Obwohl Edgar Wallace keinen Seriendetektiv eingeführt hat wie etwa Conan Doyle den Sherlock Holmes oder Agatha Christie ihren Hercule Poirot, gibt es im Gesamtwerk seines Schaffens doch einige wiederkehrende Charaktere. Man denke nur an den Hexer, die „Gerechten Männer“ oder Elk vom Yard; Gestalten, für die der Autor offenbar ein größeres Interesse aufbrachte. In diese Gruppe fällt auch Mr. J.G. Reeder. Im ersten Moment ein ältlicher, schmächtiger und schüchtern wirkender Mann mit altmodischem Backenbart und Fertigbinder, ist er doch einer der effektivsten Ganovenschrecks im Dienste der britischen Krone. Mr. Reeders literarisches Auftreten beginnt im 1924 veröffentlichten Kriminalroman Zimmer 13 und endet, zumindest chronologisch, in dem Roman John Flack aus dem Jahre 1927. Dazwischen liegen die Geschehnisse einiger Kurzgeschichten oder auch längerer Erzählungen. Ist Mr. Reeder am Anfang noch als Privatdetektiv ein Spezialist für Falschgeldverbrechen und im Auftrag der Bank of England tätig, so wechselt er später in den festangestellten Aufgabenbereich der Staatsanwaltschaft über, wo er sich mit vielen Delikten befasst. Über die wahre Identität von Mr. John Gray Reeder weiß Wallace am Ende von Zimmer 13 Erstaunliches zu berichten, wobei diese Enthüllungen in den späteren Werken keine Rolle mehr spielen und entweder vergessen oder (gegen alle innere Logik) unter den Tisch fallen gelassen wurden. Aber eigentlich egal. Ein Jahr später erschienen neue Abenteuer in Der sechste Sinn des Mr. Reeder, im Verlauf derer der nicht mehr so ganz junge Held eine frische Dame namens Margaret Belman kennenlernte, um deren Hand er dann am Schluss von John Flack auch erfolgreich anhalten durfte. Trotzdem erschienen Jahre danach noch die Erlebnisse in Mr. Reeder weiß Bescheid sowie im Todesjahr des Schriftstellers ein Geschichtenband mit dem englischen Namen The Guv’nor, von denen die Titelstory leider noch nicht auf Deutsch übersetzt wurde und die anderen verstreut verlegt wurden. Miss Belman spielt dabei keine Rolle mehr, was wohl bedeutet, dass diese Erzählungen zeitlich noch vor Mr. Reeders Verehelichung angesiedelt sind. Bei seinem Erstauftritt ist der geborene Feind aller Verbrecher Mitte Vierzig, später dann Anfang Fünfzig, zwischendurch sogar mal wieder Ende Vierzig. Auf alle Fälle schon ein gesetzterer Herr, dessen Bekleidungsstil und allerlei Marotten ihn nicht gerade jugendlicher erscheinen lassen. Aber sein aufgesetztes unbeholfenes Gebaren täuscht, er ist listig und verschlagen, bei Bedarf zupackend, vor allem erbarmungslos in seiner Arbeit. Einen Gesetzesbrecher aufs Schafott zu schicken, verschafft ihm die größte Befriedigung, wobei alles akribisch schriftlich vermerkt wird. Stets scheint Reeder jeden Schritt seiner Gegner schon im Voraus zu kennen, wobei die Quellen seines immensen Wissens im Verborgenen bleiben, er ist der Vertreter des von Wallace favorisierten gut geölten Staatsapparates zur Gesetzespflege, der aber auch immer einen untrüglichen persönlichen Instinkt hat. Die behandelten Kriminalfälle sind nicht unbedingt ein wahrer Ausbund an detektivischer Puzzlearbeit, wie immer oft von Zufällen geprägt und oberflächlicher gehalten, doch auch spannend und humorvoll.
Der sechste Sinn des Mr. Reeder
Original: The Mind of Mr. J.G. Reeder Erscheinungsjahr: 1925
Polizei und Poesie
Bei seinem Einstand in den Gefilden der Staatsanwaltschaft bekommt es Mr. Reeder gleich mit einem nur auf den ersten Blick eindeutigen Fall zu tun. Der Nachtwächter einer renommierten Londoner Bank, ein Mr. Malling, wird von dem Streifenpolizisten Burnett in den Räumlichkeiten des Finanzinstitutes tot aufgefunden, mit Chloroform vergiftet. Über 100.000 Pfund an Lohngeldern fehlen, der Filialleiter Mr. Green wird ertappt, wie er scheinbar fluchtartig das Land verlassen will. Seine Vorstrafen kommen ans Licht, aber Mr. Reeder verlässt sich nicht aufs Augenfällige und beweist ein großes Interesse für Blumensträuße und vertrocknete Gartenpflanzen im Anwesen der von Verehrern umlagerten Mrs. Grayne… Romantische Gefühle bei der Polizei können manchmal gut ausgetüftelte Gaunereien zunichtemachen, das beweist der vorliegende Fall, bei dem der Ermittler tatsächlich allerlei detektivische Schlussfolgerungen zieht und einen Unschuldigen vor dem Galgen bewahrt. Ein guter Einstieg, Mr. Reeder !
Die Schatzgräber
Zu den Lästigkeiten seines Berufes gehören für Mr. Reeder die Rachegelüste der von ihm ins Zuchthaus gebrachten Missetätern. Während er sich noch einen gewissen Lew Kohl vom Leibe halten muss, beschäftigt ihn der Fall eines hochgestellten Friedensrichters, dessen Frau während einer Schiffsreise verschwand. War Mrs. James Tithermite seekrank oder nicht ? Dieser entscheidenden Frage geht der Schnüffler nach, während er sich in der Gegend umhört und vor allem für ein verfallenes Pförtnerhäuschen interessiert und langsam eine Theorie entwickelt. Kohl ist ihm auf den Fersen, er will Reeders legendären „Schatz“ finden, von dem in der Unterwelt gemunkelt wird. Der Ermittler kommt indes nicht recht weiter, man befürchtet von vorgesetzter Stelle aufgrund Sir James‘ Stellung Unannehmlichkeiten. Doch Reeder löst das Problem durch eine elegante Verknüpfung der beiden Fälle, letztlich macht er seinen gesetzlosen Verfolger samt Kumpel zu unfreiwilligen Komplizen bei der Gerechtigkeitsfindung.
