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 Romane
Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 645

21.09.2019 09:37
Die Frauen in Wallace' Kriminalromanen Zitat · Antworten

Die Frauen in der Wallace-Welt

Oft begegnet man der Meinung, dass das schöne Geschlecht in Wallace‘ Romanen nur eine Funktion hat: eine reiche Erbschaft zu machen, von allerlei finsteren Bösewichten bedroht zu werden, um Hilfe zu schreien und – vor allem – sich vom Helden der Geschichte, meist einem Scotland-Yard-Inspektor, retten zu lassen. Genährt wird dieses Urteil gerade in Deutschland von den Verfilmungen der 60’er Jahre, die tatsächlich zu einem großen Teil aus Szenen zu bestehen scheinen, in denen recht attraktive Darstellerinnen lautstark mit angstverzerrtem Gesicht „Hilfe !“ rufen (oder vielleicht „Hefe !“, wie es Otto Waalkes ironischerweise mal vermutet hat). Gottseidank war dann meistens Blacky Fuchsberger oder halt ein anderer, nicht ganz so smarter Bursche am Werke, der die bedrängte Schönheit aus den Fängen des irren Klaus Kinski oder eines nicht minder üblen Schurken befreite und am Ende heiraten durfte.
Wie ist aber die Rolle der Frauen in den Romanvorlagen? Entspricht sie wirklich nur dem Klischee?
Sicher kann man behaupten, dass zumindest teilweise das Vorurteil wirklich stimmt. Aber es gibt auch noch andere Seiten.


Die Heldin

Fast immer spielt in Wallace-Krimis eine Frau eine tragende Hauptrolle auf Seiten der sympathischen Gestalten. Die einzige mir bekannte Ausnahme ist der Erstlings-Roman Die vier Gerechten, der auch überhaupt keine Liebesgeschichte hat. Daneben gibt es auch noch Kurzgeschichten, etwa einige vom Hexer, die ohne Frauenrolle daherkommen, doch auch hier kommt die Handlung oft nicht ganz ohne Herzschmerz aus, denn hübsche junge Frauen und Liebe können bei Wallace keine getrennten Wege gehen. Und hübsche junge Frauen sind die Heldinnen seiner Romane ausnahmslos. Daneben sind sie samt und sonders so rein und unverdorben wie der Morgentau auf einer Blumenwiese. Nie würden sie einen verbrecherischen Gedanken hegen, und ihre geschlechtliche Moral steht vollkommen außer Frage. Sie sind fast ausschließlich Wesen, die sich nur für den „Einen“ aufsparen, die heiraten und den Rest ihres Lebens treusorgende Ehefrauen sein wollen. Daneben tun sie aber recht häufig etwas, was zur damaligen Zeit nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit und wohl gerade auch in Mode gekommen war: sie arbeiten. Nie sind es jedoch Arbeiterinnen in einer Fabrik oder dergleichen, dagegen begegnet man oft Sekretärinnen, Gesellschafterinnen oder Büroangestellten, auch mal einer Bibliothekarin oder sogar einer Farmerin.
Sie führen ein bis dahin von Männern recht unabhängiges Leben, gehen gerne ins Theater oder ins Kino oder hören Radio, fahren gar Auto. Manchmal lassen sie sich auch von Verehrern zum Essen ausführen und verwehren auch einen Tanz in Ehren nicht. Ab und zu werden sie auch ganz real von Geldsorgen geplagt.
Zu seinen Heldinnen hat Wallace eine ganz besondere Beziehung. Sie sind sehr oft die einzigen Figuren seiner Romane, über deren Gedanken und Gefühle er genauere Auskunft gibt, die dem Leser somit auch mehr als andere Personen ans Herz wachsen. Dieses Privileg haben sonst nur noch die klassischen männlichen Helden seiner Geschichten, also im Großen und Ganzen der noch recht junge Ermittlungsbeamte, der eindeutig auf Seiten der „Guten“ steht und ein potenzieller Heiratskandidat für die Heldin ist. Doch über die Gedankenwelt der jungen Dame schreibt Wallace oft überraschend einfühlsam und detailliert, während männliche Helden eher zweidimensionaler abgehandelt werden. Gar nicht zu reden von den restlichen Figuren, die oft nur aus Äußerlichkeiten und ihren Handlungen bestehen. Das ist allerdings auch eine Folge der Kriminalerzählung an sich, die die Gedankenwelt aller Personen notwendigerweise nicht preisgeben kann, ohne dass sich der Schurke des Stückes schon vor der Auflösung am Schluss verrät. Nur die Hauptheldin (und der Hauptheld) sind von vornherein über jeden Verdacht erhaben und können somit wenigstens ein bisschen über ihr Seelenleben preisgeben.

Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen. Männliche Helden in zwielichtigem Gewand sind in Wallace‘ Gesamtwerk nicht gerade selten (sie tarnen sich gerne als Trinker, Snob oder gar als Ganove), doch auch Frauen haben manchmal einen zweifelhaften Hintergrund. Da gibt es die diebische „Quadrat-Jane“ in Die Abenteurerin, die nicht minder diebische Barbara May in Der Dieb in der Nacht und, als richtig gutes Beispiel, die schöne Thalia Drummond im Roten Kreis. Auch sie ist vorgeblich eine „Diebin und Kumpanin von Dieben“, wie es ein Polizeiinspektor formuliert. Immer tiefer wird sie in die Machenschaften eines Erpresserringes gezogen, bis sie schließlich gar unter Mordverdacht gerät und sogar beschuldigt wird, die Führerin der Organisation zu sein. Unzweifelhaft ist sie auch eine Einbrecherin und Gefängnisausbrecherin, daneben eine attraktive Frau, die in (natürlich bösen) Männern allerlei Begehrlichkeiten weckt und skrupellos als weiblicher Lockvogel eingesetzt wird. Trotz allem will der Leser nicht recht an ihre restlose Schlechtigkeit glauben, und er wird da glücklicherweise auch nicht enttäuscht. So bekommt sie zum Schluss sogar noch einen recht farblosen und langweiligen Millionenerben (wo sie schon nicht selbst die Millionenerbin ist) und gibt für ihre Hochzeit ihre ganze Selbständigkeit auf, als Ehefrau arbeitet man schließlich nicht. Das ist halt etwas, was sich Wallace nie vorstellen konnte, eine Frau, die gleichberechtigt eine Tätigkeit mit ihrem Mann aufnimmt und trotzdem für Ehe und Familie da ist. Na gut, ist bei einem reichen Millionär auch nicht nötig.
In dem Roman Der viereckige Smaragd ist die junge Heldin Leslie Maugham gar von vornherein als Beamtin von Scotland Yard eingeführt. Sie übernimmt sozusagen den sonst männlichen Part und hilft dem verzweifelten Peter Dawlish (kein „jungfräulicher“ Held, sondern ein Mann mit Vorleben). Sie ist eine erstaunlich selbstbewusste Frau, vielleicht ihrem Schöpfer ein wenig unheimlich, denn zum Ende hin muss sie wieder auf ganz klassische Art vom männlichen Helden vor einem grausamen Schicksal gerettet werden.

Der Großteil der Wallace-Heldinnen sind aber eben die typischen ehrlichen Mädchen, auch mit kleinen Fehlern, aber sehr sympathisch. Tatsächlich gibt es auch junge Damen, die einen starken männlichen Beschützerarm brauchen, aber auch solche, die selber tatkräftig zur Sache gehen. Meistens werden sie ohne ihr Wissen in die Machenschaften von Verbrechern gezogen, sehr oft sind sie unbewusst Erbinnen eines großen Vermögens. Dieses Motiv hat der Autor offenbar besonders geliebt. Dabei würde die Handlung wohl auch ohne dieses Element funktionieren, es ist nur noch eine zusätzliche Draufgabe und muss damals in den Zwanzigern auf das Lesepublikum einen großen Reiz ausgeübt haben. Die Träume der kleinen Leute halt…
Das Motiv der Millionenerbin findet sich in vielen bekannten und weniger bekannten Werken des Autors: In der Bande des Schreckens wird der Sekretärin Nora Sanders ein nicht ganz koscheres Testament untergeschoben. Sie ist ein Fräulein, das wirklich oft von ihrem tapferen Inspektor Long gerettet werden muss. Wesentlich beherzter geht da Diana Ward in den Toten Augen von London vor. Auch sie erbt eine Menge Geld von einem verschollen geglaubten Vater, welches sich die Bösewichte der Geschichte unter den Nagel reißen wollen. Die Damen mit geheimen Vermögen sind Legion – Leila Smith im Gasthaus an der Themse, Sybil Lansdown in der Tür mit den sieben Schlössern, Mirabelle Leicester in den Drei Gerechten … Die Aufzählung könnte wohl endlos weitergehen. Alle diese jungen Frauen wollen von den Finstermännern der Geschichte wegen ihrer Moneten geheiratet werden. Eine Abwandlung des Themas ist die fingierte Hochzeit mit einem Millionär zum Zwecke der Erschleichung seines Vermögens. Bei dem Roman Die unheimlichen Briefe zieht der skrupellose Boss eines Erpresser-Ringes die Fäden, beim Banknotenfälscher sucht sich selbiger neben seinen Fälschertätigkeiten noch einen lukrativen Nebenverdienst. Mittel zum Zweck sind Frauen, die entweder wissentlich (Dora Coleman in den unheimlichen Briefen) oder unwissentlich (Jane Leigh im Fälscher) für die Pläne der Hintermänner eingespannt werden. Beide machen den Bösewichten jedoch im entscheidenden Moment einen Strich durch die Rechnung.

