Als die Nazis an die Macht kamen, sträubte sich Renate Müller gegen eine Einvernahme durch die Braunhemden. Viele ihrer Kollegen hatten unter Repressalien zu leiden, besonders die jüdischen Mitglieder der Branche. Renate Müller bekam die Härte des Regimes selbst zu spüren, als sie eine Beziehung mit einem jüdischen Bankierssohn begann. Die häufigen Trennungen zermürbten die Schauspielerin, die zwischen den Engagements oft verzweifelte und dann zu Suchtmitteln griff. Als ihr Freund die Beziehung beendete und sie von Goebbels ein Ausreiseverbot erhielt, stand Renate Müller vor dem Wendepunkt ihres Lebens. Sie saß allein in ihrem Haus in Berlin-Dahlem auf der Fensterbank, als sie das Gleichgewicht verlor und auf das Pflaster stürzte, wo sie erst nach einiger Zeit von ihrer Freundin Sybille Schmitz gefunden wurde. Man brachte sie ins Krankenhaus, wo sie operiert wurde. Nach einer Woche schien sie auf dem Weg der Besserung zu sein, als Komplikationen eintraten. Am 7. Oktober 1937 starb Renate Müller, am 12. des gleichen Monats wurde sie eingeäschert. Die Zwangsversteigerung ihres Nachlasses und Verleumdungen in der Presse setzten einen traurigen Schlusspunkt unter ihre Karriere. Als ihr Leben im Jahr 1960 von der CCC-Filmschmiede von Artur Brauner verfilmt werden sollte, protestierten Mutter und Schwester gegen den in vielen Details verfälschten Inhalt des Films, konnten ihn aber nicht verhindern. So verbinden viele der heutigen Zuschauer in erster Linie "Liebling der Götter" mit der längst vergangenen Schauspielerin; hoffen wir, dass sich einige die Mühe machen, hinter die Kulissen zu blicken und das ereignisreiche Leben der 'echten' Renate Müller zu erkunden.

Percy Lister Offline



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03.04.2016 14:09
#10 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten



BEWERTET: "Die große Liebe" (Deutschland 1941/42)
mit: Zarah Leander, Viktor Staal, Paul Hörbiger, Grethe Weiser, Wolfgang Preiss, Hans Schwarz jr., Leopold von Ledebur, Julia Serda u.a. | Drehbuch: Peter Groll, Rolf Hansen nach einer Idee von Alexander Lernet-Holenia | Regie: Rolf Hansen

Der Fliegeroffizier Paul Wendlandt verliebt sich während eines kurzen Aufenthalts in Berlin in die gefeierte Sängerin Hanna Holberg. Als er sich nach der Abberufung zu seiner Truppe drei Wochen lang nicht meldet, ist Hanna gekränkt. Sie weiß noch nichts von seinem militärischen Engagement. Erst als sich Paul zurückmeldet, erkennt sie, dass dieser Mann sie zwar liebt, eine stabile Beziehung mit ihm jedoch schwierig ist. Dennoch beschließen die beiden zu heiraten, doch wieder ist es der Krieg, der seinen Tribut fordert....

Der populäre Unterhaltungsfilm zog während des Zweiten Weltkriegs rund 27 Millionen Zuschauer in die Lichtspielhäuser und wurde nach Kriegsende von der Kontrollkommission der Alliierten wegen seines Propagandagehalts verboten. So ist die DVD mit einer FSK 18 und einem einleitenden Kommentar versehen, um das Publikum darauf aufmerksam zu machen, dass man es nicht mit einem konventionellen Liebesfilm zu tun hat. Die enorme Popularität der schwedischen Schauspielerin im Dritten Reich zog jedoch nicht die Ernennung zur Staatsschauspielerin nach sich, wie vom Propagandaminister gewünscht, denn der Reichskanzler verweigerte seine Zustimmung. So verwundert es auch wenig, dass die Leander selten eine deutsche Frau spielte. Selbst in dem Paradefilm "Die große Liebe" hat sie einen dänischen Familienhintergrund, der wohl ihren leichten Akzent erklären oder ihre Sonderstellung unter den Kolleginnen markieren soll. Umso aufschlussreicher ist es für den heutigen Betrachter, den Film selbst unter die Lupe zu nehmen und hinter die Mechanismen der NS-Filmindustrie zu blicken.



