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 Film- und Fernsehklassiker national
Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

12.11.2017 13:35
Die Landärztin (1958) Zitat · Antworten



BEWERTET: "Die Landärztin" (Deutschland 1958)
mit: Marianne Koch, Rudolf Prack, Margarete Haagen, Friedrich Domin, Maria Perschy, Rudolf Vogel, Olga von Togni, Michl Lang, Beppo Brem, Roland Carey, Willy Millowitsch, Thomas Reiner, Hilde Schreiber, Thomas Alder u.a. | Drehbuch: Kurt Wilhelm nach einer Idee von Karl Morgenstern | Regie: Paul May

Die Landarztpraxis im oberbayerischen Kürzlingen erwartet die Ankunft des neuen Doktors. Als sich der neue Arzt als Dr. Petra Jensen entpuppt, fallen die Dorfbewohner aus allen Wolken. Mit einer jungen Frau hatte niemand gerechnet und prompt formiert sich Widerstand gegen die Allgemeinmedizinerin. Die Patienten weigern sich, in Jensens Sprechstunde zu kommen und konsultieren lieber den Arzt im Nachbardorf oder den Veterinär Dr. Rinner. Nur der Pfarrer hält zu der neuen Ärztin und überlegt, wie man die Vorbehalte gegen die junge Frau aufheben kann...

Die Fünfziger Jahre als Zeit des Aufbruchs nach den Entbehrungen der Nachkriegsjahre bedeuteten zwar einerseits zunehmenden Wohlstand, andererseits aber auch ein Festhalten an scheinbar unverrückbaren Traditionen, vor allem auf dem Lande. Durch eine Abschottung innerhalb der Familie, besonders durch die klassische Rollenverteilung, glaubte man, von den Vorteilen der Moderne profitieren zu können, ohne jedoch Abstriche bei persönlichen Gewohnheiten machen zu müssen. Der Wirkungskreis der Frau beschränkte sich auf das Haus und jede Abweichung von dieser Regel wurde mit Misstrauen und Missbilligung bestraft. Verheiratete Frauen benötigten die Genehmigung ihrer Ehemänner, wollten sie erwerbstätig sein, und Haushalt und Familie durften unter der Berufstätigkeit nicht leiden. Die Reaktionen der Dorfbewohner sind deshalb bereits vorprogrammiert und der Zuschauer ahnt, welcher Empfang der engagierten Ärztin von den in ihrer autarken Welt lebenden Menschen bereitet werden wird. Mit Marianne Koch wählte man nicht nur eine Schauspielerin für die Rolle, sondern auch eine (angehende) Ärztin. Um sich der Filmkarriere zu widmen, hatte Koch ihr Medizinstudium in den frühen Fünfziger Jahren unterbrochen und nahm es erst 1971 wieder auf. Sechzehn Jahre nach Beendigung der Dreharbeiten zur "Landärztin" legte sie das Staatsexamen ab. Sie hat damit ebenso wie ihre Filmfigur bewiesen, dass es zum Wohle aller ist, wenn ein begabter Mensch seiner Berufung folgt, statt sich dem Naheliegenden zu widmen, zumal Koch in ihrem Beruf als Schauspielerin bereits etabliert war. Sie ist heute noch publizistisch tätig und stellt ihre Leidenschaft für die Medizin eindrucksvoll unter Beweis.