Doch manchmal werden die jungfräulichen Heldinnen von den Halunken auch nur wegen ihrer Fraulichkeit begehrt. Der schreckliche Frosch mit der Maske legt am Ende des Romans seiner Auserwählten Ella Bennet sein erbeutetes Gold vor die Füße, der Schurke aus Das Geheimnis der Stecknadel tötet auch nur deswegen, um der Dame seines Herzens Geld und Luxus bieten zu können. Natürlich wird das Ansinnen der Verbrecher von den Ladies stets wacker abgelehnt, egal ob die Alternative Tod oder gar Schlimmeres bedeutet. Doch so weit kommt es bei Edgar Wallace nie.
Die Schurken – sie haben immer Hintergedanken. Wallace hat selber gesagt, dass er nie etwas schreiben würde, was sein Gefühl für Anstand verletzen würde. Obwohl er selber dem anderen Geschlecht durchaus zugeneigt war, geht es in seinen Romanen so sittsam wie in einem Kloster zu. Andererseits gibt es durchaus immer wieder auch recht deutliche Anspielungen auf die Gelüste der Bösewichte. Die solcherart bedrängte Schönheit wird, meistens am Ende des Romans, dann auch von ihrem Herzensauserwählten (manchmal auch einer anderen Person) gerettet, so beim Frosch mit der Maske, beim Unheimlichen oder auch bei Mr. Reeder weiß Bescheid. Diana Ward hält sich bei den Toten Augen ein wirklich widerliches menschliches Scheusal mit einem Stromkabel vom Leib, und als bei den Drei Gerechten der Gehilfe des schurkischen Dr. Oberzohn mit Namen Gurther (ein rauschgiftsüchtiger Lustmörder) sich der armen Mirabelle Leicester unsittlich nähern will, wird er gar von einer Giftschlange (!) ins Jenseits befördert.
Daneben sind die Helden der Romane, oft Inspektoren, wirklich in jeder Hinsicht ohne Fehl und Tadel. Tapfer und unbestechlich, würden sie nie eine Frau wegen ihres Geldes heiraten, und wenn sie ihr ganz zum Schluss nach vielen bestandenen Abenteuern einen eher schüchternen Kuss auf die vollen Lippen pressen dürfen, ist für sie schon der Gipfel der Glückseligkeit erreicht.

Was kann man zusammenfassend über die Wallace‘schen Heldinnen sagen? Im Grunde sind sie alle Anfang zwanzig, schön und charakterfest, arbeitsam und manchmal etwas sehr naiv. Sie rutschen alle auf die eine oder andere Art in finstere, verbrecherische , häufig blutige Intrigen, sehnen sich auch oft nach einem starken männlichen Beschützer, lassen sich auch tatsächlich gerne retten. Wenn ihr Beschützer aber mal nicht zur Verfügung steht (und das ist erstaunlich oft der Fall) ergreifen sie auch selbst die Initiative und befreien auch schon ab und zu ihren Liebsten aus der Bredouille. Nein, so hilflos, blöd und ohnmachtsanfällig wie die Ladies der Sherlock-Holmes-Zeit sind sie wirklich nicht mehr! Haben sie dann am Ende aber geheiratet, ist erst mal Schluss mit der Selbständigkeit.


