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Dieses Thema hat 7 Antworten
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 Aktuelle Filme (DVD, Kino, TV)
Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

14.04.2018 11:00
Filme und TV-Filme zur deutschen Zeitgeschichte Zitat · Antworten

Die deutsche Film- und Fernsehbranche ist ja mittlerweile fast schon berüchtigt für ihre Aufarbeitungswut der deutschen Zeitgeschichte. Nur wenige Winkel der eigenen Historie vom Dritten Reich über Nachkriegszeit, Mauerbau und Rolle im Kalten Krieg bis hin zur Wiedervereinigung und den Schwierigkeiten des Zusammenwachsens beider Landesteile sind nicht filmisch unter die Lupe genommen worden. Dabei reicht die Palette von großen Kinofilmen bis zu TV-Mehrteilern, von ernsttraurigen Dramen über Liebesfilme und Thriller vor dezidiert historischem Hintergrund bis zu heiteren Parodien. In diesem Thread soll die Möglichkeit bestehen, verschiedenste Produktionen zu besprechen, die einen bedächtigen, besänftigenden oder belehrenden Blick zurück in der Zeit werfen.

Für Propagandafilme, die bis 1945 entstanden, sowie Aufarbeitungsfilme aus der Nachkriegszeit bis in die 1960er Jahre sollte nach wie vor der Thread Krieg, Kameradschaft, Katastrophen erster Anlaufpunkt sein. Für den hiesigen Diskussionsstrang dachte ich in erster Linie an aktuellere Produktionen wie „Der Untergang“, „Der Baader-Meinhof-Komplex“, „Good Bye Lenin“ u.a.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

14.04.2018 21:30
#2 RE: Filme und TV-Filme zur deutschen Zeitgeschichte Zitat · Antworten



Der Untergang

Kriegsdrama, BRD 2003/04. Regie: Oliver Hirschbiegel. Drehbuch: Bernd Eichinger (Vorlagen „Der Untergang“: Joachim Fest, „Bis zur letzten Stunde“: Traudl Junge, Melissa Müller). Mit: Bruno Ganz (Adolf Hitler), Alexandra Maria Lara (Traudl Junge), Corinna Harfouch (Magda Goebbels), Ulrich Matthes (Joseph Goebbels), Juliane Köhler (Eva Braun), Heino Ferch (Albert Speer), Michael Mendl (General H. Helmut Weidling), Ulrich Noethen (Heinrich Himmler), Birgit Minichmayr (Gerda Christian), Christian Berkel (Prof. E.-G. Schenck) u.a. Uraufführung: 13. September 2004. Eine Produktion der Constantin Filmproduktion München.

Zitat von Der Untergang
Nach fünfeinhalb Jahren Krieg zieht sich die Schlinge langsam um Hitler und seine engsten Verbündeten zu. Das Führungspersonal des Dritten Reichs, seine Frauen und Kinder flüchten vor den immer näher rückenden russischen Truppen in den Führerbunker, von wo aus Hitler völlig illusorische Befehle erteilt, um die Lage noch irgendwie zu seinen Gunsten zu retten. Doch das Unabänderliche lässt sich nicht abwenden. Während sich auf Berlins Straßen die Leichen von Soldaten und Zivilisten türmen, macht sich auch im Bunker eine morbide Endzeitstimmung breit. Das Vertrauen in den Nationalsozialismus hat sich endgültig als Fahrkarte in den Tod erwiesen ...


Die Geschichte ist keine gänzlich neue: Schon 1954/55 war G.W. Papst darauf gekommen, die letzten Tage im Führerbunker für seinen Spielfilm „Der letzte Akt“ nachzuerzählen. Auch die internationalen Produktionen „Hitler: Die letzten zehn Tage“ (1973) und „Der Bunker“ (1981) hatten ähnliche Zielsetzungen. Dennoch sorgte „Der Untergang“ wegen seiner besonders offenen, schonungslosen Darstellung, welche die beklemmende Enge des Bunkers, den fortgeschrittenen Wahnsinn Hitlers und die allgegenwärtige üble Gewalt miteinschließt, nach Uraufführung für immense Furore. Diese schloss den Streit darüber, ob der Film zu authentisch, zu wenig authentisch, zu hart oder nicht hart genug war, ebenso mit ein wie fast durchgängiges Hohelied auf Bruno Ganz‘ Darstellung der Hitler-Rolle sowie eine Oscar-Nominierung als bester fremdsprachiger Film.

Um Distanz zur Figur des Diktators zu wahren, wird der Film durch die Augen seiner Sekretärin Traudl Junge erzählt. Dies regt zu einer schnellen Identifikation mit der von Alexandra Maria Lara durchaus einnehmend gespielten Rolle an (sie ist keine glühende Nationalsozialistin und wirkt von Protokoll und Kaltblütigkeit der Kriegstreiber um sie herum so manches Mal verunsichert). Nichtsdestoweniger dürfen Zweifel angemeldet werden, ob man mit einer Frau an so zentraler Stelle des Nazi-Machtapparats so einfach sympathisieren sollte. Regisseur Hirschbiegel löste diesen Zwiespalt mit kurzen Interviewausschnitten mit der echten Traudl Junge zu Anfang und Ende des Films auf, aus denen ersichtlich wird, wie schwer es Junge fällt, ihre Position in jenen Tagen nachzuvollziehen oder gar zu rechtfertigen.

