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 Giallo Forum
Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

01.11.2018 20:45
Werkzeug der Mächtigen / Die ehrenwerte Gesellschaft (1975) Zitat · Antworten



Werkzeug der Mächtigen / Die ehrenwerte Gesellschaft (Gente di rispetto)

Kriminaldrama, IT 1975. Regie: Luigi Zampa. Drehbuch: Leonardo Benvenuti, Piero de Bernardi, Luigi Zampa (Romanvorlage: Giuseppe Fava). Mit: Jennifer O’Neill (Elena Bardi), Franco Nero (Professor Michele Belcore), James Mason (Antonio Bellocampo), Orazio Orlando (Bezirksrichter Occhipinti), Aldo Giuffrè (Maresciallo), Claudio Gora (Senator Cataudella), Luigi Bonos (Canaino), Gino Pagnani (Reporter Profumo), Franco Fabrizi (Dr. Sanguedolce), Fernando Jelo (Villarà) u.a. Uraufführung (IT): 30. Oktober 1975. Uraufführung (BRD): 17. September 1977.

Zitat von Werkzeug der Mächtigen / Die ehrenwerte Gesellschaft
Ärger packt die junge Lehrerin Elena Bardi über die Verhältnisse in der sizilianischen Kleinstadt, in die sie strafversetzt wurde. Doch dass sie tagsüber auf offener Straße belästigt wird, ohne dass jemand eingreift, ist nur der Auftakt zu einer schier unglaublichen Odyssee: Der verantwortliche Unhold wird auf dem Marktplatz rituell hingerichtet und die Polizei verdächtigt Elena, die sich daraufhin auf ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel mit den verfilzten Behörden und politischen Würdenträgern einlässt. Unterstützung findet sie dabei nur bei ihrem Kollegen Michele und dem verblassten Stadtkrösus Bellocampo. Doch wem kann sie wirklich trauen und wer sind ihre übermächtigen Feinde?


Mehr als dem typischen Giallo-Genre ist „Werkzeug der Mächtigen“ wohl dem Trend zeitkritischer, neorealistischer Filme mit Polizei- oder Mafiafilm-Charakter zuzurechnen, wenngleich die Protagonistin, Heldin und „Privatermittlerin“ in diesem Fall mit Jennifer O’Neill ganz bestimmt weder zur einen noch zur anderen Organisation gehört. Man begleitet Elena Bardi nicht nur in den meisten Szenen des Films, sondern verbündet sich auch augenblicklich mit ihr, weil man an ihrer Seite die fremde Stadt, deren Name nicht genau genannt wird, mit all ihren Tücken und Seilschaften kennenlernt. Die Busfahrt an den Ort ihres Schicksals und ihr erster Arbeitstag, erste überraschende Bekanntschaften und die Konfrontation mit einem bitterbösen süditalienischen Ehrenmord sind Erlebnisse, die der namhafte Filmemacher Luigi Zampa (weitere genrerelevante Filme: „Die weiße Mafia“, „Im Dienste eines Monsters“) in epischer Breite inszeniert und dabei mehr Wert auf das Einfangen von Stimmungen legt als auf die Steigerung des Erzähltempos. Trotz mehrere Verbrechen sollte man sich hier keinen gewaltvollen Thriller-Reißer erwarten; der Seismograf schlägt vielmehr in Richtung eines Kriminaldramas mit Romanzeneinschlag aus, was auch von Ennio Morricones süßen, aber doch hintergründigen Mandolinenmelodien nachdrücklich betont wird.



Während „Werkzeug der Mächtigen“ recht weit am Ende von Zampas Regiekarriere anzusiedeln ist, markierte der Film den Auftakt für Jennifer O’Neills – leider recht kurzen – Ausflug ins italienische Kino. Das südeuropäische Land, das vielen anderen US-Stars nach deren erstem Karrierehöhepunkt noch zahlreiche dankbare Hauptrollen offerierte, konnte O’Neill nur für drei Filmprojekte binden – neben „Werkzeug der Mächtigen“ für Luchino Viscontis Schwanengesang „Die Unschuld“ und Lucio Fulcis Musterklasse-Giallo „Die sieben schwarzen Noten“. Im vorliegenden Film stürzt sich O’Neill mit der ihr eigenen Bestimmtheit ins Geschehen, behauptet sich gegen Machos, Mörder und mafiöse Politiker auf beeindruckende Weise und wahrt dabei stets ihre damenhafte Eleganz. Dass man ihr den körperlich aufdringlichen Franco Nero zur Seite stellte, mag zunächst merkwürdig wirken, ergibt aber Sinn, wenn man erkennt, worauf die Beziehung zwischen Elena und Michele letztlich hinausläuft. Interessanter gestaltet sich ihr Zusammenspiel mit James Mason, der hier in einer altväterlichen Manier den einzigen wirklichen Vertrauten von Elena Bardi spielt und die Unzulänglichkeiten seiner Mitbürger wie ein entrückter Weiser an einer Perlenkette aufreiht. Memorable Kleinrollen übernehmen Orazio Orlando als aggressiver Vertreter der ermittelnden Behörden sowie Gino Pagnani als scheinbar gutmütiger, aber unangenehm tüchtiger Reporter.

Oft wird in diesem Film von der Wahrheit gesprochen, die sich als dehnbares Gebilde entpuppt. So passt es auch ins Gesamtbild, dass Luigi Zampa den Zuschauer zumindest teilweise ratlos zurücklässt und man sich auf die letzten Szenen einen eigenen Reim machen muss, nachdem Elena in der vorangehenden Klimax übel mitgespielt wird. Wieder einmal unterscheidet sich der Spannungshöhepunkt von den Rasiermesser- und Lederhandschuh-Filmen anderer Regisseure: Die Auflösung versetzt der Protagonistin und dem Zuschauer zwar gleichermaßen einen Schlag in die Magengrube, verzichtet aber wiederum auf körperliche Gewalt, sondern lässt alle Tricks, Tücken und Täuschungsmanöver auf einer psychologischen Ebene ablaufen. Dadurch entsteht weder eine mit „Das Haus mit den lachenden Fenstern“ vergleichbare Bedrohlichkeit der Stadtgemeinschaft noch eine Süffisanz, die an „Die Sonntagsfrau“ erinnert – zwei Filme, mit denen „Werkzeug der Mächtigen“ von Anlage und Stimmung her noch am ehesten zu vergleichen ist. Unterm Strich muss man wohl doch darauf verzichten, Parallelen zu ziehen, und diesen ungewöhnlichen, zeitkritischen Film in seiner beeindruckenden Gänze sehen.

Feines Anti-Mafia-Drama mit (dank einer einprägsamen Leistung von Jennifer O’Neill) unaufdringlichen feministischen Anklängen. Die ambitionierte Fremde, mit der sich die von ihrer eigenen Korruption gesättigte Stadt anlegt, um die gewohnte „Ruhe“ zu gewährleisten, ist eine der ungewöhnlichsten leading ladies des italienischen Krimis. Sie ergänzt sich mit Zampas anspruchsvoller Regieführung, Morricones Soundtrack und den malerischen Aufnahmen aus Palazzolo Acreide und Ragusa zu einem sehenswerten, manchmal etwas überlangen Vorzeigefilm. Gute 4 von 5 Punkten.

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