Weibliche Verbrechertypen

Der Großteil der Schurkenrollen im Wallace-Universum ist männlich besetzt. Das muss nicht unbedingt auf eine chauvinistische Grundhaltung des Autors schließen lassen, in der Realität begehen ja auch mehr Männer (schwere) Verbrechen als Frauen. So ganz ohne weibliche Kriminelle kommt der Schriftsteller in seinem Werk aber doch nicht aus. Welche Typen hat er bevorzugt eingesetzt?
Im Grunde unterscheiden sich die weiblichen Täterinnen gar nicht so sehr von ihren männlichen „Kollegen“.

Da gibt es einmal die Oberschurkin, Anführerin von Verbrecherbanden oder zumindest eines ebenfalls lichtscheuen Personenkreises. Dann findet man „Nebenschurkinnen“ innerhalb krimineller Organisationen, und manchmal auch einfach Einzeltäterinnen. Das klingt ziemlich zweidimensional und ist es meist auch. Richtig böse, gewalttätige und gefühllose Frauen wird man in Wallace‘ Gesamtwerk selten finden. Offenbar widerstrebte es ihm doch ein wenig, das „schwache Geschlecht“ so schlecht darzustellen.
Eine eiskalte, berechnende, männermordende Schönheit, wie sie frühestens ein Jahrzehnt später in den „Hard-boiled“- oder „Noir“-Werken besonders der Amerikaner immer wieder gerne auftaucht, lag wohl außerhalb seiner Linie. Mit einer Ausnahme vielleicht – der Engel des Schreckens, die schöne junge, aber vollkommen herzlose Jean Briggerland erfüllt schon ein wenig das obige Klischee. Allerdings stiftete sie ja meist ihren eigenen Vater zu diversen Untaten an, manchmal auch ihre Verehrer. Die benahmen sich immer recht züchtig oder wurden von ihr auch ziemlich drastisch in ihre Schranken gewiesen. Am Schluss der Geschichte kam sie sogar noch glimpflich, sogar ein wenig romantisch, davon. Frauen, die ihre weiblichen Reize zur negativen Beeinflussung von Männern ausspielen, findet man bei Wallace am ehesten bei den „Nebenschurkinnen“, doch dazu später.

Die „Oberschurkin“ – das ist meistens eine ältere Frau, die von Geldgier und häufig auch von Rachsucht getrieben wird. Typische weibliche Attribute, die Wallace an Frauen schätzte, wie Jugend, Schönheit und Emotionalität, gehen ihr vollkommen ab. Die Bande des Schreckens wird von einer weitgehend gefühllosen, berechnenden Lady angeführt, die sogar eines ihrer (erwachsenen) Kinder umbringen lässt. Die seltsame Gräfin ist eine zwar noch recht attraktive, aber doch sehr kalte Frau, die auch zu ihrem eigenen Sohn sehr grausam ist. Der verbrecherische Gegenspieler des Hauptakteurs in Kerry kauft London entpuppt sich schließlich als Frau in Männerkleidern. Und die Strippenzieherin der geheimnisvollen Vorgänge im Viereckigen Smaragd - immerhin eine (schon alte) Prinzessin - wird sehr unweiblich beschrieben, von fast männlicher Bösartigkeit. Wahrscheinlich ist es wohl auch Neid, dass sie die junge hübsche Polizistin in einem bizarren Ritual ihren javanischen Dienern opfern will. Immerhin wird sie noch vor Gericht gestellt, während die anderen „Oberschurkinnen“ es vorziehen, per Selbstmord aus dem Leben zu scheiden und sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Eine Sonderstellung im Bereich „Oberschurkin“ nimmt wohl die Titelheldin von Käthe und ihre Zehn ein. Käthe Westhanger ist trotz ihrer Jugend die Anführerin einer Diebesbande, die die Polizei immer wieder narrt. Allerdings ist sie als schöne junge Frau eben nicht grundschlecht, erliegt schließlich gar der Anziehungskraft eines smarten Scotland-Yard-Inspektors. Letztlich wird sie von ihren männlichen Komplizen „entmachtet“, die ihr strategisches Talent nur ausgenutzt hatten. Natürlich hat die Geschichte für sie ein Happyend, im Gegensatz zum Rest ihrer Bande.