Bruno Ganz lässt den physisch und psychisch geknickten Führer in seiner ganzen Unannehmlichkeit vor den Augen des Publikums wiederauferstehen. Während es als Treppenwitz in die Produktionsgeschichte eingehen mag, dass ein Österreicher, der mit Deutschland die Welt erobern wollte, ausgerechnet von einem Schweizer verkörpert wurde, so handelt es sich dabei um einen zentralen Besetzungsclou: Ganz zeigt sowohl Schärfe, Egomanie und Realitätsverlust des Despoten als auch eine private, menschliche Seite Hitlers, ohne ihn dadurch weniger unheimlich wirken zu lassen. Rezensenten, die bemängeln, dass Hitler überhaupt in „normalen“ Situationen wie im Privatgespräch mit seiner Sekretärin oder beim Essen gezeigt wird, scheinen den Wirkeffekt des Films nicht verstanden zu haben.

„Der Untergang“ erinnert an eine klassische Tragödie mit vorbestimmtem Ende. Trotz dieser Gewissheit gelang es Drehbuch und Regie, eine absolut fesselnde Erzählstruktur auf die Leinwand zu bringen. Gerade weil der Film hauptsächlich im Bunker und sonst zumeist in trostlosen Ruinen des bombardierten Berlins spielt, steht die schiere Unmenge der Figuren – und er zeichnet sowohl abgrundtief ideologisierte als auch latent positive – im Mittelpunkt des Interesses. Das kommt ebenso wie die Besetzung mit den versiertesten Stars der deutschen Kinobranche der Tiefe der Charakterisierungen bis in Kleinstrollen massiv zugute. Nicht einmal nach Hitlers Tod bricht der Spannungsbogen des Films in sich zusammen, weil genug faszinierendes Personal „aus der zweiten Reihe“ bereitsteht, um das dramaturgische Loch zu stopfen. Insbesondere Corinna Harfouch und Ulrich Matthes als Ehepaar Goebbels jagen einem Schauer über den Rücken. Aber auch Juliane Köhler gelingt eine faszinierend facettenreiche Darstellung der Eva Braun.

Die fast schon dokumentarische Herangehensweise des Films bedingt, dass der gewählte Erzählausschnitt nur wie eine besonders dramatische Episode wirkt, man gerade die Hauptfigur von Alexandra Maria Lara aber auch gern davor und danach, z.B. bei ihrer Bewältigung des Erlebten, weiterbegleitet hätte. Man erhält im Abspann immerhin weiterführende Informationen zum Schicksal aller Protagonisten, wenngleich sich an dieser Stelle auch die Verwendung von Fotografien der „echten“ historischen Personen angeboten hätte – wenn schon nur, um aufzuzeigen, wie ähnlich ihnen optisch meist ihre Filmpendants sehen.

„Der Untergang“ gleicht dem sprichwörtlichen Ritt der Nazis auf einem toten Pferd. Oliver Hirschbiegel gelang eine emotional ergreifende Schilderung des absoluten Endes eines angeblich tausendjährigen Reiches nach zwölfjähriger Existenz. Szenen der Desillusionierung, der Verbissenheit und der stillen und lauten Verzweiflung werden jedem Zuschauer lang im Gedächtnis bleiben. 5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

28.04.2018 21:00
#3 RE: Filme und TV-Filme zur deutschen Zeitgeschichte Zitat · Antworten



Napola – Elite für den Führer

Jugenddrama, BRD 2003/04. Regie: Dennis Gansel. Drehbuch: Dennis Gansel, Maggie Peren. Mit: Max Riemelt (Friedrich Weimer), Tom Schilling (Albrecht Stein), Devid Striesow (Heinrich Vogler), Joachim Bissmeier (Anstaltsleiter Dr. Karl Klein), Justus von Dohnányi (Gauleiter Heinrich Stein), Michael Schenk (Josef Peiner), Florian Stetter (Justus von Jaucher), Jonas Jägermeyr (Christoph Schneider), Alexander Held (Friedrichs Vater), Sissy Höfferer (Friedrichs Mutter) u.a. Uraufführung: 27. Oktober 2004. Eine Produktion der Olga-Film München, Seven Pictures Unterföhring und Constantin Filmproduktion München.

Zitat von Napola – Elite für den Führer
Bei einer Boxveranstaltung entdeckt Heinrich Vogler, Lehrer an einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt, den 17-jährigen Friedrich Weimer als mögliches Talent für die Eliteschule. Entgegen dem Wunsch seines Vaters entschließt sich Friedrich, den vielversprechenden Ausbildungsweg am harten Internat einzuschlagen. Er feiert große Erfolge, arrangiert sich bald mit dem allseits herrschenden Drill und findet in Albrecht Stein, dem sensiblen Sohn des Gauleiters, sogar einen guten Freund. Doch dann wird Friedrich durch mehrere Zwischenfälle die düstere Realität schmerzlich bewusst: Mehrere Kameraden sterben in der Ausbildung und Albrecht droht nach einem Streit mit dem Vater der SS-Dienst an der Ostfront ...