Während die Motivation hinter der Geschichte zur Entstehungszeit jene war, die Zuschauer und besonders die Zuschauerinnen auf einen langen und entbehrungsreichen Krieg einzustimmen, der Trennung und Verlust alltäglich machen würde, fällt heute vor allem die Dreieckskonstellation ins Auge, die der Handlung Tragik und einen besonderen Reiz verleiht. Es sind weniger Hanna und Paul, die das Herz rühren, denn allzu offensichtlich bricht der Faden zwischen ihnen trotz mehrerer Abschiede nicht ab, sondern es ist Alexander Rudnitzky, dessen Motivation zum Nachdenken anregt und für Anteilnahme sorgt. Professor Jens Thiele wundert sich in seiner Abhandlung ebenfalls über den beschaulichen Rahmen, in den der Film eingebettet ist:

Zitat von Fischer Filmgeschichte Band 2: 1925-1944, Fischer Taschenbuch Verlag 1991 Kapitel 19, Seite 310 ff.
"Der Bombenalarm entpuppt sich als Stifter von Freundschaften und gibt Gelegenheit zum Schwadronieren über die Schönheiten des Nachthimmels; der Luftschutzkeller bringt Menschen zusammen, lässt sie sich besser verstehen - ein Ort gemütlicher Plauderrunden; knappe Lebensmittel beeinträchtigen manchmal die Umgangsformen, aber man arrangiert sich. (...) Und im Krieg: da geht es zu wie im Pfadfinderlager (Feldflugplatz) oder in der Sommerfrische (Baden im Atlantik); selbst das Lazarett besitzt die freundliche Geborgenheit eines Erholungsheims in den Alpen."


Im Grunde liegt zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Bedrohung des Glücks von Hanna und Paul vor, da das Unangenehme nicht gezeigt oder beiläufig abgehandelt wird (Tod von Etzdorfs). Das große Fragezeichen liegt meines Erachtens in dem, was Alexander feststellt: Im Grunde passen die Sängerin und der Fliegeroffizier nicht zusammen. Der Mann, der mit dem sprichwörtlichen Glück gesegnet ist und den es hinaus in die Welt zieht, trifft in Hanna auf eine Frau, deren Beruf es gleichfalls erforderlich macht, auf gepackten Koffern zu sitzen. Sie trägt die Verantwortung für ihre Mitarbeiter und Kollegen ebenso wie Paul für seine Kameraden. Beide sind in ein organisiertes Umfeld eingebettet und können sich nicht von Launen leiten lassen, die das Gefüge zum Einsturz bringen könnten. Zweifellos verlangt die NS-Doktrin, dass es die Frau ist, die sich aus ihrer Pflicht stiehlt, um nur mehr für einen Menschen da zu sein und Alexanders Anklage wirkt deshalb wie ein eigennütziges Klagen über die verlorene Liebe seines Lebens. Schroff wird ihm von Paul jede Meinungsäußerung zu Hannas Zukunft abgesprochen. Dabei ist es Alexander, der Hanna durch ihr (Berufs-)Leben begleitete und ihr wie ein Bruder mit Rat, Tat und offenem Ohr zur Seite stand.

Viktor Staal und Paul Hörbiger flankieren Zarah Leander zwischen Bühne und Privatleben und versuchen, jeder auf seine Art, Punkte zu sammeln. Während der Musiker (Hörbiger als Urwiener, der jedoch in Budapest geboren wurde) unendlich gutmütig und verträglich, bald streitbar und wild entschlossen, aus kleinen und großen Krachs die Konsequenzen zu ziehen (Friederike Mat: "Unsere Filmlieblinge - Ein Bilderbuch") Trost in seinen Kompositionen findet - in der Ferne zieht Sam aus "Casablanca" auf -, ist der Flieger in seinem Element, wenn er seinen Tatendrang im Luftkrieg ausleben kann. Als comic relief fungiert Grethe Weiser, deren mütterlich-kecke Art besten Berliner Pragmatismus in die Handlung bringt. Der zügige Wechsel der Schauplätze (Berlin, Paris, Rom) unterbricht die Trübsal, die Leander laut Drehbuch blasen muss. Die Historikerin Anna Maria Sigmund ("Die Frauen der Nazis") berichtet, dass die Mimin ihre Filme in den schallisolierten Babelsberger Studios in vollkommener Abgeschiedenheit drehte. Parallel zu den Auswirkungen des Krieges in der Realität ertönen in den Filmstudios Engelschöre und die Leander zelebriert ihr bekanntestes Lied ("Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn") wie eine entrückte Göttin des Lichts.

