Hallo, gerade habe ich mich intensiv mit "Jack the Ripper - der Dirnenmörder von London" beschäftigt und komme zu dem Schluss dass es kein Argument gibt (ausser, dass er nach 1972 gedreht wurde (was wiederum kein Argument ist)), das widerlegt, dass es ein "Krimi" ist. Natürlich müsste man mal das "Bauchgefühl" beiseite schaffen und darüber nachdenken, welche objektiven Kriterien es gibt, die einen Film zum "Krimi" machen. Hier meine Pro und Contras bezüglich JTR, ich habe bisher noch kein unumstößliches Contra gesehen, lasse mich aber gern hier - bei objektiven Argumenten - umstimmen:
Es gibt keine wissenschaftliche Erklärung dafür, was ein "Krimi" ist. Bei "Jack the Ripper" gibt nur ein "objektives" Argument dafür, dass es sich nicht um einen "Krimi" handelt: Er wurde 1975 gedreht, während die "Experten" die Jahre 1959-1972 als Zeitraum des "Krimi" nehmen. Aber das ist willkürlich. Ist "Opera" kein Giallo, weil er nach 1980 gedreht wurde??? Ist ein Agententhriller keiner, weil er vor James Bond gedreht wurde? Man kann nicht einfach einen Zeitrahmen auswählen, in dem ein Film, der alle anderen Kriterien erfüllt, außerhalb dieses Zeitrahmens gedreht wird und dann sagen "er gehört nicht dazu".
Pro:
Originalversion Deutsch, produziert von einer deutschsprachigen Firma in einem deutschsprachigen Land mit deutschsprachigen Schauspielern: ja Kriminalfilm, der in einem fantasievollen London spielt, was aber eine deutssprachige Stadt ist: Ja Scotland Yard und Freundin des Inspektors involviert: Ja Regelmäßig auftretende Comic-Figur: Ja Verrückter Killer, der herumläuft und Menschen auf grausame Weise tötet: Ja Kameraführung, die sich mehr auf statische Aufnahmen als auf ausgefallene Kamerabewegungen verlässt: Ja Verrückter Doktor macht verrückte Experimente mit seinen Opfern: Ja Wenig Outdoor-viel Studio-Aufnahmen: Ja Verfolgung im nebeligen Wald: Ja Merkwürdiger Zeuge/Nebenfigur: Ja Normales Verbrechen mit drin: Ja (Erpressungsversuch) Typische Krimi-Schauspieler: Klaus Kinski und Herbert Fux
Man könnte jetzt argumentieren, dass es sich nicht um ein Krimi handelt, da es bestimmte Eigenschaften hat, die in anderen Krimis nicht vorhanden sind:
Contra: Manischer Killer statt geldmotivierter Killer. "Zimmer 13" hat einen (weiblichen) wahnsinnigen Rasierklingen-Killer in allen grafischen Details (wenn auch s/w) und gilt natürlich als "Krimi".
Angesiedelt in der Vergangenheit statt in einem alternativen London der Gegenwart: Das wurde schon in "Sherlock Holmes und die Halskette des Todes" gemacht und niemand bestreitet, dass es sich um einen "Krimi" handelt.
Nicht von CCC oder Rialto hergestellt und nicht von CONSTANTIN vertrieben. Stimmt, aber von Erwin C. Dietrich, der immerhin zwei (wenn man "Blutige Seide" mitzählt, drei) Bilderbuch-Krimis (Nylonschlinge und Würger vom Tower) produzierte, die auch nicht von CONSTANTIN vertrieben worden waren.
Sex und grafische Splatter-Effekte. Der Sex ist selbst nach den Maßstäben von 1975 sehr abgeschwächt, was darauf hindeutet, dass sich der Film bewusst ist, ein Krimi zu sein. Die grafischen Splatter-Effekte sind da und bösartig, aber wenn man sich "Zimmer 13", "Phantom von Soho" und vor allem "Ungeheuer von London City" in all ihrer Scope-restaurierten-4k-uncut-Pracht anschaut, sind die Szenen in "Jack" einfach nur länger (in Sekunden), aber nicht anders.
Leichenmissbrauch: Nun, ja. Die Leichenmisshandlungen, die wir in "Jack the Ripper" erleben, werden in den anderen KRIMIS nie so offen gezeigt, aber angedeutet. Das liegt eher daran, dass es 1975 und nicht 1968 ist.