Die Doppelfunktion der Napolas, sowohl eine politisch agitierte als auch körperlich kampfbereite Jugend heranzuziehen, sicherte dem Dritten Reich gerade zu Kriegszeiten ideologischen und militärischen Nachschub unter dem Deckmantel einer erstrebenswerten Eliteausbildung. An den Internatsschulen – 38 davon gab es von Plön in Schleswig-Holstein bis Mokritz im heutigen Slowenien, von Rufach im Elsass bis Stuhm in Pommern – ließen sich Drill und hierarchische Strukturen ohne ablenkende Einflüsse infiltrieren, wobei die Schlösser und Burgen, in denen die Anstalten (auch NPEA abgekürzt) oft untergebracht waren, dem „Unterricht“ einen passend dramatisch-martialischen Rahmen verliehen. Die Napola Allenstein in Dennis Gansels Film wird man nicht auf der realen Liste der Schulen finden, die u.a. so prominente Personen wie Hellmuth Karasek oder Hardy Krüger besuchten. Sie stellt vielmehr ein Konglomerat aus verschiedenen Zeitzeugenschilderungen und Schauplätzen dar – ein Destillat sozusagen, dessen Wirkung auf den Zuschauer ebenso zweischneidig ausfällt wie auf den Protagonisten Friedrich Weimer. Gansels Herangehensweise, die nationalsozialistischen Erziehungsorte nicht von Vornherein als Horte des Bösen zu zeigen, sondern Verheißung und Faszination anzudeuten, die sie auf einen jungen Menschen aus einfachen Verhältnissen im Kriegsjahr 1942 ausüben mussten, macht sich bezahlt: Dieses Vorgehen sichert dem Film nicht nur einen soliden Spannungsbogen und den Reiz im Spiel mit dem Verbotenen, sondern verdeutlicht in erster Linie die charakterliche Entwicklung des Protagonisten vom naiven Mitläufer über den überzeugten Nazi-Schüler bis zum desillusionierten Verzweifler.

Im Gegensatz zu Filmen wie „Der Untergang“, in denen historische Räume auch von realen Personen bevölkert werden, stellt „Napola“ ein komplett fiktives Drama vor lediglich zeittypischer Kulisse dar. Beide Herangehensweisen an Geschichtsfilme haben ihre Berechtigung, denn während es bei „Der Untergang“ hauptsächlich um abschreckende Information geht, arbeitet „Napola“ – seiner Thematik angepasst – stärker auf emotionaler und suggestiver Ebene. Die Figuren um Friedrich Weimer spiegeln die Entwicklung des Protagonisten und helfen ihm bei seinem schweren Reifungs- und Entscheidungsprozess. Insbesondere der gute Freund Albrecht, dem der militärische Duktus zuwider ist und der eine literarische Begabung pflegt, zugleich aber immer wieder – auch vom eigenen Vater – hört, dass Schöngeist und Schwäche zu Kriegszeiten nicht gefragt sind, steht konträr zu zeitgeistigen Idealbildern, wie sie eben nicht zuletzt von Friedrich bedient werden. Mit den absolut überzeugenden Auftritten von Max Riemelt und Tom Schilling in diesen zwei Hauptrollen wird der Historienfilm gleichermaßen zum Jugenddrama, zur Coming of Age-Geschichte und zu einer sehr viel allgemeingültigeren Parabel über die Bedeutung von Freundschaft und Vertrauen, die Erfüllung sozialer Erwartungen oder Versagen.

Gansel schildert die Freundschaft nicht ohne den nötigen Pathos, gleicht diesen aber mit der realistischen Zeichnung der Nebenfiguren sowie einer teilweise erschreckend schnellen Abfolge schockierender und amüsanter Momente aus. Weder über Schüler noch Lehrer der Napola werden Generalurteile gefällt; sie werden dem Publikum mit individuellen Sorgen und Abarten, verklungenen Hoffnungen und Eitelkeiten präsentiert. Besonders hervorstechend wirken freilich Szenen, in denen die Härten des totalitären (Schul-)Regimes ungeschminkt zum Vorschein kommen – sie bilden schwarz funkelnde Höhepunkte in ihren jeweiligen Akten (die Bestrafungen des Bettnässers, die lebensgefährliche Übung mit scharfen Stabhandgranaten, das Abtauchen im zugefrorenen Teich oder der nächtliche Einsatz, der zur Erschießung der minderjährigen russischen Gefangen führt). Szenen wie diese widerlegen die Anfeindungen mancher Kritiker, „Napola“ nehme die Gefährlichkeit dieser Schulen nicht wahr und erliege deren eigener Verlockungen.

Das einfühlsame Drama nutzt geschichtliche Perversionen geschickt als Hintergrund für und omnipräsenten Einflussfaktor auf eine ergreifende Jugendfreundschaft. Neben Riemelt und Schilling überzeugen auch alle anderen Darsteller in vielseitigen Rollen, die nicht in die Falle eines einseitig mahnenden Lehrfilms tappen, sondern die nationalsozialistsche Fratze an natürlich wirkende Charaktere knüpfen. 5 von 5 Punkten.

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

29.04.2018 18:43
#4 RE: Filme und TV-Filme zur deutschen Zeitgeschichte Zitat · Antworten

Eine sehr interessante und schöne Rezension zum Untergang ! Und überhaupt ein gutes Ober-Thema.

