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Dieses Thema hat 2 Antworten
und wurde 399 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
Prisma Offline




Beiträge: 7.591

12.03.2018 11:33
Das ohnmächtige Pferd (1975, TV) Zitat · Antworten


DAS OHNMÄCHTIGE PFERD

● DAS OHNMÄCHTIGE PFERD (D|1975) [TV]
mit Eva Renzi, Paul Hubschmid, Eva Maria Meineke, Christian Wolff, Jan Niklas, Beatrice Richter, Bernd Herzsprung, Fritzludwig Gärtner
eine Produktion des Südwestfunks
ein Fernsehspiel von Rolf von Sydow




»Ach du lieber Himmel! Sollten Sie etwa gebildet sein?«


Auf dem abgelegenen Landsitz von Lord Henry James Chesterfield (Paul Hubschmid) plätschert das Landleben gemütlich vor sich hin und es gibt nur wenige Farbtupfer innerhalb dieses aristokratischen Alltags. Seine Frau, Lady Chesterfield (Eva Maria Meineke), gefällt sich in oberflächlichen Gebärden und sie ist nur an ihrer Stellung in der Gesellschaft interessiert. Sein Sohn Bertram (Jan Niklas) stellt eine große Enttäuschung dar, weil er nicht den normalen Interessen seines Standes nachzugehen beliebt und sich den Künsten verschrieben hat. Auch seine Tochter Priscilla (Beatrice Richter), die sich nicht gerade wie eine Dame verhält, macht ihm wenig Freude, vor allem, als sie ihren neuen französischen Verlobten Hubert (Christian Wolff) mitbringt. Wenig später stellt Hubert der Familie seine angebliche Schwester Coralie (Eva Renzi) vor, denn die beiden haben zusammen einen Plan geschmiedet, um an das Vermögen der Chesterfields zu gelangen. Auch Coralie soll in die Familie einheiraten, doch bei diesem Vorhaben kommt es zu ungeahnten Komplikationen der amourösen Art...

Betrachtet man zunächst den recht sonderbar klingenden Titel dieses Fernsehfilms, der unter der Leitung des Wiesbadener Routiniers Rolf von Sydow inszeniert wurde, kommt man im Sinne einer Klassifizierung nicht wirklich weiter. Dieser recht unbekannten Produktion eilen außer allgemeinen Stabsangaben keine weiteren Informationen voraus und die gängige Einteilung verfrachtet diese Geschichte ins weitläufige Reich der Komödie. Da man sich schließlich im Jahr 1975 befunden hat, kommt man nicht umhin, sich Gedanken über den handelsüblichen Humor der in diesem Zeitfenster entstandenen Filme zu machen und die Devise heißt vor allem erst einmal abzuwarten und mit den Chesterfields Tee zu trinken. Der Einstieg ist - wie jeder neue Akt übrigens auch - in einen goldenen Bilderrahmen eingefasst, der durch das Anzoomen des Sets wieder verschwindet. Die Geschichte präsentiert schnell den Charakter eines Kammerspiels, da sich der Zuschauer über die gesamte Spieldauer lediglich in einem Raum befindet, der das aristokratische Umfeld neben den beteiligten Personen charakterisiert. Die gute Aufteilung des Raumes und die Vermittlung von Symmetrie lassen diese vollkommene Ortsgebundenheit weniger gravierend erscheinen. Auch der Einsatz von mehreren Kameras sorgt für die Flexibilität, die unter diesen Voraussetzungen abzurufen war. Das Hauptaugenmerk bei dieser Angelegenheit liegt logischerweise auf der Dialogarbeit und es lassen sich nach kürzester Zeit Wortwitz, Zynismus und Situationskomik ausfindig machen, was unter anderem für einen kurzweiligen Verlauf sorgen wird. Die Hauptverantwortung für das Gelingen dieses Films übernehmen von der ersten Sekunde an die gebuchten Darsteller und man darf schon sagen, dass sich die Besetzung für hiesige TV-Verhältnisse durchaus sehen lassen kann.

