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Dieses Thema hat 37 Antworten
und wurde 1.683 mal aufgerufen
 Off-Topic
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Fabi88 Offline



Beiträge: 3.904

24.01.2020 11:45
#16 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Ich gönne ja jedem seinen Spaß mit Agatha Christie und über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Es hat ja seine Gründe, warum Agatha Christie so erfolgreich war - genau wie es Gründe gibt, warum Helene Fischer Millionen Fans hat. Daraus lässt sich aber keine allgemeingültige Qualität irgendeiner Form ableiten.
Gubanovs "lustig, dass Fabi sich besser mit Literatur auskennt als die erfolgreichste Autorin der Welt." finde ich nebenbei bemerkt wesentlich anmaßender als jede Silbe, die ich vorher verzapft habe.
Ich bezweifle nämlich sowohl, dass ich großer Literatur-Kenner bin, als auch, dass Agatha Christie für sich selbst jemals beansprucht hätte Ahnung von Literatur zu haben oder gar selbst Hochliteratur zu verfassen.
Vielleicht hatte die Frau ja sogar Ahnung von Literatur, selbst in der Freizeit nicht einmal Kriminalromane gelesen, sondern "Gesellschaftsromane" und sich bewusst bei ihrer Arbeit von all dem gelöst? Wer weiß?
Christie hatte Spaß am Schreiben, wollte ihre Leser unterhalten (man muss ja auch Exemplare verkaufen) und hat sich Plots ausgedacht, die jahrezehntelang begeistert für Funk, Film und Fernsehen aufgegriffen wurden, bzw. noch immer werden. Das ist doch auch Alles gut und schön. Aber literarischen Wert sehe ich dort einfach nicht - und bin damit wohl kaum allein. Während sich beispielsweise unter Literaturkritikern die Frage gar nicht stellt, warum es sich immer noch lohnen kann einen Roman von Leo Tolstoi in die Hand zu nehmen, gibt es bei Christie mittlerweile völlig andere Richtungen um der Erfolgsformel auf den Trichter zu kommen: https://rp-online.de/panorama/wissen/war...nd_aid-10954053
Christie gab ja selbst unumwunden zu, ihre Geschichten seien Nichts weiter als der gute alte Kampf von Gut gegen Böse. Mehr Aussage wollte sie selbst gar nicht in ihre Werke legen, Gesellschaftskritik und Co lagen ihr auch fern. Warum also wird man dermaßen angefeindet, wenn man ausspricht, was Agatha Christie selbst wusste und wohl auch bewusst in Kauf nahm?

Wenn hier nun Agatha Christie-Fans erbost sind, weil ich ihnen ihre Unterhaltung madig mache, werde ich missverstanden. Ich bin nicht ohne Grund im Wallace-Forum angemeldet - ich habe viele Tage mit Jerry Cotton-Heftromanen am Strand verbracht und liebe die Wallace-Filme wegen ihres Unterhaltungsfaktors, aber ich weiß dennoch ebenso gut, dass kein Wallace-Film Anspruch darauf hätte außerirdischen Besuchern gezeigt zu werden, wenn man ihnen die Macht und Qualität des Kinos demonstrieren wollte. Ich habe auch nach wie vor großes Vergnügen daran Professor van Dusen in zahlreichen Hörspielen beim Deduzieren zu lauschen und auch der ein oder andere Agatha Christie-Roman hat mich gut unterhalten, ebenso wie ein kleiner Teil der Verfilmungen.

Letztlich will ich doch nur darauf hinaus:
Raymond Chandlers Werke sind keine schlechten Romane, weil sie dem Muster von Kriminalromanen von Ellery Queen oder Dorothy L. Sayers nicht entsprechend. Sie wollen und bieten etwas völlig Anderes. Nur darauf wollte ich deutlich hinweisen und eine Lanze für sein sprachliches Können brechen.

Witzig auch, dass diese Diskussion in einem Faden zu Post- und Neo-Noirs stattfindet - ist der Film Noir doch das Ergebnis der konsequenten Abkehr vom "klassischen Kriminalroman". Wer Film Noirs schaut, weil er einem Ermittler dabei zuschauen möchte einen Mörder zu entlarven, ist beim falschen Genre, bzw. kann dann nur eine handvoll Filme wirklich goutieren.
In seinen besten Beiträgen wie "Solange ein Herz schlägt", "Boulevard der Dämmerung" oder "Ein einsamer Ort" ist der Film Noir recht weit von "Krimis" entfernt und dürfte Zuschauer mit den falschen Erwartungen ebenso enttäuschen wie Romane von Chandler, MacDonald, Ellroy oder Hammett.
...und damit nun gern zurück zum Thema!

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 643

25.01.2020 18:05
#17 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Zitat von Fabi88 im Beitrag #16
Letztlich will ich doch nur darauf hinaus:
Raymond Chandlers Werke sind keine schlechten Romane, weil sie dem Muster von Kriminalromanen von Ellery Queen oder Dorothy L. Sayers nicht entsprechend. Sie wollen und bieten etwas völlig Anderes. Nur darauf wollte ich deutlich hinweisen und eine Lanze für sein sprachliches Können brechen.


Ich möchte hier den Faden jetzt nicht weiterspinnen, eigentlich die ganze Christie-Chandler-"Leseaffäre" im Post- und Neo-Noir-Threat zum Anlass nehmen, bei den Moderatoren des Forums noch einmal anzufragen, ob man nicht mal doch irgendwie (zum neuen Jahr) eine kleine "Literaturecke" einrichten kann. Damit meine ich nun nicht die große Weltliteratur, die wäre im Wallace-Forum sicherlich vollkommen fehl am Platze, sondern halt tatsächlich die Welt der schokoladentrinkenden belgischen Eierköpfe oder hartgesottenen amerikanischen Whiskyschlürfer, oder was auch immer es da gibt. Das würde nun sicher nicht die große Resonanz wie die Filmposts haben, doch wie man sieht, kann es da durchaus Mitteilungsbedarf geben. Man muss da ja nicht unbedingt einer Meinung sein, ist bei den Filmen ja auch so, dass es konträre Ansichten gibt. Selbstverständlich soll da Großmeister Wallace nicht vernachlässigt werden...

schwarzseher Offline



Beiträge: 626

25.01.2020 20:02
#18 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Wenn ich so einen wichtigtuerischen Müll einer möchtegern Intellektuellen Person lese.....klar,das Gefühl bei Dürrenmatt ,Kafka usw...ist anders ...nämlich gähnende Langeweile .Als Krimi-Fan stellen sich mir schon die Nackenhaare hoch wenn ich nur " psychologische Tiefe " höre das bedeutet in 99 % der Fälle in die Länge gezogene konstruierte uninteressante Langeweile . ZB. Elizabeth George...jeder Roman wurde länger und länger .....am Ende hatte man 500 Seiten gelesen und bemerkte das nur 150 überhaupt irgendwas mit dem "Fall" zu tun hatten.....gähn.
Wer Krimis grundsätzlich nicht mag sollte sich besser aus der Bewertung raus halten .Christie ,Sayers und Doyle,Wallace usw . sind nicht umsonst so erfolgreich .Und auch Hammett und chandler hab ich mit Vergnügen gelesen ( auch da steht die Auflösung am Ende. Ob Jetzt Marlowe oder Poirot beide auf ihre Art gut ( literarisch hin oder her )

So.....hab mich dann mal eben echauffiert

Ich gehöre sogar noch zu den Literaturbanausen die zugeben Karl May Fans zu sein ,Literatur ?? für mich (und zig andere ) ja.

Havi17 Offline




Beiträge: 3.763

25.01.2020 20:19
#19 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Hmm ...
Ich sehe keinen Widerspruch in einer literarischen Bewertung, auf der anderen Seite geht es um Geschmack.
Wenn beides zutrifft gut, wenn nicht auch gut, aber dann bitte Toleranz für den Einen oder Anderen!

Gruss
Havi17

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

25.01.2020 23:01
#20 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Da weiterer Diskussionsbedarf zu bestehen scheint, habe ich die abschweifenden Beiträge aus dem Neo-Noir-Thread in ein eigenes Thema ausgegliedert. Es können hier auch gern Buchbesprechungen hinterlassen werden.

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 643

27.01.2020 15:39
#21 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

@Gubanov: Vielen Dank für die Einrichtung des Extra-Threads.
Ich hab‘s ja in Sachen Krimi eher mit den „versponnenen“ Briten als mit den „rüden“ Amerikanern. Gerade zu Christie und Co. hätte ich gerne mal ein paar Zeilen gepostet.

Doch ein paar Gedanken zu den vermeintlichen oder tatsächlichen „Realisten“ und bei Gelegenheit Romanrezensionen würde ich auch gerne beisteuern. Hard-Boiled besteht ja nicht nur aus Hammett und Chandler, gibt ja auch noch jede Menge andere Vertreter. Etwa Jonathan Latimer mit seiner Handvoll (meist) parodistischer Krimis, Ross MacDonald mit seinen kraftvollen, auf die Dauer etwas einseitig werdenden Archer-Romanen, auch Erle Stanley Gardner hangelt sich schon mal an der hard-boild-Grenze entlang. Und selbst Archie Goodwin, der tatkräftige Laufbursche für den faulen Nero Wolf aus den Rex-Stout-Büchern, ist ja auch trotz abstinenter Ernährung der ansonsten hartgesottene Part des Duos.
Weiter gibt es da wohl noch Cornell Woolrich und Jim Thompson, doch das ist schon eher noir, denke ich mal.

Aber am besten mal mit Chandler anfangen, da gings ja eigentlich auch die ganze Zeit drum.
Und die Jahre sind schließlich auch noch lang…

Vielleicht entspinnt sich ja ein etwas netterer Austausch.

Fabi88 Offline



Beiträge: 3.904

30.01.2020 11:58
#22 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Zitat von Dr. Oberzohn im Beitrag #21
@Gubanov: Vielen Dank für die Einrichtung des Extra-Threads.

In einem eigenen Thread ist das Ganze tatsächlich besser aufgehoben - auch von mir vielen Dank!

Zitat von Dr. Oberzohn im Beitrag #21

Ich hab‘s ja in Sachen Krimi eher mit den „versponnenen“ Briten als mit den „rüden“ Amerikanern.

Die Herangehensweise der Autoren liegt nun einmal ebenso weit auseinander wie die der Leser am Ende, bzw. sollte sie. Denn das Werk scheitert zwangsläufig beim Leser, wenn dieser eben doch die selbe Erwartung an beide Werke stellt.
Agatha Christie wollte unterhalten und lässt ihre Romane in der Umgebung spielen, die sie selbst kennt, nämlich in der englischen Upperclass. Daran liegt für uns heutige Leser natürlich ein Teil des Reizes - wir leben nicht in dieser Welt, bzw. diese Welt existiert nicht (mehr?) und wir malen sie uns daher im Kopfe als Fantasiewelt aus. Ob man sich von dieser "versponnenen Welt" unterhalten, ob man sich von dieser spießigen, elitären Gesellschaft abgestoßen fühlt oder selbst Teil dieser auf den Schein ausgerichteten Welt sein möchte, spielt dann natürlich auch noch eine Rolle. Aber Eines liegt Christie auf jeden Fall fern: uns wirklich etwas Tiefergehendes über diese Gesellschaft - sei es positiv oder negativ - zu vermitteln. Es ist bloßer Hintergrund und soll nicht mehr sein.
Auch bei Wallace wählte man ja bereits in den 60ern ganz bewusst bei den Verfilmungen eine gewisse Distanz und zeichnete ein märchenhaftes Zerrbild von London, das schon damals naiv wirkte, aber ja einen großen Teil der Spaßes ausmacht und den Eskapismus in dieser Form überhaupt erst ermöglicht.
Die "hard boiled"-Schriftsteller - zumindest die erste Welle - machen dem Rezipienten diese Distanz schwieriger. Nicht nur, dass die Romane oft Ich-Erzählungen sind, die beschriebene Welt hat auch wesentlich mehr Grautöne und ist teilweise dem, in dem wir selbst leben, gar nicht so unähnlich. Und bewegt sich die Hauptfigur dann doch in höheren Kreisen, ist der Blick ein hochgradig zynischer, bisweilen verachtender und nicht im Vergleich so verzeihend wie bei Christie und Co. Auch die Konflikte - politische Machtkämpfe, Gewalt in Beziehungen, Armut und Co - sind dem, was wir im eigenen Umfeld oder in den Nachrichten erleben dann doch näher als eine Arsen-Mordserie auf dem Lande.
Nur, damit das klar ist, damit will ich gar keine Qualitätsfrage stellen. Es gibt ja schließlich ähnliche Diskrepanzen auch anderswo, wo herzlich zwischen den Lagern gestritten wird.
Als Beispielse seien nur genannt:
Komplette Fantasiewelt in "Herr der Ringe" vs. Zudichtung von Zauberei in die reale Welt bei "Harry Potter" oder Weltraum-Märchen bei "Star Wars" und Wissenschaft und Philosophie bei "Star Trek".
Ich hatte ebenso Spaß in Mittelerde als auch in Hogwarts und liebe sowohl die "alte" Star Wars-Trilogie als auch die Star Trek-Crews um Kirk und Picard - aber in schöner Regelmäßigkeit werde ich Augenzeuge, wie sich Freunde über diese vermeintlichen Gräben fast zerfleischen.