Seelenvolles Liebesdrama als Lehrstück für Durchhaltewillen, Leidensfähigkeit und Geduld, garniert mit bedeutungsvollen Schlagern im berühmten Kontra-Alt der schwedischen 'Garbo'. Konventionelle Unterhaltung, die dem aufgeklärten Zuschauer über siebzig Jahre nach Entstehung des Films eine Lehrstunde in psychologischer Beeinflussung der Massen erteilt. 4 von 5 Punkten

Gubanov ( gelöscht )
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10.04.2016 20:45
#11 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten



Spion für Deutschland

Kriminalfilm, BRD 1956. Regie: Werner Klingler. Drehbuch: Herbert Reinecker (Vorlage: Will Berthold). Mit: Martin Held (Erich Gimpel), Nadja Tiller (Joan Kenneth), Walter Giller (Billy Cole), Claude Farell (Inge Hagen), Viktor Staal (Oberst Sommerfeld), Gustav Knuth (Roger Bentley), Stanislav Ledinek (Mr. Brown), Martin Kosleck (Griffins), Günter Pfitzmann (Korvettenkapitän Hilbig), Heinz Drache (Jim Newman) u.a. Uraufführung: 4. Dezember 1956. Eine Produktion der Berolina-Film GmbH.

Zitat von Spion für Deutschland
Im letzten Kriegsjahr wird Erich Gimpel von Hitlers Schergen als Agent in die USA geschickt, um dort den Forschungsstand der Atombombe zu erkunden. Um die Mission nicht gar so aussichtslos erscheinen zu lassen, stellt man ihm den amerikanischen Deserteur Billy Cole als Vertrauensmann zur Seite – doch gerade durch Billys Unzuverlässigkeit droht Gimpel Gefahr. Er beginnt, an seinem Auftrag zu zweifeln, vor allem nachdem er die ihn bedingungslos liebende Joan kennengelernt hat. Sein Plan, sein altes Leben hinter sich zu lassen, wird von der Militärpolizei vereitelt ...


Der nervöse Lichtkreis eines Flakscheinwerfers, uniformierte Heimkehrer und Abkommandierte in einer Bahnhofsruine sowie eine offenkundige Nachstellung der Neuen Reichskanzlei setzen für den kurzen Heimataufenthalt Erich Gimpels in Berlin Ende 1944 ein stimmiges Setting. Der Elite-Spion arbeitete qua officio nicht am unmittelbaren Ort des Kriegsgeschehens, sondern kämpfte in der nicht weniger feindseligen Fremde, inmitten von Systemfeinden allein auf seinen Überlebensinstinkt angewiesen, für die Sache der Nazis. Den Zuschauer bringt Herbert Reineckers in weiten Strecken sehr detailgetreue Darstellung der historischen Ereignisabläufe damit in die Zwickmühle, ausgerechnet Hitlers Atomspion als Identifikationsfigur zu betrachten, was „Spion für Deutschland“ – die Affirmation steckt bereits im Titel – zu einem ungewöhnlichen Nachkriegsdokument macht und drastisch von Aufarbeitungsfilmen der damaligen Zeit abgrenzt. Die Konstellation gibt dem Streifen allerdings auch Gelegenheit, seine Hauptcharaktere weder als verdammungswürdige Ideologieroboter, die auf Befehl in einem uniformierten Menschenmeer untertauchen, noch als lupenreine Widerstandshelden anzulegen, sondern ihnen eine in den Grenzen ihres gefährlichen Auftrags selbstbestimmte Position als gejagter Jäger angedeihen zu lassen. Dass sie dabei schon von Anfang an mit dem Rücken zur Wand stehen, machen besorgte Dialoge in der Exposition mehr als deutlich – man mag den ganzen Film als Parabel auf die Sinnlosigkeit der späten deutschen Kriegsbemühungen verstehen.



Vor allem Martin Held und Walter Giller gelingen in ihren zweifelhaften Rollen Kabinettstückchen erster Güte. Angekündigt als Gillers „erste Charakterrolle“, ist sein Billy Cole ein vom (Soldaten-)Leben enttäuschter Trinker, der familiär bedingte Ressentiments gegen die Amerikaner hegt und dennoch von Heimweh geplagt wird. Geht es ihm schließlich an den Kragen (Gustav Knuth als des FBIs schärfster Hund), bleibt von ihm nicht mehr als ein Häufchen Elend. Held im Gegensatz verkörpert Gimpel als kühlen Strategen von gefestigter Überzeugung, die man jedoch sukzessive ins Wanken gebracht sieht. Motiviert ihn zunächst sein abenteuerlustiges Naturell und der Ehrgeiz, eine unlösbare Aufgabe eventuell doch meistern zu können, so ist er mit zunehmender Verfolgung auf die Gefallen Dritter und auf schicksalhafte Wendungen angewiesen. In diesen Momenten der Umzingelung gelingt die perfekte Symbiose aus handfester Spannung und der von Reineckers Charakterzeichnung und Dialogarbeit kreierten emotionalen Tiefe, welche aus der faktisch wohl nicht besonders glaubwürdigen Spontanliebe zwischen Held und Tiller eine wichtige Antriebsfeder formt, anstatt sie wie eine billige Kintopp-Ergänzung wirken zu lassen.