Ausländischer Filmregisseur: Ich glaube ich muss nicht aufzählen wieviele Produzenten nicht-deutsche Wurzeln haben und wieviele Regisseure nachgewiesener Krimis nicht Deutsche waren. Kurz: Akos, Rahtony, Hugo Fregonese, Helmuth Ahley, Freddie Francis, Cyril Frankel, Riccardo Freda, Dallamano etc. etc. Und außerdem hatte Franco schon zwei offizielle KRIMIS gedreht, sprach fliessend Deutsch.
Also nein. Ich sehe keinen Grund, warum dieser Film kein KRIMI sein sollte. Vielleicht ist es sogar der letzte. (Ich muss mal "orgie des Todes" genauer recherchieren...)
Der Filme, die mittlerweile international als dem Genre des "Krimi"(s) zugehörig betrachtet werden. Ahnlich wie "Giallo" bezeichnet "Krimi" nicht mehr alle Kriminaflime sondern der Wortwahl dieses Forums nach entspricht das den EW-Filmen und ihren "Epigonen".
Hier weden wohl die Definitionen des Wortes "Krimi" im Deutschen und in anderen Sprachen verwechselt.
Im Englischen wie auch im Italienischen versteht man unter dem Begriff "krimi" deutsche Kriminalfilme der 60er, während im Deutschen ein Krimi unabhängig von Produktonszeit und Produktionsland alles sein kann, von "M-Eine Stadt jagt einen Mörder" bis hin zu den Rosenheim-Cops. Ähnlich verhält es sich ja auch mit dem Begriff "giallo", der im Italienischen jeden Krimi bezeichnet, im Deutschen und Englischen aber nur jene, die im Stile Argentos & Co. sind und im Italienischen wiederum mit dem pseudoenglischen Begriff "Thrilling all'italiana" bezeichnet werden.
Im Deutschen stellt sich die Frage also gar nicht, ob "Jack the Ripper" ein Krimi ist, was soll er denn sonst sein? Deine Frage ist wohl eher so zu verstehen, als ob er als eine Epigone der 60er-Wallace-Krimis angesehen werden kann. Hier kann man Argumente dafür (wie von dir angeführt) oder auch dagegen anführen (kein Whodunit, die Hauptfigur ist nicht der Ermittler und kein sympathischer Charakter).
In der Tat folgt danach nur noch die CCC-Coproduktion ENIGMA ROSSO als Krimi mit dt. Beteiligung, der in das Schema passt, wobei ENIGMA ROSSO ein Whodunit ist und den Ermittler ins Zentrum rückt.
Da dein Artikel auf Englisch ist (warum eigentlich?), ist die Argumentation, ob JtR ein "krimi" nach englischer Definition ist, nachvollziehbar. Für das Deutsche müsste man m. E. die Definitionsfrage anders stellen, etwa ob es sich um eine Epigone der Wallace-Krimis handelt.
Zum Thema der Definition einer Epigone bzw. auch eines Giallos hatten wir hier im Forum übrigens schon vor Jahren einige Diskussionen ...
Da haben sich unsere Antworten ja überschnitten. Ich habe allerdings festgestellt, dass hier im Forum JtR nicht als "Epigone" gehandelt wird. Das ist ja der Ansatz. Warum Englisch. Das internationale Interesse ist da. Mein Blog hat pro Tag mittlerweile ca 1000 Zugriffe. Ich fand es ärgerlich, dass (ähnlich wie beim Giallo) ausschließlich die anglo-amerikanische Perspektive (also alle Literatur, die nicht auf Englisch vorliegt, wird schlichtweg nicht behandelt) zählt. Was dann wiederum zu lustigen Rückschlüssen auf deutscher Seite führt. Z.B. dass "Scream and Scream again" kein Mabuse Film sei, wie es hier im Forum auch behauptet wird, was aber ausschließlich aus anglo-amerikanischen Quellen stammt (die wiederum die Romane und insbesondere die CCC-Filme de facto gar nicht kennen). Die umfangreiche Arbeit die hier und in den Büchern geleistet wurde, wird international komplett übersehen. Google bietet es ja an, die Seiten komplett auf Deutsch zu übersetzen, was mittels AI doch sehr gut klappt.
