Seit 11 Jahren wieder mal gesehen (leider konnte ich mich an den Täter erinnern):
WER ERSCHOSS BORO?
Krimidreiteiler, BRD 1986, Erstsendung ZDF: Jänner/ Februar 1987 Buch: Herbert Reinecker, Produzent: Helmut Ringelmann, Regie: Alfred Weidenmann mit Ernst Schröder, Horst Bollmann, Edda Seippel, Richard Münch, Inge Birkmann, Sonja Sutter, Kurt Sowinetz, Karl-Heinz Vosgerau, Henry van Lyck, Roswitha Schreiner, Markus Boysen, Dirk Galuba, Jochen Horst, Helma Seitz u. v. a.
Der Dreiteiler Wer erschoß Boro? dürfte in der deutschen TV-Geschichte einmalig sein, denn es handelt sich dabei in mehrfacher Hinsicht um eine Premiere: 1) Die Zuschauer wurden aufgefordert, den Täter zu erraten und das mit Hilfe der Handakte des Kommissars, die überall im Buchhandel erhältlich war und sämtliche Aussagen aller elf Verdächtigen beinhaltete, 2) erstmals wurde im TV die damals unglaubliche Summe von 100.000 DM für die richtige Lösung ausgeschrieben (10 x 10.000 DM), 3) die exzessive Bewerbung des Buches brachte dem ZDF Probleme ein: man warf vor, Schleichwerbung für den Verlag zu betreiben. Dies hatte sogar ein BGH-Urteil gegen Produktplatzierung zur Folge.
Herbert Reinecker und Helmut Ringelmann gingen bei Wer erschoß Boro? also anders vor, als bei ihrer End-60er-Krimitrilogie. Die drei Folgen sind unterschiedlich lange und unterschiedlichen Inhaltes. Während im 1. Teil "Die Einführung", der am 02.01.1987 gesendet wurde, die Zuschauer in die Handlung von Hauptkommissar Clausen (Ernst Schröder) eingeführt und die Verdächtigen der Reihe nach präsentiert werden, gibt es hier sogar eine Art "Film im Film", bei der die einzelnen Darsteller interviewt werden und sich darüber äußern wie glücklich oder unglücklich sie darüber wären, der Täter zu sein. Schließlich gibt es auch ein paar Blicke hinter das Set, man sieht das nachgebaute Polizeipräsidium in den Bavaria Studios, den Kameramann, den Regisseur. Dann weist Ernst Schröder das Publikum darauf hin, dass jeder Zuseher der Kommissar ist und bewirbt die Handakte des Kommissars "Der Kommissar sind Sie!".
Der zweite Teil flimmert sechs Wochen (am Krimifreitag: 13.02.1987) später über die Bildschirme: in einem 100minütigen Film wird folgende Handlung erzählt: Die Haushälterin Helene Häubel meldet sich bei der Polizei und berichtet, dass Herr Borowitz (genannt "Boro") ermordet in seiner Villa liegt. Hauptkommissar Clausen und sein Assistent Hausmann nehmen die Ermittlungen auf und finden heraus, dass Boro keine richtigen Beruf hatte, sondern eine Art Guru, der von seinen sieben Anhängern - lauter menschliche Notfälle - wie ein Heiliger verehrt wurde. Doch der (Heiligen)schein trügt, denn Boro hat in Rom einen Mann umgebracht. Clausen wittert darin das Motiv: jemand aus der Gruppe konnte es nicht ertragen, dass der vergötterte Boro selbst ein Killer war ...
Nach 100 Minuten endet der Hauptteil "Die Ausführung" mit den Worten: "Haftbefehl gegen wen...?". Nun hatten die Zuseher fünf Tage Zeit zur Einsendung der Antwort um eine Woche später, am 20.02.1987, "die Auflösung" (so der Titel) zu erfahren. In diesem dritten Teil erklärt Clausen, welche Fehler der Täter gemacht hat und zeigt in Rückblenden nochmals auf, wo er sich versprochen hat oder welche Handlungen ihn verraten haben. Hier erweist sich Reinecker als Meister seines Faches, ist die Auflösung doch wirklich überraschend.
Fazit: Wer erschoß Boro? ist sicherlich ein ungewöhnliches Stück deutscher Fernsehgeschichte, prominent und bestens besetzt aber im Stil und in den Botschaften nicht viel anders als die meisten Derrick-Folgen. Das ausgeklügelte Ende und die verzwickte Auflösung entschädigen für so manche lange Verhörszene, deren sich vor allem im Mittelteil des Hauptfilms zu viele aneinander reihen. Reineckers Botschaften und Philosophien à la "Jeder kann zum Mörder werden" und "Jeder Mensch ist ein Notfall" dringen an vielen Stellen ausgiebig durch. Dabei dürfen natürlich groteske und absurde Reinecker-Dialoge à la "Kennen Sie den Fotografen Lohbeck? - Ja, er ist Fotograf" oder "Wie groß sind Sie? - In Zentimetern? - Ja, in Zentimetern! - Einen Meter 85!", die wohl als eine unfreiwillige Hommage an Eugène Ionesco erscheinen, nicht fehlen. Herausragend ist der Soundtrack von Frank Duval: das Lied "Face to the Wind" ist ein richtiger Ohrwurm und passt vorzüglich. Ebenso ist es ein Vergnügen, dem großartigen Ernst Schröder, damals schon fast 70, als Kommissar Clausen zuzusehen - er wäre ein toller Nachfolger für den "Alten" gewesen! Die übrigen Rollen sind toll durch besetzt: allen voran Horst Bollmann als Borowitz, Karl-Heinz Vosgerau als Rechtsanwalt, Edda Seippel als undurchsichtige Haushälterin oder Kurt Sowinetz als grantiger Sektenanhänger. Henry van Lyck gibt vorzüglich einen schmierigen Fotografen, Helma Seitz ist in einer Minirolle mit dabei und Jochen Horst, Markus Boysen und Roswitha Schreiner stehen noch am Anfang ihrer Karriere. Vor allem Schreiner als nymphomanische Tochter Vosgeraus ist etwas fehlbesetzt und Dirk Galuba als Kriminalassistent ist etwas blass, Richard Münch als älterer gutsituierter Herr überzeugt dafür, was man von Inge Birkmann, die in den meisten ihrer Auftritte nervt, nicht gerade behaupten kann. Insgesamt ein interessantes TV-Ereignis mit Durchhängern aber mit einer überraschenden Auflösung! ... und man muss natürlich Reineckers Philosophien und "Sinnlosdialoge" ertragen können...
