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  • Herrenpartie (1964)Datum30.10.2022 19:21
    Thema von Prisma im Forum Film- und Fernsehklass...



    HERRENPARTIE


    ● HERRENPARTIE / MUSKI IZLET (D|JUG|1964)
    mit Götz George, Hans Nielsen, Rudolf Platte, Gerhard Hartig, Herbert Tiede, Gerlach Fiedler, Friedrich Maurer, Reinhold Bernt,
    Olivera Markovic, Milena Dravic, Ljubica Janicijevic, Ivo Martinovic, Pavle Vuisic, Petar Matic, Dragomir Felba sowie Mira Stupica
    eine Produktion der Neue Emelka | Avala Film | im Schorcht Filmverleih
    ein Film von Wolfgang Staudte







    »Der Führer bin ich!«



    Ein deutscher Männergesangverein macht Urlaub in Jugoslawien. Die acht Männer sind mit einem Kleinbus unterwegs, dem in einem abgelegenen Dorf plötzlich das Benzin ausgeht. Dort leben zu ihrer Verwunderung nur in Schwarz gekleidete Frauen, die ihnen weder mit Treibstoff noch Verpflegung weiterhelfen wollen. Die Urlauber quartieren sich in einer verlassenen Pension ein, doch die Bewohnerinnen fühlen sich durch ihre bloße Anwesenheit und den Klang deutscher Volkslieder bis aufs Blut provoziert. Die Gruppe rund um den Major a.d. Friedrich Hackländer (Hans Nielsen) wartet auf Hilfe aus der nahe gelegenen Stadt, doch einige Fehlentscheidungen der Herren lösen eine Kettenreaktion aus reaktionärem Verhalten und Hass aus, bis die Situation endgültig eskaliert...

    Der unscheinbar und sich beinahe nach einem Lustspiel dieser Zeit anhörende Titel "Herrenpartie" konfrontiert das interessierte Publikum mit einem dynamischen Verlauf, der zwar letztlich in die Sparte der schwarzen Satire mit allerlei diskreten Brauntönen fällt, allerdings auch empfindliche Anleihen der klassischen Tragödie bereit hält. Inszeniert von Regisseur Wolfgang Staudte, bekommt man eine gestochen scharfe Sektion von Ressentiments, Emotionen und eklatanten Fehlentscheidungen geboten, die in landläufige Klischees getränkt werden, um einen überzeugenden Transfer in die Realität anzubieten. Ein deutscher Männerchor bricht in die Ferne des populären Auslands auf, möchte einige schöne und unbeschwerte Tage verbringen, allerdings nicht, ohne sich ein kollektives Schulterklopfen abzuholen. Dem Vernehmen nach wäre der Tourismus wesentlich besser bedient, wenn alle so ehrenvoll und aufmerksam wären, wie diese ungleiche Truppe, die zwar viel Zeit miteinander zu verbringen scheint, aber zum größten Teil noch per Sie untereinander ist. Als der geplante Weg nicht wie gewünscht weiter führt, wird kurzerhand pausiert und die kultivierten Herren pissen erst einmal in die Prärie, vermutlich um zu markieren und ohne sich dabei zu genieren, schließlich ist man im sogenannten Hinterland. Es ist erstaunlich und völlig peinlich zugleich, dass sich Wolfgang Staudte nicht scheut, den deutschen Touristen so darzustellen, wie er wirklich ist. Man erkennt ihn in der Regel auf einen Kilometer Entfernung, alleine schon wegen des bürokratisierten Auftretens und des uniformen Aussehens. Der Vorspann teilt die deutschen Schauspieler und jugoslawischen Schauspielerinnen in Fraktionen der beiden Produktionsländer ein, was bereits zu Beginn einen bedeutenden Clash andeuten will. Die Leistungen der Interpreten sind außergewöhnlich, überzeugend und mitreißend. Während sich die unfreiwillig gestrandeten Herren immer mehr in die Bredouille bringen, kann man dabei zusehen, wie die Frauen langsam aber sicher die Nerven in aller Stille verlieren, weil der Hass alleine aufgrund der deutschen Sprache wieder hochkocht und niemals verheilte Wunden wieder aufreißt.

    Das Problem bei der Konfrontation ist letztlich nicht einmal vordergründig die Sprachbarriere, sondern die Borniertheit, eine unerträgliche Überheblichkeit und der blinde Hass. Es scheint keine Kompromissmöglichkeiten zu geben. Die Deutschen sind der Meinung, dass sie alles bekommen können, solange sie ausgiebig dafür bezahlen, was auch bei jeder Gelegenheit betont wird, doch sie begreifen nicht, dass sie schlicht und einfach unerwünscht sind. Dies führt zu einer eigenartigen kollektiven Übereinstimmung, dass man die militant wirkenden Frauen vom Gegenteil und der persönlichen Ansicht überzeugen müsste. Der Gipfel bei dieser Wiedergutmachungstournee ist allerdings die Tatsache, dass man mit durch und durch deutschen Methoden vorzugehen pflegt, die die Gegenseite selbst bei Wohlgesonnenheit nicht verstehen könnte. "Herrenpartie" wurde seinerzeit mit sehr guten Kritiken bedacht und der Film wurde im Jahr 1964 zu den offiziellen Filmfestspielen in Cannes eingeladen, was die Regierung der Bundesrepublik jedoch nachdrücklich ablehnte. Dennoch erhielt die Produktion etliche Auszeichnungen, nicht zuletzt, weil es sich um eine bemerkenswerte Aufarbeitung deutscher, beziehungsweise allgemeiner Kriegsschuld handelt, die allerdings fast geistreich und versöhnlich dechiffriert und zu einem überraschenden Ergebnis gebracht wird. Die Frauen des Dorfes debattieren permanent über das weitere Vorgehen und mögliche drastische Methoden, orientieren sich dabei allerdings an der Gegenwart. Die Herren der Schöpfung werden aufgrund des aktuellen Zwangs zum Nichtstun dazu genötigt, ihre Vergangenheit widerwillig aufzuarbeiten und es kommt kaum einer von ihnen als strahlender Held davon. Wolfgang Staudte legt in Salz getränkte Finger in klaffende Wunden, die durch Stillschweigen und Ignoranz geheilt werden sollten. Als die Einigkeit unter den Männern zu bröckeln beginnt, könnte man meinen, dass es zu einer Kehrtwendung kommt, aber das Gegenteil ist der Fall und alles schlägt in eine reaktionäre Jetzt-erst-recht-Attitüde um.