Der von sich sehr eingenommene Betrüger und Dieb Art Lomer ist von Kanada nach England gekommen. Um zu imponieren, will er seine Cleverness auf Mr. Reeders Kosten beweisen, ein Schuss, der komplett nach hinten los und Lomer seiner Lieblingsuhr verlustig geht. Denn, wie immer, ist der seltsame Justiz-Mann mit dem steifen Hut schon komplett über alles im Bilde. Wo aber ist „Die Truppe“, Lomers Komplizenschaft ? Der Ganove hat sich in der Zwischenzeit an einen reichen Firmenerben, Bertie Claude, herangemacht. Reeders Versuche einer Warnung gehen ins Leere, Claude folgt dem geschickten Blender in ein Haus am Fluss, extra für gewisse Zwecke angemietet. Dort entfaltet der Gauner dann vor seinem dümmlichen Opfer einen wohldurchdachten Plan, bei dem auch Die Truppe zum Einsatz kommt. Doch er hat die Rechnung ohne Mr. Reeder gemacht… Eigentlich eine recht dünne Handlung, aber sehr gute Beschreibungen der Charaktere sowie der Örtlichkeiten im nasskalten Herbstwetter.
Der Mamordieb
In Mr. Reeders Nachbarschaft in der Brockley Road wohnt eine hübsche junge Dame, mit der er morgens meist die Straßenbahn teilt. Wie es der Zufall will, kreuzen sich beider Wege wieder im Unternehmen von Miss Margaret Belmans Arbeitgeber, des unattraktiven Sidney Telfer, verzärtelter und unfähiger Erbe. Der Geschäftsführer Billingham war mit Hilfe gefälschter Schecks mit dem Barvermögen der Firma wie vom Erdboden verschwunden. Der hinzugeeilte Mr. Reeder vermutet richtig, dass Mr. Telfer seiner netten Angestellten unehrerbietige Anträge offeriert hat. Er stößt wenig später bei einem Bagatellgerichtsfall auf die stämmige Mrs. Jackson. Die hat sich des Diebstahls von Marmorstücken aus einer Künstlerwerkstatt schuldig gemacht. Es gelingt Reeder, einen persönlichen Zusammenhang der Dame mit Sidney Telfer auszumachen. Nun wird Miss Belman in dessen Haus eingeladen, wobei sie in höchste Not gerät, wobei Mr. Reeder als Retter auftritt und Billinghams Verschwinden mit dem Marmordiebstahl in Verbindung bringen kann.
Ein Melodrama
Der Geldfälscher Tommy Fenalow kommt bei einer von Mr. Reeder geplanten Razzia davon, weil ein bestechlicher Polizist die Aktion verraten hatte. Prahlerisch verkündet er, dass er nur mit viel Glück zu fangen sei. Das Schicksal führt ihn mit Ras Lal zusammen, einem berüchtigten Verbrecher aus Indien. Der hat mit Reeder ein privates Hühnchen zu rupfen, die beiden wollen sich verbünden, um ein ganz großes Ding aufzuziehen. Der rachsüchtige Inder verfolgt Reeder, und er deckt sogar eine (vermeintliche ?) Schwachstelle auf. Den verbissenen Gesetzeshüter hat es durch seltsame Umstände an der Seite der jungen Miss Belman ins Theater verschlagen – eine vollkommen ungewohnte Situation. Während die beiden noch über die Übertriebenheit des „Hände-Hoch !“-Überfalls auf der Bühne spekulieren, ereignet sich das Gleiche tatsächlich wenig später für sie in Real. Es wird eng, doch Mr. Reeder geht aus dem Treffen als Sieger hervor, und auch Mr. Fenalow ist diesmal vom Glück verlassen…
Die grüne Mamba
Manche Leute vergleichen J. G. Reeder mit einer tropischen Giftschlange, aber der skrupellose Bandenchef Mo Liski will davon nichts wissen. Dessen einzige Schwäche ist seine verhängnisvolle Leidenschaft zu einer Dame namens Marylou Plessy, die einen privaten Groll gegen Reeder hegt. Liski lässt sich zu einer Fehde gegen den komischen Mann mit dem eingerollten Regenschirm hinreißen, obwohl er eigentlich zusammen mit seinem neuen Partner ein großes Schmuggelgeschäft durchziehen will. Dieser El Rahbut, ein Maure, besitzt kostbare Edelsteine zum Verhökern. Liski fährt massive Geschütze auf, scheinbar knickt Reeder ein, bittet um private Zusammenkünfte, bei denen es aber nur um Hühnerzucht geht. Wieder mal wird Margaret Belman mit in die Ereignisse einbezogen, Mrs. Plessy wird verhaftet, dann weitere Mitglieder aus Liskis Organisation. Wutschnaubend will Mo Liski nun mit seinem Gegner abrechnen und endlich den Edelstein-Deal durchführen, doch er vergisst völlig, dass der freundliche Reeder gefährlich wie eine Mamba ist…
Ein merkwürdiger Fall
Mr. Reeder schwelgt ein wenig in Jugenderinnerungen, an einen raffinierten Schurken namens Elter, der das Wort „möglich“ nicht richtig schreiben konnte. Er stößt wieder im Jetzt auf die vom Gatten sitzengelassene Mrs. Carlin. Bald darauf muss er sich um den treulosen Ehemann persönlich kümmern, einen Neffen des unsympathischen Ministers Lord Sellington. Dieser hohe Herr fühlt sich um eine Menge Geld geprellt, der leichtlebige Neffe steht im Verdacht. Den bekräftigt auch Mr. Lassard, der Geschäftsführer von Sellingtons Wohltätigkeitsstiftung für Waisenkinder. Es wird eng für Harry Carlin, als dann der alte Lord auch noch vergiftet aufgefunden wird, scheint sich der Verdacht zur Gewissheit zu manifestieren, und es gibt noch einen weiteren Toten… Mr. Reeders Jugenderlebnisse werden plötzlich der entscheidende Fingerzeig in diesem Fall, der zudem mit einem gewissen Zufall aufwarten kann, nichts Neues bei Edgar Wallace, wohl aber für den damit ungewöhnlicherweise unzufriedenen Mr. Reeder…
