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Dieses Thema hat 1 Antworten
und wurde 306 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
Prisma Offline




Beiträge: 7.591

22.08.2021 21:15
Tragödie in einer Wohnwagenstadt (1967) Zitat · Antworten


TRAGÖDIE IN EINER WOHNWAGENSTADT


● TRAGÖDIE IN EINER WOHNWAGENSTADT (D|1967) [TV]
mit Werner Schumacher, Ruth Maria Kubitschek, Klaus Grünberg, Otto Mächtlinger, Peter Bollag, Susanne Beck, Peter Schiff,
Friedrich G. Beckhaus, Sigrid Hackenberg, Peter Kuiper, Benno Hoffmann, Otto Czarski, Waltraud Schmal, Ursula Gompf, u.a.
eine Produktion der Neue Deutsche Filmgesellschaft | im Auftrag des ZDF
ein Fernsehfilm von Günter Gräwert







»Dios mío, qué pasa?«



In einem Waldstück, nahe der Wohnwagensiedlung Superba, kommt es zu einem folgenschweren Zwischenfall: Dotty Fisher (Susanne Beck) wurde auf dem Nachhauseweg von einem Mann belästigt. Völlig verstört rennt das fünfzehnjährige Mädchen davon und berichtet einigen Männern aus der Siedlung von den Geschehnissen. Die aufgebrachten männlichen Bewohner wollen den Fall um jeden Preis aufklären und bilden einen schnell zusammengewürfelten Untersuchungsausschuss, dessen einseitige Vorgehensweise von Wut, Vorurteilen, Hass und Brutalität geprägt sein wird. Dotty wird bis zur Erschöpfung bei den für diesen Zwischenfall in Frage kommenden Männern vorgeführt und soll den Täter identifizieren, doch den selbsternannten Richtern geht es kaum um die Wahrheitsfindung, sondern sie handeln aus viel niedrigeren Beweggründen...

Der überwiegend als Regisseur von Fernsehfilmen bekannte Regisseur Günter Gräwert inszenierte diesen TV-Film nach einer Vorlage des US-amerikanischen Drehbuch- und Bühnenautors Reginald Rose, dessen realistischer Ansatz hervorragend durch Gräwert in den fertigen Film integriert wurde. Für einen deutschen TV-Film ist es geradezu bemerkenswert, wie frappierend echt der Regisseur ein amerikanisches Flair zu simulieren vermag, welches man sich zumindest irgendwie in dieser Art so vorstellen könnte. "Tragödie in einer Wohnwagenstadt" beinhaltet bereits im Titel die zwei wichtigsten Säulen der Geschichte, denn es wird sich tatsächlich ein tragischer Tenor aufbäumen, außerdem deutet die Ortsnennung ein nicht zu durchbrechendes Vakuum an, in dem sich alle Beteiligten ohnehin schon befinden würden, es aufgrund der aktuellen Situation aber noch mehr tun. Die Einführung in diese überaus aufwühlende Geschichte geschieht schnell und unmissverständlich, denn die Kamera orientiert sich an trostlosen Fixpunkten und gescheiterten Existenzen, was sich nicht nur auf das Leben und die Örtlichkeit bezieht, sondern auch auf viele der vorgestellten Charaktere, von denen sich ein Rudel noch zu wahren Höhlenmenschen entwickeln wird. Ein Mädchen wird auf dem Nachhauseweg belästigt und tritt ohne es zu wollen eine Kettenreaktion in Gang, deren Eigendynamik negativste Ausmaße annehmen wird. Schaut man auf den Stein des Anstoßes, so kommen einem die drastischen Mittel der Wahl in keinster Weise gerechtfertigt vor, da die Tat an sich hochgradig durch die aufflammende Brutalität und den blanken Sadismus bei der Vorgehensweise relativiert, dem Empfinden nach sogar aufgehoben wird. Für die in Superba herumlungernden Männer ist das aufgelöste Mädchen offensichtlich die willkommene Abwechslung, die dem untätigen Dasein eine Absolution erteilen könnte, sodass ein Untersuchungsausschuss formiert wird, in welchem sie sich obendrein selbst zu Richtern ernennen.