"Der Untergang" ist für eine deutsche Produktion wirklich allererste Güte. Als wenig begeisterter Kinogänger, aber sehr an Zeitgeschichte Interessierter kann ich mich noch genau an das Filmerlebnis vorne in der ersten Reihe erinnern. Ganz am Anfang, als Traudl Junge sich zusammen mit vielen anderen als Sekretärin im Führerhauptquartier bewarb, da hielt der ganze Saal förmlich den Atem an, als zum ersten Mal der "Führer" auf der Bildfläche erschien. Eindeutig kokettiert der Film damit, die Inkarnation des Bösen so realitätsnah wie möglich darzustellen, der morbide Reiz von Psychopathen, Diktatoren usw. fasziniert nun mal die Menschen, zumindest vom sicheren Kinosessel aus.
Ohne jeden Zweifel ist Bruno Ganz' Darstellung von Hitler eine schauspielerische Leistung. Aber auch die anderen Figuren aus der NS-Riege sind doch sehr, man möchte schon sagen, mit Liebe fürs Detail dargestellt. Heinrich Himmler hatte ich mir nicht so weltmännisch wie im Film vorgestellt, aber das kann so sein oder auch nicht. Natürlich gab es jede Menge Kritik an dem Film. Die Deutschen wurden nicht generell als verbissene absatzknallende Fanatiker hingestellt, wie in den guten alten Sechzigerjahre-Filmen der Amis. Stimmt. Da wurde sich eben in einer neuzeitlichen Verfilmung mal durchaus um mehr Differenzierung bemüht. Einige Kritik war vielleicht gerechtfertigt, Hitlers Schwager Fegelein wurde sicher zu positiv gezeichnet. Aber dass ER nun mal nicht den ganzen Tag nur brüllend herumlief und seine Umgebung terrorisierte, sondern auch Hilflosigkeit oder gar Sympathie für zumindest einige in seiner Umgebung zeigte, dass war den Herren Kritikern wohl einfach zu viel des Guten. Dabei hat sogar unser Reichsobergeschichtslehrer Guido K. zugeben müssen, dass der private Hitler eben kein Monster war, sondern eher im Kreise seiner Mitstreiter, Sekretärinnen und sonstigen Bekannten so eine Art Ersatzfamilie suchte. Das unterschied ihn z.B. von Väterchen Stalin (einem anderen großen "Menschenfreund"), der es liebte, seine Paladine auch noch in seiner privaten Datscha zu demütigen und zu bedrohen. Um so erschreckender die Episoden, in denen Hitler in seinem Bunker seine berüchtigten Wutanfälle auslebte, wobei alle zitternd dastanden und erleichtert waren, nachdem es vorbei war. Gespenstisch auch die Szene, wo er plötzlich von der Rückeroberung der rumänischen Ölquellen schwadronierte, derweil die Russen schon ein paar hundert Meter vor dem Führerbunker standen. Hat er wirklich daran geglaubt? Das konnte und wollte sicher auch der Film nicht beantworten. Dass sogar die Behandlung der letzten Tage Hitlers unfreiwillige Komik in sich bergen kann, beweist der Moment, wo Goebbels die Sekretärin bittet, sein Testament abzutippen, und sie keine Zeit hat, weil gerade das Testament des "Führers" abschreiben muss. Natürlich, recht makaber das Ganze. Am schlimmsten sicher die sehr drastisch gezeigte Ermordung der Goebbels-Kinder durch ihre eigene Mutter - so was ist wirklich Fanatismus. Der anschließende Selbstmord des Goebbels-Ehepaares wurde falsch dargestellt - ein durchaus verschmerzbarer Schnitzer in einer ansonsten sehr um historische Korrektheit bemühte Verfilmung. Wer weiß schließlich schon ganz genau bis zum letzten, wie damals alles war?
Daneben gibt es auch noch ausreichend Szenen von Kämpfen, Kindersoldaten, Volkssturmmännern, fliegenden Hinrichtungskommandos, hektischen Notamputationen auf der einen Seite und Eiserne-Kreuz-Verleihung auf der anderen Seite des U-Bahntunnels, jede Menge leidende Zivilisten. Wenn man dem Film überhaupt etwas vorwerfen kann, dann ist es das bis kurz vor Ende fast völlige Fehlen von russischen Soldaten. Die Russen existieren außerhalb ihrer Kommandostäbe nur durch Explosionen ihrer Granaten. Sie haben keine sichtbaren Verluste, begehen aber auch keine Gräueltaten an der Zivilbevölkerung. Beides bleibt nur den Deutschen vorbehalten. Das wirkt bei einer Geschichte, die auch die Kämpfe um und in Berlin einschließt, zumindest befremdlich.

"Der Untergang" bietet im Gesamten eine gelungene Darstellung der letzten Tage im Führerbunker, Geschichte ohne Verharmlosung, aber auch ohne allzuviel einseitigem Moralisieren.

Gubanov ( gelöscht )
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30.04.2018 23:53
#5 RE: Filme und TV-Filme zur deutschen Zeitgeschichte Zitat · Antworten

Danke für die Rückmeldung - sehr spannende Gedanken zum "Untergang", gerade was die Darstellung von Hitlers Persönlichkeit und den Blickwinkel auf die Russen angeht.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

09.11.2019 00:00
#6 RE: Filme und TV-Filme zur deutschen Zeitgeschichte Zitat · Antworten

Heute vor 30 Jahren fielen die Berliner Mauer und die innerdeutsche Grenze, die zwischen 1961 und 1989 DDR und BRD voneinander trennten. Während dieser Zeit tötete Ulbrichts bzw. Honeckers Unrechtsregime über 600 „Republikflüchtlinge“.



Ballon

Historienthriller, BRD 2017/18. Regie: Michael Herbig. Drehbuch: Kit Hopkins, Thilo Rönscheisen, Michael Herbig. Mit: Friedrich Mücke (Peter Strelzyk), Karoline Schuch (Doris Strelzyk), David Kross (Günter Wetzel), Alicia von Rittberg (Petra Wetzel), Thomas Kretschmann (Oberstleutnant Seidel), Jonas Holdenrieder (Frank Strelzyk), Tilman Döbler (Andreas „Fitscher“ Strelzyk), Ronald Kukulies (Erik Baumann), Emily Kusche (Klara Baumann), Till Patz („Peterchen“ Wetzel) u.a. Uraufführung: 27. September 2018. Eine Produktion der HerbX-Film München, Studio Canal Berlin und Seven Pictures Unterföhring.

