Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden Impressum 
Forum Edgar Wallace ,...



Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 0 Antworten
und wurde 196 mal aufgerufen
 Romane
Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

15.08.2021 07:27
Geheime Mächte (1923) Zitat · Antworten

Geheime Mächte

Originaltitel: Captains of Souls
Erstveröffentlichung: 1923



Hauptpersonen:

Ronald Morelle - Lebemann ohne Moral
Jan van Steppe - rücksichtsloser reicher Spekulant
Ambrose Sault - geheimnisvoller "seelenreiner" Mann
Doktor Merville - pensionierter verführbarer Arzt
Beryl Merville - seine hübsche junge Tochter
Paul Moropulos - krimineller Alkoholiker
Mrs. Colebrook - Zimmerwirtin
Evie Colebrook - ihre jüngere leichtsinnige Tocher
Christine Colebrook - die ältere gehbehinderte Tochter
John Maxton - erfolgreicher Rechtsanwalt
Francois - Diener
Madame Ritti - Bordellbetreiberin


Handlung:

Der Selfmade-Millionär Jan van Steppe ist ein Mann, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Ein behaarter Hüne von Mensch, setzt er seine Pläne rücksichtslos durch, die vor allem in betrügerischen Spekulationen auf dem Aktienmarkt sowie anderen Finanztransaktionen bestehen. Er hält sich trotzdem gerne eher im Hintergrund, beschäftigt eine Reihe von Strohmännern, die mitunter selber nicht genau von den Hintergründen Ahnung haben. Da ist der im Ruhestand befindliche Herzspezialist Dr. Merville, der immer tiefer in einen Sumpf von Schulden und Kabalen rutscht. Seine schöne Tochter weiß davon nichts, obwohl sie sich Gedanken macht. Weiter gibt es noch Ronald Morelle, einen sehr gutaussehenden, aber charakterlosen Mann, sprichwörtlicher Schürzenjäger (heute würde man wohl drastischere Ausdrücke verwenden), der zwar selber einen gewissen Wohlstand hat, aber auch in Steppes Geschäfte verwickelt ist. Seinen Herrn und Meister fürchtet er sehr. Der letzte im Bunde ist der Grieche Paul Moropulos, ein früherer Schmugglerkapitän. Der neigt zu Alkoholexzessen, ist immer noch an jeder Menge dunkler Geschäfte beteiligt und ein wichtiges Bindeglied im Kreis. Sein von ihm verabscheuter Bediensteter Ambrose Sault ist ein eigenartiger Mann. Ein sehr kräftiger, eher grobgeschnitzer Kerl, ausländisch mit dunkler Hautfarbe, Analphabet und trotzdem von erstaunlichem Wissen und hoher Weisheit. Nebenher verfügt er offensichtlich noch über übernatürliche Fähigkeiten, seine Ansichten zur Seele sind möglicherweise beunruhigend. Sault ist sehr geschickt, er hat für Steppe einen Tresor gebaut, der nur durch ein geheimes Passwort geöffnet werden kann, ansonsten wird bei fehlerhafter Eingabe oder Einbruchversuch der Inhalt durch Säure vernichtet. Der bei Moropulos stehende Safe wird fortan ein Ablageort für brenzlige Papiere.
Sault ist Mieter im Hause der verwitweten Frau Colebrook, zu deren älterer im Rollstuhl sitzender Tochter Christine er ein freundschaftliches Verhältnis pflegt. Nebenher hilft er ihr durch Vermittlung eines guten Orthopäden auf wundersame Weise. Die jüngere und sehr hübsche Tochter Evie mag den großen Mann gar nicht, ihr Herz hängt seit kurzem an "Ronnie" Morell. Der versierte Herzensbrecher arbeitet planmäßig auf sein Ziel hin, das auf keinen Fall Heirat heißt, sondern, wie stets, mit dem gezielten Verlust von Evies Keuschheit in Verbindung steht. Die Kleine ist nicht sein einziger Zeitvertreib, denn Morelle ist durch und durch verdorben, wie es sein Bekannter John Maxton, der als Anwalt mit den Beteiligten ab und an in Verbindung steht, zu bezeichnen pflegt. Wenn seine Nerven unter den Widrigkeiten der Welt zu sehr leiden, verschafft sich Herr Morelle in Madame Ritties Etablissement die nötige Entspannung. Nun ist auch Beryl Merville seinem schönen Äußeren verfallen, was der Widerling auf die übliche Art auszunutzen versteht. Doch da ist noch Ambrose Sault. Dessen Charakter ist für Beryl ebenso begehrenswert, wie das ganze Mädchen für Ambrose, doch da gibt es noch den brutalen Steppe, der die Reize der schönen Maid ebenso für sich einfordert, mit Unterstützung ihres erpressbaren Vaters. Letztlich hat noch der schmierige Grieche Moropulos einen Beweis für Beryls Fehltritt mit dem smarten Weiberhelden Morelle, den er auch skrupellos einzusetzen gedenkt... Ein Schuss fällt, Ambrose Sault wird wegen Mordes verhaftet. Die Strafe ist die in England Übliche. Der boshafte "Ronnie" geht zur Hinrichtung. Aber was ist mit ihm geschehen, plötzlich ist sein Charakter wie gewandelt, er ist nett zu seinem Diener Francois, ebenso zu anderen Personen, seine unseligen Affären tun ihm leid und werden beendet, er verhält sich männlicher zu seinen Gegnern. Doch es gibt immer noch den bösen Steppe, der Beryl heiraten will und nicht daran denkt, seine Gefährten wegen der anrüchig gewordenen Betrügereien zu retten...
Auch hier hat Edgar Wallace wieder eine Lösung gefunden, die für alle ein gutes und gerechtes Ende garantiert.