Vorteilhafte Kapitalanlagen
Mr. Reeder macht sich Gedanken um 27 spurlos verschwundene alleinstehende Menschen in der Sieben-Millionenstadt London. Einzige Gemeinsamkeit: Sie bekamen jeweils zum Monatsersten eine stattliche Dividende ausgezahlt. Wie es der Zufall so will, seine gute Bekannte Miss Belman berichtet ihm ebenfalls von einer attraktiven Geldanlage, die ihr schon länger monatlich 12,5 % Zinsen einbringt. Der Mann mit dem Kneifer ist alarmiert. Nach einer unschönen Begegnung mit dem Gewohnheitseinbrecher Mills (an die er später noch denken wird) schnüffelt Reeder etwas in den Räumen des gerade unbesetzten Mexiko-Syndikates und deren Anwaltsfirma Bracher & Bracher herum. Die beiden Brüder geben sich ahnungslos, doch nun ist Margaret auch wie vom Erdboden verschluckt… Mr. Reeder macht weiter und gerät in eine böse Falle, die an Die toten Augen von London erinnert. Nur gut, dass der Zufall in Gestalt des unbelehrbaren Mills seine Hand im Spiel hat. Zum Abschluss ein gruseliger Fall, der aber für Margaret und J.G nochmal gut ausgeht.
Zusammenfassung:
Dieser Band vereinigt recht unterschiedliche Geschichten, mal tritt Reeder auf den meist knapp zwanzig Seiten wirklich als aktiver Ermittler in Erscheinung, dann wieder bleibt er neben der Handlung eher eine Randfigur, die dem Täter am Ende nur die Handschellen anlegt. Es gibt wirkliche Detektivarbeit wie in der ersten Story, aber auch mehr Thrill wie in der letzten, daneben auch etwas flache Handlung. Angenehm übersetzt sind die Abenteuer des skurrilen Helden in der Goldmann-Ausgabe von 1990 von Mercedes Hilgenfeld, es gibt auch noch eine Weltbild-Doppelband-Edition (zusammen mit Nach Norden, Strolch), wo Fritz Pütsch die Übertragung aus dem Englischen übernommen hatte.
Unter dem deutschen Titel Der Spürsinn des Mr. Reeder wurde um 1970 herum eine in der Originalzeit spielende kleine Serie gedreht, die neben den Geschichten des titelgebenden Buches auch weitere spätere literarische Erlebnisse des sympathischen Mitarbeiters der Staatsanwaltschaft umfasst, auch einige frei erfundene. Auch in den Dreißigern wurden schon Reeders Erlebnisse verfilmt, in The Mind of Mr. Reeder kämpft er ganz vorlagegemäß gegen einen Falschgeldring, weiterhin diente in The Missing People ganz offensichtlich die letzte weiter oben besprochene Geschichte als Vorlage.
Eine Sammlung von drei Kriminalerzählungen von je vierzig bis fünfzig Seiten, in einem Band veröffentlicht.
Mr. Reeder weiß Bescheid (Red Aces)
Der junge Bankangestellte Kenneth MacKay, Sohn eines pleitegegangenen Spielers, ist in eine schöne Frau verliebt, die den Namen Margot Lynn trägt. Auf Kenneth‘ Arbeitsstelle geht es nicht ganz koscher zu, und auch seine Angebetete, die als Sekretärin bei ihrem reichen Onkel Benny Wentford arbeitet, macht ihm Kummer. Das teilt er seinem guten Klubgefährten Rufus Machfield mit, dessen Diener Lamontaine sich dann und wann als guter Koch erwiesen hat. Wenig später gibt es einen Szenenwechsel ins tief verschneite Beaconsfield. Ein Rechtsanwalt ist mit seinem Gehilfen ins abgelegene Anwesen des alten Wentford unterwegs. Sie treffen auf der engen Zubringerstraße auf einen berittenen Polizisten – und auf die gewaltsam zugerichtete Leiche ihres Klienten ! Kurz darauf kommt auch ein seltsamer altmodischer Mann hinzu. Auch der wurde vom Ermordeten erwartet. Mr. Reeder ist wieder in Aktion, in der festungsartig ausgebauten Behausung des Opfers findet er allerlei Spuren. Die Täter kommen sogar wieder zurück, entgehen aber Reeders und Inspektor Gaylors Fängen. Was haben die beiden Spielkarten mit den Rot-Assen an der Tür zu bedeuten ? Die Handlung geht voran, Kenneth gerät in Verdacht, Geld unterschlagen zu haben. Was weiß sein Kollege Kingfeather, der in die hübsche, aber kaltherzige Edna verschossen ist, die wiederum im Spielclub des Mr. Machfield ein- und ausgeht ? Mr. Reeder ist wie stets vollkommen im Bilde, ein weiterer Mord an einem Polizisten kann seine Theorien nur untermauern. Zum Schluss stellt er eine Falle, wonach das Geschehen von ihm akribisch erklärt wird. Die Schuldigen haben allesamt ihre Strafe bekommen.
