Gucumatz (Die Gefiederte Schlange)
Originaltitel: The Feathered Serpent
Erscheinungsjahr: 1927
Hauptpersonen:
Peter Dewin – engagierter Reporter
Daphne Olroyd – hübsche junge Sekretärin
Ella Creed – erfolgreiche Theaterschauspielerin
Leicester Crewe – undurchsichtiger Finanzspekulant
Gregory Beale – Gelehrter in zentralamerikanischer Geschichte
Joe Farmer – bekannte Figur in der geschäftlichen Halbwelt
Paula Staines – begabte Malerin
Harry Hugg – skurriler Ex-Sträfling
Oberinspektor Clarke – von Scotland Yard
John Collitt - ergebener Diener
Harry Merstham – ehemaliger Barmann in der „Rose und Krone“
sowie
William Lane – unschuldig ins Gefängnis gebrachter Menschenfreund
Handlung:
Ella Creed ist der unumwundene Star ihres eigenen Londoner Theaters, bejubelt vom verzauberten Publikum, verabscheut von ihren Angestellten, zu denen sie sich alles andere als nobel verhält. Eines Tages erhält sie eine ominöse Karte mit der Abbildung einer gefiederten Schlange darauf. Wenig später wird sie überfallen und ihres – glücklicherweise nur aus Imitaten bestehenden – Schmuckes beraubt. Doch auch andere Personen haben derartig seltsame Bilder zugestellt bekommen. Etwa Leicester Crewe, ein zwielichtiger Typ, der viel Geld mit krummen Geschäften an der Börse gemacht hat. Oder Joe Farmer, ein ebenfalls nicht ganz koscherer Mann, mit Verbindungen zum Boxsport und als Häusermakler tätig. Diese Menschen stehen miteinander in recht engem Bezug, wie der Leser bald erfährt. Dazu kommt noch die attraktive Paula Staines, eine ausdruckstarke malende Künstlerin. Welches dunkle Geheimnis verbindet sie alle?
Das fragt sich auch der findige junge Reporter Peter Dewin, den seine Zeitung, der Postkurier, aufgrund seiner Vorliebe für Kriminalfälle auf die Affäre angesetzt hat. Er ist anfangs alles andere als begeistert, hält er doch Geschichten über geheime Organisationen mit exotischen Erkennungszeichen für Auswüchse von Schriftstellerphantasien. Doch bald wird ihm klar, dass mehr an der Sache dran ist als gedacht. Seit kurzem trifft sich Dewin mit der gutaussehenden Daphne Olroyd, die sich ihr Geld als Sekretärin verdient. Ihre Anstellung (wieder mal zufällig) beim unangenehmen Leicester Crewe will sie unbedingt aufgeben. Da ist ihr der in Aussicht gestellte und gutbezahlte Job bei dem freundlichen Gelehrten Gregory Beale viel lieber, der soeben von einer langjährigen Forschungsreise aus Mittelamerika zurückgekommen ist und eine Menge Material zum Katalogisieren mitgebracht hat.
Die Lage spitzt sich unerwartet zu, als der umtriebige Joe Farmer in Sichtweite seiner Freunde hinterrücks erschossen wird. Unzweifelhaft hat hier die „gefiederte Schlange“ ihre Hand im Spiel gehabt. Dewin fällt zufällig ein Schlüssel mit einem Codewort in die Hände, weswegen kurz darauf bei ihm eingebrochen wird. Hatte der aufgeregte Crewe da seine Finger im Spiel? Und was bedeutet „Gucumatz“?
Peter beginnt intensive Nachforschungen, sogar die Polizei in Gestalt von Oberinspektor Clark kann sich da eine Scheibe von abschneiden. Der Reporter bringt hier so einiges an Tageslicht, was auf Farmer, Creed und die anderen kein sehr gutes Licht wirft. Der in der Zwischenzeit geschlossene Gasthof Rose und Krone muss bei allem eine zentrale Rolle gehabt haben. Ganz offenbar standen die von der gefiederten Schlange bedrohten Personen vor einigen Jahren mit einem gewissen William Lane in Verbindung, einem wohlhabenden Menschenfreund, der aber wegen Falschgeldverbreitung in ebendieser Lokalität nach einer Gerichtsverhandlung ins Zuchthaus Dartmoor geschickt wurde.