Bewertung:

Ein für den Autor ungewöhnlicher Roman. Ein waschechter Krimi direkt ist es nicht, obwohl Mord und Betrug vorkommen sowie die raffinierte Apparatur zur Tatverschleierung. Aber hier wird ungewöhnlich viel Wert auf die Schilderung der persönlichen Beziehungen der Personen untereinander gelegt. Die üblichen Zufälle und Handlungssprünge gibt es diesmal kaum, es erscheint eher, als wäre das Werk wirklich ambitioniert geschrieben worden. Man kann es wohl eher als "Gesellschaftsroman" einordnen, mit kriminalistischer Note und einem esoterischen Aspekt.
Der skrupellose Großschuft van Steppe erinnert irgendwie an Abel Bellamy aus dem Grünen Bogenschützen, ein ähnlich dickleibiges Buch, das von Wallace im selben Jahr geschrieben wurde und vielleicht noch ein wenig gedankliche Anregung für das vorliegende geliefert hat. Der Bösewicht ist diesmal allerdings kein Amerikaner, sondern Bure. Angehöriger jenes Volkes, das dem großartigen Britannien in Südafrika eine Menge Probleme machte, die Vorurteile des Autors gegen die früheren erbitterten Feinde im Kolonialkrieg scheinen an manchen Stellen noch unverhüllt durch. Dagegen ist er ungewöhnlich großmütig gegenüber dem Mischling Ambrose Sault, der, abgesehen von seinem nicht allzu vorteilhaften Äußeren, geradezu das Idealbild eines reinen und aufrechten Menschen verkörpert. Gerade den nach europäischen Maßstäben ungebildeten und minderwertigen Halbinder (was genau er ist, wird nie so recht geklärt) setzt er auf den Platz des im Grunde einzig positiven Helden der Geschichte. Vielleicht hat ihm Savinis Läuterung aus dem Bogenschützen ebenso gut gefallen wie Abels Schlechtigkeit ?
Heimliche Hauptperson ist jedoch der Schönling Ronald Morelle. Er vereint wohl alles in sich, was sein geistiger Schöpfer an Männern verachtenswert fand. Ein wenig vergleichbar ist er mit Thornton Lyne aus den Gelben Narzissen oder noch mehr mit Digby Groat aus der Blauen Hand, wenngleich ihm deren krimineller Ehrgeiz fehlt. Natürlich hat er sich vor dem Kriegsdienst an der Front gedrückt - selbstredend unverzeihlich. Gefahren und Auseinandersetzungen geht er als häufig so bezeichneter Feigling am liebsten aus dem Wege, wenngleich er auch eine gewisse Verschlagenheit und Tücke entwickelt hat und gegenüber dem Leid anderer vollkommen empathielos ist. Dagegen ist er hinter jedem Weiberrock her, der ihm über den Weg läuft, bessergesagt hinter dem Inhalt des Rockes. Aufgrund seines adonishaften Aussehens machen es ihm die Damen oft auch nicht übermäßig schwer, möglicherweise motiviert ihn die hübsche Larve zu seinen Aktionen, die trotzdem oft in mühsam wieder bereinigten Skandalen mit entrüsteten Mädchen und drohenden Männern enden. Seine bevorzugte "Beute" sind die Frauen der niederen Klassen, Ladenmädchen, Bedienstete usw., die man damals wohl für besonders unmoralisch hielt (das Klischee des Schauspielerin verkneift sich Wallace allerdings). Trotzdem ist es hier in der Geschichte die Dame der besseren Gesellschaft, Beryl Merville, die ihre Tugend recht bereitwillig vor der Ehe an den charakterlosen Verführer verliert, während die schlichtere Evie standfester bleibt. Für eine Wallace-Heldin ist Beryls Vergehen eigentlich eine untragbare Situation, die allerdings durch das etwas konstruierte Ende der Story wieder relativiert wird. Aber die sexuellen Anspielungen sind für Wallace'sche Verhältnisse sehr deutlich und zahlreich, wie sonst in kaum einem anderen (gelesenen) Buch von ihm. Sogar die Zustände in Madame Rittis Edelbordell werden etwas näher erläutert, die "Puffmutter" mit ihren rot gefärbten Haaren (die dadurch Jahre älter aussieht) kann an Gisela Uhlens Darstellung im Buckligen denken lassen.
Mittendrin wird mit seltener Ausführlichkeit wieder mal eine Hinrichtung durch Erhängen beschrieben, wofür Thriller-Edgar wirklich eine besondere Vorliebe hatte. Diesmal ist das Opfer aber ein von allen geachteter und geschätzter Mensch, aber ist er wirklich tot ? Ist seine Seele erhalten geblieben ? Statt dessen eine andere Seele zu ihrem Schöpfer oder wohin auch immer geschickt worden ? - Eine Schlüsselszene in der Handlung, erdacht von einem Mann, der Spiritismus und ähnlichem eigentlich sehr ablehnend gegenüberstand, seinem Berufskollegen Conan Doyle diesbezüglich eine schroffe Abfuhr gab und sogar eine unwürdige Schlammschlacht in Zeitungen gegen einen dafür offenherzigen Bekannten führte. Doch schien ihn das Thema Seelenwanderung zumindest im Jahre 1923 einigermaßen fasziniert zu haben.