Zitat von Ballon
Für das Ehepaar Strelzyk ist klar: Gemeinsam mit ihren zwei Söhnen wollen sie die sozialistische Diktatur der DDR nicht länger ertragen, sondern gen Westen fliehen. Sie leben in Südthüringen nahe der Grenze und planen einen spektakulären Grenzübertritt: Ein Ballon soll sie und eine befreundete Familie in sicherer Höhe in die Freiheit tragen. Kälte und Nässe sorgen dafür, dass der erste Fluchtversuch misslingt. Bevor die Stasi ihnen nun auf die Schliche kommt, müssen sich die Strelzyks etwas Neues einfallen lassen: eine Flucht über Ungarn? Über die US-Botschaft in Berlin? Oder wagen sie doch noch einen zweiten Versuch mit einem Ballon?


Man assoziiert Michael „Bully“ Herbig eher mit schräger Comedy, woran sein „Schuh des Manitu“ – mit 11,7 Millionen Kinobesuchern einer der erfolgreichsten deutschen Filme aller Zeiten – sowie die jahrelang im Fernsehen präsente „Bullyparade“ den größten Anteil haben dürften. Mehr als ein Jahrzehnt später wollte Herbig sich auch an künstlerisch gereifteren Produktionen versuchen, wobei ihn nach eigener Aussage reizte, auf Alfred Hitchcocks Spuren zu wandeln. Auch wenn „Ballon“ vielleicht nicht die nervenzerreißende Spannungshöhepunkte einiger Hitchcock-Klassiker aufweist, so funktioniert der DDR-Thriller doch ebenfalls ganz hervorragend und fesselt kontinuierlich von Anfang bis Ende. Schließlich stehen für die Familien Strelzyk und Wetzel sowohl Meinungsfreiheit und ein Ende der kollektiven Sozialismus-Gehirnwäsche als auch das Entkommen vor Strafverfolgung durch das Ministerium für Staatssicherheit auf dem Spiel. Der missglückte Fluchtversuch im ersten Ballon findet erstaunlich schnell statt, sodass die Familie im Anschluss unter besonderem Druck steht, weil sich die Behörden der „demokratischen“ Republik nunmehr auf die Suche nach den ihnen noch unbekannten Ballonflüchtlingen eingeschossen haben.

Es entwickelt sich ein wahres Katz-und-Maus-Spiel, das vor allem davon lebt, dass Herbigs Film keinen Revanchismus betreibt, sondern Opfer und Täter klar benennt. Das beginnt schon in der Auftaktszene, die mit einer pikanten Collage aus tödlichem Mauerfluchtversuch und sozialistischen Jugendweihe-Parolen den Zynismus offizieller DDR-Rhetorik auf den Punkt bringt. Zudem sind alle vier Strelzyks klare Sympathieträger, während der für die Stasi spitzelnde Nachbar und der (pikanterweise von Flüchtling Thomas Kretschmann gespielte) Oberstleutnant kalte und bösartige Systemschergen erster Rangordnung darstellen. Dass der Film dennoch nicht zu scherenschnittartig gerät, dürfte der engen Zusammenarbeit mit den damaligen Beteiligten sowie der großen Liebe zum Detail zu verdanken sein – beides lässt die DDR des Jahres 1979 authentisch wiederauferstehen, sodass man es offensichtlich nicht mit Lehrbuchweisheiten, sondern mit einem glaubhaften Ausflug in den Arbeiter- und Bauernstaat zu tun bekommt. Requisiten, Kostüme und selbst die zeitgenössische Sprache – auf alle diese Aspekte legten Herbig und sein Team großen Wert, was sich im Film entsprechend zeigt. Wer bis dahin noch Bedenken hatte, dass der alte „Bully“ mit Klamauk oder Edelkitsch zuschlagen würde, darf diese gern beiseitewischen.

Muss man doch einerseits die kollektive Courage der Protagonisten bewundern, so lässt „Ballon“ andererseits auch jedem einzelnen auf geschickte Weise Charakterunterschiede angedeihen. Vater Peter wird als Anpacker und Macher gezeigt, der unter dem Druck der Hauptverantwortung steht und dieser als Ruhepol des Geschehens auch gerecht wird. Friedrich Mücke passt sich diesen Erfordernissen mit maskuliner Selbstverständlichkeit an. Karoline Schuch verkörpert als Mutter Doris hingegen eine zweifelnde, etwas labile Seite, lässt aber – wo nötig – auch immer wieder erstaunliche Willensstärke durchblitzen. Sie hat außerdem die stärkste Bindung zum Jüngsten der Familie, einem aufgeweckten Tilman Döbler. Als überzeugender Jungdarsteller darf gleichfalls Jonas Holdenrieder gelten: Als älterer Sohn Frank bringt er manchmal sich selbst und manchmal seine Familie in allerlei brenzlige Situationen, hat aber von seinem Vater offenbar die drahtseilstarken Nerven geerbt.

Dass sich Herbig für eine Inszenierung ausgerechnet dieses Fluchtstoffs entschied, obwohl es bereits eine amerikanische Verfilmung von 1982 („Night Crossing“) gibt, dürfte mit den visuellen Reizen der Ballonfahrt zusammenhängen. Der nachts durch die Wolken schwebende Ballon offeriert neben dem Gefühl von Freiheit und Adrenalin auch unverkennbare visuelle Reize, die der Film mit seinen zwei derartigen Grenzdurchbruchsversuchen auch genüsslich auskostet. Die Produktion verlässt sich dabei Gott sei Dank nur sehr wenig auf Computereffekte und vielmehr auf echte Heißluftballons, was den Szenen sehr zugute kommt, da sie letztlich die Herzstücke des Films sind. Cinemusic.de zieht das Fazit:

Zitat von Michael Boldhaus: „Ballon“ auf Cinemusic.de, Link
Bully Herbig ist mit Ballon ein eindrucksvolles Filmdrama gelungen, das aufgrund seiner sehr überzeugenden, professionellen Machart den Zuschauer mitfiebern lässt, auch wenn dieser vom geglückten Ausgang bereits weiß.