Wieder mal ein alter Ganove, der vor den Schatten seiner Vergangenheit in Angst lebte und schließlich von diesen eingeholt wurde. Die Beschreibungen im alten verschneiten Landhaus des ermordeten Wentford sind schön schaurig geraten. Für so eine relativ kurze Geschichte gibt es noch einen vielseitigen Wechsel der Handlungsorte, mal eine Bankfiliale, mal ein Spielclub, oder auch andere Schauplätze. Natürlich klärt der schlaue Mr. Reeder alles zur Zufriedenheit auf. Er weiß eben Bescheid … woher allerdings seine Informationen stammen, wird nicht immer klar. Leider ist die Geschichte etwas sprunghaft geraten, man hätte daraus auch einen längeren Roman kreieren können. Für das aufgefundene Blut an unmöglichen Stellen kann der unbeugsame Mann der Staatsanwaltschaft eine logische Lösung anbieten, doch es gibt auch das theatralische Element in Form der beiden an die Tür gehefteten Spielkarten, die kaum einen Sinn haben außer dem, die Ermittler auf die Spur der Täter zu bringen. Ein guter und spannender Fall für Mr. Reeder.
Die Diamantenbrosche (Kennedy the Con Man)
Der eben aus dem Zuchthaus entlassene Jake Alsby ist einer der nicht wenigen Leute, die einen tiefen Groll gegen Mr. Reeder, Angehöriger der Staatsanwaltschaft und irgendwie auch Privatdetektiv, hegen. Mit seinem Zufallskumpel und Saufkumpan Vladimir Litnoff zusammen will er dem erfolgreichen Diebesfänger heimleuchten, doch wird der andere vor seinen Augen von einem Unbekannten erschossen und, schlimmer noch, Alsby gerät unter Tatverdacht. Der ernüchterte Gauner führt meinungsmäßig einen 180°-Schwenk durch und bittet Reeder, ihm aus der Patsche zu helfen. Der ermordete Exilrusse hatte sich überall mit einer teuren Diamantenbrosche gebrüstet. Liegt hier die Ursache für seinen Tod ? Mr. Reeder hat es gerade nicht leicht, seine neue Sekretärin, offensichtlich ein Ausbund des Feminismus vor hundert Jahren, tanzt ihm auf der Nase herum. Miss Gilette hat außerdem einen Freund, dessen Geschäftspartner mit einer Unmenge Geld verschwunden ist. Daneben hat sie noch eine Freundin, die einen komplett hingerissenen Verehrer hat, der nur ein Foto von ihr gesehen hat… Der schwergeprüfte Mr. Reeder wird in diese Verwicklungen mit einbezogen, doch es zeigt sich, dass alles mit einem Kriminalfall zusammenhängt. Ein Geistlicher, Dr. Ingham, erzählt ihm von einem weiteren Verschwundenen namens Ralph, dessen Tochter sich große Sorgen macht. Es gibt noch einige derartige Fälle, die Erinnerung an einen Betrüger mit dem Decknamen Pizarro wird wach, der vor einigen Jahren manche der Verschollenen um große Beträge geprellt hatte. Da wird einer von ihnen plötzlich erschossen aufgefunden… Mr. Reeder gelingt es wieder mal bravourös, all die Verästelungen der mysteriösen Geschichte zusammenzuführen und die Schuldigen dem Henker auszuliefern.
Für die Kürze der Story sind recht viele Schauplätze zu verbuchen, die Handlung ist vertrackt, die Dialoge des ungewöhnlich duldsamen Mannes mit dem aufgerollten Regenschirm mit seiner aufmüpfigen Sekretärin sind witzig zu lesen, daneben gibt es finstere Mordgesellen, die um Mr. Reeders Häuschen herumschleichen oder ihm am Ende im schön malerisch am sturmumtosten Meer gelegenen Schlupfwinkel des Schurken auflauern wollen. Von der Diamantenbrosche am Anfang über einen in arge Bedrängnis geratenen verliebten jungen Mann (den Reeder fachmännisch verarzten muss) bis hin zur Rettung der Kidnapping-Opfer führt nicht unbedingt ein gerader Weg. Auch hier wieder wünschte man sich fast einen ausführlichen Roman, die kriminellen Aktivitäten des Unbekannten im Hintergrund hätten den Stoff dazu hergegeben. Ist es der wiederauferstandene Pizarro, oder doch dessen rechte Hand Kennedy ? Der allwissende Mr. Reeder löst auch dieses Rätsel souverän, er ist mit Luftgewehren genauso treffsicher wie mit scharfen Waffen, seine Hilfe in diesem spannenden Fall war für Inspektor Gaylor von Scotland Yard wohl dringend nötig.
Der Fall Joe Attymar (The Case of Joe Attymar)
Auf dem alten Frachtkahn von Joe Attymar, der mit Ziegelsteinen die Themse auf und ab schippert, geht es nicht mit rechten Dingen zu. Besonders der Matrose Ligsey scheint mehr zu wissen. Diesen Eindruck hat Mr. Reeder, als er dem vergammelten Schiff auf Bitten von Inspektor Gaylor mal einen Besuch abstattet. Denn es geht um Rauschgiftschmuggel, für Reeder etwas ganz und gar Widerwärtiges, wobei Attymar in Verdacht gerät. Mr. Reeder ist auch anderweitig beschäftigt, zwischen zwei seiner Nachbarn im geruhsamen Vorort, Johnny Southern und Anna Welford, menschelt es gewaltig. Doch leider gibt es da noch einen aufdringlichen Verehrer, den etwas protzigen Clive Desboyne. Es fliegen sogar auf offener Straße die Fetzen, und Mr. Reeder muss widerstrebend eingreifen. Jetzt aber hat sich die Lage dramatisch zugespitzt, denn Käpt’n Attymar ist offenbar ermordet worden, seine Kabine verwüstet und blutverschmiert. Auch Ligsey ist verschwunden. Ist er Täter oder auch Opfer geworden ? Es setzt sich die letztere Annahme durch. Mr. Reeder ist in seinen Nachforschungen behindert, denn diesmal blockt Scotland Yard in seiner Zusammenarbeit plötzlich ab, aus internen Gründen. Als auch noch der junge Johnny Southers in dringenden Tatverdacht gerät, macht er trotzdem weiter, auf Bitten Annas, sogar Desboyne will helfen. Er tappt in eine Falle und sieht sich von einem Unhold in einem theatralischen Kostüm mit einem nassen Tod bedroht. Dank seiner Gewandtheit kann er entkommen, auch ein Bekannter kommt ihm zu Hilfe, doch kurze Zeit später bekommt er nach Entlarvung des Bösewichts wieder eins über die Rübe… Allerdings wäre Mr. Reeder nicht Mr. Reeder, wenn ihm nicht alle Schlupfwinkel seiner Widersacher bekannt wären, so dass auch diesmal am Ende die Handschellen klicken.