    Die Schauspieler der deutschen Seite spielen beherzt und ungeniert auf, sodass man zu hervorragenden Ergebnissen kommt. Hans Nielsen als Wortführer und ehemaliger Major verhält sich wohl wie er es immer gewöhnt war, verlangt sich dabei einen verkappten Respekt von seinen Sangeskollegen ab. Lediglich sein Sohn Herbert alias Götz George stellt sich mit feiner Ironie aber auch deutlicher Provokation gegen jegliches Tun und konservative Ansichten, kommt einem dabei wie ein Fremdkörper oder im Mindesten wie ein Außenseiter vor; eine Rolle die man George gerne abnimmt und die überzeugend vorgetragen wird. Nicht zuletzt seine Kompromissbereitschaft und authentische Art wird der Truppe noch entscheidend weiterhelfen. Des Weiteren agieren Gerhard Hartig, Herbert Tiede und Gerlach Fiedler hervorragend und nehmen die überspitzende Herausforderung ebenso wie Rudolf Platte, Friedrich Maurer und Reinhold Bernt an. Es ist sagenhaft, wie die Männer sich gegenseitig hochschaukeln und sich von Grund auf nicht respektieren. Das weibliche Pendant kommt in Form einer geballten Ladung einheimischer Interpretinnen und als kollektiver Vorwurf in das herrlich fotografierte Szenario. Mira Stupica und Nevenka Benković wurden für ihre Interpretationen mit dem Deutschen Filmpreis in Gold ausgezeichnet und insbesondere Stupica hinterlässt einen bleibenden Eindruck als personifizierte Schwerst-Anklage. Die Frauen sprechen in ihrer Landessprache, was in Deutsch untertitelt wird. Wenn sich die Situation genügend hochgekocht hat und Wolfgang Staudte droht, das Geschehen genüsslich in eine Katastrophe münden zus lassen, ist man als Zuschauer auf alles und vor allem das Schlimmste gefasst. "Herrenpartie" ist ein leider in Vergessenheit geratener Film von ungewöhnlichem Karat, der sowohl inszenatorisch als ach darstellerisch absolut hervorragend gelöst ist und zum Nachdenken animiert, ohne den Zuschauer mit einer quälenden und nicht zu lösenden Absolution zu konfrontieren. Die schwere der Thematik, gekoppelt mit der Leichtigkeit der Inszenierung, ist am Ende nur als Meisterleitung zu bezeichnen.

  • Nuit d'or - Die Nacht aus Gold (1976)Datum22.10.2022 20:51
    Thema von Prisma im Forum Film- und Fernsehklass...




    Klaus Kinski

    NUIT D'OR - DIE NACHT AUS GOLD

    ● NUIT D'OR / NUIT D'OR - DIE NACHT AUS GOLD (F|D|1976)
    mit Bernard Blier, Marie Dubois, Elisabeth Flickenschildt, Jean-Luc Bideau, Charles Vanel, Anny Duperey,
    Raymond Bussières, Valérie Pascale, Catherine Arditi, Robert Bury, Herta Gaupmann sowie Maurice Ronet
    eine Produktion der Euro-France Films | France 3 | SFP | UGC | Maran Film
    ein Film von Serge Moati






    »Er muss für immer verschwinden!«



    Michel Fournier (Klaus Kinski) gilt als tot - zumindest glaubt das seine Familie, ebenso wie Bekannte. Die Erleichterung über das Ableben des ungeliebten Verwandten wird eines Tages mit dessen plötzlichem Auftauchen gestört, aber schließlich leben Totgesagte bekanntlich länger. Da Fournier seinerzeit des Mordes bezichtigt wurde, gilt sein Interesse fortan nur noch der Tyrannisierung und Zerstörung derjenigen, die ihn damals beschuldigten und letztlich zur Inszenierung seines Todes brachten. So erhalten seine Opfer Puppen, die an Voodoo-Zauber erinnern, um ihnen gehörige Angst einzujagen. Kommissar Pidoux (Bernard Blier), der schon vor Jahren gegen ihn ermittelte, heftet sich erneut an Michel heran...

    »Ich bin zurückgekommen. Ich fang nochmal von vorne an und diesmal werde ich gewinnen!« Diese ersten hysterischen, beziehungsweise aggressiven Anwandlungen des sich selbst als völlig zweifelhaft vorstellenden Michel Fournier kündigen nicht nur die Art und Weise der Performance von Klaus Kinski an, sondern auch einen Verlauf, in dem nicht alles so sein wird, wie es zu sein scheint. Telefonische oder postalische Belästigungen bringen die offensichtlich rachsüchtige Hauptfigur auf Betriebstemperatur, sodass die Vergangenheit parallel wieder aufgerollt werden kann, als Anklage und Quälerei. Da diese Vergangenheit auch ein Stück weit Gegenwart und sogar Zukunft darstellt, ist es umso interessanter, in diese surreale Geschichte einzutauchen, die für Regisseur Serge Moati seinerzeit den Durchbruch darstellte. Eine Klassifikation in beispielsweise Thriller oder Drama ist nicht einfach, weil sinnlos, da es sich in jeder Faser des Dargestellten um ein Hybrid handelt, egal welche Komponenten man bei "Nuit d'or" letztlich bemühen will. Um das Szenario mit Intensität und einem bizarren Drive auszustatten, bietet Klaus Kinski seine leichtesten Fingerübungen an, indem er Besessenheit, unverblümte Aufdringlichkeit, Aggressivität sowie Impulsivität anbietet, die sich immer wieder eruptiv entfaltet, ohne sich dabei in plumpen Schockmomenten zu verlieren. Die Personen seines Umfeldes degradiert er zu innocent bystanders oder Gespenstern seiner Vergangenheit, denen die Hände wegen so viel Unberechenbarkeit in jeder Beziehung gebunden sind. Nur bei seiner Mutter scheint er auf unangenehmes Granit zu beißen, wobei es fraglich ist, ob die alte Dame noch vollkommen zurechnungsfähig, geschweige denn nüchtern ist. Für Elisabeth Flickenschildt war diese Rolle übrigens ihre letzte, und es handelt sich um einen überaus bizarren Abschluss ihrer so erfüllten Karriere. Viele Szenen sind schwer zu begreifen, animieren aber zum Hinstarren, da sie in merkwürdiger Manier faszinieren.