Im Film tragen die Dorfhonoratioren auf dem Rücken der zugereisten Ärztin nicht nur den Kampf um die Wiederherstellung des Status quo aus, sondern auch Konkurrenzfehden mit politischen und wirtschaftlichen Gegnern. Einig ist man sich nur im Bestreben, die eigene Anschauung als die einzig richtige darzustellen. Es geht um öffentliches Ansehen und die Autorität innerhalb der Ortsgemeinschaft. All diese Gründe brodeln unter der Oberfläche und haben mit der Person von Dr. Petra Jensen prinzipiell wenig zu tun, da sie die Befähigung und Kompetenz mitbringt, die ihr Beruf erwarten lässt. Wieder einmal muss sich der Neuankömmling erst beweisen, um die Akzeptanz zu finden, die normales Arbeiten erst möglich macht. Solidarität erfährt die junge Frau gerade von einer Seite, die sich zwar die christliche Nächstenliebe auf die Fahnen geschrieben hat, in der Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts jedoch gerade im dörflichen Bereich noch ein hartes Regiment führte und jeder weltlichen Neuerung mit selbstgerechtem Zorn begegnete. Der Pfarrer der kleinen Gemeinde unterstützt Dr. Jensen von Anfang an und zeigt, dass Amtsgeschäfte mit einer Prise Humor und Pragmatismus leichter zu führen sind. Skepsis erfährt die Ärztin durch den Kollegen Dr. Rinner, der seine Abneigung zunächst auf Allgemeinplätze reduziert, insgeheim jedoch die Gesellschaft eines intellektuell gleichwertigen Partners vermisst, da er mit den Gebräuchen der Dorfgemeinschaft wenig anfangen kann. Da er an den Intrigen der Leute nicht beteiligt ist und seine ehrliche Meinung offen begründet, findet Petra hier einen Gesprächspartner, mit dem sie sich argumentativ auseinandersetzen kann und der sich mehr und mehr zum Verbündeten entwickelt.

Neben Marianne Koch kann vor allem Rudolf Prack punkten, der neun Jahre später als "Landarzt Dr. Brock" ebenfalls erst mühsam das Vertrauen seiner Patienten erringen muss. In der Folge "Die Entscheidung" steht auch er vor der Frage, ob er seine mittlerweile etablierte Praxis gegen eine Karriere an einer technisch auf dem neuesten Stand befindlichen Klinik in der Stadt eintauschen soll. Und hie wie dort siegt das Herz über den Verstand und unterstreicht damit die Botschaft des Heimatfilms, dass Gefühle schwerer wiegen als nüchterne Entscheidungen. Maria Perschy als Tochter des Bürgermeisters steht unter dem strengen Regime der Mutter, die Olga von Togni mit der ihr eigenen Härte darstellt. Die junge Frau rebelliert nach innen und schadet sich lieber selbst als einzugestehen, dass sie nicht länger eine Blaupause der arbeits- und folgsamen Tochter sein kann, die sonst nichts zu melden hat. Beppo Brem, Rudolf Vogel und Willy Millowitsch spielen die Urgesteine des Landlebens mit Gamsbarthut und gefälliger Bauernschläue oder naiver Einfalt. Thomas Reiner ist die letzte Verbindung zum "alten Leben" und der Trumpf, den Marianne Koch für alle Fälle in der Hinterhand behält. Friedrich Domin zeigt sich hier als gütiger Geistlicher, ganz im Gegensatz zu seiner Rolle als Vorgesetzter von Pater Brown in "Das schwarze Schaf", wo er sich mehrfach auf die Statuten der Kirche beruft. Das Zusammenspiel der Darsteller entspricht den Erwartungen, wobei es angesichts der tadellosen Person der Ärztin nicht lange gelingt, die negative Stimmung in der Dorfbevölkerung aufrechtzuerhalten. Die Handlung konzentriert sich deshalb in der zweiten Hälfte der Spielzeit auf die sich anbahnende Romanze zwischen Koch und Prack. Erst das dramatische Finale um Maria Perschy sorgt wieder für den nötigen Nervenkitzel.

Stimmige Unterhaltung mit einer sympathisch aufspielenden Hauptdarstellerin, die sich täglich in einer Welt der Vorurteile behaupten muss und dabei adrett und herzlich bleibt - wie vom Heimatfilm gewünscht. Die Gesellschaftskritik klingt zwar an, aber das konventionelle Ende bringt die heile Welt des deutschen Fünfziger-Jahre-Kinos wieder in Ordnung. Niemand erwartet, dass in Oberbayern öffentlich Büstenhalter verbrannt werden, aber ein wenig mehr Biss hätte man dem Kampf um gelebte Gleichberechtigung und vor allem der taffen Marianne Koch schon gewünscht. 4 von 5 Punkten

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