Das Set ist vom ersten Augenblick an ein aristokratisches Vakuum, bestehend aus der Familie Chesterfield samt Butler, und es ist zu erahnen, dass das geregelte Leben absolut keine großen Überraschungen mehr bietet. Lord Chesterfield gefällt sich somit darin, die Situation mit herbem Zynismus zu ertragen, außerdem mit saftigen Wortspitzen zu präparieren. Paul Hubschmid scheint alleine schon wegen seiner weltmännischen Erscheinung die richtige Wahl für diese Rolle zu sein. Mit seiner Wortgewandtheit zielt er gerne auf die offensichtlichen Unzulänglichkeiten der anderen ab. Ja, er teilt gerne aus und wird daher auch kaum etwas anderes tun, nicht zuletzt, um den Seinigen zu demonstrieren, was er von ihnen hält. Dem Empfinden nach währt dieses Gesellschaftsspiel schon Jahrzehnte, doch eigentlich beißt der Mann mit der ernüchterten Sichtweise nur auf Granit, da seine Frau die Ohren in Perfektion auf Durchzug stellen kann und seine Kinder ihn ganz offensichtlich nicht mehr ganz ernst nehmen. Darüber hinaus lassen sie offenbar nichts unversucht, eben vollkommen bewusst aus der Art zu schlagen. Doch jeder hat sich längst mit den Gegebenheiten abgefunden und gestaltet das Spiel nach persönlichen Präferenzen. Eva Maria Meineke jongliert mit Oberflächlichkeiten und adeligen Worthülsen, Etikette und Stand sind die Fronten, an denen sie zu kämpfen beliebt. Die Kinder, die nicht in die Spur zu bringen waren, bekommen teilweise recht groteske Anstriche von Jan Niklas und insbesondere Beatrice Richter, die mehrmals am Eindruck einer satten Fehlbesetzung vorbeischlittert. Dennoch wird sie es sein, die ihrer Familie Scherereien macht, da sie einen Hochstapler mit ins Haus bringt, ihn heiraten möchte und er obendrein Franzose ist. Das bisherige Leben hätte doch so angenehm langweilig weiter verlaufen können, wenn nicht Christian Wolff und Eva Renzi aufgetaucht wären.

Da also eine enorme Aussteuer lockt, nimmt es der mit allen Wassern gewaschene Hubert in Kauf, sich die weder schöne, noch intelligente Tochter zuzumuten, denn schließlich ist sie ja - zumindest vom Stammbaum her - nicht von schlechten Eltern. Doch bereits nach kürzester Zeit zeigen sich erste Differenzen und das Nervenkostüm des ambitionierten jungen Mannes wird sichtlich dünner, da die Gewissheit Gestalt annimmt, dass er es mit einer hysterischen Ziege zu tun hat. Die Verwirrung für die ohnehin ratlos drein schauenden Chesterfields wird nur noch größer, als plötzlich Coralie als angebliche Schwester auftaucht, was in besseren Kreisen offensichtlich nur ein Pseudonym für Geliebte darstellt. Nun ist die gemütliche Ruhe endgültig gesprengt. Warum nur eine lukrative Heirat, wenn es doch noch einen ledigen Sohn aufzulesen gibt? Bei Eva Renzis erstem Auftreten kommt man in den Genuss einer zunächst groß angelegten Maskerade, um wenig später einen Paukenschlag zu sehen, der in Form eines amüsanten Rollentauschs über die Bühne geht. Zu diesem Zweck legt sie ihre unscheinbaren Ensembles, die Brille und biederen Gebärden ab, um sie gegen aufreizende Roben und auffordernde Gesten auszutauschen. Dem Zuschauer leuchtet es bei diesem neuen Anblick nun durchaus ein, warum sie schlafende Hunde wecken konnte, sodass plötzlich mehrere Herren bei ihr Schlange stehen, die durch eindeutige Avancen glänzen werden. Die Themen Betrug und Täuschung weichen einem Heirats-Roulette in dem sich Eva Renzi flexibel und schlagfertig auf das jeweilige Gegenüber einstellen kann. Ob unverbesserliche Zyniker, halbe Trottel, eifersüchtige Liebhaber oder selbstverliebte Snobs; die Konversationen treiben sehr amüsante Blüten. Die Darsteller zeigen sich allesamt in guter Spiellaune und wirken hochkonzentriert. Glaubwürdigkeit und Humor lassen es dem Zuschauer ein Leichtes werden, sich auf die teilweise exaltierte Geschichte einzulassen.

