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Dieses Thema hat 15 Antworten
und wurde 739 mal aufgerufen
 Romane
Seiten 1 | 2
Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

25.10.2017 19:24
#1 Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Heute noch einmal ein Beitrag für einen der bekanntesten Kriminalromane von Edgar Wallace:

Der rote Kreis

Originaltitel: The Crimson Circle
Erscheinungsjahr der Erstveröffentlichung: 1922

Hauptpersonen:

Chefinspektor Parr - Kriminalbeamter von Scotland Yard
Derrick Yale - psychometrischer Detektiv
Thalia Drummond - junge Frau mit zweifelhaftem Hintergrund
James Beardmore - reicher Geschäftsmann
Jack Beardmore - junger Millionenerbe
Harvey Froyant - geiziger Unternehmer
Felix Marl - Geschäftsmann mit schlechtem Ruf
Julius Brabazon - verschuldeter Bankier
Raphael Willings - Politiker

Inhalt:

Als ein französischer Verbrecher hingerichtet werden soll, ist der Henker betrunken und die Hinrichtung schlägt fehl. Das soll später folgenreiche Konsequenzen haben …
Einige Jahre danach treibt in London ein skrupelloser Erpresser namens „Roter Kreis“ sein Unwesen, der begüterte Bürger zur Kasse bittet. Zahlungsunwillige Opfer werden umgebracht. Die Ermittlungen liegen in den Händen des älteren erfahrenen aber glücklosen Chefinspektors Parr. Konkurrenz bekommt er durch den übersinnlich begabten Privatdetektiv Derrick Yale, der auf die Spur einiger Helfershelfer des Roten Kreises stößt und auch sonst sehr clever ist. Beispielsweise kann er aufgrund seiner Begabung den Mörder von James Beardmore überführen, eines reichen Mannes, welcher die Drohungen der Organisation nicht beachtet hatte und bald darauf erschossen wurde. Allerdings ereilt auch den gedungenen Mörder sogar innerhalb der Gefängnismauern ein ähnliches Schicksal und wieder hat der Rote Kreis seine Finger im Spiel. James Beardmore hat einen Sohn, der sich in die schöne Thalia Drummond verliebt hat, die Sekretärin seines Nachbarn Harvey Froyant, eines unglaublichen Geizhalses. Diese Thalia Drummond ist eine undurchschaubare Frau. Sie ist Chefinspektor Parr als Diebin bekannt, und tatsächlich entwendet sie ihrem geizigen Chef eine kleine Figur. Der Diebstahl fliegt auf. Sie wird entlassen und kurz darauf von einer maskierten Person als Mitglied im Roten Kreis angeworben. Aber es gibt noch weitere mysteriöse Personen, etwa den Lebemann Felix Marl oder den unehrlichen Bankier Brabazon, die auch in Beziehung zum Roten Kreis zu stehen scheinen. Derweil gehen die Erpressungen weiter: Auch Harvey Froyant wird nicht verschont und in einer spektakulären Aktion beraubt. Das will dieser nicht auf sich sitzen lassen. Doch der Rote Kreis ist nicht zimperlich gegenüber Personen, die ihn in Gefahr bringen…
Weitere Morde und andere Verbrechen passieren, in die sich auch die schöne Thalia Drummond immer mehr zu verstricken scheint, und nur der unglücklich verliebte Jack Beardmore glaubt an ihre Unschuld. Inspektor Parr dagegen ist von ihrer Schuld überzeugt, während der gewitzte Detektiv Derrick Yale über sie an den großen geheimnisvollen Chef der Erpresserorganisation herankommen will. Doch die beiden Kriminalisten stehen in einem Wettlauf gegen die Zeit, denn der Rote Kreis jetzt hat zu einem ganz großen Schlag ausgeholt ...

