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Dieses Thema hat 4 Antworten
und wurde 398 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

11.10.2015 14:15
Anders als du und ich (1957) Zitat · Antworten



Anders als du und ich (§ 175 / Das dritte Geschlecht)

Gesellschaftsdrama, BRD 1957. Regie: Veit Harlan. Drehbuch: Felix Lützkendorf (Vorlage: Robert Pilchowski [d.i. Hans Habe]). Mit: Paula Wessely (Christa Teichmann), Paul Dahlke (Werner Teichmann), Hans Nielsen (Max Mertens), Ingrid Stenn (Gerda Böttcher), Christian Wolff (Klaus Teichmann), Friedrich Joloff (Dr. Boris Winkler), Herbert Hübner (Verteidiger Dr. Schwarz), Günther Theil (Manfred Glatz), Paul Esser (Kommissar), Siegfried Schürenberg (Staatsanwalt) u.a. Uraufführung: 31. Oktober 1957. Eine Produktion der Arca-Filmproduktion für die Constantin-Film.

Zitat von Anders als du und ich
Klaus Teichmann ist jung, gutaussehend und intelligent. Seine Eltern hätten eigentlich keinen Grund, sich zu beklagen. Wenn ... ja, wenn Klaus, der kurz vor dem Abitur steht, sich endlich für Mädchen zu interessieren begänne. Stattdessen verbringt er immer mehr Zeit mit einem Schulfreund, über den er in Kontakt mit dem homosexuellen Antiquitätenhändler Dr. Winkler gerät, der einen ganzen Harem junger Männer unterhält. Wie kann Klaus von dieser schiefen Bahn abgebracht werden?


Sowohl die Paragrafen 175 als auch 181 StGB sind heute in ihrer damaligen Form in Deutschland nicht mehr existent. Sie bilden den in seiner naiven Überbehütung mittlerweile unwirklich erscheinenden Rahmen, der die in vielen Belangen progressive Nachkriegsgesellschaft auf zwei engstirnige und menschenverachtende Relikte hinweist, die mit dem Ende der jahrhundertelangen staatlichen oder kirchlichen Diktatur im Lande leider nicht sofort mit abgeschafft worden waren: die Verbote von Homosexualität und Kuppelei im privaten Umfeld. Die Art und Weise, auf die „Anders als du und ich“ diese „Vergehen“ erzählerisch einsetzt, lässt einerseits hoffnungslose Uninformiertheit über die Ursachen gleichgeschlechtlicher Anziehung, ihre Anerkennung als „Krankheit“ und die Chancen einer „Heilung“ erkennen, und bedient sich andererseits der Rhetorik, es sei in Ordnung, ein Gesetz zu brechen und dafür ins Gefängnis zu gehen, wenn man den eigenen Sohn zu diesem Preis von seinen zeitweiligen schwulen Verirrungen abbringen kann ...

Dass Regisseur Veit Harlan mit „Anders als du und ich“ einen Tendenzfilm abliefern würde, war ihm selbst sehr wohl bewusst, wie aus Produktionsunterlagen hervorgeht. Auflagen der FSK zeugen von der offenkundigen Feindschaft angeblicher Tugendhüter gegenüber den in ihren Augen sittenschädlichen Lebensweisen. So kommt es, dass die zunächst gedrehte Version unter dem Titel „Das dritte Geschlecht“ immerhin noch daran interessiert ist, ein rudimentär differenziertes Bild der Homosexualität zu zeichnen; im Gegensatz dazu die nach drohendem Aufführungsverbot des Films umgeschnittene Fassung „Anders als du und ich“, die nach Harlans Ansicht über ähnliche Hetzqualitäten verfügt wie sein „Jud Süß“, nicht viel mehr als ein zeitgeistiges, schon zum Drehzeitpunkt überholtes Machwerk ist. Fast möchte man meinen, dass Harlan die Auflagen zur Umarbeitung (Neusynchronisation verschiedener Textstellen mit Lehrbuch-Weisheiten, abrupt abgeschnittene oder von jedweder Continuity befreite Szenengefüge) so augenfällig plump in die Tat umsetzte, dass er jedem noch so naiven Betrachter das Eingreifen der Zensur bei nicht opportunen Themen als Rechtfertigung für das bescheidene Endergebnis unter die Nase reiben konnte.