Wenn man Rolf von Sydow hauptsächlich wegen seiner Arbeiten im Kriminalbereich kennt, stellt sich im Vorfeld die interessante Frage, ob er sich im komödiantischen Fach genauso profilieren kann. "Das ohnmächtige Pferd" lässt aufgrund der allgemeinen Unbekanntheit und des sehr offen klingenden Titels kaum Rückschlüsse auf den bevorstehenden Verlauf zu, und ob in den Darstellern auch komödiantisches Blut fließen wird. Das Zusammenspiel wirkt erfrischend bis leichtfüßig, die Geschichte über weite Strecken originell und man bekommt es mit einer angenehmen Situationskomik zu tun. Aufgrund der örtlichen Gebundenheit entsteht nur wenig Eintönigkeit, denn die Szenerie wird von langen Dialogstrecken getragen, in denen so mancher Schlagabtausch für Schmunzeln sorgen kann. Die gut bekömmliche Würze ergeben außerdem noch landläufige Klischees, die sich einer geistreichen Aufschlüsselung erfreuen können. Unterm Strich ergibt diese Geschichte vom verschlafenen Lande ein geglücktes, aber vor allem kurzweiliges Sehvergnügen. Inszenatorisch ist im Grunde genommen handelsübliches Zeitkolorit zu sehen, das für viele sicherlich einiges an Staub angesetzt haben dürfte, jedoch sind im Rahmen der naturgemäß begrenzten Möglichkeiten einer TV-Produktion gute Lösungen gefunden worden, da Rolf von Sydow sich vollkommen dem Nimbus der Komödie verschreibt, die in diesem Fall nur wenige gesellschaftskritische oder groteske Tendenzen verfolgt, sich dabei hauptsächlich den Gesetzen der Verwechslung unterwirft. Insgesamt stellt "Das ohnmächtige Pferd" eine sehr schöne Abendunterhaltung dar, an der der Zahn der Zeit zwar schon genagt hat, jedoch keine schwerwiegenden Spuren hinterlassen konnte. Außerdem schließt diese TV-Produktion eine weitere Lücke bei der Aufarbeitung von Eva Renzis Filmkarriere, in der sich glücklicherweise immer wieder erstaunliche Überraschungen herauskristallisieren.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

20.03.2018 14:10
#2 RE: Das ohnmächtige Pferd (1975, TV) Zitat · Antworten

Die TV-Umsetzung mit Eva Renzi, Paul Hubschmid und Christian Wolff aus dem Jahr 1975 reiht sich in die Serie prominent besetzter Bühnenaufführungen nach Francoise Sagans Komödie "Das ohnmächtige Pferd" (Le Cheval Evanou). So agierte beispielsweise Victor "Slim" de Kowa 1968 als Hauptdarsteller und Regisseur, während das Boulevard-Theater in Düsseldorf in der Spielsaison 1969/70 mit Hans Söhnker, Christine Wodetzky, Alfons Höckmann, Lore Schubert und Claudia Butenuth aufwartete. Die Rolle der Coralie (auch: Cora Lee) ist jedenfalls eine willkommene Gelegenheit für Eva Renzi für ein hintergründiges Verwirrspiel zu sorgen und gleich mehrfach bei den Männern abkassieren zu wollen: Hubert, Bertram und Henry bilden das Kleeblatt ihrer Gunst und sollen durch Heirat bezwungen werden. Vielen Dank @Prisma für die Vorstellung dieses Klassikers!

Georg Offline




Beiträge: 3.263

20.03.2018 19:33
#3 RE: Das ohnmächtige Pferd (1975, TV) Zitat · Antworten

Rolf von Sydow äußert sich zu der Produktion auch in seiner Autobiographie Der Regisseur. Ein autobiographisches Tagebuch. (Rotation 2011, pp. 162-164) wie folgt:

"Meine erste Inszenierung in der Reihe Boulevard Baden-Baden ist erst im September im Fernsehprogramm. Es ist Das ohnmächtige Pferd von der Sagan. Im Theater, wo wir die Aufzeichnung gespielt hatten, war sie auch Dank der fulminanten Besetzung - mit Paul Hubschmid - ein großer Publikumserfolg, und die Berichte von der anschließenden Touree sind viel versprechend. Ausverkaufte Häuser und sehr gute Kritiken. Meine Idee mit der doppelten Auswertung hat also bisher vorzüglich funktioniert, und die Produktionskosten haben sich durch die Teilung von Ausstattung und der Gagen erheblich gesenkt. Mein Direktor hat mir seinen Glückwunsch ausgesprochen."

Zuvor ist noch ein Zeitungsausschnitt aus einer nicht genannten Zeitschrift zu sehen:

Regisseur Rolf von Sydow hatte eine gute Idee: So spart der Südwestfunk viel Geld

Rolf von Sydow, Regisseur und Fernsehspielchef beim Südwestfunk, ließ sich durch den Sparzwang der Anstalt nicht "die Flügel stutzen", sondern zu einer guten Idee inspirieren: Für die Sendung "Das ohnmächtige Pferd", die innerhalb der Reihe "Boulevard Baden-Baden" am 2. März im 1. Programm ausgestrahlt wird, suchte er als Partner ein Tourneetheater. Das Theater beteiligte sich an den Produktionskosten. Dafür durfte es mit dem Stück, das mit Eva Renzi und Paul Hubschmid in den Hauptrollen eine Attraktion ist, vor der Sendung auf Tournee gehen. Von Sydow: "Durch diese Zusammenarbeit spart das Fernsehen 25 Prozent der Kosten."

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