Und bei den Amerikanern gab es dann ja irgendwann auch Autoren wie Mickey Spillane, die den "hard boiled"-Ansatz doch in etwas beinahe "schwarze Märchen"-haftes verzerrten. Dort ist dann ein Abstand wieder sehr gut möglich, bzw. vielleicht zur eigenen Sicherheit sogar nötig.

Zitat von Dr. Oberzohn im Beitrag #21

Weiter gibt es da wohl noch Cornell Woolrich und Jim Thompson, doch das ist schon eher noir, denke ich mal.


Es war nur ein Nebensatz, aber darauf möchte ich nochmal eingehen:
"Noir" oder "hard boiled" stehen sich ja gar nicht entgegen - vielmehr ist "hard boiled" primär ein Genre in der Literatur und eine der Grundlagen für den "Film Noir", der wiederum ja in seinem Ursprung lediglich eine französische Bezeichnung für sehr viele amerikanische Filme darstellt, die nach Ende des Importverbots quasi "geballt" in die französischen Kinos kamen und in denen man Gemeinsamkeiten erkannte, derer sich die Beteiligten bei der Herstellung meist noch gar nicht bewusst waren.
Ein Teil dieser Filme basierte zwar auf "hard boiled"-Romanen ("Die Spur des Falken" nach Hammett, "Mord, mein Liebling" und "Tote schlafen fest" nach Chandler, "Im Netz der Leidenschaften" nach James M. Cain oder der recht späte Beitrag "Rattennest" nach Mickey Spillane), von denen ein Teil in Frankreich in der Buch-Reihe "Série noire" erschien (daher die Bezeichnung "Noir"), aber prinzipiell fallen viele Melodramen, Western, Charakterstudien, Politthriller und einiges mehr in den "Film Noir".
Wie bereits erwähnt tauchen in jeder ernstzunehmenden Film Noir-Bestenliste regelmäßig "Solange ein Herz schlägt", "Boulevard der Dämmerung" oder "Ein einsamer Ort" auf, die wenn überhaupt nur entfernt Krimi-Topoi streifen. Der "Film Noir" identifiziert sich - mehr als jedes andere Genre - mehr über das "wie" als das "was" und ist daher sehr schwammig und immer wieder Basis für Diskussionen und Unsicherheiten.
Entscheidend für die Verordnung als "Noir" ist eine tendenziell pessimistische Weltsicht und die Verlagerung des Augenmerks von der Handlung auf die Charakterisierung der Figuren. Recht schnell kam dann natürlich die visuelle Seite hinzu - das Spiel mit Kontrasten und ungewöhnlichen Perspektiven, stark geprägt durch den deutschen expressionistischen Film. Und dann wird es noch komplizierter mit der Zuordnung, wenn die Frage auftaucht, ob beispielsweise Carol Reeds "Ausgestoßen" ein "Film Noir" ist, weil er ein britischer und kein amerikanischer Film ist.

Während "hard boiled" also eine Unterkategorie des Kriminalromans ist, kann ein "Film Noir" sowohl ein "hard boiled"-Krimi, ein Melodram als auch sogar ein Western oder Alkoholikerdrama sein, wenn Stimmung, Figurenzeichnung und/oder Umsetzung dementsprechend ausfallen.
Damit wären wir dann aber auch wieder beim Geschmack... natürlich kann man sich als Krimifan auch hinstellen und nur "hard boiled"-"Film Noir" à la "kleiner Privatdetektiv im verrauchten Büro trifft Femme Fatale" akzeptieren. Das ist dann aber eine rein subjektive Beschneidung - und man verpasst großartige Filme!

Nun aber zurück zur Literatur:
Weil ich als "Pseudointellektueller" (teilweise ein seltsamer Umgangston hier im Forum), wenn ich schon einen Roman zur Hand nehme, tatsächlich zu Kafka und Co greife - ohne mich übrigens zu langweilen, lege ich (!) mehr Wert auf Stimmung und Sprachkunst und fühle mich daher Chandler und Co näher als Christie.
Wenn ich einen gut konstruierten Krimi genießen möchte, kann ich das ja anhand einer der viel vorhandenen 90-minütigen Verfilmungen oder eines 45-60-minütigen Hörspiels tun. Mich stunden- oder tagelang in einen Roman zu vertiefen, gelingt mir bei Christie und Co nicht (mehr) - tut mir Leid! Dafür ist mir (!) das Ganze nun einmal zu statisch, die Identifikation mit den Figuren fällt schwer und sprachlich ist es wie gesagt kein Genuss.
Das war tatsächlich nicht immer so, mit 15/16 habe ich Jerry Cotton gesammelt, konnte nicht verstehen, warum Edgar Wallace kaum mehr gelesen wird und habe auch viel Zeit mit Agatha Christie, Ellery Queen oder G. K. Chesterton verbracht. Mir ging es um das "was", selten um das "wie". Detektive, komplizierte Mordfälle, Rätsel? Her damit!
Dann kam die Bekanntschaft mit Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Ross MacDonald und Co - und auch da war zugegeben primär der Reiz der selbe, der mich von Winnetou zu den Italo-Western oder von Wallace zum Giallo gezogen hat - es war einfach härter, überraschender, frischer. Vieles davon war sicherlich auch nicht wirklich "gut" im eigentlichen Sinne. Hartgesottener Schnüffler, düstere Atmosphäre, coole One-Liner und drastische Todesfälle reichten mir ja erstmal, da tat es auch ein Spillane. Auch musikalisch lotet man ja in der Jugend Einiges aus - bei mir war es eine kurze Punkphase, lange Deutschrap-Phase, sehr dogmatische Progressive Rock-Phase,... bis sich wirklich ein Geschmack entwickeln kann, muss man ja viel probieren.
Ebenso, wie von all der Musik und all den Filmen irgendwann nur noch wenig stehen bleibt, weiß man auch bei Romanen erst in der Rückschau, was einen wirklich geprägt hat - und das ist bei mir im wesentlichen nun einmal Chandler. Nachdem bei Allem, was ich so gelesen habe, die Erinnerungen an die Handlungen verblasst sind, bleiben mir Figuren, Situationen und Wortwendungen von Chandler präsent. Ebenso wie von den Schullektüren beispielsweise vor allem Grass und Dürrenmatt bei mir hängen geblieben sind. Meinetwegen bin ich "pseudointellektuell", weil ich Romane nicht nach Kurzweil und Erfüllung bestimmter Schemata auswähle, aber ich möchte beim Lesen gefordert werden und das über ein (teils sogar unfair gebautes) Täterrätsel hinaus.
Ich muss ja auch ehrlich gestehen, dass ich relativ schnell Wallace nur noch gelesen habe um vielleicht doch einen Roman zu finden, der der Atmosphäre der Rialto-Filme von Haus aus nahe kommt und sich zur Verfilmung anbietet. Ohne den permanenten Verfilmungsgedanken im Hinterkopf konnte ich die Romane nicht mehr genießen. Bei allem Respekt und ohne rosarote Wallace-Fan-Brille: wenn ein Roman in drei Tagen entsteht oder ein Autor parallel an mehreren Romanen arbeitet, hat das ganz zwangsläufig Auswirkungen auf die Qualität. Ausreißer nach oben sind natürlich vorhanden, seien es Werke aus der Anfangsphase, wo er sich noch etwas mehr Zeit nahm oder Werke, die ihm merklich näher am Herzen lagen und daher mehr Sorgfalt genossen.

Letztendlich sage ich: es gibt nur wenige Christie-Romane, die ich nochmals lesen würde, aber es gibt sie, Chandlers Debüt "Der große Schlaf" hat Mängel, "Playback" ist absolut kein gutes Werk, Wallace hat durchaus ein paar lesenswerte Romane unter seinen weit mehr als 100 Kriminalroman-Werken - Und es gibt nun einmal auch noch Paul Auster, T.C. Boyle, Martin Suter und und und.
Wer sein Leben lang nur Christie und artverwandet lesen mag (!), weil er daran Spaß hat, dann ist das doch absolut in Ordnung. Niemand muss sich angegriffen fühlen, nur weil ich daran weniger Freude habe und mich ungern so sehr einenge.

Eine so drastische Aufwiegelung der "Chandler"- und "Christie-Lager" war überhaupt nicht in meinem Sinne. Jeder greift sich heraus, was ihm etwas gibt. Ich wollte lediglich den Blick dafür öffnen, dass man (nicht nur!) Chandler über die Konstruktion und Auflösung eines Kriminalfalls hinaus rezipieren kann und sollte.

Ich habe wenig Erwartungen, habe mir aber nun doch endlich "Die Blonde mit den schwarzen Augen" - den vor wenigen Jahren erschienenen neuen Philip Marlowe-Roman von John Banville gekauft. Sofern ich nicht doch nochmal alle Original-Chandler-Werke zuvor lese, könnte dies also meine erste Rezension zum Thema hier werden.

"Hard boiled"-Interessierten sei, abseits des Kanons um die üblichen Autoren, die "Hard Case Crime"-Reihe empfohlen. Dort erscheinen regelmäßig Wiederveröffentlichungen, aber auch frische Romane mit sehr stylischen Retro-Covern. In Deutschland hat der Rotbuch-Verlag die Reihe versucht am Markt zu platzieren, aber nach 18 Titeln aufgegeben. Unter diesen ersten 18 Romanen sind jedoch mit Donald E. Westlake (Vorlagengeber für "Point Blank" mit Lee Marvin), Ed McBain (Drehbuch zu "Die Vögel", sowie Vorlagengeber von "Neun im Fadenkreuz" mit Jean-Louis Trintignant), Mickey Spillane oder Robert Bloch (Vorlagengeber zu Hitchcocks "Psycho") durchaus schon namhafte Autoren dabei. Und allein optisch machen die Bücher schon was her.

Und weil ich ihn einige Male erwähnt habe, noch ein paar Worte zu Mickey Spillane...
Mit weltweit 200 Millionen verkauften Exemplaren war er zu seiner Hochphase ja eine tatsächliche Gefahr für Agatha.
Obwohl ich mich hier der allgemeinen Mehrheit anschließe, was die "objektive Qualität" und den literarischen Wert seiner Werke betrifft, finde ich das ein oder andere Werk von ihm recht lesenswert - sofern man kritischen Abstand hält - vielleicht vergleichbar mit dem ein oder anderen deutschen Gangster-Rapper, dessen Songs bei ironischem Konsum durchaus Unterhaltungswert haben können.
Eine gesunde Einstellung zu seinem Output hatte Spillane auch: „Ich gebe keinen Pfifferling um Kritiken – was ich gern lese, sind die Honorarschecks.“ und seine Sicht, die „großartigen Schriftsteller haben nie kapiert, dass mehr gesalzene Erdnüsse verzehrt werden als Kaviar“ dürfte bei einem Teil der Forumsnutzer ja auch anschlussfähig sein.