Peter trifft auf eine Menge Leute, die er interviewt, immer wieder auch auf den redseligen kleinen Ex-Häftling Harry Hugg, der Lane aus seiner Gefängniszeit her kannte.
Er befragt auch Daphnes neuen Arbeitgeber Gregory Beale über die Bedeutung des seltsamen Reptilwesens, in seiner Heimatgegend eine berühmte Gottheit.
Aber im letzten Drittel des Romans verdichten sich die Geschehnisse, die hübsche Daphne wird entführt, ebenso die unsympathische Ella, andere planen ihre Flucht aus England, und die gefiederte Schlange schlägt wieder zu, direkt unter den Augen der Polizei und sehr raffiniert…
Es gelingt Peter Dewin schließlich, den Fall zu entwirren und seinem guten Bekannten, dem mittlerweile zum Distriktsinspektor beförderten Clark, alles zu erklären. Natürlich findet sich da auch noch Zeit, der allen Schrecken glücklich entronnenen Daphne seine Liebe zu erklären und eine zünftige Story für den Postkurier zu schreiben. Ende gut – alles gut.
Bewertung:
Edgar Wallace stellt gleich zu Beginn und dann auch noch öfter zwischendurch klar, dass es Geschichten von Banden mit ausgefallenen Geheimzeichen in Wirklichkeit eigentlich gar nicht gibt, nur halt irgendwie in diesem Fall doch einmal. Das wirkt in der Dichte schon etwas aufgesetzt, wenngleich es sicher auch selbstparodierend gemeint ist. Bei all den aufgemalten roten Kreisen, auffälligen Froschtätowierungen, angestempelten blauen Händen, nicht zu vergessen die tödlichen grünen Todespfeile, die wohl drapierten Narzissensträuße und die mahnenden Treffbube-Spielkarten sowie der ganze andere wohlgelittene Schnickschnack, der sich aus Wallace‘ spielerischer Phantasie zu seinen Krimi-Märchen manifestiert hat.
Die Gefiederte Schlange, eine Geheimgesellschaft südamerikanischer Gefängnisse, nun auch in England aktiv? Der Meinung scheint der berühmte Mittelamerika-Experte Gregory Beale jedenfalls zu sein, welcher dem jungen Journalisten Peter auch mal einen Überblick über die eigentliche Bedeutung der Mischkreatur gibt. Bei den Azteken unter dem Namen Quetzalcoatl verehrt, bei den Mayas Gucumatz genannt, wohl auch den Inkas bekannt, steht die bekannte Gottheit für die Schaffung des Alls, der Welt und der restlichen Dinge. Auch heute übrigens noch eine faszinierende Figur, der blonde bärtige Kulturbringer, der über das Meer kam. Nur eine Legendengestalt? Aber mit solchen Fragen hält sich der Autor nicht auf, er hat schon Mühe, Azteken und Mayas auseinanderzuhalten, da ihn der für seine Verhältnisse sorgfältig gestrickte Kriminalfall mehr interessiert. Hier stößt Mr. Dewin bei seinen Recherchen auf eine Anzahl notorischer Knastbrüder, die verblüffenderweise alle aus dem Harry-Clan stammen. Ex-Knastologe Harry Hugg war mal zusammen mit Harry, dem Vagabunden unterwegs, und da ist auch noch Harry der Barmann, mit bürgerlichem Namen Harry Merstham… Irgendwann ist dem Schreiber auch mal die Harry-Lastigkeit aufgefallen, wobei er den Ratschlag gibt, hier aufzupassen und nichts zu verwechseln.