Ironischerweise zeigt sich der Mut, ein derartiges Tabuthema überhaupt aufzugreifen, gerade in der Tatsache, dass das Experiment, mit einer unvoreingenommenen Schilderung einen Befreiungsschlag für eine gesellschaftlich und gesetzlich unterdrückte Randgruppe zu führen, mit Pauken und Trompeten scheiterte. Man kann wohl sagen, dass „Anders als du und ich“ schlicht 10, 15 Jahre zu zeitig konzipiert wurde, um ein in Bezug auf seine Thematik ernstzunehmendes Resultat zu erzielen. Allerdings ergeben sich die Reize, über die der Film dennoch fraglos verfügt, nicht allein aus den nervenzerreißenden Kämpfen um seine Freigabe hinter den Kulissen, sondern auch aus Meriten in seiner handwerklichen Umsetzung. Wenn auch die Verknüpfung von moderner Kunst mit homosexueller Veranlagung eine völlig widersinnige ist, die selbst den Moralaposteln der Filmkontrolle sauer aufstieß, so muss man doch konstatieren, dass es Oskar Sala mit seiner elektronischen Trautoniumsmusik, Gabriel Pellon mit seinen raumauflösenden, asiatisch-spießbürgerfremden Studiobauten und der mit harten Hell-Dunkel-Kontrasten operierenden Kamera von Kurt Grigoleit vorzüglich gelungen ist, dem „Palast“ des Dr. Winkler jene beabsichtigte dämonische Wirkung zukommen zu lassen. Salas unheilvolles Elektronengezitter wechselt sich mit Erwin Halletz’ zuversichtlich-hymnischen Orchesterklängen ab, die über die Filmsichtung hinaus im Ohr bleiben. Zudem überzeugt das Drama durch eine lebendige Kontrastierung der „einschlägigen Kreise“ mit dem muffigen Elternhaus, obgleich er sich in künstlerischer Hinsicht genau umgekehrter Mittel bedient (Helligkeit, Wohlklang und die räumliche Weite waldnaher Berliner Villengrundstücke im Höllenzentrum des Spießbürgertums).

Schauspielerisch ist nicht das Geringste an „Anders als du und ich“ auszusetzen. Gerade die Besetzung lässt über einige rhetorische Schwächen des Films hinwegsehen und passt punktgenau zu den von Lützkendorf mit wenigen Strichen recht genau umrissenen Figuren des Drehbuchs. Christian Wolff durchläuft als zentrale Figur verschiedenste Bindungs- und Loslösungsprozesse, die seine Rolle zwar im Gesamtkontext vollkommen unglaubwürdig erscheinen lassen, seiner Darstellung in jeder einzelnen Szene aber keinen Abbruch tun. Den jungen, disziplinierten Helden zum Hauptdarsteller eines so skandalösen Films zu erwählen, beweist ebenso wie der bis in kleine Nebenrollen hinein prominente Cast, um wie viel die Schauspieler und Filmkünstler jener Zeit der FSK-Moral und dem von ihr beschworenen Publikumsentsetzen voraus waren.

Einer genaueren Betrachtung wert sind auch die Personalia der zwei pikantesten Rollen: Den bösartigen Verführer spielt mit Friedrich Joloff ein Mime, der dank seiner unheimlichen Ausstrahlung sowie seines „unkonventionellen“ Lebensstils den Schurken trotz dessen unübersehbarer Eindimensionalität erstaunlich glaubwürdig zum Leben erweckt. Die tragische Figur des Manfred, der durch seine Abhängigkeit zu Winkler und Klaus Teichmann am Ende beide Freunde und jede Zukunftsperspektive zugleich verliert, wurde mit Günther Theil ebenso überzeugend besetzt – wobei sich Theils Name in keiner anderen Filmproduktion wiederfinden wird. In Anbetracht des Gegenwinds, den „Anders als du und ich“ zu spüren bekam, steht zu befürchten, dass sich jeder bekanntere Jungdarsteller mit dieser Rolle seine künftige Karriere restlos verbaut hätte. Von altgeschulten Mimen wie Dahlke, Nielsen, Wessely und Schürenberg kann man Vergleichbares natürlich nicht behaupten, sind sie doch alle – in verschiedenem Grade zwischen martialischer Ablehnung und hinterfragender, mitleidiger Sorge – auf Seiten des sogenannten Sittenrechts verortet.