    »Na schön, dann schlaf! Eines Tages wirst du nicht mehr aufwachen.« Völlig aggressiv schleudert er eine Flasche gegen die Wand, als seine Mutter ihm keine Antwort, beziehungsweise irgend eine Reaktion auf seine sich anbiedernde Präsenz gibt, denn die alte, exaltiert wirkende Frau starrt lieber auf den Fernseher, in dem längst keine Sendung mehr läuft. Michel hat Personen nötig, die deutlich auf ihn reagieren, die ihn Angst und Furcht wittern lassen. Als Zuschauer fühlt man sich unbestimmterweise durch einen Hauch von Blutgeruch in der Luft angestachelt, kann die Vorgehensweise des höchst zweifelhaften Protagonisten jedoch noch nicht immer ordnen. In der Zwischenzeit plaudern die Heimgesuchten ein wenig aus dem Nähkästchen, charakterisieren den Totgeglaubten zum immer noch völlig roh servierten Verständnis ein wenig, der zu seiner Zeit nur Mörder mit der Goldkette genannt wurde. Die Regie macht es einem nicht gerade leicht, sich von den Personen an die Hand nehmen zu lassen, da sie allesamt nicht als Sympathieträger identifiziert werden können, glitschig und selbst wie schuldige Unschuldige wirken, die auf einer Welle der Verachtung reiten. Regisseur Moati legt Wert darauf, dass dieser nicht vorhandene Unterschied zu Michel nicht (allzu schnell) auszumachen ist, sodass man der Hauptfigur alles zwischen Gut und Böse zutrauen muss, was von Kinskis Aura nur unterstrichen wird. Hin und wieder folgen Szenen, die unappetitlich wirken und auch bleiben, da sie in ihrer Aussage auch manchmal kaum zu begreifen sind. Unterstützt durch teils kryptische aber auch lethargische Dialoge, verfügt dieses phasenweise isoliert wirkende Angebot und Setting zwar stets über Ausstrahlung, gleichzeitig kann es aber strapaziös werden und dem Empfinden nach spröde zugehen. Es ist schließlich besser, wenn man sich als Zuschauer erst gar nicht dazu verleiten lässt, hier irgend jemandem oder irgend etwas zu trauen, da sonst die mystische Spannung verloren gehen würde.

    Zwar ist man mit dieser Strategie immer noch auf der völlig unsicheren Seite, allerdings kann so ein trügerisches Gefühl von Sicherheit aufkommen, das einen jedoch immer nur inkonsequent erreichen wird. Im Grunde genommen setzt man sich in einen Waggon, der einen durch ein unübersichtliches Gruselkabinett transportiert. Die Fratzen, die man dort kennenlernt, sind so leicht nicht wieder zu vergessen, animieren jedoch zur Analyse, da man letztlich verstehen will. Diese uneindeutige Reise durch die in vielerlei Hinsicht angeschlagene Psyche der Beteiligten bleibt eine Katze, die sich immer wieder selbst in den Schwanz beißt, da sich Realitätsebenen verschieben. Wenn dann schließlich noch Szenen zwischen Kinski und dem kleinen Mädchen ausgewalzt werden, wird man vor gewisse Schwierigkeiten gestellt, die sich mit konventionellen Sehgewohnheiten beißen. Klaus Kinski wirkt brutal - unterschwellig wie tatsächlich. Sein Handeln als Racheengel will man nicht mittragen, da der Film kein Gerechtigkeitsempfinden besitzt oder transportiert. So erschließt sich hauptsächlich eine Morbidität und Trostlosigkeit, die keinen Zweifel daran lässt, dass man unausweichlich auf eine Katastrophe zusteuert. Es entsteht eine umgekehrte Ästhetik, die besonders in der Bildsprache zum Ausdruck kommt. Der merklich betriebene Aufwand sendet förmlich stumme Schreie ab, kaum zu dechiffrierende Signale und sehr viele beunruhigende Anteile, die in eine permanente Alarmbereitschaft versetzen. Erwähnenswerte Leistungen zeigen Bernard Blier, Marie Dubois und Maurice Ronet, die vor allem durch eine irritierende Untertourigkeit auffallen. "Die Nacht aus Gold" bietet einen verbitterten Blick auf die Bourgeoisie und rechnet im Rahmen von Trugbildern und Irrtümern mit ihr und ihren Helfershelfern ab, die sich naturgemäß für etwas Besseres halten. Am bitteren Ende bleibt so oder so um ein besonderes Filmerlebnis, dessen Perfektion sich aus einem provokanten Anti-Perfektionismus ergibt.