Ich danke Dir für Deine Argumente, die ich auf den ersten Blick auch nachvollziehen kann:
Die fehlende Tätersuche ("Whodunnit") scheint JtR abzusetzen, aber bei schnellem gedanklichen Durchlauf denke ich, dass "Das Verrätertor" auch kein Rätselkrimi ist. Die Hauptfigur in "Gesicht im Dunklen" ist auch kein Ermittler (sondern Opfer) und auch nicht sympathisch (Kinski eben). Dass die Täterperspektive hier in das Extreme geschoben wird (z.B. Kinskis Halluzinationen über seine Mutter) ist für mich allerdings tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal. Allerdings wurde so etwas (so ähnlich) auch schon in EW-Krimis angedeutet (z.B. Zimmer 13 bei Karin Dor) und 1975 war nunmal nicht 1963.
Nur CCC- oder Rialto-Produktionen zu werten (oder sie sogar nur deshalb zu "Epigonen" zu machen) ist gerade bei der Bestellungspolitik der Constantin zu kurzsichtig. EC Dietrich ist für mich ein legitimer Krimi-Produzent und nur weil er keine literarischen Vorlagen benutzt sind seine Filme aus den 60igern ja als (Epigonen)-Krimis anerkannt.
Meine Frage hier ging ja auch gerade dahin zu fragen, was macht eigentlich einen "Krimi" (internat.) aus? Erst wenn diese Definiton - vor allem hier im Forum, das ich als maßgeblich betrachte - festgezurrt ist, kann ich z.B. Filme in meine Krimi-Übersicht aufnehmen.
Aber was meinst Du? Ist JtR ein "EW-Epigone" (dt. Bezeichnung) / "Krimi" oder nicht?
Toll, dass Dein Blog einen solchen Zuspruch hat und dass Du aus dt. Sicht die Situation den internationalen Fans erklärst!
Ich habe nicht das Gefühl, dass Franco eine Wallace-Epigone drehen wollte. Wallace hatte er ja schon ein paar Jahre zuvor gemacht. Ich persönlich empfinde JtR nicht als Epigone, aber das ist Geschmackssache.
Wie ich schon ganz vergessen hatte, habe ich vor 15 Jahren schon mal - angehalten durch die Diskussion hier im Forum - einen langen Artikel zum Thema "Epigone" geschrieben:
ja das sind ja mal Texte mit denen man arbeiten kann. Vielen Dank dafür (und schade, dass ich sowas über google nicht finde). Genau auf das, was du da schreibst will ich ja hinaus: eine wissenschaftlich saubere Definition um dann auch entsprechend ernsthaft am Thema zu arbeiten. Viele Sachen fallen mir ein, z.B. dass "Der Würger mit der Maske/Blutige Seide" auch eine deutsche Co-Produktion ist, die explizit als Wallace-Klon angedacht war, dann aber durch Mario Bava zu was Eigenem gemacht wurde, das dann von Argento kopiert wurde, das dann von Dallamano übernommen wurde, das gibt Deiner Argumentation noch mal eine besondere Würze!
Ich glaube, wie beim Giallo auch, wo man den engeren Begriff wirklich als Bava- und Argento-Kopie/Nachahmung/Hommage betrachten sollte, könnte man beim "Krimi" auch davon sprechen, dass hier versucht wurde, den eigenen Horst Wendlandt-Stil (also Reinl/Vohrer) zu kopieren, was ja bei CCC sehr leicht fiel, da alles im selben Studio gedreht wurde. Markttechnisch macht das ja auch Sinn, dass z.B. die Constantin dann sagt: "Die Toten Augen" waren ein Hit, mach mal 4 mehr so ähnlich für's nächste Jahr.