Kritik:

„Der Rote Kreis“ ist vielleicht sogar der beste Kriminalroman aus der Feder des berühmten Kriminalschriftstellers. Jedenfalls steht er auf meiner Bewertungsliste ganz oben. Die Geschichte ist recht spritzig erzählt, es gibt ständig neue Wendungen, die Beziehungen der handelnden Personen sind sehr komplex, außerdem schafft es der Autor, durchgehend Spannung zu erzeugen. Negativ anzumerken sind die Oberflächlichkeit der beschriebenen Figuren, kleinere Logiklöcher sowie die übliche Fährlässigkeit des Autors, Sachverhalte im Roman bei der Auflösung richtig aufzuklären. Wer hat nun z.B. den Seemann Sibly -den Mörder von James Beardmore- umgebracht ? Obwohl man es sich denken kann, übergeht Wallace diesen Punkt völlig. Ein wenig mehr Sorgfalt wäre schön gewesen!
Die übliche Heldengeschichte ist diesmal anders als bei vielen anderen Romanen, der ältere Chefinspektor Parr und der jüngere, psychometrisch begabte Derrick Yale als Ermittler sind eher Konkurrenten als Kollegen, sie haben beide kein großes Interesse an Liebesabenteuern. Die Rolle des Liebhabers geht diesmal an den etwas farblos gezeichneten Jack Beardmore, einem Opfer des Roten Kreises. Sein Schwarm Thalia Drummond ist allerdings auch nicht das übliche nette Mädchen, welches sich gerne mal aus der Klemme retten lässt und ihrem Liebsten entgegenschmachtet. Sie scheint mit allen Wassern gewaschen, hat kriminelle Neigungen, ist sehr selbständig und entspricht wohl dem Typus der modernen jungen Frau in den Zwanzigern, die auch ohne Mann zurecht kommt und selber ihr Geld besorgen kann. Obwohl sie auch Gefühle für den jungen Beardmore hegt, geht für sie meistens Arbeit vor Vergnügen, und diese Zurückhaltung der Liebesgeschichte tut dem Roman sehr gut. Immerhin hat die gute Thalia auch eine Menge andere Verehrer abzuwehren, sei es ein geschniegelter Gauner, sei es der lüsterne Mr. Marl (den sie sich sogar mit einer Handgranate vom Leibe halten muss), ja sogar der kühle Derrick Yale macht ihr einen Antrag. Als sie in den Roten Kreis aufgenommen wird, setzt ihr geheimnisvoller verbrecherischer Boss sie auch mit Vorliebe als weiblichen Lockvogel ein. Ein leichtsinniger Politiker verfällt ihrem Charme, was ihm zum Verhängnis werden soll. Schließlich hat sich der Rote Kreis auch die englische Regierung als Opfer auserkoren - ein schöner Einfall, wie ich finde. Aber welches Spiel spielt die schöne Thalia wirklich, fragt sich der Leser immer wieder.
Sehr gut gezeichnet hat Wallace die Figur des geizigen Ausbeuters Harvey Froyant, der das Geld über alles liebt und aus Gram über den Verlust der erpressten Moneten selber Nachforschungen anstellt (das hätte er doch lieber bleiben lassen sollen ...). Auch Derrick Yale mit seiner übersinnlichen Begabung ist eine interessante Figur, schließlich hat man in den Zwanzigern tatsächlich solche Leute im Polizeidienst beschäftigt, obwohl Yales Fähigkeiten im Endeffekt auch nicht sonderlich positiv dargestellt werden. Dagegen ist Chefinspektor Parr mit seiner zumindest scheinbaren Schlichtheit und Unscheinbarkeit ein Sympathieträger und vom Autor auch entsprechend beschrieben.
Der Kriminalroman „Der Rote Kreis“ ist ein vielschichtiges, abwechslungsreiches Buch, das nicht umsonst mehrmals verfilmt wurde. Neben der turbulenten Handlung ist sicher auch das überraschende Ende ein Grund dafür. Oft blitzt auch ein recht makabrer Humor auf, den Wallace in seinen guten Zeiten durchaus gerne mal beim Schreiben einsetzte. Schließlich gibt es für den Namen „Roter Kreis“ und alles andere Geheimnisvolle natürlich eine Auflösung und auch zwei liebende Herzen finden zueinander. Das Böse hat wieder einmal seine gerechte Strafe gefunden.

Der Roman „Der Rote Kreis“ ist nicht nur für Wallace-Liebhaber ein schöner Krimi-Genuss!