Wie meist bei Edgar Wallace, so finden sich auch dieses Mal unterschiedlichste Personen aus der Unterwelt, des Helden Nachbarschaft und Bekanntschaft plötzlich alle in seinem aktuellen Fall wieder. Bei der hiesigen Figurenkonstellation sollte der Täter besonders schnell zu erraten sein, der Autor gibt sich zwar halbherzig Mühe zur Verschleierung, doch viel Spielraum bleibt auch nicht übrig. Die Hintergründe der Tat sowie die Auflösung sind etwas vertrackter, der Unhold des Stückes benutzt nicht nur gerne ein Teufelskostüm, sondern verkleidet sich auch ansonsten gerne mal. Die Ablehnung, die Reeder von polizeilicher Seite erfährt, ist für den Leser ungewohnt. Der aufrechte Zwickerträger muss am Schluss sogar die Ehre des unschuldigen Mädchens des Stückes vor den Gelüsten des Finsterlings retten, er kommt wie immer souverän zur rechten Zeit, ein Mann, auf den halt Verlass ist. Nebenher spinnt auch er seine Netze und Intrigen und zieht seine kriminalistischen Schlüsse. Wenngleich die Zufälle in der Handlung wieder mal recht groß sind und Reeder seine gewohnte Allwissenheit unter Beweis stellt, leistet er doch auch ganz passable Detektivarbeit.
Zusammenfassung
Der Band mit den drei Erzählungen bietet Wallace-typische Unterhaltung. Natürlich gibt es immer verliebte Herzen, die zueinander finden müssen. Das ist aber nicht so primär, dass man den Schmalz triefen sähe. Reeder ist, wie immer, von den amourösen Begleiterscheinungen der Fälle ziemlich unbeeindruckt, obwohl er sich mitunter fast väterlich gibt und sogar als Retter in der Not auftreten kann. Leider vermitteln alle Stories den Eindruck einer starken Oberflächlichkeit und Sprunghaftigkeit, so, als würde was fehlen. Ob das an der Übersetzung von Herrn Gregor Müller liegt ? Möglich, eine andere als die Goldmann-Version ist aber schwer zu bekommen. Vielleicht ist die Kaiser-Verlag-Ausgabe hier besser, wer weiß. Der erste Fall ist auch in einer DDR-Kriminalgeschichtensammlung zu finden. Von der Struktur her weisen alle drei Episoden große Ähnlichkeiten auf, besonders die ersten beiden. Verbindend ist auch die obligate Höllenmaschine, die der unbeugsame Gesetzeshüter im Laufe seiner Wahrheitssuche geschickt bekommt, aber die jedes Mal entschärft wird. Die Hintermänner der Gaunereien sind nie schwer zu erraten (auch mangels Verdächtiger), doch Mr. Reeders Abenteuer wissen mit ihrer kurzweiligen Art durchaus zu gefallen.
Alternativtitel (USA): Mr. Reeder Returns Erscheinungsjahr: 1932
Im Jahre seines frühzeitigen Todes veröffentlichte Edgar Wallace noch einmal vier längere Erzählungen (ca. je 50 bis 60 Seiten) über seinen kuriosen Detektiv. Die Titelstory The Guv'nor wurde noch nicht ins Deutsche übersetzt. Die Schatzkammer wurde in der Vergangenheit in Deutschland verschiedentlich zusammen mit anderen Werken des Autors herausgebracht. Die beiden letzten Geschichten sind in dem Goldmann-Krimiband Der Mann im Hintergrund vereint.
The Guv'nor
Die Sache beginnt zu einer Zeit, da Mr. Reeder noch voll und ganz mit der Verfolgung von Falschgeldherstellern beschäftigt ist. Ein gewisser Joe Brady wird von ihm verhaftet und später zu einer langen Haft verurteilt, heimlich verraten von seinem "Geschäftspartner" Bob Kressholm. Ein blutjunges Ding hatte mal Joe dem älteren eitlen Bob vorgezogen, nun hat Kressholm seine gierigen Finger gegen Joes Willen wieder nach einem halben Kind, Wenna vom Zirkus, ausgestreckt - vorerst erfolglos, sie steht mehr auf Bradys Sohn Danny. Die Jahre gingen ins Land, der rachsüchtige Bob Kressholm hat sich an Danny herangemacht und den nur allzu bereitwilligen Knaben auf die schiefe Bahn gezogen. Denn Kressholm ist Der Gouverneur, was wohl lax übersetzt so viel wie "Big Boss" heißt, der Chef einer europaweit agierenden Organisation von Juwelenschmugglern, die auch die rücksichtslosen Überfälle auf Juweliere ausheckt. Er fühlt sich unangreifbar vor dem Gesetz. Als sich in London ein brutaler Polizistenmord im Zusammenhang mit einem Schmuckladenüberfall ereignet, kann Reeder den Täter stellen. Danny wird zum Verhör gebracht, wenig später hat er selbst sein Schicksal vollendet. Das verliebte Zirkuskind Wenna schwört Reeder blutige Rache, später kommt Dannys Vater aus dem Knast und gibt offen zu, den Verräter Kressholm töten zu wollen. Mr. Reeder hat sich derweilen in die Finessen der Geschäfte der "Firma" des Gouverneurs eingearbeitet, langsam und methodisch, wie es seine Art ist. Sein sonst untrüglicher Instinkt schützt ihn nicht davor, überrumpelt und in einen Zirkus verschleppt zu werden, wo sich schließlich die Wege aller der bei dem Drama mitwirkenden Personen kreuzen. Für einen Beteiligten geht die Geschichte nicht gut aus, doch das ist glücklicherweise nicht der unbeugsame Streiter für Recht und Ordnung...