Havi17 Offline




Beiträge: 3.763

30.01.2020 13:42
#23 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Zitat von Fabi88 im Beitrag #22
[ "Film Noir", der wiederum ja in seinem Ursprung lediglich eine französische Bezeichnung für sehr viele amerikanische Filme darstellt, die nach Ende des Importverbots quasi "geballt" in die französischen Kinos kamen und in denen man Gemeinsamkeiten erkannte, derer sich die Beteiligten bei der Herstellung meist noch gar nicht bewusst waren.
In der Tat, bei uns nannte man diese damals "Gangsterfilme". Lemmy Caution war eine französische Figur des Genres "Noir", Start 1953. Danke Fabi!

Gruss
Havi17

Markus Offline



Beiträge: 683

30.01.2020 14:40
#24 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Der Diogenes-Verlag bringt übrigens eine neue Chandler-Werkausgabe heraus - in Neuübersetzungen und mit Nachworten bekannter Autoren.
Vergangenes Jahr erschien "Der große Schlaf" (Übersetzung: Frank Heibert. Nachwort: Donna Leon)
https://www.diogenes.ch/leser/titel/raym...3257070781.html

Gruß
Markus

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 643

02.02.2020 22:08
#25 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Zitat von Fabi88 im Beitrag #22
Die Herangehensweise der Autoren liegt nun einmal ebenso weit auseinander wie die der Leser am Ende, bzw. sollte sie. Denn das Werk scheitert zwangsläufig beim Leser, wenn dieser eben doch die selbe Erwartung an beide Werke stellt.


Ohne jeden Zweifel. Der klassische, meist englische Krimi, und der harte, meist amerikanische Krimi sind nun mal in vielen Dingen grundverschieden, obwohl auch im Rätselkrimi gesellschaftskritische Töne anklingen können und auch die "Realisten" häufig das Grundmuster der "Häkelfraktion" verwenden. Das ist auch nicht unbedingt an die Nationalität gebunden.
Der Brite Hadley Chase hat damals auch ganz blutige Gangstergeschichten geschrieben, und der Amerikaner John Dickson Carr die verschrobensten Puzzle-Krimis, die wohl denkbar sind.
Dass Agatha Christie wegen ihres Sprachstils nicht den großen Literaturpreis bekommen würde, ist sicher klar. Liest sich halt "gefällig". Geht mir jedenfalls so.
Und ihre meistens frühen Werke im Reiche der Lords und Ladies sind mir zugegebenermaßen auch etwas zu versnobt, später ist sie dann etwas bürgerlicher geworden, was durchaus auch Auswirkungen auf den gefühlten Realismus ihrer Geschichten hatte. Trotzdem finde ich es einseitig, nur den Rätselplot in ihren Erzählungen zu sehen, sie hat in einigen Werken durchaus auch psychologische Tiefe bewiesen und sich zudem auch mit politischen Entwicklungen auseinandergesetzt. Und dann diese dämlichen Rassismus-Vorwürfe (wie in Frau Becks Beitrag) - die sind nun gerade bei Christie echt fehl am Platze. Wenn mir ein Autor nicht gefällt, gut, aber es geht sicher auch ein paar Kaliber kleiner als gleich wieder die Riesen-Moralkeule zu schwingen. Auch die Herleitung ihres immer noch anhaltenden Erfolges aufgrund mathematischer Prinzipien wie in dem anderen Link ist eine Ansicht, die man ruhig auch anzweifeln darf, da gibt es durchaus auch wesentlich sinnvollere Erklärungen.
Aber das kann man ja mal in einem extra Threat abhandeln, ich finde auch, dass Lady Agatha neben vielem Guten und Durchschnittlichem auch einiges geschrieben hat, was sie ruhig hätte bleiben lassen können.
Wie im Prinzip bei jedem Schriftsteller.


Zitat von Fabi88 im Beitrag #22
Die "hard boiled"-Schriftsteller - zumindest die erste Welle - machen dem Rezipienten diese Distanz schwieriger. Nicht nur, dass die Romane oft Ich-Erzählungen sind, die beschriebene Welt hat auch wesentlich mehr Grautöne und ist teilweise dem, in dem wir selbst leben, gar nicht so unähnlich. Und bewegt sich die Hauptfigur dann doch in höheren Kreisen, ist der Blick ein hochgradig zynischer, bisweilen verachtender und nicht im Vergleich so verzeihend wie bei Christie und Co. Auch die Konflikte - politische Machtkämpfe, Gewalt in Beziehungen, Armut und Co - sind dem, was wir im eigenen Umfeld oder in den Nachrichten erleben dann doch näher als eine Arsen-Mordserie auf dem Lande.


Da wird es eben schwierig. Ich mag nun auch keine Romane lesen, wo sich Junkies wegen drei Groschen gegenseitig totschlagen und dann breit ausgemalt ihre Körperfunktionen nicht mehr unter Kontrolle haben oder im Delirium jämmerlich wegkrepieren. Ist auch ein Teil der Realität, allerdings auch nicht die der meisten Leser, genauso wenig wie das Leben der Upper Class mit Butlern und Chauffeuren. Hard-boiled ist schon okay und mit seiner Beschreibung der gesellschaftlichen Zustände natürlich realistischer als Christie und Co., doch wenn sich Marlow und seine Kollegen nur im Umkreis von Pennern, Sittlichkeitstrolchen und Trinkern mit entsprechendem Vokabular bewegen würden, hätten sie wohl auch nicht so den Erfolg gehabt, gerade sie sind ja auch gerne bei vermögenderen Leuten zu finden, deren moralische Verdorbenheit sie dann bloßstellen können. Da kann man sich dann auch als kleiner Leut' ein bisschen überlegen fühlen, zudem kommt man ja als Normalbürger auch nicht mit Gangstern, Auftragskillern etc. in Berührung, ballern auch nicht mit achtunddreißiger Colts durch die Gegend und liefern sich Boxkämpfe mit Unterweltschurken. Wie weit der Realismus da geht, ist auch fraglich, besonders eben auch bei der Darstellung der Detektive (die einsamen Wölfe) selber. Ich denke, auch Chandler hat ja mal zugegeben, dass der Schnüffler seiner Bücher auch nur ein realitätsfernes Phantasieprodukt ist.
Zumindest die frühen hard-boiled-Krimis liefern auf ihre Art ein genauso idealisiertes Bild ab wie die Landhauskrimis.
Mehr Realismus als bei den betulichen Briten ist schon gut, aber halt zu realistisch sollte es auch nicht sein. Auch bei Chandler und Hammett wird immer noch der Mörder klassisch entlarvt, wenngleich die Welt dann nicht mehr so automatisch wieder heil wird.

Eine Frage stellt sich als Wallace-Fan immer wieder: Was ist eigentlich seine Einordnung ? Krimi-Märchen-Erzähler mit klassischen und realistischen Anklängen ? Der lässt sich in überhaupt kein Schubfach stecken.

Zitat von Fabi88 im Beitrag #22
"Noir" oder "hard boiled" stehen sich ja gar nicht entgegen - vielmehr ist "hard boiled" primär ein Genre in der Literatur und eine der Grundlagen für den "Film Noir", der wiederum ja in seinem Ursprung lediglich eine französische Bezeichnung für sehr viele amerikanische Filme darstellt


Ja, diese Unterscheidungen, auch eine regelrechte Wissenschaft. Für mich persönlich braucht ein gelungener Lese-Krimi, egal ob cozy oder extra hard, eben eine klassische Auflösung am Ende. Krimis aus der Sicht des Täters, Heist-Romane, Dreiecksgeschichten, Sozialdramen mit Ende einer Straftat - alles sicher zweifellos interessant und unterhaltsam, aber halt nicht der "richtige" Krimi zum Entspannen. Sozialkritik, Milieuschilderung, Psychologisches und Persönliches, das kann alles drinne sein, sollte aber nie dominieren, das klassische Grundgerüst soll vorhanden sein. Ist aber persönlicher Geschmack, jeder wie er will. Ich finde da eher Spurenanalyse, Forensik und Gerichtsmedizin und halt vor allem saubere Plots interessant, deswegen hab ich auch eine Zeitlang die Lincoln-Rhyme-Thriller gelesen, obwohl ich moderne Krimis sonst nicht so mag. Die sind nun aber wieder so übermäßig blutig, dass einem der Spaß auch vergehen kann.
Solange der harte abgebrannte Bursche in seinem kaschemmigen Büro mit seiner eiskalten wasserstoffblonden Klientin feilscht, ist mir der noir-Krimi recht, Privatdetektiv-Geschichten find ich generell gut, aber für den Rest-Noir wie etwa Woolrich fehlt mir grad noch die "Reife". Kann aber noch werden, die Filme in den Besprechungen klingen ja auch interessant.

Oje, ist Schlafensgehzeit. Wird aber fortgesetzt...

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 643

03.02.2020 20:05
#26 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Zitat von Fabi88 im Beitrag #22
Das war tatsächlich nicht immer so, mit 15/16 habe ich Jerry Cotton gesammelt, konnte nicht verstehen, warum Edgar Wallace kaum mehr gelesen wird und habe auch viel Zeit mit Agatha Christie, Ellery Queen oder G. K. Chesterton verbracht. Mir ging es um das "was", selten um das "wie". Detektive, komplizierte Mordfälle, Rätsel? Her damit!
Dann kam die Bekanntschaft mit Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Ross MacDonald und Co - und auch da war zugegeben primär der Reiz der selbe, der mich von Winnetou zu den Italo-Western oder von Wallace zum Giallo gezogen hat - es war einfach härter, überraschender, frischer.


Manchmal macht es richtig Spaß, auch die Bücher seiner Jugend mal wieder zu lesen. Vor allem, wenn man sich mal eine richtige Übersetzung besorgt hat. Da fängt das Elend meist an.
Über die Verstümmelungen an den Wallace-Krimis ist ja schon viel gesagt wurden. Doch das betrifft ja auch andere Bücher. Viele Christies sind grottenschlecht übersetzt und gekürzt obendrein. Auch hier tut ab und zu eine gute Neuübersetzung Wunder. Auch Chestertons Father-Brown-Stories wurden früher für den oberflächlichen Lesegeschmack verhunzt. G. K. Chesterton war ein sehr politischer Mensch, seine Sympathien gingen vom Katholizismus bis zum Sozialismus, und er hat sehr viel davon auch in die Geschichten mit dem kleinen Geistlichen gepackt. Die Originale sind alles andere als leicht zu lesen, viele Anspielungen muss man sich durch einen hoffentlich guten Anhang erschließen.
Genauso ist es aber auch bei Chandler, Hammett und ihren Kollegen. Hellmuth Karaseks „berühmte“ Die-Tote-im-See-Übersetzung mit dem legendären „luftgetriebenen Riesenhorn“ ist auch ein Beispiel, wieviel da schon danebengehen kann. Obwohl sie vor Fehlern nur so zu strotzen scheint, liest sie sich aber recht drollig. Doch wieviel echter Chandler ist da noch drin ?
Wenn man nicht den Vorzug hat, „verhandlungssicheres“ Englisch zu können, muss man eben die Qualität der Übersetzungen mit berücksichtigen.

Zitat von Fabi88 im Beitrag #22
Ebenso, wie von all der Musik und all den Filmen irgendwann nur noch wenig stehen bleibt, weiß man auch bei Romanen erst in der Rückschau, was einen wirklich geprägt hat - und das ist bei mir im wesentlichen nun einmal Chandler. Nachdem bei Allem, was ich so gelesen habe, die Erinnerungen an die Handlungen verblasst sind, bleiben mir Figuren, Situationen und Wortwendungen von Chandler präsent.