Buch:

Von diesem Roman mit dem englischen Titel „The Crimson Circle“ habe ich bisher drei Übersetzungen gelesen. Zum einen meine „heißgeliebte“ und gelungene DDR-Ausgabe unter dem Titel „Der Feuerrote Kreis“. Was sich die Übersetzerin allerdings bei dieser Namensgebung gedacht hat, wird ein noch größeres Rätsel bleiben als es das schließlich doch gelüftete Geheimnis des „Feuerroten Kreises“ war. Schließlich heißt „crimson“ wörtlich übersetzt „blutrot“. Deshalb trägt auch der Titel der Heyne-Ausgabe den Wortlaut „Der Blutrote Kreis“. Diese Ausgabe ist auch die einzige, die eine Aufklärung gibt, warum der Seemann Sibly (der gedungene Mörder von James Beardmore) unbedingt beseitigt werden musste. Seiner Aussage nach hat sein unbekannter Auftraggeber häufig eine Redewendung benutzt, die er (Sibly) momentan aber vergessen hatte. Dem aufmerksamen Leser wird bei einer der handelnden Personen eine ausländische Phrase auffallen, welche sie mehr als einmal benutzt und die bei den anderen Verlagen offenbar ins Deutsche übertragen wurde, was den eigentlichen Handlungssinn zerstörte.
Zuletzt habe ich die Goldmann-Jubiläums-Ausgabe mit dem allgemein bekannten Titel „Der Rote Kreis“ gelesen. Die ist, so weit ich es einschätzen kann, weitgehend mit der Original-Übersetzung der Weltbild-Jubiläums-Edition (zusammen mit „Gucumatz“) identisch. Immer wieder interessant, wie weit an einzelnen Passagen unterschiedliche Sinnzusammenhänge bei verschiedenen Übersetzungen entstehen können.

Verfilmung:

Dieser Roman dürfte neben dem Hexer einer der meistverfilmten des Autors sein. Kein Wunder, denn hier bietet sich eine Übernahme der Handlung aufs Zelluloid eigentlich ohne große Abänderungen auch an. Zu der zweiten Edgar-Wallace-Verfilmung „Der Rote Kreis“ von 1959 hatte ich mal ein gespaltenes Verhältnis. Zuerst gefiel sie mir gar nicht, weil sie eben auch wesentliche Teile des Romans wegfallen ließ. Die Erpressung der britischen Regierung ist kein Thema mehr, aber Politik ist in den Wallace-Filmen ja ein völliges Tabu. Außerdem wurde auch einiges dazu fabuliert, was man mögen kann oder eben auch nicht. Mittlerweile finde ich aber, dass dieser Film so ein richtig schöner altmodischer Krimi ist, den ich mir immer wieder gerne anschaue.
Der Regisseur des Filmes war Jürgen Roland, der bekannt für seine authentisch-nüchternen Stahlnetz-Episoden war, die die Polizeiarbeit wohl auch recht realistisch darstellten. Ein bisschen merkt man auch beim „Roten Kreis“, wie er etwas von diesen Erfahrungen mit einbringen wollte. Es ist wohl der einzige Wallace-Film, in dem ein Toter mal in einem Blechsarg vom Tatort weg transportiert wird. Obwohl man sich auch hier wie bei den anderen deutschen Wallace-Filmen fragt, was denn eigentlich nun die Polizei den ganzen Tag über so macht, während die Leichen nur so purzeln. Immerhin setzt der Film (natürlich nach der missglückten Hinrichtung des Hauptverbrechers am Anfang) damit ein, dass der Rote Kreis schon 19 (!) Morde auf dem Gewissen hat. Da ist der Scotland-Yard-Chef wohl ein wenig ungehalten darüber, ansonsten scheint die ganze Sache vorerst niemanden aufzuregen. Doch der ältere Chefinspektor Parr, von Karl-Georg Saebisch sehr glaubhaft und sympathisch gespielt, steht immer mehr unter Druck und bekommt schließlich Derrick Yale zur Seite gestellt. Die Rolle des streberhaften, immer ein wenig überheblich und arrogant wirkenden Detektivs ist Klausjürgen Wussow wie auf den Leib geschrieben. Es ist das einzige Mal, dass er mir irgendwie als Schauspieler gefallen hat, aber das sind natürlich persönliche Ansichten. Der eigentliche Assistent von Parr aber ist Sergeant Haggett, verkörpert von einem glanzvollen Eddi Arent mit unnachahmlichen zeitlosen trockenem Humor, nur noch übertroffen von seinen Butler-Rollen im „Frosch“ und im „Indischen Tuch“. Dabei gibt es den Sergeanten Haggett im Roman gar nicht, wohl aber als namensgleiche Nebenfigur einen zwielichtigen Anwalt. Einige wichtige Personen im Film kommen im Buch überhaupt nicht vor, etwa die etwas leichtlebige Lady Doringham (Edith Mill), die bald ein Mordopfer des Roten Kreises werden soll, als auch ein gewisser Mr. Osborne (gespielt von einem wie immer schön schmierigen Ulrich Beiger). Die hübsche Thalia Drummond des Romanes wird von der ebenfalls hübschen Renate Ewert dargestellt, der junge Jack Beardmore von einem immer sehr unbeholfen wirkenden Thomas Alder. Beide Schauspieler dürften heute so gut wie unbekannt sein, sie haben sich einige Jahre später auch das Leben genommen. Der geizige Harvey Froyant kommt auch im Film vor. Der immer unheimlich wirkende Fritz Rasp tut hier sein Bestes.
Gleich zu Beginn des Filmes bringt der Rote Kreis drei Menschen kurz hintereinander um, darunter auch James Beardmore mit Pfeil und Bogen inmitten seines von der Polizei umstellten Anwesens. Das ist ganz schön viel Arbeit für einen Mann, eigentlich recht unwahrscheinlich… Nun ja. In dem gleichen Stil geht es dann weiter, auch Felix Marl und dem Bankier Brabazon geht es beispielsweise an den Kragen. Erst im letzten Drittel des Films beginnt wirklich etwas wie Ermittlungsarbeit, dann aber wirklich straff und spannend erzählt. Viele Elemente des Romans wurden übernommen, einiges kam dazu, wie schon erwähnt. Da gibt es eine Geliebte des alten James Beardmore mit einer unehelichen Tochter, die dann offenbar vom Roten Kreis entführt wurde. Irgendwie hat der seltsame Mr. Osborne auch seine Finger im Spiel. Das alles sind Elemente, die die Handlung zusätzlich verwirren sollen, aber im Grund genommen machen sie die bei Edgar Wallace sowieso schon meist stark strapazierte Logik der Geschichten vollkommen zunichte. Aber trotz allem schafft es der mittlerweile von der öffentlichen Meinung und von seinen Vorgesetzten arg gebeutelte Chefinspektor Parr doch noch, kurz vor seiner Zwangspensionierung den wahren Übeltäter zu entlarven. Der darf dann, begleitet vom missgelaunten Sergeant Haggett (er musste so früh aufstehen :)) zum zweiten Mal das Schafott besteigen, allerdings wartet dieses Mal statt der Guillotine der Henkerstrick auf ihn, den skrupellosen Massenmörder. Damals gab es eben noch wirkliche Gerechtigkeit.
Ein schöner Schwarz-Weiss-Krimi für einen verregneten Nachmittag!

Count Villain Offline




Beiträge: 4.616

25.10.2017 20:03
#2 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Zitat von Dr. Oberzohn im Beitrag #1
Gleich zu Beginn des Filmes bringt der Rote Kreis drei Menschen kurz hintereinander um, darunter auch James Beardmore mit Pfeil und Bogen inmitten seines von der Polizei umstellten Anwesens. Das ist ganz schön viel Arbeit für einen Mann, eigentlich recht unwahrscheinlich ... Nun ja.

Um Derrick Yale zu zitieren: "Hat der rote Kreis keine Helfer?"

Ray Offline



Beiträge: 1.930

26.10.2017 09:43
#3 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Wieder eine sehr schöne und umfassende Besprechung. Besonders gefällt mir, dass "on top" auch noch ausführlich über den Film geschrieben wurde.