Engagiert in Schauspiel und Umsetzung einer bis heute unterschätzten Thematik. „Republikflucht“ als Trieb nach Freiheit und Selbstbestimmung bildete schon immer ein spannendes Thema, das bei hochwertiger Inszenierung für Höchstspannung garantiert – was für „Durchbruch Lok 234“ von 1963 gilt, gilt ebenso für „Ballon“ von 2018. Zum Mauerfalljubiläum darf gern wieder an mutige Bürger gedacht werden. 5 von 5 Punkten.

Peter Offline




Beiträge: 2.886

14.11.2019 10:00
#7 RE: Filme und TV-Filme zur deutschen Zeitgeschichte Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #6
Ballon

Historienthriller, BRD 2017/18. Regie: Michael Herbig. Drehbuch: Kit Hopkins, Thilo Rönscheisen, Michael Herbig. Mit: Friedrich Mücke (Peter Strelzyk), Karoline Schuch (Doris Strelzyk), David Kross (Günter Wetzel), Alicia von Rittberg (Petra Wetzel), Thomas Kretschmann (Oberstleutnant Seidel), Jonas Holdenrieder (Frank Strelzyk), Tilman Döbler (Andreas „Fitscher“ Strelzyk), Ronald Kukulies (Erik Baumann), Emily Kusche (Klara Baumann), Till Patz („Peterchen“ Wetzel) u.a. Uraufführung: 27. September 2018. Eine Produktion der HerbX-Film München, Studio Canal Berlin und Seven Pictures Unterföhring.

Mit etwas Verspätung aber großer Freude habe ich Gubanovs Besprechung zu diesem Film gefunden. Und kann fast vollständig zustimmen. Um einige ergänzende Anmerkungen kommt ihr aber nicht herum.....
Zunächst nochmal der Hinweis, dass zwar wahrscheinlich jeder den Ausgang der Geschichte kennt, hier aber dennoch vor entsprechenden Spoilern gewarnt werden muss.

... Wir hätten's nicht gedacht, haben es aber eindrucksvoll gelernt: Bully Herbig kann's auch ernsthaft, nach teils allzu beliebigem Klamauk musste das wohl einfach mal bewiesen werden (Sönke Wortmann und Woody Allen gingen diesen Weg auch – um mal höher ins Regal zu greifen….). Und Herbig tat das mit dem hohen, hehren Anspruch, sauspannend zu sein. Und mit dem Debüt auf dem ernsten Sektor dadurch erfolgreich zu werden, dass internationale Konventionen angesetzt und die entsprechenden Maßstäbe erfüllt werden.
Genau dieses Ansinnen ist leicht erkennbar, aber eben auch der Kritikpunkt, falls man zu diesem ansonsten rundum höchst gelungenen Film unbedingt einen finden möchte.
Nach brillanten, authentischen ersten zwei Dritteln läuft alles auf ein typisches Zu-viel-Hollywood-Finale hinaus, welches weder dramaturgisch nötig noch durch die reale Geschichte gerechtfertigt ist. Aber es ist natürlich gekonnt gemacht, umso besser wirkt zum Beispiel natürlich auch Thomas Kretschmann, dem man seine internationale Film-Erfahrung inzwischen deutlich anmerkt. Sondereffekte wie das Eine-Sekunde-zu-spät-Hubschraubergeschwader oder auch kleine Reminiszenz-Effekte wie die Haustürnummer aus 'Schweigen der Lämmer' sind als Zitat oder Wink in die große Filmwelt natürlich okay, aber eigentlich zu viel Show für einen Film, der blindes Vertrauen darauf verdient hat, dass seine Original-Geschichte ganz gewiss spannend genug ist.

Diese der gesamten Handlung innewohnende Spannung erkennt man an den Stellen, in denen die ehrlichen dramaturgischen Feinheiten vorherrschen, die wahrscheinlich vom Leben selbst geschrieben werden - oder psychologisch besonders gut beobachtet sind. Zu entdecken sind immer wieder sehr schöne Ideen für kitzelige Spannungsmomente, die, obwohl ohne Aufwand dargebracht, für herrlich sorgenvolle Suspense sorgen:
Der Zeitdruck bei einer fieseligen Arbeit wie dem Nähen. Die permanente Angst vor Denunzianten und Verplappereien der Kinder. Ein Briefkasten, aus welchem man in aller Öffentlichkeit mit letzter Fingerkraft einen verräterischen Brief fingern muss. Ein Autoscheinwerfer, der schneidend wie die befürchtete Stasi selbst ins dunkle Zimmer fällt, aber folgenlos bleibt, weil er nur zu einem harmlosen Nachbarauto gehört. Das sind die tollen Momente, die diese latente Furcht vor Entdeckung in einem fiesen Überwachungsstaat besser ausdrücken als eine Großwildjagd bei der Flucht in letzter Sekunde, die es in diesem Ausmaß in Wahrheit nicht gegeben hat. Insgesamt aber ein toller, dramatischer Zeitdoku-Streifen, dem eine so unglaubliche Geschichte zugrunde liegt, dass der Film einfach nicht schlecht werden DURFTE.

Übrigens: Im richtigen Leben wurden die geflüchteten Helden nicht so richtig glücklich. Wie üblich blieben sie auch im Westen von der ruhelosen Stasi verfolgt, die ja ohne Sinn und Verstand gern Geflüchteten bis tief in den Westen hinterherrannte, bis sie endlich vernichtet waren. Dies ist neben den methodischen Morden 'zuhause' auch so eine klare innenpolitische Parallele zu den Nazis, deren Erwähnung bei den Dunkelroten nicht gern gehört wird, auch heute noch nicht.
Zudem wurde einer der Männer bald von Krankheit heimgesucht und verstarb früh (wer weiss, auch bei diversen Krankheitsbildern hatten ja die sadistischen Giftmischer der Stasi ihre Finger im Spiel).