Wird über weite Strecken der Eindruck vermittelt, als sei die Sicherheit des Protagonisten das höchste Gut, das in „Spion für Deutschland“ auf dem Spiel stehe, so ruft ein nachdrücklicher Auftritt Ernst Stahl-Nachbaurs als reumütiger Atomwissenschaftler das größere Ganze in Erinnerung. Der Kniff, das Gespräch über die Unverantwortlichkeit der Kriegstreiber und der instrumentalisierten Wissenschaft gerade an einem Kinderspielplatz stattfinden zu lassen, ist in seiner Absicht zwar leicht durchschaubar, deshalb aber kein bisschen wirkungsloser. Auch in allen anderen Momenten verfügt der Film über eine sehr ansprechende Bildsprache, nutzt historisches Archivmaterial, lässt sich aber andererseits nicht lumpen, wenn es um die New Yorker Schauplätze geht: Die vielen Vor-Ort-Aufnahmen, die Henry von Javorsky der Studiokamera von Albert Benitz hinzufügte, erwecken einen authentischen Eindruck, der nicht durch die Budgetrestriktion späterer Wallace- oder Cotton-Filme, nach wenigen Touristentotalen auf verkleidete heimische Exterieurs zurückzuwechseln, zunichte gemacht wird.

Als Kriegsfilm ohne nennenswerte Kriegsrealitäten kann sich „Spion für Deutschland“ voll auf seine spannende Kriminalhandlung konzentrieren, die nach den realen Erlebnissen des Agenten Erich Gimpel ausgestaltet wurde und von Herbert Reinecker eine ambitionierte und alles andere als überkritische Aufarbeitung erhielt. Dadurch dass der Film keine klare Position für oder gegen Gimpels Tätigkeiten bezieht, bleibt das Ende lange offen. 4,5 von 5 Punkten, einschließlich einer ausdrücklichen Empfehlung für Interessenten der jüngeren Zeitgeschichte.

Gubanov ( gelöscht )
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17.07.2016 21:00
#12 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten



Geheimaktion Schwarze Kapelle (I sicari di Hitler / R.P.Z. appelle Berlin)

Spionagekrimi, BRD / IT / FR 1959. Regie: Ralph Habib. Drehbuch: Hans Nicklisch, Pierre Lévy, Jean Lewitte (Vorlage: Olaf Herfeldt). Mit: Peter van Eyck (Robert Golder), Dawn Addams (Tilla Turner), Franco Fabrizi (Graf Rossi), Gino Cervi (Polizeipräfekt Ferrari), Ernst Schröder (Julian Hoffmann), Werner Hinz (Generaloberst), Werner Peters (Heinrich Himmler), Heinz Giese (Eichenberg), Herbert Wilk (Obert Horster), Inken Deter (Elsa) u.a. Uraufführung (BRD): 16. Oktober 1959. Uraufführung (IT): 4. Dezember 1959. Uraufführung (FR): 8. Februar 1961. Eine Produktion der Alfa-Film Berlin, Nepi-Film Rom und Lux Compagnie Cinématographique Paris im Prisma-Filmverleih Frankfurt / Main.

Zitat von Geheimaktion Schwarze Kapelle
Eine kleine Gruppe von Wehrmachtsoffizieren zeigt sich unzufrieden mit der aggressiven reichsdeutschen Angriffspolitik und setzt zum Gegenschlag an: Den Journalisten Golder, der geradewegs in die Arme der Gestapo zu laufen droht, schickt die Gruppe als Verbindungsmann nach Rom, um dort kriegswichtige Informationen an den Vatikan weiterzuleiten, welcher dann die Engländer und Franzosen darüber in Kenntnis setzen soll. Auf den Entsandten der „Schwarzen Kapelle“ wird jedoch schnell ein Spitzel angesetzt – die hübsche Tilla Turner, deren Hitlertreue von Golders Charme auf eine schwere Probe gestellt wird ...