Die „Nebenschurkin“ hat ebenfalls gewisse stereotype Rollen. Manchmal ist sie eine ältere gierige und oft gewöhnliche Person, die dem Haupttäter besonders bei Entführungen von jungen Damen hilft und von den größeren Zusammenhängen nichts weiß oder wissen will. Da gibt es die Mrs. Barnes aus dem Roman Bei den drei Eichen, dann die sogar peitschenschwingende Mrs. Rooks aus der Seltsamen Gräfin. Das Gasthaus an der Themse wird von einer mit allen Wassern gewaschenen Wirtin, Mrs. Oaks, geleitet, die ihr Leben lang im Dienste von Verbrechern steht. Beim Viereckigen Smaragd hat eine ältere geizige Frau einen negativen Part, welche junge elternlose Kinder für Geld in ihre Obhut nimmt und sehr schlecht behandelt. Diese Frauen sind schlicht und einfach böse.
Einen anderen Platz nehmen die jungen und reizvollen jungen Frauen ein, die vom Pfad der Tugend abgekommen sind. Sie arbeiten in verbrecherischen Organisationen mit und dienen oft als weiblicher Lockvogel. Das beste Beispiel ist wohl die halbseidene Lola, die dem grausligen Frosch mit der Maske als hochrangiges Mitglied seiner Gangsterorganisation dient. Sie wird neben vielem anderen dazu eingesetzt, den unbedarften Bruder der Heldin des Romanes auf die schiefe Bahn zu ziehen. Nebenbei bandelt sie auch noch mit einem hochrangigen Gefängnisaufseher an. Sie wird im Roman so gezeichnet, wie man sich damals wohl die Sünde vorgestellt hat: hübsch, genusssüchtig, mit vielen Verehrern, stets in zwielichtigen Kneipen und Bars zu finden. Ähnlich gezeichnet ist Lollie Marsh, eine junge Frau aus der „Boundary Kolonne“, der mafiösen Organisation in dem Buch Treffbube ist Trumpf. Dora Coleman in den unheimlichen Briefen verdreht im Auftrag eines dunklen Hintermannes einem Millionär den Kopf. Eines ist diesen Frauen gemeinsam – am Ende siegt doch ihr Herz oder Gewissen über alles andere, und sie verlassen die Vereinigungen, sicher auch zu ihrem eigenen Vorteil, stehen diese doch meist vor ihrer völligen Entlarvung. Junge Damen mochte sich der alte Wallace wohl einfach nicht als restlos verdorben vorstellen, im Gegensatz zu älteren Frauen. Er hatte halt eine sehr romantische Ader.


Die Opfer

Frauen als Mordopfer sind, ebenso wie Täterinnen, eher selten in Wallace‘ Werk. Sieht man davon ab, dass die Heldinnen seiner Romane ständig vom Tod bedroht sind (aber natürlich nie sterben), schreckte Wallace wohl vor zu viel Gewalt gegen Frauen zurück. Seine weiblichen Opfer sind oft ältere Frauen, manchmal auf Seiten der Schurkinnen. Da gibt es die erschossene Hanna Shaw beim Großfuß, die bedauernswerte hingemeuchelte Schwester von Ezra Maitland (Der Fosch mit der Maske), die gierige Mrs. Barnes aus dem Roman Bei den drei Eichen, die von ihrem Auftraggeber umgelegt wird, und auch die durch und durch verdorbene Mrs. Oaks wird ein Opfer ihres Gangstergatten, als die Gefahr besteht, dass sie „singt“. So muss das Gasthaus an der Themse fürderhin ohne sie auskommen. Das Opfer im Viereckigen Smaragd ist gar eine ältere Frau in Männerkleidern. Die schöne Vera Mannery aus der Vierten Plage findet zum Schluss ein grausiges Ende durch Schrapnellgeschosse, aber sie war ja eigentlich auf der Seite der Bösen. Normalerweise sind jüngere Frauen bei Wallace nur Opfer, wenn sie einen schlechten Leumund haben, sogar Trinkerinnen sind. Im Gesicht im Dunkel wird eine solche bedauernswerte junge Frau vergiftet, bei Kerry kauft London wird die schlampige Wirtstochter vor ihrem Ende sogar noch gefoltert (!). Aber solche Dinge sind, wie schon gesagt, im Schaffen des Autors eher selten.

Count Villain Offline




Beiträge: 4.616

21.09.2019 14:23
#2 RE: Die Frauen in Wallace' Kriminalromanen Zitat · Antworten

Sehr schöne Ausführungen! Vielen Dank dafür!

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