Hammett und besonders Chandler wurden wegen der Gesellschaftskritik und des „Realismus“ zu DDR-Zeiten sehr gehypt, man hätte denken können, sie hätten stets die rote Fahne vor sich hergetragen, was einem die Lektüre so ziemlich vermiesen konnte. Na gut, bei Hammett scheint es ja so gewesen zu sein, aber Chandler ging es im Kapitalismus als Direktor von Ölfirmen, als Drehbuchautor in Hollywood und durch den Erfolg seiner Bücher viel zu gut, als dass er nun ernsthaft mit dem Kommunismus geliebäugelt hätte. Für die ständige Instrumentalisierung konnte und kann er ja nun auch nichts. Diese Einsicht hat mich persönlich wieder ausgesöhnt, ja gerade seinem Werk öffnen können.
Gerade eben auch die kranke bürgerliche Gesellschaft ermöglicht einem extremen Individualisten wie seinem alter ego Phillipp Marlowe noch ein Auskommen, der wäre im „Paradies der Werktätigen“ genauso fehl am Platze wie in der „Volksgemeinschaft“ oder im „Gottesstaat“. Natürlich sind mit so einer Haltung weder Reichtümer zu erwerben, noch gesellschaftlicher Erfolg zu verbuchen oder große Freundschaften zu pflegen. Ist eben der Preis, den man für größtmögliche Unabhängigkeit zahlen muss. Denn Marlowe ist ein verdammt einsamer Wolf, wer gerade unter Vereinsamungsgefühlen leidet sollte die Romane lieber nicht lesen. Kommt sicher auch viel von des Autors Gefühlswelt zum Ausdruck.

Die Welt, in der sich sein Detektiv bewegt, ist wahrlich nicht sehr erbaulich. Die große Depression der Dreißiger wirft immer noch ihre Schatten, „Dank“ des neuen Krieges (der wird nur selten mal am Rand erwähnt) geht es zwar in USA wirtschaftlich wieder aufwärts, doch bei weitem nicht alle haben was davon. Elend, Zerfall und Gewalt prägen seine Umwelt, Korruption und Willkür bei den staatlichen Behörden kommen dazu, auch die familiären Verhältnisse der „Reichen“ sind zerrüttet, gezeichnet von Dekadenz und allerlei Neurosen. All diese Dinge betrachtet er eher von außen, wenngleich er immer versucht, sich selber treu zu bleiben.
So real diese Betrachtungen auch sein mögen, man fragt sich trotzdem, wo die Grenze zum Klischee überschritten ist. Denn es gibt eine Menge Klischees.
Blondinen sind immer berechnend und hart, auch verführerisch und gefährlich. Auf jeder zweiten Seite steht ein überquellender Aschenbecher herum, ständig wird gesoffen, was das Zeug hält, und außerdem ist die Welt von alten Männern bevölkert, die leer vor sich hinstarren. Die Gangster sind immer hart und großmäulig, gerne mal ballern sie sich gegenseitig beim Gegenüberstehen ab. Naja, und an dem, was man heute nun zu recht oder unrecht Rassismen nennt, herrscht auch kein Mangel, nur scheint es bei Chandler keinen zu stören.

Dass er zumindest bei seinen Geschichten hart an jedem Wort gefeilt haben soll, ist sehr glaubhaft. Die ironische bildhafte Sprache, die bei den Romanen leider manchmal zu sehr bei Nebensächlichkeiten verweilt, hat zweifellos Akzente gesetzt. Deshalb trifft bei ihm auch zu, dass man einen handlungstechnisch nicht unbedingt überzeugenden Roman durchaus auch wegen der Stilistik lesen kann. Mit der Logik in seinen Büchern ist es nun wirklich nicht allzu weit her. Leb wohl, mein Liebling, Das hohe Fenster, Die Tote im See sind meiner Ansicht nach seine logischsten Kriminalromane, die eine befriedigende und teilweise auch überraschende Aufklärung erlangen, dagegen ist etwa Die kleine Schwester so verworren, dass auch keine noch so saloppe Schreibweise noch was gutmachen kann. Aber auch das ist wieder Ansichtssache.
ich denke, Chandlers große Meisterschaft waren wirklich die short stories. Die lohnen auf jeden Fall zu lesen.

So, das war jetzt aber mächtig viel Theorie. Sollten nun mal ein paar Besprechungen folgen, auch von den Schriften seiner Kollegen.

Dr. Oberzohn Offline



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07.02.2020 16:50
#27 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Raymond Chandler (1988-1959)


Der Autor und seine Bücher:

Raymond Chandler gilt als einer der Väter der hardbolied novels. In England aufgewachsen, arbeitete er nach einer guten Ausbildung unter anderem als Journalist. Später diente er als Freiwilliger im ersten Weltkrieg, arbeitete dann in den USA lange Zeit unter anderem als Direktor von Gesellschaften der Ölbranche. Er heiratete eine 18 Jahre ältere Frau, die wesensmäßig völlig anders als der eher schüchterne Chandler geartet war, die sich aber offenbar sehr verbunden waren.
1933 begann er mit der Veröffentlichung seiner ersten Kriminalgeschichten, welche sprachlich ausgefeilt waren und häufig von Detektiven, harten Burschen und Gangstern handelten. Später schrieb er bis zu seinem Tod noch sieben Kriminalromane um den eher melancholischen Privatdetektiv Phillip Marlowe. Chandler arbeitete auch als Drehbuchautor in Hollywood, er zog in das kalifornische La Jolla. Nach dem Tod seiner Frau verbrachte er die letzten Jahre in Einsamkeit und Alkoholabhängigkeit, woran er dann auch schließlich starb.

Seine short stories zeichnen sich durch eine rasche und verdichtete Handlung aus. Die späteren Romane sind dagegen eher langgezogen, mit kritischen Reflexionen des Ich-Erzählers Marlowe über die Gesellschaft, aber stets in ironischer Sprache verfasst und auch mit handfesten Geschehnissen. Der Privatdetektiv ist im Prinzip eine idealisierte Gestalt, die der sie umgebenden Welt voll Gier, Korruption und Gewalt mit Distanz begegnet, aber in und mit ihr leben muss, ohne selber so zu werden. Die besten Krimis wissen bei einer gutgebauten Kriminalhandlung mit viel Sprachwitz zu überzeugen. Philip Marlowe ist kein Mann der Gewalt, zur Not schlägt er auch mal zu oder greift zur Waffe, doch ist seine "Schnodderschnauze" normalerweise der einzige Schutzschild gegen die Angriffe seiner Umwelt.


Leseempfehlungen:

Erpresser schießen nicht (Original: Blackmailers Don't Shot - Erscheinungsjahr: 1933-1936)

Eine Handvoll frühe Geschichten um böse Gangster, schöne Frauen und harte Jungs, teilweise in der dritten Person, teilweise in der Ich-Form geschrieben. Es geht um Erpressungen, Schießereien, Morde, einen Luxuswagen, der durch Gas zur Todesfalle wird, weiterhin um zweckentfremdete Zierfische und Komplotte und Betrügereien unter Ganoven, um falsche und richtige Polizisten. Stets wird viel getrunken und geraucht, lässige Sprüche werden gewechselt und verschlagene Schönheiten begehrt. Immer ist der Held ein mal mehr oder weniger obercooler bis sympathischer Einzelgänger, der in der Welt zurechtkommen muss. Wo Realismus und Klischee ineinander übergehen, ist fließend, doch spannende Unterhaltung ist garantiert.


Lebwohl, mein Liebling (Original: Farewell, My Lovely - Erstveröffentlichung: 1940)

Marlowe gerät durch Zufall an einen riesigen Ex-Sträfling namens "Moose" Malloy, der auf der Suche nach seiner Freundin den schwarzen Besitzer einer Kneipe ermordet. Später wird der Detektiv engagiert, ein wertvolles Halsband zu suchen, doch sein Auftraggeber wird umgebracht und Marlowe niedergeschlagen. Irgendwann stellt sich zwischen den beiden Fällen ein Zusammenhang heraus, bis dahin hat Marlowe einiges auszustehen. Ein seltsamer Heiler mit indianischem Leibwächter, prügelnde Polizisten, ein alternder Millionär mit verführerischer schöner Frau, schnüffelnde Nachbarinnen, eine tote Trinkerin, ein Syndikatsboss und viele andere kreuzen seinen Weg, er wird in ein Privatsanatorium entführt, mit Drogen vollgestopft, flüchtet, wird verprügelt, schleicht sich auf ein Schiff und hat auch den Begehrlichkeiten der Damenwelt zu begegnen. Am Ende kann er alles zu einem (etwas verrutschten) logischen Knoten zusammenführen.


Die Tote im See (Original: The Lady In The Lake - Erstveröffentlichung: 1943)

Phillip Marlowe wird von dem Firmenboss Kingsley angeheuert, um dessen leichtlebige Ehefrau aufzuspüren, die mit einem notorischen Frauenheld durchgebrannt sein soll. Der gibt vor, nichts zu wissen, die Spur führt den Privatdetektiv später zu einem Ausflugssee in den Bergen, wo er eine unappetitliche Entdeckung macht - die "Dame" im See, die dort schon einige Zeit zu liegen scheint. Kingsleys Frau...? Hier trifft er auf einen freundlichen Sherriff und allerlei skurrile Gesellen.
Bald schon stolpert er zurück in der Stadt über die nächste Leiche, kommt einem Komplott aus der Vergangenheit auf die Spur, wird wieder mal von Polizisten bedroht und zusammengeschlagen und findet sich bald neben einer toten Frau wieder, wobei es für ihn sehr eng wird. Wer will ihm was anhängen? Die nicht ganz ungefährliche und überzeugende Auflösung des vertrackten Falls gelingt ihm dann wieder am See in den Bergen.




Buchbesprechung: Das hohe Fenster


Originaltitel: The High Window
Erstveröffentlichung: 1942



Hauptpersonen:

Philip Marlowe – Privatdetektiv und Ich-Erzähler
Elizabeth Murdock – seine herrschsüchtige Klientin
Leslie Murdock – ihr unterdrückter Sohn
Merle Davis – ihre neurotische Sekretärin
Linda Conquest – abtrünnige Ehefrau von Leslie
Lois Magic – deren leichtlebige Freundin
Mr. Vannier – Erpresser und Schlimmeres
Alex Morny – Nachtklubbesitzer und Halbweltgröße
Eddie Prue – dessen Leibwächter
Mr. Morningstar – Münzhändler
George Anson Phillips – ungeschickter beruflicher „Konkurrent“ von Marlowe
Hench – versoffener Kleinkrimineller
Mr. Paradiso – Leichenbestatter und Immobilienbesitzer
Leutnant Breeze – von der Kriminalpolizei
H.R. Taeger - Zahnprothesenhersteller


Handlung:

Der Privatdetektiv Philip Marlowe wird in der Nähe von Los Angeles von der vermögenden Mrs. Murdock angestellt, um eine seltene Münze aus dem Nachlass ihres verstorbenen zweiten Ehemannes wiederzubeschaffen. Die sogenannte Brasher-Dublone ist ihr gestohlen wurden, und die Täterin steht für Mrs. Murdock von vornherein fest. Sie verdächtigt ihre aus dem Haushalt wieder ausgezogene Schwiegertochter Linda Conquest, eine ehemalige Nachtclubsängerin, des Diebstahls. Man kann bei ihr davon ausgehen, dass wohl keine Frau neben ihr Gnade finden würde, sie entpuppt sich bald als äußerst herrschsüchtige und bösartige, zudem alkoholabhängige Person. Ihr verhätschelter Sohn Leslie, den Marlowe bald darauf kennen lernen soll, ist ein Weichling, die junge verschüchterte Privatsekretärin Merle Davis leidet unter der Tyrannei ihrer Arbeitgeberin, obwohl sie sich ständig das Gegenteil einreden will. Marlowe begibt sich zu Lois Magic, Freundin und Ex-Kollegin von Linda, außerdem seit kurzem Gattin des mit der Unterwelt in Kontakt stehenden Nachtclubbesitzers Alex Morny. Doch der Mann, mit dem sich die flatterige Dame gerade am Pool amüsiert, ist ein anderer, ein gewisser Vannier, ein zwielichtiger und nicht gerade liebenswerter Geselle. Marlowe kommt hier nicht weiter und bemerkt einen Verfolger, den er zu Rede stellt. Es handelt sich um einen jungen und nicht sehr geschickten „Kollegen“ von Marlowe, der auch in den Goldmünzen-Fall verwickelt ist und nicht so recht weiter weiß. Einige Zeit später wird ihn Marlowe in seiner Wohnung in einem heruntergekommenen Wohnblock in einem heruntergekommenen Viertel erschossen auffinden. Schnell fällt der Verdacht auf den versoffenen Nachbarn Hench, doch eigentlich glaubt nicht mal die Polizei daran. Leutnant Breeze und sein Kollege nehmen auch Marlowe in die Zange, der sich aber nicht sehr kommunikativ gibt. Allerdings findet er bald die nächste Leiche, Mr. Morningstar, ein älterer Münzhändler, mit dem er schon vorher in Kontakt war, wurde auch umgebracht. Diesmal schleicht sich Marlowe unerkannt davon, wobei er auf einen gewissen Taeger mit einem kleinen Labor für Zahnarztartikel aufmerksam wird. Die Handlung beschleunigt sich. Er bekommt ein Paket mit brisantem Inhalt zugeschickt, findet die verschwundene Linda an ihre alten Arbeitsstätte wieder, liefert sich mit sehr halbseidenen Figuren einen verbalen Schlagabtausch, überwirft sich mit seiner Auftraggeberin, muss sich um deren halbverrückten Sekretärin kümmern und steht wieder vor einem Toten. Er kommt einem sorgsam gehüteten Familiengeheimnis der Murdocks auf die Spur, wobei er noch ein bisschen Ordnung in die Welt schafft und eine befriedigende Auflösung der ganzen Affäre gibt. Die Erkenntnis, dass es mit der Gesellschaft nicht zum Allerbesten steht, kommt ihm nicht zum ersten Mal, er kann sich da nur wieder mit einem guten Whisky und einem Schachproblem hinwegtrösten.


Bewertung:

Dieser Fall von Marlowe fängt recht betulich an. Sogar die bösartige Mrs. Murdock kommt noch nicht ganz so schlimm rüber, obwohl sich alle beide von Anfang an nicht ausstehen können.
Nach und nach kreuzen erst mal alle Hauptpersonen der Geschichte auf, für deren Beschreibung sich Chandler eine Menge Zeit nimmt. Sehr sorgfältig, geradezu manisch, schildert er auch die Eirichtungsgegenstände in jedem Zimmer, welches sein Held betritt. Da wäre wohl weniger mehr gewesen, diese Detailverliebtheit bringt den Handlungsfluss mitunter arg ins Stocken.
Charakteristisch für diesen und im Prinzip alle Marlowe-Romane ist Schilderung im Prinzip in Echtzeit, sämtliche Ereignisse werden in dichtgedrängter Zeit erlebt. Dafür nun wiederum passiert richtig viel, spätestens nach der Entdeckung des ermordeten Privatdetektivs Phillips kommt Marlowe kaum mehr zur Ruhe. Die Polizisten sind dieses Mal keine prügelnden korrupten Typen, sondern eher sture, abgeklärte Arbeiter. Der verbale Schlagabtausch, unter anderem bei alkoholischen Getränken in Marlowes Wohnung, ist zwar nicht sehr nett, geht aber ohne Beschimpfungen vor sich. Detektivleutnant Breeze scheint sogar versteckte Sympathien für den schnodderigen „Privaten“ zu hegen.
Trotz seiner Abneigung gegen seine wenig erträgliche Klientin versucht der Privatdetektiv, diese vor polizeilichen Nachforschungen zu schützen, er muss Berufsethos und eigenes Überleben abwägen.
Der Bogen der handelnden Personen ist wieder weit gespannt, von den Wohlhabenden über Gewohnheitskriminelle zu den untersten auf der sozialen Leiter. Die Schilderung von Mornys Nachtclub ist sehr interessant, schon damals gab es von der Polizei überwachte und „Normalos“ nicht zugängliche Gebiete, in den sich die Reichen und Schönen zu ihren Vergnügungen trafen. Die Zustände in diesem Club betrachtet der Held sehr kritisch, dort nicht dazuzugehören, wird (verständlicherweise) nicht als Makel angesehen. Aber es gibt auf seinem Weg auch humorige Typen, etwa einen steinalten Lift“boy“ mit seinem klapperigen Fahrstuhl, der eine größere Hilfe für den Detektiv ist als gedacht.
Nach der Entdeckung des letzten Opfers muss Marlowe eine Menge Spuren wieder verwischen, die ein Gangster gelegt hatte, um den Verdacht auf seine untreue Frau zu lenken – eine eher unnötige verwirrende Episode, die nicht viel zur Plotentwicklung beiträgt. Marlowe gelingt es, alle Todesfälle in einen Zusammenhang zu bringen und auch die zwischenzeitlich wieder aufgetauchte Brasher-Dublone in dem Puzzle an die richtige Stelle zu setzen. Nebenher schafft er es noch, die unterdrückte Merle Davis aus den Klauen der tyrannischen Mrs. Murdock zu befreien und deren sehr dunkles Geheimnis aufzudecken, im Prinzip ein Parallelfall. Ob seine Bemühungen freilich auf Dauer Erfolg haben werden, zweifelt er selber an, auch liefert er die Schuldigen der Taten nicht an die Polizei aus. Er hat nach seinem Gewissen gehandelt und weder viel Geld noch Anerkennung für sein Handeln bekommen. Am Ende sitzt er, Philipp Marlowe, der melancholische, aber sehr männliche Detektiv, wieder mal verdammt einsam in seiner Wohnung.

Der Roman Das hohe Fenster hat kaum Bezüge zu Chandlers Kurzgeschichten und bietet einen zwar nicht übermäßig spannenden, aber guten Krimiplot, eingebettet in die übliche, diesmal nicht sehr actionreiche Handlung mit kritischen Reflexionen über den Zustand der amerikanischen Gesellschaft.


Leseexemplar:

Diogenes Verlag ; 1975 ; ca. 260 Seiten

Die Übersetzung von Urs Widmer liest sich eigentlich gut, leider verwechselt er ärgerlicherweise wieder mal Pistolen mit Revolvern, was albern rüberkommt, denn Revolver mit Magazinen und ähnlichen Humbug gibt es nun mal nicht.


Verfilmung:

Es gab schon 1942 einen Film unter dem Titel Time to Kill. Etwas bekannter ist die Verfilmung The Brusher Doubloon von 1947 mit George Montgomery geworden, allerdings hat die keine sonderlich guten Kritiken bekommen.

Dr. Oberzohn Offline



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12.02.2020 17:16
#28 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Dashiell Hammett (1894 – 1961)


Der Autor und seine Bücher:

Dashiell Hammett wurde in Maryland geboren und zog mit seinen Eltern einige Male um. Er verließ recht frühzeitig die Schule und arbeitete in verschiedenen Jobs. Im ersten Weltkrieg infizierte er sich mit TBC.
Er arbeitete mehrere Jahre für die berühmte Detektivagentur Pinkerton, was ihm Stoff für seine späteren Erzählungen beschaffte. Dann verließ er seine eigene Familie und zog mit einer anderen Frau zusammen.
Er schrieb vor allem seit den zwanziger bis Mitte der dreißiger Jahre Kriminalgeschichten und fünf Romane, die als Prototyp der neuen hardboiled-Ära gelten. Besonders berühmt wurde sein Buch „Der Malteser Falke“.
Während der McCarthy-Ära war er wegen seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei staatlichen Repressionen ausgesetzt, er starb, alkoholabhängig, in großer Armut.

Sein literarisches Werk ist nicht sehr umfangreich, er wurde dadurch, dass er die Verbrechen in ein realistisches Umfeld einordnete und mitunter starke Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen übte, sehr bekannt. Sein Sprachstil ist eher schlicht, rationell und leicht ironisch. Etwas gewöhnungsbedürftig ist das fast völlige Fehlen von Emotionen seiner Hauptpersonen, die meistens agieren, ohne etwas von ihren Gedanken oder Gefühlen preiszugeben.
Nebenher gibt es auch Fälle, die durchaus noch klassische Züge aufweisen.


Leseempfehlungen:

Rote Ernte (Original: Red Harvest – Erstveröffentlichung: 1928)

Der namenlose Ermittler einer privaten Detektivagentur kommt in das Bergarbeiter-Städtchen Peaceville (umgangssprachlich „Pissville“ genannt) um den Mord am Sohn des einflussreichsten Mannes der Stadt aufzuklären. Bald schon sind die Strukturen offensichtlich: Die Korruption ist allgegenwärtig, auch Politik und Polizei versuchen zusammen mit organisierten Alkoholschmugglerbanden und Gangstern ihren Profit zu machen. Durch geschicktes Taktieren spielt der „Namenlose“ die Parteien in blutigen Aktionen gegeneinander aus (die Opferzahl geht auf die Dreißig zu). Ein sehr kritisches Werk, durch den etwas comic-haften Schreibstil geht allerdings meiner Ansicht nach viel verloren.


Der gläserne Schlüssel (Original: The Glass Key - Erstveröffentlichung: 1931)

Der Mord an dem Sohn des Senators Henry erschüttert eine Stadt in den USA. Der einsame Streiter Ned Beaumont, selber in das unsichtbare Netz von Korruption und Willkür verstrickt, versucht eine Aufklärung. Die Verquickung von Politik, Polizei und Organisierter Kriminalität wird sorgfältig beleuchtet, dabei geht Hammett behutsamer vor als in „Rote Ernte“. Der Held des Buches versucht stets loyal zu bleiben, wird von Gangstern ziemlich übel in die Mangel genommen und muss Gewissenskonflikte austragen. Zum Schluss gelingt es ihm, der Gerechtigkeit auf seine Art und Weise zur Geltung zur verhelfen.


Der dünne Mann
(Original: The Thin Man – Erstveröffentlichung: 1934)

Der mittlerweile durch Heirat zu Reichtum gekommene Privatdetektiv Nick Charles ermittelt mehr oder weniger freiwillig im Falle des verschwundenen Erfinders Wynant. Ist dieser ein Mörder ? Charles und seine mutige Ehefrau bekommen es mit jeder Menge merkwürdiger Gestalten, Morden und allerlei kriminellem Treiben zu tun. Dieses Buch ist viel persönlicher und leichfüßiger als die Vorgänger, eher eine klassische Detektivgeschichte als ein hardboild-novel. Trotz (oder gerade wegen ?) der vielen Sauferei sehr amüsant zu lesen, die Dialoge sind witzig, die Klärung des Falles nicht übel.






