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 Film- und Fernsehklassiker national
Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

05.04.2020 10:30
Stadt ohne Mitleid (1960/61) Zitat · Antworten

Dieser Klassiker war ohnehin schon lange hier im Forum fällig. Einen traurigen aktuellen Anlass, ihn sich anzusehen, bietet der Tod von Hauptdarstellerin Barbara Rütting:



Stadt ohne Mitleid (Town Without Pity)

Kriminaldrama, USA / BRD / CH 1960/61. Regie: Gottfried Reinhardt. Drehbuch: Georg Hurdalek, Silvia Reinhardt, Jan Lustig (Romanvorlage „Das Urteil“, 1960: Manfred Gregor). Mit: Kirk Douglas (Major Steve Garrett), Barbara Rütting (Inge Körner), Christine Kaufmann (Karin Steinhof), E.G. Marshall (Colonel Jerome Pakenham), Hans Nielsen (Karl Steinhof), Karin Hardt (Frau Steinhof), Gerhart Lippert (Frank Borgmann), Ingrid van Bergen (Trude), Robert Blake (Corporal Jim Larkin), Richard Jaeckel (Corporal Birdwell „Birdie“ Scott) u.a. Uraufführung (BRD): 24. März 1961. Uraufführung (USA): 10. Oktober 1961. Eine Produktion von The Mirisch Corporation, Gloria-Film Berlin und Osweg-Film.

Zitat von Stadt ohne Mitleid
Eine Gruppe von vier GIs fällt in einem Waldstück nahe einer bayerischen Stadt über die 16-jährige Karin Steinhof her und vergewaltigt sie. Obwohl ihr Freund Frank Borgmann anwesend ist, kann er das Verbrechen der vier starken Männer nicht verhindern. Karins strenger Vater besteht nach dem Vorfall auf einem öffentlichen Großprozess gegen die Vergewaltiger. Dort stehen seiner Meinung nach unmenschliche Bestien auf der Anklagebank, die die Todesstrafe des Militärgerichts verdient haben; doch ihr Verteidiger ist fest entschlossen, die Männer vor der Höchststrafe zu bewahren. Koste es, was es wolle ...


Ours is not an easy age. We’re like tigers in a cage.

Das in „Stadt ohne Mitleid“ angesprochene Thema, die Vergewaltigung einer Minderjährigen durch amerikanische Soldaten, war für das Publikum und die Kritiker des Jahres 1961 gleich auf doppelte Weise heikel. Einerseits wurde sexueller Missbrauch zu jener Zeit kaum öffentlich thematisiert und sicherte dem Gottfried-Reinhardt-Film allein schon durch sein Vorkommen und die dramatische Zuspitzung einen gewissen Skandal-Effekt; andererseits stehen mit den GIs vier Repräsentanten der eigentlich als Schutzmacht stationierten Alliierten vor Gericht. Man erkennt schon an diesen zwei Problematiken, dass es in „Stadt ohne Mitleid“ schmutzig zugeht – nicht offenherzig oder geschmacklos, aber schonungslos und mit spannenden charakterlichen Untiefen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Gerichtskrimis, die mit Mord zwar ebenfalls ein schweres und die Sensationslust beförderndes Delikt thematisieren, zwingt der hier vorgetragene Anlass geradezu zu einer Positionsnahme und zum erschütterten Verfolgen der Vorgänge. Die persönliche Distanz fehlt, die unmittelbar Geschädigte ist anwesend und muss durch den Prozess den beschämenden Vorgang vor dem inneren Auge noch einmal durchleben.

Dabei deutet der Titel bereits darauf hin, dass es dem Reinhardt-Streifen nicht lediglich um Spekulatives und Kolportage-Elemente geht. Vor allem fallen im Laufe der vorgerichtlichen Klärungen und der Hauptverhandlung die Masken anderer Militärs und Stadtbürger, die mitleidlos ihre konträren Standpunkte verteidigen. Manche agieren aus Eigensinn heraus, manche aus beruflicher Pflicht – in beiden Fällen wirft ihr Verhalten kein schmeichelhaftes Licht auf die Beteiligten. Der Vater des Opfers, ein strenger Prinzipienreiter, will unter allen Umständen Sühne geübt sehen und ist dafür bereit, seine Tochter durch die Hölle zu schicken. Die Mutter des Freundes sorgt sich um die Ausbildung und den Ruf ihres Goldjungen, der sich mit einem zunehmend öffentlich verunglimpften Mädchen eingelassen hat. Ein leichtes Mädchen schaut mit Verachtung auf die „feine Dame“, die vor Gericht wegen ein paar unsittlicher Berührungen so viel Aufhebens macht. Unzählige Einwohner, verbittert und unzufrieden, lassen ihre Bosheit an der ebenso schönen wie fragilen Karin Steinhof aus – wohlwissend, dass anonyme Briefe und öffentliche Verleumdungen ihr wie Pfeile in die Brust treffen. Die wohl zwiespältigste Rolle spielt allerdings der Anwalt der Angeklagten, der (begleitet von viel Pflichtbewusstsein und einigen leisen Momenten des Selbstmitleids) jede Grenze des Anstands zu überschreiten bereit ist, um seinen Mandanten das Schlimmste zu ersparen.