Savini Offline



Beiträge: 756

01.03.2021 16:12
#4 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Zitat von Dr. Oberzohn im Beitrag #1
Zuletzt habe ich die Goldmann-Jubiläums-Ausgabe mit dem allgemein bekannten Titel „Der Rote Kreis“ gelesen. Die ist, so weit ich es einschätzen kann, weitgehend mit der Original-Übersetzung der Weltbild-Jubiläums-Edition (zusammen mit „Gucumatz“) identisch.

Eine Anmerkung dazu: Die Weltbild-Übersetzung stammt von Max C. Schirmer, der im Katalog der Deutschen Bibliothek tatsächlich als Übersetzer der ersten deutschen Ausgabe (von 1927) genannt wird. Allerdings ist dort bereits für 1931 auch eine Übersetzung von "Ravi Ravendro" verzeichnet. Und die erste aufgelistete Ausgabe nach dem Krieg (von 1951) stammt von Fritz Pütsch. Sicher kann es theoretisch sein, dass hier die Vorkriegsaasgaben nicht mehr greifbar waren bzw. die Manuskripte bei Luftangriffen zerstört wurden. Aber dass man schon vor dem Krieg gleich zwei Übersetzungen machen ließ, kommt mir etwas komisch vor. Ebenso auch, dass die Pütsch-Übersetzung mit der von Schirmer größtenteils übereinzustimmen scheint. Ab 1972 gab Goldmann dann eine "Gregor Müller"-Version heraus, die allerdings kaum kürzer als die mir vorliegende von Pütsch ist und sie von dieser auch kaum unterscheidet (relativ wenige Sätze fehlen oder wurden etwas anders formuliert).
Skurril, dass hier gleich vier bekannte Wallace-Übersetzer am Werk waren - und das beim selben Verlag!

Savini Offline



Beiträge: 756

01.03.2021 18:26
#5 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Nachtrag: Wie ich durch Blättern festgestellt habe, sind in der Pütsch-Übersetzung manche Sätze fast 1:1 so formuliert wie in der von Schirmer, andere weichen davon ab, lesen sich dafür dann identisch wie bei Müller.

Savini Offline



Beiträge: 756

09.03.2021 18:38
#6 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Im Moment habe ich große Lust, das Buch mal wieder komplett zu lesen! Sobald Zeit dafür war, werde ich selbstverständlich etwas dazu schreiben - wahrscheinlich in 1-2 Wochen.
Vorab etwas zu einem Punkt:

Zitat von Dr. Oberzohn im Beitrag #1
Immer wieder interessant, wie weit an einzelnen Passagen unterschiedliche Sinnzusammenhänge bei verschiedenen Übersetzungen entstehen können.

