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Dieses Thema hat 4 Antworten
und wurde 372 mal aufgerufen
 Giallo Forum
Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

13.08.2017 14:28
My Dear Killer / Time to Kill, Darling (1972) Zitat · Antworten



BEWERTET: "Time to kill, Darling!" (Mio caro assassino / My dear killer / Sumario sangriento de la pequena Stefania) (Italien / Spanien 1972)

mit: George Hilton, Salvo Randone, William Berger, Manolo Zarzo, Patty Shepard, Piero Lulli, Helga Liné, Tullio Valli, Dante Maggio, Dana Ghia, Monica Randall, Alfredo Mayo, Corrado Gaipa, Marilú Tolo u.a. | Drehbuch: Franco Bucceri, José G. Maesso, Roberto Leoni, Tonino Valerii | Regie: Tonino Valerii

Der ehemalige Versicherungsdetektiv Paradisi wird in einer Baugrube von einem Bagger geköpft. Der Fahrer der Firma wird kurz darauf ebenfalls ermordet. Inspektor Luca Peretti stellt bald einen Zusammenhang zwischen den zwei Morden und der Entführung der kleinen Stefania Moroni her, die in einem Bunker nahe der Baugrube tot aufgefunden wurde. Wer steckt hinter diesen Verbrechen? Was wissen die Angehörigen des Kindes? Und wie viele Zeugen werden noch beseitigt werden?

Die goldene Regel des Giallo, dass ein Privatmann selbst Ermittlungen anstellt, während sich die offizielle Polizei zurückhält, wird hier aufgehoben. Die prominente Besetzung der Inspektorenrolle verleiht dem Film Seriosität und verhindert eine gewisse Willkür, wie sie in anderen Vertretern des Genres oft zu sehen ist. George Hilton meistert seinen Part als Repräsentant des Gesetzes mit stoischer Gelassenheit, was ihn umso glaubwürdiger macht, weil er trotz intensiven Engagements nicht der panischen Verzweiflung das Wort redet, wie es gern der Fall ist, wenn Zeugen sterben und Beweismittel vernichtet werden. Er untermauert seine Rolle mit dem Tragen einer Lesebrille und arbeitet eng mit seinen Kollegen zusammen, was ebenfalls für die Ernsthaftigkeit des Stoffes spricht. Man begegnet sich bereits an den Tatorten höflich und präzise delegierend und zeigt damit, dass Ermittlungen immer ein Gemeinschaftsprodukt und selten das Ergebnis von Alleingängen sind. Trotz der drastischen Wahl seiner Mordmethoden spielt der Film nicht in der Liga der Sleaze- oder Splatterfilme, sondern erzählt die Geschichte der Entführung und Ermordung von Vater und Tochter Moroni, die aus ihrem paradiesischen Umfeld gerissen wurden und in einem abgelegenen Versteck ein trauriges Ende fanden. Das melancholische Musikthema von Ennio Morricone unterstreicht die Tiefe, welche der Stoff durch die Trauer und den Verlust der beiden Familienmitglieder erhält. Um die aktuellen Morde aufklären zu können, muss Inspektor Luca Peretti zunächst die Spuren in die Vergangenheit verfolgen. Und wie immer, wenn trübes Wasser aufgewühlt wird, kommen auch unerfreuliche Tatsachen an die Oberfläche. Die Personen sehen sich gezwungen, sich unangenehmen Erinnerungen zu stellen und ihre Beziehungen werden auf eine starke Probe gestellt, weil Hass, Unzufriedenheit und Ansprüche lange zurückgestellt worden waren. Die einfühlsame, aber unaufdringliche Präsenz von Inspektor Peretti federt die Gefühlsausbrüche der Befragten ab und kanalisiert die erhaltenen Informationen zu einem großen Ganzen. Es wundert daher wenig, dass er sich am Ende bei der Überführung der Methode eines Berufskollegen wie Agatha Christies Poirot bedient und den Täter nicht bei einer Messerstecherei in finsterer Gasse, sondern im eleganten Salon des Familienanwesens entlarvt. Die Deduktion erfolgt klärend und spannend zugleich.