Nebenher gibt Wallace ein paar gar nicht so unkluge Lebensweisheiten von sich, etwa über die Rolle der Erziehung, die Einbindung der Persönlichkeit in Beruf und Gesellschaft und die Gefahren, wenn jemand plötzlich von all dem befreit wird und auf sein eigentliches (unbekanntes) Ich zurückgeworfen wird. Außerdem ist das Buch durchaus gewissermaßen eine Art Sittengemälde der Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Autos fahren umher, anstatt dass geritten wird, die Mädchen fassen es nicht mehr als höchstes Lebensglück auf, irgendwo als Dienstbotin angestellt zu werden, sondern haben bessere Pläne. Und der Verlust der Jungfernschaft vor der Heirat wird nicht mehr als DIE Weltkatastrophe schlechthin angesehen. Alte Werte und neue Ansichten stehen sich gegenüber, und man kann wohl davon ausgehen, dass der Autor hier auf der Seite eines gesunden Mittelmaßes stand.
Allerdings gibt es eben hier auch die Kehrseite des Ganzen. Wer einen spannenden Reißer mit den liebgewonnenen Zutaten erwartet, wird wohl weitgehend enttäuscht werden. Sicher geht es letztendlich um verbrecherische Machenschaften. Aber es wird sehr viel beschrieben, endlose Dialoge werden abgespult, und die übersinnliche Auflösung der Affäre ist für einen traditionellen Krimi auch nicht geeignet.
Für einen engagierten Stammleser von Herrn Wallace hat das Buch sicher durchaus einen Reiz, auch mal eine andere Seite des Schreibers kennenzulernen, zumal es anspruchsvollere Kost ist als viele andere seiner Bücher. Wer nur Thriller lesen möchte, sollte es lieber mit den dafür bekannteren Werken probieren.


Leseexemplar:

Der etwa 320 Seiten starke Roman ist zusammen mit Richter Maxells Verbrechen in einer Doppelausgabe des Weltbild-Verlages erhältlich, in der Übersetzung von E. Mac Calman aus dem Jahre 1929. Durchaus konsumierbar, wobei die Anreden, Straßennamen und ähnliches eingedeutscht wurden, was gar nicht weiter stört.


Verfilmung:

Eine deutsche Verfilmung existiert hierfür nicht. Verständlich, da es in keinerlei Konzept passen würde. Höchstens die Idee mit dem Patentsafe hätte man wohl für die Serie übernehmen können.

 Sprung  
Xobor Einfach ein eigenes Forum erstellen
Datenschutz