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 Film- und Fernsehklassiker international
Prisma Offline




Beiträge: 7.591

01.12.2013 11:00
Mitternachtsparty (1961) Zitat · Antworten



LE JEU DE LA VÉRITÉ / MITTERNACHTSPARTY (1961)

mit Marc Cassot, Jacques Dacqmine, Nadia Gray, Robert Hossein, Thien Huong, Daliah Lavi, Perrette Pradier,
Françoise Prévost, Georges Rivière, Jean Servais, Jean-Louis Trintignant, Jeanne Valérie und Paul Meurisse
eine Produktion der Les Films Marceau im Verleih der Cocinor
ein Film von Robert Hossein





»Deshalb haben die zivilisierten Menschen die Lüge erfunden!«


Der bekannte Schriftsteller Jean-François Vérate (Jean Servais) und seine Frau Solange (Nadia Gray) laden zu einer ihrer berühmt-berüchtigten Gesellschaften ein, bei der die Freunde des Ehepaares aus den unterschiedlichsten Gründen auch nicht fern bleiben können. Sei es, um einen unkonventionellen Abend zu verleben, Geschäftliches zu klären, oder einfach nur nicht fernbleiben zu wollen, da man sonst von den anderen verbal auseinander genommen wird und nicht mehr auf dem Laufenden ist. Die ausgelassene Stimmung wird getrübt, als die Gastgeberin beiläufig eine Anmerkung macht. Ein gewisser Portrant (Paul Meurisse) soll sich angekündigt haben, der wenig später mit einer reizenden Begleitung (Thien Huong) auftaucht, die aber niemand kennt. Alle Anwesenden scheinen sich einig zu sein. Wenn sie Portrant nicht hassen, dann fürchten sie ihn aus diversen Gründen, und da er in dieser Nacht auch noch eine Information breittreten will, die angeblich 50 Millionen Francs wert ist und einen der Gäste schwer belasten soll, kommt es zu einer überaus nervösen Spannung. In der Zwischenzeit spielt man auf Portrants Empfehlung hin das sogenannte Wahrheitsspiel, bestehend aus kompromittierenden Fragen und Antworten. Bevor die Stimmung jedoch zu eskalieren droht, geschieht etwas Unerwartetes. Portrant wird im Schutze der Dunkelheit ermordet. Nun stellt sich eigentlich nur die Frage, wer für den Mord kein Motiv hatte...





Der französische Schauspieler und Regisseur Robert Hossein ("Angélique") inszenierte mit seinem Film "Le jeu de la vérité" einen absolut beeindruckenden Schwarz/Weiß-Spielfilm, der eine intelligente Allianz mit Groteske, subtilem Thriller und Kriminalstück eingeht. Neben der Kunst, das ganze Spektakel überzeugend und mitreißend in nur einem großen Raum stattfinden zu lassen, jonglieren die Darsteller mit angriffslustigen Dialogen auf allerhöchstem Niveau, die gut durchdachte Polemik, raffinierten Sarkasmus oder gemeinen Zynismus miteinander vereinen, so dass das Wort zur Waffe, und einen spektakulären Verlauf garantieren wird, denn manche Dialoge werden in ihrer Intensität an Peitschenhiebe erinnern. Das Konzept der "Mitternachtsparty" - ein ebenso subtiler wie zynischer Titel für diesen Film - ist ziemlich einfach, denn die sogenannte bessere Gesellschaft trifft zusammen um sich aus Langeweile oder einfach nur aus pervertierter Freude gegenseitig zu brüskieren, zu demütigen und andere bloßzustellen, so wie es unter guten Freunden eben üblich zu sein scheint. Das Ganze soll nun eben auf spielerischer Ebene stattfinden, da man sich in aller Ehrlichkeit nicht viel zu sagen hat und man nach einer Absolution sucht, um ungeniert Torpedos abzuschießen. Warum verbringen diese Leute, die sich offensichtlich wie die Pest hassen, also Zeit miteinander? Sie brauchen sich und sie gieren danach, ihre Spleens auf dieser Art Bühne auszuleben. Dabei sind die Rollenverteilungen zwischen Mann und Frau genauso Schwarz und Weiß wie die Bildgestaltung an sich, die Frauen genießen alle Annehmlichkeiten ihrer Männer, und haben ebenso für solche bei ihren Männern zu sorgen. Dass dabei ein diskretes Roulette im Rahmen eindeutiger Verbindungen entsteht, scheint zumindest den meisten klar zu sein. Das "Wahrheitsspiel", bei dem man einer beliebigen Person jede Frage der Wahl stellen darf, die sie dann wahrheitsgetreu beantworten muss, soll also Licht in das dunkle Netz aus Lügen und Heimlichkeiten bringen. Die erste Runde des Spiels läuten Françoise Prévost und Daliah Lavi ein und bringen die Luft des Raumes, der mittlerweile einem goldenen Käfig gleicht, zum brennen.