  • Klaus Kinski: "Das Geheimnis der gelben Narzissen"
    Eddi Arent: "Der Fluch der gelben Schlange"
    Heinz Drache: "Das Rätsel des silbernen Dreieck"
    Joachim Fuchsberger: "Die Bande des Schreckens"
    Siegfried Schürenberg: "Der Bucklige von Soho"

  • Ich muss mich der Einschätzung leider anschließen, obwohl ich Radley Metzger sehr schätze und ihn einen Virtuosen nenne, die Vorzüge des sich immer weiter zuspitzenden räumlichen Vakuums außerdem immer sehr gerne mag. In "Die Katze und der Kanarienvogel" ist aber tatsächlich alles schief gegangen, was nur schief gehen kann. Der Verlauf ist nicht spannend, auch nicht logisch oder überzeugend, hin und wieder glaubt man, wichtige Elemente einfach verpasst zu haben, außerdem fehlen zugkräftige Personen, die den Zuschauer irgendwie bei Laune halten. Zählt sicherlich zu den Filmen, auf die ich mich seinerzeit im Vorfeld am meisten gefreut und am Ende auch am herbsten enttäuscht wurde. Schade, aber hält absolut nicht das, was er verspricht.

  • Zuckerbrot und Peitsche (1968)Datum28.08.2022 16:59
    Thema von Prisma im Forum Film- und Fernsehklass...



    ZUCKERBROT UND PEITSCHE


    ● ZUCKERBROT UND PEITSCHE (D|1968)
    mit Helga Anders, Roger Fritz, Jürgen Jung, Helmut Hanke, Dieter Augustin, Monika Lundi, Walter Gnilka und Harald Leipnitz
    als Gäste: Werner Enke und Jürgen Draeger
    eine Rob Houwer Film Produktion | im Constantin Filmverleih
    ein Film von Marran Gosov







    »Geht das in dein Hühnergehirn rein?«



    Aus purer Frustration überfällt Roger (Roger Fritz), der eigentlich als Model arbeitet, Bankhäuser und Juweliere. Seine Beutezüge können sich zwar sehen lassen, doch kosten schon bald mehrere Unbeteiligte das Leben. Helga (Helga Anders), die wesentlich jüngere und vollkommen vernachlässigte Frau des bekannten Galeriebesitzers Robert Arnold (Harald Leipnitz), schließt sich dem jungen Mann als Zeugin eines Raubüberfalls an, da sie sich nach Abwechslung, Anerkennung und Spannung in ihrem Leben sehnt, und ist ihm fortan behilflich. Allerdings zeigt das Gangsterleben schon bald seine unzumutbaren Kehrseiten...

    Ein bizarres Werbe-Szenario, gleich zu Beginn dieses mit großer Spannung zu erwartenden End-60ers des aus Bulgarien gebürtigen Regisseurs Marran Gosov, weist auf eine bestimmte Richtung hin, die hier unausweichlich auf das Publikum zusteuern wird, welches bereit war für derartige Filme, die sich den Tugenden des deutschen Films zwar in vielerlei Hinsicht bedienen, sich ihren Hemmschuhen allerdings elegant entledigen konnten. Style over substance wird unter Gosovs Regie oft in style within style umgewandelt, und es scheint tatsächlich völlig unerheblich zu sein, ob man die nahezu immer geforderte Substanz innerhalb der Dramaturgie findet. Diese mehr als erstaunliche Vakanz verhilft "Zuckerbrot und Peitsche" zu einer kaum zu beschreibenden Schwerelosigkeit, die mit einer Bildsprache unterlegt und in ihr begründet ist, die für Furore sorgen wird. Die Dialoge bahnen sich ihren Weg frei Schnauze heraus, also ohne umständliche Umwege und vermeiden sprachliche Klippen, die andernorts allzu oft einen gehobenen Esprit zu verbreiten versuchten, welcher sich jedoch vornehmlich aus der technischen Finesse oder beispielsweise der Brauchbarkeit der angebotenen Charaktere ergeben sollte. Das wechselseitige Touchieren zweier unterschiedlicher Welten bringt die Geschichte mit simplen Kniffen in Gang, die thematisch bemüht ist, im Hier und Jetzt zu bleiben, sich allerdings gleichzeitig sträubt, sich als Äquivalent der Realität herzugeben. Für bare Münze ist die simple Tatsache zu nehmen, dass der Mythos der richtigen Zeit und des richtigen Orts seine volle Richtigkeit, aber ebenso Brisanz besitzt. Charmante Versatzstücke aus dem unmittelbar zuvor entstandenen Hit "Bonny & Clyde" werden als eigenständige Ideen, beinahe Erfindungen wahrgenommen, sodass aus dem beiden Protagonisten kurzerhand "Helga & Roger" werden kann, die separat schon über eine bestechende Aura verfügen, im Doppelpack jedoch ihresgleichen suchen dürfen.

    Diese besondere und mitreißende Chemie der beiden Hauptdarsteller bringt den Verlauf zum Funktionieren und stattet ihn fernab der Gangster-Thematik mit einer satten Stringenz aus, die sich aus der Dreieckskonstellation mit Harald Leipnitz ergibt. Bizarre Allüren der Hautevolee finden Anwendung, damit sie nicht als das entlarvt wird, was sie in Wirklichkeit ist: bürgerlich. So kommt es zu entsprechenden Anstrichen, die überaus bourgeois und extravagant wirken, aber quälende Lieder der Langeweile singen. Helga ist in dieser mit viel Bling-Bling, Pelzen und glänzenden Schuhen ausstaffierten aber völlig farblosen Welt gefangen und tut schließlich das, was alle Damen tun: sich schmücken und bis zur Unkenntlichkeit bemalen, ver- und entstellen, was im gehobenen Volksmund schließlich salonfähig genannt wird. Ein Tag wie jeder andere entwickelt sich in einem Juwelier-Geschäft zur einmaligen Chance, sich mit einem Mal aus dieser Blase zu befreien. Helga wird Zeugin eines Überfalls mit Todesfolge, doch wer denkt, sie sei entsetzt und abgeschreckt, hat sich getäuscht. Begeistert und bewundernd blickt sie dem Kriminellen und Mörder nach, bis sie sich schließlich an Roger heranhängt, um ihm bei seinen blutigen Coups zu unterstützen. Adrenalin und Nervenkitzel wiegen in diesem Fall offensichtlich Gold und Juwelen auf, sodass sich eine klassische Partners-in-crime-Geschichte entwickeln kann, die das Publikum ungläubig in Atem hält. Szenen aus dem Hause Arnold dokumentieren, warum sich die junge Frau überhaupt in Resignation und gähnender Langeweile verlieren konnte, deren Ursache ein der Anforderung der Rolle entsprechend gut aufgelegter Harald Leipnitz ist. Es ist kein Wunder, dass sich Helga zu dem jungen, agilen, attraktiven, unkonventionellen und vor allem wesentlich maskuliner wirkenden Roger hingezogen fühlt, wenngleich in dieser Liaison dangereuse nicht Sex sondern originellerweise Crime im Vordergrund steht.