George Hilton (geb. 1934 in Montevideo / Uruguay) entpuppt sich immer mehr als einer meiner liebsten Giallo-Schauspieler. Er beweist in "Time to kill, Darling!", dass er weitaus mehr kann als nur den mit allen Wassern gewaschenen Lebemann und Liebhaber zu spielen. Seine angenehme Zurückhaltung dominiert die Handlung auch ohne Faustkämpfe oder brillante Intrigen. Patty Shepard als Lehrerin Paola Rossi darf einige der markantesten Szenen des Films begleiten: die unheimliche Ausleuchtung der Gassen auf ihrem Nachhauseweg, die subjektive Kamera bei der Bedrohung durch einen Eindringling und der Schrecken, den sie zuerst im Hausflur und dann auf ihrer Etage erlebt, sichert ihr nicht nur Sympathiepunkte, sondern verleiht ihr auch Glaubwürdigkeit. Mitleid erwecken die Szenen mit der alten Frau bei dem Altschrottsammler oder jene Rückblenden, in denen das fröhliche Glück der kleinen Stefania gezeigt wird. Schockmomente wie der Sprühregen aus Blut im Badezimmer oder die Auffindung der verwesten Leichen im Bunker sind kurz, aber nachhaltig und verleihen dem Film neben dem erwünschten Grusel auch Betroffenheit. Wieder einmal sind mehrere Schreiber für das Drehbuch verantwortlich, was diesmal aber nicht zu einem unausgewogenen Tauziehen der Ideen führte, sondern zum Beleuchten mehrerer Aspekte. Von einer stilvollen Ästhetik sind neben den Szenen in der Villa auch jene auf dem Postamt, als die Ermordung einer Zeugin in Echtzeit gezeigt wird. Beiläufige Hinweise auf weitere schwelende Glutherde unter der Oberfläche der konservativen Prosperität liefern das Auftauchen eines nackten Mädchens und Hinweise auf alte Rechnungen, die innerhalb der Familie noch offen sind. Es zeigt sich wieder einmal, dass man immer etwas findet, wenn man nur tief genug gräbt und der schöne Schein und die weiß getünchte Fassade oftmals Abgründe verdecken. So unaufdringlich wie der Titelscore von Morricone ist deshalb auch die Auflösung, die von Inspektor Peretti sachlich vorgetragen wird, obwohl er sichtlich bewegt und zugleich erleichtert ist, endlich reinen Tisch machen zu können.

Spannender Thriller mit allen Zutaten eines Giallo, der eine tragische Geschichte erzählt, ohne dabei auf die Stärken des Genres zu verzichten: schwarzbehandschuhter Killer, bedrohte Frauen und zweckentfremdete Alltagsgegenstände, die zur tödlichen Waffe werden. 4 von 5 Punkten

PS: Es ist ungewöhnlich, dass ich als quasi noch grüner Giallo-Neuling hier einen Thread eröffnen kann. Ich war erstaunt, dass es zu diesem Film noch kein eigenes Thema gab.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

13.08.2017 14:48
#2 RE: My Dear Killer / Time to Kill, Darling (1972) Zitat · Antworten

Zitat von Percy Lister im Beitrag #1
PS: Es ist ungewöhnlich, dass ich als quasi noch grüner Giallo-Neuling hier einen Thread eröffnen kann. Ich war erstaunt, dass es zu diesem Film noch kein eigenes Thema gab.

So feucht hinter den Ohren bist du ja nun gerade nicht mehr im Giallo-Bereich nach deinen zahlreichen Besprechungen in diesem Jahr, die ich immer gern lese, weil sie neue Blickwinkel auf die Filme, hinter denen sich mehr als nur Gewalt und Nacktheit verbirgt, offenbaren. Wenn ich diesen Review lese, bin ich tatsächlich überrascht, dass sich zu einem so klassischen Giallo hier noch nicht geäußert wurde. Aber das sollte Ansporn sein, dies bald nachzuholen.
Zitat von Percy Lister im Beitrag #1
George Hilton (geb. 1934 in Montevideo / Uruguay) entpuppt sich immer mehr als einer meiner liebsten Giallo-Schauspieler.

Das hätte ich vorher gar nicht so vermutet, weil er doch oft den verwegenen Hallodri spielt. Aber da Hilton ja in nicht gerade wenigen Genreperlen zu sehen ist, von denen dir auch noch einige ausstehen, dürfen wir uns wohl auf weiteres Lesefutter hier im Giallo-Forum freuen.

Ray Offline



Beiträge: 1.931

13.08.2017 20:57
#3 RE: My Dear Killer / Time to Kill, Darling (1972) Zitat · Antworten

Zitat von Percy Lister im Beitrag #1
George Hilton (geb. 1934 in Montevideo / Uruguay) entpuppt sich immer mehr als einer meiner liebsten Giallo-Schauspieler.


Kann ich gut verstehen. Geht mir genauso, auch wenn ich im Giallo nicht so bewandert bin. Aber in "Der Killer von Wien", "Der Schwanz des Skorpions", "Die Farben der Nacht", "Das Geheimnis der blutigen Lilie" und eben "Der schöne Körper der Deborah" hat er mich stets überzeugen können.