Ansonsten merkt man des Autors Vorliebe fürs Theater heraus, die Ausführungen zu Ella Creeds Unternehmen lassen aber auch einen recht kritischen Blick buchstäblich hinter die Kulissen werfen, wo der Schein bei weitem nicht so glorios ist wie auf der Bühne. Wenngleich sich Wallace natürlich nicht in ausgefeilten Charakterzeichnungen verliert, so verleiht er doch seinen Protagonisten auch und gerade auf der schieferen Bahn durchaus einige Tiefe, die sich aus seiner guten Beobachtungsgabe und Interesse an Menschen erklären lässt. Aber auch der (meist) liebenswürdige Gelehrte Beale wird von ihm mit viel Wärme gezeichnet. Selbstverständlich ebenso sein Held, der rasende junge Reporter. Die Polizisten sind hier eher Nebenfiguren. Daphne Olroyd hat die üblichen Ungelegenheiten von jungen Sekretärinnen auszustehen, Chefs mit unlauteren Absichten, Verstrickungen in dunkle Machenschaften, Verschleppungen durch Unbekannte, aber diesmal nicht ganz so schlimm wie bei manch einer „Kollegin“, allerdings erwartet sie auch als Lohn für ihre Mühen am Ende keine große Erbschaft, sondern höchstens nur das Ja-Wort eines begabten Zeitungsschreibers vor dem Traualtar.
Die Geschichte selbst ist im Prinzip recht simpel, Rache für erlittenes Unrecht. Doch wie schon erwähnt, die Zufälle sind nicht ganz so zahlreich wie sonst, und nebenbei würzt Wallace seine Erzählung mit exotischem Flair, Ausführungen über Luftpistolen-Unikate und das Bruchverhalten von Glas bei Stahl- und Goldgeschossen, Erklärungen über den Gebrauch von Safe-Passwörtern sowie mit einigen weiteren geschickt eingebauten Handlungselementen. Die Liebesbeziehung zwischen Peter und Daphne wird nicht überstrapaziert und fügt sich eher harmonisch ein.
Das Ende wird vielleicht die Gemüter spalten, denn Wallace hatte nun einmal ganz spürbar Sympathien für Menschen, die das Gesetz in ihre eigenen Hände nahmen, wenn die offiziellen Institutionen versagten. So verschwindet auch die gefiederte Schlange wieder aus London, wobei der Henker diesmal leer ausgeht.
Gucumatz ist ein sehr unterhaltsamer Kriminalroman von Edgar Wallace, keinesfalls zu brutal, aufregend oder komplex, aber er hat wesentlich Schlechteres und trotzdem Bekannteres geschrieben und das Buch ist einen Lesetipp allemal wert.
Leseexemplar:
Der Roman kommt auf ca. 210 Seiten, so jedenfalls in der Weltbild-Ausgabe, in der er zusammen mit Der Rote Kreis veröffentlicht wurde. Als Übersetzer ist Ravi Ravendro eingetragen. Im Hinblick auf die Goldmann-Sonderausgabe von 1990 mit dem auf das Standardmaß von 160 Seiten zurechtgeschrumpfte Format hat auch diese Erstübersetzung wesentlich mehr Inhalt, wenngleich einige Passagen tatsächlich hoffnungslos veraltet erscheinen. „Toilette machen“ tut heute niemand mehr, höchstens in selbige, was aber kaum Eingang in ein Wallace-Buch finden würde… :-)
Aber es gibt auch wirklich sehr gelungene Beschreibungen, etwa vom Leben und Treiben in London oder von Dewins Visionen, die eine Skulptur der Federschlangen-Gottheit bei ihm auslösen. In den neueren „Überarbeitungen“ ging da wie oft viel verloren, deshalb auch hier wieder empfiehlt sich die Übersetzung so weit wie möglich am Original.
Verfilmung:
Filmische Umsetzungen soll es vor dem zweiten Weltkrieg zwei an der Zahl gegeben haben, die sich mehr oder eher weniger an den Buchstoff gehalten haben. Im Zuge der deutschen Wallace-Verfilmungen von Rialto und Co. ist diese Geschichte leider untergegangen, obwohl sie doch reichlich Potenzial gehabt hätte, wie weiter oben in diesem Threat schonmal beschrieben. Im Grunde so eine Fabel wie Das Geheimnis der schwarzen Witwe, nur halt mehr an den Romanstoff angelehnt.