Während man bei Bava davon ausgehen kann (und man es bei Argento weiß), dass ihnen die deutschen Co-Produzenten schlichtweg egal waren, wäre also hier die Frage zu stellen, was wollte E.C.Dietrich? Und da glaube ich schon, dass er (vielleicht eine neue Form) von "Krimi" machen wollte, nur dass Franco dafür der Falsche war. Betrachtet man den "Todesrächer" und "Jack the Ripper" nebeneindander, so fällt tatsächlich diesselbe Bildsprache in's Auge, so dass sich Franco tatsächlich eher am "Krimi" orientiert : Wabernde Sex-Halluzinationen am Themse-Strand findet man hier vergebens. Gerade die fast vollständige Reduktion des (normal-)sexuellen ist für mich ein Zeichen, dass hier ein "klassischer"="EW-Epigonen" Film gedreht werden sollte. Wenn man mal sehen will, was Franco so machte, wenn er wirklich seinen eigenen "Krimi" drehen wollte (und keine Auftragsarbeit - er war ja ein Angestellter von Elite-Film zu dem Zeitpunkt), darf man sich sein "Downtown" mas zu Gemüte führen. Das ist dann sicherlich kein EW-Epigone mehr....
Es ist schade, dass EC Dietrich so wenig Beachtung geschenkt wird. Ohne ihn gäb es keine "Blutige Seide", von den anderen Krimis mal abgesehen.
PS: Ich würde gerne Deine Texte in meinem Blog ausführlich zitieren und behandeln, wäre das ok für Dich?
Also, so weit ich mich erinnere, ist auf der JtR-DVD ein langes Interview mit Erwin C. Dietrich und darin sagt er, dass Franco den Film vorgeschlagen hatte und dass er - Dietrich - sich das in Zürich gar nicht vorstellen konnte. Die Idee kam also von Franco, nicht von Dietrich. Steht denn in der Dietrich-Biographie Näheres, ich müsste nachsehen? Ich glaube, bei JtR zeigt Franco, dass er auch "normale" Filme drehen konnte (irgendwann habe ich mal von ihm gelesen, dass er einen "normalen" Film pro Jahr drehte, um den Produzenten zu zeigen, dass er das auch konnte). Dietrich hat in den 60ern auch - wie viele andere Produzenten - versucht, auf der Wallace-Welle mitzuschwimmen, ich glaube, das ist alles. So viele Produktionen hat er ja nun auch wieder nicht dazu beigetragen, er glitt ja rasch in Kolportage + Erotik ab.
Du kannst meine Texte gerne zitieren, wenn du meinst, dass sie es wert sind. :) Es waren vor Jahren einfach ein paar Gedanken, die ich mir zu den Themen gemacht habe. Nicht mehr, nicht weniger ...
Ja der Erwin Dietrich erzählt viel, wenn der Tag lang ist. In gleichem Interview behauptet er auch "ausschließlich" Eigenproduktionen vertrieben zu haben was ja ganz einfach überhaupt nicht stimmt. Auch habe er "niemals" Pornos produziert .... naja. Das Interview ist eine Werbeveranstaltung für die "Jess Franco Goya" DVDs, da kommt es natürlich besser, den Film als Franco-Film zu verkaufen als als eigene Idee, das macht ihn ja für die Fans wertvoller.
Die Biographie, sagt eindeutig dass mit "Schloss der Blauen Vögel" Dietrich sich schon einen Kinski-Krimi zurechtschnitt und nur auf ein gutes Projekt mit ihm wartete, das Kinski seine Offerten bis dahin wohl ignorierte.
"Krimi mit Kinski" von Dietrich und "Jack the Ripper mit Kinski" von Franco ist doch die ideale Schnittmenge. Und wie ein Franco-Krimi aussieht konnte man im ähnlich gelagerten "Todesrächer" schon ziemlich genau sehen.
Zählt man "Die Geflüchteten" und "Schloss der Blauen Vögel" (der ja als Konsalik-Krimi vermarktet wurde), komme ich auf 5 Krimis, das ist schon ordentlich Dass er dann (wie auch nach Jack the Ripper) lieber Geld mit Schundfilmen verdiente, ist ja auch hinlänglich bekannt. Das tat Artur Brauner ja nun mal auch.