Buchbesprechung: Der Fluch des Hauses Dain


Originaltitel: The Dain Curse
Erstveröffentlichung: 1929



Hauptpersonen:

Der namenlose Detektiv – Ich-Erzähler im Dienste der Continental Detective Agency
Gabrielle Leggett – Tochter der Familie Leggett-Dain
Edgar Leggett – ihr Vater mit ruchloser Vergangenheit
Alice Leggett-Dain – ihre Stiefmutter
Eric Collinson – Gabrielles Verlobter
Owen Fitzstephan – Romanschriftsteller
Minnie Hershey – Dienstmädchen bei den Leggetts
Doktor Riese – Hausarzt
Joseph Haldorn – Sektenguru
Aaronia Haldorn – seine Ehefrau
Mr. Vernon – Staatsanwalt
Mr. Collins – Sheriff
Mr. Rolly - Hilfssheriff
Madison Andrews – Familienanwalt

…und viele andere


Handlung:

Der Ich-Erzähler, Angestellter einer privaten Detektivagentur, wird auf den Diebstahl einiger nicht sonderlich wertvoller Diamanten angesetzt. Die wurden dem Hobby-Forscher Edgar Leggett von einer Firma zu Versuchszwecken überlassen und spielen schnell keine tragende Rolle mehr. Bald schon stößt der mit den Ermittlungen beauftragte „Continental Op“ auf Unstimmigkeiten, und die ersten Leichen tauchen auf. Eine Fehde unter Ganoven ? Der Detektiv lernt die erst mal sympathische Mrs. Leggett kennen sowie die Tochter des Hauses, Gabrielle, die sich im Laufe der ziemlich verworrenen Handlung als zentrale Figur herauskristallisieren wird. Außerdem taucht noch ein guter Bekannter des Ermittlers auf, der relativ erfolglose Schriftsteller Owen Fitzstephan, immer auf der Suche nach Stoff für seine Romane und mit den Leggets flüchtig bekannt. Gabrielle verschwindet und kann in den Räumlichkeiten einer seltsamen Sekte aufgestöbert werden, doch da hat der Herr des Leggettschen Hauses scheinbar Selbstmord begangen. In einem Abschiedbrief ist seine wildbewegte Lebensgeschichte dargelegt, wenig später gerät Mrs. Leggett, geborene Dain, ins Zwielicht, es gibt wieder Tote und vom Fluch der Familie Dain ist die Rede.
Die junge Gabrielle fürchtet ihren fluchbeladenen Einfluss und verkriecht sich wieder bei der Sekte Der Heilige Gral des seltsamen Heiligen Joseph Haldorn und seiner Frau Aaronia, wobei der Continental Op den Auftrag bekommt, auf sie aufzupassen. Es dauert nicht lange da steht Gabrielle mit einem blutbefleckten Dolch vor ihm. Ihr Arzt Dr. Riese liegt erstochen auf dem Sekten-Altar. Das Ganze endet in einer wüsten Aktion, im Kampf des Helden mit einer Drogen-und-Wasserdampf-Illusion, Prügeleien, Schießereien, geplanten Opferungen und wiederum neuen Toten.
Dabei ist ihm der aufgeregte Verlobte von Gabrielle, Eric Collinson, alles andere als eine große Hilfe. Doch es geht noch einmal alles gut aus, wiederum ist eine gewalttätige Episode auf den ersten Blick aufgeklärt, und die zwischenzeitlich verheiratete Gabrielle fährt nach Quesada, einem Kaff an der Pazifikküste, doch auch hier gibt es keine Ruhe, der erste Tote lässt nicht lange auf sich warten… Gibt es doch den Dain-Fluch ?
Der Continental Op ist wieder, diesmal vom dritten Auftraggeber bezahlt, vor Ort, wobei wieder eine Menge passiert. Die ortsansässige Polizei ermittelt auch, vertreten vom Staatsanwalt Vernon sowie dem Sheriff Collins, Hilfssheriff Rolly und anderen mehr oder weniger fragwürdigen Gesellen, einschließlich einiger Mitarbeiter des Detektivbüros, doch der „Namenlose“ behält alle Fäden in der Hand. Die junge Frau, letzte aus dem Hause Leggett-Dain, wird wiederum entführt, unter Drogen und auf Entzug gesetzt, derweil die Leichen munter weiter purzeln. Nach einem Bombenanschlag, bei dem eine Hauptperson schrecklich verstümmelt wird, gelingt es dem Mitarbeiter der Detektivagentur, die vielen Einzelstücke zu einem ganzen Puzzle zusammenzufügen.


Bewertung:

Der Roman „Der Fluch des Hauses Dain“ zerfällt in drei so recht und schlecht miteinander zusammengekittete Teile. Erst kommen die Geschehnisse im Hause Leggett, dann die im Sektentempel, und die zweite Buchhälfte beschäftigt sich mit der Handlung in Quesada. So durcheinander, wie das Ganze klingt, ist es auch. Am Ende gelingt es dem Ich-Protagonisten zwar, mit einem überraschenden Schlenker sozusagen einen Überbau für alles zu finden und noch einmal komplett neu zu bewerten, doch die Frage auf auch nur ansatzweisen Realismus stellt sich recht hartnäckig. Etwa Agatha Christies Tod auf dem Nil erscheint dagegen direkt aus dem Leben gegriffen. Die Story ist echt wild, ein entflohener Sträfling von der Teufelsinsel, ein kleines Mädchen, das „versehentlich“ seine eigene Mutter erschossen hat, eine geldgierige Sekte mit einem nicht mal durch Kugeln zu stoppenden „Erleuchteten“, ein Sheriff mit fremdgehender und umgebrachter Ehefrau, total demolierte Unfallautos, geheime Schnapsschmugglerhöhlen als Entführungsversteck, und ein Mörder, der für ein Dutzend Tote verantwortlich ist, das alles und noch viel mehr trifft man in dieser Geschichte, die die Bezeichnung „Pulp“ wohl verdient und fast als eine Parodie darauf verstanden werden kann. Eigentlich hätte auch Edgar Wallace so was Ähnliches zusammenzimmern können. Der Schreibstil ist hammett-typisch flapsig und unpersönlich, die Gedanken und Gefühle des Erzählers werden kaum reflektiert, dafür gibt es jede Menge „action“.
Einzig die Beziehung der etwa zwanzigjährigen Gabrielle zu ihrem doppelt so alten Beschützer, der ihr immer wieder aus der Gefahr hilft und zuletzt sogar fast alleine auf ihrem Morphium-Entzug begleitet, scheint etwas tiefer zu gehen. Sind es väterliche Gefühle, will er nur seinen Job gut machen, oder hat er sich in sie verliebt, wie er es ihr nach hartnäckigem Nachfragen durch die Blume zu verstehen gibt ? Man weiß es nicht, vielleicht von jedem was, obwohl seine Kollegen allerlei anzügliche Bemerkungen machen. Gabrielle behauptet schließlich, dass er sich nur ihr zuliebe als verknallt ausgegeben hätte, der Erzähler lässt sie einschließlich des Lesers im Unklaren.
Trotz der vielen Toten geht einem deren Schicksal, mit Ausnahme von einer oder zwei Personen, nicht nahe, dazu sind sie charaktermäßig viel zu wenig gezeichnet. Außerdem hat die Spannung auch den einen oder anderen Durchhänger. Die Logik wird einigermaßen strapaziert. Es gibt einige originelle Einsprengsel, zum Beispiel die Geschehnisse im Sektentempel mit den plastischen Illusionen und Halluzinationen, welche das betrügerische Ehepaar Haldorn installiert, um ihrer zahlungskräftigen Kundschaft ein wenig vom schnöden Mammon abzunehmen, aber die auch den anwesenden Detektiv verwirren. Das ist sehr plastisch geschildert.
Der Hintergrund spielt sich diesmal bei eher begüterten Leuten ab, wenngleich auch die „unteren“ Schichten auftreten.

Der Fluch des Hauses Dain wirkt eher wie eine klassische Detektivgeschichte, die mit vielen „harten“ Versatzstücken kredenzt und einigen mystischen Elementen garniert wird. Durchaus gut lesbar, aber sicherlich kein Meisterwerk des kritischen Realismus. Da hat der Autor Überzeugenderes geschrieben.


Leseexemplar:

Diogenes Verlag ; 1976 ; ca. 270 Seiten

Übersetzt wurde der Roman von Wulf Teichmann. Liest sich so, als sei er dabei sehr sorgfältig vorgegangen.


Verfilmung:

Es gibt hier eine dreiteilige filmische Adaption mit James Coburn in der Hauptrolle. Gedreht wurde sie im Jahre 1978.

Dr. Oberzohn Offline



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18.02.2020 17:14
#29 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Jonathan Latimer (1906 – 1983)


Der Autor und seine Bücher:

Jonathan Latimer wurde in Chicago geboren. Er arbeitete als Reporter, später auch als Drehbuchautor für einige Klassiker der noir-Filme, etwa nach Büchern von Hammett oder Woolrich, aber auch Serien wie Charlie Chan, Perry Mason und Columbo. Nach seinem Kriegsdienst in der Navy zog er in die Nachbarschaft von Raymond Chandler, mit dem er sich auch befreundete.

Sein literarisches Werk ist nicht sehr umfangreich, zu einer gewissen Bekanntheit gelangten die fünf parodistischen Krimis um den trinkfesten Privatdetektiv William Crane, die die Hälfte seines schriftstellerischen Schaffens einnehmen. Seine Bücher zeichnen sich durch eine bewusste Überhöhung von Krimi-Klischees und hohes Erzähltempo aus, wobei tatsächlicher Realismus und strenge Logik nebensächlich, die Sprache aber sehr bildhaft und die Dialoge witzig sind.


Leseempfehlungen:

Wettlauf mit der Zeit (Original: Headed For A Hearse – Erstveröffentlichung: 1936)

Der Privatdetektiv William Crane soll die Beweise für die Unschuld von Robert Westland erbringen, der des Mordes an seiner Ehefrau angeklagt ist und nur noch sechs Tage bis zu seiner Hinrichtung hat. Keine leichte Aufgabe für den trinkfreudigen Schnüffler und seine gleichgearteten Kollegen, zumal alle eventuellen Zeugen ebenfalls eines gewaltsamen Todes sterben. Neben Ermittlungen im engsten Umkreis des Todeskandidaten, herumfliegenden Kugeln und ausgiebigen Alkoholexzessen muss Crane auch noch ein klassisches locked-room-mystery lösen… Vielleicht der beste der Crane-Fälle.


Rote Gardenien (Original: Red Gardenias – Erstveröffentlichung: 1939)

Diesmal muss Crane angebliche Auspuff-Selbstmorde in der Familie des reichen Industriellen Simeon March aufklären. Zur Seite steht ihm die Nichte seines Chefs, die den alkoholischen Kapriolen des Helden eher kritisch gegenübersteht. Es gibt schöne und geheimnisvolle Frauen, Familienintrigen, üble Gangster und wilde Schießereien und natürlich geht es um viel Geld. Am Ende des kurzweiligen Buches kommt die überraschende Auflösung, bis dahin gibt es einige Turbulenzen.


Die falsche Nonne (Original: Black Is The Fashion For Dying – Erstveröffentlichung: 1959)

Eine klassische Noir-Situation: Der Reporter Sam Clay erwacht neben einer unbekannten Toten. Er weiß weder wo er ist, noch wie er dahin kam. Fortan muss er selber den Mörder der schönen Unbekannten finden, gehetzt von Polizei und Verbrechern, er stolpert von einer unmöglichen Situation in die nächste, wobei es nicht bei der einen Toten bleibt. Doch die Auflösung des ganzen führt in die Vergangenheit, wobei auch die falsche Nonne ihre Rolle spielt. Stimmungsvoller letzter Krimi des Autors.