    Marran Gosov zeigt sich sehr begabt beim Kreieren dieser Psychogramme, denn er bedient sich eines erfrischenden Pragmatismus. Gewürzt und forciert wird das Ganze durch Übertreibungen, der Zugabe landläufig kursierender Klischees und einer Prise Märchenstoff, sodass es zu der simplen Reaktion kommt, das Publikum mit einfachen Mitteln zu fesseln; Mittel, die seinerzeit in dieser Fasson noch nicht allzu häufig auf Zelluloid gebracht wurden, wohlgemerkt im bundesdeutschen Film. Gesellschaftskritische Ansätze erzielen ihre volle Wirkung, indem dieser angeprangerten Gruppe, die den meisten unbekannt sein dürfte, ein brüchiger Spiegel vorgehalten wird, dessen Sprünge die verzerrtesten und hässlichsten Fratzen zeigen. Der Zuschauer kann sich allerdings auch auf einen Unterhaltungsfilm stützen, der seine Stärken innerhalb des angebotenen Spektakels und der soliden Action findet. Es ist davon auszugehen, dass dieses Konstrukt ohne die Leistungen von Roger Fritz, Harald Leipnitz und insbesondere Helga Anders nur halb so effizient funktioniert hätte, da die Vertreter dieses Trios separat und charakteristisch für die erforderlichen Besonderheiten im Spektrum der Emotionen stehen, den Zuschauer aber ebenso spielend auf ihre Seite ziehen können, da jede dieser Personen Charakteristika, materielle Vorzüge oder beides besitzt, was letztlich eine merkwürdige Anziehungskraft aufzubauen vermag. Ist der Film zu Ende, bleiben es weitgehend Fantasiefiguren und Schicksale sowie Situationen, die vornehmlich in das Reich der Mythen verwiesen werden dürfen. Oder doch nicht? Genau hier liegt die Krux dieses bemerkenswert aufgebauten und leichtfüßigen Films, der trotz bleischwerer Inhalte kaum in gerne bemühte (da einfach auszuschlachtende) Bereiche vordringt, die im Film fließbandartig Verwendung fanden. Unterlegt mit Musik aus träumerischen Sphären, kann Marran Gosov für ein mit frischem Blut angereichertes Erlebnis sorgen, auf das der deutsche Film immer wieder heimlich gewartet hat.

  • Wallace & Blu-rayDatum17.05.2022 17:27
    Foren-Beitrag von Prisma im Thema Wallace & Blu-ray

    Zitat von Jan im Beitrag #1132
    Eine Frage hätte ich aber zum "Buckligen": Enthalten ist hier die Szene in der Mädchen-Besserungsanstalt, in der Ilse Pagé ihr Oberteil aufknöpft und die Oberen fragt, welche geheimen Gelüste die Oberin wohl sonst noch so hätte. Ist das auf der DVD auch enthalten? Ich kann mich zwar daran erinnern, dass die Einstellung bei den Fernsehausstrahlungen gefehlt hat, nicht aber daran, wie das bei der DVD aussieht.

    Diese Szene ist auf der DVD wieder enthalten gewesen, hatte aber bei damaligen TV-Ausstrahlungen und zumindest auf den mir bekannten Video-Veröffentlichungen gefehlt. Ich hatte mich bei der Entschärfung dieser Szene schon immer ein wenig gewundert, zumal es andernorts bereist mehr zur Sache ging.

  • Noch lebende Wallace StarsDatum21.03.2022 13:14
    Foren-Beitrag von Prisma im Thema Noch lebende Wallace Stars

    Wie Medien einstimmig berichten, ist Eva Ingeborg Scholz im Alter von 94 Jahren verstorben.

  • Edgar Wallace - Heute vor...Datum10.03.2022 00:29
    Foren-Beitrag von Prisma im Thema Edgar Wallace - Heute vor...

    Zitat von Peter Ross im Beitrag #279
    Heute vor genau 50 Jahren fand die Uraufführung von "Das Geheimnis der grünen Stecknadel" statt

    [...]

    Die Uraufführung von "Das Geheimnis der grünen Stecknadel" fand am 09.03.1972 zeitgleich in Italien und Deutschland statt . Das war heute vor 50 Jahren.

    Wie beruhigend, dass dieser doch auffällig puristische Text noch von einer einführend und abschließend sachlichen Meldung zum Film umzingelt wird.

  • Edgar Wallace - Heute vor...Datum09.01.2022 22:10
    Foren-Beitrag von Prisma im Thema Edgar Wallace - Heute vor...

    Zitat von Peter Ross im Beitrag #43
    Sicher gibt es noch weitere Auftritte von ihm, von denen ich jedoch nicht berichten kann.


    Bei einem Blick auf seine schmale Filmografie durchaus verständlich. Bei nur 14 Auftritten dürften vermutlich die Wenigsten hier mehr als seine zwei Wallace-Rollen kennen, was letztlich schade ist, denn er hinterlässt prägnante Auftritte und dementsprechend starke Eindrücke, bei denen es sich einfach so anfühlt, als ob man da gerne noch mehr gesehen hätte, auch in anderen Wallace-Filmen. Als Clay Shelton finde ich ihn trotz kurzer Szenen sehr überzeugend, zumal er das Szenario quasi bis zum Ende hin begleitet. Als Rechtsanwalt Radlow hat er mir aber immer schon noch einen Ticken besser gefallen. Eine ganz unkonventionelle und einprägsame Zeichnung dieser Rolle. Ist vielleicht bekannt, ob er vorwiegend Theater gespielt hat? Das würde vielleicht seine sporadischen Auftritte fürs Fernsehen und Kino erklären.