Am Ende bleibt als Botschaft nicht zuletzt eine Frage des von Kretschmann eindrucksvoll dargebrachten Stasi-Obersten, eher als fassungslose Feststellung formuliert: "Was für ein Aufwand....?!!?" – AHA, möchte man in die offene Szene rufen, die Stasibonzen wundern sich, mit welchem Herzblut, Einsatz und Risiko die Menschen ihre Freiheit suchen. Und merken nicht, dass sie selbst als Diktatoren mit noch viel größerem Aufwand ihr Spitzelheer sowie regelmäßig die halbe Landesarmee mobilisieren, um die unglücklichen Flüchtlinge, die sich NICHTS haben zu Schulden kommen lassen, zu töten oder lebenslänglich zu verknacken.
Wahrlich ein ein Unrechts-Regime, das den Menschen einen völlig psychotischen Staat aufzwang.
Die Funktionärs-Ober-Hexe Margot Honecker brachte es ja nach ihrer erfolgreichen Flucht nach Südamerika in einem ihrer raren Interviews auf den Punkt. Auf den Schießbefehl an der Mauer angesprochen, hatte sie eine mit 100% Überzeugung vorgebrachte Rechtfertigung auf Lager. "Die wussten doch, dass sie erschossen werden. Wenn sie trotzdem hingegangen sind, sind sie also selbst und ganz allein schuld....."
Wie schon oft gesagt und immer gern wiederholt: unfassbar pervers war es, was aus einem ursprünglich friedensliebend und gerecht gedachten Sozialismus geworden ist...

Trotz ganz kleiner Schwächen überwiegt die Kraft eines Films, der gleichermaßen schön, spannend, authentisch und wichtig ist. Die realen Geschehnisse spielten sich in meiner Kindheit nicht sehr weit von meiner Heimat ab, die zum Glück auf der Westseite der Grenze lag. Mit Grüßen vom dort gelegenen 'Beobachtungsturm' sende ich dem Film die verdienten 4,75 von 5 Punkte.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

23.06.2020 15:00
#8 RE: Filme und TV-Filme zur deutschen Zeitgeschichte Zitat · Antworten



Good Bye, Lenin!

Tragikomödie, BRD 2001-03. Regie: Wolfgang Becker. Drehbuch: Bernd Lichtenberg, Wolfgang Becker. Mit: Daniel Brühl (Alex Kerner), Katrin Sass (Christiane Kerner), Chulpan Khamatova (Lara), Maria Simon (Ariane Kerner), Florian Lukas (Denis), Alexander Beyer (Rainer), Burghart Klaußner (Robert Kerner), Michael Gwisdek (Direktor Klapprath), Christine Schorn (Frau Schäfer), Jürgen Holtz (Herr Ganske) u.a. Uraufführung: 9. Februar 2003. Eine Produktion der X Filme Creative Pool und des Westdeutschen Rundfunks.

Zitat von Good Bye, Lenin!
Als sie ihren Sohn Alex am Abend des 40. Jahrestags der DDR bei einem Protestmarsch entdeckt, erleidet die überzeugte Sozialistin Christiane Kerner einen Herzinfarkt. Für acht Monate fällt sie ins Koma. In der Zwischenzeit ändert sich viel für Familie Kerner; außerdem fällt die Mauer und die Errungenschaften des Westens halten im Plattenbau in Berlin-Mitte Einzug. Christiane wacht wieder auf, aber die Ärzte verordnen ihr absolute Ruhe. Jeder Schock könnte tödlich sein. Um seine Mutter zu retten, gaukelt Alex mithilfe seiner Schwester Ariane und seines Kumpels Denis vor, die DDR habe nie aufgehört zu existieren. Das erweist sich als zunehmende Herausforderung, denn der Sommer 1990 markiert für Berlin eine abenteuerliche Umbruchzeit ...


Es ist eine ungeheuer aufregende Zeit, die der Film „Good Bye, Lenin!“ schildert – eine Zeit, der auch ich meine Existenz verdanke. Ein Schwebezustand zwischen Umbrüchen, Modernisierung, von Jubel begleitetem Freiheitsgewinn und der damit einhergehenden Unsicherheit oder, wie Alex Kerner es im Film ausdrückt: „Der Wind der Veränderung blies bis in die Ruinen unserer Republik. Der Sommer kam und Berlin war der schönste Platz auf Erden. Wir hatten das Gefühl, im Mittelpunkt der Welt zu stehen – dort, wo sich endlich etwas bewegte.“ 40 Jahre hatte zuvor das Unrechtsregime der DDR-Einheitspartei SED auf dem Arbeiter- und Bauernstaat gelastet, Menschen waren unter Einsatz ihres Lebens geflohen, hatten sich mit dem verordneten Realsozialismus arrangiert oder sich, soweit möglich, ins Privatleben zurückgezogen. Ende 1989 und im Jahr 1990 überrollte dann nach erfolgreichen Montagsdemonstrationen und der Öffnung der Grenzen das demokratische System mit seiner zumindest vorhandenen, wenn auch nicht wirklich freien Marktwirtschaft den maroden Arbeiter- und Bauernstaat und demonstrierte selbst der verknöchertsten Blockflöte die Kraft des lange madig geredeten, aber insgeheim bewunderten Bruderstaats.