Buchbesprechung: Salomons Weinberg


Originaltitel: Solomon's Vineyard
Erstveröffentlichung: 1941



Hauptpersonen:

Karl Craven – Privatdetektiv und Ich-Erzähler
Bethine Gleason, die „Prinzessin“ – verführerische Verbrecherin
Pug Banta – Gangsterboss
Ginger Bolton – Freundin von Banta
Thomas McGee - Rechtsanwalt
Chief Piper – Polizeichef
Penelope Grayson – junge Frau in den Fängen einer Sekte
Carmel Todd – Prostituierte
Gus Papas – Restaurantbesitzer
Caryle Waterman - Industriellensohn
Oke Johnson – ermordeter Partner von Craven
Salomon – mystischer Sektenguru


Handlung:

Der massige Privatdetektiv Karl Craven kommt in das Städtchen Paulton, irgendwo mitten in den USA gelegen und bestehend aus roten Backsteinhäusern und extremer Sommerhitze. Dort wollte er sich eigentlich mit seinem Partner, dem Schweden Oke Johnson treffen, doch der wurde kurz zuvor durch das offene Fenster seines Zimmers erschossen. Was hatte er herausgefunden ? Polizeichef Piper weiß von nichts und scheint auch kein großes Interesse an Aufklärung zu haben, kein Wunder, ist er doch ängstlich und bestechlich. Der Leser erfährt so nach und nach, dass der reiche Mr. Grayson die Detektive engagiert hatte, um seine noch sehr junge Nichte Penelope aus den Fängen einer obskuren Sekte zu befreien. Salomons Weinberg lautet der Name des betreffenden Refugiums, eine große Fläche am Stadtrand, in der tatsächlich Wein angebaut wird und die Mitglieder in etwa nach den Prinzipien der Amish-People leben. Jedenfalls die unteren Chargen, die Spitze des „Weinbergs“ macht noch ganz andere Geschäfte. Nicht nur, dass sie ihre bedauernswerten Jünger ausplündert, auch im organisierten Verbrechen der Gegend mischt sie kräftig mit. Nach außen hin ist der starke Mann allerdings der Gangster Pug Banta, dessen Bekanntschaft der schwergewichtige Detektiv bald macht, da er gegen alle Warnungen mit dessen rothaariger Freundin Ginger Bolton anbandelt. Aber für einen Mann, dessen einzige Vorlieben Trinken, Kampf und Frauen sind (in dieser Reihenfolge) sind Bantas unsanfte Warnungen nur noch zusätzlich ein Ansporn. Er provoziert den Verbrecher weiter und löst erst mal im Lokal des Griechen Gus Papas eine gewaltige Schießerei aus. Wenig später gerät er dann in die Fänge des Obergauners, doch vor dem Versenken im See rettet ihn wunderbarerweise die „Prinzessin“, eine fleischgewordene Männerphantasie, die dem geheimnisvollen Weinberg vorsteht und deutlich zu verstehen gibt, wer die eigentliche Macht in der Stadt hat. Doch Craven ist nun von ihrer Gunst abhängig, er muss auch die extravaganten amourösen Vorlieben der Dame bedienen, die sich wohl ein wenig von der Lektüre der unanständigen Werke von Masoch und De Sade hat inspirieren lassen. Dabei zieht ihn die Lady immer tiefer in einen Sumpf von Kapitalverbrechen hinein.
Craven muss nun versuchen, ihren Fängen zu entkommen, dem rachsüchtigen Banta zu entgehen, den Mörder seines Partners zu finden und, vor allem, die gehirngewaschene Penelope Grayson vom Weinberg wegzulotsen. Eigentlich ist er ständig damit beschäftigt, sich zu prügeln, Mordanschlägen zu entgehen (sogar im Dampfbad wird auf ihn geschossen) und abends Gewehr bei Fuß bei seiner anspruchsvollen Bettgenossin zu sein. Einen Verbündeten findet er in dem ortsansässigen Rechtsanwalt Thomas McGee, doch kocht auch der nicht sein ganz eigenes Süppchen ? Craven steht zusätzlich unter Druck, da am kurz bevorstehenden Wochenende die jährliche „Hochzeitszeremonie“ zu Ehren des vor fünf Jahren verstorbenen Gurus Salomon im Weinberg bevorsteht und Penelope die auserkorene Jungfrau sein soll. Keine ihrer Vorgängerinnen hat diesen Ritus bisher überlebt…
Aber dem äußerst trinkfesten Detektiv gelingt es, alle Probleme schlussendlich zu lösen, wobei kaum einer der Gauner seine Intrigen überlebt und er seine ganz eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit durchsetzt. Am Ende hat der doch recht fragwürdige Held über alle triumphiert.


Bewertung:

Der erste Satz des Buches beginnt schon damit, dass der Ich-Erzähler dem Leser seine Gedanken über die vor ihm aus dem Bahnhofsgebäude schreitende Lady mitteilt. Welcher Art diese Gedanken sind, kann man sich sicher denken, wenn man weiß, dass der Roman in seinem Ursprungsland erst Ende der achtziger Jahre (!) ungekürzt erscheinen durfte. Für die damalige Zeit geht es in dem Buch wirklich recht freizügig zur Sache, aber auch in Sachen Gewalt setzt Latimer durchaus neue Maßstäbe. Eine Verquickung findet beides in der Person der „Prinzessin“, die zum Sex regelrecht geprügelt werden will. Für frühere Tugendwächter war das mit Sicherheit ein Aufreger, aber auch heutige Dauerempörte werden an dem Krimi und seinem Protagonisten wohl kein gutes Haar finden, ist er doch vollgestopft mit allerlei negativ besetzten -ismen. Der selber halbkriminelle Privatdetektiv Karl Craven ist wahrlich kein Sympathieträger, randvoll mit Vorurteilen, Brutalität und Lüsternheit, wenngleich er durchaus auch sehr weit gedehnte moralische Maßstäbe hat. In einer von Gewalt und Korruption beherrschten Stadt wie Paulton kann man aber auch nicht wie ein blütenweißes Schneeflöckchen durch die hitzebrütenden Straßen schweben, wenn man etwas erreichen will, so viel ist schon mal nach den ersten Kapiteln klar.
Nebenher schüttet der großmäulige Ermittler dermaßen Unmengen von Alkohol in sich hinein, dass man schon beim Lesen betrunken wird. Ähnlich maßlos ist seine Esslust – natürlich Fleisch in rauhen Mengen. Wenngleich die leichtgängige Ironie der ein halbes Dutzend zählenden Vorgängerbücher verschwunden ist, ist der Ton auch jetzt weiterhin flapsig, und so recht ernst kann man alles auch nicht nehmen, dafür ist es einfach zu sehr parodistisch erhöht. So gibt es gleich zwei femmes fatales auf einmal, eine Schießerei, die in eine halbe Schlacht ausartet, und Unmengen an niedergeschlagenen Gegnern und an demoliertem Inventar. Beispielsweise verwüstet der übelgelaunte Held des Stückes einen Großteil der Ausstattung des städtischen Bordells, den schwarzen Rausschmeißer expediert er kurzerhand zum Fenster hinaus, ohne zu öffnen.
Deutlich sind die Referenzen zu Dashiell Hammett zu finden – der Tod des wenig geschätzten Partners am Anfang wie beim Malteser Falken, die Machenschaften einer Sekte wie beim Fluch des Hauses Dain sowie das Ausspielen der Verbrecher gegeneinander wie bei Rote Ernte. Doch die Story ist eigenständig, gerade die Umtriebe des Weinberges, der von gewissenlosen Leuten angeführten Sekte, wirkt zeitlos aktuell.
Karl Craven ist wahrlich nicht zart besaitet, es macht ihm nur wenig aus, wenn er auch Unbeteiligte in seine Machenschaften zieht. Als etwa der Sohn des reichsten Industriellen der Stadt, Waterman, bei den Auseinandersetzungen mit Banta umkommt, tut das dem ruppigen Schnüffler zwar ein bisschen leid, doch gleichzeitig passt ihm das gut in seine Pläne, denn nun wird wohl endlich mal von „ganz oben“ mit Untersuchungen in der gesetzlosen Stadt begonnen werden. Weitere Personen fallen Cravens Plänen zum Opfer, der Obergangster wird von ihm in seiner Zelle halb tot geprügelt und getreten – eine abstoßende Szene, wenngleich er es auch aus Notwehr getan und das Opfer sein Schicksal wohl mehr als verdient hat. Nur kurze Zeit vorher hatte der noch die Prostituierte Carmel Todd, eine Zuträgerin von Craven, bestialisch erschlagen.
Wenn dann am Schluss bei der „Hochzeitszeremonie“ plötzlich ein längst Totgeglaubter seinem Sarg entsteigt und sein blutiges Ritual in Angriff nimmt, dann sind das schon Anleihen beim gothic horror, da graust es sogar dem durch kaum etwas zu erschütternden Anti-Helden gewaltig. Nur gut, dass er die zur Opferung vorgesehene Frau noch rechtzeitig mit einer anderen vertauscht hat, die er lieber loswerden wollte…
Bei all dem sollte man die Sinnhaftigkeit der ganzen Geschichte nicht auf die Goldwaage legen, die Handlung ist in sich schon schlüssig, aber von einer Menge mehr als glücklichen Zufällen getrieben und auch nicht immer logisch.

Salomons Weinberg ist ein sehr unterhaltsamer Kriminalroman mit deftigen Gewalt- und Erotikeinlagen, dessen Stärke mehr in einer turbulenten Handlung und nicht so sehr in einer logischen Detektivgeschichte liegt.


Leseexemplar:

Diogenes Verlag ; 1993 ; ca. 250 Seiten

Die Übersetzung von Kurt Bracharz erscheint gelungen und authentisch.


Verfilmung:

Einen Film nach Motiven des Romans, auch nach seiner nach dem Krieg erschienenen „entschärften“ Version The Fifth Grave, scheint es nicht zu geben.

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 643

24.02.2020 17:53
#30 RE: Die Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammett Zitat · Antworten

Ross Macdonald (1915 – 1983)


Der Autor und seine Bücher:

Der als Kenneth Millar geborene US-Amerikaner lebte in längere Zeit in Kanada, wo er auch eine Frau heiratete, die später unter dem Namen Margaret Millar ebenfalls als Krimi-Schriftstellerin bekannt werden sollte. Seine einzige Tochter beginn Selbstmord, worauf er sich einige Jahre in psychotherapeutische Behandlung begab. Nach seinem Militärdienst bei der US-Navy begann er ab den vierziger Jahren mit dem Veröffentlichen von zwei Dutzend Kriminalromanen, die meistens von dem Privatdetektiv Lew Archer handeln und aus der Ich-Perspektive erzählt sind, sowie einige Geschichten und andere Bücher.
Er starb schließlich an der Alzheimer-Krankheit.

Seine bekannten Lew-Archer-Romane zeichnen sich durch bildhafte Sprache mit teilweise skurrilen Vergleichen aus. Der Ich-Erzähler wird stets in Fälle verwickelt, die relativ einfach aussehen, aber dann mit mehreren Morden und anderen Kapitalverbrechen enden. Dabei ist die Handlung der frühen Romane noch sehr auf Action ausgerichtet, es gibt stets eine Schlägerei und der Detektiv wird regelmäßig niedergeschlagen, später dann werden die Bücher psychologischer, wobei als Dauerthema ein lange in der Vergangenheit liegendes unaufgeklärtes Verbrechen zu neuen Untaten in der Gegenwart führt und meistens Jugendliche unter Verdacht geraten. Das auf wenige Tage komprimierte Geschehen besteht aus äußerer Aktion und der fast nebenher durch Archer aufgeklärten familiären Geheimnisse mit einer überraschenden Aufklärung am Ende.
Dabei sind Besitzgier, Wollust und zerrüttete Familienverhältnisse häufige Themen der Bücher, die den amerikanischen Traum von seiner dunklen Seite her betrachten.


Leseempfehlungen:

Blue City (Original: Blue City – Erstveröffentlichung: 1947)

Der im Krieg vorzeitig gereifte junge Johnny Weatherby kommt in seine Heimatstadt zurück. Sein Vater, ehemaliger Bürgermeister, wurde vor zwei Jahren ermordet. Der Sohn beschließt, das ungesühnte Verbrechen aufzuklären und kommt dabei immer mehr einem Netz von Korruption, Kriminalität und politischer Einflussnahme auf die Spur, in die die ganze Hautevolee der namenlosen Stadt verstrickt ist. Ein sehr kritisches und gewalttätiges frühes Non-Archer-Werk mit eindeutiger gesellschaftlicher Botschaft.


Der Fall Galton (Original: The Galton Case – Erstveröffentlichung: 1959)

Lew Archer soll den vor zwanzig Jahren verschwundenen Sohn der reichen Mrs. Galton finden. Der Fall erfährt einige Brisanz, da es bald zu einem damit in Verbindung stehenden Mord kommt, weiterhin findet sich eine Verbindung zum Sohn des Verschollenen, doch möglicherweise ist der wohl ein Hochstapler ? Der Detektiv scheint einer heißen Sache auf der Spur zu sein, denn er bekommt diesmal besonders üble Kopfschmerzen… Am Ende gelingt die überraschende Auflösung der Affäre. Irgendwie ein "Zwischenroman" der frühen und späteren Macdonald-Ära.