  • Edgar Wallace - Heute vor...Datum04.01.2022 14:16
    Foren-Beitrag von Prisma im Thema Edgar Wallace - Heute vor...

    Zitat von Count Villain im Beitrag #24
    Aber auch das erhält meines Erachtens durch Mady Rahls Gesicht mehr Glaubwürdigkeit als wenn es zum Beispiel, keine Ahnung, Maria Schell getan hätte.


    Du lässt nicht locker.
    Da stimme ich vom Prinzip her zu, wenngleich Maria Schell derartige Rollen auch hervorragend verkörpern konnte. Aber ich weiß was du meinst.
    Auf der Suche nach einem Beispiel schwebt mir da etwa eine Art Renate Grosser in ihrer biedersten Aufmachung vor. Das konnte sie wiederum hervorragend darstellen.

  • Edgar Wallace - Heute vor...Datum04.01.2022 13:14
    Foren-Beitrag von Prisma im Thema Edgar Wallace - Heute vor...

    Zitat von Count Villain im Beitrag #22
    Mir gefällt sie im Fälscher eigentlich sehr gut und so angepasst finde ich sie gar nicht.


    Das kommt natürlich auf die Betrachtung an. Ich finde sie hier eher ok, was mir bei Mady Rahl nicht reicht. Ich mag daher viele andere Rollen, die ihr Relevanz bieten.


    Zitat von Count Villain im Beitrag #22
    Im Anbetracht dessen, dass Marjorie Wells ihren Gatten gegen Ende verlässt, finde ich die Besetzung mit der unangepasst wirkenden Mady Rahl geradezu treffsicher.


    Auch das kommt auf die Auslegung an. Ich bleibe dabei, dass ihre Rolle nicht sehr stark ausgefallen ist, auch wenn sie hier bestimmt nichts falsch macht. Im Grunde genommen bleibt dieser Part leider unbedeutend und sie hat kaum eine gute Szene. Dass sie ihren Mann am Ende verlässt, ist wohl eher Resultat von gefühlt 100 Ehejahren, in denen sie pausenlos Hörner aufgesetzt bekam. Die unangepassteren Mady Rahls unter ihnen hätten es erst gar nicht so weit kommen lassen. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass sie nicht in seine miesen Angelegenheiten hinein gezogen werden wollte, aber es sei dahingestellt, ob es sich um emanzipatorische Gründe oder ihre ältesten Muster handelt. Ich würde dir vielleicht zustimmen, wenn Marjorie am Ende nicht noch ausgiebig in den Safe gegriffen hätte. So geht die Abhängigkeit weiter. Da sie so plötzlich verschwindet, wirkt sie förmlich aus der Geschichte weggelobt.

  • Edgar Wallace - Heute vor...Datum03.01.2022 15:31
    Foren-Beitrag von Prisma im Thema Edgar Wallace - Heute vor...

    Ich schließe mich den Meinungen zu Mady Rahl an, die ich immer sehr gerne sehe. Wenn man ihr Geburtsdatum mal Revue passieren lässt und die Filmografie zu den Anfängen zurückverfolgt, ist es schon beachtlich, über wie viele Jahrzehnte sie die Branche bereichern konnte. Sie verkörperte von Anfang an einen modernen Frauentyp, der durch unangepasste und freche Verhaltensweisen auffiel, die sich natürlich vornehmlich gegen die Männerwelt richteten. Der deutsche Film versuchte die dem Empfinden nach immer in Bewegung wirkende Blondine zu bändigen, indem er sie oft in konträr wirkende Rollen verfrachtete, um ihnen die Biederkeit zu nehmen. Dabei kamen ihre angepassten und möglicherweise auch schwächeren Leistungen zustande, wie beispielsweise in "Der Fälscher von London", der ihre Kapazitäten ungenutzt ließ. In ihrem zweiten Wallace-Auftritt durfte sie in einer Rolle auftrumpfen, die trotz des geringen Umfangs mehr Möglichkeiten bot und darüber hinaus auf ihre Karriere-Anfänge und ihr Naturell hinweist. Ihre Nennung freut mich daher umso mehr, da Mady Rahl bei der Wallace- Retrospektive oft etwas untergeht. Ich bin generell sehr gespannt, wie es hier weitergeht!

  • Lautlose Waffen (1966)Datum12.12.2021 21:07
    Foren-Beitrag von Prisma im Thema Lautlose Waffen (1966)

    Ein kleiner, schneller Nachtrag, denn ich habe hier tatsächlich etwas gefunden: DER SPIEGEL gibt Aufschluss über Levkas Rolle.

  • Lautlose Waffen (1966)Datum12.12.2021 20:55
    Foren-Beitrag von Prisma im Thema Lautlose Waffen (1966)

    Also ein kleineres Rätsel, das gelöst werden möchte.

    Aus der Erinnerung heraus, habe ich bei den besagten Damen keine ausfindig machen können, die Uta Levka geglichen hätte, immerhin handelt es sich bei ihr ja eine Schauspielerin mit markanten Gesichtszügen. Ich werde das aber nochmal überprüfen, wobei ich auch eher an die zweite Variante glaube, dass die (möglicherweise wenigen) Szenen vorher entfernt wurden, weil sie für die laufende Geschichte als nicht wichtig erachtet wurden. Bei der IMDb wird sie unter "Mädchen unter der Dusche" gelistet. An eine solche Szene kann ich mich auch nicht erinnern. Falls sie nicht existiert, könnte sie etwa wegen zu offenherziger Eindrücke entfernt worden sein, für die Levka ja mitunter zu haben war.

