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Dieses Thema hat 1 Antworten
und wurde 131 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

04.09.2013 10:30
#1 Chemie und Liebe (1947/48) Zitat · Antworten



Arthur Maria Rabenalts Chemie und Liebe

Wirtschaftssatire, D-Ost 1947/48. Regie: Arthur Maria Rabenalt. Drehbuch: Marion von Keller, Frank Clifford. Mit: Hans Nielsen (Dr. Alland), Tilly Lauenstein (Martina Holler), Ralph Lothar (Da Costa), Ann Höling (Georgia Spaldi), Gisela Deege (Aimée), Arno Paulsen (C.D. Miller), Gerd Frickhöffer (Dr. Brose), Arno Ebert (Cornelius Vandenhoff), Alfred Braun (Sprecher), Anneliese Rausch (Annelie) u.a. Uraufführung: 1. Juni 1948. Eine Produktion der DEFA Deutsche Film-AG.

Zitat von Chemie und Liebe
Der Chemiker Dr. Alland lebt nur für die Austüftelung einer großen Erfindung. Unter Umgehung der Kuh soll aus Gras Butter entstehen. Sein einmaliger Verstand und seine tüchtige Assistentin lassen einen Erfolg greifbar scheinen – allein: Dem Forscher fehlt Geld. Ein Ausweg tut sich auf, als zwei große Unternehmen auf das Vorhaben aufmerksam werden. Beide fördern Dr. Alland, wollen jedoch schnell eine Option auf die Erfindung. Sie setzen unabhängig voneinander Frauen auf Alland an, die ihn um den Finger wickeln und das Patent sichern sollen. Wer wird als Sieger vom (Rasen-)platz gehen?


Was in vielen Quellen vollmundig als „der erste Science-Fiction-Film der DEFA“ beworben wird, benutzt die dem Fantastischen entliehene Idee, mit allerlei chemischen Prozessen und Bakterien Gras zu Butter zu verarbeiten, hauptsächlich als macguffin, um die wahren Anliegen des Streifens zu transportieren. Angesiedelt in einem Märchenland namens Kapitalia, dessen Hauptstadt unermesslich groß und reich ist, bestimmen Profitstreben und geschäftliche Gerissenheit das Leben der Menschen. Fast jeder ist käuflich – nur nicht Dr. Alland, der aber als Erfinder den Schlüssel zum Reichtum in der Hand hält. Jeder Facette, die von Kapitalia und seinen Bürgern gezeigt wird, entspringt die klare Haltung, dass die sowjetische Besatzungszone mit jenem raffgierigen Staat nichts zu tun hat. Weniger als naheliegende politische Überzeugungen transportierte man damit eine Beruhigung der Massen, die nach dem Zweiten Weltkrieg von starken Einschränkungen und Entbehrungen betroffen waren. Die Lebensmittelknappheit stellte sich als ganz besonderes Problem heraus, aber auch die industrielle Stellung der SBZ, in der die Besatzer ohne Rücksicht auf Verluste einen großen Teil der Produktionsanlagen und Schienenwege demontiert hatten, verhinderte eine Besserung der Situation auf absehbare Zeit.

1948 war der Krieg immerhin schon drei Jahre vorbei, doch auch Bodenreform und Verstaatlichungen sowie die mit ihnen verbundenen Enteignungen sorgten für eine nur stotternde Gesundung des heimischen Wirtschaftsmarktes. Insofern lehnt man sich nicht weit aus dem Fenster, wenn man in den despektierlichen Schilderungen sprießenden Kapitalismus‘ wenigstens einen Funken Neid mitspielen sieht, auf jeden Fall aber auch die Bedienung einer Publikumssehnsucht. Interessant gerät der zeitgeschichtliche Hinweis, dass sich Deutschland-Ost zwar selbstbewusst als antikapitalistisch positionierte, die am 27. Juni 1947 von der SMAD gegründete Deutschen Wirtschaftskommission sich jedoch zum Vorläufer der späteren DDR-Regierung entwickelte.