Der Untergrundmann (Original: The Underground Man - Erstveröffentlichung: 1971)

Diesmal macht sich der Lew Archer im Auftrag der Mutter auf die Suche nach Vater und Sohn Broadhurst. Der ältere Broadhurst wollte eigentlich seine eigene Mutter besuchen, wo er aber nie ankam. Bald entdeckt Archer seine Leiche. Doch es bleibt nicht bei dem einen Toten, immer mehr wird der kalifornische Detektiv in die Familienintrigen einbezogen, während weitere Verdächtige auftauchen. Erschwerend wirken sich gefährliche Waldbrände im Gebiet aus, die immer näher kommen. Komplexes und gutes Spätwerk des Autors.






Buchbesprechung: Unter Wasser stirbt man nicht


Originaltitel: The Drowning Pool
Erstveröffentlichung: 1950


Hauptpersonen:

Lew Archer – Privatdetektiv und Ich-Erzähler
Maude Slocum – seine Klientin
Cathy Slocum – ihre Tochter
James Slocum – Ihr Ehegatte
Olivia Slocum – reiche Familienpatriarchin
Ralph Knudson – Polizeichef von Nopal Valley
Francis Marvell – Bekannter der Slocums am Theater
Pat Reavis – Chauffeur
Gretchen Keck – seine Freundin
Walter Kilbourne – reicher Geschäftsmann
Mavis Kilbourne – seine Frau
Doktor Melliotes – zweifelhafter Arzt
Mildred Fleming – Freundin der Slocums


Handlung:

Der Privatdetektiv Lew Archer wird von der recht attraktiven Maude Slocum beauftragt, den Schreiber eines anonymen Briefes ausfindig zu machen. Darin wurde mit Enthüllung von Fehltritten der unglücklichen Frau gedroht, obwohl sie nicht genau rausrückt, worin diese bestanden. Ihr striktes Verbot, direkt in ihrem Umkreis zu ermitteln, behagt Archer gar nicht, doch schließlich muss er auch von etwas leben und nimmt den Fall an. Trotzdem geht Archer in ein Laientheater, wo Mrs. Slocums Ehemann James gemeinsam mit seinem sehr guten „Freund“ Francis Marvell und anderen Darstellern ein pseudointellektuelles Theaterstück probt, das Archer das kalte Grausen beschert. Er wird Zeuge, wie Pat Reavis, der Chauffeur der Slocums, im Zuschauerraum der frühreifen aber unwilligen Tochter Cathy seine Liebesdienste aufdrängt und daraufhin von ihrem Vater gefeuert wird.
Später setzt er durch, inkognito zu einer Partie der Slocums eingeladen zu werden. Er beobachtet, wie der schwächliche Sohn James unter der Fuchtel seiner reichen Mutter Olivia steht, der ein großes Anwesen in Nopal Valley gehört, unter welchem Öl entdeckt wurde. Doch die alte Mrs. Slocum will nicht verkaufen, während Sohn und Schwiegertochter gerne das Öl-Geld nehmen würden. Die Ehe der beiden ist unglücklich, James hat schlecht verborgene homosexuelle Neigungen und braucht Frau und Tochter, um nach außen ein normales Leben zu demonstrieren. Er vergöttert auch Cathy mehr als gut ist, die Grenze zum Missbrauch ist gefährlich nahe.
Während Lew Archer mit dem entlassenen Pat Reavis, einem maßlosen Angeber, ins nahegelegene Quinto zu einer Zechtour fährt, um ihn auszuhorchen, wird Olivia Slocum von Marvell tot im Swimmingpool entdeckt. Archer wird von einem bösartigen Polizisten zurückgeholt und vom massiven Polizeichef Knudson verhört, welcher zur Familie Slocum und besonders Maude ein sehr inniges Verhältnis pflegt.
Archer versucht, den mittlerweile des Mordes verdächtigen Pat Reavis wieder aufzuspüren, was ihm schließlich auch nach einigen Aufregungen gelingt. Er lernt zwischendurch die sehr junge Freundin von Reavis, Gretchen Keck, kennen, weiterhin den Millionär Walter Kilbourne und dessen wesentlich jüngere Frau Mavis. Die hilft ihm nicht ohne Eigennutz aus der Bredouille, denn mittlerweile versucht man nachdrücklich, Archer zu behindern. Er muss das erste Mal Prügel einstecken, doch er kann mit Marvis Kilbournes Hilfe entkommen und ihr nebenbei noch helfen, einen belastenden Film zu finden.
Als er schließlich mit dem aufgespürten Reavis wieder nach Nopal Valley zurückkommen will, wird Lew Archer kurz vor der Stadt von einem „Empfangskomitee“ angehaltem, was mit einer Schießerei und einem wieder bewusstlos geschlagenen Ermittler endet. Der Verdächtige ist tot, und Polizeichef Knudson scheint unwillig, die Aufklärung voranzutreiben, außerdem hat es schon wieder ein neues Opfer gegeben…
Der seinem Gewissen und Berufsethos verpflichtete Privatdetektiv macht trotz Drohungen weiter, kommt wieder mit den Kilbournes zusammen und schafft es unter Lebensgefahr, allen Intrigen zu entgehen und schließlich eine Auflösung des Ganzen zu liefern, wenngleich er, wie so oft und wie so viele seiner literarischen Zunftgenossen, auf eine Bestrafung der Täter verzichtet.


Bewertung:

Der zweite Lew-Archer-Roman, angesiedelt in der Nähe von Los Angeles, fängt, wie stets bei Macdonald, eher verhalten an und entwickelt dann ein nachdrückliches Tempo. Er stellt sowohl sehr detailliert die zerrütteten Familienverhältnisse der Slocums dar, die er mit einem Blick in die Hölle vergleicht, als auch im Verlaufe der Geschichte eine Tendenz zu mehr action erkennbar ist. Alle Personen in seinem Buch eint im Prinzip eines: so viel wie möglich vom großen Kuchen abzubekommen. Dafür wird jahrzehntelang das persönliche Glück geopfert, verbogene Charaktere werden geformt, die Welt in Archers Zeit ist ziemlich übel. Der Erdöl-Boom in Kalifornien, der mit rücksichtsloser Förderung wo auch immer einherging (Umweltschutz war damals unbekannt) ließ eine Menge Begehrlichkeiten entstehen und zog auch eine Schar lichtscheuer Elemente an. Eine Menge Kriminelles kommt in den gar nicht mal so vielen Seiten des Buches zum Vorschein, wird mitunter nur eher skizziert: Mord, Selbstmord, Körperverletzung, Ehebruch, Missbrauch, Korruption in Wirtschaft und Polizei, Entführung, Folter, Erpressung, Elendsprostitution…
Dabei neigt der Held des Buches, anders als etwa Chandlers Philip Marlowe, eher selten zu ausufernder Sentimentalität, er hat durchaus Mitgefühl mit den Personen, denen er begegnet, auch Qualitäten beim Verhör (scheinbar erfährt er alles, wie etwa von der kultivierten Mrs. Fleming), doch ist er auch schon ein recht zäher Brocken. Immerhin muss er dreimal in diesem Buch Hiebe auf den Schädel bis zur Bewusstlosigkeit einstecken (das geht die folgenden Romane so weiter), doch er teilt auch aus. Der gut trainierte Boxer prügelt sich zum Schluss erfolgreich mit einem sehr starken Gegner, wobei sich die beiden dann im Guten trennen – harte Jungs unter sich, ohne Schlägerei wäre es vielleicht auch gegangen.
Dabei muss Archer auch allerlei Versuchungen widerstehen, die eine oder andere Schöne macht ihm ebensolche Augen, er hat sogar die Chance, mit einer reichen Millionärswitwe zu verduften, doch er müsste die Augen dabei zu tief zudrücken, was für den Helden nicht in Frage kommt, dessen moralische Integrität über allem steht und der nicht mal unter Todesdrohung davon abgeht. Der schwerreiche und kriminelle Kilbourne bietet ihm umsonst Geld oder einen lukrativen Job an, letztlich liefert er ihn an den widerwärtigen „Arzt“ Dr. Melliotes aus, der ein Privatsanatorium führt und Archer mit einem Wasserschlauch quält. Hier kommt es zu einer sehr eindringlichen Szene, als Archer den Raum unter Wasser setzt und flüchten will, wobei es schließlich eine Riesenüberschwemmung gibt. Dabei kann er den verbrecherischen Doktor und dessen groteske affenartige Gespielin überwältigen.
Am Ende hat es einige Tote gegeben, auch der „Unfall“ von Olivia Kilbourne wird von Lew Archer auf seinen Verursacher zurückgeführt. Der Erpresserbriefschreiber wurde ebenfalls enttarnt – nur ein kleines Teil am Gesamtpuzzle. Denn das lange verdrängte Familiengeheimnis der Slocums mit etlichen Lebenslügen im Gefolge, das zu viel Tragik geführt hat, ist zum Vorschein gekommen. Doch für Archer sind alle Beteiligten Täter und Opfer zugleich, nur selten verleiht er seinem Hass Ausdruck, etwa bei einem bestechlichen Polizisten oder einem sadistischen Killer. Was bleibt als Quintessenz ? Egal, ob arm oder reich, unglücklich scheinen alle zu sein, nur der einsame, geschiedene Held des Stückes scheint sich aus der Gier nach dem Mammon herauszuhalten, er ist sehr freigiebig mit der Verteilung von übrig gebliebenem Schmiergeld, wobei überhaupt fraglich ist, wovon er nun eigentlich lebt, denn von Mrs. Slocums Anzahlung am Anfang ist im Prinzip alles für Spesen draufgegangen. So selbstlos kann nun doch niemand sein.

Unter Wasser stirbt man nicht ist eine richtig gute Krimistory, mit ein wenig Psychologie, viel Verbrechen, Spannung und Gesellschaftskritik, wenngleich auch vieles zu sprunghaft daherkommt und der Held des Stückes ein wenig zu idealisiert erscheint.


Leseexemplar:

Diogenes Verlag ; 1976 (veröffentlicht als Sonderausgabe 2008); ca. 220 Seiten

Übersetzt wurde der Roman von Hubert Deymann. Der lakonische, von allerlei bizarren Vergleichen geprägte Sprachstil des Erzählers wurde gut getroffen. Ob die junge "Gretchen Keck" im amerikanischen Original wirklich so heißt, ist sicher sehr zweifelhaft. Und leider hat hier der Verlag offenbar die in den Siebzigern übliche „Modernisierung“ gewünscht, man hat kurzerhand das Geschehen zwanzig Jahre nach hinten gesetzt und entsprechend die Jahreszahlen „angepasst“. Weiterhin wurde mal schnell aus dem zweiten Weltkrieg der Vietnamkrieg gemacht, damit sich das besser in den Rahmen einfügt. Doch das „Amt für strategische Dienste“, wie das Office of Strategic Services (OSS) übersetzt wurde und welches angeblich den großmäuligen Reavis anwerben wollte, war zu diesem Zeitpunkt schon lange von der berühmt-berüchtigten Nachfolgeorganisation Central Intelligence Agency (CIA) ersetzt worden.
Solche Überarbeitungen und Fehler sind einfach nur dümmlich, vielleicht lohnt es sich wirklich mal, auf die Neuübersetzungen des Diogenes-Verlages zu warten.


Verfilmung:

Im Jahre 1975 wurde hier ein gleichnamiger Film mit Paul Newman als Privatdetektiv Joe Harper gedreht. Das Grundgerüst der Story scheint übernommen worden zu sein, obgleich die Handlung in eine völlig andere Gegend verlagert wurde und auch die Schwerpunkte anders gewichtet wurden. Der spektakuläre unfreiwillige Tauchgang des Helden wurde natürlich nicht ausgelassen.

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