Tatort: Tod im U-Bahnschacht Hauptkommissar Schmidt ermittelt in Berlin
Episode 57 der TV-Kriminalserie, BRD 1975. Regie: Wolf Gremm. Drehbuch: Peter Stripp. Mit: Martin Hirthe (Hauptkommissar Schmidt), Manfred Günther (Kriminalassistent Wagner), Andreas Mannkopff (Kriminalassistent Wolf). In Gastrollen: Erdal Merdan, Meral Orhonsay, Reinhard Kolldehoff, Tuncl Kurtiz, Senih Orkan, Aras Ören, Dorothea Moritz, Günter Meisner, Friedrich G. Beckhaus, Klaus Münster u.a. Erstsendung: 9. November 1975, ARD. Eine Produktion des Senders Freies Berlin.
Zitat von Tatort (57): Tod im U-Bahnschacht Ein türkischer Schwarzarbeiter gerät beim Bau der U-Bahnstrecke unter der Wilmersdorfer Straße versehentlich unter die Räder einer Planierraupe und stirbt eines qualvollen Todes. Weil er keine Arbeitsgenehmigung hatte, lässt man seine Leiche verschwinden – und plant dasselbe mit dem einzigen Zeugen, einem Landsmann, der nun sowohl gegen die mächtigen Interessen der Bauherren und ihrer Freunde als auch gegen die Behörden ankämpfen muss ...
Hohn, Spott und Verachtung schütten „Tatort“-Fans über dieser ehemaligen Giftschrank-Folge des SFB aus, die nach der Erstsendung 1975 für entrüstete Reaktionen sorgte und erst 1992 wieder das Licht der Bildschirme erblickte. Vom Prädikat „schlechteste Folge der 1970er Jahre“ ist manchmal die Rede und von abgeschmackter Effekthascherei noch viel häufiger. Was sind die Kritikpunkte? Für stillos hält man die Eröffnungsszene, in der Regisseur Wolf Gremm sich nicht davor scheut, die Kamera beim bitteren Ende des Arbeiters lange und beinah genüsslich auf dessen Todesschmerzen draufzuhalten. Für einseitig die Schilderung der Ausländerproblematik – und für abstoßend das Ende, in dem die großen Fische unversehrt davonschwimmen, während der für seine Vorstellung von Gerechtigkeit streitende Arkan in mehrfacher Hinsicht endgültige Niederlagen einstecken muss.
Auch mir sind diese Punkte nicht verborgen geblieben, gleichwohl echauffiere ich mich nicht über die Machart von „Tod im U-Bahnschacht“, wie etwa zeitgenössische Zuschauer seinerzeit ihre Feedback-Pflicht erfüllten: „Als Polizeipräsident von Berlin würde ich Klage gegen den SFB erheben“, schreibt zum Beispiel Karl B. aus S. – weitere erzürnte Stimmen findet man bei Zauberspiegel-Online.de. Vom heutigen Standpunkt fällt es leichter, „Tod im U-Bahnschacht“ als das zu akzeptieren, was es ist: eine manchmal etwas unbeholfene, dafür aber umso wegweisendere Erstbegegnung der heute so eng miteinander verknüpften Traditionen „Tatort“ und Migrationsaufarbeitung, die sich, um künstlerische Distanz zwischen Realität und Fiktion zu bewahren, reichlich eines bitterbösen Zynismus bediente. In vielen Szenen tritt unterschwellig eine Art Humor zu Tage, die so schwarz ist, dass sie den Geschmack der meisten „Tatort“-Freunde verfehlt haben dürfte. Lässt man sich aber unvoreingenommen auf dies ein, so erhält man eine actionreiche, wenig zimperliche Episode, die ihre gesamte Laufzeit ohne Längen überbrückt und in einem spannenden und gleichzeitig ernüchternden Finale gipfelt.
Martin Hirthe hält sich als Ermittler stark zurück, weil Erdal Merdan als Arkan die eindeutig größte Rolle zugesprochen bekam. Obschon er in klarer Absicht von Selbstjustiz handelt, motiviert das Skript seine Handlung doch so geschickt, dass man ihn bald als eine Art Held akzeptiert, was vielen gesellschaftlichen Normen zuwider geht, aber gleichzeitig die allgemeinen Erschütterungen über das Ende der Folge erklärt und das Experiment „Tod im U-Bahnschacht“ gelingen lässt. Neben Merdan ist dafür auch Urgestein Reinhard Kolldehoff verantwortlich, der wieder einmal so grandios aufspielt, dass man sich keine bessere Besetzung für den abstoßenden Überschurken (noch dazu mit Namen Kaiser) hätte wünschen können.
Für U-Bahnfreunde ist die Folge nebenbei ein wahrer Genuss, darf man doch Blicke auf die Baustelle der 1978 eröffneten Strecke der heutigen U7 vom Fehrbelliner zum Richard-Wagner-Platz durch das Zentrum von Charlottenburg sowie außerdem auf die damals nagelneue Station Rathaus Steglitz und die schon seit den Anfangsjahren der Berliner Hochbahn in Betrieb befindliche, über dem Landwehrkanal thronende Anlage am Halleschen Tor werfen. Gemeinsam mit der charakteristischen Musik und den eindrücklichen Darstellerleistungen sprechen diese Argumente in meinen Augen eine deutliche Sprache – für einen massiv unterbewerteten, aber irgendwie natürlich wirklich obskuren „Tatort“.
Inhaltlich kann ich nichts Verwerfliches an „Tod im U-Bahnschacht“ feststellen – das, was sich als Übel am Ende der Folge herauskristallisiert, wird so deutlich verurteilt, dass eine Wertung des Gesehenen nur in die Denkrichtung Toleranz und Hinterfragung von Schwarzarbeit und Ausbeutung erfolgen kann. Und da hat man doch nichts falsch gemacht. Schwer zu bepunkten. Ich entschließe mich für die vollen 5 von 5 Punkten, in denen aber auch ein Verständnis für (gänzlich) konträre Sichtweisen mitschwingt. Mich würden weitere Meinungen in diesem Fall besonders interessieren.
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