Erwin C.Dietrich hätte ja 1964 die Möglichkeit gehabt, mit einem Krimi groß rauszukommen. Constantin-Film hatte die Urania mit der Produktion und ihn mit der Herstellungsleitung zu "Ein Sarg aus Hongkong" (nach einem Roman von James Hadley Chase) beauftragt: "Ein Ultra-Scope-Farbfilm der Urania." Nach den Außenaufnahmen in Hongkong sollten Ende Februar die Atelier-Aufnahmen in Zürich beginnen. Aber Dietrich hat´s vermasselt. Mitten in den Dreharbeiten gab es Probleme mit der Crew und den in Hongkong ansässigen Dienstleistungspartnern. Daraufhin wurde er von Constantin abberufen und durch Wolfgang Hartwig und seine Rapid-Produktion ersetzt, der die Aufnahmen zuende führte. Letztendlich erschien der Film als Gemeinschaftsproduktion von Rapid und Urania. Aber Dietrichs Ruf hat natürlich gelitten. Erzählt er was in seinem Buch darüber oder hast du weitere Informationen?
Das Buch ist nicht von ihm (da gibt es ja das online abrufbare Interview auf Splatting Image - das zurecht wegen der vielen nachweislichen Falschaussagen verrissen wird). Das Buch ist von einem schweizer Filmwissenschaftler, der doch sehr gut einordnen kann was Fact und was Fiction ist und auch die merkwürdigen finanziellen Transaktionen nicht auslässt. Ich bin sehr froh, dass ich das habe, ist mittlerweile schwer zu bekommen. Die Auflage kann auch nicht hoch gewesen sein... Im Buch steht dass die Crew von Constantin gestellt worden und schon vor Ort war als Dietrich eintraf. Sie ließen sich wohl jetzt nicht mehr das Heft aus der Hand nehmen und sabotierten die Dreharbeiten, insbesondere Manfred R. Köhler, der eigentlich Synchronregisseur war und hier wohl die Chance auf höhere Weihen sah wenn Dietrich hinschmeissen würde. Hartwig wurde dann rasch aus Hongkong eingeflogen wo er gerade einen anderen Film abgedreht hatte. Dietrich wird ja auch im Vorspann nicht genannt, nur die Urania. Dietrich sagt natürlich, dass er keine Lust mehr auf eine weitere Zusammenarbeit mit Constantin hatte. Allerdings gab es 1979 noch einen Vertrag zwischen Elite und Constantin über eine gemeinsame Video-firma, die dann letztendlich auch nicht zustande kam. Benedikt Eppenberger: Mädchen Machos und Moneten Hat übrigens ein interessantes Vorwort von Jess Franco in dem er Dietrich dafür dankt, ihn wieder auf die gerade Bahn gebracht zu haben....
Zitat von boris brosowski im Beitrag #8Es ist schade, dass EC Dietrich so wenig Beachtung geschenkt wird. Ohne ihn gäb es keine "Blutige Seide", von den anderen Krimis mal abgesehen.
Könntest Du diese These noch einmal unterfüttern? Du hattest doch selbst schon ausführlich recherchiert und dargelegt, wie der geringe deutsche Co-Produktions-Anteil von "Blutige Seide" (noch während oder gar nach den laufenden Dreharbeiten und dem Schnitt) durch mehrere Hände ging (Monachia, Top-Film,...). Dietrich selbst taucht nirgendwo als Produzent auf, der einzige "deutsche" Name ist Georges C. Stilly - und der wird nur als "ausführender Produzent" und nicht einmal in den Credits genannt.