  • Lautlose Waffen (1966)Datum11.12.2021 21:07
    Foren-Beitrag von Prisma im Thema Lautlose Waffen (1966)

    Ich habe den Film auch vor einigen Wochen gesehen und fand ihn innerhalb seiner unaufgeregten Erzählweise sehr ansprechend und gut konstruiert. Natürlich hat mir die Besetzung sehr zugesagt, da viele Schauspieler gute Möglichkeiten zur Entfaltung erhalten. Dennoch blieb bei mir zumindest die Frage offen, ob die im Vorspann angekündigte Uta Levka mit von der Partie ist, die ja mit ein Kaufgrund war. Ich kann mich nämlich nicht an Szenen mit ihr erinnern. Oder ist ihre Rolle derart klein gewesen, dass eine kleine Ablenkung genügt hätte, sie zu übersehen?

  • Ja, das ist klasse, vielen Dank fürs Teilen! Als ich die Serie letztens wieder gesehen habe, fiel mir diese Stelle natürlich auch auf, an die ich mich überhaupt nicht mehr erinnern konnte. Ich musste da schon ein wenig schmunzeln, denn der Schnitt ist ziemlich grobschlächtig, da man den Anfang und den Weg zum Finale innerhalb weniger Sekunden visuell, beziehungsweise akustisch geboten bekommt. Auch dass ausgerechnet "Der Bucklige von Soho" Julia Biedermanns größte Schwachstelle entlarvt - nämlich ihre gestelzte Interpretationsgabe - ist schon überaus beachtlich.

  • Thema von Prisma im Forum Film- und Fernsehklass...


    TRAGÖDIE IN EINER WOHNWAGENSTADT


    ● TRAGÖDIE IN EINER WOHNWAGENSTADT (D|1967) [TV]
    mit Werner Schumacher, Ruth Maria Kubitschek, Klaus Grünberg, Otto Mächtlinger, Peter Bollag, Susanne Beck, Peter Schiff,
    Friedrich G. Beckhaus, Sigrid Hackenberg, Peter Kuiper, Benno Hoffmann, Otto Czarski, Waltraud Schmal, Ursula Gompf, u.a.
    eine Produktion der Neue Deutsche Filmgesellschaft | im Auftrag des ZDF
    ein Fernsehfilm von Günter Gräwert







    »Dios mío, qué pasa?«



    In einem Waldstück, nahe der Wohnwagensiedlung Superba, kommt es zu einem folgenschweren Zwischenfall: Dotty Fisher (Susanne Beck) wurde auf dem Nachhauseweg von einem Mann belästigt. Völlig verstört rennt das fünfzehnjährige Mädchen davon und berichtet einigen Männern aus der Siedlung von den Geschehnissen. Die aufgebrachten männlichen Bewohner wollen den Fall um jeden Preis aufklären und bilden einen schnell zusammengewürfelten Untersuchungsausschuss, dessen einseitige Vorgehensweise von Wut, Vorurteilen, Hass und Brutalität geprägt sein wird. Dotty wird bis zur Erschöpfung bei den für diesen Zwischenfall in Frage kommenden Männern vorgeführt und soll den Täter identifizieren, doch den selbsternannten Richtern geht es kaum um die Wahrheitsfindung, sondern sie handeln aus viel niedrigeren Beweggründen...

    Der überwiegend als Regisseur von Fernsehfilmen bekannte Regisseur Günter Gräwert inszenierte diesen TV-Film nach einer Vorlage des US-amerikanischen Drehbuch- und Bühnenautors Reginald Rose, dessen realistischer Ansatz hervorragend durch Gräwert in den fertigen Film integriert wurde. Für einen deutschen TV-Film ist es geradezu bemerkenswert, wie frappierend echt der Regisseur ein amerikanisches Flair zu simulieren vermag, welches man sich zumindest irgendwie in dieser Art so vorstellen könnte. "Tragödie in einer Wohnwagenstadt" beinhaltet bereits im Titel die zwei wichtigsten Säulen der Geschichte, denn es wird sich tatsächlich ein tragischer Tenor aufbäumen, außerdem deutet die Ortsnennung ein nicht zu durchbrechendes Vakuum an, in dem sich alle Beteiligten ohnehin schon befinden würden, es aufgrund der aktuellen Situation aber noch mehr tun. Die Einführung in diese überaus aufwühlende Geschichte geschieht schnell und unmissverständlich, denn die Kamera orientiert sich an trostlosen Fixpunkten und gescheiterten Existenzen, was sich nicht nur auf das Leben und die Örtlichkeit bezieht, sondern auch auf viele der vorgestellten Charaktere, von denen sich ein Rudel noch zu wahren Höhlenmenschen entwickeln wird. Ein Mädchen wird auf dem Nachhauseweg belästigt und tritt ohne es zu wollen eine Kettenreaktion in Gang, deren Eigendynamik negativste Ausmaße annehmen wird. Schaut man auf den Stein des Anstoßes, so kommen einem die drastischen Mittel der Wahl in keinster Weise gerechtfertigt vor, da die Tat an sich hochgradig durch die aufflammende Brutalität und den blanken Sadismus bei der Vorgehensweise relativiert, dem Empfinden nach sogar aufgehoben wird. Für die in Superba herumlungernden Männer ist das aufgelöste Mädchen offensichtlich die willkommene Abwechslung, die dem untätigen Dasein eine Absolution erteilen könnte, sodass ein Untersuchungsausschuss formiert wird, in welchem sie sich obendrein selbst zu Richtern ernennen.