Beim Lesen der Heyne-Übersetzung (von Marilyn Wilde) musste ich an zwei Stellen stutzen. Als Jack Beardmore von seinem Vater nach seinem Verhältnis zu Thalia Drummond gefragt wird, antwortet er dort: "Wir sind befreundet. Ich habe nie mit ihr geschlafen, wenn du das meinst, und ich glaube, das wäre auch das Ende unserer Freundschaft."
Als Thalia nach ihrer kurzen Gefängnisstrafe in ihre Wohnung zurückkehrt, erinnert sie sich (am Anfang des 10. Kapitels) an ihre Zeit bei Harvey Froyant: "´Zumindest hat er nicht mit dir geschlafen, meine Liebe´ sagte sie lächelnd vor sich hin. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, daß Harvey Froyant mit irgend jemandem schlief."
Bei Max C. Schirmer lautet die erste Stelle dagegen: "Sie ist meine Freundin. Ich habe ihr niemals den Hof gemacht, Vater, wenn du daran denkst, und ich glaube, unsere Freundschaft würde bald zu Ende sein, wenn ich es täte."
Die zweite Stelle: "´Wenigstens hat er dir nicht den Hof gemacht, meine Liebe´, sagte sie zu sich selbst und lächelte. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wie Harvey Froyant irgend jemandem den Hof machen konnte."
In der Pütsch-Übersetzung von Goldmann ist die erste Stelle fast wörtlich identisch (statt "wenn du daran denkst", heißt es dort: "wenn du das meinst"), die zweite ebenso (statt "zu sich selbst" steht dort lediglich "zu sich").
Bei Gregor Müller fehlt das erste Beispiel komplett, das zweite ist etwas kürzer, aber dem Sinn nach ähnlich ("Wenigstens hat er mir nicht den Hof gemacht, tröstete sie sich.")
Da der Originaltext komplett online verfügbar ist, konnte ich die Stellen dort nachlesen und stellte fest, dass es in beiden Fällen tatsächlich "make love" hieß. Das hat mich gleich doppelt überrascht: Einmal, weil das ja nicht dasselbe ist wie jemandem "den Hof machen", aber vor allem, weil Edgar Wallace erotische und sexuelle Themen allenfalls sehr, sehr stark kodiert ansprach (da wird hier sicher kaum jemand widersprechen wollen).
Des Rätsels Lösung stellte sich durch eine kurze Online-.Recherche heraus: Demnach hatte der Ausdruck "make love" im Englischen im 19. und auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch die Bedeutung von "make amorous approaches to; woo; court". In diesem Sinne sei es noch in Romanen von Jane Austen oder in älteren Hollywood-Filmen (zu einer Zeit, als der Production Code noch sehr streng gehandhabt wurde) verwendet worden.
https://www.reddit.com/r/etymology/comme...term_make_love/
https://english.stackexchange.com/questi...an-in-the-1920s
So gesehen, waren die älteren Übersetzung korrekt, während die von Heyne den Kontext ignoriert hat. Aber als diese entstand, konnte ja nicht einfach gegoogelt werden.

Count Villain Offline




Beiträge: 4.616

09.03.2021 19:35
#7 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Das erinnert mich doch glatt daran:

https://www.youtube.com/watch?v=N9mRtTahZTM

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

09.03.2021 20:23
#8 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Zitat von Savini im Beitrag #6
So gesehen, waren die älteren Übersetzung korrekt, während die von Heyne den Kontext ignoriert hat. Aber als diese entstand, konnte ja nicht einfach gegoogelt werden.

Das mag schon sein, trotzdem sollte ein versierter Übersetzer eigentlich wissen, dass die Sprache im Laufe der Zeit auch gewissen Änderungen unterworfen ist und ein Buch aus der guten alten Zeit mit anderen Moralvorstellungen aufwarten sollte als ein heutiges. Gerade weil es bei Edgar, Agatha und Co. nicht que(e)r durch alle Betten geht, sind die Bücher ja für so manch einen gerade gut lesbar, obwohl die Verschraubtheit an manchen Stellen fast schon wieder lachhaft ist. Aber als scheinbare Muttersprachlerin sollte Marylin Wilde um den Wandel der Redewendung "make love" im Laufe der Jahrzehnte schon wissen. Mir fällt aber bei vielen modernen Übersetzungen auf, dass man sich da kaum noch Gedanken drüber macht, mit Absicht neumodischer machen will oder das einfach gar nicht weiß. Und mal ehrlich: "Ich habe nie mit ihr geschlafen, wenn du das meinst, und ich glaube, das wäre auch das Ende unserer Freundschaft." - das ist doch nun ein selten dämlicher Satz, kaum in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen.

Hier noch ein Beitrag aus der DDR-Übersetzung von Edith Boldt aus den achtziger Jahren:
"Ich habe ihr gegenüber nie von Liebe gesprochen, wenn du das meinst, Vater, und ich glaube auch, dass es mit unserer Freundschaft aus wäre, wenn ich das täte."
"Wenigstens hat er mir keine Liebe angeboten", sagte sie zu sich selbst und lächelte. Sie konnte sich Harvey Froyant gar nicht liebend vorstellen.
Ich finde, die Übersetzung schlägt sich da gar nicht so schlecht.