Eine eher aus dem Rahmen fallende Erzählung, die hauptsächlich aus der Sicht der teilnehmenden Ganoven geschrieben ist, voll von klassischen Themen wie Maßlosigkeit, Gier, Verrat, Intrigen, Grausamkeit. Reeders Rolle ist seltsam passiv und mehr die eines Statisten, der nur zur Stelle ist, um die verratenen Gangster festzunehmen oder auch mal als Kummerkasten zu fungieren. Nur einmal zeigt er richtig Elan, als er halsbrecherisch einen skrupellosen Mörder im fahrenden Auto verhaftet. Ungewöhnlich auch, dass die sich andeutende love story zwischen Wenna und Danny einen gänzlich andersartigen Verlauf nimmt als sonst, wobei andererseits auch Kressholms obsessive Leidenschaft für die grazile Zirkusakrobatin fast schon tragisch wirkt. Die Liebe wird von Wallace diesmal als destruktiv und zerstörerisch gezeigt. Mr. Reeder läuft Gefahr, einem Löwen als Mahlzeit verabreicht zu werden, wobei er sein Leben einem Ehrenmann unter den Gangstern zu verdanken hat. Zur Unschädlichmachung des sogenannten Gouverneurs trägt er im Prinzip enttäuschenderweise gar nichts bei. Hier müssen dann doch die Gesetze der Unterwelt herhalten (wobei ein Ballon eine Rolle spielt), möglicherweise ist das dem alten Fuchs im Auftrag der Staatsanwaltschaft gar nicht unrecht.
Die Schatzkammer (The Treasure House)
Lane Leonard hat seinen Reichtum mit glücklichen Aktienspekulationen erworben. Da er Banken misstraut, hat er sich in seinem "Schloss" eine Schatzkammer bauen lassen, die anderthalb Millionen Pfund in purem Gold beherbergt. Als er plötzlich stirbt, soll seine Stieftochter Pamela an ihrem 25. Geburtstag den ganzen Schatz erben, bis dahin soll sein vor einiger Zeit verstoßener Neffe Digby Olbude den Treuhänder spielen. Aber Leonards unehrlicher Chauffeur Lidgett hat eigene Pläne... Währenddessen lernt Mr. Reeder den jungen Larry O'Ryan kennen, einen erfolgreichen Einbrecher in fragwürdige Bankinstitute, dem nur sein letzter versuchter "Bruch" nachgewiesen werden kann. Wegen eines Verfahrensfehlers freigesprochen, bleibt Larry draußen und freundet sich mit Reeder, dem sonst so pedantischen Ordnungshüter, stark an. Larrys Missetaten hatten durchaus nachvollziehbare persönliche Bezüge, wie selbst Mr. J.G zugeben muss. Zufällig rettet Larry die schöne Pamela vor einem Verkehrsunfall, dabei lernt er den unsympathischen Chauffeur Lidgett und bald auch den redseligen Onkel Major Olbude kennen. Mr. Reeder wird währenddessen zur Leiche eines gewissen Bill Buckingham gerufen, ehemaliger Polizist und nun Wachmann in Leonards Schatzkammer sowie Chef einer Firma, die mit Grundbesitz handelt. Jack O'Ryan ist überzeugt, dass die schöne Pamela in Olbudes Landsitz gefangengehalten wird, tatsächlich ist sie stark eingeschüchtert. Mr. Reeder stellt eigene Untersuchungen an und versucht, die ganzen Geschehnisse zusammenzubringen. Offenbar ist auch der Goldschatz teilweise gestohlen wurden, aber wie und von wem? Nach einem missglückten Ausflug von Jack schafft Mr. Reeder klare Verhältnisse und stattet der Schatzkammer samt Pamela und der Männer einen Besuch ab, mit durchschlagenden Folgen für einige Beteiligte. Happy End für die beiden Verliebten gibt es auch.
Mr. Reeders unterdrückte kriminelle Veranlagung zeigt sich hier in seiner erstaunlichen Freundschaft mit dem Bankräuber Jack O'Ryan, welcher aber auch kein gewöhnlicher Verbrecher ist. Aufgrund der Intrigen eines Lehrers wurde dem jungen Menschen eine ehrliche Karriere versagt, wobei sogar die unbotmäßige Lehrkraft in der Geschichte wieder auftaucht. Wallace' Sympathien liegen eindeutig auf Seiten des Rächers am Bankenwesen. Ansonsten wollte er die Story wohl vielschichtig und verwickelt anlegen, aber irgendwie scheint er ein wenig den Faden verloren zu haben. Der Schluss kommt nicht ohne Knallbumm aus. Ansonsten gibt es mal wieder eine klassische Liebesgeschichte vom tatkräftigen jungen Selfmademann, der der hübschen damsel in distress beistehen muss. Dabei obliegt es dann letztlich dem erfahrenen Herrn von der Staatsanwaltschaft, für endgültige Klarheit zu sorgen und auch den Mörder des widerwärtigen Ex-Polizisten Buckingham zu finden. Die Schatzkammer mit den fein sortierten Goldbarren ist sicher auch ein netter Einfall, aber man hätte mehr aus der ganzen Angelegenheit machen können. So bleibt bei dem recht plötzlich erfolgenden Ende beim Leser ein leises Gefühl des Unbefriedigseins zurück.