    Die aggressive Vorgehensweise der Männer zeigt weiterhin auf, dass sie zu allem bereit zu sein scheinen und sich am Ende als Henker nützlich machen könnten. Die brodelnde Gefahr der Geschichte baut sich unter anderem aus der Tatsache auf, dass der eigentliche Auslöser für diese Formierung absolut in den Hintergrund rückt, damit die Herren, die sonst nicht wichtig sind, sich aber nun wichtig fühlen dürfen, unabdingbar und hierarchisch Überlegen sein können – zumindest temporär. Grobschlächtige sowie einseitige Verhöre und ein überaus hartes Angehen der beinahe ausschließlich unschuldigen Opfer dieser sinnlosen Lynchjustiz zeichnen in ihrer Bündelung eine Abwärtsspirale, die erschreckend wirkt. Der anvisierte Täter ist schnell gefunden und vorverurteilt, da er schuldig sein muss, denn immerhin handelt es sich um einen Fremden, der obendrein Puerto Ricaner ist. Er und seine Familie wird daher behandelt wie der letzte Dreck, rassistisch beleidigt und gedemütigt, was der Angelegenheit zusätzlich eine Brisanz verleiht, die in schmerzlich verpackten Untertönen gipfelt. Themen wie die Spiegelung der eigenen Unzulänglichkeiten, die Wut gegen alles Fremde und Andersartige, Umkehrreaktionen der Autoaggression und ein offensichtlich mangelnder Bildungshintergrund werden das widerliche Gebräu, dass die selbsternannten Richter einer ganzen Gemeinschaft und dem Publikum einflößen. Die handwerkliche Bearbeitung durch Regisseur Gräwert ist hierbei ausgezeichnet und es entsteht eine beinahe unerträgliche Spannung, die sich trotz aller Vorhersehbarkeit und deutlicher Hinweise etablieren kann, da man es mit plumper Unberechenbarkeit zu tun bekommt. Die passenden Gesichter dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit im Namen der vermeintlichen Gerechtigkeit liefern verdiente Interpreten wie vor allem Friedrich Georg Beckhaus, Benno Hoffmann oder Peter Kuiper, die sich in selbstgefälligen Sphären selbst übertreffen.

    Suggestivfragen, Nötigungen, Drohgebärden und Tätlichkeiten dominieren die Vorgehensweise dieser barbarischen Clique immer nachdrücklicher, außerdem packen sie das mittlerweile erschöpfte Opfer immer härter an und muten ihr eine unappetitliche Zirkusvorstellung zu. Nicht nur bei vielen Bewohnern der Wohnwagenstadt, sondern auch beim Publikum macht sich schließlich Fassungslosigkeit, Ekel und Entsetzen breit, da eine Mücke zu einem Elefanten aufgeblasen wird. Diese primitivste Art der Gruppendynamik erfährt allerdings auch zahlreiche Gegenentwürfe, die jedoch durch Einschüchterung und Angst lange zum Schweigen gebracht werden. Hier zu nennen sind vor allem Werner Schumacher, Otto Mächtlinger, Peter Bollag und Ruth Maria Kubitschek, der damaligen Ehefrau von Günter Gräwert. Lediglich Susanne Beck als junges Opfer wirkt in ihrer nicht abebben wollenden Hysterie strapaziös, wenngleich sie so als wandelnder und stets wimmernder Grund für die Schuldfrage präsent gehalten wird. Insgesamt gesehen ist "Tragödie in einer Wohnwagenstadt" überraschend intensiv in er Umsetzung ausgefallen und schafft es sogar beängstigend authentische Züge anzunehmen. Gräwert gelingt dabei zusätzlich das Kunststück, seinen Fernsehfilm nicht nur publikumswirksam, sondern auch kritisch und fordernd auszustatten. Der nie geäußerte Einwurf, dass auch wesentlich mehr mit Dotty Fisher hätte passieren können, wird in unangenehmer Art und Weise zur hauptsächlichen Rechtfertigung der selbsternannten Richter, sodass man sich umgehend von ihnen zu distanzieren versucht, da ihre Willkür selbstgefällig und unterm Strich nur noch abscheulich wirkt. So ist dieser nachdenklich stimmende Film als Appell an ein gesundes Gerechtigkeitsempfinden und Plädoyer für eine liberale Auffassung vom Zusammenleben und dem Umgang mit anderen sehr gut gelungen, und sticht in der Landschaft deutscher Fernsehproduktionen als unerwartete Sternstunde heraus.

  • Vielen Dank für die Informationen!
    Wenn ich mir das Verleih-Programm so anschaue, wären schon einige Sachen dabei, die für mich bestimmt nicht uninteressant wären.
    Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf die nächsten Vorstellungen hier.

  • Zitat von Giacco im Beitrag #55
    "Küsse, die töten" genießt den Status einer obskuren Rarität. Der Filmtitel klingt verheißungsvoll, doch ob das, was sich dahinter verbirgt, dem gerecht wird, darf bezweifelt werden.

    Gerade solche Filme finde ich ja hoch interessant, obwohl sie, wie bereits erwähnt, meistens nicht das einhalten können, was sie im Vorfeld vollmundig versprochen haben. "Küsse, die töten" ist tatsächlich auffällig unspektakulär besetzt, was ja bei derartigen Produktionen nicht besonders außergewöhnlich war, aber ich finde, dass gerade über diese Schiene nicht selten ein noch höherer Unterhaltungswert zustande gekommen ist, da weniger bekannte Darsteller_innen dem Empfinden nach oft weniger Hemmungen innerhalb derartiger Anforderungen transportierten, als arrivierte Stars. Danke jedenfalls für die Vorstellung dieses Films, von dem ich vorher noch nie gehört und gesehen hatte, und überhaupt für diesen informativen Thread.

    @Giacco : Ich bin ein wenig an dem mir ebenfalls völlig unbekannten Verleih Sonderfilm hängen geblieben. Weißt Du vielleicht Näheres über die Firma?

  • Wallace & Blu-rayDatum29.11.2020 15:39
    Foren-Beitrag von Prisma im Thema Wallace & Blu-ray

    Diese Szene ist aber kurz im deutschen Kino-Trailer zu sehen. Also ist davon auszugehen, dass sie gedreht wurde.

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