Die letzten noch im untergehenden Nazi-Regime realisierten (und in den besten Fällen von den Propagandisten nicht mehr kontrollierten) Spielfilme - sowie die Kinostreifen der unmittelbaren Nachkriegszeit: unter dem Begriff 'Trümmerfilm' berühmt gewordene, aus produktionstechnischer Not, unter schwierigsten versorgungstechnischen Umständen - aber mit großem improvisatorischen Geschick entstanden; befreit von der verbrecherischen Ideologie, dafür unter Aufsicht der Besatzung, naturgemäß in Ost und West höchst unterschiedlich interpretiert; jedoch erstmals seit dem Ende der Weimarer Zeit wieder mit so etwas wie künstlerischer Freiheit. Sehr beeinflusst von den Traumata des Krieges, zum Teil im Eindruck der eigenen, verdrängten Schuld entstanden; der Grundstock einer neuen deutschen Filmproduktion, die in den 50er Jahren wieder zur Blüte fand; künstlerisch nur teilweise, beim Publikum, das Ablenkung und Neuanfang suchte, in vollem Umfang. So schwierig der Anfang war, so interessant sind die Ergebnisse, die in der Rückschau eine der nachdenklichsten und beeindruckendsten Phasen deutscher Filmproduktion darstellen. Ob Drama, Krimi, Satire oder Melodram; ob den Krieg ausblendend, irgendwo in der Provinz und in friedlicher Welt angesiedelt; ob mit Themen wie 'Stunde Null', 'Wiederaufbau', 'Währungsreform', - oder in der Rückschau beschäftigt mit die Entstehung rassistischer Ideologien - oder mit dem Wagnis vorsichtiger Näherungen an das Jahrhundertverbrechen 'Holocaust' - der Nachkriegsfilm setzte, wenn auch zum Teil noch unbeholfen, alle späteren Diskussionen und Erkenntnisse in Gang.
Hier meine persönlichen Top-20:
- Unter den Brücken (Käutner 1945) - Der stumme Gast (Braun 1945) - Die Mörder sind unter uns (Staudte 1946) - Irgendwo in Berlin (Lamprecht 1946) - In jenen Tagen (Käutner 1947) - Ehe im Schatten (Maetzig 1947) - Film ohne Titel (Jugert 1947) - Zwischen gestern und morgen (Braun 1947) - Wozzeck (Klaren 1947) - Affäre Blum (Engel 1948) - Berliner Ballade (Stemmle 1948) - Morituri (York 1948) - Der Apfel ist ab (Käutner 1948) - Lang ist der Weg (Fredersdorf 1948) - Rotation (Staudte 1949) - Liebe 47 (Liebeneiner 1949) - Nachtwache (Braun 1949) - Die letzte Nacht (York 1949) - Mordprozeß Dr. Jordan (Engels 1949) - Der Ruf (von Báky 1949)
Literaturhinweise: Christa Bandmann / Joe Hembus: Klassiker des Deutschen Tonfilms 1930 - 1960. Goldmann Verlag, München, 1980. Robert R. Shandley: Trümmerfilme. Das deutsche Kino der Nachkriegszeit. Parthas Verlag, Berlin, 2010. Peter Cornelsen: Helmut Käutner. Seine Filme - sein Leben. Heyne Filmbibliothek, München, 1980. Wolfgang Jacobsen / Hans Helmut Prinzler (Hg.): Käutner. Edition Filme 8. Wissenschaftsverlag Spiess, Berlin, 1992. Käutner, Helmut: Claudia Mehlinger (Hg.): Film-Konzepte 11: Helmut Käutner. edition