Interessant, hier mal etwas zu den Kurzgeschichten und -romanen zu lesen, die die meisten sicher kaum mit dem Namen Edgar Wallace verbinden! Die entsprechenden Titel wurden von Goldmann nach meinem Eindruck deutlich seltener neu aufgelegt. O das damit zusammenhängt, dass diese Vorlagen von Rialto verschmäht wurden? Die einzigen Ausnahmen wären der Kurzroman "Der unheimliche Mönch" und die Kurzgeschichten-Sammlung "Neues vom Hexer", bei der man sich in beiden Fällen mit dem Titel begnügt hatte.
Zitat von Dr. Oberzohn im Beitrag #4Die Schatzkammer (The Treasure House)
Lane Leonard hat seinen Reichtum mit glücklichen Aktienspekulationen erworben. Da er Banken misstraut, hat er sich in seinem "Schloss" eine Schatzkammer bauen lassen, die anderthalb Millionen Pfund in purem Gold beherbergt. Als er plötzlich stirbt, soll seine Stieftochter Pamela an ihrem 25. Geburtstag den ganzen Schatz erben, bis dahin soll sein vor einiger Zeit verstoßener Neffe Digby Olbude den Treuhänder spielen.
Auch ohne die Geschichte zu kennen, kommt mir dieses Motiv sehr vertraut vor: Es wirkt wie eine Mischung aus dem Vermächtnis des Mr. Real aus dem "Safe mit dem Rätselschloss" und der Pläne des alten Lord Selfords im Roman "Die Tür mit den sieben Schlössern", von denen im schriftlichen Geständnis der Verschwörer kurz die Rede ist.
Zitat von Edgar007 im Beitrag #5Bin gerade mit JOHN FLACK fertig geworden und wusste gar nicht mehr, dass auch hier Mr. Reeder die Hauptfigur spielt.
Diesen Roman finde ich richtig gelungen (John Flack (1927), an manchen Stellen recht gruselig, hätte man wohl auch mit entsprechenden Änderungen ein schönes Theaterstück draus machen können. Das hat Wallace ja dann auch mit dem Unheimlichen Mönch getan, aber die Sache irgendwie bisschen vermurkst. Die Reeder-Geschichte um John Flack ist viel besser.
Zitat von Savini im Beitrag #6Auch ohne die Geschichte zu kennen, kommt mir dieses Motiv sehr vertraut vor: Es wirkt wie eine Mischung aus dem Vermächtnis des Mr. Real aus dem "Safe mit dem Rätselschloss" und der Pläne des alten Lord Selfords im Roman "Die Tür mit den sieben Schlössern", von denen im schriftlichen Geständnis der Verschwörer kurz die Rede ist.
Ganz so ist es diesmal nicht, die Fabel geht ein bisschen anders. Aber, wie gesagt, es wirkt halt so, als hätte ursprünglich ein anderer Plot entwickelt werden sollen, vielleicht hat sich Wallace aber auch selber überraschen lassen...?
Zitat von Dr. Oberzohn im Beitrag #7Ganz so ist es diesmal nicht, die Fabel geht ein bisschen anders.
Wenn es "ganz so" laufen würde, wäre es auch etwas ZU einfallslos. Aber bei einem Vielschreiber wie Wallace wäre die Variation eines Motivs ja nicht weiter überraschend.
Eine Berühmtheit wie Mr. Reeder ist in kriminologischen Kreisen der USA gern gesehener Gast, man zeigt ihm auch das Hochsicherheitsgefängnis Sing-Sing, wo grade ein besonders gefährlicher Verbrecher und Ausbrecherkönig namens Redsack einsitzt, ein Engländer. Kurze Zeit später gelingt Redsack mit Hilfe eines irregeleiteten Ballons eine spektakuläre Flucht. Wieder daheim in England, sieht sich Mr. Reeder bald einer ungewöhnlich gut organisierten Serie von Bankbetrügereien gegenüber. Ein aufdringlicher Störenfried namens Hallaty raubt Mr. J.G. beim Theaterbesuch die Nerven, wenig später ist der Kerl (ein Geschäftsführer der L.&O.-Bank) mit einer großen Summe veruntreuten Geldes durchgebrannt und wie von Erdboden verschluckt. Das Muster gab es schon bei anderen Geldinstituten. Die Bankiersvereinigung ist aufs Höchste alarmiert, der Bankenretter mit dem steifen Zylinderhut vermutet sogar den nächsten Fall richtig, und wieder ist eine Vertrauensperson einer großen Bank namens Reigate mit einer hohen Geldsumme verschwunden. Bald darauf wird dieser direkt vor Reeders Haustür von einem Motorradfahrer erschossen, er war in einen grellen Schlafanzug gekleidet, der stark nach Kampfer roch… Dem Kriminalisten bleibt nur übrig, die schöne Schwester des Opfers zu trösten. Ein geprellter Holländer, Mr. Clutterpeck, gibt einen Hinweis auf Hallaty. Reeders Nachforschungen führen ihn zu der Vereinigung der Barmherzigen Brüder mit dem schmuddeligen Mr. Jones und daraufhin auch zum Fremden-Club, der in einem abgeschlossenen Häuserblock liegt, dessen Hintertür Reeders besonderes Interesse erweckt. Nun gibt es noch einen Toten, wieder auf offener Straße erschossen, mit auffälligem stark riechenden Schlafanzug … Trotz interner Querelen bei Scotland Yard gelingt es, den Chef der gut organisierten Bande in seinem Hauptquartier unter Lebensgefahr zu stellen und in einer spektakulären Aktion unschädlich zu machen.