Nicht nur stand „Chemie und Liebe“ für den von der DEFA wesentlich mitpropagierten Nachkriegskurs Pate, auch finden sich in der Produktion kritisch-satirische Bezüge wie etwa die Möglichkeit, aus Holz Zucker oder Seide zu gewinnen, die die von den Nationalsozialisten vorangetriebene Suche nach Ersatzstoffen konterkarieren. Im NS-Staat hatten das Verlangen nach Rohstoffautarkie und Kriegsaufrüstung dazu geführt, dass in einigen Gütern nicht steckte, was man aus langjähriger Erfahrung gewohnt war:

Zitat von Der Führer trank keinen Muckefuck – Hitlers Kampf um Autarkie. 3Sat Themenwoche Kriegsgeschichten, 25. August 2013
Für die Rüstungsproduktion waren Metalle von entscheidender Bedeutung, für einen späteren Krieg die Treibstoffversorgung. Kohle in Öl zu verwandeln, bereitete Ingenieuren und Technikern keine Probleme. Das Verfahren der Hochdruckhydrierung wurde bereits 1913 entdeckt. Rund zehn Jahre darauf wurde die so genannte Fischer-Tropsch-Synthese entdeckt. Beide Verfahren nutzten die um Autarkie bemühten Nationalsozialisten großtechnisch. Während des Weltkrieges wurden jährlich 5,7 Mio. Tonnen Kohle zu Treibstoff verflüssigt.

[...] Aber auch an das Wohlergehen des Volkes wurde gedacht: Da die Kolonien verloren waren, sollten Ersatzstoffe den exotischen Kaffee- oder Kakaogenuss liefern. Der berühmt-berüchtigte „Muckefuck“ blieb vielen Deutschen noch lange nach Kriegsende in Erinnerung.


„Chemie und Liebe“ weist zwar einen sprühend heiteren Unterton auf, verleitet aber kaum zu schallendem Lachen. Mit der Ausnahme von Ann Höling und Gerd Frickhöffer, die die Produktion als Knallchargen einsetzte, spielten die anderen Schauspieler zu gemäßigt und großteils zu durchtrieben. Als Paradebeispiel es schmierigen Geschäftsmannes steht Ralph Lothar mit elegantem Oberlippenbärtchen und schärfstem Sinn für nutzbringende Transaktionen seinen Mann. Als eine Art flinkes Wiesel demonstriert er Rücksichtslosigkeit und erpresserische Qualitäten – es zeigen sich durchaus Parallelen zu Robert Lindners Johannes Merk in „Am Abend nach der Oper“.

Während Tilly Lauenstein in einer undankbaren Rolle eher spröden Charme versprüht, zeigt sich Hans Nielsen noch erstaunlich jung und dynamisch. Auch ein klarer Sinn für Selbstironie geht seinen späteren, gereiften Rollen zum großen Teil ab, weshalb sein Forscher Dr. Alland eine gelungene Abwechslung in seiner Filmografie darstellt. Einschränkend muss natürlich erwähnt werden, dass es gerade Alland ist, der die staatlich beworbene Askese zur Erreichung eines moralisch überlegenen Lebens verkörperte und damit als Musterbeispiel für einen guten späteren DDR-Bürger herhalten durfte.

Weder als Science-Fiction-Stoff noch als Komödie geriet Rabenalt mit „Chemie und Liebe“ ein Volltreffer, wohl aber lohnt sich die Sichtung eines mit zeitgenössischen Sichtweisen und Problemen aufgeladenen Films, der seine Ziele nicht in bitterschwere Tragik, sondern in Mut machende Leichtigkeit verpackt. Hans Nielsen und Gerd Frickhöffer spielen als Chemikerduo beinah auf dem Niveau von Fuchsberger und Arent. 3,5 von 5 Punkten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

20.09.2015 13:41
#2 RE: Chemie und Liebe (1947/48) Zitat · Antworten

BEWERTET: "Chemie und Liebe" (Sowjetische Besatzungszone [spätere DDR] 1948)
mit: Hans Nielsen, Tilly Lauenstein, Ralph Lothar, Gerhard Frickhoeffer, Ann Höling, Gisela Deege, Arno Paulsen, Alfred Braun, Arno Ebert u.a. | Drehbuch: Frank Clifford und Marion Keller nach einem Stück von Béla Balázs | Regie: Arthur Maria Rabenalt

Der Chemiker Dr. Michael Alland und seine Assistentin Martina Holland arbeiten an einem Prozess, aus Weidegras Butter herzustellen. Anfangs werden sie belächelt, doch bald erkennt der geschäftstüchtige Makler Da Costa, dass sich mithilfe zweier Konzerne, die er gegen einander ausspielt, Profit erzielen lässt. Dr. Alland erhält Unterstützung und wird zugleich von zwei Frauen umgarnt, die ihn für die jeweilige Seite gewinnen wollen. Allerdings haben sie nicht mit Dr. Allands Beharren auf Unabhängigkeit gerechnet.....