Insofern hat deine Besprechung von "My dear killer" durchaus mein Interesse geweckt.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

13.08.2017 21:05
#4 RE: My Dear Killer / Time to Kill, Darling (1972) Zitat · Antworten

Zum Glück habe ich noch ein paar "Hilton-Gialli" auf der hohen Kante: "Das Geheimnis der blutigen Lilie" und "Die Farben der Nacht". Es werden also noch weitere Berichte folgen. Ich halte zudem Ausschau nach günstigen Online-Gelegenheiten, die sich bei Versteigerungen oft bieten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

03.08.2019 20:45
#5 RE: My Dear Killer / Time to Kill, Darling (1972) Zitat · Antworten

Anlässlich des Todes von George Hilton am 28. Juli 2019:



My Dear Killer / Time to Kill, Darling (Mio caro assassino)

Kriminalfilm, IT / ES 1971/72. Regie: Tonino Valerii. Drehbuch: Franco Bucceri, Roberto Leoni, José G. Maesso, Tonino Valerii (Story: Franco Bucceri, Roberto Leoni). Mit: George Hilton (Commissario Luca Peretti), Salvo Randone (Marò), Dana Ghia (Eleonora Canavese-Moroni), Piero Lulli (Alessandro Moroni), Tullio Valli (Oliviero Moroni), Monica Randall (Carla Moroni), William Berger (Georgio Cannavese), Marilù Tolo (Dr. Anna Borgese), Patty Shepard (Stefanias Lehrerin), Helga Liné (Signora Paradisi) u.a. Uraufführung (IT): 3. Februar 1972. Uraufführung (ES): 24. Februar 1972. Eine Produktion von B.R.G. Produzione, Kramot Cinematografica und Tecisa Film.

Zitat von My Dear Killer / Time to Kill, Darling
Die Enthauptung eines Privatdetektivs mithilfe eines Baggers sorgt dafür, dass Commissario Peretti noch einmal die letzte Akte des Toten öffnet und einen Fall von Kindesentführung neu bewertet. War der Schnüffler auf eine zu heiße Spur gestoßen? Nacheinander sterben auch andere Beteiligte – der Killer setzt mit kalter Präzision alles daran, eine nachträgliche Entlarvung zu verhindern. Als sein gefährlichster Fallstrick könnte sich indes eine Zeichnung des entführten und getöteten Mädchens entpuppen. Welches entlarvende Detail zeigt dieses im Angesicht des Todes angefertigte Bild und wohin ist es verschwunden?


Obwohl es sich bei „My Dear Killer“ nicht gerade um den bekanntesten Vertreter des Giallo-Genres handelt, eilt ihm ein guter Leumund voraus. So bezeichnen ihn Antonio Bruschini und Stefano Piselli in ihrem Buch als „einen der besten und persönlichsten Thriller im Argento-Stil“. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass Regisseur Tonino Valerii vom Western kam und „My Dear Killer“ für ihn ein einmaliger Ausflug in den Kriminalfilm war, ist der Vergleich mit Thrillerkönig Argento als großes Lob zu verstehen. Und es kommt nicht ungerechtfertigt: Tatsächlich baut der Film eine immense Spannung auf, die durch das engmaschige Story-Geflecht und durch zahlreiche bedrohliche Mordszenen bis hin zu einem veritablen Gruselgefühl verdichtet wird. Klassische Merkmale wie der unerkannte Killer vermischen sich mit einer sehr traditionellen Plotline, die George Hiltons Ermittlerfigur fast etwas Sherlock-Holmes-haftes verleihen. Zugleich ist dem Ermittler nicht so viel Glück beschieden wie seinem alten, britischen Pendant, denn der ungleich rabiatere Mörder scheint ihm immer um einen Schritt voraus zu sein und Zeugen dann zu beseitigen, wenn sie ihn zu belasten drohen.

Zum erlesenen Kreis der Mordwaffen, die in „My Dear Killer“ Anwendung finden, zählen so unangenehme Vorrichtungen wie Baggerschaufeln und Kreissägen (beide in ziemlich realistischer, nicht gerade zimperlicher Umsetzung); aber der mordlüsterne Unbekannte hat auch kein Problem damit, Helga Liné auf einem Postamt, also quasi mitten unter Menschen, mit einem Designer-Kopftuch zu erdrosseln. Zwei bedauernswerte Personen, darunter ein Kind, sterben darüber hinaus eines qualvollen Hungertodes. Man sieht: Der Film scheut sich nicht vor düsterem Realismus der härteren Gangart, wenn er damit die Machtposition des Mörders demonstrieren kann:

Zitat von Antonio Bruschini, Antonio Tentori: Italian Giallo Movies, Profondo Rosso, Rom 2013, S. 89ff
My Dear Killer centers mostly on the morbid and unsettling mood that emerges from the investigations on the kidnapping and murder of a little girl. The investigation is realistic and utterly believable, as are the murderer’s figure, his motive and actions. [...] My Dear Killer represents an anomaly compared to most Argento-style thrillers, which are often quite unbelievable and purely horrific. This sense of everyday ordinariness which surrounds the story gives the film a peculiar fascination – that of a tight puzzle which is even more frightening due to the apparent normality of its setting.