Françoise Prévost: »Um Solo-Tänzerin an der Oper zu werden, was würdest du dafür tun?«
Daliah Lavi: »Nicht so viel wie du für 3000 Francs tun würdest!«


Die Festspiele sind somit eröffnet und es entwickelt sich eine nicht zu kalkulierende Dynamik. Als Zuschauer ahnt man, dass es - in welcher Form auch immer - zur Eskalation kommen wird, was die Grundspannung enorm begünstigt. Dass es schließlich zu einem Mord kommt unterstreicht die Brisanz der Geschichte. Paul Meurisse als Verhasster Gast Portrant ist Zielscheibe des Verbrechens. Er kündigt unmittelbar nach seinem Ankommen bei den Gastgebern Vérate an, dass er einen Umschlag bei sich habe, dessen Inhalt er um Mitternacht platzen lassen wird. Dieser sei nach seinen Angaben gute 50 Millionen Francs wert, und beziehe sich auf einen der anwesenden Gäste. Grund genug für einen Mord? Das Ergebnis spricht für sich selbst. Die Raffinesse der Geschichte besteht darin, dass jeder der versammelten Mannschaft, auch ohne den Inhalt des Briefes, ein Motiv hätte ihn zu töten. Die Konversation mit eindeutiger Wortwahl über Portrant hat bewiesen, wie sehr alle ihn verachten und fürchten, doch niemand kann es eigentlich gewesen sein, da zum Zeitpunkt des Mordes alle beieinander waren. Obwohl das Licht bei dem passenden, draußen tobenden Gewitter für einige Zeit ausgefallen war, sieht man als Zuschauer nicht die Möglichkeit wie es einer, eine oder mehrere der Gäste der "Mitternachtsparty" hätten anstellen können, die Gefahr zu beseitigen. Nur die asiatische Begleitung von Portrant, die im gesamten Verlauf nicht ein einziges Wort sprechen wird, befand sich im Foyer, die man daher auch sofort verdächtigt, sie vorverurteilt und bedrängt, um sich letztlich selbst aus der Affäre zu ziehen.

Perrette Pradier: »Niemand weiß wo sie her ist!«
Françoise Prévost: »Aber sicher, vom Strich!«
Daliah Lavi: »Ausländerin ist sie auch noch!«