Natürlich besteht ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Flüchtling Redsack aus den USA und dem Chef der Organisation von Bankbetrügern in England. Der Fall ist wirklich für so geringe Seitenzahl ziemlich komplex, die über Leichen gehenden Verbrecher, die sich an moralisch strauchelnde Bankmitarbeiter heranmachen und über eine Reihe von Strohmännern bzw. Tarnfirmen große Gewinne einstreichen, haben ein gut funktionierendes System ausgetüftelt. Obwohl Mord nicht generell zum Konzept gehört, sind die Schussattentate auf Gefährder der Organisation vom Motorrad aus so richtig gangstermäßig ausgeführt. Für amouröse Verwicklungen bleibt bei der ganzen Hast gar keine Zeit und wird auch nicht vermisst, Reigates hübsche Schwester muss bei all den Aufregungen ohne die starke Schulter eines feschen Bräutigams in spe auskommen. Der altmodische englische Gesetzeshüter und der sehr business-amerikanisch agierende Zuchthäusler auf beiden Seiten des Gesetzes bilden einen reizvollen Kontrast mit mehr oder weniger versteckter Sympathie zueinander. Das Ende im Schlupfwinkel des Ganoven wirkt schon fast etwas bondmäßig, mit doppelten Böden, Fallen und viel Ballerei. Alles in allem ein knackiger kurzweiliger Fall für den altjüngferlichen Helden Reeder – Wallace at his best !
Der Lügendetektor (The Man Who Passed)
Der auf dem Lande lebende Captain Mannering wird in Abwesenheit vom Hobby-Hühnerzüchter Mr. Reeder mit frischen Hühnereiern beliefert, wobei der engagierte Kriminalist natürlich wieder mal Dinge auf dem verlotterten Anwesen registriert, die anderen verborgen bleiben und höchst verdächtig sind. Doch nun muss er sich erst mal die Sorgen seines Dienstmädchens Lizzie anhören, deren hübsche Schwester Ena einen merkwürdigen Verlobten hat. Ernie hat seine Angebetete mit teuren Geschenken verwöhnt, geht aber Fragen nach einer Heirat aus dem Weg, wegen eines angeblichen widerborstigen Erbonkels. Bald taucht sogar ein offenbar verkleideter Mann bei Ena auf und rät ihr von der geplanten Verlobung ab. Ernie ist nun verschwunden, Mr. Reeder findet großes Interesse an der Sache. Immer wieder läuft ihm ein gewisser Hymie Higson über den Weg, ein alter Bekannter, dem er zu einigen Jährchen Gefängnis verholfen hatte. Aber er muss sich jetzt beruflich um einen erschlagenen ländlichen Nachtspaziergänger kümmern, wobei er noch anhand eindeutiger Indizien einen zweiten Mord mit demselben Tatwerkzeug vermutet. In der Nähe werden große Bündel mit Dollarnoten gefunden, auch ein ausgebranntes Auto. Reeders diesbezügliche Vermutungen bestätigen sich, er wird zu einem Bankdirektor gerufen, der bisher starke Zweifel an den Hinweisen des seltsamen Mannes von der Staatsanwaltschaft bekundet hat. Ein Angestellter ist mit einer gestohlenen Riesensumme abgehauen. Ernie ! Was hatte der mit den Petroleumgrundstücken zu schaffen, für die er sich interessierte? Nun wird auch noch die schnuckelige Ena entführt. Wieder vermutet Mr. Reeder ganz richtig, dass sie auf dem Land gefangen gehalten wird. Unkonventionellerweise verschafft er sich hier Gewissheiten auf seine Art. Am Ende hat er wieder mal alles aufgeklärt, den Übeltäter dem Henkerstrick ausgeliefert und eine junge Dame gerettet.
Wieder mal eine Geschichte, die von untreuen Bankmitarbeitern handelt, die Schurken auf den Leim gegangen sind. Hat auffallende Ähnlichkeiten mit dem Mann im Hintergrund in mehrfacher Hinsicht. Der Lügendetektor aus dem deutschen Titel spielt wirklich eine Rolle, nachdem ein vorwitziger Gauner unbedachtsamerweise eine Bemerkung darüber macht, man solle das ruhig an ihm ausprobieren. Da Reeder gerne dieselben Kriminalmagazine wie die Unterweltburschen liest, kennt er auch eine True-Crime-Story von einem Mörder, der damit überführt wurde. Was ihn am Ende über Umwege auf die Spur einer versteckten Leiche führt, zum Leidwesen des Hauptübeltäters… Der stellt sich nebenher als amerikanisierter Weltkriegsheld und guter Pilot heraus. Natürlich kommt auch die wahre Identität des eingangs erwähnten Mannering samt seiner „Dienerschaft“ zum Vorschein, denn es gibt selbstredend jede Menge verschleierte Identitäten. Wieder muss der ältliche Filzhutträger eine Jungfrau in Nöten aus ihrer Pein erlösen, da grad kein anderer zur Stelle ist. Da muss denn auch das Schießeisen nochmal herhalten, dessen Anwendung korrekt nach Gesetz erfolgt. - Eine spannende Erzählung, mit vielen Wiederholungen aus anderen Werken, aber auch versuchter Originalität.
Zusammenfassung
Die abschließenden vier Abenteuer von Mr. Reeder sind routiniert von Wallace geschrieben. Dabei gibt es nur einmal eine klassische Liebesgeschichte, ansonsten setzt der Autor mehr auf Action, Bandenverbrechen und enttäuschende Liebschaften. Ballons spielen in zwei Geschichten eine große Rolle, dazu noch in einer dritten ein Flugzeug. Sehr auffällig ist der Einfluss von Wallace‘ Amerikabesuch auf die letzten beiden besprochenen Erzählungen, die sich auch ansonsten sehr ähneln. Man fragt sich, auch in Verbindung mit anderen Werken aus dieser Zeit, ob das generell die Richtung gewesen wäre, die der Autor einschlagen hätte, wenn ihn nicht sein recht früher Tod ereilt hätte. Mehr skrupellose Bösewichte mit amerikanischen Methoden, weniger Herzschmerz…? Auf alle Fälle ist der Goldmann-Band Der Mann im Hintergrund mit zwei längeren Geschichten unbedingt für unbeschwerte Unterhaltung zu empfehlen. Wünschenwert wäre allerdings mal eine gut übersetzte Sammelausgabe aller vier Titel auf Deutsch.