Überholt sind viele Problemfilme, doch nur selten hat sich die gesamtgesellschaftliche Betrachtung menschlicher Rechte und gesetzlichen Unrechts zwischen Produktionszeitpunkt und Gegenwart so massiv gewandelt wie bei „Anders als du und ich“. Eine an sich löbliche Thematik wird durch tendenziöse Aufarbeitung unzufriedenstellend beleuchtet und durch zusätzliche FSK-Auflagen in eine völlige Anti-Meinungsmache verkehrt. In seinem Propagandaanteil steht „Anders als du und ich“ damit vielen Produktionen aus dem Zeitraum von 1933 bis 1945 in nichts nach. Künstlerisch offenbart sie stellenweise das Potenzial zur Überwindung der zwangsläufig geschaffenen Grenzen erzählerischer Freiheit, darf und will sie aber nicht nutzen, um mutig und unbequem ein Umdenken der Tugendhüter zu provozieren. Ohne Punktwertung – „sehenswert unter Vorbehalt“.

Prisma Offline




Beiträge: 7.591

11.10.2015 14:29
#2 RE: Anders als du und ich (1957) Zitat · Antworten

Ganz offensichtlich ist heute der Arca-Skandalfilm-Tag!

Als ich gestern über meine "Madeleine Tel. 13 62 11"-Besprechung nach weiteren Filmen dieser Art und von der gleichen Produktionsfirma suchte, bin ich auf den gerade von dir besprochenen Beitrag gestolpert, von dem ich vorher noch nie gehört hatte. Die Besetzung war so verlockend, so dass ich mir den gestern auch bestellt habe.

Tja, so klein ist manchmal die Filmwelt!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

11.10.2015 15:22
#3 RE: Anders als du und ich (1957) Zitat · Antworten

Das ist ja wirklich ein kolossaler Zufall. „Anders als du und ich“ verdient das Prädikat Skandalfilm auf jeden Fall. Die DVD-Auswertung aus der Edition Filmmuseum ist recht empfehlenswert und präsentiert den Film in guter Bildqualität mit Szenenvergleich zu der Fassung „Das dritte Geschlecht“. Ich bedaure nur sehr, dass man diese Version nicht in Gänze über die DVD abspielen kann – daraus könnte sich ein sehr viel positiverer Gesamteindruck für den Film ergeben. Es kann ja wohl kaum daran liegen, dass die Fassung heute noch nicht freigegeben werden könnte. Man müsste einmal die Deleted Scenes in den Hauptfilm hineinzuschneiden und damit die Originalfassung zu rekonstruieren versuchen.

Bin gespannt, wie du den Film bewertest.

Prisma Offline




Beiträge: 7.591

11.10.2015 19:43
#4 RE: Anders als du und ich (1957) Zitat · Antworten

Ja, ich musste ein bisschen schmunzeln, als ich die Vorstellung heute hier sah, denn wäre es nicht schon gestern passiert, hätte ich eben heute bestellt. Ich bin selbst gespannt drauf, denn erfahrungsgemäß stellen diese (sogenannten) Skandalfilme ja meistens irgendwie eine kleine Wundertüte dar, etwa so zwischen ernsthafter oder wenigstens ambitionierter Bearbeitung, oder reißerischer, beziehungsweise misslungener Fließbandware. Mal schauen, der hier klingt jedenfalls vielversprechend.

Marmstorfer Offline




Beiträge: 7.519

11.10.2015 23:23
#5 RE: Anders als du und ich (1957) Zitat · Antworten

Da muss ich gleich an eine Vorlesung denken, die ich 2008 während meines Studiums besucht habe - "Kulturindustrie Kino - Zur Geschichte des westdeutschen Kinos 1950-1962". Nicht nur, dass die Vorlesung an sich sehr informativ war, sie fand auch noch in Kooperation mit dem Metropolis Kino statt - und so wurde dort im Anschluss an jeden Vorstellungstermin auch noch ein thematisch passender Film vorgeführt. Unter anderem lief auch Anders als du und ich, über dessen Zensurgeschichte ausführlich in der Vorlesung berichtet wurde. Ansonsten wurden beispielsweise noch "Die Sünderin", "Schwarzwaldmädel", "Der Meineidbauer", "Sissi", "Nacht fiel über Gotenhafen", "Die Brücke" und "Kirmes" gezeigt.


Leider ist der für die Vorlesungsreihe verantwortliche Professor Harro Segeberg in diesem Jahr verstorben.

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