Korrektur: fast jeder Blockflöte. Wie Alex Kerner versucht, seiner in Partei und Jugendarbeit stark eingebundenen Mutter einen Schock über den Untergang „ihres“ Sozialismus zu ersparen, ist eine enorm sehenswerte Angelegenheit, die an vielen Stellen so grotesk überzeichnet wirkt, dass sie Lacher ebenso wie Seufzer hervorruft. Die Verquickung der tatsächlich historischen Ereignisse mit einem geradezu absurden fiktiven Einzelbeispiel ist dem Regisseur Wolfgang Becker (nicht identisch mit dem gleichnamigen, aber deutlich älteren Semester, das unter Helmut Ringelmann stets hervorragende Krimis ablieferte) vom dramaturgischen Standpunkt aus vorbildlich gelungen. Selbst für Zuschauer, die die DDR nicht selbst miterlebt haben, offenbaren sich deren spezielle Besonderheiten und mannigfaltige kleine Unsinnigkeiten auf anschauliche Weise, ebenso wie man die abenteuerliche Eingliederung in den Westen vor Augen geführt bekommt. Was jahrelang völlig normal und lapidar war, wird nun auf einmal zur schwierigen Herausforderung für Alex, der die DDR „auf 79qm weiterleben“ lassen muss, wie die Kinoplakate zum Film formulierten. Welche Veränderungen der acht Monate, in denen Mutter Christiane im Koma lag, müssen nicht alle verschleiert und rückgängig gemacht werden? Woher nimmt man in der Zeit von Burger King und Co. nun auf einmal Spreewaldgurken, Tempo-Linsen und Mocca-Fix Gold? Wie stellt man die Propaganda der Aktuellen Kamera glaubhaft nach? Wie erklärt man Coca-Cola-Werbebanner am Nachbargebäude, den Abtransport des Lenin-Denkmals oder die plötzliche Vermischung der zuvor fein säuberlich getrennten Ost- und Westbürger? Solche Fragen harren ihrer praktischen Beantwortung, die meist für oberflächliche Erheiterung sorgt, aber auch dafür, dass Alex sich in seine Lüge immer tiefer und aussichtsloser verstrickt.

Eine weitere Stärke von „Good Bye, Lenin!“ ist die Besetzung des Films mit zeitauthentischen Darstellern. Auch wenn Daniel Brühl in Spanien geboren wurde und in Köln aufwuchs, überzeugt er als in der Wendezeit zu sich selbst findender Plattenbaubewohner voll und ganz – nicht zuletzt, weil man ihm die Sohnesliebe zu Filmmutter Katrin Sass so gern abnimmt. Sass und Brühl sind die Eckpfeiler des Films und lassen den Zuschauer mit dem zu verschleiernden Geheimnis sowie den schwankenden Gesundheitszuständen jede Minute mitfiebern und stellenweise auch mitweinen. Auch beim Rest der Besetzung findet man ein wildes Gemisch aus Ossis, die Wessis spielen, Wessis, die Ossis spielen, und Ossis, die ihre eigenen Erfahrungen als Ossis einbringen dürfen – eine Vielschichtigkeit, die beweist, dass der Cast in erster Linie aus Glaubwürdigkeits- und nicht aus Herkunftsgründen besetzt wurde. Dass dem Publikum das Gezeigte an die Nieren geht, liegt nicht nur an den darstellerischen Leistungen, sondern auch an der Pointiertheit des Schnitts und an der Wandelbarkeit der Musik.

Man muss den Film letztlich dennoch für seinen allzu laxen Umgang mit der DDR kritisieren. Gewissermaßen entstand er im Fahrwasser der bis heute anhaltenden Ostalgie, die den sozialistischen Staat zwar alibimäßig anhand lapidarer Kleinigkeiten durch den Kakao zieht, das damalige Lebensgefühl jedoch insgesamt glorifiziert. Dass man am Anfang sieht, wie die Volkspolizei auch gewalttätig gegen Demonstranten wie Alex Kerner vorgeht, ist die absolute Ausnahme im Film. Später klingen oftmals sehr relativistische Phrasen wie „unsere Heimat“, „die DDR, die ich mir gewünscht hätte“ oder „Sozialismus heißt, auf den anderen zuzugehen“ an, ohne dass diese entsprechend eingeordnet werden. Hier erliegt der Film der Versuchung, die Geschichte zugunsten der positiven Figurendramatik zu beugen oder nicht vollständig zu beleuchten. Gefahren, die Christiane Kerner beim Stellen eines Ausreiseantrags gedroht hätten, werden nicht ausreichend thematisiert. Die Zusammenführung der Familie vor dem Tod der Mutter überlagert die Wut darüber, zwölf Jahre lang aus politischen Gründen getrennt gewesen zu sein. Frau Kerners Engagement für Partei und Sozialismus wird als aufopferungsvolle Bildungsarbeit ohne Kritik akzeptiert. Wo insgesamt ein klarer Fingerzeig auf ein über- und ein unterlegenes staatliches Gebilde platziert werden müsste, werden BRD und DDR beide als Familienparadiese mit liebenswerten Macken dargestellt. Das ist anrührend, aber nicht geschichtspolitisch verantwortungsvoll.

Wer ein bewegendes Familiendrama mit humorvollen Momenten und Einblicken in den Alltag der unmittelbaren Nachwendezeit sucht, kann keinen besseren Film als „Good Bye, Lenin!“ finden. Wer sich ein ordentliches Bild von den politischen Verbrechen des Sozialismus machen will, ist hier nicht an der richtigen Stelle. Darum geht es dem Film nicht, aber er lässt damit eine wichtige Komponente aus, die sein Erscheinungsbild noch runder gemacht hätte. 4 von 5 Punkten.

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