Meine Sichtweise (ohne Einblick in Unterlagen zu haben): Thomas Reiner, Lea Lander und Heidi Stroh waren mögliche Beistellungen der deutschen Co-Produzenten. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich die deutsche Seite im Gegenzug für die Verleihrechte nur mit einer überschaubaren Summe an den Herstellungskosten beteiligte und zumindest Lea Lander und Heidi Stroh auch so im Film gelandet wären. Eva Bartok war im selben Jahr beispielsweise in einer weiteren italienischen Produktion (ohne deutsche Beteiligung) zu sehen und war möglicherweise von Anfang an für die Rolle besetzt. Ohne die Beteiligung einer deutschen Produktionsfirma - die möglicherweise mal Dietrich gehörte oder von ihm gegründet oder später erworben wurde - wäre die ein oder andere Rolle vielleicht stattdessen mit italienischen Schauspielern besetzt worden oder es wäre eine andere Produktionsfirma eingesprungen. So hätte es spontan beispielsweise auch noch eine spanische Co-Produktion (mit 1-3 spanischen Schauspielern) werden können. "La ragazza che sapeva troppo" entstand 1963 rein mit italienischen Geldern, bei "Die drei Gesichter der Furcht" und "Der Dämon und die Jungfrau" gab es französische Co-Produzenten (die ja zeitgleich auch in deutsche Wallace-Filme "investierten"), bei "Die drei Gesichter der Furcht" stieg zusätzlich noch American International Pictures (die zeitgleich die Edgar Allan Poe-Reihe in den USA produzierte) als Geldgeber ein (allerdings scheinbar nur über AIP-TV für eine Auswertung als TV-Film). "Blutige Seide" ist sowohl inhaltlich (auch die Hammer-Horrorfilme verlegten sich beispielsweise auf die Moderne und wurden teils "bodenständiger") als auch finanziell (durch Erhöhung des Budgets durch zusätzliche Geldgeber) die sinnige Fortführung dieser Entwicklung (Hitchcock-esquer Psychothriller und Gothic-Horror, erst getrennt, dann vereint) und 1963 (als "Blutige Seide" in der Entwicklung war), liefen die deutschen Wallace-Filme höchstwahrscheinlich noch gar nicht in Italien. Die IMDB hat leider nur Eintragungen zu Kinostarts aus anderen EU-Ländern. "Die Bande des Schreckens" kam im Februar 1962 in die spanischen Kinos, "Der Frosch mit der Maske" im Herbst 1962 in die französischen Kinos. Zu diesem Zeitpunkt könnten italienische Produzenten zwar um die Erfolge der Wallace-Horror-Krimis in Deutschland gewusst haben, vielleicht sogar schon den ein oder anderen Wallace-Film als "interne Vorführung" gesehen haben, orientiert haben dürfte man sich aber eher an den britischen Hammer-Filmen, auch den (in Deutschland eher unbekannten), die Hitchcocks "Psycho" kopierten sowie an den Edgar Allan-Poe und anderen bunten Horror-Filmen. Parallel lief ja auch noch die "Miss Marple"-Kinoreihe, die sicherlich viele Produzenten auch wieder auf "Ten Little Indians" hat blicken lassen und eine Mordserie in überschaubarem örtlichen Rahmen mit einem ebenso überschaubaren, mordverdächtigen Personal vor der Kamera ist einfach finanziell verlockend - siehe auch den deutschen Film "Hotel der toten Gäste". "Der schwarze Abt" war nach dem prägnanten "Frosch" erst der zweite Rialto-Wallace-Film, der "obskure Maskerade" als Trademark hatte - und der lief erst im Sommer 1964, also nach Fertigstellung von "Blutige Seide" in den französischen Kinos und wohl kaum vorher schon in Italien. Maskierte Killer und schwarze Handschuhe gab es seit den 50ern jedoch schon auf den grellgelben Buchcover diverser Kriminalromane in Italien - auch bei Wallace und Co. Bava war es, der diese (italienische) Ikonographie ins Medium Film, genauer in den Kriminalfilm holte. Und selbst da dürfte man mit Blick auf den Gothic Horror, der gerade (noch) Hochsaison hatte, genügend frühere Filme mit maskierten Henkern oder mysteriösen Reitern finden, die ebenfalls Pate gestanden haben könnten.
Worauf ich hinaus will: Selbst, wenn Dietrich den Wunsch gehabt haben sollte, einen Wallace-Epigonen zu drehen und an "Blutige Seide" beteiligt gewesen wäre, kann er sich diesen Wunsch nicht mit diesem Film erfüllt haben, geschweige denn inhaltlich Einfluss genommen haben. Ich habe es an anderer Stelle schon geschildert: Co-Produzenten kommen in der Regel dann ins Spiel, wenn das Drehbuch fertig und der Regisseur an Bord ist und vielleicht sogar einige zentrale Schauspieler bereits angefragt sind. Der deutsche Co-Produzent kann entweder gedacht haben "Oh, mondänes Setting, Whodunit, verkleideter Mörder, viele Morde - damit kann ich mich vielleicht an den deutschen Krimi-Hype hängen" oder einfach nach den durchaus erfolgreichen Bava-Filmen "Die drei Gesichter der Furcht" und "Der Dämon und die Jungfrau" gedacht haben, es sei ein gutes Investment beim nächsten Film von ihm dabei zu sein. Außer noch das ein oder andere Gesicht für das heimische Publikum einzubringen, hat ein Co-Produzent in der Regel keine Einwirkmöglichkeiten, sofern sein Anteil an den Kosten nicht riesengroß und der frühzeitig dabei ist.