Die vielfältige Widerstandskultur im Dritten Reich schloss auch ranghohe Positionen in der militärisch-diplomatischen Führungsspitze des NS-Staats ein. Der nach einem Tatsachenbericht gestaltete Film „Geheimaktion Schwarze Kapelle“ bezieht sich hierbei recht deutlich auf das Wirken der Gruppe um Oberst Hans Oster in der Zentralabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht, das heute weitgehend vergessen ist, obwohl es nach Bekanntwerden in Analogie mit der sowjetnahen Widerstandsorganisation „Rote Kapelle“ um das Ehepaar Schulze-Boysen als „Schwarze Kapelle“ bezeichnet wurde und die Hintermänner ein ähnliches Ende fanden wie ihre Liebenberger Schicksalsgenossen. Noch 1969 schreibt der Spiegel, ...

Zitat von Zeitgeschichte / Widerstand: Schlag gegen Emil, Der Spiegel, 19/1969, S. 156
... dass Oster zwischen 1938 und 1943 die zentrale Gestalt des Widerstandes gewesen war. Bis zu seinem Auftauchen hatte sich die Opposition gegen das Hitler-Regime auf einige wenige Persönlichkeiten beschränkt, sie waren einflusslos und ohne organisatorischen Zusammenhang.


..., nicht jedoch ohne anzumerken: „Kein Denkmal ehrt ihn, keine Straße trägt seinen Namen; kein großes historiografisches Werk zeichnet sein Leben nach.“ Das Gefühl, das sich dem Leser dieser Zeilen aufdrängt, im allgemeinen Diskurs werde eine persönliche Leistung marginalisiert, die war, aber nicht sein durfte, weil das OKW in der Retrospektive als durch und durch verkommen goutiert werden muss, festigt sich u.a. durch die Aussage, der nach diesen Motiven gestaltete Film sei tendenziös, wenn er „die Wehrmacht von den Verbrechen der politischen Führung [abgrenzt]“ (Quelle).



Werner Hinz übernimmt als skeptischer und enttäuschter Offizier gewissermaßen die Rolle Hans Osters, während Peter van Eycks Darstellung die Kontaktposition des Katholiken Dr. Joseph Müller zwischen Abwehr und Vatikan spiegelt. Müller gab über Papst Pius XII. kriegsentscheidende Informationen an England weiter, nachdem auch bereits Holland und Belgien über ähnliche Kanäle von Mitgliedern der „Schwarzen Kapelle“ informiert worden waren. Beide Schauspieler überzeugen als charismatische Figuren, die nicht unnötig heroisiert werden, weil sie nicht vor Ängsten oder dem Verlangen, die eigene Haut zu retten, gefeit sind. Eycks Filmfigur Robert Golder schlittert in die verantwortungsvolle Aufgabe zudem nicht aus freiem Willen hinein, macht sie sich jedoch mit jeder Komplikation mehr und mehr zum eigenen Ansinnen.

Wo der Film das Terrain der historischen Nachbildung verlässt und prompt an Glaubwürdigkeit und Tempo verliert, treten Dawn Addams und Ernst Schröder als NS-Spione auf, die versuchen, die Eigenmächtigkeiten Golders zu unterwandern. Der Film wählt sich diese Freiheiten bald als Hauptaugenmerk aus und konzentriert sich in Folge mehr auf die sich zwischen zwei konträren politischen Lagern entfesselnde Liebesgeschichte als auf die sachlichen Hintergründe der Ereignisse. Im gleichen Maße verschiebt sich der Tenor von einem authentischen, mit Wochenschaubildern untermalten Spionagefilm hin zu einer mit rauschenden Festen und römischen Romantik-Impressionen illustrierten Romanze. Diese an den Zeitgeschmack 1959 erinnernden „Filmtugenden“ könnten den verschiedenen Vorstellungen und Forderungen der Koproduktionsparteien aus Italien und Frankreich entsprungen sein und rauben der „Geheimaktion Schwarze Kapelle“ einen großen Teil ihrer Seriosität (wobei einschränkend erwähnt werden sollte, dass sich der grenzübergreifende kreative Einfluss auch in besonders attraktiven Produktionswerten und einem beeindruckenden Soundtrack von Roman Vlad niederschlägt). Erst das bittere Ende zeigt wieder mit aller Deutlichkeit auf, welch ein verzweifeltes Spiel hier gespielt wurde und warum wir heute in den Geschichtsbüchern vom totalen Krieg anstatt von erfolgreichen Gegenaktionen der eigenen Reihen lesen.