Die aggressive Vorgehensweise der Männer zeigt weiterhin auf, dass sie zu allem bereit zu sein scheinen und sich am Ende als Henker nützlich machen könnten. Die brodelnde Gefahr der Geschichte baut sich unter anderem aus der Tatsache auf, dass der eigentliche Auslöser für diese Formierung absolut in den Hintergrund rückt, damit die Herren, die sonst nicht wichtig sind, sich aber nun wichtig fühlen dürfen, unabdingbar und hierarchisch Überlegen sein können – zumindest temporär. Grobschlächtige sowie einseitige Verhöre und ein überaus hartes Angehen der beinahe ausschließlich unschuldigen Opfer dieser sinnlosen Lynchjustiz zeichnen in ihrer Bündelung eine Abwärtsspirale, die erschreckend wirkt. Der anvisierte Täter ist schnell gefunden und vorverurteilt, da er schuldig sein muss, denn immerhin handelt es sich um einen Fremden, der obendrein Puerto Ricaner ist. Er und seine Familie wird daher behandelt wie der letzte Dreck, rassistisch beleidigt und gedemütigt, was der Angelegenheit zusätzlich eine Brisanz verleiht, die in schmerzlich verpackten Untertönen gipfelt. Themen wie die Spiegelung der eigenen Unzulänglichkeiten, die Wut gegen alles Fremde und Andersartige, Umkehrreaktionen der Autoaggression und ein offensichtlich mangelnder Bildungshintergrund werden das widerliche Gebräu, dass die selbsternannten Richter einer ganzen Gemeinschaft und dem Publikum einflößen. Die handwerkliche Bearbeitung durch Regisseur Gräwert ist hierbei ausgezeichnet und es entsteht eine beinahe unerträgliche Spannung, die sich trotz aller Vorhersehbarkeit und deutlicher Hinweise etablieren kann, da man es mit plumper Unberechenbarkeit zu tun bekommt. Die passenden Gesichter dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit im Namen der vermeintlichen Gerechtigkeit liefern verdiente Interpreten wie vor allem Friedrich Georg Beckhaus, Benno Hoffmann oder Peter Kuiper, die sich in selbstgefälligen Sphären selbst übertreffen.

Suggestivfragen, Nötigungen, Drohgebärden und Tätlichkeiten dominieren die Vorgehensweise dieser barbarischen Clique immer nachdrücklicher, außerdem packen sie das mittlerweile erschöpfte Opfer immer härter an und muten ihr eine unappetitliche Zirkusvorstellung zu. Nicht nur bei vielen Bewohnern der Wohnwagenstadt, sondern auch beim Publikum macht sich schließlich Fassungslosigkeit, Ekel und Entsetzen breit, da eine Mücke zu einem Elefanten aufgeblasen wird. Diese primitivste Art der Gruppendynamik erfährt allerdings auch zahlreiche Gegenentwürfe, die jedoch durch Einschüchterung und Angst lange zum Schweigen gebracht werden. Hier zu nennen sind vor allem Werner Schumacher, Otto Mächtlinger, Peter Bollag und Ruth Maria Kubitschek, der damaligen Ehefrau von Günter Gräwert. Lediglich Susanne Beck als junges Opfer wirkt in ihrer nicht abebben wollenden Hysterie strapaziös, wenngleich sie so als wandelnder und stets wimmernder Grund für die Schuldfrage präsent gehalten wird. Insgesamt gesehen ist "Tragödie in einer Wohnwagenstadt" überraschend intensiv in er Umsetzung ausgefallen und schafft es sogar beängstigend authentische Züge anzunehmen. Gräwert gelingt dabei zusätzlich das Kunststück, seinen Fernsehfilm nicht nur publikumswirksam, sondern auch kritisch und fordernd auszustatten. Der nie geäußerte Einwurf, dass auch wesentlich mehr mit Dotty Fisher hätte passieren können, wird in unangenehmer Art und Weise zur hauptsächlichen Rechtfertigung der selbsternannten Richter, sodass man sich umgehend von ihnen zu distanzieren versucht, da ihre Willkür selbstgefällig und unterm Strich nur noch abscheulich wirkt. So ist dieser nachdenklich stimmende Film als Appell an ein gesundes Gerechtigkeitsempfinden und Plädoyer für eine liberale Auffassung vom Zusammenleben und dem Umgang mit anderen sehr gut gelungen, und sticht in der Landschaft deutscher Fernsehproduktionen als unerwartete Sternstunde heraus.