In einer entscheidenden Phase für die deutsche Wirtschaft entsteht mit "Chemie und Liebe" eine Satire, die der Regisseur Arthur Maria Rabenalt nach seinem zweijährigen Berufsverbot für die DEFA dreht. Der heutige Zuschauer wundert sich nicht nur über die geschliffene Sprache der Protagonisten, sondern auch über eine gewisse Freizügigkeit in der Darstellung. So sieht man in einer Tricksequenz eine unbekleidete Frau auf einer Telefongabel und die Marchesa Spaldi spricht ungeniert von Impotenz. Nachdem die Psychoanalyse im amerikanischen Kino der Vierziger Jahre für detektivische Zwecke eingesetzt wurde, greift man hier spielerisch darauf zurück und entlarvt ihren Missbrauch als Freizeitbeschäftigung gelangweilter Halbintellektueller. Bei den gezeigten Stereotypen weiß man nie genau, ob die Figuren augenzwinkernd als Klischee enttarnt oder dem Zeitgeist entsprechend ernst gemeint sind. Attraktiven Frauen werden in einer 'Schule des Lebens' die Kniffe beigebracht, die es anzuwenden gilt, wenn ein Mann umgarnt werden soll, dessen wichtigstes Attribut die richtige Automarke ist.



Hans Nielsen ist als Wissenschaftler nicht nur begehrtes Subjekt zweier Konzerne, sondern steht auch zwischen drei Frauen, die unterschiedlich gezeichnet werden, während die Firmenchefs sich in ihrem Wunsch nach Gewinnmaximierung gleichen. Tilly Lauenstein stellt als Assistentin die treibende Kraft hinter Nielsen dar. Sie ist es, die früh erkennt, dass Geld nicht nur ein Zahlungsmittel, sondern ein Türenöffner ist, wenn es darum geht, seine Träume und Ideen umzusetzen. Ihre Loyalität macht sie unentbehrlich, sorgt aber auch dafür, dass sie durch ihre ständige Anwesenheit für Nielsen wenig begehrenswert erscheint. Der Reiz des Neuen kommt in Gestalt von Gisela Deege daher, dem blonden Püppchen mit Gespür für Sentimentalitäten. Ann Höling als extravagante, zweimal geschiedene Frau (ohne dafür verurteilt zu werden), zeichnet eine starke Persönlichkeit, die sich - ganz wie Pippi Langstrumpf - ihre Welt so macht, wie sie ihr gefällt. Die Bühne, die man ihr zugesteht, zeigt eine femme fatale, vor deren Schachzügen man(n) sich hüten muss. Gerd Frickhöffer ist der comic relief des turbulenten und teilweise anstrengenden Stoffes; sein Wortwitz und die Einfältigkeit in Bezug auf weiblichen Charme sind typisch für den Sparringspartner des tadellosen Helden.

Alfred Braun ist der angenehme Begleiter durch die Welt von Kapitalia und gibt den Ereignissen als Erzähler einen passenden Rahmen. Er führt den Zuschauer durch eine Gesellschaft, die wie unter einer Glasglocke gezeigt wird, dennoch erkennt man Verhaltensmuster und heute noch gültiges Denken wieder. Das Verhandlungsgeschick eines Da Costa, die Skrupellosigkeit der Industriebosse und die Geringschätzung idealistischer Einzelgänger begegnen uns tagtäglich in den Spalten der Wirtschaftsseiten einer Tageszeitung und der Weltpolitik. Die Frage, ob ein Mann wie Dr. Alland zum Spielball der Mächte werden kann, ist aktuell. Genauso bleibt es erfrischend, wenn dieser sich durch Geschick ausklinkt und seinen eigenen Weg geht. Mit Hans Nielsen wurde ein Sympathieträger engagiert, dessen Ernsthaftigkeit keinen Zweifel an seinen ehrlichen Absichten lässt. Was anderen als Naivität ausgelegt werden könnte, erhält hier Tiefe.

Rasante Wirtschaftssatire aus dem Blickwinkel des Konsumskeptikers, der den Kapitalismus für ein schwer zu bändigendes Monster hält, gleichzeitig aber seine Trägheit humoristisch unter die Lupe nimmt. Nielsen und Lauenstein überzeugen als berufliches Gespann, zwischen dem die Chemie stimmt - im wahrsten Sinne des Wortes. 4 von 5 Punkten.

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