Savini Offline



Beiträge: 756

09.03.2021 20:53
#9 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Danke für das Zitat aus der DDR-Übersetzung! Leider habe ich keine Ahnung, wie diese Stelle bei Scherz lautet.
Ein anderes Beispiel für eine neuere Übersetzung eines Klassikers, bei der der damalige Gebrauch ignoriert wurde, wäre George Bernard Shaws "Pygmalion", das bekanntlich vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben und uraufgeführt wurde. Gegen Ende meint Eliza Dolittle zu Professor Higgins, einfache Mädchen könnten Männer aus "besseren Kreisen" dazu bringen "to make love with them", während sie sie eigentlich gegenseitig den Tod wünschten. In der Neuübersetzung von Suhrkamp (Harald Mueller) wird hier tatsächlich von "mit ihnen schlafen" gesprochen, was eigentlich stutzig machen müsste. Denn bei der Premiere empfand das Publikum es bereits als skandalös, dass hier das Wort "bloody" auf der Bühne ausgesprochen wurde; wie hätte es dann erst reagiert, wenn "to make love" im heutigen Sinne gemeint gewesen wäre?

Count Villain Offline




Beiträge: 4.616

09.03.2021 21:10
#10 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Zitat von Dr. Oberzohn im Beitrag #8
"Ich habe nie mit ihr geschlafen, wenn du das meinst, und ich glaube, das wäre auch das Ende unserer Freundschaft." - das ist doch nun ein selten dämlicher Satz, kaum in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen.


Ach, denkst du also, es wäre auf ein Friends with Benefits hinausgelaufen statt auf das Ende der guten Freundschaft?

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

09.03.2021 21:22
#11 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Das wären nun aber doch genau die Zustände, die sich Edgars Zeitgenossen nun gar nicht hätten vorstellen wollen, vom Skandal mal ganz zu schweigen.
Man könnte diesen Satz mal genau unter logikpolizeilichen Aspekten untersuchen, aber das Thema ist mir dann doch zu "anrüchig". Was nichts daran ändert, dass ich ihn blöd finde.

Savini Offline



Beiträge: 756

14.03.2021 10:01
#12 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Jetzt habe ich den Roman wie angekündigt nochmal lesen können. Schön temporeich und spannend, einerseits sehr Wallace-typisch, andererseits auch wieder nicht.
Typisch sind der geheimnisvolle Meisterverbrecher und einige andere Sachen, aber untypisch die Figurenkonstellation und Erzählweise. Zunächst ist mir aufgefallen, dass es keine durchgehende Hauptfigur gibt, sondern diese wechselt: Teilweise ist Inspektor Parr die Identifikationsfigur, dann Thalie Drummond oder Derrick Yale, manchmal auch der (unsympathische) Geizhals Froyant oder der Gauner Marl. Interessanterweise schafft Wallace es, teilweise Gedanken von Thalia oder Yale mitzuteilen, ohne zu viel zu verraten, aber zugleich auch ohne den Leser zu betrügen; manches ist sehr schön doppeldeutig formuliert.
Auffallend ist, dass das romantische Element angenehm zurückhaltend präsentiert wird, es beschränkt sich auf den sehr blassen Jack Beardmore. Im Grunde besteht seine Funktion nur darin, nicht daran glauben zu wollen, dass Thalia Drummond kriminell ist, egal, worauf alles hindeutet. Es scheint im nicht einmal wichtig zu sein, den Drahtzieher der Ermordung seines Vaters zu überführen; im Film wurde seine geringe Anteilnahme sogar kurz angesprochen, wobei James dort "nur" sein Onkel ist.
Daneben ist mir noch ein Gedanke gekommen: Ein Polizeiinspektor als Held und Liebhaber wurde bei Edgar Wallace bekanntlich später zum Standard. Zuvor waren in diesem Genre Polizisten eher Nebenfigur, teilweise auch als inkompetent gezeichnet, während ein Amateur- oder Privatdetektiv den Fall löste, der von der Polizei mitunter nicht ernst genommen wurde. Sherlock Holmes´ Methoden waren zur Zeit der ersten Geschichten fast revolutionär, manchmal wird er von anderen Figuren sogar kurz verdächtigt, übernatürliche Fähigkeiten zu haben, bevor er seine Schlussfolgerungen erklärte. Sollte Wallace Derrick Yale an Holmes angelehnt haben? Dafür würde sprechen, dass Yale als exzentrische und betont ästhetische Erscheinung dargestellt wird, die sich der Polizei überlegen glaubt und auch Frauen gegenüber sehr auf Distanz geht.

