
Tatort: Transit ins Jenseits Die Hauptkommissare Schmidt und Veigl ermitteln in Berlin und München
Episode 69 der TV-Kriminalserie, BRD 1976. Regie: Günter Gräwert. Drehbuch: Jens-Peter Behrend, Günter Gräwert. Mit: Martin Hirthe (Hauptkommissar Schmidt), Ulrich Faulhaber (Kriminalassistent Hassert), Gustl Bayrhammer (Hauptkommissar Veigl), Helmut Fischer (Kriminalassistent Lenz). In Gastrollen: Marius Müller-Westernhagen, Götz George, Gisela Dreyer, Angelika Bender, Gerd Baltus, Peter Schiff, Ursula Gerstel, Barbara Morawiecz, Katrin Schaake, Inge Sievers u.a. Erstsendung: 5. Dezember 1976, ARD. Eine Produktion des Senders Freies Berlin.
Zitat von Tatort (69): Transit ins Jenseits Als sie den freundlichen Horst Bremer kennenlernt, ahnt die Kellnerin Erika Marquart nicht, dass diese Bekanntschaft kein Zufall ist. Schon seit Tagen hatten Horst und sein Kumpel Martin Poll die Frau beschattet. Schließlich rückt Horst mit dem Grund für die arrangierte Freundschaft heraus: Er will der Verlobten seines Bruders zur Flucht aus der DDR verhelfen und benötigt für das waghalsige Vorhaben an der Transitstrecke eine Komplizin, die der Frau ähnlich sieht. Er bietet Erika 5’000 Mark an, mit denen diese ihre Schulden bezahlen könnte. Erika willigt ein, ohne zu wissen, dass sie aus der DDR nicht mehr lebendig zurückkehren wird ...
Auch beim dritten Sehen verliert diese Folge nicht an Reiz – im Gegenteil: Sie wirkt auf mich mit jeder Wiederholung gelungener und ausgewogener. Wenn ich einem „Tatort“-Neuling einen empfehlenswerten Klassiker ans Herz legen sollte, wäre es vermutlich dieser Fall, auch wenn er in seiner Konzeption mit der langen Vorgeschichte und der auf die letzten 20 bis 25 Minuten zusammengedampften Ermittlungen natürlich nicht besonders typisch ist. Aber gerade das macht ihn so innovativ und auch so spannend, denn die exzellent ausgearbeiteten Figuren bei ihrer riskanten Beihilfe zur Republikflucht zu beobachten, übertrifft das Adrenalin-Level üblicher lang ausgewälzter Zeugenbefragungen mit Lockerheit und Unkonventionalität.
In der geschickten Szenenmontage, in der Horst Erika beobachtet und dann „zufällig“ ihre Bekanntschaft sucht, weist Günter Gräwert den Protagonisten von Minute 1 an als Schurken aus. Dennoch gelingt es Marius Müller-Westernhagen, diese Rolle – bis zur Wendung der Ereignisse – mit einer freundlichen Kumpelhaftigkeit auszustatten. Ebenso wie er Erika umschmeichelt, weiß er auch den Zuschauer für sich einzunehmen – eine sehr gute, doppelbödige Performance des sonst eher als Sänger bekannten Düsseldorfers. Vielleicht ist es auch Erikas Blauäugigkeit, die den Zuschauer Horst einige Manipulationen verzeihen lässt ... und das, obwohl Gisela Dreyer keineswegs eine dumme, naive Frau spielt, sondern aufgeschlossen und hilfsbereit erscheint. Man setzt sich folglich gern mit den beiden in ein Auto – eine wichtige Grundvoraussetzung dafür, dass der Hauptteil der Folge durchgehend unterhaltsam und fesselnd ist. Dazu kommen der gut ausgetüftelte Fluchtversuch, die Kleinigkeiten, die den Plan nach und nach an den Rand des Einsturzes bringen, und die schönen Landschaftsaufnahmen der Transitstrecke, für die der SFB diesmal recht umfangreich mit seinen Kollegen vom Bayerischen Rundfunk kooperierte.
Dies schlägt sich auch darin nieder, dass Schmidt und Veigl zu fast gleichen Teilen ermitteln. Dadurch und durch die Kürze der Ermittlungsphase kommt keine Sekunde Langeweile in der Folge auf, die zudem auch noch mit sehenswerten Nebenauftritten von Götz George (Sahnetorte futternd im ikonischen Autobahnrasthof Frankenwald) und Gerd Baltus (in Gummistiefeln auf der Haveljacht) gespickt ist. Da verzeiht man sogar, dass Hauptkommissar Schmidt diesmal der Zufall ein wenig zu sehr unter die Arme greift, weil er sich an ein Foto der in der Zone gefundenen Toten erinnern kann und ihm die groben Tatumstände dadurch wie von selbst klar werden.
Mit den vielen Naturaufnahmen profitiert der luftige „Transit ins Jenseits“ natürlich besonders von der schönen Bildrestaurierung, die auch diesmal wieder als sehr gelungen bezeichnet werden kann. Unterm Strich bekommt man es hier – in welcher Bildqualität man sich die Folge auch immer anschaut – mit einem der gelungensten Berliner „Tatorte“ überhaupt sowie einem aus heutiger Perspektive wertvollen zeithistorischen (Er-)Zeugnis zu tun, das sich auch vor einigen kritischen Tönen über die organisierten „Retter“ fluchtwilliger DDR-Bürger nicht scheut.
Knisternde Hochspannung macht sich breit, wenn Horst und Erika auf der Transitstrecke von Berlin nach Hof gewagte Fluchthilfe leisten wollen. Sowohl die ständige Gefahr von Überwachung und Ertapptwerden als auch die Anspannung zwischen den Figuren sorgen für beste Unterhaltung und starke (fast in Richtung der vollen Hand tendierende) 4,5 von 5 Punkten.
|