Weltmeisterlich
Ein Tag bevor „Flanke nach innen“ Hans Schäfer, Fußball-Weltmeister von 1954, für immer „Tschüss“ sagte, verabschiedete sich mit Karin Dor bereits eine „Weltmeisterin“ der Schwarzweiß-Ära. Auch sie verstand es, das Publikum mit ihrem Spiel zu fesseln und sich aus manch‘ aussichtsloser Situation zu befreien. Karin Dors Erfolgsterrain lag dabei im Mutterland des Fußballs, dem Sport, dem sie dank der 1966er Finalniederlage der Schäfer-Nachfolger auch ihre berühmteste Rolle als Bond-Girl neben Sean Connery verdankte. In den britischen Krimimärchen made in Germany agierte Miss Dor zuvor als verfolgte Unschuld, die mit ihrem schönen und eleganten Spiel die Herzen eroberte. Wegen ihres Ehemannes, Trainer bzw. Regisseur Harald Reinl, war man sich auch bei Karin Dor sicher: „Ein Spiel dauert 90 Minuten.“ Denn regelmäßig fielen bei ihren Einsätzen in der letzten Minute die dramatischen Entscheidungen. Es war quasi unmöglich, von Karin Dor nicht gefesselt zu sein.
Während die Fußball-Bilder der Sixties schwarzweiß blieben, kam Karin Dor in diesem Jahrzehnt endgültig auch in der bunten Welt der Kinobilder an. Waren ihre diesbezüglichen Auftritte in den fünfziger Jahren noch hausbacken (siehe etwa 13 KLEINE ESEL), so war ihr Spiel jetzt dermaßen gereift, dass sie auf CinemaScope und etwa in Eastmancolor ihre ganze Schönheit zeigen konnte. Nacheinander verliebten sich der berühmteste Apachenhäuptling, der edle Siegfried, der beste Geheimagent der Welt sowie ein französischer Agent im sozialistischen Kuba (oder besser Alfred Hitchcock?) in sie. Doch keiner dieser Verehrer durfte ein Happy-End mit der schönen Karin feiern. Ein süßes Sissi-Images blieb ihr damit zeitlebens erspart. Karin Dor konnte aber mit Recht und Fug als spielstarke „Kaiserin“ der deutschen Leinwandheldinnen jener Jahre bezeichnet werden.
Am Ende ihres Erfolgsjahrzehnts änderte sich das Kino, in dem Karin Dor zu einer der begehrtesten Leinwandgöttinnen avancierte, fundamental. Gefragt war fortan ein anderer Frauentypus. Dors Karriere endete relativ schnell. Private Probleme in dieser nicht mehr ganz so heilen Zeit blieben ebenfalls nicht aus. Zum Glück fand sie in einem der besten Freunde ihres mehrmaligen Kollegen Lex Barker, mit dem sie neben Joachim Fuchsberger übrigens am besten auf der Leinwand harmonierte, einen neuen Mann fürs Leben. Quasi mit Hallenfußball (Theater) blieb Karin Dor im Beruf aktiv. Im Alter durfte sie zusätzlich in Traditionsspielen wie der TRAUMSCHIFF-Elf oder bei den Old-England-Stars (Rosamunde Pilcher) auflaufen.
Rückblickend bleiben die Erinnerungen an eine elegante und mit beeindruckender Professionalität ausgestattete Schauspielerin, die deutsche Filmgeschichte geschrieben hat. Und die einzige Deutsche, die 1966 „Weltmeisterin“ in England wurde.
Reiner Boller (2017)