Neben dem hohen Spannungsgehalt schlägt auch die Verwendung einer Kinderzeichnung als wichtigstes Indiz eine Brücke zu Dario Argentos 1975 entstandenem Magnum Opus „Profondo Rosso“. Was „My Dear Killer“ davon jedoch abhebt, ist die Hilton’sche Darstellung des Polizisten, der anstelle eines in die Enge getriebenen Privatmanns wie in den Argento-Filmen durch die Handlung führt. Obwohl Commissario Peretti eine ganze Weile braucht, um den Fall zu lösen, ist er von der Inkompetenz der sonst in Gialli auftretenden offiziellen Ermittler weit entfernt. Er wird als abgerundete Figur präsentiert, die sowohl über eine eifrige Dienstauffassung als auch über ein behutsam beleuchtetes Privatleben verfügt und der es schwerfällt, sich traurige Rückschläge nicht persönlich zuzuschreiben. Hilton – auf der Leinwand sonst entweder Strahlemann oder selbst ein Verbrecher – füllt diese Rolle mit Bravour aus, obwohl er sie seinerzeit als große Herausforderung beschrieb und Vertraute ihm von dem Angebot abrieten. Hilton genießt durch den zentralen Part, der in fast jeder Szene vertreten ist, eine große Leinwandpräsenz, die er bis zur effektvollen Auflösung (er versammelt alle Verdächtigen und hält eine Enthüllungsrede, die eines Hercule Poirot würdig wäre) scheinbar mühelos ausfüllt.

Das hat zur Folge, dass die Nebendarsteller zu großen Teilen zu Stichwortgebern zurückgedrängt werden. Familie und Personal des entführten Mädchens, aus deren Reihen auch der Täter kommen muss, werden zwar zahlreich präsentiert, bleiben aber relativ anonym, weil sich der Film lieber handlungs- als figurenzentriert arbeitet. Das macht ihn von Anfang bis Ende spannend, erfordert aber auch große Aufmerksamkeit, um der teilweise mehrere Zeitebenen zurückliegenden Handlung konsequent folgen zu können. Valerii erweist sich als kundiger Regisseur, der inhaltliche Komplexität und attraktive Schauwerte gekonnt miteinander mischte. Er sezte gleichzeitig auf eine verhältnismäßig nüchterne Szenenausgestaltung und Kameraführung, was ebenfalls dazu beiträgt, dass sich „My Dear Killer“ von seinen manchmal eher als Märchenspektakel konzipierten Genreverwandten abhebt. Selbst Ennio Morricone, der erneut eine Musik im Kinderchor-Stil beitrug, fühlte sich diesmal einem weniger verspielten Stil verpflichtet.

Schauspieler wie William Berger, Piero Lulli, Dana Ghia oder Monica Randall ziehen als Verwandte zwar zugunsten der Gesamtwirkung das kürzere Streichholz, sorgen in ihren teilweise etwas undankbaren Rollen aber immerhin dafür, dass die Verdächtigen trotz wenig Screentime gut unterscheidbar bleiben. Mehr Mitleid als die Angehörigen der entführten und ermordeten Stefania erregen die (Beinahe-)Opfer des Täters in der Gegenwart, darunter Patty Shephard als Lehrerin und Lola Gaos als (fast) unbeteiligte Zeugin, die den Schlüssel zur Lösung in der Hand hält. Man möchte wirklich nicht mit diesen Damen tauschen ...

Es scheint fast, als sei der Regisseur ein Sadist: Tonino Valerii spannt nicht nur das Publikum mit wohligem Grusel bis ganz kurz vor Schluss auf die Folter, sondern zelebriert in „My Dear Killer“ auch gesalzene Morde, die sich – nicht nur einen blutigen Selbstzweck darstellend – geschickt in die vielschichtige Handlung integrieren. Zusammengehalten wird das ansprechende Paket von Giallo-Legende George Hilton in einem seiner stärksten Auftritte (man beachte das coole Oberlippenbärtchen). Sehr gute 4,5 von 5 Punkten – hier herrscht keine Sekunde Langeweile! Eine Empfehlung sowohl für fortgeschrittene Giallisten als auch für krimifokussierte Einsteiger ins italienische Kino.

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