Angesichts der aktuellen RBB-Ausstrahlungen der restaurierten SFB-Frühfolgen (gute Arbeit!) habe ich mir nun auch den zweiten, also eigentlich ersten Fall von Kommissar Kasulke angesehen, der mir viel besser gefallen hat als „Rattennest“.

Tatort: Der Boss Hauptkommissar Kasulke ermittelt in Berlin
Episode 13 der TV-Kriminalserie, BRD 1971. Regie: Heinz Schirk. Drehbuch: Johannes Hendrich. Mit: Paul Esser (Hauptkommissar Kasulke), Gerhard Dressel (Kriminalassistent Roland). In Gastrollen: Hugo-Heinz Panczak, Heribert Sasse, Ronald G. Nitschke, Christian Böttcher, Elke Aberle, Barbara Hampel, Günther Dockerill, Inge Wolffberg, Gerhard Wollner, Peter Schiff u.a. Erstsendung: 19. Dezember 1971, ARD. Eine Produktion des Senders Freies Berlin.
Zitat von Tatort (13): Der Boss Weil sie die Kontrolle über den Wagen verlieren, demolieren Achim und seine Freunde zufällig das Schaufenster eines Pelzgeschäfts. Da liegt nun ein wertvoller Pelz in der Auslage – und Achim braucht nur zuzugreifen. Einmal auf den Geschmack der leichten Beute gekommen, beginnt er, mit seinem Kumpel Peter gezielt in weiteren Geschäften einzubrechen. Die Taktik der Jungs wird immer ausgefeilter und ihre Gaunerclique immer größer. Irgendwann beschließt der als Profi hinzugezogene Uwe, dass „der Boss“ Achim zu mächtig und zu wankelmütig ist. Er soll deshalb aus dem Weg geräumt werden!
Auch in seinem ersten Fall ist Kommissar Kasulke keine zentrale Figur: Seine wenigen Ermittlungssequenzen spielen sich fast schon isoliert von der auf die jugendlichen Verbrecher konzentrierten Haupthandlung ab und bestehen zum großen Teil aus dem Strapazieren von Sitzfleisch. Paul Esser wirkt dennoch nicht unsympathisch, aber eben wie ein typischer Beamter, dessen kurze „Tatort“-Karriere in Anbetracht seiner eher unterdurchschnittlichen Präsenz nicht überrascht.
Umso mehr überzeugt hier das Verbrechensmoment: Die Spirale der immer dreister werdenden Pelzdiebstähle wird sehr geschickt und „knackig“ in Szene gesetzt und die daran beteiligten Personen, insbesondere Bandenchef Achim, mit Sorgfalt gezeichnet. Jugendliches Kleinbürgertum mit Hang zur Großspurigkeit, das leichtes Geld ohne große Anstrengung verdienen und sich den Luxus leisten will, je nach Stimmung auch ’mal einen Tag zu verbummeln, offenbart sich dem Zuschauer in schönstem Seventies-Hedonismus. Geschmiedet werden die zuerst sehr simplen, dann immer aufsehenerregenderen Pläne entweder in der mit „Django“-Plakaten ausgehängten Räuberhöhle der Gang oder in einer Disco, in der viel zeitgenössische Musik läuft. Das Flair kommt einer in Farbe gedrehten „Kommissar“-Folge nahe. Im besten Wolfgang-Becker-Stil setzt Regisseur Heinz Schirk den Soundtrack überaus clever ein, was einen schönen Bogen vom Vorspann (aus der Zeit gefallene, sofort weggeschaltete Peter-Alexander-Klänge) bis zu den „tatort“-ungewohnten Abschlusscredits („Everything’s alright, everything’s fine, and we want you to sleep well tonight“) spannt.
Die Eskalation der Raubzüge ist ebenso spannungsförderlich wie Neid und Mauschelei zwischen den Pelzräubern. Während Hugo Panczak (Bruder des Krimi-Urgesteins Hans-Georg) überzeugend den großspurigen Tunichtgut mimt, füllen Ronald G. Nitschke den ruhigen, Heribert Sasse den cleveren und Elke Aberle den hintertriebenen Part aus. Die Beseitigung des Oberhaupts gerät zum Höhepunkt der Folge und dürfte dem ewig angestrebten „perfekten Mord“ durchaus nahekommen, weshalb es sinnvoll ist, dass „Der Boss“ mit einem unerwarteten, offenen Ende schließt und sich jeder Betrachter seinen Teil über den Erfolg des Hauptkommissars und der Diebe denken kann. Dass dabei manche Details offen bleiben, stärkt den elliptischen, unvollkommenen Charakter der Folge nochmals und verleiht ihr einen rauhen, kantigen Charme, den man dann bei „Rattennest“ ohne Sinn für ein gesundes Maß auf die Spitze trieb.
Wallace-Fans werden sich über Ausflüge der Folge in Richtung Wannsee, Heckeshorn und sogar Pfaueninsel freuen, wobei von der Insel selbst nichts zu sehen ist (nur das davor gelegene Wirtshaus und die Fähre kommen zu Ehren).
Die kriminalistisch eher auf Räuber-und-Gendarm-Niveau angesiedelte Pelzräuber-Story wird durch geschickte Figurenzeichnungen und zersetzendes Konkurrenzdenken der Protagonisten über den Durchschnitt gehoben und schließlich durch einen astreinen Mord veredelt. 4 von 5 Punkten scheinen mir – gerade auch in Anbetracht der stimmigen Gastdarstellerleistungen – verdient.
|