Peter Offline




Beiträge: 2.886

24.08.2021 09:50
#2 RE: Tragödie in einer Wohnwagenstadt (1967) Zitat · Antworten

Für mich seinerzeit ein superstarker Einstieg in eine Reginald-Rose-Werkschau, die ich jedem nur sehr ans Herz legen kann, der gleichermaßen an hochspannenden wie gesellschaftskritischen Stücken interessierten ist.
Berühmt geworden ist Rose mit den hinlänglich bekannten und mehrfach hervorragend verfilmten "Die zwölf Geschworenen".
Darüber hinaus zu nennen sind die teils weniger bekannten aber allesamt in den 60er Jahren für das deutsche Fernsehen verfilmten "Der Fall Sacco und Vanzetti", "Straße der Gerechten", "Entscheidung", "Die Feuertreppe" oder "Das Kartenspiel".

In TRAGÖDIE IN EINER WOHNWAGENSTADT nutzt Gräwert die starke Vorlage, um die böse Geschichte gegen alles Schaudern und Kopfschütteln in die unausweichlichen Bahnen zu bringen.
Als Zuschauer würde man, wie desöfteren bei Reginald Rose, hin und wieder allzu gern in die Szene springen und einschreiten. Aber nicht, weil der Autor Fehler macht, sondern weil die Menschen es tun, genau wie im richtigen Leben. Ich denke, dass man einem Autor gesellschaftskritischer Stücke kaum ein größeres Kompliment machen kann. Seine Menschenkenntnis ist geradezu schmerzlich tief.

Fritze Beckhaus hätte ich sehr gern viel öfter in großen Rollen gesehen, er hat mir selbst in kleinsten Nebenrollen immer sehr gut gefallen.
Hier ist er in einer für ihn absolut perfekten Rolle als radikaler Eiferer zu sehen, der in seiner nur-in-schwarz-weiss-denkenden Figur eindrucksvoll den schmalen Grat bzw. kurzen Weg vom Gerechtigkeitsfanatiker zum Lynchmob-Aufrührer demonstriert.

Überhaupt zeigt sich hier eindrucksvoll und leider allzu realistisch, wie schnell sich Menschen zum Staatsanwalt, Richter und Henker ernennen, um sich über andere zu erheben.
Nicht nur der vermeintliche Täter selbst, auch diplomatische, differenzierende und demokratische Kräfte werden schnell zu Menschen zweiter Klasse bis hin zu ‚Staatsfeinden‘ degradiert.
Und wie gewohnt finden die lautsprecherischen Möchtegerns in ihrem Gerechtigkeits-Amoklauf schnell Zulauf, gerade unter den Zukurzgekommenen und Gelangweilten.
Ein Anhang des Grauens sozusagen, der sich auch mal den Anschein von Wichtigkeit gönnen will.
Die Geschichte der Menschheit kennt und demonstriert diese Mechanismen nur allzu genau.

Auch ohne Riesen-Stars sind die Rollen in diesem damaligen TV-Highlight sehr gut und interessant genug besetzt, um total gegensätzliche Charakter-Typen wie Schumacher, Schiff und Kuiper in Stellung zu bringen. Und wenn´s mit Aufmarsch und Fackeln zur Sache geht, ist auch Benno Hoffmanns Kantschädel nicht weit.....

Kleine Randnotiz, nicht als Kritik zu verstehen: zum Glück sehen wir hier ein allgemeingültiges Modell, denn so ganz habe ich manchen von unseren geliebten deutschen Darstellern trotz Cowboy-Hüten die echten Hillbilly-Amerikaner nicht abgenommen…

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