text+kritik, München, 2008. Rolf Aurich / Wolfgang Jacobsen (Hg.): Harald Braun. Literatur, Film, Glaube. edition text+kritik, München, 2014. Egon Netenjakob u.a.: Staudte. Edition Filme 6. Wissenschaftsverlag Spiess, Berlin, 1991. Malte Ludin: Wolfgang Staudte. Rowohlt Verlag, Hamburg, 1996. Artur Brauner und die CCC: Filmgeschäft, Produktionsalltag, Studiogeschichte 1946-1990: Ausstellung / Filme, Berlin 1990. Frank Blum: Artur Brauner, Filmproduzent: Leben und Werk. Verlag Blum, Berlin, 2010. Hans Helmut Prinzler: Chronik des Deutschen Films 1895 - 1994. Metzler / Poeschel, Stuttgart, 1995. Wolfgang Jacobsen / Anton Kaes / Hans Helmut Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films. Verlag Metzler, Stuttgart, 1993. Erich Engel: Schriften über Theater und Film. Henschel Verlag, Berlin, 1971. Thomas Koebner (Hg.): Idole des deutschen Films. Verlag edition text + kritik, München, 1997. - (Mit u.a. folgenden Aufsätzen: -- Uli Jung: "Otto Normalverbraucher nach dem Krieg" -- Gerhard Bliersbach: "Geborgte Identitäten im westdeutschen Nachkriegsfilm" -- Johannes von Moltke: "Trümmer-Diva. Hildegard Knef")
Kriminalfilm, Deutschland 1948. Regie: Johannes Meyer. Drehbuch: Edith Hamann, Eberhard Keindorff (Idee: Helmuth Schönnenbeck). Kamera: Georg Bruckbauer. Musik: Hans-Martin Majewski. Länge: 97 Min. Mit: Heinz Engelmann (Klaus Kröger, Steuermann) - Wolfgang Lukschy (Bruno Kalpak) - Helmuth Rudolph (Polizeiinspektor Ostendorff) - Heidi Kürschner (Mary-Ann) - Walter Franck (Löllgen, Spediteur) - Carl Voscherau (Brinkmann) - Hubert von Meyerinck (Baron) - Josef Dahmen (Jensen) - Hilla Höfer (Frau Garfs, genannt "Bulli") - S. O. Schoening (Herr Garfs) - Hans Richter (Ostendorffs Assistent) - Horst Beck (Assistent Franke) - Hans Kettler (Maraun) - Konrad Mayerhoff (Petrowitsch) u.a. Uraufführung: 17. Dezember 1948 in Göttingen. Eine Produktion der Ondia-Film GmbH (Berlin). Ateliers: Hamburg-Volksdorf und Hamburg-Ohlstedt; Hamburger Hafen (Außenaufnahmen).
Zitat von Blockierte Signale1947. Hamburg. Hafen. Die Grundlagen des Wirtschaftswunders werden auch hier geschaffen. Die Mitglieder eines erfolgreichen Logistikunternehmens haben regelmäßig Partys zu feieren. Doch näheres Hinsehen enttarnt tiefes Dunkel. Der Prokurist wird eines Morgens ermordet aufgefunden, bei den Ermittlungen entsteht schnell der Verdacht illegaler Geschäfte. Offenbar hat sich eine berüchtigte Schieberbande einen legalen Brückenkopf zugelegt. Der junge Seemann Kröger, eher zufällig in den Mord verstrickt, und der routinierte Inspektor Ostendorff habe alle Hände voll zu tun, den Mörder zu suchen und gleichzeitig die sprunghaft wachsenden Schmuggel- und Raubzüge der Bande zu unterbinden. Der Vorsprung der gut organsierten Verbrecher scheint aber zu wachsen, ein kompletter Güterzug gerät ins Visier...