Count Villain Offline




Beiträge: 4.616

14.03.2021 10:47
#13 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Zitat von Savini im Beitrag #12
Sollte Wallace Derrick Yale an Holmes angelehnt haben? Dafür würde sprechen, dass Yale als exzentrische und betont ästhetische Erscheinung dargestellt wird, die sich der Polizei überlegen glaubt und auch Frauen gegenüber sehr auf Distanz geht.



Coole Theorie!

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

19.03.2021 15:32
#14 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Zitat von Count Villain im Beitrag #13
Zitat von Savini im Beitrag #12Sollte Wallace Derrick Yale an Holmes angelehnt haben? Dafür würde sprechen, dass Yale als exzentrische und betont ästhetische Erscheinung dargestellt wird, die sich der Polizei überlegen glaubt und auch Frauen gegenüber sehr auf Distanz geht.Coole Theorie! n


Sherlock Holmes hätte aber wohl lieber seine Pfeife im Stück verschluckt als sich mit übersinnlichen Ermittlungsmethoden abgegeben wie Derrick Yale.

Auch wenn es nicht direkt zum Thema gehört, mir fällt da eine Geschichte ein, ob nicht der angeblich medial begabte Derrick Yale wiederum ein Vorbild für einen realen Verbrecher gewesen sein könnte. Zumindest hat das der Schriftsteller Wolfgang Schüler schon in einer Geschichte in der damaligen DDR-Zeitschrift Das Magazin behauptet, die er später noch einmal in der Kriminalistik-Fallsammlung Verbrecher im Netz publiziert hat. Da ist von einem Herren namens Doc Roberts die Rede, der Mitte der dreißiger Jahre in der US-Stadt Milwaukee die Polizei vor einer Verbrechensserie warnte, die sich bald ereignen sollte. Tatsächlich kam es bald zu einer Serie von Bombenexplosionen, die Roberts mit seinem «zweiten Gesicht» auch immer vorhersagen konnte. Bei der letzten wurden die Verursacher scheinbar selber getötet – Ende gut, alles gut ? Doc Roberts wurde nie als Verdächtiger behandelt, Schüler fragt sich hier, ob er den Übeltäter aus dem «Roten Kreis» als Vorbild genommen haben könnte. Meiner Ansicht steht die ganze Sache eher aber auf schwachen Füßen. Zumal ja Yale, wie kürzlich schon mal woanders erwähnt, nur in Ereignisse der Vergangenheit blicken konnte, während Roberts aber (scheinbar) in die Zukunft schauen konnte. Trotzdem eine interessante Anekdote.

Savini Offline



Beiträge: 756

19.03.2021 18:35
#15 RE: Der rote Kreis (1922) Zitat · Antworten

Zitat von Dr. Oberzohn im Beitrag #14
Sherlock Holmes hätte aber wohl lieber seine Pfeife im Stück verschluckt als sich mit übersinnlichen Ermittlungsmethoden abgegeben wie Derrick Yale.

Bei seinem Schöpfer Arthur Conan Doyle sah die Sache bekanntlich in dessen späten Jahren schon anders aus. Und von einer in Fankreisen besonders berüchtigten Folge der Serie mit Jeremy Brett (in der Holmes sich ernsthaft mit Traumvisionen beschäftigt) schweigen wir besser.

Sicher ging Holmes stets rational und wissenschaftlich vor; aber manche seiner Schlussfolgerungen dürften zum Zeitpunkt des Erscheinens (zumindest bei den frühen Geschichte, um 1890 herum) fast übernatürlich gewirkt haben, zumindest, bevor er sie erklärte. Darum ging es mir bei dem Vergleich, ebenso wie um den beschriebenen Kontrast zwischen dem feinnervigen Privatdetektiv und dem eher schlicht und schwerfällig wirkenden Inspektor.

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