Meine Gegenthese: Ohne Dietrich hätte es "Blutige Seide" ebenfalls gegeben, sehr wahrscheinlich sogar in der Form, wie wir ihn heute kennen.
Auch vor Zeiten des Internets und der grenzenlosen Globalisierung waren Filmmärkte keine abgeschlossenen Mikrokosmen, wo jeder Produzent nur für den eigenen Markt gedreht hat. Wendtland besetzte Shatterhand und Surehand beispielsweise (auch) für den angestrebten Weltmarkt mit Lex Barker und Stewart Granger. Ebenso setzten auch ausländische Produzenten Schauspieler und Themen ein, von denen sie glaubten, dass sie auf Märkten wie Deutschland oder Frankreich oder sonstwo funktionieren könnten. Darum gab es möglicherweise (!) durchaus Überlegungen in Italien, dass man den Film in Deutschland zwischen den Wallace-Reißern, in Großbritannien als brutale Weiterführung von Agatha Christies Whodunits und in Frankreich wegen der Modethematik marketingtechnisch gut platzieren könnte. Dass aber Dietrich über einen ehemaligen Weggefährten Einfluss auf einen italienischen Film nahm, um einen Wallace-Epigonen zu erhalten, halte ich für viel zu weit hergeholt.
Allgemein habe ich meine Bedenken ja schon des Öfteren angemeldet, dass man weltweite Filmprojekte durch die Brille der deutschen "Krimis" sieht. So einflussreich war der deutsche Film nur zu Weimarer Zeiten mit Lang oder Murnau. Mord und Totschlag im Kino ist weltweit immer ein Kassenschlager gewesen, egal ob in Deutschland mit Wallace, in England mit Christie, in den USA mit "Psycho" und Co oder Melville oder Truffaut in Frankreich. Am Ende ist die Sache mit "Krimis" und "Gialli" auch ganz simpel: In Deutschland ist Alles Krimi mit Mord und Totschlag, im Ausland verbindet man mit dem Begriff "Krimi" die etwas märchenhafte Verquickung von Whodunit, Horror und Humor, wie sie "Edgar Wallace" und Epigonen zeigten. In Italien ist Alles mit Mord und Totschlag Giallo, im Ausland verbindet man mit dem Begriff "Giallo" aber eine bestimmte Art und Weise wie die Italiener diverse Kriminalromane oder das Genre an sich filmisch umgesetzt haben - primär mit sexuell konnotierter Gewalt und visueller Pracht. Besonders wirksam ist dieses "Missverständnis" ja bei Dario Argento selbst: "Suspiria" würde wohl kein Italiener als "Giallo", sondern vielmehr als reinen Horrorfilme bezeichnen, im Ausland taucht er auf erschreckend vielen Giallo-Listen auf.
Kleiner Anhang: Mit dem "Film Noir" gibt es ja noch mindestens eine weitere "fremd-besetzte" Bezeichnung für Krimis. Dies ist ja ebenfalls keine Selbstbezeichnung der Amerikaner für ihre nihilistischen (Kriminal-)filme der 40er und 50er. Die Bezeichnung wurde von außen, genauer von französischen Filmkritikern, geprägt und war der Versuch eine Linie zwischen ähnlichen Filmen zu ziehen, die den Filmschaffenden selbst zur Zeit der Herstellung vielleicht gar nicht selbst bewusst war. In die "schwarze Serie" fallen ja sowohl typische Hochglanz-Produktionen der 20th Century-Fox, als auch kleine Independent-Filme oder B-Movies der anderen großen Studios. Im eigentlichen Sinne zählt man Melodramen, Psychothriller und Charakterstudien zu den "Film Noirs" und zieht die Gemeinsamkeiten bei der nihilistischen Präsentation der Handlung, Art der Lichtsetzung und oft komplexen Charakterisierungen. Im Ausland (gerade in Deutschland) gilt ein Film oft mehr oder weniger nur als Film Noir, wenn ein heruntergekommener Privatdetektiv durch rauchverhangene Gassen schlendert und einer verruchten Femme Fatale zum Opfer fällt.