Der erste westdeutsche Kriminalfilm nach 1945 konnte aus dem NDR-Archiv vor dem Verfall 'gerettet' werden. Aus gutem Grund: Auch mit viel zeitlichem Abstand fällt es leicht, Filme aus dieser Zeit zu mögen. Sie haben einen ganz eigenen Chararakter und bieten viele interessante Kleinigkeiten. Abgesehen davon, dass sie uns im weiterhin vorhandenen Wohlstand demütig machen gegenüber Zeiten, die noch um einiges schwieriger gewesen sind als die jetzigen, wenngleich uns diese außergewöhnlich genug erscheinen. Um den Jammer der schweren Jahre nach der 'Stunde Null' geht aber keinseswegs, denn hier stehen einige Nachkriegsgewinnler im Mittelpunkt. Dass sich die Geschichte irgendwo im Mittelteil auch mal ein ganz schönes Stück weit zieht, stört nicht allzu sehr. Denn die kriminellen Unternehmer sind natürlich schon als Gruppe höchst unterhaltsam. Sie vermitteln schon wieder eine beachtliche Dekadenz, dafür dass ihre Tätigkeiten gerade erst dem Krieg und dem Schiebermilieu Hamburgs entwachsen sind. An Wohlstand gewöhnt man sich eben allzu schnell.... Natürlich kann in keiner Weise Gold sein, was schon wieder schimmert oder gar zu glänzen scheint. Der Rest Trümmerfilm ist geradezu sprichwörtlich vorhanden. Hinter der frischen Fassaden gähnt als Bombenschaden noch die ungesicherte Tiefe. In die Handlung ist dies als praktischer Fluchtweg eingebaut. Aber auch in die Psychologie.... Die Schäden hinter den mühselig aufpolierten Fassaden: das war damals genauso eine städtebauliche Realität wie eine Charakterisierung der von traumatischen Erlebnissen (und/oder Schuld) geprägten Menschen. Schweigen als Zeichen des Bewusstseins hat deshalb in manchen Dialogen große Bedeutung.
Für die gleichermaßen realistische wie symbolische Bildsprache schon lohnt sich der Film, für die solide Krimihandlung natürlich auch, und sicherlich nicht zuletzt für die Schauspieler, die man später häufig anders kennenlernte als in der unmittelbaren Nachkriegsrealität der Trümmerfilme. Wer hätte schon gedacht, Wolfgang Lukschy, der hier als Manager fragwürdigster Unternehmungen schon ein wenig für seine Versicherungsgeschäfte in den "toten Augen" üben durfte, mal gemeinsam mit Hubert von Meyerinck als verschworene Mitglieder einer Gangsterbande zu sehen. Meyerinck wiederum scheint in einer Partyszene mit einer vom Suff animierten Gay-Show schon einmal für seinen "Sir Arthur" zu trainieren. Aber: ansonsten agiert Meyerinck hier wirklich ganz angemessen. Er outriert sein Gehabe nur beim Feiern, nicht aber bei seiner nüchternen Schmugglerarbeit und setzt sich als Charakter ganz gut von den anderen ab. Eines von vielen netten Details: Meyerincks Party-Solo gewinnt dem Kollegen Lukschy nur ein demonstratives Gähnen ab. Der junge zupackende Heinz Engelmann, der unfreiwillig zum Spielball der Hauptakteure wird, erscheint hier gegen alle Widerstände willensstark und dynamisch. Und auch schon als Seemann. In späteren Auftritten kennt man ihn schließlich als stämmigen abgeklärten Kapitän (man denke an Mr. Brown aus dem "Gasthaus an der Themse") - oder als eher gesetzten, routinierten "Stahlnetz"-Ermittler. Um bei den Edgar-Wallace-Beispielen zu bleiben: Am Ende darf man sich sogar ein ganz klein wenig an "Zimmer 13" erinnert fühlen. Wir erleben einen generalstabsmäßigen Zugüberfall, während auf der parallelen Handlungsschiene immer noch ein Mörder gesucht wird. Gut, damit sind die Parallelen zwischen den Filmen erschöpft. Aber dennoch reizt die Frage: haben sich da Reinl, Wendlandt und ihre Autoren nach der freizügigen Entfernung des "Zimmer 13"-Skripts vom Original-Roman eventuell sogar ein wenig vom deutschen Nachkriegsfilm inspirieren lassen?
Ob es am Ende der Whodunit mit dem überraschendsten Ausgang ist, darf jeder selbst für sich entscheiden. Allemal ein unterhaltsamer Film mit guten Darstellern in ihren jungen Jahren. Und mit lebendigen Dialogen, die im Rahmen der schwierigen Trümmerzeit der Hansestadt eine recht natürliche Atmosphäre ausstrahlen. Lokal- und Zeitkolorit sind für historisch Interessierte allein schon die Sichtung wert. 4 von 5 Punkten.