Es ist Kirk Douglas, der diese Rolle übernimmt. Obwohl er restlos überzeugend spielt, ist sein Auftritt in „Stadt ohne Mitleid“ in seiner Karriere heute von absolut untergeordneter Bedeutung – wohl weil der Part absichtlich darauf ausgelegt ist, Zuschauer abzustoßen und zu befremden, sodass er damals wie heute nicht als Aushängeschild für einen Hollywood-Star taugt. Douglas gelingt es, den Zwiespalt seiner Rolle deutlich zu machen. So gibt ihm das Drehbuch mehrfach die Gelegenheit, eindringlich vor den Konsequenzen eines mit aller Härte fortgeführten Prozesses zu warnen. Im Bohei der allgemeinen Aufregung und Vergeltungsforderungen verhallen seine Kassandrarufe allerdings ungehört – letztlich zum Leidwesen der jungen Karin Steinhof, in deren Rolle „Püppchen“ Christine Kaufmann eine zweifellose Idealbesetzung ist. Das ist nicht nur ihrem Aussehen, sondern auch ihren bereits hinlänglich ausgereiften darstellerischen Fähigkeiten zu verdanken, die sie die Herausforderungen einer so labilen Figur meistern lassen. Von den Randfiguren werden weniger vielschichtige Darstellungen gefordert – alle Akteure liefern jedoch präzise Leistungen, wovon vor allem Hans Nielsen, Ingrid van Bergen und der auf seine Weise tragische Robert Blake erwähnt werden sollten.

Die Mischung aus deutschen und amerikanischen Stars verleiht dem Film ein einzigartiges Timbre, das ihn auch aufgrund der Sprachenmixe in beiden Fassungen sehenswert macht. Die transkontinentale Kooperation verbindet hier des Weiteren typische Stärken der einzelnen Filmländer auf ungewöhnliche Weise (z.B. die deutsche Offenlegung von Kleinbürgerlichkeit, Scham und Wut in Kombination mit der amerikanischen Fähigkeit, formell bestechende Gerichtsdramen aufzuziehen). Ein wenig aus dem Raster fällt dabei lediglich die Rolle von Barbara Rütting, die als feinfühlige Reporterin als einzige Handlungsträgerin nicht vom Strudel der Ereignisse mitgerissen wird, sondern sich ihre Beobachterposition bewahrt. Obwohl sie deshalb etwas abseits der Ereignisse steht und auch nicht die meisten Szenen erhielt, ist sie für das Filmgelingen immens wichtig, weil sie in einer „Stadt ohne Mitleid“ die einzige Person mit Vernunft und Gewissen zu sein scheint – eine Rolle, die Rüttings Persönlichkeit vermutlich nicht allzu fern lag. Das lässt den Zuschauer trotz der tragischen Finalszenen doch zumindest noch ein wenig hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.

Reinhardts Film erfüllt auch formell hohe Ansprüche. Sich glücklicherweise nicht auf die bereits damals durchschlagende amerikanische Unsitte epischer Laufzeiten einlassend, ist „Stadt ohne Mitleid“ absolut stringent erzählt, dauerhaft spannend und weist eine sachliche, aber attraktive Kameraarbeit von Kurt Hasse auf, die neben den Gefühlen der Akteure auch die engen Fachwerkhäuser und den provisorischen Turnhallen-Gerichtssaal atmosphärisch angemessen würdigt. Als besonders einprägsam erweist sich auch die musikalische Untermalung, für die Dimitri Tiomkin mit „Town Without Pity“ einen Charthit schrieb, der in den USA die Bekanntheit des eigentlichen Films offenbar überschreitet. In verschiedensten Variationen kommt das zugleich melancholische und treibende Musikstück dann immer wieder zum Einsatz und bildet mit seinen Mollakkorden und seinem passenden Songtext einen stilvollen Rahmen für ein Kriminaldrama der Extraklasse.

„No it isn’t very pretty what a town without pity can do.“ Nach einem abscheulichen Vergewaltigungsverbrechen erscheint „Stadt ohne Mitleid“ auf den ersten Blick wie ein geradliniger Gerichtsthriller, beschäftigt sich aber in erster Linie mit den düsteren Einstellungen der Akteure und Zaungäste und mit der Frage, ob der gezeigte Prozess für Gerechtigkeit oder eher für das genaue Gegenteil gesorgt hat. Der Zuschauer wird, zerrieben zwischen Karin „Kaufmann“ Steinhof und Steve „Douglas“ Garrett, auf eine emotionale Probe gestellt. 5 von 5 Punkten.

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