Bei den herrlichen Dialogen fällt auf, dass es schließlich die Damen sind, die verbal wesentlich giftiger agieren und reagieren, als es die Männer tun. So fragt man sich bei diesem Spiel also, wie es im Endeffekt richtig funktioniert. Haben diejenigen, die am lautesten bellen und die am aggressivsten vorgehen schließlich am meisten zu verlieren, oder sind es die diskreten, ruhig und unschuldig wirkenden Personen, die am meisten zu verbergen haben? Als Zuschauer zieht man bei dieser illustren Runde wirklich alles in Betracht, und das eigenartige am Verlauf ist, dass die Enthüllungen gar keine Geheimnisse bei denen zu sein scheinen, die sie schließlich direkt betreffen. Man spricht also über Dinge, worüber man eigentlich nicht spricht, oder bestenfalls einfach schweigt. Das Spiel macht sich schließlich selbstständig und es geht weiter mit Schuldzuweisungen, kompromittierenden Indiskretionen und Verdächtigungen, bis man eine andere Ebene erreicht. Es wird privat, intim und man geht genüsslich unter die Gürtellinie. Kurz bevor man glaubt, dass die Situation endgültig außer Kontrolle gerät und zu eskalieren droht, steht plötzlich der Initiator dieses Spektakels, Robert Hossein, als Inspektor der Polizei im Raum, und bringt die angriffslustige Meute zum Schweigen. Der Polizist beunruhigt sowohl den Zuschauer, als auch die Gäste der Party, weil er in seiner Vorgehensweise sehr ungehobelt wirkt. Einsilbig stellt er Fragen, observiert die Räumlichkeit, bis er nicht etwa mit sachgerechten Befragungen fortfährt, sondern mit Durchsuchungen der Anwesenden, da man das verschwundene Couvert finden will, um gleichzeitig den Mörder ausfindig machen zu können. Als es von ihm dann plötzlich Ohrfeigen setzt, und der Inspektor auch die Damen abtasten will, fühlt man sich mehr als verwirrt und die Gäste werden rebellisch. Dass man sich kurz zuvor noch gegenseitig in der Luft zerreißen wollte, scheint somit vergessen zu sein, und die feinen Herrschaften solidarisieren sich gegen den rüpelhaft auftretenden Polizeimann. Doch auch diese Strategie scheint nichts zu helfen und das Verhör nimmt immer groteskere Formen an.

Paul Meurisse: »Zähle uns die Männer auf, mit denen du im Bett warst. Natürlich nur die Anwesenden, das erspart uns Zeit!«
Perrette Pradier: »Sie sparen mehr Zeit wenn Sie fragen, mit wem sie nicht im Bett war!«


Inszenatorisch gesehen hat Robert Hossein ein kleines Meisterwerk geschaffen, welches ein absolut charakteristisches Aushängeschild des französischen Kinos geworden ist. "Le jeu de la vérité" entwickelt bei aller Ortsgebundenheit eine beeindruckende Eigen-Dynamik und es werden in keiner einzigen Sekunde Durchhänger zu finden sein. Besonders fällt die experimentierfreudige Kamera-Arbeit auf, die ein choreografisches Wechselspiel zwischen Detail-Orientierung und Großaufnahmen präsentiert, mit Nähe-Distanz und Karussell-Fahrten überrascht, und letztlich enorme Schützenhilfe beim charakterisieren der Personen leistet. Die Musik von André Hossein untermalt die Party mit eleganten, aber auch trügerischen Klängen sehr gut. Schon der Beginn des Films präsentiert sich ziemlich extravagant. Alle Gäste stehen in einer Schlange und werden durch die Off-Stimme des Polizisten befragt, die Männer eher sachlich und die Damen sehen sich mit abschätzigen Kommentaren konfrontiert. Dieses kurze Verhör leitet den kompletten Film als eine Rückblende ein. Der Gastgeber spielt auf seiner Orgel und man darf die unterschiedlichen Reaktionen der Zuhörer sehen und hören. Zu Johann Sebastian Bachs "Toccata und Fugue" sind die einen ergriffen und hören gebannt zu, manche unterhalten sich über Geschäftliches, und die anderen fragen beinahe gelangweilt, wie lange es noch dauert. Eine schnelle wie einfache, aber effektive Charakterisierungstaktik. "Mitternachtsparty" stellt insgesamt französisches Star-Kino der besten Sorte dar. Der Kriminalfall an sich ist eigentlich nicht sonderlich weltbewegend, und wurde der hochwertigen Inszenierung in allen Belangen untergeordnet, aber die ausgewogene Mischung hat wieder einmal bestätigt, warum Robert Hosseins Ausstattungsfilm im erweiterten Kreis einer meiner beliebtesten Beiträge ist. Durchweg überragende Unterhaltung und ein packendes Cluedo!

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