Das interessante Porträt einer übersehenen Figur im Kampf gegen Krieg und Totalitarismus wirft erhellende und manchmal unbequeme Schlaglichter, biegt aber halbwegs in Richtung seichten Liebes- und Touristenkinos ab. Dass Peter van Eyck und Dawn Addams gut harmonisieren, wie man aus „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ weiß, sichert der vor allem gen Ende zunehmend langatmigen Produktion dennoch solide 3,5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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02.10.2016 20:45
#13 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten



Der Fuchs von Paris (Le renard de Paris)

Spionagedrama, BRD / FR 1957. Regie: Paul May. Drehbuch: Herbert Reinecker (Vorlage: Herbert B. Fredersdorf). Mit: Martin Held (General Quade), Marianne Koch (Yvonne), Hardy Krüger (Hauptmann Fürstenwerth), Michel Auclair (André), Paul Hartmann (Generaloberst von der Heinitz), Viktor Staal (Oberst Toller), Peter Mosbacher (Major Wedekind), Jean Murat (Yvonnes Vater), Walter Gross (Kleinschmidt), Reinhard Kolldehoff (Werner Biener, SD-Beamter) u.a. Uraufführung (BRD): 14. November 1957. Uraufführung (FR): 21. März 1958. Eine Produktion der Kurt-Ulrich-Film Berlin und der C.E.C. Paris im Constantin-Filmverleih München.

Zitat von Der Fuchs von Paris
Auch wenn die deutsche Stellung im Frühjahr 1944 an der Westfront noch stabiler wirkt als im Osten, ist die scheinbare Ruhe im besetzten Frankreich trügerisch. Der Atlantikwall ist ein empfindliches Konstrukt, das trotz großen personellen Aufwands von den Alliierten leicht durchbrochen werden könnte. Um den unnötigen Tod zehntausender Soldaten zu verhindern, planen deutsche Militärs unter der Leitung Generals Quade, den Briten Hitlers Pläne in die Hände zu spielen, sodass Berlin gezwungen wäre, einen Rückzug anzuordnen. Für das Doppelspiel wählt Quade seinen Neffen, Hauptmann Fürstenwerth, aus, der die jedoch nur die Hälfte seiner Mission kennt: Er glaubt, er würde dem Feind gefälschte Unterlagen zuspielen, um ihn zu verwirren ...


Wie viele anderen Namen auch ist die Personalie Herbert Reinecker sowohl im Propaganda- als auch im Aufarbeitungsfilm präsent. Ebenfalls in Paarung mit Hardy Krüger arbeitete er 1944 an „Junge Adler“, einem Streifen, der beim jungen Publikum Begeisterung fürs Fliegen – also für Luftwaffe und den Militärflugzeugbau – wecken soll. „Der Fuchs von Paris“ ist ebenfalls im vorletzten Kriegsjahr angesiedelt, in dem die Position der hitlerdeutschen Truppen an der Ostfront bereits von Rückzug und großen Verlusten gekennzeichnet war. Auch im Westen drohte der Kollaps, sollte doch die Landung der Alliierten, die hier als einschneidendes zukünftiges Ereignis thematisiert wird, am 6. Juni in der besetzten Normandie stattfinden. Beide Filme haben trotz ihrer unterschiedlichen historischen Positionen ein für den Autor typisches Paradoxon gemeinsam: Obwohl sie militärisch bedeutsame Materie ansprechen, vermeiden sie geschickt unmittelbare Kriegsdarstellungen. Während sich „Junge Adler“ auf den Ausbildungsbetrieb der Jugendlichen konzentriert, spielt sich „Der Fuchs von Paris“ in Führungsetagen des Heeres, in eleganten Villen, dem Hauptquartier der Widerstandsbewegung und einem Militärgefängnis ab. Die Abwesenheit des Schlachtfelds in diesem und Reineckers anderen Genrefilmen ergibt sich aus seiner Tendenz, das Zeitgeschichtliche mit kriminellen und Spionageelementen zu kombinieren und somit offene Brutalität zugunsten traditioneller Spannung zu vermeiden:

Zitat von Volker Helbig. Herbert Reineckers Gesamtwerk: Seine gesellschafts- und mediengeschichtliche Bedeutung. Wiesbaden: DUV, 2007. S. 9
In den dreißiger und vierziger Jahren zeichnet sich bereits Reineckers großer Schwerpunkt Krieg ab, der auch die Romane und Kinofilme der fünfziger Jahre noch entscheidend prägt. In den fünfziger Jahren kommt es allmählich zum Aufgreifen des Kriminalgenres, wobei Reineckers erste Kriminalfilme, etwa Banktresor 713 (1957), noch in einem engen Zusammenhang mit Kriegs- und Nachkriegsthematiken stehen. Eine Art Bindeglied zwischen Reineckers Schwerpunkten Krieg und Krimi bildet das Genre Spionage, dem sich der Autor mit Filmen wie Spion für Deutschland (1956), Der Fuchs von Paris (1957) oder Menschen im Netz (1959) zuwendet. Die späten sechziger Jahre sowie vor allem die siebziger Jahre gehen mit einer stärkeren Konzentration auf das Kriminalgenre einher, das sich seinerseits durch eine gewisse Verwandtschaft mit dem Spionagegenre auszeichnet. So stehen Reineckers frühe Fernsehkrimis, etwa seine Beiträge zur Reihe Die fünfte Kolonne, noch stark unter dem Einfluss von Spionagethemen.

Zitat von Volker Helbig. Herbert Reineckers Gesamtwerk: Seine gesellschafts- und mediengeschichtliche Bedeutung. Wiesbaden: DUV, 2007. S. 255
Ein Spionagefilm, der ähnlich wie frühere Reinecker-Filme die moralische Integrität mancher Wehrmachtsgeneräle beschwört, ist die deutsch-französische Co-Produktion Der Fuchs von Paris (französischer Titel: Le renard de Paris). [...] In einem solchen Arrangement zeigt sich einmal mehr Reineckers tiefe Faszination für das unbewusst zielgerichtet handelnde Individuum, das unwissentlich Teil eines großen, umfassenden Plans zum Wohle der Allgemeinheit ist.




Tatsächlich ist es das Verwirrspiel der Handlungsabsichten und verschwiegenen Informationen, das „Der Fuchs von Paris“ im ersten Drittel so schwungvoll und ereignisreich macht. Hardy Krüger stellt einen Hauptmann dar, der nach überstandenen Kämpfen in Russland noch immer mit Zuversicht an das vom Führerhauptquartier ausgegebene Ziel von Verteidigungs- und Expansionskrieg glaubt. Ihm wird deshalb sowohl von den Dissidenten Quade und von der Heinitz als auch von den französischen Widerstandskämpfern falsches Spiel vorgegaukelt. Hauptmann Fürstenwerth gerät folglich in eine unfreiwillige Position als unwissentlicher Sündenbock, die ihn ebenso wie sein dünkelloses Verhalten dennoch als Sympathieträger empfiehlt, denn er weiß, sture Dienstanweisungen wo möglich zu umgehen und Menschen unabhängig ihrer Nationalität zu helfen. In der sich zwischen ihm und Marianne Koch anbahnenden Beziehung, die einen großen Teil des zweiten Drittels einnimmt, spiegelt sich deutlich die in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre an Tempo und Intensität zunehmende deutsch-französische Annäherung, welche nicht nur auf filmischem Terrain von zunehmender Bedeutung war, sondern sich auch in Städtepartnerschaften sowie der Aufnahme wirtschaftlicher Beziehungen ausdrückte und 1963 mit dem Elysée-Vertrag einen ersten Höhepunkt erreichte.

Obwohl der mittlere Teil des Films gegenüber seinem Anfang zunächst an Spannung einzubüßen scheint, so ist die detailreiche Zeichnung der Liebesbeziehung zwischen dem deutschen Soldaten und der französischen Untergrund-Kämpferin mitsamt der kruden Entführung Fürstenwerths eine grundlegende Voraussetzung für die nachhaltige Wirkung des letzten Filmabschnitts. Nach seiner Verhaftung wegen Verrats steckt nicht nur Krügers Karren tief im klebrig-braunen Dreck: Vor allem für Quade geht es nun um den eigenen Kopf, aber auch um Zehntausende Menschenleben. Die raffinierte Konstellation des Drehbuchs bringt die Verantwortung, die auf den Charakteren lastet, ebenso deutlich zum Vorschein wie die exzellenten Darsteller der von Anfang an angekündigten Antagonistenrollen: Als unerkannter Subversiver gibt Martin Held eine von der Sinnlosigkeit des Kriegsspiels demoralisierte Vorstellung, indem er nach außen hin gute Miene zum bösen Spiel macht, um seine einflussreiche Position zu erhalten. Offene Erwähnung findet in diesem Zusammenhang auch „Canaris von der Abwehr“, über den Reinecker zusammen mit Alfred Weidenmann drei Jahre zuvor bereits ein ähnlich gelagertes Filmprojekt realisiert hatte. Ihm gegenüber steht der mit erbitterter Kälte und faschistischer Überzeugung aufspielende Viktor Staal, der von Reinhard Kolldehoff in einer Handlangerrolle effektiv unterstützt wird.