Über 500'000 Antwortkarten gingen damals beim ZDF ein (selten seit "Das Halstuch" war eine derartige Beteiligung bei einem Krimi zu verspüren!), dem im Mai 1990 (also über drei Jahre nach der Sendung) nach einem Urteil vom Bundesgerichtshof untersagt wurde, für ein im Handel befindliches Buch zu werben.
Zitat von Gubanov im Beitrag #2Hört sich sehr gut an. Ist eine DVD-Veröffentlichung abzusehen? Wie dick war die Handakte? Man könnte sie als Beiheft / -buch dazulegen.
Eine DVD-Veröffentlichung wäre sicherlich lohnenswert. Mal sehen: Studio Hamburg hat noch massenhaft angekauftes Material, das zuerst veröffentlicht wird, ehe Nachschub gekauft wird, für andere Label ist es recht schwierig und kompliziert an ZDF-Produktionen zu gelangen (soviel ich weiß). Ich bin mir aber dennoch sicher, dass dieser Dreiteiler früher oder später den Weg auf DVD finden wird.
Die Handakte (siehe Cover) hatte 160 Seiten und ist als DVD-Beilage daher wohl nicht ideal. Bei Antiquariaten (z.B. zvab.com) kann man das Buch aber schon ab drei Euro kaufen.
PS: Hier als Nachtrag zunächst noch einige Bilder. Die erste Collage zeigt Screenshots aus dem Film, die zweite von den Dreharbeiten (Kameramann Rainer Gutjahr, Regisseur Alfred Weidenmann).
Zitat von Georg im Beitrag #3Die Handakte (siehe Cover) hatte 160 Seiten und ist als DVD-Beilage daher wohl nicht ideal.
Sag das mal nicht. Das Label muss nur wollen (siehe z.B. Brett-Holmes von Koch Media oder Lausbubengeschichten von EuroVideo), aber daran mangelt es bei deutschen TV-Auswertungen ja leider. In diesem speziellen Fall, das stimmt wohl, würden Kosten und Nutzen nicht stimmen, weil das Original noch wirklich billig zu bekommen ist.
da ich mich immer für Drehorte interessiere, hätte ich gerne gewusst, wo die Boro-Villa steht. Kann mir da jemand helfen. Ich würde mich über Antworten sehr freuen.
Ganz unten links im zweiten Bild ist der Regisseur Alfred Weidenmann zu sehen. Ich hatte ihn 1993 einmal zu der Derrick-Folge "Das Thema" kennengelernt. Gedreht wurde damals an einem Samstag im Oskar-von-Miller-Gymnasium in München. Die Dispoliste habe ich noch.
Sehr schöne Ankündigung, auf diesen Reinecker bin ich auch gespannt. Hat das jemand damals schon mitverfolgt? Kann man denn nur mit Studium dieser Handakte den Täter finden? Oder braucht man auch den Film dazu?
Man braucht auch den Film dazu! Aber ich glaube dieser 3teiler (der ja eigentlich nur ein 1teiler ist) wird Gubanov auch nicht gefallen! Zu viel Musik von FRANK Duval mit dem gesungen gehauchten "Face to the wind"... Mir gefällts!
Wenn's nur das ist. Ich bin ja bekanntlich auch kein Ernst-Schröder-Freund, aber im Wesentlichen sollte es doch auf die Geschichte ankommen. Und auf diesem Terrain verspricht "Boro" mit seiner Mehrteiler-Spielzeit und dem ungewöhnlichen Konzept ja recht viel. Mal sehen, inwiefern ich mich dann noch von Duval und Schröder ablenken lassen werde.
Das Alter kann ein Vor- UND Nachteil sein. Ich erinnere mich an diesen Dreiteiler, weil es schon etwas Ungewöhnliches war. Allerdings habe ich damals nicht alles komplett sehen können - und Aufzeichnungsmöglichkeiten gab es (zumindest in der DDR) nicht. Auch das Buch war ja in der DDR nicht zu bekommen. Ich erinnere mich daher an einen eher typischen TV-Film im charakteristischen Reinecker-Derrick-Look. Würde es mir wohl nicht sofort kaufen, aber wenn es günstig zu bekommen ist ...
Das Ganze ist auf jeden Fall diesmal ein extremes Kammerspiel a la Weidenmann/Reinecker. Vieles wirkt sehr aufgesetzt. Vor allem der Hauptdarsteller Ernst Schröder. Interessant jedenfalls Dirk Galuba diesmal als Kommissar zu sehen. Und vor allem nochmal in einer seiner letzten Rollen der "HAI" Richard Münch. Da ich ja Duval-Fan bin, ist für mich jedenfalls die Filmmusik ein Ohrwurm. Von dieser Version "Face to the wind" gibt es sogar zwei Versionen. Einmal die Single (Originalversion) und eine Neufassung auf der LP/CD "When You Were MIne".