Der in dunklen und kargen Gefängnisszenen angekündigte deprimierende Ausgang der Geschichte kommt mit zynischer Zuverlässigkeit und erweckt beim Zuschauer ein Gefühl der Ernüchterung. Hoffen und Bangen haben in diesem Fall wie auch bei anderen, realen Aktionen aus der Widerstandsgeschichte gegen den Nationalsozialismus nicht genügt, um das System zu unterwandern. In der ausweglosen Situation der letzten Filmminuten zeigen sich die intensivsten schauspielerischen Leistungen der drei Hauptdarsteller und einige substanzielle Lehren, die Reinecker mit der ihm eigenen sprachlichen Präzision und angemessenem Tiefgang formulierte. Dass der Spiegel befand, es handle sich hierbei um „Histörchen [...], die der Zuschauer schmerzlos betrachten kann“, wirkt fast ebenso hämisch wie der (kurzlebige) Triumph, der Oberst Toller zugesprochen wird.

Das größte Blutvergießen nicht vor die Kamera zu zerren, sondern es mithilfe einer geschickt aufgebauten und einfühlsam erzählten Geschichte nur anzukündigen, ist eine diffizilere Kunst als der plumpe Standard-Kriegsfilm. In deutlichen Tönen hält Reinecker mit „Der Fuchs von Paris“ ein Plädoyer gegen Kampf und Hass und siedelt dieses vor einem geschickten Ränkespiel an, das von hervorragenden Schauspielern ausgestaltet wird. 5 von 5 Punkten.

Percy Lister Offline



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26.12.2016 14:43
#14 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten



Gestern habe ich mir die DVD "Kriegsweihnacht 1939-1945" angesehen und etwas entdeckt, das sicher den einen oder anderen Filmfreund interessieren könnte. Die Dokumentation berichtet u.a. vom Versand der beliebten Feldpostpäckchen an die Front. Judith und Rita Breuer beschreiben in ihrem Buch "Von wegen Heilige Nacht! Das Weihnachtsfest in der politischen Propaganda" (Verlag an der Ruhr) folgendes: "Das wichtigste Bindeglied zwischen Front und Heimat war die Feldpost - nicht umsonst wurde ihr gerade zur Weihnachtszeit von offizieller Seite aus besondere Beachtung geschenkt. (...) Ganz offensichtlich versprach sich die Heeresleitung davon einen positiven Einfluss auf die Truppenmoral und den Durchhaltewillen an der Front." In den Päckchen, die in der Regel bis zu 1 kg schwer sein durften, befanden sich Süßigkeiten, Lektüren, Selbstgestricktes, Konserven, Tabak oder Hustenbonbons und Fußpuder.

Die Kamera schwenkt auf eine sich öffnende Tür, an der das Schild "Feldpoststelle der Kameradschaft der deutschen Künstler" angebracht ist. Der Kommentator erläutert, dass hier Künstlerinnen und Künstlerfrauen Feldpostpäckchen packen. Dann sieht man fröhliche Frauen beim Hantieren mit Tannenzweigen, Kleinigkeiten und Kartons und in Nahaufnahme die Schauspielerin Luise Ullrich, die anscheinend auch heiter im Dienst der guten Sache steht. Es könnte sein, dass auf einem der Bilder auch Brigitte Horney zu sehen ist, aber ich bin mir nicht ganz sicher.



Der Kommerz und die Geschäftstüchtigkeit ruhten natürlich auch nicht in Zeiten des Krieges, wie Werbeinserate in der damaligen Presse belegen: "Für unsere Soldaten ist das Beste gerade gut genug, deshalb wenn Tabakspfeifen ins Feld dann VAUEN." - "Schickt RECLAM-Hefte ins Feld! Postfertig in jeder Buchhandlung." - "Vor dem Marsch die Füße pflegen darauf kommt es an!" (Gehwol). Und Produkte, die es mangels Verfügbarkeit nicht gab, sollten in Friedenszeiten wieder erhältlich sein: ".... und eines Tages gibt es wieder STRICKER-RÄDER".

Solche Exkurse in die Vergangenheit sind doch immer wieder interessant und lehrreich.

Ray Offline



Beiträge: 1.931

23.03.2017 15:56
#15 RE: Krieg, Kameradschaft, Katastrophen Zitat · Antworten

Wer an dem oben von @Gubanov mit der Höchstwertung bedachten Streifen "Der Fuchs in Paris" mit Hardy Krüger u.a. Interesse hat, sollte jetzt zuschlagen. Amazon verkauft die DVD aktuell für 3,97 € ...

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